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Erster Band

Gérard de Nerval

von Théophile Gautier

Über diesem Grabe, das in den Klageliedern der Dichter aufblühen wird, soll man nicht die armen Schatten eines Gilbert oder Hégésippe Moreau beschwören. Denn Gérard de Nerval war weder verkannt noch gemieden, das darf man zur Ehre dieses Jahrhunderts sagen, nachdem es soviel Unrecht auf sich geladen hat. Die Anerkennung, der Ruhm selbst hatte sich ihm auf den Bänken der Klasse genaht, in der man uns als Muster den jungen Gérard vorhielt, den Verfasser der »Élégies nationales« und die Ehre der Charlemagne-Schule. Als er mit achtzehn Jahren eine klassisch gewordene Übersetzung des »Faust« erscheinen ließ, regte sich der große Wolfgang Goethe in seiner göttlich thronenden Unbeweglichkeit zu Weimar, und seine marmorne Hand schrieb ihm dieses Wort, das Gérard, sonst so bescheiden, voller Stolz wie einen Adelstitel bewahrte: »Ich habe mich niemals so gut verstanden wie beim Lesen Ihrer Übertragung.« Alle Theater und Zeitungen standen diesem reinen und reizvollen Schriftsteller offen, welcher den erfindungsreichsten Geist und die zarteste Phantasie mit einer ruhigen, köstlichen, vollkommenen Form verband. Die stolzesten Zeitschriften begehrten seinen Namen und empfingen seine Mitarbeit wie eine Gunst. Und wenn wir allein die Theaterkritik in der Presse schreiben, so lag es nur an seinem schweifenden Geist, der solcher Arbeit zur bestimmten Stunde schnell überdrüssig wurde. Sie war ihm unerträglich, und dennoch kam er sogleich in nie aussetzender freundschaftlicher Hingebung, um an unserer Stelle die Mühle zu treten, wenn die Reiselust einen von uns nach Spanien, nach Afrika, nach Italien entführte. Das war die brüderliche Ablösung, die er selbst mit der der Dioskuren verglich: der eine scheint, wenn der andere untergeht. Ach, er ist davongegangen, um niemals wiederzukehren.

Was also unsere Epoche an äußeren Quellen bietet, stand ihm zur Verfügung. Er machte auch eine kleine Erbschaft vor etwa fünfzehn Jahren, die mit flüchtigem Glanz die Anfänge seiner Laufbahn vergoldete. Aber die Liebe zum Geld, die heute durch alle Herzen fiebert, trübte niemals die Reinheit dieser Seele, die wie ein Vogel über die Wirklichkeiten hinflatterte, ohne sich je zu setzen. Weil er es nicht wollte, weil er es unwürdig fand, ist Gérard nicht reich gewesen. Das Geld verursachte ihm eine Art Übelkeit, es brannte ihm in den Händen, erst beim letzten Fünffrankenstück wurde er wieder ruhig. Als Künstler hatte er gewiß luxuriöse Anwandlungen: ein geschnitztes Bett, ein vergoldetes Spiegeltischchen, ein Stück Seidenstoff, ein Kronleuchter nach Gérard Dou konnten ihn verführen. Solche Einkäufe stellte er dann in irgend einem Zimmer, bei einem Kameraden unter und vergaß sie dort. Auf Bequemlichkeit aber legte er gar keinen Wert. Er versetzte im Winter seinen Mantel, um eine Nadel mit Türkisen oder einen kabbalistischen Ring zu kaufen. Obwohl sein Äußeres oft zerlumpt war, befand er sich nicht in wirklichem Elend. Auch die Häuser seiner Freunde und ihre leeren oder vollen Börsen standen ihm offen, wenn er nicht arbeiten konnte. Wieviele von uns haben zehnmal ein Zimmer hergerichtet in der Hoffnung, er würde darin einige Tage verbringen. Auf länger durfte keiner gefaßt sein, denn sein unruhiges Herz brauchte Freiheit! Wie die Schwalbe, wenn man ein Fenster offen läßt, trat er ein, ging zweimal, dreimal umher, fand alles schön und reizend und flog davon, um wieder auf den Wegen zu träumen. Das war nicht Gleichgültigkeit und Kälte, doch gleich dem Turmsegler, dem fußlosen, dessen Leben ein ewiger Flug ist, konnte er nicht anhalten. Einmal, als wir wegen irgend einer Trennung traurig waren, kam er von selbst, um vierzehn Tage bei uns zu bleiben, und ging nicht aus, nahm alle Mahlzeiten zur richtigen Stunde mit uns und leistete uns gute treue Gesellschaft. Wer ihn kannte, mußte sagen, daß dies einer der stärksten Freundschaftsbeweise war, die er zu geben vermochte. Aber auch sonst diese unerschöpfliche Liebenswürdigkeit, diese lebendige Dienstbereitschaft und vollkommene Hingabe an alle ihm Nahen! Welche gewaltigen Wege hat er zu Fuß bei schrecklichem Wetter gemacht, um eines Freundes Anzeige oder Beitrag irgendwo einrücken zu lassen.

Das Unglück dieses Daseins – und wir wissen nicht einmal, ob wir ein solches Wort gebrauchen dürfen – hat ganz andere Gründe als die Schwierigkeiten des literarischen Lebens und die gewöhnliche Geldnot. Der fortschreitende Einbruch des Traumes in sein Leben hat Gérards Verweilen im Reiche der Wirklichkeit nach und nach unmöglich gemacht. Seine Kenntnis der deutschen Sprache, seine Studien über die Dichter von jenseits des Rheins, seine geistige Natur führten ihn zum Illuminismus, zum mystischen Außersichsein. Die wunderlichen Bücher, die er las, das exzentrische Leben außerhalb fast aller menschlichen Bedingungen, die langen einsamen Spaziergänge, bei denen sich sein Gedanke am Gang erregte und ihn manchmal vom Boden zu heben schien gleich Magdalena in ihrer Grotte oder ihn über den Boden hineilen ließ, die Arme bewegend wie Flügel: – das löste ihn immer mehr von der Sphäre, in der wir unter dem Gewicht unserer Umweltbejahung verharren können. Eine glückliche oder unglückliche Liebe – wir wissen nichts darüber, denn seine Zurückhaltung war groß und in seinen Werken hat er nur schamhafte verschleierte Anspielungen gemacht – steigerte seine Erregung, bisher innerlich und gehalten, zum letzten Grad von Paroxysmus. Gérard beherrschte seinen Traum nicht mehr, aber beharrliche Pflege zerstreute die Wolke, die einen Augenblick lang seinen Geist verdunkelt hatte, und mindestens seine Prosa ist niemals so lebendig, so hell und so unerhört reich gewesen wie damals. Lange Stunden haben wir dem Dichter gelauscht, der zum Seher verwandelt uns Apokalypsen entrollte und mit wunderbarer Beredsamkeit Gesichte beschrieb, glanzvoller als die orientalischen Visionen des Haschisch.

Wie auch der Zustand seines Geistes war, der Sinn des Dichters wurde davon nicht berührt. In dieser gleichen Zeit entstand eine Folge von Sonetten, Einweihungen in Mysterien, die er später unter dem Namen »Vers dorés« erscheinen ließ. Über ihrer Dunkelheit fliegen jähe Schimmer hin wie über einem Bild in der Dämmerung einer Crypta, bestirnt mit Karfunkeln und Rubinen, die Reime klingen so gut, die Sprache, obwohl so geheimnisvoll, daß Orpheus und Lykophron dagegen durchsichtig scheinen, ist bewunderungswürdig schön, als hätte ein großer Dichter mit ruhigem Blute diese Gedichte geschaffen.

Der Orient war, nach Deutschland, Gérards große Liebe. Er konnte Kairo sehen, Syrien, Konstantinopel und kam von diesen Reisen noch erfüllter mit den Gedanken der Kabbala, der Magie und mystischer Weihen zurück. In langen Zügen hatte er aus dem berauschenden Kelch getrunken, den die Sphinx uns reicht mit ihrem unerklärlichen Lächeln aus rosa Granit, das über die Weisheit von heute zu spotten scheint Kosmogonien und Theognoien, der okkulten Wissenschaften Symbolik, damit erfüllte sich sein Gehirn. Oft konnten die besten Geister ihm nicht auf den First der hohen Babel folgen, auf den er stieg, oder sich mit ihm in die unterirdische Tiefe syringischer Grabgänge versenken.

Aber mitten in dieser inneren Verbrennung, deren Flamme nur selten außen erschien, schuf er Reisebeschreibungen, ernste und komische Erzählungen, Dramen, Zeitungsartikel voll Phantasie und Kunst, in feiner und zarter Sprache, in silberner Nuance. Denn er verschmähte immer die übertreibende Färbung, die wir alle wohl anwenden, und der einzige Fehler, den man ihm vorwerfen kann, ist: zuviel Weisheit.

Welch ein Meisterwerk ist die Novelle »Sylvia«, die von der Nachwelt neben »Paul und Virginia« gestellt werden wird, welch schöne Mischung von Träumerei und Gefühl! Wie glücklich umrahmt die frische Landschaft diese Kindheitserinnerungen.

»Aurelia oder Der Traum und das Leben« zeigt den Geist kalt am Kopfkissen des heißen Fiebers sitzen; die Halluzination analysiert sich selbst in höchstem philosophischen Aufschwung. Die letzten Blätter dieser seltsamen und vielleicht beispiellosen Arbeit fanden wir in den Taschen des Toten. Er trug sie bei sich, wie um den unterbrochenen Satz zu beenden ... Aber die Hand ließ den Stift fallen und der Traum tötete das Leben. Das Gleichgewicht, bis dahin gehalten, schlug um. Dieser Geist, so reizend, beflügelt, licht und zärtlich löste sich auf für ewig.

Gérard de Nerval,
MDCCCIX in Paris geboren,
starb MDCCCLV.


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