Richard Muther
Geschichte der Malerei. V
Richard Muther

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9. Die Frivolen.

Auf diesem Wege ging die Entwickelung weiter. Mit den zierlich gemessenen Menuetten Watteaus hatte die Redoute begonnen. Um Mitternacht, unter der Anführung Bouchers, wurde der Cancan getanzt. Jetzt, vor Tagesgrauen, folgt noch der Cotillon.

Man hatte zu viel getanzt und zu viel geliebt. Statt sich selbst zu bemühen, will man nur noch zusehen, so wie der Pascha, Opium rauchend, apathisch in seinem Harem sitzt. Auch Balletteusen tanzen zu lassen, hat keinen Reiz mehr. So beginnt am Schlusse des Rokoko die eigentlich galante Kunst, das Tableau vivant. Stramme Burschen und hübsche Mädchen aus dem Volk müssen den vornehmen Herren die Liebesscenen vorspielen, für die sie selbst zu blasiert geworden.

Pierre Antoine Baudouin ist der erste, der dieses Gebiet betrat. Sein ganzes Leben war der Erzählung galanter Abenteuer gewidmet. Da läßt sich ein junges Mädchen entführen. Oder einem alten Herrn macht es Freude, die Geliebte mit dem Gärtnerburschen zu belauschen. Oder der Beichtstuhl wird zu interessanten Erörterungen benutzt. Daß Baudouin für die Erzählung solcher Dinge nie großes Format und die schwere Oelmalerei, sondern stets kleines Format und die Gouache wählte, ist ein Zeugnis für den unfehlbaren Takt, der diese Zeit wie eine force majeure beherrschte.

Doch als geistreichster dieser Gruppe, überhaupt als einer der feinsten des Jahrhunderts ist Fragonard, der nervöse Charmeur, zu feiern, in dem sich noch einmal alle Lebenslust und Leichtlebigkeit, die ganze Grazie des Rokoko sammelt.

Fragonard hat alles gemalt. Nächst seinem Lehrer Boucher war er der beliebteste Dekorateur, von dem die Göttinnen der Schönheit ihre Tempel ausschmücken ließen. Sowohl die Guimard wie die Dubarry zogen ihn heran. Und obwohl solche Werke, aus ihrer Umgebung gerissen, ihren feinsten Zauber verlieren, ahnt man noch aus den Fragmenten, was für geistsprühende Dekorationen Fragonard schuf: bizarr und kokett in der Erfindung, hell und delikat in den Tönen. Daß er in einem dieser Werke die vier Weltreligionen, die »christliche, asiatische, amerikanische und afrikanische« in Umrahmungen von reinstem Rokokostil nebeneinander stellte, ist ebenfalls bezeichnend für den Geist des Jahrhunderts.

Neben dem Dekorateur steht der Landschafter. Schon in seiner Jugend, als Pensionär des Königs in Italien, hatte er sehr feine Landschaften gezeichnet: die alten römischen Villen in ihrer Mischung von Verfall und Größe, schwarze Cypressen, die sich starr zum Himmel recken, und Statuen, die grellweiß aus dunklem Grün hervorblinken. Später, von Paris aus, ging er jeden Sommer aufs Land und schilderte in frischen Bildchen das Bauernleben. Landleute ruhen nach der Arbeit des Tages aus, Wäscherinnen breiten ihre Linnen auf die Wiese, Kühe und Esel grasen auf einsamem Feld. Kinder namentlich sind die Helden dieser pastoralen Scenen. Sie lassen ihr Hündchen tanzen, spielen mit dem Polichinelle, erhalten von der Mutter ihr Vesperbrot.

Seine Bildnisse haben ihn zum angestaunten Liebling der modernen Impressionisten gemacht. Es ist kaum möglich, mit einfacheren Mitteln, ohne alle Retouchen und Nachhilfen, mehr Leben und Unmittelbarkeit in einem Kopfe zu konzentrieren. Mit Hals' kühnem Vortrag verbindet sich das prickelnde Froufrou des Rokoko. Auf seine grau-rosige Töne sind die Toiletten gestimmt. Die flüchtigsten Bewegungen von Zügen und Gestalt hält er fest. Schauspieler namentlich sind in seinen Bildnissen dargestellt. Sie waren die Helden dieses Zeitalters, das nicht mehr lebte und handelte, nur noch spielte und sich vorspielen ließ.

Trotzdem denkt man nicht an diese Bilder, wenn der Name Fragonard genannt wird. Man denkt an Reifröcke, seidene Garnierungen und hochgeschürzte Jupons, an lustige Schaukeln, die pikante graue Strümpfe sehen lassen, an feine Battisthemden, die von rosigen Schultern herabgleiten, an Amoretten, Küsse und Liebesspiel.

»Kurz nach Schluß der Salonausstellung 1763«, erzählt Fragonard selbst, »schickte ein Herr zu mir und bat mich, ihn zu besuchen. Er befand sich, als ich bei ihm vorsprach, gerade mit seiner Maitresse auf dem Land. Zuerst überschüttete er mich mit Lobsprüchen über mein Bild und gestand mir dann, daß er ein anderes von mir wünschte, dessen Idee er angeben würde: Ich möchte nämlich, daß Sie Madame malen auf einer Schaukel. Mich stellen Sie so, daß ich die Füße des hübschen Kindes sehe – oder auch mehr, wenn Sie mich besonders erfreuen wollen.« Diesem seltsamen Liebhaber dankt man das Bild »die Schaukel«, das erste, das den eigentlichen Fragonard zeigt.

Mit diesem Bild hatte er seinen Beruf gefunden und wurde der privilegierte Meister dieses Genres. Die Herren vom Hofe wie von der Haute-finance – jeder will einen Fragonard haben, und Fragonard ist unerschöpflich in der Erfindung pikanter Situationen.

Fragonard ist sicher kein moralischer Künstler. Wer Kunstwerke nicht auf ihren Stoff, sondern auf ihren Kunstgehalt prüft, wird ihn gleichwohl zu den größten rechnen, so viel prickelnde Verve, so viel Geist und Brio ist in allen seinen Werken. Es ist erstaunlich, mit welch koloristischer Feinheit er die Gegenstände zusammenstimmt; erstaunlich, mit wie geringen Mitteln er Leben und Bewegung ausdrückt. Auch dadurch, daß er, wie Baudouin, niemals Oel, sondern immer Aquarell verwendet, die Bilder nie in großem, sondern in kleinem Maßstab hält, wird jeder triviale Realismus vermieden und der Charakter des lustigen Capriccio gewahrt.

Ist es das bewegliche Blut des Südfranzosen – Fragonard stammte aus der sonnedurchfluteten Provence – das in seinen Werken pulsiert? Oder arbeitete er so nervös und hastig, weil er selbst fühlte, daß die Tage der Lustigkeit gezählt seien? Die Karnevalsnacht des Rokoko naht ihrem Ende. Fragonard ist der Pierrot lunaire, der beim Morgengrauen blaß und geisterhaft seine Sprünge macht. Manche seiner Bilder, so toll sie sind, haben etwas von Gebeten. Altäre sind errichtet. Opferflammen züngeln lohend gen Himmel, und bleiche Menschen legen weiße Kränze zu Füßen des allmächtigen Eros nieder. Da heben Weiber flehend ihre Hände zu Satan empor und beten, ihnen das Geheimnis neuer ungekannter Sensationen zu enthüllen. Dort stürmt ein Paar in rasender Hast nach dem Springbrunnen der Liebe, und der Jüngling schlürft begierig das Naß, das ein Amor ihm reicht. Es ist kein Zufall, daß gerade damals die Zeit der Geisterseher und der Wunderelixiere begann; daß vornehme Herren zu Alchymisten wurden, in ihrem Laboratorium eingeschlossen, sich bemühten, den Geheimnissen des Lebens und Sterbens auf die Spur zu kommen; daß die Heiligen des Zeitalters jene Wunderdoktoren waren, die den müden, abgelebten Menschen ein Lebenselixier versprachen. Die Freude Fragonards an drallen Kindern ist ähnlich derjenigen, die Wagner empfand, als er in der Retorte den Homunculus braute. Es ist auch kein Zufall, daß Wahrsagerbilder jetzt so beliebt werden. Man hat das Gefühl, daß die Zukunft etwas Dunkles berge. Eine leichte Sentimentalität, eine trauernde Wehmut ist über Fragonards letzte Blätter gebreitet. Die Rosen, einst rot, sind grau wie Asche. Der lustige Karneval des Rokoko war zu Ende, und der Aschermittwoch war angebrochen mit Diät, Buße und Fasten.


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