Peter Nansen
Gottesfriede
Peter Nansen

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XXV.

Christnacht.

Als ich heute Nachmittag nach der Mühle hinaufkomme, sehe ich, dass dort ausser mir noch zwei Weihnachtsgäste sind, Gretens vierjähriges Patenkind Asta und ihr zweijähriger Bruder Karl, Kinder eines Fischers unten am Fjord, der seinerzeit Lehrling auf der Mühle gewesen ist. Sie sollen zum ersten Mal einen Weihnachtsbaum sehen. Zu diesem Zweck glänzen sie von frischgewaschener Zierlichkeit und verlegener Artigkeit. Und als sie mich, den fremden Mann, sehen, suchen sie vorsichtig Deckung hinter Grete, die sie hervorziehen und aufrütteln muss, um sie in ihrer ganzen Schönheit zu präsentieren. Schön sind sie: Asta ein leibhaftiges Engelsbild, das man direkt auf die Spitze eines Tannenbaums setzen könnte, zärtlich und einschmeichelnd, mit einem blonden Lockenkopf und grossen, hellblauen Äugen; Karl ein kleiner, stämmiger Bursch, seemännisch wortkarg und männlich bewusst, mit braunen Augen, die vor lauter Verschmitztheit blitzen.

Das Abendessen ist beendet, und wir gehen in das Gartenzimmer, wo der Baum angezündet ist. Grete hat den Jungen auf dem Arm, und Asta hält ihre Hand fest; hinterdrein kommen der Müller und ich mit unseren Pfeifen. Die Kinder sind anfänglich ganz stumm vor Staunen; mit weit geöffneten Augen starren sie vor sich hin, während Grete sie tanzend rund um den Baum herumführt. Ich flüstere ihr zu: »Ich glaube, Du bist die glücklichste von Euch dreien.« »Ja,« antwortet sie, »denke doch nur, Weihnachten mit Dir und zwei solchen entzückenden, kleinen Geschöpfen zu feiern.«

Es währt aber gar nicht lange, bis sich die Kinder rückhaltlos dem Jubel hingeben. Und als sie entdecken, dass die Herrlichkeiten an dem Baum Früchte sind, die gepflückt werden dürfen, werden sie ganz toll vor Freude. Schliesslich rollen sie sich auf dem Fussboden herum wie zwei Kätzchen zwischen allen ihren Schätzen und erfüllen die sonst so stille Stube mit glucksendem Lachen und eifrigem Plaudern, bis sie müde und schläfrig sind und mit ganz kleinen, blinzelnden Augen zum Gutenachtsagen herumgetragen werden. Aber als Grete sie zu Bett gebracht hat, kommt sie herein und setzt sich aufs Sofa zwischen ihren Vater und mich.

Noch brennen die Lichter auf dem Baum, und der Alte sagt: »Es müssen in diesem Jahr mehr Lichter sein. Das letzte Mal war es dunkel vor mir, heute aber ist es mir fast, als könne ich einen Lichtschimmer erkennen.«

»Ja, Väterchen,« erwidert Grete und lehnt den Kopf an seine Schulter, »es sind auch mehr Lichter in diesem Jahr. Das letzte Mal waren Du und ich allein. Ich wollte meinetwegen nicht so viele Lichter anzünden. Aber an diesem heiligen Abend hat der Mühlenberg richtig Weihnachten gefeiert, mit Kindern. Und so wird es in Zukunft jeden heiligen Abend sein, denn der da,« – sie ergreift meine Hand und legt sie in die des Alten, – »der will bei uns bleiben, wenn Du ihm und mir Deine Einwilligung dazu giebst.«

Der Alte küsst Grete, drückt meine Hand kräftig, und während zwei grosse Thränen aus seinen blinden Augen quellen, sagt er: »Gott segne Euch, Kinder, und schenke Euch lichte Tage auf dem Mühlenberg. Sie, mein Sohn, habe ich ja niemals gesehen, werde ich niemals sehen. Aber an Ihrer Stimme, wenn wir von Grete sprachen, habe ich gehört, dass Sie sie lieb haben.«

– – Ehe ich gehe, führt mich Grete in ihre Schlafkammer, wo Asta und Karl in ihrem alten Kinderbett ruhen. Arm in Arm liegen sie schlummernd da; Asta hat den kleinen Bruder mütterlich an ihre Brust gelegt. Vorsichtig schleichen wir an sie heran und küssen sie. Sie erwachen nicht, lächeln aber, als fühlten sie im Schlaf die Liebe, die an ihrem Lager steht. Dann küsst Grete mich und sagt:

»Denk' nur, wie unsagbar schön, wenn es unsre eigenen wären!« – – –


Grete giebt mir das Geleite bis auf den Berg hinaus. Es ist die schönste, sternenklare Frostnacht. Wir stehen auf dem Kamm des Hügels nach dem Fjord zu. Zur Rechten vor uns fällt der weisse Wald ab; es ist so still, dass wir es hören, wenn ein Zweig im Forst knackt. Vor uns, tief unten, liegt der eisbedeckte Fjord und die Stadt, in deren sämtlichen Häusern Weihnachtslichter schimmern.

»Jetzt ist Friede auf Erden,« flüsterte Grete. »Ja, und Friede in den Herzen der Menschen,« antwortete ich.

Als wir uns aber umwenden, steht die Mühle mit ihren grossen, schwarzen Flügeln gerade vor uns. Ich bemerke, wie ein Schauern Grete durchzuckt, und ich frage: »Fürchtest Du Dich vor der Mühle?«

»Nein,« sagt sie, »mich fror nur von dem langen Stehen.«

XXVI.

Neujahrszeit.

Frost und Schnee haben die alte Stadt abgeschlossen. Seit einer ganzen Reihe von Tagen ist keine Nachricht aus der Umwelt bis zu ihr gedrungen. Da aber Proviant in reichlicher Menge vorhanden ist, und da ausserdem Ferien sind, empfindet die Stadt nicht das Unbehagen einer umzingelten Festung. Sie lebt nur um so intensiver ihr eigenes Leben, sie sammelt gleich einer Henne ihre Kücklein unter ihre warmen Schwingen; sie vergisst, dass sie im Begriff ist, sich zu einer nach aussen hin strebenden Zukunftsstadt mit Bank- und Exportvereinen zu entwickeln; sie wird wieder voll und ganz die alte Stadt.

Wenn ich den schellenden Schlittenzügen mit den in Pelze gehüllten jungen Herren und Damen begegne, wenn ich den schrillen Jubel und das lachende Kreischen der Kinder höre, die mit ihrem Peekschlitten die Abhänge des Mühlenberges hinabgleiten; wenn ich den Fjord schwarz von Schlittschuhläufern daliegen sehe, und wenn des Abends Gesang und Tanzmusik hinter den festlich erleuchteten Fenstern erschallen, – da gedenke ich jenes strengen Winters vor vielen Jahren, als die Stadt, nachdem sie sich mühsam aus dem Schnee her ausgegraben hatte, auf den Fjord hinauszog und dort wochenlang Karneval feierte.

Wie phantastisch es mir vor der Erinnerung steht:

Durch eine Tannenpforte gelangt man in eine lange Eisgasse, die zwischen hohen Schneemauern geschützt daliegt. Plötzlich befindet man sich dann auf einem grossen, freien Platz, der im Fackelschein erstrahlt und von Zelten umfriedigt ist, die mit bunten Lampen erhellt werden. In diesen Zelten wird gegessen und getrunken, gesungen und getanzt. Und vom Platz aus schneiden neue Strassen in das Schneegebirge ein. Man kommt vorüber an Höhlen, die durch bengalische Flammen magisch erleuchtet sind; an Schneemännern mit funkelnden Feueraugen, kleinen Buden, in denen alte Weiber beim Schein der Thranlampe Aal braten und Pfannkuchen backen, an einem Wärmeschuppen, der der glühende Ofen genannt wird, – bis man in einen Hain aus Tannenbäumen gelangt, wo sich die Menschenmenge um ein Karussell mit Schlitten drängt, das die belebende Eigenschaft hat, bei jeder Rundfahrt einen der Schlitten in einem Schneehaufen umwerfen zu lassen. Die Schneestadt verzweigt und verbreitet sich noch weiter. Wir Kinder gelangen niemals bis an ihr Ende, denn es verlauten Grerüchte von schrecklicher Wildheit und unheimlichen Schlägereien in den fernen, finstern Vorstädten, wo die Gesellen und Lehrlinge der alten Stadt mit den feindlich gesinnten Leuten von der andern Seite des Fjords zusammentreffen. Wir bleiben, wo das Licht herrscht und die Unschuld wohnt. Wo unsere Schwestern und deren Freundinnen in windesgeschwinder Fahrt mit ihren Kavalieren an uns vorübersausen oder ein nicht allemal ganz tadelloses, aber um so fröhlicheres Lanciers auf Schlittschuhen aufführen. Zur Vesperbrotzeit ist die ganze Stadt auf dem Fjord versammelt. Dann kommen die Mütter und Väter, um die jungen Töchter und die Kinder abzuholen, oder auch, sie bringen das Abendbrot in Körben mit. Im glühenden Ofen thun sich da Freunde und Bekannte zusammen und decken einen gemeinsamen Tisch mit den Schätzen der verschiedenen Proviantkörbe. Und wenn man dann später nach Hause wandert, steigen Raketen über dem Fjord auf, und das summende Karnevalstreiben verstummt erst spät in der Nacht.


Grete und ich hatten am Vormittag eine Schlittenfahrt gemacht. Unten am Fjord machten wir Halt und begaben uns auf das Eis zwischen die Schlittschuhläufer. Dort herrschte Leben und Frohsinn, doch fehlte die märchenhafte Scenerie von ehemals. Ich fühlte mich vielleicht ein wenig enttäuscht über die glatte, blankgefegte Bahn und das ganze geordnete, sportsmässige Gepräge, das die Belustigung jetzt trug; um so eifriger vertiefte ich mich in die Wiederauffrischung alter Erinnerungen. Erst spät entdeckte ich, dass Grete, die sonst stets so gleichmässige, schweigend und mit einem schmerzlichen Ausdruck in den Augen neben mir herging, als erschaue sie in der Ferne ein schweres Leid. Bekümmert fragte ich, was ihr fehle.

»Mein teurer Freund,« sagte sie, »vergieb mir, – es ist nichts als kindische Thorheit. Während wir hier zwischen allen diesen Menschen einhergingen, die gleichsam atemlos nach der Freude jagen, überfiel mich die Angst, dass ich Dich verlieren könne, dass sie Dich mir entreissen wollten. Es war mir, als enteile Deine Rede mit ihnen, weit, weit weg. Verzeih mir. Bedenke, wie wenig ich daran gewöhnt bin, mich unter Menschen zu bewegen. Bedenke, es ist das erste Mal, dass wir die stillen Stätten verlassen haben.« Sie lächelt mir wieder zu, sie drückt zärtlich meinen Arm. Ich aber führe sie schleunigst fort von der Bahn der Schlittschuhläufer; wir besteigen den harrenden Schlitten, und wir kehren zurück zu den stillen Stätten.

XXVII.

Den 7. Januar.

Heute bekamen wir Schlittenpost. – Sie brachte mir einen Brief von meinem Verleger, der mich neckend fragt, ob ich mein Einsiedlerleben nicht bald satt habe, und ob mich die Aussicht, Leiter eines grossen litterarischen Unternehmens zu werden, das er plane, nicht zur Rückkehr bewegen könne. Die Bedingungen, die er mir bietet, sind so günstig, dass ich vorläufig aller pekuniären Sorgen überhoben sein würde.

Vor wenigen Monaten würde ich vielleicht geschwankt haben. Jetzt bedarf meine Antwort keiner Erwägung. Ich tauche sofort meine Feder ein und schreibe, dass ich sein freundliches Anerbieten nicht annehmen kann, weil ich hier oben auf dem Mühlenberg der glücklichste Mensch von der Welt geworden bin, und weil mein Glück an dieses Fleckchen Erde gebunden ist. Dass ich folglich jeden Gedanken, zurückzukehren, unwiderruflich aufgegeben habe, und dass meine Beteiligung an dem litterarischen und öffentlichen Leben sich auf die Bücher beschränken muss, die ich schreibe. Dass das Buch, das er erwartet, bald kommt, und dass ihm andere folgen werden, die meinen früheren ebenso wenig gleichen werden. Dass ich mich auf dem Mühlenberg niedergelassen habe, wo die Luft klar und rein ist, wo der Zweck des Lebens leichter zu fassen, die Leidenschaft unzusammengesetzter, das Gefühl tiefer wird. Dass endlich mein Glück so sicher ist, dass es weder der Reue noch der Anklage bedarf; dass es im Gegenteil einen Dank für alles Verflossene hat, weil es ohne dasselbe nicht so gross gewesen wäre.

Ehe ich meine Antwort absende, zeige ich Grete den Brief des Verlegers. Als sie ihn gelesen hat, sagt sie nach kurzem Schweigen:

»Ich benutze diese Veranlassung, um Dir etwas zu sagen, worüber ich unausgesetzt nachgedacht habe seit jenem Tag auf dem Eise. Ich darf Dich nicht zurückhalten. Du kannst für eine kurze Weile hier gedeihen; früher oder später wird alles das, woher Du gekommen, Dich wieder rufen. Ich finde das nur richtig und natürlich. Und deshalb sollst Du wissen, dass ich Dir keine Fessel anlegen will. Thue, was Du willst und musst. Thue mit mir, was Du willst. Lass mich hier bleiben, wenn Du mich vielleicht als Hemmschuh fürchtest, wozu Du nach meinem dummen Benehmen neulich Grund hast. Oder nimm mich mit, wenn Du glaubst, meiner in irgend einer Weise zu bedürfen, und wenn Du mir auf mein Wort zu glauben wagst, dass ich von meiner Dummheit gründlich kuriert bin. Ich folge Dir, wohin Du willst. Der Mühlenberg war bisher mein Heim. Ohne Dich werde ich auf dem Mühlenberg heimatlos sein. Das Leben und die Welt da draussen erfüllten mich mit Angst. Vereint mit Dir, werde ich keine Furcht empfinden. Und sagst Du, dass ich um Vaters willen hier bleiben muss, so antworte ich: An Vater hat es nicht gelegen, dass wir nicht von hier fortgezogen sind. Zeitenweise glaube ich sogar, dass er gern fortgehen würde. Vielleicht wäre es auch besser für ihn. Er ist alt, in letzter Zeit plagen hier oben in der Stille oft sonderbare Gedanken seinen Sinn. Es ist fast, als fürchte er die Mühle, er glaubt, sie rufe ihn, sie mache ihm Vorwürfe, weil er sie ausser Thätigkeit gesetzt hat. Gegen meinen Vater thun wir kein Unrecht, wenn wir fortgehen. – Willst Du aber, dass ich hier bleiben und auf Dich warten soll, so ist auch das gut. Vielleicht meinst Du, dass es besser für Dich ist, wenn Du eine Zeit allein bist und Dein Herze prüfest: ob Du nicht einzig und allein hier in der Einsamkeit meiner bedurftest. Alles, was Du bestimmst, alles, was Du mit mir thust, ist gut. Denn ich liebe Dich.«

Ich lasse Grete ausreden. War das hart und hässlich von mir, mein süsses Lieb? War es selbstsüchtig, grausam, dass meine Seele nichts einbüssen wollte von den teuren Worten, die Dein angsterfülltes Herze verblutete? Ich glaube, Du verzeihst mir um des doppelten Jubels willen, den meine Antwort nun hervorrief.

Meine Antwort, die Du schwarz auf weiss erhieltest in meinem Antwortschreiben an den Verleger.

XXVIII.

Ende Januar.

Grete hatte mich niemals nach meiner Vergangenheit gefragt, eine Frage, die das erste zu sein pflegt, was ein Mann von seiner Geliebten hört. Ich dachte: Sollte das seinen Grund in Unwissenheit haben? Zweifellos nicht; dass Grete über das Leben Bescheid wusste, war klar und deutlich. Sie sprach ohne Umschweif von alledem, worüber zu erröten die jungen Mädchen sonst als ihre Pflicht, als einen Beweis ihrer Unschuld halten. Sollte es da etwa seinen Grund in einem allzu guten Glauben an mich haben?

Ich wollte keine Zweifel, keinen Betrug in diesem Punkt. Und so fragte ich sie denn heute.

Niemals habe ich Grete so ausgelassen lustig gesehen. Sie lachte so herzlich, so übermütig, dass sie kaum wieder innehalten konnte. Endlich sagte sie: »Nein, Du bist wirklich zu gut! Du fragst halb beleidigt, ob ich glaube, dass Du ein Leben geführt hast wie die alten Damen im Stift. Nein, mein Freund, Du kannst Dich beruhigen. Du hast der Öffentlichkeit Deinen Leichtsinn viel zu deutlich eingeschärft, als dass irgend jemand daran zweifeln könnte, was für eine entsetzliche Person Du bist.«

Und sie lachte abermals, so dass ich ganz verwirrt wurde. Allmählich gewann sie ihren Ernst wieder und sagte – wir gingen im Walde –:

»Setzen wir uns hier auf die Bank, dann will ich Dir den Grund mitteilen, weswegen Dein arges Treiben mich niemals beunruhigt hat, ja, nach allem, was ich darüber weiss, gewährt es mir im Gegenteil eine Garantie, dass Du erst jetzt das fühlst, was ich unter Liebe verstehe. Hinterher kannst Du mir sagen, ob ich recht habe oder nicht.

Zuerst muss ich Dir gestehen, dass meine Sicherheit nichts zu schaffen hat mit der – vermutlich von den Männern – allgemein verbreiteten Ansicht, dass ein Mann einen Teil seiner Jugend dazu verwenden muss, um sich, auszutoben. Ich glaube nicht, dass Eure Leidenschaft so gross ist, dass Ihr das nötig habt.

Nein, meine Sicherheit hat einen Grund, den ich mir selber ausgetüftelt habe, und der meiner Ansicht nach weit solider ist. Ich habe bei allen Deinen Bekenntnissen vergebens nach dem Kinde ausgespäht. Viele begeisterte Worte hast Du verschwendet, um die Schönheit Deiner Geliebten zu schildern. Du hast sie mit allen Vorzügen ausgestattet. Nur eins hast Du ihnen versagt: Die Berechtigung, Deine Kinder zu gebären. Vielleicht bist Du Dir dessen gar nicht bewusst gewesen. Jedenfalls scheint es mir, dass Du gleichsam absichtlich die Kinderfrage umgehst, in der ich den Anfang und das Ende jeder wirklichen Liebe erblicke. Was kann einem Manne die Frau wert sein, der er nicht die Frucht seiner Umarmung zu schenken wünscht. Das ist doch das grosse Wunder, das Glück über alles Glück in der Umarmung zwischen Mann und Weib, dass sich darin der Ewigkeitsdrang ihrer Liebe begegnet, der Drang, sich bis in die fernsten Zeiten hinaus durch die Kinder und so weiter bis zum Ende der Tage vereinigt zu wissen. Wenn ich in Deinen Armen ruhte und fühlte, wie Dein Wille erkaltete aus Furcht vor dem Kinde, so würde ich die tiefste Beschämung empfinden. Ich würde denken: Zu einer flüchtigen Lust, der rücksichtslosen Wollust der Sinne bin ich ihm gut genug. Aber er hält mich nicht für wert, meinen Schoss seinen Ewigkeitsgedanken tragen zu lassen. – Jetzt bin ich stolz und sicher, denn ich glaube zu wissen, dass ich die erste bin, die Du als Mutter Deiner Kinder zu sehen gewünscht hast. Und ich empfinde keinen Neid auf die Vergangenheit und die Frauen, die sie ausfüllen. Die Ärmsten, wenn sie Dich geliebt haben; denn ihre Herzen werden dann selbst bei Deinen glühendsten Liebkosungen und Schmeicheleien Leere und Enttäuschung empfunden haben. Im entgegengesetzten Falle sind sie des Mitleids nicht wert. Sie fanden, was sie suchten. Keine von ihnen nahm auch nur das geringste von dem Glück, das Deine Liebe mir verheisst.« –


»Habe ich denn,« fragte Grete, – »so unrecht gehabt, wenn ich mich nicht über Deine Vergangenheit beunruhigte?«

Ich aber kniete wortlos nieder und legte mein Haupt in ihren Schoss.

XXIX.

Februar.

Es ist so, wie Grete sagt, – es steht nicht gut mit ihrem Vater. Wir sind dahinter gekommen, dass er sich in letzterer Zeit mehrmals, wenn wir aus waren, in die Mühle geschlichen hat. Wir fassten Verdacht auf Grund seiner Andeutungen, und nun neulich sahen wir ihn aus der Mühle herauskommen. Er schlich fort wie jemand, der sich fürchtet, überrascht zu werden. Leise drehte er den Schlüssel um und lauschte bei jedem Schritt.

Wir sind in der Mühle gewesen, um zu sehen, ob wir entdecken könnten, was er dort vornimmt. Alles stand scheinbar unberührt.

In Wirklichkeit ist es nicht so wunderlich, wenn den alten Mann hin und wieder einmal die Lust anwandelte, sich in seiner Mühle umzusehen, die so viele Erinnerungen für ihn umschliesst. Das Beängstigende ist nur die versteckte Art und Weise, mit der er sie uns zu verbergen sucht. Und dabei kann er es doch nicht lassen, Dinge zu sagen, die ihn verraten.

Eines Tages, als Grete aus dem Zimmer gegangen war und er und ich zusammen auf dem Sofa sassen, rückte er dicht an mich heran und flüsterte: »Sie haben wohl schon bemerkt, dass Grete es nicht gern sieht, wenn ich nach der Mühle hinübergehe? Hat sie Ihnen niemals den Grund davon erzählt? Also nicht? Soll ich Ihnen sagen, was ich glaube? Sie ist besorgt, weil ich alt und blind bin. Sie meint, ich könne nicht allein fertig werden, es könne mir ein Unglück geschehen. Grete ist so besorgt um mich, sie ist eine gute Tochter, und ich kann es nicht übers Herz bringen, ihr zuwider zu handeln; hätte ich aber irgend etwas dort zu schaffen, so fände ich sicher meinen Weg über den Mühlenberg und wüsste mich auch wohl in der Mühle zurecht zu finden so gut wie irgend ein jüngerer Mann mit zwei gesunden Augen.«

Überhaupt beschäftigen sich seine Gedanken in krankhafter Weise mit der Mühle. Nicht nur in den Träumen der Nacht, – wie Grete, besorgt an seiner Thür lauschend, gehört hat, – phantasiert er davon. Auch am hellen Tage spukt sie in seinem Gehirn. Er spricht davon wie von einem lebenden Wesen, das ihm etwas nachträgt und dessen Rache er fürchtet.

Neulich abends sagte er zu mir:

»Finden Sie nicht, dass so eine Mühle, die immer so still steht, ein wunderlich Ding ist? Ja, natürlich, wäre sie alt und abhängig, so wäre es etwas anderes. Aber der Mühle fehlt nichts, sie ist von innen wie von aussen in bester Ordnung. Und ihre Bestimmung hier in der Welt ist, zu gehen, so lange ihre Kräfte ausreichen. Sehen Sie, es liegt ja auch etwas Demütigendes darin, dass Leute, die es nicht besser wissen, und die sie nicht in jenen Zeiten gekannt haben, als sie die flotteste Mühle in der ganzen Umgegend war, auf den Gedanken kommen könnten, dass sie überhaupt nicht gehen kann. Nein, ich habe nicht recht gegen die Mühle gehandelt. Entweder hätte ich sie einem Jüngeren überlassen sollen, als ich selber alt und müde wurde, oder ich hätte sie erschiessen müssen wie einen Jagdhund, dessen Herr nicht mehr im stande ist, ihn in Feld und Wald zu führen und der ihn doch nicht als Eigentum anderer sehen will.«

Grete, die hereingekommen war und die letzten Worte gehört hatte, machte mir ein Zeichen, und ich sagte:

»Ja, Müller, ich finde auch, es ist unrecht gegen die Mühle. Sie würden ein gutes Werk an ihr thun, wenn Sie sie abbrächen. Dann ist sie tot und weg und hat Frieden und Sie auch.«

»Es wird wohl auch noch so kommen,« erwiderte der Müller. »Ja, natürlich, es muss wohl so sein. Aber man geht nicht leichten Sinnes an so etwas heran. Man weiss doch niemals, ob nicht doch noch einmal etwas für sie zu thun ist. Wenn auch nicht zu meiner Zeit, so doch, wenn der neue Mann meinen Platz einnimmt.«

»Ja, aber Vater,« schob Grete ein, »der neue Mann ist ja gekommen, und auch er hat keine Verwendung für die Mühle.«

»Das ist ja auch wahr,« lächelte der Alte. »Der neue Mann hat seine Mühle selber still stehen lassen!« – – – – – – – Seither aber haben Grete und ich davon gesprochen, dass wir ihren Vater um jeden Preis dazu bewegen müssen, den Abbruch der Mühle zu gestatten.


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