Peter Nansen
Gottesfriede
Peter Nansen

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XXX.

Ende Februar.

Wir haben beschlossen, im Mai zu heiraten. Worauf sollten wir auch wohl warten? Im Müllerhause ist hinreichend Platz und Essen. Das wenige, was wir ausserdem gebrauchen, kann ich wohl dazu dichten. Vorläufig soll der Rest meines Honorars zu Gretes Brautkleid verwandt werden. Sie schilt mich meines Leichtsinns wegen, aber ich will, dass sie die schönste und feinste Braut sein soll, die die alte Stadt jemals gesehen hat. Die Hochzeit soll in der kleinen ländlichen Kirche des Stifts stattfinden, und niemand ausser den alten Damen soll Zutritt haben. Aber unsere Freundin und drei andere gute Jungfrauen sollen Grete als Brautjungfern das Geleite an den Altar geben. Nach der Trauung trinken wir ein Glas Champagner mit dem Brautgefolge, aber es soll auch süsser französischer Wein gereicht werden, falls jemand den vorziehen sollte. Wenn wir dann nach Hause fahren, lassen wir den Wagen vor dem Friedhof halten; denn Grete will ihren Brautkranz auf Mutters Grab legen, die uns ja vereint hat. Und dann halten wir unseren Einzug auf dem Mühlenberg als Mann und Frau und ziehen in das obere Stockwerk des Müllerhauses, das leer und unbenutzt dagestanden hat, seit Gretes Mutter starb. Es ist Mai, die Buche ist eben frisch belaubt, die Luft ist voll Blütenduft, und im Wald auf dem Mühlenberg singt die Nachtigall ihre Liebeslieder. – – –

Die Tage vergehen schnell, während Grete und ich unserm grossen Glück leben und von dem noch grösseren Glück träumen, das unser harrt, wenn der Frühling kommt.

Am Morgen machen wir in der Regel einen weiten Spaziergang. Entweder in die entlegenen Strassen und Gassen der Stadt, deren Namen allein uns in eine ferne Vergangenheit versetzen, und von denen einzelne, namentlich die uralte Scholarenstrasse, die sich in Treppenabsätzen zwischen baufälligen Hütten und verwittertem Gemäuer hinschlängelt, so eng sind, dass man sie im Gänsemarsch passieren muss. Oder wir begeben uns auf die hohen, orfenen Landstrassen hinaus, wo der Blick in die weite Ferne schweift und die Gedanken auf eine Reise in die Zukunft ausziehen. Erfrischt von der kalten Luft, warm und rotwangig, kehren wir dann heim an unsere Arbeit. Ich zu meinem Buch, das jetzt schnell und sicher vorschreitet, Grete zu ihrer Aussteuer. Es liegen von der Mutter her vollauf an Leinen und Gedecken, starke, eigengewebte Sachen, in Kisten und Kasten. Aber Grete will nicht als faule Braut ins Brautbett gehen. Es soll mit Bettzeug bezogen sein, das von ihr selber gesäumt und gestickt ist. Und wie das Brautbett, so soll das ganze Haus sein. Die Nähmaschine surrt den ganzen Tag, und am Abend fliegt die fleissige Nadel, während ich dabei sitze und oft die Arbeit störe, indem ich die lieben, geschäftigen Hände küsse.

Eines Abends finde ich Grete beschäftigt, feine Leinwand in winzig kleine Stücke zu zerschneiden. Ich sitze da und zerbreche mir den Kopf, was das nur werden soll, und Grete, die meine Verwunderung sieht, lächelt verschmitzt. Endlich platze ich mit meiner Neugier heraus, und ich frage: »Wer von uns beiden, Du oder ich, soll denn mit diesem Puppenzeug herausgeputzt werden?«

»Niemand von uns beiden,« erwidert sie. »Es sind die Hemdchen unseres Erstgeborenen.«

Halb scherzend, halb ernst frage ich: »Gieb acht, Kind, dass Deine allzu sichere Hoffnung nicht zu Schanden wird. Es wäre auch wohl später noch Zeit gewesen, für die Aussteuer des Sohnes zu sorgen.«

Sie sieht mich mit Thränen in den Augen an. »Das darfst Du nicht sagen. Ich will nicht an etwas so Trauriges denken. Welchen Zweck hätte denn alle meine Liebe, wenn ich Dir nicht einmal einen Sohn sollte schenken können? Und Dein Sohn soll nicht in ein armes, unvorbereitetes Heim kommen. Er soll auch nicht Kleider tragen, die in Läden gekauft sind, fremde Kleider, denen kein Gedanke an ihn anhaftet. Deswegen nähe ich seine Aussteuer jetzt, wo ich noch gesund bin und Kräfte dazu habe. Wie es später sein wird, kann niemand wissen. Sollte es dann geschehen, dass ich von ihm fortgerufen werde, so wirst Du ihm doch, wenn er gross genug sein wird, um es zu verstehen, erzählen, dass seine Mutter für ihn gesorgt hat, soweit sie es vermochte. Und er wird sich niemals ganz mutterlos fühlen.« – –


»Und nun zürnst Du mir doch nicht und meinst, ich sei zu überspannt und zu vertrauensselig? Welcher Gott sollte wohl einer Frau das Glück neiden, Fürsorge für das Kind zu tragen, dem sie, um es zu gebären, gern das Leben opfern würde?«

Dies sagte sie, als sie an dem finstern Abend draussen auf dem Mühlenberg stand und mir die Hand zum Abschied reichte. Ich zog sie an mich und flüsterte: »Du beste aller Mütter.«

XXXI.

Den 8. März.

Es ist jetzt beschlossen, dass die Mühle abgebrochen werden soll. Der Alte hat seine Zustimmung gegeben, in vierzehn Tagen wird die Arbeit in Angriff genommen. Nachdem er nun diesen endgültigen Entschluss gefasst hat, scheint der Müller sich zu beruhigen. Soweit wir es beurteilen können, hat er in der letzten Zeit nicht einmal einen heimlichen Besuch in der Mühle abgestattet.

Über uns alle ist mit dem Beschluss des Abbruchs der Mühle eine wohlthuende Ruhe gekommen. Ohne es einander eingestehen zu wollen, gingen Grete und ich in beständiger Angst, dass sich ein Unglück ereignen könne. Wie leicht konnte es nicht geschehen, wenn sich der alte, blinde Mann allein in der Mühle zu schaffen machte, dass er über eine der steilen Treppen stolperte, durch eine Luke oder durch das Räderwerk zu Schaden kam? Grete hat es mir jetzt eingestanden: oft, wenn sie unter dem Vorwand, dass sie der Aussteuer wegen keine Zeit habe, einen Spaziergang mit mir ausschlug, war es nur die Furcht, den Vater allein zu lassen, die sie zurückhielt.

Jetzt ist alles gut und ruhig wie ehedem. Und am Abend sitzen wir alle drei beisammen und verhandeln darüber, wozu der Wall benutzt werden soll, wenn die Mühle weg ist. Der Alte meint, da die Mühle bisher den Schiffern als Seezeichen gedient hat, müsse er wohl den Grund zur Errichtung eines andern leicht in die Augen fallenden Wahrzeichens anbieten. Grete aber macht geltend, dass viele andre Punkte auf dem Mühlenberg sich ebenso gut dazu eignen würden, dass der Wall ihr Eigentum sei, und dass es ihnen niemand verdenken könne, wenn sie ihn nach ihrem eigenen Belieben einrichten. Sie und ich haben einen Plan, von dem wir hoffen, dass ihr Vater ihm beistimmen wird.

Auf dem Wall wollen wir ein Lusthaus in antikem Tempelstil errichten. Rings umher auf dem Wallgange pflanzen wir einen Kranz schirmender Tannen an; an dem Tempel und dessen Säulen aber sollen sich im Laufe der Zeit wilder Wein, wilde Rosen und Jelängerjelieber emporranken. Auf dem Frontispice wollen wir in goldener Schrift die Einweihungsworte: »Dem Gotte des Mühlenbergs« anbringen.

Dem Gotte des Mühlenberges, dem Grotte des Friedens, dem Gott unseres Glückes wollen wir unsern Blumentempel, den idyllischen Parnass unseres Olymps errichten. Hier wollen wir sitzen und weit über das Land hinausschauen, wollen die Welt unter uns lärmen lassen, den Sturm sausen hören und das Gewitter uns umbrausen lassen, und alle Tage in Sturm wie in Stille soll uns die milde Hütte des Friedens schirmen. Hier wollen wir sitzen, so lange wir jung sind und sich Rosen, Weinlaub und Jelängerjelieber um unsere Herzen schlingen; hier wollen wir auch sitzen, wenn die alten Jahre kommen und der Duft der Erinnerungen uns umwogt. Hierher wollen wir unsere Kinder führen, während sie noch klein sind, und sie lehren, die Knie vor unserm Grott zu beugen, und hier wollen wir sie erwarten, wenn sie, im Kampfe des Lebens erprobt, Ruhe im Tempel des Heims ihrer Kindheit suchen. Am schönsten aber, glauben wir, wird es sein – wir lächeln über den unverzagten Mug unsrer Träume – wenn der Tag kommt, an dem unser Sohn und seine Braut unsern Platz zwischen Rosen und Jelängerjelieber einnehmen werden.

Gemeinsam bauen wir unsern Tempel. Aber an dem Tage, wo der Tempel errichtet ist, und wir zusammen dort oben stehen, will ich Grete erzählen, wie ich, schon ehe ich sie kannte, und lange bevor ich sie liebte, sie als Friedensgöttin anbetete und ihr aus der Mühle einen Hochaltar errichtete.

XXXII.

Den 19. März.

Der Lenz kommt in diesem Jahre früh. Der warme Regen und die glühende Sonne der letzten Tage hat die Blumen des Waldbodens schon aus der braunen Laubdecke hervorgelockt, hat den Vogelgesang in den Lüften schon geweckt.

Es war gleich nach Sonnenaufgang, als ich Grete heute Morgen zu unserm Spaziergang abholte. Die Morgensonne hat mich geweckt, ich konnte es nicht übers Herz bringen, die schönen Stunden zu verschlafen. Und ich stehe pfeifend vor dem Mühlenhause, wo noch alles geschlossen ist. Ein Rouleau wird aufgezogen, und Grete wird sichtbar im weissen Nachtgewande, das reiche, braune Haar frei herabwallend und in der Sonne goldig schimmernd. Sie nickt mir lächelnd zu und sendet mir einen so fröhlichen Morgengruss, dass die ganze Luft mit Freude erfüllt ist. Als ich aber daran denke, dass diese lebensstrahlende Jugend mir gehört, und dass über ein Kleines dieser üppige, weisse Körper in meinen Armen ruhen und meinem Verlangen zu willen sein wird, da schwindelt es mir. – – –

Wir gehen in den Wald und trinken den starken Wein des Frühlings, den die Sonne aus tausend gährenden Säften keltert. Ich sehe das Blut in Gretens Wangen steigen, ich höre es in ihrer Hand pochen, die ich in der meinen halte. Der Rausch des Lenzes ist in uns, seine lebhafte Mattigkeit ergiesst sich in unsere Adern. Grete schmiegt sich an mich, müde sucht sie, den Kopf gegen meine Schulter gelehnt, Stütze an meinem Arm, und sie sagt leise:

»Hörst Du denselben Gesang wie ich?«

»Was für einen Gesang hörst Du denn?«

»Es sind Stimmen, die sehnend rufen, und es sind Stimmen, die zurückweichend locken. Sie spielen miteinander, bald klagend fern, bald weinend nahe, bald fragend, bald antwortend, bald ineinander fliessend in einen jubelnden Einklang aller Töne. – Ich glaube, es ist der Hochzeitsgesang der Natur, der um uns her erschallt. Hörst Du ihn denn auch?«

»Ich höre die Natur zum Fest rufen: Hervor, ihr Blumen alle, singt, ihr Vögel, grünt, ihr Bäume! Stehet früh auf, schmücket Euch und übet Euch. Der Lenz ist gekommen, haltet Euch bereit. Denn wenn der Maientag anbricht, steht die Prinzessin des Mühlenberges in ihrem Brautschmuck da. – Ich höre die Natur Deine Hochzeit einsingen!«

Ein Bach hemmt unsern Weg; sonst rinnt er nur leise mit spärlichem Wasser zwischen grossen Steinen dahin, das Schmelzen des Schnees und Eises aber hat ihn über seine Ufer treten lassen. Nur hie und da ragt ein Stein auf.

»Wir müssen wohl umkehren?« frage ich.

Grete lehnt sich zärtlich an mich:

»Ich bin frühlingsmüde,« sagt sie. »Ich möchte nur ungern einen Umweg machen. Glaubst Du nicht, dass Du mich tragen kannst?«

Sie schlingt ihre Arme um meinen Nacken, ich hebe das grosse Mädchen in die Höhe und stehe mit ihr im Bache. Ich fühle ihren weichen Körper eng an den meinen gepresst, ihr warmer Atem streift meine Wange. Ich fühle keine Bürde, aber wiederum schwindelt es mir. Ich muss meinen ganzen Willen zusammennehmen, um nicht mit ihr zu fallen.


Und dann sitzen wir beide ein wenig atemlos auf der Bank jenseits des Baches. Grete aber legt ihr Haupt an das meine und flüstert mir ins Ohr:

»Du mein starker Bräutigam. Wie schön ruht es sich in Deinen Armen.«


Der Lenz kommt früh in diesem Jahre. Hochzeitsglocken läuten in der Natur. Die Brautleute sehnen sich nach dem Hochzeitstage.

Den 21. März.

Ich habe meine Papiere aus der Hauptstadt erhalten, die Atteste, ohne die man nicht getraut wird, selbst nicht auf dem Mühlenberg. Ich sehe, dass ich in dem ersten Jahre meines Lebens geimpft worden bin, und zwar »mit Erfolg«. Gott sei Dank! Sonst hätte ich vielleicht keine Erlaubnis erhalten, in den Stand der heiligen Ehe zu treten.

Morgen oder übermorgen wird mit dem Abbruch der Mühle begonnen. Der Alte war heute Abend ganz guter Laune.

XXXIII.

Den 22. März.

Grete ist heute Morgen oben bei der Mühle zu Schaden gekommen. Der Arzt giebt uns ganz gute Hoffnung.


Am Abend desselben Tages.

Diese Nacht hat wohl ein starker Sturm geweht. Ich fand übrigens nicht, dass es besonders heftig wehte, als ich nach der Mühle hinaufging, aber ich dachte ja nicht gerade so sehr viel an das Wetter.

Als ich aus dem Walde auf den Hügelkamm hinaustrat, sehe ich Grrete oben auf demMühlenwall zwischen den Flügeln stehen, genau so wie das erste Mal, als ich sie auf dem Mühlenberge erblickte. Dann sind die Arbeiter also noch nicht gekommen, dachte ich. Es war vielleicht auch noch zu früh. Und ich dachte weiter, dass Grete wohl da hinaufgegangen sei, um Abschied von der Mühle zu nehmen. Sie sah mich nicht, sie starrte auf den Fjord hinaus. Ich schwang den Hut, ich rief sie. Sie hörte mich nicht, sie stand in Gedanken versunken da. Und ich hatte den Wind auch wohl entgegen. Plötzlich ging ein Ruck durch die Flügel. Ich glaube, ich habe laut aufgeschrieen. Entweder hat sie meinen Schrei gehört, oder sie hat die Gefahr selber bemerkt. Sie drehte den Kopf herum, unsere Blicke begegneten sich, sie machte eine Bewegung, als wolle sie vorwärtsstürzen, in derselben Sekunde aber sank sie lautlos zu Boden, von dem einen Flügel getroffen. Und der nächste Flügel folgte, ging über ihren Körper hin, und wiederum der nächste. Rund herum in wachsender Schnelligkeit gingen die Flügel über Grete hin. Ich dachte, während ich lief: Du bist verrückt geworden, es ist ein Schwindel, alles vor deinem Blick dreht sich. Aber dann sah ich ja, dass Gretens Körper seine Stellung nicht verändert hatte.

Auf der andern Seite der Mühle, der Walltreppe gerade gegenüber, traf ich Gretens Vater. Er stand dort und befestigte ein Tau. Er lächelte so wunderlich. Der Gedanke zuckte mir durch den Kopf: er hat seine Tochter in einem Anfall von Wahnsinn getötet. Ein wahnwitziger Gedanke. Ich ahnte im selben Augenblick alles. Im Vorübereilen sagte ich ruhig: »Grete ist von den Mühlenflügeln getroffen.« Als ich bei ihr anlangte, stand die Mühle wieder. Ihr Vater hatte sie wohl angehalten. Ich lag über sie gebeugt, sie rührte sich nicht. Sie war schneeweiss im Gesicht, aber ich sah weder eine Wunde, noch Blut. Ich rief sie, ich nannte wieder und wieder ihren Namen. Da öffnete sie ihre Augen und lächelte, schloss die Augen sofort wieder, das Lächeln umspielte noch immer ihren Mund. Sie hatte mich gesehen, und sie lächelte. Ach Gott, ach Gott! Sie war nicht tot. Hinter mir erklang ein Schluchzen, und eine zitternde Hand berührte tastend meine Schulter. Es war der Alte. »Sie lebt!« sagte ich. »Aber wir müssen sie ins Haus schaffen.« – Ich blickte auf; in geringer Entfernung von uns standen drei oder vier Arbeiter in einem Haufen mit guten, mitleidigen Augen. Sie drängten sich still heran, um zu helfen. Und einer von ihnen sagte: »Es ist schon zum Arzt geschickt.«

»Wir trugen sie hinein, und der Arzt kam. – –

Heute Abend ist ihr Zustand unverändert. Sie liegt bewusstlos da. Der Schlag hat sie auf die rechte Seite des Kopfes getroffen. Es ist nur eine Schramme und eine schwache Geschwulst zu sehen. Aber der Arzt befürchtet entweder eine Gehirnerschütterung oder einen Bruch.

Meine Ahnung in Bezug auf die Ursache des Unglücks bestätigt sich. Gretens Vater wollte die alte Mühle, ehe sie abgebrochen und zur letzten Ruhe gebracht wurde, ein letztes Mal gehen lassen. Bei seinen geheimen Besuchen da drüben hatte er sich vergewissert, dass die Maschinerie in Ordnung war. Er ist heute Morgen frühe nach der Mühle hinaufgegangen, ist wahrscheinlich dort gewesen, als Grete kam. Vor dem Tosen des starken Sturmes hat sie weder sein Kramen da drinnen gehört, noch es gemerkt, dass er sich auf die entgegengesetzte Seite begeben hat. Und dann hat er die Presse fortgezogen, im selben Augenblick aber setzte der Sturm die Mühle in Bewegung, und das Unglück geschah.

So viel habe ich aus den wenigen Worten, die er sagte, schliessen können. Er sitzt meistens in stummer Verzweiflung da. Es ist ein Jammer, ihn zu sehen. Fast noch qualvoller, als an Gretens stillem Lager zu verweilen. Als aber die Arbeiter kamen und fragten, ob sie mit dem Abbrechen beginnen sollten, sagte er, sie könnten gehen. Er würde es ihnen sagen lassen, wenn er ihrer bedürfe.

XXXIV.

Den 24. März.

Sie ist tot. Meine Grete, mein teures Mädchen ist tot.

Wir wussten ja gestern den ganzen Tag hindurch, dass es keine Hoffnung mehr gab. Das Fieber und die Phantasien begannen in der Nacht, und der Arzt verliess uns am Morgen, ohne etwas zu sagen. Ich konnte ihn nicht fragen, ich begriff, dass es überflüssig war.

Ich habe bei ihr gesessen und habe Lächeln und Freude auf mein Antlitz zwingen müssen. Sie glaubte, sie läge zu Bette, weil sie unserm Kinde das Leben geschenkt hatte. Sie war so glücklich, hin und wieder aber weinte sie, weil sie das Kind nicht bei sich haben dürfe. Und wenn ich nicht lächelte, war sie ganz verzweifelt jammerte und sagte, dass man sie belogen, das Kind sei tot, oder man habe es ihr fortgenommen. In solchen Momenten tauchten auch unheimliche Vorstellungen, die mit der Mühle in Zusammenhang standen, in ihren Phantasien auf. Sie glaubte, ihr Vater habe das Kind nach der Mühle hinaufgetragen, und flehte mich an, es zurückzuholen.

Gegen Abend nahm das Fieber zu. Der Arzt kam, entfernte sich aber schnell wieder. Ich sprach nicht mit ihm. Ich sass wieder an Gretens Bett. Sie kannte mich nicht. Sie lag fast immer mit geschlossenen Augen da, murmelte unverständliche, verwirrte Worte vor sich hin und verzerrte das Gesicht vor Schmerz. Ich fand beinahe, dass es so besser war. Ich brauchte ja meinen Kummer nicht zu verbergen, ich konnte ihre arme, heisse Hand in der meinen halten und weinen.

Plötzlich schlug sie die Augen gross und klar auf.

»Weinst Du, weil ich sterben muss?« fragte sie.

Ich sank vor dem Bett auf die Kniee nieder und barg mein Haupt in ihren Kissen. Sie strich mit der Hand darüber hin, sanft und lange, dann sagte sie:

»Weine nicht um mich. Mir ist so wohl. Es ist nicht schwer, zu sterben. Deine Mutter und auch die meine rufen mich; sie lächeln mir so liebevoll zu; sie zeigen mir, dass zwischen ihnen Platz für mich ist.«

Ein dunkler Schatten glitt über ihren Blick. Sie richtete sich im Bette auf: »Das Kind! Wo ist das Kind? Es ist unrecht von Dir, mich so entsetzlich lange warten zu lassen!«

Dann sank sie zurück, ihre Augen waren wieder klar, aber grosse Thränen quollen daraus hervor.

»Mein teurer Freund,« sagte sie, »lehne Dein Haupt fest an das meine. Ich möchte Dir etwas sagen, jetzt, wo ich noch ganz klar bin, und ehe ich sterbe.«

Ich that, wie sie mir geheissen, und sie flüsterte:

»Ich fürchte mich nicht vor dem Sterben, aber ich finde, es ist so traurig, dass ich von hier fort muss, ehe ich Dir den Sohn geboren habe, den ich Dir doch verhiess. Jetzt bleibt Dir nur so wenig als Erinnerung an mich, so wenig, wofür Du mir zu danken hast. Ich gab Dir ja nur mich selber für eine kurze Weile. Und auch das that ich kaum. Nein, Du musst mich nicht unterbrechen und mir nicht widersprechen; ich muss es Dir so sagen dürfen, wie ich es fühle. Ich mache mir Vorwürfe, dass ich Dich warten liess. Ich meinte wohl, dass Du mich darum bitten solltest. Du sollst wissen, dass ich Dir alles gegeben haben würde, um was Du mich gebeten hättest; Du sollst wissen, dass ich an jenem Vormittag im Walde, als wir den Hochzeitsgesang um uns tönen hörten, von ganzem Herzen, mit meinem ganzen Sehnen Deine Braut war. Und ich will es, ohne zu erröten, Gott auf seinem Throne sagen, dass ich unter Thränen von dieser Welt scheide, weil es mir nicht vergönnt war, als Braut in Deinen Armen zu ruhen.« – – – –

»Jetzt ist es an der Zeit,« sagte sie nach einer Weile, »dass Du Vater hereinholst.«

Als sie aber den Alten geküsst hatte, bat sie, schlafen zu dürfen; sie lächelte mir zu und schloss die Augen, um sie nicht wieder zu öffnen.


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