Christoph Friedrich Nicolai
Freuden des jungen Werthers
Christoph Friedrich Nicolai

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Freuden Werthers des Mannes

Albert war in Geschäften seines Fürsten acht Monden in Wien gewesen und kam zurück, kurz drauf, als Werther und Lotte sich getrennt hatten.

Er traf Werthern mit dem Gesicht auf demselben Kanapee liegen worauf er ehemals mit Lotten den Ossian las.

»Und nun? Wie ist's mit deiner Frau?« sagte Albert.

»Ha!« rief Werther, als er ihn sah, »es ist mit den Weibsen nichts; alle sind falsch, wankelmütig!«, und biß sich die Nägel.

Albert: »Nur wieder fein mit dem Kopf durch die Wand, Werther! Als wenn's nicht von dir selbst käme! Du bist ein Tor, Werther, und hast die arme Lotte auch betört. Ich habe sie gekannt, ein gutes Landmädchen, lustig und fromm, konnte kleine Spiele spielen, konnte frohen Muts tanzen, aber auch den Kindern Brot schneiden, liebte herzlich häusliches Leben, ob's gleich wußte, daß es kein Paradies, aber doch im ganzen eine Quelle unsäglicher Glückseligkeit ist. Da liebte ich das Mädchen und wollte sie haben; denn solche Frau brauchte ich. Drauf kamst du und stimmtest die Weise viele Töne höher: da sollte es lauter innige Empfindung sein, lauter starke Anspannung, keine Einschränkung, keine Überlegung, wir hielten das Herzchen wie ein krankes Kind, gestatteten ihm all seinen Willen, lebten immer in der Zukunft, wo ein großes dämmerndes Ganze vor unserer Seele ruhte, wo wir unser ganzes Wesen hingeben mochten, uns mit der Wonne eines einzigen großen herrlichen Gefühls ausfüllen zu lassen. Dies verschluckte das weibliche zärtliche Geschöpf begierig und hielt sich am glücklichsten, wenn es im freundlichen Wahne so hintaumeln konnte. Jawohl, guter Werther, wäre der Wahn besser als die Wahrheit, wenn er nur nicht aufhören müßte. Nun hat er bei dir aufgehört, das gute Weibchen taumelt noch drin fort, und du wunderst dich, daß ihr nicht zusammenkommen könnt? Hohe, überschweifende Empfindung, lieber Werther, steht gut im Gedicht, aber macht schlechte Haushaltung. Feiner junger Herr! Lieben ist menschlich, nur müßt ihr menschlich lieben; berechnet euer Vermögen, zu lieben, und haltet die güldne Mittelstraße, sonst wenn ihr das Mädchen gierig macht, so wird sie mitten im Genüsse darben! Wer hätte dir das vor zwei Jahren sagen dürfen, und doch ist's itzt nicht anders.«

Werther: »Geh zum Teufel mit deinen Unbedeutenden Gemeinsprüchen!«

Albert: »Wenn sie nicht wahr wären, schickte ich sie auch dahin.«

Albert reisete zu Lotten; die weinte bitterlich und rief: »Alle Mannsen sind treulos, hätte ich je gedacht, daß mich Werther verlassen könnte?«

»Gutes Kind«, sagte Albert, »denke, ob du nicht auch dran schuld bist. Werther wollte keinen Geelschnabel um dich leiden; weißt du noch, ob's mir auch behaglich war, da Werther so um dich buhlte? Und doch war Werther ein ehrlicher guter Kerl, und dein Lecker ist ein Popanz. Du hast unrecht gehabt, Lottchen! Necken geht wider den Mann, und gerümpfte Nase bringt nicht verlorne Liebe zurück. War's nicht besser, du liebtest Werthern wie zuvor und er dich auch? Liebst du ihn noch?«

Lottchen weinte abermals bitterlich: »Ob ich ihn liebe? Gott!«

Albert holte Werthern auf den Jagdhof; der alte Amtmann hieß Werthern kurz und lang; Lotte weinte und entschuldigte ihn. Werther umarmte Lotten, und sie reiseten völlig versöhnt zurück.

Izt, durch kleine Übereilungen vorsichtiger gemacht, genossen sie in reichem Maße die Vergnügungen des häuslichen Lebens, die sich so tief empfinden und so wenig beschreiben lassen. Wechselseitige Liebe und Zutrauen beseligte sie. Werther hing wieder mit Gott weiß wieviel Wonne an dem Arme und Auge seiner Frau, das voll vom wahrsten Ausdrucke des offensten reinsten Vergnügens war. Er wartete seine Geschäfte ab, sie erzog ihre Kinder, und so floß ihr Leben wie ein stiller Bach dahin – ein nicht so poetisches Bild als reißende Ströme, aber deshalb Glücklichen nicht weniger angemessen.

Durch Fleiß und Sparsamkeit wurden sie nach etwa sechzehn Jahren wohlhabend. Werther konnte nun wieder des mühsamen Arbeitens entbehren, und so kaufte er sich ein kleines Bauerngütchen. Am Abhange eines Berges, mit hohen Ulmen und bejahrten Eichen besetzt, lag es. Nur ein kleines Häuschen war da, aber fruchtbare Äcker und ein Garten ums Haus, darin unter hohen Bäumen ein Brunnen wohl zwanzig Stufen tief in den Felsen gehauen, wie ihn Werther liebte. Hier ließ er sich nieder und genoß abermals die simpel harmlose Wonne eines Menschen, der ein Krauthaupt auf seinen Tisch bringt, das er selbst gezogen, und nun nicht den Kohl allein, sondern all die guten Tage, den schönen Morgen, da er ihn pflanzte, die lieblichen Abende, da er ihn begoß und da er an dem fortschreitenden Wachstume seine Freude hatte, alle in einem Augenblicke wieder mit genießt. Denn Lotte zog auf den Krautfeldern Gemüse und Wurzeln, die den unbescholtenen ländlichen Tisch füllen. Der Obstgarten war Werthers Besorgung, und die Kinder pflanzten sich Beete voll Tulpen und lieblicher Anemonen.

Das war alles gut, bis ein Kerl kam, der war in England gewesen, hatte des Herzogs von Bridgewater Kanal befahren, unterm Berg weg und über den Irwell, hatte die Gärten zu Stowe gesehn und hatte sich von chambers erzählen lassen, was der Kaiser von China für Gärten habe, wunderbar und schrecklich, daß es eine Lust ist. Sonst war der Kerl nicht klüger wieder gekommen, als er war weggereist, hatte aber Geld wie Heu, wollte was Originales haben, bauen einen orientalischen Garten, wo kein Orient ist; hätte er bei Dsjidda gewohnt, würde er ein Versailles angelegt haben, nach Le Nôtres Rissen. Der kaufte den Berg über Werthers Hüttchen, legte darauf große Dinge an, sonderlich und wunderlich, Schlangengänge, Abgründe, Tempel, Pagoden und Wildnisse. Als er fertig war, wollte er den Garten auch bevölkern wie der Kaiser von China, daß es recht natürlich wäre. Da schaffte er sich Hunde, die verkleidete er in Wölfe, Zypernkatzen in Tiger, Lämmer, gelb und braun gefärbt, in Leoparden und Spitzmäuse in Hermeline. Das Vieh lief über in Werthers Obstgarten und streifte sich zwischen den Bäumen die hölzernen wilden Larven ab, die ihm vorgebunden waren. Doch weil sich das noch scheuchen ließ, achtete es Werther nicht. Aber nun wollte der reiche Fratz was Großes beginnen. Er hatte jenseits des Berges einen ziemlichen Fluß, den leitete er mit Mühlen in die Höhe, daß er diesseits einen Wasserfall haben wollte, am jähen Absturz des Berges. Da frohlockte das Kerlchen, und seine Seele ward erschüttert, wie das Wasser in hohen Fluten herabbrauste, zwischen den hundertjährigen Eichen und über die Felsenstücken wegschäumte, aber ehe man's sich versah, war's in Werthers Garten, spülte die Bäume aus, riß das kleine Gartenhäuschen um und verheerte die fruchtbaren Krautfelder und die lieblichen Tulpenbeete.

Lotte raufte sich die Haare, die Kinder weinten, aber Werther war durch Erfahrung gelassen geworden. Er staunte eine Weile und sagte zu sich selbst:

»Der Kerl ist, traun, ein Genie, aber ich merk's wohl, ein Genie ist ein schlechter Nachbar. Wenn's einem selbst auch wohltut, als ein Genie zu sprechen, so tut's andern oft schier übel, wenn man als ein Genie handelt. Der Wasserfall ist wahrlich keck, aber das kleine Häuschen, in dem ich mit meinen Lieben mein fröhliches Butterbrot aß, meine Krautfelder, meine Obstbäume, meine Tulpenbeete waren gut. Sonst wohl war mir die Losung: Keckheit ohne Grenzen, Schwingen bis in den Äther, Anspannung ohne Erschlaffung, Brauchen der Kräfte ohne Einschränkung. Alles schön! Wir wollen's Genie auch nicht einschränken, denn der Kerl, der seinem Gecken so Zucker gibt, ist reich und mächtig, und Klagen tut's nicht. Aber wenn wir dem Genie aus dem Wege gehen könnten!«

Er ging zum reichen Nachbar, führte ihn an der Hand herab und sagte ganz gelassen:

»Hier seht, Nachbar, was Euer Wasserfall in meinem Garten angerichtet hat. Ich könnte Euch verklagen, aber was hilft's; wollt Ihr mir's Gütchen abkaufen, so zieh' ich weg, und so möchtet Ihr fallen und laufen lassen, wie's Euch deucht.

»Das ist ein Wort«, schrie der Nachbar, »ich sehe, Ihr seid ein Kerl, der's Große liebt. Schaut, wie die Bäume mit den Wurzeln empor liegen und wie's Dach vom Häuschen auf der Seite hängt und die Krautköpfe drüberrollen! He! Nachbar! Natur im Garten geht weit über die verdammte Kunst, solch eine Ansicht, hätte mir nun keine Theorie, wie sie den Quark nennen, aussinnen können.« Und so gab er Werthern ungefordert mehr, als sein Gütchen wert war.

Werther nahm das Geld, dachte in sich: Es ist doch auch Natur, wenn Wurzeln in der Erde stehen und Äpfel an den Bäumen hängen. So kaufte er sich ein ander Gütchen, ein wohlgebautes Haus, vorm Hause ein Platz mit zwo Linden, wie zu Wahlheim vor der Kirche. Hier lebt er noch glücklich und vergnügt mit Lotten und seinen acht Kindern. Erfahrung und kalte, gelassne Überlegung hat ihn gelehrt, ferner nicht das bißchen Übel, das das Schicksal ihm vorlege, zu wiederkäuen, dagegen aber die Wonne, die Gott über ihn ausgoß, mit ganzem, innig dankbarem Herzen aufzunehmen. Nachdenken über die Wege der Vorsehung, die kein blindes Schicksal, sondern Güte und Gerechtigkeit sind, hat seine ausgetrockneten Sinne wieder heiter gemacht, die überspannten Nerven abgespannt, ihm die Fülle des Herzens zurückgegeben, die er vormals genoß. Er kann wieder im hohen Grase am fallenden Bache liegen und näher an der Erde zwischen Halmen und tausend mannigfaltigen Gräschen die unzähligen, unergründlichen Gestalten all der Würmchen, der Mückchen näher an seinem Herzen fühlen, fühlen die Gegenwart des Allmächtigen, der uns all nach seinem Bilde schuf, das Wehen des Alliebenden, der uns in ewiger Wonne schwebend trägt und erhält. Und was noch mehr ist: er geht nicht darüber zu Grunde, erliegt nicht unter der Herrlichkeit dieser Erscheinungen; denn Lotte und seine acht Kinder, die besten Gaben, die ihm Gott gegeben hat, liegen neben ihm und fühlen gesellig, was er fühlt. Wenn je in seinem feurigen Gemüte ein Tumult aufsteigen will, so lindert ihn unverzüglich der Anblick der glücklichen Gelassenheit dieser gesunden liebenswürdigen Geschöpfe, der Abdrücke der Stärke und Edelmut des Vaters und der Munterkeit und Schönheit der Mutter. Sie haben schon wieder andere Beete gepflanzt, wo Tulpen mit Narzissen und Hyazinthen abwechseln, und durch ihre arbeitsamen Spiele werden die Krautfelder umfaßt mit Rosenhecken und Jasmingängen, das Gartenhäuschen mit duftendem Geißblatt, des Wohnhauses Mittagsseite mit Traubengeländern.

»Hm!« sagte Hanns, »hol' mich der Henker, es hätte doch auch so kommen können.«

»Ei freilich wohl!« sprach Martin, »auch noch auf hundertlei andere Art. Erschießt man sich aber einmal im Ernst, weg sind sie.«

Hanns: »Hast, traun, recht, ich schieß mich nicht!«



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