Richard Muther
Geschichte der Malerei. V
Richard Muther

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15. Der Klassicismus in Deutschland.

Daß Deutschland, obwohl es keine Revolution erlebte, künstlerisch einen ähnlichen Weg beschritt, hatte andere, mehr wissenschaftliche Gründe. Die Entdeckung von Herculanum und Pompeji beschäftigte die Geister. Die Ruinen von Paestum waren aufgefunden, durch Hamilton die griechischen Vasen, durch Piranesi die römischen Monumente veröffentlicht worden. 1762 erschien das große Werk von Stuart und Revett über die Altertümer von Athen. Winckelmann schrieb 1764 seine »Geschichte der Kunst des Altertums«. Seine ganze Schriftstellerthätigkeit war ein Hymnus auf die wiedergefundene, wiederentdeckte Antike. Die Dichtung folgte. Nach der genialischen Wildheit der Sturm- und Drangzeit war es ein natürlicher Rückschlag, daß man die maßhaltende Schönheit des Griechentums als das Höchste pries. Aus dem Goethe des Werther und Goetz wurde der Dichter der Iphigenie, aus dem Schiller der Räuber der Sänger der Götter Griechenlands. Und infolge dieser antiquarischen Strömung lenkte auch die Malerei in eine ähnliche Richtung ein, wie ihr in Frankreich die Revolution gegeben. Ihre Entwickelung ist fortan bestimmt durch die Bahnen, auf denen die herrschende Geistesmacht, die Litteratur sich bewegt. Ja, sie verzichtet dermaßen auf ihre Selbständigkeit, daß sie von den Schriftstellern sich ihre Regeln diktieren läßt. Während ältere Kunstschriftsteller – Vasari, van Mander, Sandrart – selbst Künstler waren und nur das bescheidene Ziel verfolgten, späteren Zeiten Nachrichten über Kunst und Künstler zu geben, erheben jetzt die Gelehrten den Anspruch, der Kunst ihre Bahnen anzuweisen und über ihre Leistungen zu Gericht zu sitzen. Denn die Aesthetik von damals sah ihr Ziel nicht darin, das Schöne aus den Kunstwerken herauszulesen, sondern sie wollte dem Künstler Anleitung geben, wie er es schaffen könne. Und da der Gelehrte, der schöpferischen Ader bar, sich das Schöne nur in Form eines schon vorhandenen Schönen vorstellen kann, so bestand die Anleitung darin, daß man die Künstler auf die Nachahmung einer älteren großen Epoche, zunächst des Hellenentums, hinwies.

Selbständige Kunstwerke können auf diesem Wege nicht entstehen. Gleichwohl bedeutet es – der kunstlosen Aufklärungszeit gegenüber – einen kulturellen Fortschritt, daß das Zeitalter überhaupt wieder in Beziehungen zur Kunst zu treten suchte. Nicht nur als Pädagogen des Künstlers fühlten sich die Schriftsteller. Sie bemühten sich auch um die ästhetische Erziehung des Bürgers. Die neue bürgerliche Gesellschaft konnte nur zu einer Kunst gelangen, indem sie ihren Geschmack an den alten großen Kulturen bildete. Die neue Kunst konnte nur stehen lernen, indem sie an die Kunst alter großer Epochen sich anlehnte. Schon bevor die Gelehrten eingriffen, hatten die Künstler selbst in ein solches Verhältnis zur alten Kunst zu treten gesucht, die einen, indem sie die Holländer, andere, indem sie die Bolognesen nachahmten. Die großen Schriftsteller brachten in dieses planlose Suchen Methode, indem sie auf das Zeitalter hinwiesen, worin sie das höchste Ideal einer ästhetischen Kultur erreicht sahen. Und sie folgten dabei auch einem pädagogisch wohlberechneten Lehrplan. Für koloristische Feinheiten und Capricen wäre das Auge des deutschen Bürgers noch nicht empfänglich gewesen. An Bildern, die nach den einfachsten, strengsten Gesetzen komponiert waren und in einer starren plastischen Formensprache redeten, ließ am ehesten der Geschmack sich bilden. Daß alle Meister der jungen deutschen Kunst in Rom ihren Wohnsitz nahmen, zeigt auch deutlich, wie ungeeignet für künstlerisches Schaffen der Boden der Heimat ihnen schien.

Von Dresden, der klassischen Heimstätte des deutschen Rokoko, ging die Bewegung aus. Schon neun Jahre vor dem Erscheinen seiner Kunstgeschichte, 1755, hatte Winckelmann seine Erstlingsschrift veröffentlicht: »Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke«, deren Inhalt in dem Satze gipfelte: »Der einzige Weg für uns, groß, ja wenn möglich unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten.« Und da die neue deutsche Kunst, die nach den Umwälzungen der Sturm- und Drangzeit allmählich emporkam, notwendig einen Stab brauchte, auf den sie sich stützen konnte, so wurde die Lehre Winckelmanns zum Evangelium der Epoche. »Bei den griechischen Bildhauern erlangt der Maler die sublimsten Begriffe vom Schönen und lernt, was man der Natur leihen müsse, um der Nachahmung Anstand und Würde zu geben,« sagt Salomon Geßner 1759. 1766 schreibt Lessing seinen Laokoon, worin er gleich Winckelmann die griechische Plastik als das nachzuahmende Ideal empfiehlt. Ebenso lehrt Goethe, die griechische Kunst sei das absolut mustergültige Vorbild. Ihr sei ein bestimmter Kanon, eine Reihe von Gesetzen zu entnehmen, die für die Künstler aller Zeiten maßgebend seien; die Komposition der Bilder müsse streng antikem Reliefstil entsprechen.

Einige wendeten sich gegen das hellenische Programm. »Jedes Land hat seine eigentümliche Kunst wie sein Klima und seine Landschaft, wie seine Kost und seine Getränke,« heißt es in Heinses Ardinghello. »Hochverrat ist es, wenn einer behauptet, daß die Griechen nicht übertroffen werden können,« schreibt Klopstock. Später Frau von Stäel in ihrem Buche über Deutschland: »Wenn heutzutage die schönen Künste auf die Einfachheit der Alten beschränkt würden, so könnten wir doch nicht die ursprüngliche Kraft, die sie auszeichnet, erreichen, und das innige zusammengesetzte Gefühlsleben, das bei uns sich findet, würde verloren gehen. Die Einfachheit würde bei den Modernen leicht zur Affektation werden, während sie bei den Alten voll Leben war.« Am schärfsten urteilt Herder im »Vierten kritischen Wäldchen«: »Schatten und Morgenrot, Blitz und Donner, Bach und Flamme kann der Bildhauer nicht bilden, aber warum soll dies der Malerei versagt sein? Was hat diese für ein anderes Gesetz als die große Tafel der Natur mit allen ihren Erscheinungen zu schildern? Und mit welchem Zauber thut sie das? Die sind nicht klug, die die Landschaftsmalerei verachten und dem Künstler untersagen. Ein Maler und soll kein Maler sein! Bildsäulen drechseln soll er mit seinem Pinsel. Gewiß, die griechischen Denkmale stehen im Meer der Zeit als Leuchttürme da. Aber sie sollen nur Freunde sein und nicht Gebieter. Malerei ist eine Zaubertafel, so groß wie die Welt, in der gewiß nicht jede Figur eine Bildsäule sein kann. Es entsteht sonst ein mattes Einerlei langschenkliger, geradnäsiger griechischer Figuren. Auch wird uns unsere Zeit, die fruchtbarsten Sujets der Geschichte, alles Gefühl von einzelner Wahrheit und Bestimmtheit hinwegantikisiert.«

Doch diese Stimmen waren vereinzelt. Unmittelbar, nachdem Winckelmann das Ziel bezeichnet, übertrug Anton Rafael Mengs die Lehren seines Freundes in die Praxis. Mengs, im Pantheon an der Seite Rafaels ruhend, war ein Künstler von zäher Willenskraft, der sein ganzes Leben daransetzte, die junge deutsche Kunst zu alter Größe zu führen. Seine ersten Werke wurzelten noch in der alten höfischen Kultur. Mit Pastellbildnissen, die ganz vom Geschmack des Rokoko bestimmt sind und ihn zart austönen lassen, hatte er am Dresdener Hofe begonnen. Er hatte auch Oelporträts gemalt, ebenso vornehm in ihrer klaren feingrauen Farbe, wie wuchtig in ihrer einfachen Anschauung, die nichts Verschwommenes, nichts Süßliches kennt. In seinen großen Altarwerken erinnert er sich dann der Mission, die ihm sein Vater in die Wiege gelegt, als er ihm die Vornamen Allegris und Santis gab. Das heißt: er macht den Eindruck eines Carraccischülers. In dem Bedürfnis, sich an eine alte Epoche anzulehnen, sucht er im Sinne der Bolognesen seinen Bildern den Stil des Cinquecento, den ruhigen Linienfluß Rafaels und das Helldunkel Correggios – seiner beiden Taufpaten – zu geben. Im »Parnaß« der Villa Albani ist er bis zur Quelle zurückgegangen, ist aus dem Nachahmer der Cinquecentisten der Schüler Winckelmanns und der Griechen geworden. Ein plastisches Warendepot, eine Zusammenstellung bemalter Statuen hat man das Bild genannt. Und richtig ist, daß es in seiner kalten Korrektheit mehr die Arbeit eines Philologen als eines Malers zu sein scheint. Mengs ist der echte Zeitgenosse Winckelmanns in der Art, wie er mittels der Gelehrsamkeit sich in das Wesen der Kunst versetzt. Tiepolo und er – hier stoßen zwei Welten aneinander. Nicht nur äußerlich ist der Unterschied: statt der perspektivischen Effekte der an der Decke festgenagelte Gobelin, statt der frei daherflutenden Gestaltenwelt ein mathematisch berechneter Aufbau, statt der Malerei Skulptur. Die Verschiedenheit liegt namentlich darin, daß aus Tiepolos Werken großes, frei schaffendes Künstlertum spricht, während Mengs nur der Amanuensis eines Gelehrten ist. Was das Bild Gutes hat, stammt noch aus der höfischen und realistischen Vergangenheit des Malers. Die Farbe wahrt eine gewisse Noblesse. Die Zeichnung ist von altmeisterlicher Sicherheit. Selbst die Gesichter, trotz ihres griechischen Profils, halten sich frei von verschönernder Allgemeinheit. Sie sind von einem Meister gezeichnet, der auch Bildnisse von individueller Schärfe zu malen wußte.

Ueber Angelika Kaufmanns Werken liegt ebenfalls noch ein Abglanz der alten vornehmen Kultur. Ein weiches sympathisches Talent, eine echte Frauennatur, ließ sie der von Winckelmann geforderten Strenge einen niedlichen Zusatz liebenswürdiger Grazie. Cornelia, die Mutter der Gracchen, Agrippina mit der Asche des Germanicus, Adonis, Psyche, Ariadne, der Tod der Alkestis, Hero und Leander sind die hauptsächlichsten Stoffe, die sie ein wenig süßlich, ein wenig schönfärberisch und blaustrümpfig behandelte. Der koketten Antike des Italieners Battoni steht ihre glatte, gefällige, einschmeichelnde Art wohl am nächsten. Mit Mengs verglichen, wirkt sie empfindsamer, weichlicher. Von Frau Vigée-Lebrun, der Aristokratin, unterscheidet sie sich durch eine gewisse Gartenlaubenschönheit, durch jene weichen Retouchen, durch die der Photograph seine Erzeugnisse dem Publikum mundgerecht macht. Aber ihre »Vestalin« – die Urahne all der Schönen, die später Blaas und Vinea, Seiffert und Beischlag malten – ist doch noch ein galeriefähiges Bild. Die zarten, sanften Farbenaccorde, die sie anschlägt, haben mehr mit dem Rokoko, als der jungen bürgerlichen Kunst gemein.

Die beiden Schwaben Eberhard Wächter und Gottlieb Schick blieben ebenfalls koloristisch auf einer gewissen Höhe, da sie ihre Ausbildung durch David erhielten. Der erste, der das Programm des deutschen Klassicismus rückhaltlos durchführte, war Carstens.

Zu ihm Stellung zu nehmen, ist schwer.

Zu Mengs verhält er sich ähnlich wie Prudhon zu David oder wie Goethe, der Dichter, zu Winckelmann, dem Gelehrten. Sein Antikisieren ist nicht wie bei Mengs ein bloßes Verarbeiten griechischer Formen. Er lebt in der Antike. Die Welt der griechischen Dichter ist seine geistige Heimat. Während Mengs nicht über Zusammenstellung antiker Motive, über ein verstandesmäßiges gelehrtes Schaffen hinauskam, herrscht bei Carstens dichterisches Schauen, die freischöpferische Wiedergabe von Bildern, die nicht außer ihm, sondern in seinem Geiste leben. Mehr als Mengs es vermocht hatte, lernte er in Rom die Einfachheit und Vornehmheit der griechischen Kunst verstehen, und gelangte zu einer Liniensprache, in der die Archäologen den Höhepunkt der Klassicität erreicht sahen. Die griechischen Helden bei Chiron, Helena vor dem skaeischen Thore; Ajax, Phönix und Odysseus im Zelt des Achill, Priamus und Achill, die Parzen, die Nacht mit ihren Kindern Schlaf und Tod, die Ueberfahrt des Megapenthes, Homer vor dem Volke, das goldene Zeitalter – alle diese Blätter haben das, was Winckelmann die »edle Einfalt und stille Größe« des Hellenentums nannte. Und liest man die Biographie des Meisters, so bekommt man Ehrfurcht vor diesem Märtyrer, der einem Ideal zuliebe sich verblutete. Steht man in Rom an der Pyramide des Cestius vor dem Grabe des einsamen Mannes, so möchte man einstimmen in das Urteil der Grabschrift, die ihn als den Erneuerer deutschen Kunstschaffens preist.

Aber ist es möglich? Bezeichnet Carstens' Auftreten nicht vielmehr den Moment, wo alle Ueberlieferung zu Ende ist und das Neue als Tabula rasa einsetzt? Wo der Künstler ganz überwunden ist und nur der Litterat geblieben? Wohl versteht man kulturgeschichtlich, daß in jener Zeit der litterarischen Blüte ein Maler wie Carstens kommen mußte. Zur Zeit, als Goethe die Iphigenie schrieb, illustrierte Carstens die antiken Dichter. In einer papiernen Epoche begründete er den Papierstil. In einer Zeit, als alle großen Geister die Feder fühlten, nahm auch ein Maler statt des Pinsels die Feder zur Hand. Aber so bezeichnend das alles ist, was bedeutet es für die Kunstgeschichte! Muß nicht der Gedanke an den kleinsten der alten Meister abhalten, Carstens überhaupt als Künstler zu zählen? Denn indem er den Wert seiner Werke ausschließlich im dichterischen Teil, der Erfindung, suchte, vergaß er sein eigenes Fach. Während Mengs noch zeichnen konnte, kann er es nicht mehr. Was aber namentlich sein Auftreten für die Weiterentwickelung der deutschen Kunst folgenschwer machte, ist, daß er auch farbig den klassischen Gedanken zu Ende dachte, die letzte Konsequenz aus Winckelmanns Lehren zog. »Kolorit, Licht und Schatten machen ein Gemälde nicht so schätzbar, wie der edle Contur« hatte der Gelehrte geschrieben – in dieser Farbenblindheit der echte Sohn eines neuen bürgerlichen Zeitalters, dem die Anschauung edler Farbe noch keinen ästhetischen Genuß bedeutete. Dieser Linienstil wurde die Grundlage von Carstens' Kunst. Während über den Werken Graffs, denen des Müncheners Edlinger, des Dresdeners Vogel, auch denen des Mengs und der Kaufmann noch ein Nachglanz der alten vornehmen Vergangenheit leuchtet, beginnt mit Carstens die neue bürgerliche Kunst des ausschließlich litterarisch empfindenden Deutschland ganz weiß, als Papierstil. Die dänische Note ist jene Impotenz, die auch die Menschen Jacobsens alle haben: daß er vor lauter Träumen nicht zum Handeln, vor lauter Schauen nicht zum Arbeiten, vor verschwommener Begeisterung nicht zum Lernen kommt.

Das ist der große Unterschied zwischen dem französischen und dem deutschen Klassicismus. In Frankreich wurde noch ein Stück Sinnlichkeit, ein Stück alte Kultur in das 19. Jahrhundert herübergerettet. David, so sehr er seine Vorgänger bekämpfte, verzichtete als Techniker nicht auf das Erbteil des Rokoko. Prudhon steht als Maler den feinsten alten Meistern zur Seite. Der deutsche Klassicismus, aller Sinnlichkeit entkleidet und reines Gehirnprodukt, brach mit der Vergangenheit so vollständig, daß er sich nicht einmal deren technische Ueberlieferungen aneignete. Umrisse, Federzeichnungen wurden als Bilder ausgegeben. Der Karton, der Schwarz-weiß-Stil, ward für ein Menschenalter die Domäne deutscher Kunst. Und durch dieses Preisgeben des technischen Kapitals, das sich bisher unangetastet von einem Malergeschlecht aufs andere vererbte, wurde die Zukunft ärmer gemacht. Es rächte sich dadurch, daß die schwere Kunst des Malenkönnens im 19. Jahrhundert von den deutschen Malern ganz neu zu erwerben war.


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