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Praxis!

Mein Frühstücksthee wurde immer brauner. Die Farbe konsolidierte sich in der Tasse, und wohl auch in meinem Magen. Wer mich aufschnitt ...

Ach, so weit bin ich noch nicht. Der Wirt marterte mich gräßlich ... schlimmer als das Aufschneiden sein kann.

Die Dummheit, die ich beging, indem ich ein unfertiges Werk verlieh, brachte mich um das letzte bißchen Kredit, das ich bei dem von Hotelnatur aus mißtrauischen Wirte noch haben konnte. Mehrfach fragte er mich: was denn eigentlich mein Geschäft wäre? »Denn ein Geschäft muß doch jeder haben!«

Einen Augenblick fühlte ich die Lust in mir, ihm zu sagen, daß ich von Beruf Anpreiser ferner Spekulationen wäre, aber einen so hohen Rang getraute ich mir doch nicht zu beanspruchen. Auch sah man wohl an meinem Gepäck, daß ich eine weniger einträgliche Beschäftigung hatte, Vagabund oder ...

»Ich bin Denker,« sagte ich.

»Können Sie ein gehöriges Patent dazu zeigen?«

»Der unglückselige Herr... Johann Meyer, oder Müller, oder Schulze hat es mir stibitzt und ...«

»Ein anständiger Mensch läßt sich nicht berauben.«

Wohl um zu zeigen, daß er ein anständiger Mensch wäre, ließ nun Herr Prellmayer die Polizei holen.

Trostlos ging ich auf mein Zimmer – die famose Nummer 32, ach! – und begann meine Sachen zu packen.

Da hörte ich an die Tür klopfen und war sehr erstaunt, auf mein »Herein« das Gesicht von Schlüngelhans vor mir zu sehen.

»Kerl, woher kommen Sie? Sitzen Sie nicht im Zuchthaus? Wie kommen Sie hierher?«

»Herr Prellmayer schickt mich, ich soll aufpassen, daß Sie nichts mitnehmen. Gleicht kommt die Polizei, um Sie über die Grenze zu setzen.«

Und der freche Bengel nahm grinsend Platz.

»Aber –«

»Da ist nichts zu abern! Sie haben mich vor der ganzen Welt blamiert. Wert in Rechnung, Freundchen! Wenn ich mich betrinken will und mit Damen ausfahren und Stiefel stehlen ... das ist meine Sache!«

Wieder wurde geklopft. »Herein!«

Leser, ich habe gewarnt, ich schreibe diesmal nicht für Bürgersleute. Man muß mindestens geistiger Herzog sein oder »in Effekten« – um ohne einen Ohnmachtsanfall zu hören, was jetzt eintrat, und was nun passierte. Auf mein Herein erschien die Frau von dem alexandrinischen Telegramm. Sie schalt mich furchtbar aus und nannte das: Wert in Rechnung! Kaum hatte ich das genossen, da wurde ich schon mit einem neuen Besuche beehrt – Herr Friedrich Plump, der mir eine gleichartige Botschaft überbrachte ... kolossal! Ihm folgte Buda und die Kisseleff, die von mir ihre Sommerjacken zurückhaben wollten, die ich ihnen aus den Lenden gezogen hätte. Dann kam Slenterman. Der Portier vom Sonnenberg. Krummacher und Lamartine. Alle Könige vom Kapitel Soundso.

All das Volk hatte mit mir etwas abzurechnen, und alles schrie: Wert in Rechnung! Entsetzt griff ich mir in die Haare.

»Das hilft nichts!« sagte Melchisedek. »Ich will dich lehren, über meine Salbe zu spotten!«

Herzogin Adelheid und ihr tapferer Gemahl waren in derselben Stimmung. Auch Arndt war wütend., Desselbigengleichen der Intendant eines gewissen Kurfürsten, und der Kurfürst selbst mitsamt seiner ganzen Familie. Ein Haufen Kerle in Lumpen – sie nannten sich »Volk« – stürmten herein mit einem abscheulichen »Ça ira!« Hatten die Herren Hosen angehabt, hätte ich ihnen gern einen Fußtritt gegeben, aber so war mir die Sache zu schmutzig. Auch waren da ein paar Generale, die mir krumm nahmen, daß ich gegen das Wohlergehen geschlagener Heere etwas einzuwenden hatte. Und eine Bande Kellner! Sie wollten mich ... aufschneiden, lieber Gott!

»Ganz gewiß!« rief die Alexandriner:«. »Was haben Sie mit mir gemacht. Nackend ausgezogen und noch mehr!«

»Und uns!« schrien die Kellner.

»Und uns alle!« schrie das Publikum, das meine arme Nummer 32 stürmte.

Siebenundneunzig Spielprofessoren – darunter sechsundneunzig Banquiers – wollten Rache nehmen, weil ich ihnen das Geschäft verdorben hätte. Boileau, Hofhistoriograph und Hofpoet, drohte mit Versen. Ich zitterte, Katharina von Rußland war etwas sanfter; sie schlug vor, mich schinden zu lassen. Auch Morfondaria verlangte bloß einen Scheiterhaufen.

Da kam auch die bekannte Dame mit ihrer Kreuzspinne und Professor Quinet mit seinem Faß. Und ... andere Professoren, auch Mitglieder der Multatuli-Kommission. Auch Mitglieder der Kommission, die nicht Professoren waren und mich, ohne das geringste Diplom, zum Narren gehabt hatten.

Du auch, Sarah? Ja, sie nahm bei den anderen Platz und grinste mit ihren weißen Zähnen. Ich hätte nicht sagen sollen, daß ihr Kopf schief war. Das vergab in der Bronzezeit keine Frau.

Ludwig XIV. war wütend, daß ich ihn einen Fresser genannt hatte, und Tartüffe erklärte, daß seine stümperhafte Heuchelei für die Zeit, und für andere auch, gut genug gewesen wäre. Ich hatte unrecht, ihm seine Naivetät vorzuwerfen.

Ah, da ist ja auch mein Archäologe mit dem Alt-Delft. Er warf mir als Gruß einen Haufen blaue Kacheln an den Kopf.

Ich ließ den Kopf tiefer und tiefer auf die Brust sinken.

Der große Fritz konnte nicht dulden, daß ich sein moralisches Mühlenkunststück durchschaut hatte.

»Ick uf den Hund? Ach du lieber Gott, wat for'n Laster!«

Und ich, »der erste generöse Holländer, der ihr begegnet war,« bekam meine Prügel mit dem bewußten Regenschirm. Das schien wieder zu heißen: Wert in Rechnung!

Lord Ci-Devant tadelte meine Indiskretion wegen seines Zahnstochers, und Madame de B' wollte mir die Augen auskratzen ob des Spottes über ihre Geldhäufchen. Der Schuhmachermeister war ein Strauchräuber geworden und stand im Begriff, sich von der Justiz hängen zu lassen. Es war meine Schuld, sagte er. Hätte ich nicht »zwölf« gerufen, hatte er nicht gewonnen. Wäre er kein Spieler geworden ...

Ich beugte den Kopf tiefer und tiefer.

»Was haben Sie allen Leuten zu erzählen, daß meine Frau eins gegen sieben gespielt hat, um mich vor dem Bankerott zu retten?«

»Und daß ich das Glas entzweigetreten habe?«

Auch du, liebe kleine Frau!

»Ja, ich mag kein indiskretes Volk leiden.«

»Prophet? Prophet? Ich will dich propheten!« sagte der Mann, der alles vorhersagte, was geschehen war. Ich prophezeie dir nun, daß wir hierher gekommen sind, um dir ... Wert in Rechnung zu geben!«

»Gnade! Gnade!« flehte ich.

»Gnade? Für Sie nicht!« rief die Amsterdamerin, die so schön Holländisch sprach und ihren Papa so hübsch mit ihrem Geschwätz am Trente-et-quarante festgehalten hatte.

»Ah, c'est vous, brigand, qui m'enviez les pauvres héritages que je ... fais! C'est vous qui préférez l'huile au gaz ... attendez!« »Ah, da ist ja der Spitzbube, der mir meine armseligen Erbschaften nicht gönnt – der die Ölfunzelbeleuchtung dem Gaslicht vorzieht! Warte!«

»Ich eine ... hm hm!?« fragte Madame de la Maquerellerie.

»Das habe ich nicht gesagt!« rief ich. »Ich sagte ...«

»Kurzer Prozeß!« rief die Erbprinzeß von Lüttelgau. »Ich ein Satan? Valeur en compte: la mort sans phrase!« »Wert in Rechnung: Todesstrafe!«

So meinte auch die Herzogin von China. Und auch Jüffrau Krent. Und Madame ... ska, geborene ... witsch. Und Mevrouw van der Happel, Und viele ganz unverletzte Marschälle von Frrrankreich. Und Miß Lovehunger. Und die Fräulein Krummkreuz, Und die heiligen Treurneepen. Und ... und .. und ...

Mein Kinn drang tief in das Brustbein. Noch hatte ich gerade soviel Kraft, um – es half aber nichts – vor mich hin zu stöhnen:

»O Fancy!«

»Gesetzt? Nun ja. jetzt! Aber 1856? Das sollst du mir beweisen!«

»Um Gottes willen, liebste beste, mit solcher Anstrengung tugendhaft gelassene Stacccata, bedenke, daß ich Zahnschmerzen hatte!«

»Nichts bedenke ich. als dir die Augen auszukratzen! Jetzt bin ich gesetzt, ja, leider – aber war es nötig, das an die große Glocke zu hängen, um alle jungen Leute abzuschrecken. War ich 56 gesetzt? O du abscheulicher Mensch, ich will dich lehren, ein junges Mädchen im Verlieren ihrer Unschuld zu hindern!«

»Teuerste Staccata, sobald du wieder ungesetzt bist, und wir steigen noch einmal auf den Turm ...«

»Zu spät! Du bist ein Lump. Ich will dich ...«

»Mir die Rache!« schrie Madame Bonaparte-Wyse-Ratazzi, geborene de Solms.

Und der eine Henker entriß mich dem anderen.

Ich kann nicht sagen, wer mich am schlimmsten behandelte.

Es half nichts, daß ich hoch und heilig versprach, nie wieder Millionen-Studien zu schreiben und Mikrokosmen zu zeigen.

Gequält, gehöhnt, gepeinigt, bekam ich nun selbst Sehnsucht nach der Polizei.

»Da ist der Herr Kommissar,« sagte Schlüngelhans. »Nun werden wir gleich sehen, wer ins Zuchthaus marschiert. Von uns einer, mein lieber Herr, aber ich nicht!«

»Um Himmels willen, Herr Kommissar, erlösen Sie mich ...«

Was ist das? Ich meinte vor Erstaunen zu versinken. Der Herr Polizei-Kommissar war niemand anders als ...

»Sind Sie es, Adolf, oder Herr ... Meyer oder ... Müller ... oder Schulze, aus dem Dillenburgschen?«

»Keine Redensarten! Ich bin Polizei-Kommissar, verstehen Sie? Es liegt eine Klage gegen Sie vor von Herrn Gastwirt Prellmayer. Welches sind Ihre Subsistenzmittel?«

»Das wissen Sie selbst am besten, Sie Schandfleck! Sie, Sie, Sie, der mir mein Patent als Denker gestohlen hat!«

»Unehrerbietigkeit gegen kaiserlich-königliche Polizei! Die Strafe wird nicht ausbleiben ... darauf halten wir hier sehr: Wert in Rechnung! wissen Sie? Noch einmal, welches sind Ihre Subsistenzmittel? Denken ist keine Arbeit, von der man leben kann. Man muß ein ordentliches Gewerbe haben.«

»Wenn ich bitten darf, Herr ... Kommissar, erlösen Sie mich vor allem von ...«

»Von wem? Wovon?«

Es war wahr. Das Zimmer war leer.

Wo alle meine Quälgeister so plötzlich geblieben waren, weiß ich nicht.

Ich erzählte dem Mann, was vor seiner Ankunft geschehen war. Er fand das ganz natürlich. »Jeder trachtet nach dem üblichen: Wert in Rechnung!« sagte er trocken. »Und ... Ihre Rechnung mit Prellmayer. Darauf kommt es an. Können Sie zahlen? ja oder nein?«

»Leider nein!«

»Also marsch!«

Er Packte mich unsanft am Arme und schleifte mich nach der Eisenbahn. Da wurde ich wie ein Übeltäter in einen Wagen geworfen. Mein Erstaunen war erschöpft. Sonst wäre es mir aufgefallen, daß der Herr Polizeikommissar die Bewachung des abzuschiebenden Vagabunden einem Gendarmen von ganz besonderem Aussehen auftrug. Es war eine verschleierte Dame.

Als er ihr zurief, mich vor allem nicht aus den Augen zu verlieren, antwortete sie lachend:

»Nun, wenn ich den Schelm loslasse!«

Und um einen Beweis ihres Diensteifers zu geben, legte sie mir Handschellen an.

Ich fluchte.

»Nur ruhig, Freundchen!« sagte sie. »Los kommst du nicht, von mir nicht! Den Herrn Polizeikommissar zu beleidigen! Alle diese braven Menschen auszukleiden, aufzuschneiden, von innen zu besehen! Wir werden dir schon zeigen, was wir hier verstehen unter: Wert in Rechnung!«

O Fancy!

»So heiße ich ... heute nicht. Und nun schweig stille!«

In Gottes Namen! Sehr angenehm finde ich das Reisen auf der Eisenbahn nicht. Aber unter diesen Umstanden ...

Wir saßen in einem Wagen dritter Klasse und hatten vierunddreißig Mitreisende, die sich alle weniger langweilten als ich. Sie hatten ja etwas zu sehen an dem transportierten Bösewicht und seinem absonderlichen Gendarmen. Meine Begleiterin schwieg, und ich selbst tat nichts als flennen und heulen. So eintönig, daß es mich selbst ödete.

Gähnend holte ein Nachbar seine Eisenbahnkarte aus der Tasche. Es war ein ungewöhnliches Format, ein ziemlich großer Bogen Papier, auf dem etwas gedruckt stand. Er las aufmerksam.

Andere holten Büchlein heraus, die auch als Fahrkarten zu gelten schienen, denn sie wurden dem Schaffner als solche vorgezeigt. Wer solch ein Büchlein oder Bogen Papier ausgelesen hatte, tauschte mit einem anderen. Der Wagen war voll Lektüre.

Meine Polizeidame bat diese oder jene, etwas vorzulesen. Und das geschah:

»Der Unterzeichnete nimmt sich die Freiheit, sein Hotel der Gunst eines vornehmen Publikums zu empfehlen. Seine Kellner sind Menschen. Die dauerhafte Farbe seines Thees...« »Das ist Prellmayer!« rief ich.

»Darf ich Sie freundlich ersuchen, zu schweigen?« sagte mein Gendarm. »Ich müßte Ihnen sonst ein Schloß vor den Mund legen. Sie dürfen zuhören, und ... Vorteil davon ziehen, wenn Sie nicht zu dumm dazu sind.«

Ein Mann las die Annonce meines bisherigen Wirtes zu Ende. Von Besuchern »ohne ordentliches Geschäft« ersuchte er verschont zu bleiben.

»Etwas anderes!« sagte meine Polizeifrau.

»Allen verehrlichen Kurgästen zur Nachricht, daß bei mir zu haben ist: eßbares Kalbfleisch, Kaulkopf, süße Äpfel, Beefsteak, Sülze, Stockfisch, Salzfische, Küchensirup ...«

»Das ist ein verdammter Betrug!« rief ich. »Wer das in Wiesbaden annonciert, ist ein Lügner!«

O, das hätte ich nun wieder nicht sagen sollen! Meine Lippen wurden mit einer Art Kneipzange, deren Arme meine Begleiterin unbarmherzig hantierte, geschlossen.

»Der unterzeichnete Materialist empfiehlt sein Geschäft in Kaffee, Butter, Käse, Cigarren. Briefpapier, Mostrich ...«

»Genug Anzeigen,« sagte die Dame. »Etwas anderes!«

»In der Hölle, in der Hölle, in der Hölle! Sünder, bekehrt euch! Laßt euch waschen mit dem Blute Christi ...«

»Hm!« sagte meine Begleiterin. »Keine Traktätchen mehr ...«

»Der Herr X liebt diesen Kreis und würde also ein nützliches Mitglied des Abgeordnetenhauses sein, wo mit größter Unparteilichkeit die allgemeinen Interessen des Volkes ...«

»Genug. Kennen wir. Als Eisenbahnlektüre zu langweilig. Etwas anderes!«

»Das vor kurzem erschienene Werk von Multatuli ist miserabel. Der Verfasser leidet ersichtlich an Gedankenarmut, einem Mangel, der in seinem Geburtslande wegen des sonst herrschenden angestaunten Reichtums auf diesem Gebiete besonders auffallend ist. Man müßte eine üppigere Phantasie besitzen, als die seine es ist ...«

»Wie?« fragte hier meine Begleiterin, die sich hoch aufrichtete und den Kopf schüttelte wie eine zornige Löwin.

»Steht so da, Fräulein! Sind Sie darum böse?«

»Weiter!«

»Übrigens fehlt es ihm überhaupt an gesundem Menschenverstand, und der brave Prellmayer hatte ganz recht, einen Gast, der sich durch wenig praktischen Sinn auszeichnete, an die Luft zu setzen. Statt all dieses Geschwätzes über 2x2 und Logos – was ist das für ein Wesen? – wäre das kleinste Hirsekorn dem Leser, der Millionär werden will, angenehmer gewesen. Was uns betrifft, so sind wir fest überzeugt, jeder Bürger hätte mit Vergnügen den vollen Ladenpreis bezahlt, in dem die Mittel, Millionen zu gewinnen, klar angegeben gewesen wären. Aber solange der Verfasser selbst keinen Beweis davon gibt, daß er diese Mittel kennt...«

»Diese Bemerkung ist nicht so unbegründet,« sagte meine Wächterin, indem sie mich mit ihrer Zange hin und her schüttelte. »Etwas anderes!«

Einer der Mitreisenden behauptete, er hätte auf seinem Fahrkärtchen sonderbare Sachen zu lesen bekommen. Es schienen Auszüge aus irgend einem Werke, das unlängst erschienen sei.

»Wer denkt, der siegt!«

Ein Ruck mit der Kneipzange.

»Wenn man auf dem festen Grundsatz, daß 2 X 2 = 4 ist, logisch weiterbaut, wird man glücklich, tugendhaft und sogar – aber das ist Nebensache – reich

Ein Ruck mit der Zange,

»Bist du noch nicht wach?« fragte meine Henkerin.

»Schaffe Werte! Das muß der Dichter können.«

Ein Ruck.

»Murmeltier!« schalt sie.

»Nichts ist poetischer als die Wahrheit!«

»Und infolgedessen die Wirklichkeit auch,« murmelte meine ungnädigen Begleiterin. »Weiter!«

»Wer in der Wahrheit und in der Wirklichkeit keine Poesie findet...«

»Richtig! Und wer Aussicht hat, seine Poesie zur Wirklichkeit zu machen ...«

»Der wird stets ein nüchternes Poetlein bleiben!«

»So ist es. Weiter!«

»Wer übrigens vermeint, daß ein Dichter von gesundem Verstände entblößt sein könnte ...«

»Und von praktischem Sinne!«

»Der hat eine Auffassung von Dichterschaft, die nicht für seinen gesunden Verstand und für seinen praktischen Sinn spricht. Ein Dichter ist vollkommen imstande, Fachleuten auf ihrem eigenen Gebiete die Stirn zu bieten. In solchen Fällen zeigt sich, wie gering die Fachroutine ist gegenüber der Einsicht, die durch anhaltende Übung in der Allgemeinheit der Auffassung geschärft ist.« »Sehr gut. Etwas anderes!«

»Minus-Wert schlingt sich befruchtend um ein negatives Kameradchen ...«

O Gott, ich begann zu verstehen. Flehend erhob ich die Hände.

»Ich glaube wirklich, mein Arrestant wird wach,« sagte die sonderbare Polizeifrau.

Und sie befreite meine Lippen.

»Eine Feder, eine Feder,« schrie ich, »ein Königreich für eine Feder!«

»Endlich!« sagte ... Johann Müller, oder Schulze oder Meyer, oder ... Adolf, oder Semi-ur, oder ... o Gott, war sie es?

» Fancy

»Hm! Mein eigentlicher Name ist Logos. Schreibe!«

Eisenbahn, Mitreisende, Polizei, Kneipzange ... alles war verschwunden. Ich saß ruhig auf Nummer 32 in dem bekannten »Gelben Adler«. Und Hans Schlüngel kam und brachte mir Papier, Feder und Tinte. Er behauptete stocksteif, ich hätte sie verlangt.

»Und gleich wird jemand von der Druckerei hier sein.«

»Was? Wozu?«

»Weil der Herr es so befohlen habe. Sie wollten eiligst etwas drucken lassen, sagten Sie.«

Wirklich? O Fancy!

»Und ... Ihr Zuchthaus?«

»Der Herr belieben zu spaßen.«

In Gottes Namen!

Ich war müde von dem teuflischen Spuk und schöpfte Atem. Sie diktierte. Ich schrieb ...

*

In dem Augenblick, daß der Leser diese Zeilen in die Hand bekommt, ist das folgende Cirkular in allen Ländern der Welt verbreitet.

An Seine Excellenz
den Minister des Innern zu ...

Herr Minister!

Es hat meine Aufmerksamkeit erregt, daß sowohl die Regierungen, die an dem Betriebe von Eisenbahnen interessiert sind, als auch private Gesellschaften und Unternehmer, die sich mit der Beförderung von Reisenden und Gütern zu Wasser und zu Lande befassen, dauernd eine wichtige Einnahmequelle außer acht lassen, indem sie sich Ausgaben machen, die zum allgemeinen Nutzen in sehr beträchtlichen Vorteil umgewandelt werden könnten.

Nach meiner Ansicht konnten und müßten die Fahrkarten und Frachtbriefe der Presse dienstbar gemacht werden. Zu diesem Zwecke brauchte man nur die Anfertigung und Lieferung dieser Scheine dem Meistbietenden überlassen, der dafür das Recht erhalten würde, die Rückseiten und den freien Raum der Vorderseite zu einer Publizität im ausgedehntesten Sinne zu verwenden.

Selbstverständlich würde diese Maßregel sofort zur Formatvergrößerung der Fahrscheine führen, die Pappe konnte also dann durch gewöhnliches Papier ersetzt werden. Um des hohen Wertes jedes viereckigen bedruckbaren Raumes wegen sollte man dem Konzessionär keine anderen Personenbillets zu liefern verstatten, als solche, die nur zur Beförderung von Station zu Station gelten. Reisende, die für weitere Fahrt einsteigen, könnten ein Heft bekommen, mit Blättern, mit perforierten Blättern, von denen jedes nur auf eine Station lautete.

Ich bin so frei zu glauben, Herr Minister, daß ich, indem ich vorschlage, die Verbesserung, so weit es von Ihnen abhängt, in ........ einzuführen oder den bezüglichen Unternehmern und Gesellschaften anzuempfehlen, einen sehr beträchtlichen industriellen Wert ins Leben rufe. Die ebenso einfache wie praktische und fruchtbare Idee, die ich die Ehre habe, der Beurteilung Eurer Excellenz vorzulegen, ist um so mehr mein ausschließliches Eigentum, als die betreffenden Regierungen, Gesellschaften und Unternehmer ihrerseits bei der Anwendung nichts riskieren, wie es sonst bei neuen Einführungen gewöhnlich der Fall ist. Der geringste vorteilhafte Erfolg wäre immer noch eine Kostenersparnis, da es undenkbar ist, daß sich keine Liebhaber finden sollten, die Fahrscheine kostenlos zu liefern.

Es war zuerst meine Absicht, meinen rechtmäßigen Anteil an dem durch mich ins Leben gerufenen Wert gesetzlich festzulegen, indem ich die Bedingung stellte:

daß die Regierungen oder Gesellschaften, die meine Idee verwirklichten, während der ersten fünfundzwanzig Jahre an mich oder meine Rechtsnachfolger jährlich die Hälfte des daraus entstandenen Gewinns auszahlen sollten.

Sehr bald aber erkannte ich, daß durch die Vorbereitung zu einer gesetzlichen Festlegung meines Rechtes eine kostbare Zeit verloren gehen würde, und daß sowohl die bezüglichen Verwaltungen als auch das ganze Publikum wahrend dieser Zeit der Vorteile verlustig gehen müßten, die die unzweifelhafte Folge von der bezeichneten Verbesserung wäre. Jedes Jahr gehen jetzt Schatze ungebrauchten Wertes verloren!

Es ist also im allgemeinen Interesse, Herr Minister, daß ich die gesetzliche Festlegung meiner Ansprüche opfere, in der Hoffnung, mein Recht genügend verbürgt zu sehen, wenn ich es unter die Hut der öffentlichen Ehrlichkeit, der Loyalität der Regierung, die Sie vertreten, und der guten Treue der privaten Gesellschaften und Unternehmer stelle, die – durch Eure Excellenz im allgemeinen Interesse darauf aufmerksam gemacht – aus meiner Erfindung die Früchte pflücken werden ...

*

»Aber ... beste Fancy, wenn nun die öffentliche Ehrlichkeit, die Loyalität und die gute Treue ...«

»Dann wäre ich genötigt, dich aufs neue hie und da unter den Erdboden versinken zu lassen, oder dich mit der Kneipzange zu zwingen, Mittel zu entdecken, um schlechte Treue und Unehrlichkeit in etwas Besseres zu verwandeln. Dem Dichter darf nichts unmöglich sein, auch das Geringe nicht, und selbst nicht das Gewöhnliche! Sei getrost! Oder meinst du, daß es mir mehr Mühe kosten würde, dir die Millionen zuzuwerfen, als ich für das Diktieren dieser Studien verwendet habe?«

Und sie verschwand mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen.


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