Richard Muther
Geschichte der Malerei. V
Richard Muther

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2. Die Landschafter.

Ebenso beliebt wie Genrebilder waren Tierstücke. Denn die Viehzucht spielte in Holland eine große Rolle. Noch heute gleicht das Land einem großen Bauernhof. Ueber Thäler und Hügel ist ein weicher Rasenteppich gebreitet. Klee- und Gemüsefelder, herrliche Wiesen dehnen sich aus. Ueberall sind Weideplätze, von Hecken umgeben. Fette Ochsen, Schafe, so weiß, als kämen sie frisch aus der Wäsche, liegen im Grase. Paul Potter steht an der Spitze dieser Tiermaler. Mit holländischer Sachlichkeit hat er die gewaltigen braunen Fleischmassen, den langsamen schweren Tritt der Rinder gemalt. Holländischer Rinder, denn keine Leidenschaften, keine Kämpfe, keine Bewegung kennen diese Tiere. Sie kauen phlegmatisch, liegen in behäbiger Ruhe da. Rings ziehen die saftig grünen Wiese sich hin, und darüber spannt sich ein großer Himmel, der sich am Horizont unmerklich ins Meer verliert. Adrien van de Velde ist beweglicher, koketter, hat weniger Kraft und mehr Grazie. Statt der hellgrünen Frühlingstöne Potters herrscht bei ihm ein goldiges Helldunkel. Das Rind, bei Potter die Hauptsache, ist bei ihm nur ein Teil der Landschaft.

Mit Pferdebildern hatte in der ersten Hälfte des Jahrhunderts Gerrit Bleeker begonnen. Dann kamen Palamedes Palamedesz, der Kavalleriescharmützel von stürmischer Bewegung darstellte, und Pieter van Laar, ein gesunder kraftvoller Meister, der in der Umgebung Roms vor verfallenen Schmieden und Osterien hübsche Dinge zu malen fand. Der geschmeidig elegante Philips Wouwerman ist am bekanntesten. Soldaten, die ihre Pferde beschlagen lassen, Zigeuner und Marketender, Herren und Damen, die hoch zu Roß auf die Hirschjagd oder zur Falkenbeize ziehen, vornehme Jagdgesellschaften beim Frühstück, Kavaliere in der Reitschule – das ist der Inhalt seiner Bilder. Geistreich und chevaleresk ist die Ausführung. Einen Schimmel setzt er gewöhnlich als pikanten weißen Farbenfleck in den Vordergrund. Das Geflügel fand seinen Specialisten in Melchior Hondekoeter, von dem Hühnerhöfe, Truthahne, Pfauen und Enten in allen Galerien vorkommen. Die Landschafter gingen auf dem Wege weiter, den Esaias van de Velde und Herkules Seghers beschritten. Noch diese Meister hatten auf die figürliche Staffage – Reiter, Angler, Spaziergänger, Schlittschuhläufer – schwer verzichten können, da das Publikum einen gegenständlichen Inhalt forderte. Jetzt verschwinden die figürlichen Elemente und die Landschaft wird zum selbständigen Kunstobjekt erhoben. Zur selben Zeit, als Spinoza die Göttlichkeit des Alls verkündete, feierte die Landschaftsmalerei ihre ersten Triumphe.

Koloristisch unterscheiden sich die holländischen Landschaften von allen früheren dadurch, daß statt der Farbenschönheit hier die »Tonschönheit« herrscht: eine Eigentümlichkeit, die sich teilweise aus der nebligen, alle Farben dämpfenden Atmosphäre Hollands, teils aus der Reaktion gegen die Brueghelschule erklärt. Das höchste Ziel dieser vlämischen Meister war eine frische farbenfrohe Buntheit. Indem sie die drei Töne braun, grün und blau für Vorder-, Mittel- und Hintergrund einführten, verwandelten sie die Natur in eine schimmernde, von verschiedenfarbigem Licht beleuchtete Bühne, und inmitten dieser bunten Coulissen trieben bunte Figürchen und schillernde Tiere sich umher. In den holländischen Bildern sind alle farbigen Gegensätze, überhaupt alle ausgesprochenen Farben vermieden. Das helle Grün der Bäume, wie das Blau des Himmels und die Farbe der Staffage – alles ist einem dunkeln, gewöhnlich bräunlichen Gesamtton untergeordnet. Die Farbenanschauung, die an kleinen Interieurbildern sich entwickelt hatte, ist auch für die Landschaft maßgebend.

Jan van Goyen, der erste der Gruppe, ist an der Meeresküste, der Zuydersee, den Ufern der Maas zu Hause. Flüsse mit träg hinrollenden Wogen, mit Booten, die lautlos zum Meere gleiten, mit Fischern, die ihre Netze ans Land ziehen, sind seine gewöhnlichen Themen. Das dunstige feuchtigkeit-durchtränkte Braun ist für ihn besonders bezeichnend. Salomon Ruysdael wirkt ein wenig farbiger. Namentlich das Laub ist nicht graubraun, sondern gelbgrün getönt. Schlammige Gewässer, in denen sein Lieblingsbaum, die Weide sich spiegelt, kehren am häufigsten in seinen Bildern wieder.

Sein Neffe und Schüler Jakob Ruysdael wird mit Recht als größter holländischer Landschafter gefeiert. Eine vornehme Galerieschönheit ist allen seinen Bildern eigen. Zugleich ist er vielseitiger als die andern, hat alles gemalt, was seine Heimat ihm bot: hundertjährige Eichen und Hügel mit Haidekraut, Sümpfe und stehende Gewässer, tiefschattige Wälder, in denen Herden weiden, wilde Wasserfälle, die durch finstre Tannen brausen. Man kann sogar verfolgen, wie in Ruysdaels Bildern die Lebensschicksale des Meisters sich spiegeln. Denn mit Hals und Rembrandt gehörte Ruysdael zu den Künstlern, die von ihrer Zeit nicht verstanden wurden. Einsam, unter Sorgen, verlebte er die letzten Jahre, um schließlich im Hospital zu enden. Von diesen trüben Erfahrungen scheinen seine Bilder zu erzählen. Still und friedlich beginnt er. Er malt die Dünen in der Umgebung Amsterdams, Ziegeldächer, Felder, Gebüsch, die weite Ebene, die unter silbergrauem hellem Himmel daliegt. Dann folgt die Zeit der ruhigen selbstbewußten Kraft. Gewaltige breitstämmige Eichen, die jedem Sturme trotzen, recken ihre mächtigen Aeste gen Himmel. Dann die Zeit des Kampfes, der zerstörten Hoffnungen. Scenerien der Zerstörung, eine geängstigte Natur, die Verheerungen der Elemente malt er. Kohlschwarze Wetterwolken, durch deren Dunkel fahle Blitze zucken, ballen sich am Himmel zusammen. Strömender Regen klatscht auf die Ruinen einer Kirche nieder. Wasserfälle schäumen über Klippen aus einsamem Waldesdunkel hervor, Felsen und geborstene Tannen mit sich fortreißend. Oder der Sturm schüttelt die Wipfel kahler verdorrter Bäume. Kleine Fischerhütten sind von brandenden Wogen umtost, und losgerissene Steine zerschellen unter schrillem Getöse am Ufer. Schließlich die Zeit der Einsamkeit, der schwermütigen Ergebung. In das Dunkel menschenfernen Waldes führt er. Eine weiße Schneedecke liegt wie ein Leichenmantel über der Erde. In düsterem Braun wölbt sich der Himmel über verwitterten Grabmälern. Ein müder Bergbach sucht sich durch geborstene Leichensteine seinen Weg.

Auch Meindert Hobbema hätte als Maler nicht leben können. Darum nahm er die Stelle eines Steuereinnehmers an, die ihn vor Not schützte. Anspruchslos, mit wenigem zufrieden, als glücklicher Familienvater lebte er. Dieses Anspruchslose, Heitere, Zufriedene spiegelt seine Kunst. Keine brausenden Wogen und drohenden Wolken, keine finsteren Tannen und melancholischen Ruinen giebt es. Es giebt nur Bauernhäuser, Mühlen und ruhige Bächlein, nur Wiesen und Laubgehölz. In idyllisch behaglichem Frieden, in sonniger Heiterkeit liegt die Erde da. Alleen malt er, die zu stillen Dörfchen führen, lauschige Feldwege, die sich ins Grüne verlieren, Weiher, wo schnatternde Enten baden und Wasserlilien ihre Köpfe erheben. Rote Ziegeldächer lauschen hinter den Bäumen hervor. In schattiger Waldeskühle plätschert eine Mühle und Sonnenstrahlen huschen durch das Laubwerk. Auch dadurch unterscheidet er sich von Ruysdael, daß die Natur bei ihm etwas Geselliges, Freundliches hat. Ruysdael, der Einsame, malte die Einsamkeit: Friedhöfe, Urwälder, dickes undurchdringliches Gestrüpp. Bei Hobbema verraten die schaukelnden Kähne am Ufer, daß Fischer in der Nähe sind. Der Rauch, der leise aus friedlichen Hütten aufsteigt, erzählt von den Menschen, die drinnen wohnen. In einem kühlen Grunde, da geht ein Mühlenrad – dieser Vers umschreibt den Charakter seiner idyllischen, harmlos freundlichen Kunst.

Auch von den andern hatte jeder eine Landschaft und eine Stunde, die zu seinem Empfinden am vernehmlichsten sprach. Echt holländisch ist, wie sie ihrem ruhigen Temperamente folgen, ohne Bedürfnis nach Abwechslung stets die nämlichen Dinge wiederholen. Ein gelbsandiger Fahrweg mit einem alten von Wucherpflanzen umsponnenen Baumstumpf, daneben ein gefällter Stamm und auf der anderen Seite die Aussicht auf sandige Hügel – das ist der stets wiederkehrende Inhalt der Landschaften des Jan Wynants. Albert Cuyp ist der Maler des Himmels. Wie ein brauner Kupferblock unter rotglühender Stahlkuppel liegt die Erde da. Mag er weidendes Vieh oder Lagerscenen malen, die Hauptsache ist nicht die Landschaft, sondern der gewaltige Himmelsdom, der in purpurnem Glanze sich darüber wölbt. Als der Maler der Dämmerung und der Nacht ist van der Neer berühmt. Er malt Schlittschuhläufer, die an nebligem Winternachmittag sich auf dem Eis ergehen, Feuersbrünste, die das Dunkel der Nacht durchzucken, noch öfter das Mondlicht, das braunrot über einsame Dünen sich breitet. Das Auge der Holländer war so auf Braun gestimmt, daß selbst der Mondschein den Malern nicht als Silberlicht in bläulichem Dämmer, sondern als Goldlicht in tiefwarmem Tone erschien. Antonis Waterloo, der Meister der Waldlichtungen, und Jan Beerstraten, der Meister der Schneelandschaften, wären weiter zu nennen, ohne daß damit die Liste der Landschafter erschöpft ist. Das ganze Land scheint unter die Maler verteilt. Jeder hat sein Stück Feld, das er schlecht und recht verwaltet.

Nachdem Holland verarbeitet war, wurde das Ausland erobert. Durch das stoffliche Interesse suchte man den Bildern neue Anziehungskraft zu geben. Allart Everdingen wurde der Maler Norwegens. Er hatte auf Wanderungen in den skandinavischen Gebirgen seine Mappen mit Studienblättern gefüllt, die er in Harlem und Amsterdam zu Bildern verwertete. Mehr der Neuheit dieses Stoffgebietes als künstlerischen Qualitäten dankt er seinen Ruhm. Denn im Grunde ist er ein Deklamator, der stark in Hyperbeln spricht. Düstere Fichten stehen auf steilaufragenden Klippen, über die ein Gießbach schäumend dahinbraust. Verwetterte Ruinen ragen auf spitzen Berggipfeln empor. Die wilde Landschaft Norwegens sollte noch gewaltiger, noch lärmender wirken, als sie in Wahrheit ist. Darum schiebt er Felsen und Wasserfälle zu unglaublichen Kompositionen zusammen. Und da er zeitlebens von den Studien zehrte, die er in seiner Jugend gemacht, sind seine letzten Bilder nur schematische Wiederholungen.

Hermann Saftleven schilderte das Rheinthal. Frans Vost, der 1637 mit dem Grafen Moritz von Nassau eine Fahrt nach Brasilien gemacht hatte, brachte südamerikanische Landschaften mit braunen halbnackten Menschen, weißen Zelten, Palmen und tropischem Sonnenlicht – Bilder, die ebensogut in die Zeit Bellermanns und Eduard Hildebrandts wie in das 17. Jahrhundert gehören könnten. Doch Italien besonders wurde wieder das gelobte Land. Jan Both, Hermann Swanefeld, Nicolas Berchem, Hendrik Mommers, Karel Dujardin, Johannes Lingelbach, Jan Asselyn, Adam Pynacker, Jan Griffier und viele andere traten von neuem die Wanderung nach dem Süden an, malten die ernsten Linien und das glühende Licht der Campagna. Daß der Inhalt der Bilder von ermüdender Gleichförmigkeit ist, erklärt sich wie bei Everdingen daraus, daß der Inhalt ihrer Studienmappen sich rasch erschöpfte. Römische Bauern, bekleidet mit Ziegenfellen, Bäuerinnen, quer auf dem Esel reitend, Schafhirten, Maultiertreiber, Briganten und Dudelsackbläser, dazu im Hintergrund eine altrömische Wasserleitung, eine gebrochene Marmorsäule, ein Tempel und das Fragment einer Statue – aus diesen Versatzstücken bauen sie ihre Landschaften auf, wie Mathematiker, die die Wandlungsfähigkeit einer Zahlenreihe erproben.

Daß neben der Landschaft die Marinemalerei beliebt war, versteht sich von selbst bei der Bedeutung, die das Meer für die Holländer hatte. Simon de Vlieger, Villem van de Velde, Reynier Nooms, Abraham Storck und Ludolf Bakhuyzen sind auf diesem Gebiete die bekanntesten Namen. Besondere Feinheiten darf man in ihren Werken nicht suchen. Das Ruhelose der Wellenbewegung und die Spiegelung des Wassers wiederzugeben gelang ihnen nicht. Ueberhaupt denken sie an das Stimmungselement weit weniger als an die Schiffe. Ihr Ziel ist, die sachverständigen Amsterdamer Kaufmannskreise zufrieden zu stellen. Darum betrachten sie das Schiff mit dem Auge des Rheders, der nachsieht, ob jeder Mast, jede Planke richtig sitzt; die See mit dem Auge des Kapitäns, der ausrechnet, ob man eine Ueberfahrt machen kann.

Jacob Berckheyde und Emanuel de Witte malten das Innere der weißgetünchten reformierten Kirchen, mit dem Licht, das durch die hohen Glasfenster strömt, und den Andächtigen, die betend die Räume füllen. Gerrit Berckheyde und Jan van der Heyden sind die Maler der holländischen Straßen mit den roten Backsteinhäusern, den Grachten, Kanälen und gradlinigen Baumreihen. Wird der Name Weenix genannt, so ist zwischen Jan Baptista Weenix, dem Vater, und Jan Weenix, dem Sohn, zu unterscheiden. Jan Baptista Weenix lebte vier Jahre in Italien und malte gewöhnlich Campagnabilder mit Hirten und antiken Ruinen. Der Name Jan Weenix ist untrennbar von dem Begriff des toten Hasen. Um dieses sein Specialtier häuft er tote Pfauen, Schwäne, Fasanen, Rebhühner, Enten, Jagdmesser und Flinten. Links bildet eine große Vase oder ein rotbrauner Vorhang, rechts eine Parkansicht den Hintergrund.

Die Zahl der »Frühstücksmaler« ist unerschöpflich, Abraham Beijeren, der Früchte, Austern, Hummern und Gläser, Marten Simons, der Rebhühner, Jacob Gillig, der Fische, Willem Kalf, der Pokale, Bücher und Muscheln malte, seien aus der Masse hervorgehoben. Und da Holland das Land der Blumenzucht ist, fanden auch die Blumenmaler Jan und Cornelis de Heem, Jan Huysum und Rachel Ruysch ausgiebige Beschäftigung. Der eine achtet mehr auf Farbenharmonie, der andere auf botanische Genauigkeit, der dritte imponiert seinen Bestellern dadurch, daß er auf den Blumen noch kleine Käfer anbringt, die sie unter der Lupe betrachten können. Es ist bei den holländischen Malern ebenso schwer, eine Auswahl zu treffen wie die einzelnen zu kennzeichnen. Die merkwürdigste Familienähnlichkeit vereint sie. Eine Technik, die an sich schon Kunst ist, weiß das Geringste mit malerischem Zauber zu umkleiden.


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