Richard Muther
Geschichte der Malerei. V
Richard Muther

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

7. Watteaus Nachfolger.

Zunächst macht sich eine seltsame Rollenvertauschung bemerkbar. Watteau, der Niederländer, mutet als Pariser, Chardin, der Pariser, wie ein Niederländer an. Beide kamen zu ihren Stoffen, weil sie die Welt mit dem Auge des Romantikers betrachteten. Watteau, der aus dem Lande der dicken vlämischen Matronen kam, schwärmte für den Chik, die ätherische Grazie der Pariserin. Chardin träumte aus dem majestätischen Pomp des Louis XIV. Stils sich in die trauliche kleine Welt der Holländer hinüber. So wurde der Niederländer der Maler der Fêtes galantes. Der Pariser verherrlichte die »Amusements de la vie privée«.

Bisher waren in Frankreich Stillleben nur gemalt worden, wenn es möglich war, sie allegorisch mit den Gestalten der Flora oder Pomona zu verbinden. Chardin als erster ging zu selbständigen Stillleben über: Nachfolger der Holländer und doch in der Farbenanschauung ganz Meister des Rokoko. Denn während die Holländer in warmem Rembrandtschem Helldunkel arbeiteten, liebt Chardin kalte Harmonien von blau, weiß und gelb, die in der holländischen Malerei selten, fast nur bei Terborg vorkommen. Das Porzellan, der Lieblingsstoff des Rokoko, ist für seine Scala maßgebend. In kalten Farbenwerten müssen daher die Dinge gehalten sein, die er neben dem weißen Porzellangeschirr anhäuft. Eine blaue Weintraube liegt neben einer gelben Citrone. Eine weiße Porzellankanne mit blauem Rand steht neben einer Thonpfeife und einem kupfernen Kessel. Oder er malt einen Tisch mit weißer Decke, darauf ein silbernes Besteck, eine Wasserkaraffe, Austern und Gläser; malt die Schale der Birne und den blauen Reif der Melone. Auch Bücher, Vasen und Marmorbüsten, blauweiße Teppiche, Globen und Atlanten – immer nur kühle oder mürbe, nie saftige Dinge – ordnet er zu tonigen Harmonien an.

Chardin hauste in einem alten Atelier dicht unter dem Dach, einem stillen, dunkeln Raum, der gewöhnlich voll von Gemüse war, das er zu seinen Stillleben brauchte. Es hatte etwas Malerisches, dieses staubige Gemäuer, wo sich das Dunkelgrün des Gemüses so tonig von den grauen Wänden abhob und die blauweißen Teller so hübsche Farbenflecke auf dem hellen Tischtuch bildeten. In diesem friedlichen, harmonisch abgetönten Raum spielen auch die kleinen Scenen aus dem Kinderleben, an die man hauptsächlich denkt, wenn Chardins Name genannt wird. Die Uhr tickt, in dem traulichen Kachelofen brodelt das Wasser. Keine bedeutungsvollen Momente kennt er, er malt auch hier nur Stillleben: die Poesie der Gewohnheit. Und sein Porträt zeigt, daß Kunst und Persönlichkeit bei ihm sich deckte. Wie ein guter Großpapa, fast wie eine alte Dame sieht er aus. Keine Toilette hat er gemacht, sondern sich gemalt, wie er zu Haus in seinem Atelier sich bewegt. Eine weiße Nachtmütze auf dem Kopf, ein dickes Tuch um den Hals, eine Hornbrille auf der Nase und darüber ein grünes Augenschild, blickt er still und ruhig uns an. Ebenso still und ruhig ist seine Kunst. In einer Zeit, die wenig von Unschuld wußte, verherrlicht er die Unschuld des Kinderlebens, hat, indem er die kleine Welt bei ihren Freuden, Spielen und Sorgen belauschte, der Kunst ein neues Gebiet erschlossen. Und wie zart hat er das Seelenleben des Kindes gemalt: diese kleinen Hände, die zum Gebete sich falten, diese Lippen, die die Mutter küssen, diese träumenden, weit geöffneten jungen Augen. Oder er zeigt die Wäscherin, die Köchin, die Arbeit der Hausfrau. Nie giebt es Anekdoten. Sein Studienfeld ist das mattbleiche Licht, das in halbdunkeln Küchen webt, das Reich der Sonnenstrahlen, die auf weißen Tischtüchern, auf grauen Wänden spielen. Und gerade, weil er keinen erzählenden Inhalt kennt, üben seine Bilder eine so vornehme Wirkung. Die Kunst verbirgt sich hinter unsäglicher Einfachheit, die um so mehr fesselt, je seltener sie zu allen Zeiten gewesen.

Daß von den Vielen, die nach Watteaus Vorgang der Schilderung des vornehmen Lebens sich widmeten, an Feinheit keiner ihm gleichkommt, hat mehr psychische als technische Gründe. Watteau, der kranke, schwindsüchtige Mann, dem nie das Glück der Liebe beschieden war, sah die Welt mit dem Auge des Träumers. Ein weicher Zephyr trug ihn nach den elysischen Gefilden, wo nichts Erdenschwere hatte, alles in poetischen Duft zerfloß. Sein Realismus ist nur scheinbar. Er besteht in den Aeußerlichkeiten der Tracht. In Wirklichkeit giebt es keine Kavaliere von solcher Grazie, keine Namen von so himmlischem Reiz. Nur den Blütenduft, die Essenz der Dinge strahlen seine Bilder aus. Die Prosa des Lebens ist in idealisierender Poesie umschrieben.

Die Folgenden, mit beiden Füßen im Leben stehend, malen keine Träume, sondern Wirkliches, keine Elegien, sondern die Chronik ihrer Zeit. Daher fehlt ihren Werken der poetisch verklärende Hauch, der die Watteaus umwebt. Sie wirken, mit ihm verglichen, derber, nüchterner, trockener. Aber sie erscheinen anmutig, frei und leicht, wenn man nicht durch den Gedanken an Watteau die Freude sich trübt. Auch bei ihnen giebt es keine Langweile und akademische Kälte. Sie folgen der lustigsten, exquisitesten Mode, die es jemals gab, und sie folgen ihr mit großem Geschmack. Instinktiv und ohne Mühe haben sie für die leichten sprühenden Dinge, die sie sagen wollen, auch den leichten prickelnden Stil gefunden.

Lancret, der mit Watteau zusammen bei Gillot arbeitete, ist ein feiner delikater Meister, zwar ein Reflex von Watteau, aber ein Reflex, der das fremde Licht in eigenartiger Abtönung spiegelt. Galante Feste, die im Freien spielen, malt er besonders gern und fügt den Titel der »Vier Jahreszeiten« bei. Im Frühling pflücken junge Damen, die die Sonne ins Freie gelockt, im Walde Blumen, während der Leierkastenmann seine Drehorgel spielt. Im Sommer haben sie das Gewand der Schnitterinnen angezogen und feiern das Erntefest. Im Herbst lagern sie mit zärtlichen Kavalieren unter schattigen Bäumen. Im Winter lassen sie sich, in koketten Pelz vermummt, auf dem Eise den Hof machen. Oder ein türkisches Fest wird gefeiert. Ein Ausflug nach dem Nachbardorf wird gemacht, wo gerade Jahrmarkt ist und die Gaukler tanzen.

Pater als erster hat den Schauplatz seiner Bilder in den Salon verlegt. Nachdem die neuen Hotels des Faubourg Saint Germain erbaut waren und Oppenort für das Kunstgewerbe den neuen Stil geschaffen, konnte Pater als erster die Symphonie des Salons dichten, hübsche Kostüme, geistreiche Figürchen inmitten reizvoller Rokokozimmer – das ist der Inhalt seiner Werke. Junge Damen, von schwellenden Kissen umstopft, wälzen sich auf seidenen Fauteuils. Niedliche Kammerkätzchen sind um die Herrin beschäftigt. Der Abbé erscheint, um nach dem Befinden zu fragen. Die Modistin legt die neuesten Roben vor. Lakaien mit silbernem Tablett servieren den Thee. Ein junges Paar, vor dem hellerleuchteten Kaminsims auf dem Sofa sitzend, betrachtet Kupferstiche, so eng aneinander geschmiegt, daß das seidene Pantalon des Herrn sich in der Seidenrobe der Dame verliert. Eine Welt exquisiter Dinge – japanische Elfenbeinarbeiten, Bronzen und orientalische Stoffe – ist rings um die Figürchen gebreitet. Aus Pfeilerspiegeln und Lyoner Kissen, himmelblauseidenen Betten mit weißen Tüllgardinen, aus zartblauen Jupons, grauseidenen Strümpfen und rosigen Seidenkleidern, aus koketten, mit Schwanendaunen besetzten Peignoirs, aus Straußenfedern und Brabanter Spitzen stellt er seine Farbenbouquets zusammen.

Le Prince, Fauray, Ollivier, Hilaire, die beiden Schweden Lavreince und Roslin sind weitere Interpreten mondäner Eleganz. Doch um das Leben des Rokoko in seiner ganzen Vornehmheit kennen zu lernen, muß man neben den Bildern auch die Radierungen beachten. Die Vorliebe für das Leichte, Flüchtige, Geistreiche kam gerade diesem Kunstzweig zu statten. Noch unter Ludwig XIV. hatte auch der Kupferstich den ausschließlichen Zweck gehabt, dem König zu dienen. Die ruhmrednerischen Bilder des Versailler Schlosses, die Porträts der königlichen Familie und Berichte über die Hoffestlichkeiten wurden in Stichen verbreitet. Jetzt verliert er diesen repräsentierenden höfischen Zug und wird Galanterieartikel wie alle Erzeugnisse des Rokoko. Niedliche Bücher in seinem Maroquinband müssen auf dem Tische liegen, Bücher, die nicht zum Lesen bestimmt sind, sondern in müßigen Stunden betrachtet werden. Es erscheinen also zierliche Duodezausgaben der Klassiker. Molières Komödien und Ovids Metamorphosen, Boccaccios Novellen und La Fontaines Fabeln werden mit pikanten Stichen herausgegeben, Hubert Gravelot, Nicolas Cochin und Charles Eisen lieferten den bildlichen Schmuck, streuten verschwenderisch nach allen Seiten Grazie aus, haben selbst die Klassiker mit galantem Zauber umkleidet. Doch noch lieber als Götter und Nymphen sah man sich selber im Spiegel der Kunst. Zu keiner Zeit hatte der Spiegel eine solche Bedeutung wie im Rokoko. Darum soll auch die Kunst nur ein Spiegelbild des Lebens sein, Ball und Promenade, Theater und Salon, alles hielten die Radierer in Blättern fest, die das ganze Froufrou des Jahrhunderts atmen. In den älteren lebt noch die unschuldige Paradieses-Stimmung Watteaus. Das Arkadische, Bukolische ist das Ideal des Salons. Junge Frauen träumen, blättern mechanisch im Musikheft, lauschen zerstreut den Worten des Kavaliers. Aus den späteren – etwa Saint-Aubins »Bal paré« – klingt das jubelnde Evoë der Freude. Im Kerzenglanz venetianischer Kronleuchter strahlen die Räume. Rosige Amoretten lachen von den lichten Wänden hernieder. Seidene Schleppen rauschen, seidene Schuhe hüpfen, Fächer kokettieren, Diademe und Colliers leuchten und funkeln. Schlanke Kavaliere und junge Mädchen tanzen neckisch-feierlich die Gavotte; Maltheser und Abbés machen den Frauen den Hof. Die Spiegel werfen das ganze glitzernde Bild zurück.

Vor den Bildnissen des 18. Jahrhunderts bleibt man in den Galerien mit besonderer Freude stehen. Selbst kleine Medaillons, Arbeiten unbekannter Maler haben eine diskrete Feinheit, die mit dem Emporkommen der plebejischen Kunst aus der Welt verschwand. Gewiß, das Rokoko ist auch hier einseitig. Knorrige männliche Charaktere giebt es nicht. Denn das Leben brachte sie nicht hervor. Das 18. Jahrhundert ist das Jahrhundert der Frau. Sie ist die Achse, um die die Welt sich dreht: die vornehmste Beschützerin der Kunst und ihr vornehmster Gegenstand. Es defiliert vor uns eine ganze Schar junger Frauen mit rosigem Teint und sanften Augen, in weiten blumengeschmückten Seidenkleidern oder in pikanter halb mythologischer Allüre. Es defilieren junge Mädchen, die die Unschuld selbst sind, und andere, die an Demivierges streifen. Eine Zeit, die alles dem Kultus ihrer selbst weihte, brachte so viele Schönheiten hervor, daß es uns Nachgeborenen scheint, häßliche Frauen habe es im 18. Jahrhundert überhaupt nicht gegeben.

Jean Marc Nattier war der erste, der den Stil Rigauds verließ, statt des Würdevollen das Zierliche, statt des Stolzen das Liebenswürdige malte. In den Charakter seiner Modelle drang er wohl wenig ein – das Taucherkunststück hätte sich nicht gelohnt –, aber etwas ungezwungen Vornehmes hat er allen gegeben. Besonders fühlt er sich wohl, wenn es seidene Kleider zu malen gilt, von kosenden hellblauen, hellgrauen, hellgrünen und rosaroten Tönen. Auch für hübsche Coiffuren hat er feinen Sinn, für jene einfachen gewellten Frisuren, die auf die majestätischen Arrangements der Louis XIV. Zeit folgten. Im Anbringen von Schönheitspflästerchen, von Perlen und decenten Diademen war er Meister. Oft malte er die Damen auch in duftiger durchsichtiger Robe, aus der ein Bein, ein Stück Busen hervorlugt und schrieb »Diana« oder »Musidora« darunter.

Louis Tocqué, sein Schwiegersohn, trug nach dem barbarischen Rußland etwas vom Glanze des Rokoko. Robert Tournières brachte die Mode der Medaillons, der feinen Miniaturbildnisse auf. Doch noch folgenreicher wurde die Anregung, die eine venetianische Künstlerin gab. Unter den Bildnissen Watteaus begegnet das einer Dame auf einem Hintergrund von Rosen. Es ist Rosalba Carriera, deren schönen Namen und rosige Kunst er durch die Rosensymbolik andeutete.

Rosalba Carriera hat in der Kunstgeschichte des 18. Jahrhunderts einen wichtigen Platz: sie erfand die Pastellmalerei. Oelbilder wirkten zu schwer und materiell, zu dunkel und feierlich in den hellen Räumen des Rokoko. Das Fette, Saftige paßte nicht zu der duftigen Puderstimmung. Man brauchte eine Technik, die ebenso »spirituell« war, wie die Menschen: nur mit Blütenstaub arbeitete, das Mimosenhafte des Schmetterlingsflügels wahrte. Darum griff Rosalba zum Pastellstift. Nicht in lebensgroßem Format sind ihre Bildnisse gehalten. Sie wahren den Charakter des koketten Bijous. Nicht in würdigen Posen malt sie ihre Damen. Sie sucht den nervenerregenden Reiz zu haschen, der in dem Zucken eines Mundwinkels, dem spöttischen Blick eines Auges, in einer niedlichen Geste, einer raschen Bewegung liegt. Hellseidene Roben knistern, feine Spitzen wogen, der Duft von Theerosen und Veilchen strömt aus dem gepuderten Haar.

Von Franzosen ging Maurice Latour auf dem Wege Rosalbas weiter. Alle Typen der Rokokogesellschaft, schöngeistige Abbés und galante Minister, Theaterprinzessinnen und wirkliche, Kammerherren, Prinzen und geschmeidige Marquis ziehen in seinen Pastellen vorüber. In seinem Selbstporträt ähnelt er Voltaire. Ein leicht mokantes Lächeln spielt um seinen Mund, und dieser scharfe epigrammatische Zug unterscheidet auch seine Pastelle von den weich anmutigen Rosalbas. In flotten, witzigen Strichen, keck und sarkastisch schreibt er einen Charakter hin. Die Damen von der Oper, jene Tänzerinnen, die unter den zärtlich vagen Namen Mlle. Rosalie, Mlle. Silanie fortleben, gaben Perronneau den Vorzug, in dessen Bildern sie eine graziösere Uebersetzung ihrer Schönheit fanden. Der berühmteste von allen war der Schweizer Liotard, der wie ein Triumphator die Welt von Neapel bis London, von Paris bis Konstantinopel durchzog.


 << zurück weiter >>