Christoph Friedrich Nicolai
Freuden des jungen Werthers
Christoph Friedrich Nicolai

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Leiden Werthers des Mannes

Die Geburt war sehr beschwerlich gewesen, ließ empfindliche Nachwehen nach sich, die Lotten an den Rand des Grabes brachten. Werther war für Schmerz außer sich. Dies war aber nicht der selbstsüchtige Schmerz eines Menschen, der sich vernichten will, weil er Unmögliches wünscht und nicht erlangen kann, es war der gesellige Schmerz, der Mitleid zum Grunde hat, der Trost geben und empfangen will.

Lotte, eine zärtliche Mutter, konnte bei ihrer Schwäche ihr Kind nicht säugen. Eine Amme ward geholt. Ein Ungeheuer, durch viehische Lust mit verborgner Pest angesteckt, vergiftete den zarten Säugling, und der Unschuldige vergiftete unwissend die Mutter, die ihn mütterlich liebkosete.

Als Werther vom Arzte die schreckliche Wahrheit vernahm, stieß er sein Haupt gegen den Erdboden und rief: »Gott! Wozu hast du mich aufbehalten! Ehemals glaubt' ich, der Schmerz, Lotten nicht zu erhalten, wäre der größte und für menschliche Natur zu ertragen zu stark!«

»Und diesen stärkern Schmerz kannst du ertragen!« sprach Albert; »Freund! Du warst ein Weichling, bist nun ein Mann worden! Geselligkeit, sonst von dir verachtet, gibt auch Kraft. Du dünktest dich einzeln, als du den Hahn losdrücktest, uneingedenk, daß du deiner Mutter das Herz brachst.«

Lotte ward durch eine langwierige und schmerzhafte Kur kaum dem Tode entrissen; das Kind war nicht zu retten.

Auch diesen Schmerz ertrug Werther, zum Schmerze gewöhnt; nun aber sollte er auch Gram und Sorgen ertragen lernen. Väterlich Erbteil war gering, gewirtschaftet hatte er nie. Seine Mutter war erschöpft; von ihr zu verlangen, konnte er nicht über sich bringen. Die Krankheit seiner Frau brachte Mangel herbei.

Werther mußte also ein Amt annehmen, und wohl war's ihm, daß Albert ihm eins schaffte und Anleitung gab, wie's zu treiben war. Ob ein Bindwörtchen mehr da war' oder eine Inversion weniger, mußte ihn itzt nicht kümmern. Nun galt's, daß er sich nach andern bequemte, andere nicht nach ihm. Auch fand er, bewährt, was er schon wußte, daß zum Lavieren Kraft gehöre wie zum Segeln und daß man oft weiter käme. Auch sah er, was er sonst nicht wußte, daß mehr Stärke des Geistes dazu gehöre, bürgerliche unvermeidliche Verhältnisse zu ertragen, als, wenn tobende endlose Leidenschaft ruft, einen jähen Berg (ohne Absicht) zu klettern, durch einten unwegsamen Wald, einen Pfad (der zu nichts führt), durchzuarbeiten durch Dorn und Hecken. Doch tat's weh dem, der mit belebender Kraft Welten um sich schaffen möchte, daß er finden sollte, er sei ein Geschöpf. Dies schnitt ins Herz und machte gute Laune seltner.

Lotte nahm's hoch auf, daß er so mißmutig war, und wollte, daß ihm's Herz sollte aufgehen wie sonst, wenn er in ihre schönen Augen sah, und dachte nicht, daß sich untern schönen Augen itzt wohl ein feines Naschen rümpfte wie sonst nicht. Werther mußte oft Geschäfte wegen verreisen, auf seiner Arbeitsstube den Tag versitzen, und dann ging er wohl weg, weil er Ärger hatte, der seine Frau nicht kränken sollte.

Lotte, sonst ein gutes Weib, die ihn aber nicht durchsah, schmollte, weil er nicht bei ihr war, und drohte aus verliebtem Verdruß: »Traun, Werther, willst du mir nicht fleißiger Gesellschaft halten, such' ich sie mir wohl sonst.«

Es war da ein junges Kerlchen, leicht und lüftig, hatte allerlei gelesen, schwätzte drob kreuz und quer und plauderte viel, neust aufgebrachtermaßen, vom ersten Wurfe, von Volksliedern und von historischen Schauspielen, zwanzig Jährchen lang, jedes in drei Minuten zusammengedruckt wie ein klein Teufelchen im Pandämonium. Schimpfte auch alleweil auf den Batteu; Werther selbst konnt's schier nicht besser. Sonst konnte der Fratz bei hundert Ellen nicht an Werthern reichen, hatte keine Grütze im Kopf und kein Mark in den Beinen. Sprang ums Weibsen herum, fispelte hier, faselte da, streichelte dort, gab's Pfötchen, holte den Fächer, schenkte ein Büchschen, und so gesellte er sich auch zu Lotten.

Nun hatt's wohl keine Not, daß der Laffe Lotten gefallen hätte, aber sie wollte Werthern weh tun, daß er ihr hofieren sollte wie sonst, daß doch nicht mehr Zeit war. Und das Kerlchen ward dreist und dachte, er hätte Lotten, und Werther griesgramte, daß Lottchen solch einen Lumpen litt; so hatten sie Worte, und Lotte ließ nicht ab, und sie neckten sich so fort, bis das Übel ärger ward, und sie schieden sich von Tisch und Bette, Lotte zog zu ihrem Vater.

Lotte weinte Tag und Nacht, liebte Werthern in der Seele und wollte doch nicht unrecht gehabt haben. Werther schlug sich mit der Faust wider die Stirn; »Hui!« schrie er, »unbeschreiblich fressender ist der Gram weder je sonst einer! Ich habe Lotten und soll sagen, sie liebt mich nicht, besser war's, da sie mich liebte und ich hatte sie nicht.«


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