Richard Muther
Geschichte der Malerei. V
Richard Muther

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14. Revolution und Empire.

Durchblättert man die französischen Radierungen der 70er und 80er Jahre oder durchwandert man die Parkanlagen, die um diese Zeit entstanden, so fühlt man deutlich, wie die Ereignisse ihren Schatten vorauswerfen. Das Gefühl des Weltunterganges ist da. Deshalb umarmen sich die Menschen und weinen Thränen der Freundschaft. Sie haben die Empfindung, nicht lange mehr das Sonnenlicht zu sehen. Deshalb erscheint ihnen die Natur so rührend, so heilig schön. Aber nicht das Leben sehen sie in ihr, nur ein ungeheures Grab. Die Naturschwärmerei ist von Todesgedanken und Thränenströmen begleitet. Zu Beginn des Jahrhunderts, in der Zeit der Festfreude, liebte man chinesische Lusthäuser. Dann, als man glaubte, durch die Rückkehr zur Tugend und zur idyllischen Einfachheit das Verderben abwenden zu können, wurden Bretterhäuschen, Meiereien, Tempel der Tugenden errichtet. Jetzt, als die schwarze Sorge gekommen, erhalten die Landsitze den Namen Sanssouci. Grabesinseln mit Mausoleen werden erbaut und Urnen mit Thränentüchern aufgestellt. Schwermütig säuseln die Pappeln, deren Wipfel die Gräber beschatten. Trauerweiden beugen ihre Aeste hernieder. Inschriften weisen auf die Vergänglichkeit des Irdischen hin. In den Radierungen sowohl wie in den Gärten spielen die Ruinen die wichtigste Rolle. Zu allem Zerbröckelnden, Alten, Verfallenden fühlt man sich hingezogen, als sei man sich bewußt gewesen, daß eine alte Kultur verfalle. In einem monumentalen Bilderwerk, Moreaus »Monument de Costume«, legt die alte aristokratische Gesellschaft ihr Vermächtnis nieder, will vor ihrem Hinscheiden noch der Welt das Abbild ihrer Schönheit hinterlassen. Selbst die Farbenanschauung macht eine Wandlung durch. Bleu mourant ist die Lieblingsfarbe der Epoche. Sterbeblau sind die Kleider, sterbeblau Wände und Fußböden der Wohnungen. Oder schwarz, die Farbe der Trauer, wird bevorzugt. Nicht nur die Möbel, früher hell, werden ebenholzschwarz. Auch an die Stelle der farbigen Miniaturbildnisse des Rokoko treten die schwarzen Silhouetten. So sehr als Schemen, so sehr dem Schattenreich verfallen, kommen die Menschen sich vor, daß sie im Schattenriß sich porträtieren lassen. Zu lange hatten sie sich die Augen verbunden vor dem, was vor sich ging. Nun ist aus dem »Blindekuhspiel« ein Schattenspiel geworden. Das dunkle Gefühl, daß etwas zu Ende gehe, spricht aus allem. Man verändert die Toilette nach dem Muster der englischen und amerikanischen bürgerlichen Kleidung, Man hat die beste Absicht bürgerlich zu werden. Zu spät.

1789 war der Würfel gefallen. Jenes »Après nous le deluge« der Marquise von Pompadour war zur Wahrheit geworden. Das Perpetuum mobile, das 150 Jahre früher in England seinen Lauf begann, rollt wie eine große Lawine über Frankreichs Boden. Dunkel und verworren wie Sturmgetose brausen die Klänge des Ça ira und der Marseillaise daher, Klänge, die das alte Europa aus den Fugen reißen. Jene Mühseligen und Beladenen, Bettler und Krüppel, die einst im Pisaner Camposanto der Meister des Trionfo della morte gemalt, wie sie vergeblich zum Tode flehen, haben sich selbst der Sense bemächtigt. Aus ihren Höhlen und Hütten, aus Kellern und Dachkammern, wütenden Wölfen gleich, stürzen sie hervor: hohläugig, zerlumpt, schmutzig, mit leeren Magen und durstigen Kehlen: die Enterbten, das Volk, die Canaille. Wie eine Bande von Hexen und Dämonen, wie Gespenster, die die Erde ausgespieen, stürmen sie vorwärts, rote Fahnen, Fackeln und Piken schwingend, die rote Mütze auf dem Kopf, mit Messern und Beilen, mit Dreschflegeln und Hacken bewaffnet. Steine und Erdklumpen raffen sie auf. In die Gärten dringen sie, in die Paläste, die Salons. Die Megären der Revolution, die Damen der Halle, Fischweiber und Hökerinnen, in rasende Bacchantinnen verwandelt, sprengen mit Brechstangen die Thüren und stecken die seidenen Tapeten in Brand. Von roher Sprache, von Flüchen und Gekreisch hallen die Wände wider. Man trinkt aus Flaschen, stößt mit Muranogläsern an, daß die Scherben fliegen. Plebejische Redner orakeln wie altrömische Volkstribunen von Freiheit und Brüderlichkeit. Dort kommt ein Maskenzug. Wüste Gesellen mit borstigem Haar, als römische Lictoren verkleidet, schleppen im Triumph eine rotgestrichene Maschine mit blinkendem Fallbeil daher und erproben an Kaninchen die Schärfe des Eisens. Für die Philanthropie, wie sie Greuze gemalt, wird den schönen Herren und Damen mit der Guillotine gedankt. Das Schlußtableau ihres Schäferspiels ist die elegante Verbeugung, mit der sie den Kopf unter das Fallbeil schieben. Auf die Devise des Regenten: vive la joie folgt die andere: vive la mort. Marie Antoinette, das Haar kurz geschoren, ein grobes Leinenhemd auf dem Leib, fährt, vom Wutgeheul des Volkes umjohlt, auf dem Sünderkarren nach der Richtstätte. Die Aristokratenhinrichtungen werden für das Volk, was den römischen Kaisern die Gladiatorenspiele gewesen. Und unter denen, die dem Schauspiel beiwohnen, ist ein junger Hauptmann, der mit Empfehlungsbriefen an Robespierre und Danton aus einer kleinen südlichen Garnison nach Paris gekommen, und hat, zur Guillotine aufblickend, schon wunderliche Gedanken in seinem bleichen Kopf, Gedanken, die Ajaccio, Austerlitz und Jena, Kaiserkrönung und Brand von Moskau heißen.

Man lebte in einer Atmosphäre des Altertums. Denn die römische Republik war, nachdem man das Königtum beseitigt, das Vorbild geworden. Das gewaltige »Senatus populusque romanus« lebte wieder auf in dem Zeichen R. F., das nun die öffentlichen Gebäude schmückte. An den Wänden standen die Büsten der großen Bürger Roms, des älteren und jüngeren Brutus, des Scipio, Seneca, Cato, Cincinnatus. Brutus namentlich, der den Cäsar tötete, war der Held der Zeit. Die Tyrannenmörder Harmodios und Aristogeiton wurden gefeiert. Die alten Helden, die für das Vaterland starben, durch heroische Thaten ihrem Volke dienten, Marcus Curtius und Leonidas, Mucius Scävola und Timoleon galten als Heilige. Durch das ganze Leben ging ein antiker Hauch. Nicht die Psalmen und Evangelien, sondern Livius und Tacitus wurden von den Predigern auf der Kanzel citiert. Die römischen Helden des Corneille schienen das Theater verlassen zu haben und standen in neuer Gestalt auf der Bühne des Lebens. »Römer« redeten die Männer sich an und gaben ihren Kindern römische Namen. In phrygischer Mütze ohne Beinkleider gingen die Jacobiner einher. Der »Tituskopf« kam später in Mode. Frauen und Mädchen banden sich Sandalen an die Füße und legten das Haar in griechischen Knoten. »In weiße Gewänder gehüllt, ohne Schmuck, aber mit der Tugend der Einfachheit geziert«, erschienen sie im Bureau des Präsidenten, um wie die römischen Weiber zur Zeit des Camillus ihre Kleinodien auf dem Altar des Vaterlandes niederzulegen.

Diesem Rahmen hatte auch die Kunst sich einzufügen. Ja, sie wartete die Ereignisse nicht ab. Schon bevor die Katastrophe erfolgte, als kaum vernehmlich die Revolution am Thore des Königsschlosses pochte, hatte sie den Weg betreten. Die Schriftsteller hatten Parallelen gezogen zwischen der Einrichtung der alten und der modernen Staaten, hatten sich bemüht, zu zeigen, daß die alten Republiken Vorbilder von absoluter Vollendung seien, denen man so weit als möglich sich nähern müsse, hatten die moralischen Zustände Spartas und der römischen Republik in Gegensatz zu denen des monarchischen Frankreich gestellt. Die Maler folgten. Nichts mit der hellenistischen Kunst der Frau Vigée Lebrun hat die römische Kunst der Revolutionszeit gemein. Vorbei ist es mit goldenen Träumen und theokritischen Idyllen, mit Anmut, höfischer Feinheit und geistreichem Spiel. Was verlangt wird, ist rauhe spartiatische Tugend. Das Heldenhafte verschmilzt mit dem Schönen. Und namentlich – wie in dem plebejischen England wird die Kunst ihres Diadems beraubt, zur Magd des Patriotismus gemacht. »Nicht dadurch, daß sie den Augen schmeicheln, hieß es in der Jurysitzung zum Salon von 1791, erreichen Kunstwerke ihren Zweck, Beispiele von Heldentum und bürgerlichen Tugenden gilt es vorzuführen, die die Seele des Volkes elektrisieren und in ihm die Hingebung für das Wohl des Vaterlandes wecken.«

Der so sprach, hieß Jacques Louis David, Er als erster beseelte die antiken Linien seines Lehrers Vien mit republikanischem Pathos, paßte die Malerei dem Heroismus des Tages an und ward so der große Herold jener Zeit, die Plutarch las und aus dem aristokratischen Capua ein plebejisches Sparta machte. Gleich seine ersten Bilder, der Schwur der Horatier und der Brutus – beide in Rom 1784 gemalt – waren das Vorwort zur Revolution, Er zeigte einem neuen puritanischen Geschlecht, dem die weiche aristokratische Kunst des Rokoko ein Hohn auf alle Menschenrechte schien, den Mann, den Heros, der für eine Idee, für das Vaterland stirbt, und er gab diesem Mann eine mächtige Muskulatur, wie einem Kämpfer, der sich in die Arena stürzt. Die Kunst erhielt durch ihn die martialische Pose des Patriotismus. Das ganze Reich der Antike ward eine Salle d'armes, wo nackte Prätorianer in gespreizten Fechtlehrerstellungen exerzierten. Und je pathetischer seine Helden ihr Heldentum zeigten, desto mehr sah man in ihnen ein Bild des französischen Volkes. Denn auch dieses aufgebauschte Deklamieren lag im Sinne der Zeit. Talma riß im Theater das Volk zur Bewunderung hin, wenn er auf klassischem Kothurn die Horatier des Corneille spielte, Robespierre soll auf der Tribüne langsam, skandierend, kunstvoll gesprochen haben, bewegte sich auf dem Vulkan, der zu seinen Füßen grollte, wie Bossuet auf der Kanzel und Boileau auf dem Katheder. Dem entspricht die strenge Komposition, die steife Rhetorik von Davids Bildern. Hatte die deroute Gesellschaft des Ancien Régime alle Formen aufgelöst, so verlangte das junge Frankreich auch von gemalten Menschen straffe Disziplin. Herrschten in der Zeit des Sybaritismus gewellte, gewundene Linien, ein weiches Sichbiegen und Strecken, so duldet das Puritanertum nur starre Geradlinigkeit, die Bewegungen des Soldaten, der Parademarsch macht.

Davids Künstlertum und seinen engen Zusammenhang mit der Revolutionszeit zeigen noch mehr die Werke, in denen er von der Transportierung ins Römische absah und Selbsterlebtes, unmittelbar Geschautes schilderte. Namentlich die beiden Bilder »Lepelletier auf dem Totenbett« und »der ermordete Marat« sind Werke eines mächtigen Naturalisten, grausige Dokumente jenes furchtbaren Zeitalters. Selbst ein kühner Revolutionär, war er auch geschaffen zum Porträtmaler dieses gewaltigen Geschlechtes, das den Mut in sich fühlte, die Civilisation von vorn zu beginnen und die Religion neu zu gründen: dieser Männer von katonischer Strenge und dieser Frauen mit dem männlich freien, stolzen Blick. Beispiele sind das Porträt Barrères, wie er auf der Tribüne steht und jene Rede hält, die Ludwig XVI. das Leben kostet: der Blick kalt und hart, der Mund von galligem Haß verzerrt; weiter das Porträt der Madame Récamier, in seiner puritanischen Einfachheit, dem kahlen Raum mit den kahlen Wänden, ein echtes Erzeugnis jener Epoche, die nur noch harte, unerbittliche Linien kannte, selbst in das Frauenboudoir ihre Ideen von spartanischer Askese hineintrug; und das Porträt Bonapartes, das den entscheidenden Wendepunkt in Davids Leben bedeutet.

In einer Sitzung von wenigen Minuten zeichnete er den erdfahlen bronzenen Kopf des Corsen. Dann wurde er, der erste Maler der Republik, zum kaiserlichen Hofmaler ernannt. Wie unter Robespierre, ist er unter Napoleon der Diktator. Und seine künstlerische Kraft, sein Stil bleibt der gleiche. Denn wie die Männer der Revolution sich als römische Republikaner, fühlte Napoleon sich als römischer Cäsar. David konnte also den Ereignissen folgen, ohne sich als Künstler zu verändern. Seine »Krönung der Kaiserin Josephine 1804« ist ein Repräsentationsbild von starr feierlicher Strenge. Seine Bildnisse des Kaisers, des Papstes, Murats, des Kardinals Caprara symbolisieren die brutale Größe einer Zeit, die die Kraft anbetet. Zuweilen nähert er sich dem Stoffgebiet der Rokokomaler. Berühmte Liebespaare der Antike kommen in einigen seiner Bilder vor. Doch selbst in solchen Werken bleibt er der Sohn des Empire. Nicht mehr Tauben, sondern Adler schnäbeln.

Erst später, als Frankreich aus den antikrömischen Anschauungen heraustrat, also der Zusammenhang des Klassicismus mit dem Leben sich lockerte, tritt in Davids Werken ein trocken archäologisches, kalt verstandesmäßiges Element hervor. Die französische Kunst kehrt gleichsam zu ihrem Ausgangspunkt zurück. Denn seit sie bestand, herrschte in ihr ein mathematischer Geist. Poussin konstruierte seine Bilder, als wollte er geometrische Lehrsätze beweisen, und das Rokoko stellte zur Abwechslung nur diese Mathematik auf den Kopf. So frei es scheint, seine Unsymmetrie ist nur die umgestülpte Regel, die durch groteske Schnörkel sich den Anschein der Freiheit giebt. Jede Linie ist durch den Verstand berechnet, wie beim Menuett jede Bewegung des Körpers. Nachdem man diese Möglichkeiten, von der Regel abzuweichen, erschöpft, lenkte man wieder in die alten Bahnen ein, kehrte vom Verschnörkelten zum mathematisch Durchsichtigen, vom Unsymmetrischen zur geraden Linie, vom kapriciös Sprunghaften zum Festgeschlossenen, vom Malerischen zum Statuarischen zurück. David begann, antike Statuen zu Bildern zusammenzusetzen. Die Malerei wurde für ihn eine Geometrie, für die feste Formeln existierten. Und diese Prinzipien übermittelte er seinen Schülern. Belisar und Telemach, Achilles und Priamus, Sokrates und Herakles, Phaedra und Elektra, Diana und Endymion sind fast die einzigen Stoffe, die von den Davidschülern Girodet und Guérin, Jean Baptiste Regnault und François André Vincent in steifer klassischer Korrektheit behandelt wurden.

Noch einer steht abseits. Prudhon hebt sich aus der Masse der Gelehrten als zarter, feiner Poet heraus. Während die anderen in nüchterner Verstandesarbeit antike Formfragmente zusammenstellten, trug Prudhon die Götter Griechenlands im Herzen, kümmerte sich um keine akademischen Formeln, sondern fühlte griechisch. In traumhafter Schönheit erstand unter seinen Händen die Antike neu, im Sinne seiner eigenen, ganz modernen Empfindung und im Sinne der großen Renaissancemeister, die sie vor drei Jahrhunderten zum Leben erweckt. Nenn auch als Kolorist hat Prudhon inmitten seiner Zeit eine Sonderstellung. Während die andern zu Gunsten einer starren Liniensprache die Farbe zurückdrängten, hat Prudhon das weiche Helldunkel, die zarte Morbidezza der Lombarden.

Schon die flüchtigen Zeichnungen, mit denen er als junger Mensch sich den Unterhalt erwarb – Vignetten für Briefbogen; Adreßkarten; Balleinladungen und Bildchen für Bonbonnièren – enthalten mehr Poesie, als die anspruchsvollen Kompositionen der Davidschüler. Französische Grazie vereinigt sich mit der Linienschönheit antiker Kameen. Das berühmte Werk von 1808 »Gerechtigkeit und Rache das Verbrechen verfolgend« ist koloristisch die größte Leistung des französischen Klassicismus. In seinem Streben, den Ton und die Weichheit des Fleisches möglichst zart zu geben, suchte Prudhon nach einer Beleuchtung, die die Klarheit des nackten Körpers steigerte, und fand jene Stunde des Abends, wenn das Mondlicht seine silbernen Strahlen über die Erde breitet. Die weiße Blässe des menschlichen Körpers scheint dann alles Licht aufgesaugt zu haben und es auszustrahlen, während die Natur in farbloser Dämmerung liegt. An öder verlassener Stätte verläßt der Mörder sein Opfer, die nackte Leiche eines Jünglings, über die der Mond seine gespenstischen Strahlen gießt. Und über ihm, wie Wolkengebilde, schweben die rächenden Gottheiten daher. Sonst hat sich Prudhon mehr in den heiteren, zart verschleierten Mythen der Alten bewegt. Er, dem das Leben wenig Glück beschied, rettete auf den Flügeln der Kunst sich in das Reich märchenhafter Liebe hinüber. Psyche wird von Zephyr im Dämmerschein emporgetragen zu Eros' hochzeitlicher Wohnung. Oder sie steigt an den stillen Waldsee zum Bade hinab und erschaut in dem glitzernden Spiegel staunend ihr eigenes Bild. Oder träumerische Genien besuchen sie in kühlem Waldesdunkel beim Schimmer des Mondscheins.

Man hat diese Bilder Prudhons oft mit denen Correggios verglichen. Doch die Verschiedenheit ist größer als die Ähnlichkeit. Nicht durch die Form nur, durch das Geradlinige des Empire, unterscheidet sich Prudhon von den Alten, auch durch seine thränenschimmernde Melancholie. Correggio weiß nichts von dem bleichen Mondlicht, das über schneeige Körper gleitet; nichts von der leisen Wehmut, die alle Werke Prudhons durchzittert. Süß und verführerisch ist das Lächeln seiner Göttinnen; bei Prudhon ist es ein Lächeln unter Thränen. Er und David – sie sind Söhne derselben Epoche, haben beide die Guillotinen gesehen. Aber David malte den katonischen Geist des Terrorismus, fühlte sich als Herkules, der den Stall des Augias säubert. Als er auftrat, brauste majestätisch die Marseillaise daher, den Sturz aller Bastillen und aller Throne, die Auferstehung der Menschen aus den Fesseln der Knechtschaft verkündend. Man erhoffte eine Zeit, wo Freiheit und Tugend herrschten, wo alle Männer Gracchen, alle Frauen Cornelias wären. Prudhon hat erlebt, daß all diese Träume nur die menschliche Bestie weckten. Auf die Freiheit ist die Schreckensherrschaft, auf diese die Weltdespotie gefolgt. Menschen, die er liebte, hat er sterben sehen unter dem Beil des Henkers, hat gesehen, wie die Fittige des Todesengels über die Erde rauschten. So geht durch alle seine Werke die elegische Frage: Wozu? – etwas wie die Klänge einer Sterbeglocke oder wie verhaltene Thränen. Seine Stirn ist gefurcht, seine Wange bleich, von einem Thränenschleier sein Auge umflort. Ein unnennbar schmerzliches Gefühl mischt sich mit der Süßigkeit des Lächelns.

Und noch anderes beklagt er: die Schönheitswelten, die das Plebejertum zerstörte. David war der Mann der neuen Zeit, stellte seine Kunst in den Dienst des jungen bürgerlichen Geschlechtes. Prudhon, obwohl jünger als er, gehört in seinem Wesen noch der alten Weltordnung an. Nicht derb und plebejisch wie David, sondern aristokratisch fein, blaß und verzärtelt sieht er auf seinem Selbstporträt aus. Zu Fragonard und Greuze blickte er in seiner Jugend empor. Rosige Träume von Schönheit bewohnten seine Stirn. Nun war alles vorbei. Dicker Pulverqualm hatte sich zwischen Vergangenheit und Gegenwart gelagert. In die weißen Salons, die ehedem das Licht venetianischer Lüster durchflutete, leuchtet der bleiche Mondschein herein. Staub lagert in den Ecken, das Gold der Leisten ist abgebröckelt, die Gobelins fransen unten aus, die Plafondbilder sind verblichen, die Rosen vertrocknet, die seidenen Tapeten von den Mäusen zerfressen. Die Spinnen ziehen ihre Fäden über die Elfenbeinfächer. Die altersschwachen Sofas wackeln auf ihren geschweiften goldenen Beinen. Auf das kultivierte Geschlecht der Aristokraten war das kunstfremde Bürgertum gefolgt, Armeelieferanten, Börsenspekulanten und Kornwucherer umgaben sich mit den Schätzen, die die verarmten adeligen Familien verkauften. Prudhon, der Geistesverwandte der Frau Lebrun, erinnert sich wehmütig der vergangenen Zeiten: ein Rokokomeister im Empiregewand, ein Sohn der vorsündflutlichen aristokratischen Welt, der wie ein Phantom in das bürgerliche Jahrhundert hereinlebt. Wenn er so häufig die zarte Psyche malt, die Zephyr in die elysischen Gefilde trägt, so ist's, als hätte er an seine Kunst gedacht, die keinen Raum mehr hatte auf der rauhen Erde.


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