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Übersetzung

Goethe sagt irgendwo: Eine Übersetzung ist ein Teppich, von der linken Seite gesehen. Ich will versuchen, die linke Seite meines Teppichs in die rechte zu übersetzen. Vielleicht werden die Figuren der Stickerei dadurch etwas deutlicher ...

So saß ich da und tüftelte, als ich an jenem Morgen das hellbraune laue Wasser zu mir nahm, das auf der Rechnung des »Gelben Adlers« als »Thee« gebucht wurde.

»Da haben wir es schon,« brummte ich ärgerlich vor mich hin, »alles ist in allem ... Farbe im Thee! Wer etwas zu malen hat, wird wohl Thee in der Farbe finden. Dieser verfluchte Semi-ur, und %, Halbdreizehn ... und das ganze Volk!«

Ich klingelte. Nicht, um mich wegen des Thees zu beklagen, – ich habe mich schon genug herumgetrieben, um zu wissen, daß sich das für einen Reisenden nicht paßt – aber ich wollte den Teppich umkehren, und dazu wollte ich ein Mittel anwenden, das mir schon manchmal geholfen hat.

Wenn ich etwas nicht begreife, suche ich Erleuchtung bei Personen, von denen ich annehmen kann, daß sie nach Bildung und Wissen unter mir stehen, und die, wenn ich nur ernsthaft suche, auch wirklich manchmal zu finden sind. Im Auslande, natürlich. Diese Methode, klüger zu werden, könnte man für hochmütig halten. Vielleicht ist sie es auch. Man kann sie übersetzen – schon ein Anfang der Teppicharbeit – und zwar etwa so: »ich verstehe die Sache nicht, also wird sie unter meinem Niveau sein, da ich gewöhnlich das Hohe begreife; suchen wir also die Erklärung unter unserem Niveau.«

Wer sich diesen Wink zu nutze macht, hat Aussicht, weise zu werden.

Der Leser hüte sich indessen vor abstrakten Fragen. Er muß – o Götter, wie vermeide ich das gräßliche Wort – er muß vor allem objektiv sein. Da steht's! Ich entlehnte die Kraft zu dieser Niedrigkeit der Wut, die mich befiel, als ich auf den Kellner wartete. Gerade in dem Augenblick, als ich schon soweit war, nicht zu solchem Allemannsausdruck herabsteigen zu können, kam er noch nicht, und so hatte ich einige Zeit, um ein Objekt zu suchen für die Objektivität, an der ich mich versündigen wollte. Denn ein Objekt muß sein!

Ich zählte mein Geld nach und rechnete aus, daß ich gerade noch genug hatte, um die Wissenschaft zu bezahlen, die mir geliefert werden würde. Aber wie sollte ich meine Fragen einkleiden? Welches Objekt ...

Da kam er, der Kellner:

»Was gefällig?«

»Herr Oberkellner, hier ist ein Taler, Ich bin gewöhnt, gute Trinkgelder zu geben ...«

Das Objekt, das Objekt!

Der Kellner machte seinen Kratzfuß und wollte abziehen.

Ich hatte noch immer kein Objekt gefunden, und da ich nun also nicht wußte, was ich sagen sollte, begann ich:

»Herr Kellner, ich wollte Ihnen mitteilen, daß ich ein eifriger ... hm ... ich wollte ... ich suche ... wie soll ich mich ausdrücken? Horaz sagt einmal: rerum cognoscere causas ...«

»Es wird im Adreßbuch stehen.«

»Nein, da steht es nicht drin. Solch Buch wimmelt von Druckfehlern, und man macht sie jetzt immer unzuverlässiger. Ich wollte Sie fragen ... sagen Sie, warum heißt dies Zimmer Nummer 32?«

Mein Objekt war gefunden!

»Ganz einfach, zu dienen! Nummer 31 ist hier daneben, und 33 an der anderen Seite; also ...«

Das »Ganz einfach« des Kellners befriedigte mich. Er, ein »Mensch,« sprach genau so wie die Gnomen von gestern abend. Es war Aussicht, daß ich die Wahrheit von da unten auf der Kruste verwenden könnte. Und das hatte ich doch vor.

Mein Lehrmeister wollte abgehen. Ich hielt ihn an und fragte:

»Warum haben Sie mir, als ich ankam, dies Zimmer angewiesen?«

»Ganz einfach, zu dienen, es war frei.«

Konnte es einfacher sein? Der Junge bekam wirklich Ähnlichkeit mit Semi-ur, und ich wunderte mich schon, daß er kein Talglicht auf dem Kopfe hatte. Auch hatte er, anstatt eines grauen Kittels, ein schwarzes Röckchen mit Schlippen an. Sonst war alles, was er sagte, »ganz einfach,« und ich sah beinahe ein, daß die Wahrheit unten und oben dieselbe ist.

Daß ich auf Nummer 32 wohnte, war ... die einfachste Sache von der Welt, und beruhte auf der Grundwahrheit ...

Gewiß doch! Das war selbstverständlich, daß man mich nicht auf 23 einquartiert hatte, wo ein Russe wohnte, oder auf Nummer 12, wo zwei Polinnen hausten. Auch nicht in 37, 38, 39 und noch ein paar mehr, die von Amerikanern, Franzosen, Holländern besetzt waren. Nummer 51 hatte man mir nicht gegeben, weil – ganz einfach – in dem Hotel bloß fünfzig Nummern waren. Ebenso deutlich war es, daß man mich nicht bei den Polinnen untergebracht hatte, oder bei den Holländern ... Ist das alles einfach oder nicht? Ich war beinahe zufrieden.

Aber die erstaunliche Scharfsinnigkeit meiner Wißbegierde drang mich, Unbefriedigtheit vorzuschützen. Ich fragte, ob denn alle anderen Zimmer besetzt gewesen seien?

»O nein, wir hatten noch frei ...«

Und er zählte alle seine leeren Zimmer an den Fingern her. Das gab wieder ein Objekt:

»So, wenn so viele Zimmer zur Verfügung waren, warum haben sie mich gerade auf 32 gebracht?«

»Ganz einfach, zu dienen! Die unbesetzten Zimmer sind von dreierlei Art: Familienzimmer, mittlere und kleine Zimmer. Und da der Herr aussah, als brauchte er nur ein kleines Zimmer ...«

Schon wieder die nüchterne Wahrheit, und einfach wie »Guten Morgen.« Aber:

»War denn das das einzige kleine Zimmer?«

»O nein!«

»Warum also gerade dies?«

»Ganz einfach, zu dienen! Der Herr kam, verlangte ein Zimmer, ich leuchtete dem Herrn und brachte ihn hierher, weil es hier das erste leere Zimmer auf diesem Flur in diesem Stockwerk war.«

»Sind mehrere Flure in diesem Stockwerk?«

»Ja, noch einer, rechts von der Treppe.«

»Warum haben Sie mich links geführt?«

»Weil auf dem anderen Gange etwas im Wege stand.«

»Hätten Sie mich sonst rechts geführt?«

»Das weiß ich nicht. Aber weil nun einmal der andere versperrt war ...«

»Was stand im Wege?«

»Stühle, Tische, Bettzeug, auf dem ein Reisender gestorben war ... zu dienen, das Zimmer wurde reingemacht ... alles mußte gereinigt werden, und gelüftet ...«

Ja, ein Reisender war in Nummer so und so auf dem anderen Flur gestorben. Er hatte sich erschossen. »Ein Spieler,« sagte der Kellner, aber er irrte sich ... wie ein Mensch. Es war höchstens einer, der gespielt und verloren hatte. Ein Spieler spielt auch und verliert auch – immer noch mehr als die Bank von ihm gewinnt! – aber er schießt sich nicht tot. Ein Hauptbestandteil seiner Leidenschaft – nein, Leidenschaft ist es nicht, sagen wir also Spielerschaft – ist: Hoffnung. Der echte wahre unverfälschte alte Spieler verzweifelt nie. Je grausamer das grillenhafte Glück ihm zugesetzt hat, desto mehr nimmt die Erwartung zu, daß eine gleiche Laune bald im umgekehrten Sinne ihm alles wiedergeben wird, und zwar mit Zinsen. Verzweiflung ist der Lieblingsfehler der Neulinge. Wenn du also in der Zeitung liest, daß dieser oder jener unglückliche Spieler sich ersäuft hat, so denke du: da hat ein Stümper sich das Leben genommen, weil er das Unglück hatte, kein Spieler zu sein.

Lieber Leser, der du gewohnt bist, alles in allem zu finden, du wirst gewiß schon die Bemerkung gemacht haben, daß Verzweiflung ein Beweis von schlecht angewandter Erfahrung ist. Wer die Geschichte studiert – die der Welt, der Völker, der Familien, des eigenen Gemüts oder der Spielkarten, es macht nichts! – hat eine Tabelle vor sich, auf der der endlose Wechsel sich so sonderbar dokumentiert, daß man bald anfängt, das Sonderbare gewöhnlich zu finden, und das Gewöhnliche als sonderbar ansieht. Ich habe sechs Zeros hintereinander kommen sehen! ruft ein Mensch, der am grünen Tische heimisch ist. Warum soll also die englische Marine unzerstörbar sein? sage ich. Oder das Deutsche Reich? Oder die Zölle? Oder unsere Begriffe von Gut und Böse?

Fräulein Lannoy hatte recht. Babylon, Titus' Triumphbogen, das Mausoleum, Ninive, ihre Krinoline – von alledem sind die Haken losgegangen.

Vielmehr noch, bestes Fräulein. Sie dachten schon etwas Rechtes von Vergänglichkeit gesehen zu haben, als Sie sich durch Philosophie und Geschichte über das Losgehen dieses Hakens trösten ließen. Hätte Ihre Philosophie aber standgehalten gegen den Verlust aller Ihrer Kleider, mit oder ohne Fischbein? Auch gegen den Verlust von allem, was darin steckte, gegen den Verlust Ihrer selbst? Das ist längst Wirklichkeit geworden, wenn es auch viel unwahrscheinlicher aussah als diese sechs hartnäckige Nullen auf der Roulette: ⅟37⁵, das ist, auf ein paar Ewigkeiten ausgerechnet, ein einziges Mal auf mehr als zweieinhalbtausend Millionen Sätze!

Der Kellner fragte mich, ob noch »etwas gefällig« wäre?

Ich dachte einen Augenblick nach, ob ich ihn fragen sollte, warum Amerika westlich von Europa liegt; aber mich hielt die Furcht zurück, daß er auch dies Objekt mit seinem »Ganz einfach« radikal auflösen würde, und ich ärgerte mich, daß es mir schon an Fragepunkten zur Untersuchung fehlte.

Übrigens, ich wollte versuchen, mir nun selber zu helfen. Um ihn im Notfalle wieder zu finden, fragte ich nach seinem Namen – »Hans Schlüngel, zu dienen« – enthielt mich nicht ohne Mühe der näheren Untersuchung, warum er gerade Hans Schlüngel hieß, und ließ ihn gehen.

*

Also ich philosophierte nun etwa so:

Ich wohne auf Nummer 32, aus ... einem Grunde. Dieser Grund besteht aus einer unendlichen Zahl von Ursachen, denen es ganz gleichgültig ist, ob ich sie kenne oder nicht kenne. Wenn es aber mein Interesse verlangt, sie zu kennen, ist es meine Pflicht, mir diese Kenntnis zuzulegen. Wenn ich dafür gesorgt hätte, alles zu wissen, durch was die Nummer dieses Zimmers bestimmt wurde, hätte ich die Nummer angeben können, ehe ich sie an der Tür las. Unter diesen Ursachen ist nichts Willkürliches. Alles ist gleich einfach. Was ist, muß sein. Diese Grundwahrheit ...

Ja, ja, zweimal zwei ist vier, und darum mußte Hans Schlüngel ein kleiner Junge sein, als er zur Welt kam. Und wenn er ein Junge blieb, ist auch die Ursache dieser Erscheinung ganz einfach. Es wäre unbillig zu verlangen, daß er in seiner Entwicklung die Naturgesetze vergewaltigen sollte.

Auch der arme Bursche, der sich auf Nummer Soundso totschoß, konnte nicht anders. Er ist ein Opfer der Grundwahrheit ...

Ich sah nun auch ein, daß ich eine der mitwirkenden Ursachen seines Todes war. Ohne mich war etwas anderes in der Welt. Wenn etwas anders wäre, wäre alles anders. Gewiß, wenn zweimal zwei nicht vier Ware, würde sich auch dreimal drei vergebens anstrengen, neun zu sein u. s. w. Das Wahre wäre unwahr, und Unwahrheit ist nicht. Wäre also alles unwahr, und deshalb nicht, so wäre Nichts. Und wenn Nichts existierte, so wäre auch der Mann auf Nummer Soundso nicht gewesen, und er hätte sich nicht totschießen können.

Anderseits hätte er mir vielleicht ebenso sein Leben zu verdanken wie seinen Tod vorzuwerfen. Das erstere hängt vom Alter ab. Aber daß ich an seinem Tode mitgewirkt habe, ist gewiß.

Er selber auch. Warum war er kein Spieler? Dann hätte er Hoffnung und Leben behalten. Der Arme muß ein böses Zweimalzwei im Gehirn, im Blut, im Herzen, in der Leber oder wo sonst gehabt haben. Vielleicht lag der Fehler an seinen Großeltern. Ich hätte große Lust, ihn und seine Vorfahren aufzuschneiden. Aber ich darf nicht. Sie nennen es Leichenschändung.

Die Erdmännchen haben es leicht. Niemand stört sie in ihren Untersuchungen. Ich glaube gern, daß sie alle Zwischen- und Nebenursachen überspringen und sich auf die allereinfachsten Grundwahrheiten beschränken! Sie dürfen aus der Quelle schöpfen. Ich »Mensch« muß mich durch Strauch und Dorn durchwürgen, bis ich abgemattet niedersinke. Wohlbeschaut, war es schon eine Anmaßung von mir, zu sagen, ich wüßte, warum ich auf Nummer 32 wohnte. Was nötigte mich nach dem Gelben Adler? Was oder wer hinderte mich, im blauen oder grünen abzusteigen? oder im Löwen, im Schwan, Fuchs, und sonstigem Viehzeug? Vorherbestimmung? Narrheit! Auch die Vorherbestimmung ist ... die einfachste Sache der Welt, und deshalb ebenso schwer zu verstehen wie der Rest.

Ursachen kennen, Zusammenhängen nachspüren, daraus ableiten, was folgen muß, sich nach dieser Kenntnis richten ... das werden meine Erdmännchen gemeint haben. Wenn ich mich auf das Gebiet lege, ist die Anwendung auf die Praxis ... wieder die einfachste Sache von der Welt, und die Millionen sind da.

Zur Übung werden wir also jetzt beginnen und die Ahnen jener sechs Nullen aufschneiden, und methodisch zu Werke gehen. Es wird meinen Kobolden Spaß machen, und Adolf auch, wenn sie hören, daß ich korrekt Schlüsse ziehe und mich gegen »Trainbuben« in acht nehme.

Der Anfang muß sein, daß ich die alberne Begierde nach Millionen von mir tue. Das ist die Hauptbedingung des Erfolgs. Warum krystallisierte Semi-ur so geschickt? Weil er keine Krystalle gebrauchte. Er trug nicht einmal eine Tuchnadel und schien auch keine Sehnsucht danach zu haben. Gerade die Gleichgültigkeit machte ihn geschickt. Gebet den Seidenwürmern seidene Kleider, und sie werden sofort mit dem Spinnen aufhören. Solange ich begehre, bin ich nur ein Mensch, und Menschen irren sich. Ich will ein Seidenwurm werden oder ein Kobold. Das ist der richtige Weg.

*

Nach kurzer Überlegung wählte ich das letztere.

So gut es ging, steckte ich mir ein Lichtstümpfchen auf den Kopf, schrumpfte etwas zusammen und schlug mir eine Beilage der »Kölnischen Zeitung« um die Lenden. Ich hatte gerade keine andere Schürze zur Hand und es war Eile nötig, denn ich hatte eben gelesen, daß wieder ein paar »Vereinigungen« gegründet waren, Dinge, die, wie jeder weiß, die Not aufs äußerste treiben. Übervölkerung, Hungerleiden, Verhandeln auch noch ... das ist zu viel!

Nun, meine Kölnische tat mir gute Dienste. Ich fühlte mich recht hellseherisch, und ich begann manches zu begreifen, darunter sogar einfache Dinge.

Sechs Nullen hintereinander!

Warum kam eine Null? Warum folgte darauf eine zweite, eine dritte, eine vierte, fünfte, sechste? Warum nicht auch noch eine siebente ... halt, Spitzbube, davon ist jetzt noch keine Rede! Die Ursachen dessen, was nicht ist, können aufgesucht werden, wenn noch Zeit übrig bleibt nach der gehörigen Erklärung alles dessen, was ist. So gehört sich's!

Sechs Nullen also, die jede für sich nur die Wahrscheinlichkeit ⅟37 hat. Wer die Ursachen dieser Kombination kennt, kann daraus schließen, wann sie – oder eine gleiche – sich wieder zeigen wird, und das macht ihn tatsächlich zum Kollegen ... der Grundwahrheiten, die die Welt regieren. Glückt mir das, so kann ich wohl etwas ins Werk setzen, was mir am Herzen liegt.

Was für Farbenfabriken würde ich errichten, um ein bißchen trinkbaren Thee zu bekommen!

Auch die Arbeiterfrage würde ich zu lösen suchen, eine Sache, wozu ich sonst noch keine Aussicht sehe. Mein Freund Hans Schlüngel würde sie gewiß »ganz einfach« finden. Ach, es war die höchste Zeit, daß auch ich glaubte, etwas davon zu verstehen. Ich bin zurückgeblieben ... nein, vielleicht gerade in der Kenntnis vorwärts gekommen, weil ich mir des Zurückbleibens bewußt bin. Es ist nicht so leicht, etwas mit gutem Grunde nicht zu wissen! Die Aufgabe des Philosophen ist: verstehen, auflösen. Wo er nicht versteht, darf man von ihm verlangen, daß er Gründe angebe, warum das Verstehen unmöglich ist. Und in gewissem Sinne kann das eine Auflösung genannt werden. Also!

Wenn man die Löhne erhöht, sinkt der Wert des Geldes, und kurz darauf wird der Arbeiter sich für das mehr Empfangene gerade ebensowenig Lebensgenuß verschaffen können, wie früher für das Wenigere, und deshalb ...

Ich muß wohl hierbei eine Bewegung gemacht haben, die mein Schürzchen nicht vertragen konnte. Die Kölnische riß. Von den Hallowaypillen und Todesanzeigen lief der Riß mit einigen Umwegen in die Politik, die ganz in Fetzen ging. Unterwegs wurden ein Paar Verlobte getrennt, die einander gerade gestern ewige Treue geschworen hatten, und die katholische Einheit sah auch jammervoll gespalten aus. Das Deutsche Reich ...

So eine Zeitung ist doch ein unbrauchbares Kleidungsstück für einen, der etwas wissen will. Ich warf das Blatt weg und zog ein Bettlaken an.

Ich will wissen!

Zunächst schrieb ich es der Farbe meiner neuen Schürze zu, daß ich mir selber weniger hellsehend vorkam als eben noch. Bei einigem Nachdenken indessen begriff ich, daß der Fehler weniger an dem Laken lag als an mir selber.

Ich hatte mich durch Spitzbuben vom Wege abbringen lassen.

Die Arbeiterfrage ist sehr wichtig, gewiß, aber durch Denken und Logik allein nicht zu lösen. Es gehört auch Macht dazu. Aber das führt mich im Kreise herum ... Intelligenz ist ja das erste Erfordernis dazu ...

Hatte nicht soeben mein Kellner seiner Erklärung der Ursachen meiner Zimmernummer einen blanken Taler zu verdanken? Ich bin sicher, daß seine Kollegen ihn jetzt mit anderen Augen ansehen, nach diesem klingenden Triumph seines Scharfsinns. Sie werden von jetzt an sein Urteil respektieren, und behauptete er ... ich weiß nicht was!

Das wird so lange gehen, bis ein anderer zwei Taler besitzt. Dieser wird dann entthront durch einen Kapitalisten von noch höherem Range u. s. w. Wer also der Reichste ist ...

Ich will der Reichste sein.

Dann wird man mir glauben, auch wenn ich die Wahrheit sage.

Um dies Ziel zu erreichen, ist Ordnung nötig, strikte Ordnung. Die Arbeiterfrage und die Farbenfabriken sollen ihr Teil haben. Das sind ... die allereinfachsten Dinge der Welt, gewiß! Aber ... erst diese sechs Nullen.

Die erste kam ...

Ja, es ist schwer zu sagen, warum? Hatten die übrigen Nummern sich totgeschossen? Das wäre ein Grund. Stand Wäsche auf dem Korridor, an dem 17 oder 23 oder 4 oder die anderen hätten kommen sollen? Wer das nun ganz genau wüßte!

Der Croupier, der die erste Null zuwege brachte, besaß, oder wurde besessen von verschiedenen Eigenschaften betreffs Saftmischung, Charakter, Kopf und Herz. Er dachte an etwas oder an nichts, als er sein Kügelchen warf und die Roulette drehte. Er warf und drehte schneller oder langsamer, je nach dem Eindruck, den alles Bestehende auf ihn ausübte. Durch gleiche Einflüsse wurde auch der Augenblick bestimmt, in dem er den Wurf tat. Die Frage kann sein, ob es in dem Saale stickend heiß war? Das macht nervös. Vielleicht war es auch kalt, und es zog, und wer dann die Nase schnaubt, muß seine sonstigen Tätigkeiten einen Augenblick einstellen. Und die Umstehenden! War etwa jemand da, der ihn am Ellbogen stieß? So etwas hat großen Einfluß auf die Nummer, die herauskommt. Wir wissen schon von Adolf, wie die Festgelage zu Persepolis und die der Römer nachgewirkt haben. Dieser Alexander ... das war auch einer, der sich mit Trainbuben einließ!

Es gibt nicht zwei Dinge, die einander vollkommen gleichen; es gibt also auch nicht zwei gleiche Arten, wie man den Arm ausstreckt oder die Finger bewegt. Um mit Genauigkeit zu berechnen, wie unser Croupier den Wurf tat, müßten wir wissen, ob sein Vater viel am Fieber litt, ob der Mann ein Trinker war, konservativ, ein Findelkind, Landwehrmann, gichtig, Bücherschreiber? Das werden wir alles genau untersuchen, da es von hoher Wichtigkeit ist, zu wissen, welche Eigenschaften der Sohn etwa geerbt haben kann.

Abgesehen davon würde es ruchlos sein, den Einfluß zu vernachlässigen, der noch immer auf den Zustand der Spieler, die den Tisch umstehen – und dadurch mittelbar auf unsere sechs Nullen – durch die Einnahme von Konstantinopel im Jahre 1453 ausgeübt wird. Trotz meiner Aufmerksamkeit hätte ich das beinahe übersehen, aber ich wurde daran durch einen Russen erinnert, der einen Kassenschein von hundert Rubeln zu wechseln gab. Einer der Angestellten fragte seinen Kollegen, der die Kugel werfen sollte, wie hoch der Kurs wäre? Dieser wendete bei der Antwort etwas den Kopf, und diese Bewegung teilte sich dem Arm mit. Auch wurde hierdurch der Wurf einen unberechenbar kleinen Teil einer Sekunde verzögert ...

Dieser Russe ist ein später Enkel eines Bauern, der unter Katharina II. durch Tapferkeit gegen die Ungläubigen – und wohl etwas auch durch andere Verdienste – es erreicht hat, daß seine Nachkommen sich mit ordentlichen Kassenscheinen an der Spielbank zu Wiesbaden zeigen können.

Du siehst also, Leser, daß die erste Null die Folge der Eroberung von Konstantinopel war. Oder daß wenigstens die Eroberung ...

Nein, nein, weg ihr Trainbuben! Eitelkeit und Trägheit wollten mich da verführen, vorzugeben, daß ich wüßte, was noch immer zum Teil unbekannt ist. Das bemerkte ich, als ich nach den Ursachen der zweiten Null suchte.

Ich ließ mir eine Liste aller eroberten Städte vorlegen, von Jericho bis Paris, und suchte darunter die Stammväter der zweiten Null. Vergebens! Es war mir unmöglich, die Familienbeziehung aufzuspüren, und da ich doch von meinen Gnomen gelernt hatte, daß sie da sein mußte, so wurde ich auch gegen meine Resultate in betreff der ersten Null mißtrauisch. Daß Mahmud ibn Murad in der Sache eine Rolle gespielt hatte, konnte wahr sein, aber es war nicht die Hauptrolle und sicher nicht die einzige. Es war recht nachlässig von mir, daß ich den schändlichen Friedensbruch der europäischen Fürsten außer acht ließ, durch den der neue Krieg verursacht wurde. Und die Gaukelmoral der römischen Kurie auch, die ausgerechnet hatte, daß man ungläubigen Türken sein Wort nicht zu halten brauchte. Es ist wahr, daß die Kurie dann der Einfachheit halber auch ihren Freund Palaiologos wie einen ungläubigen Türken behandelte.

Gewiß, gewiß, ich hatte viel außer acht gelassen! Die eigentliche Hauptursache der byzantinischen Katastrophe – und also meines Zero auch – wird wohl gewesen sein, daß die Griechen sich so zur Unzeit stritten über das Säuern oder Nichtsäuern des Abendmahlsbrotes und über die Frage: ob der heilige Geist vom Vater oder vom Sohne ausstrahle? Und noch mehr, was ich vernachlässigt hatte. Adolf hatte mich schön abgekapitelt.

Wie konnte ich die Geschichte des Elefanten übergehen, dessen Stoßzahn das elfenbeinerne Kügelchen geliefert hatte! Und die Liebe des schwarzen Akwasi zu Quammina, der Negerin? Nun, das läßt sich nachholen.

Also, der Sklave Akwasi liebte die schöne Quammina. Ein Sklave, kein Hirt, aber die Sache ist deswegen nicht weniger idyllisch. Er wollte sich loskaufen, und dazu brauchte er Geld. Er ging also, gewöhnliche Mittel verschmähend, auf die Elefantenjagd, und schoß so viel tot, als nötig war. Der erste Gebrauch, den er von seiner für, ich weiß nicht, wie viel Elfenbein erkauften Freiheit machte, war, daß er sich lebenslänglich dem »Gegenstand seiner Flamme« schenkte, wie die Franzosen sagen. Die jungen Leute waren glücklich, und der Vorhang fiel. Aber die Geschichte ist damit nicht aus. Unter den Elefanten, an die unser Bräutigam gekommen, die er aber zu ihrem großen Vergnügen nicht getötet hatte, war einer, der bei dieser Gelegenheit Mitursachs-Ahnherr oder Kausalschwager des Mannes wurde, der sein Leben beklagte. Akwasis Kugel war in seinen Stoßzahn gedrungen und blieb da drin hundert Jahre stecken, bis andere Jäger den Zahn herausholten. Das Elfenbein um die Kugel hatte sich in die Sache geschickt und hatte versucht, so regelmäßig weiter zu wachsen, wie es unter diesen Umständen möglich war. Die Faserchen hatten sich ergänzt und sie hätten wohl die ganze Kugel bald vergessen, wenn sie nicht durch den Druck genötigt gewesen wären, etwas mehr zusammenzurücken und so ein dichteres Gewebe zu liefern, als sie es unter normalen Verhältnissen gewohnt waren.

Als nun endlich aus diesem Stoßzahn das Elfenbeinkügelchen gedreht wurde, befand sich der Schwerpunkt nicht im Mittelpunkt. Wenn man Quamminas Liebreiz wegdenkt – es ist nicht galant, aber Wißbegierde und Millionen-Studien bringen solche Ruppigkeit mit sich – wäre das Kügelchen, nach der Resultante aller sonstigen Koeffizienten, in das Fach neben Null gefallen. Aber die Unregelmäßigkeit im spezifischen Gewicht ... ich brauche doch nicht zu erinnern, daß Dynamik und Statik die einfachsten Sachen von der Welt sind und ganz und gar auf der Grundwahrheit beruhen, daß zweimal zwei vier ist.

Wir wissen also nun genau ... halt! Der Tod der Tochter des Elfenbeindrechslers war ein trauriges Ereignis. Der Mann war sehr traurig. Sie war sein letztes Kind. Sie starb wie ihre Mutter, Brüder und Schwestern, an der Schwindsucht, und nun stand er allein in der Welt. Solange er noch weinen konnte, blieb seine Hand fest, aber als man glaubte, er hätte den Kummer verwunden, fühlte er sich gebrochen. Nicht so glücklich wie der Elefant, trug er die ihm durch das Schicksal geschossene Kugel im Herzen. Im Herzen, das sich nicht in den fremden Gast schicken wollte. Darum zitterte er so bei der Arbeit, und auch die Drehbank zitterte unter seinem unfesten Tritt. War es ein Wunder, daß das Kügelchen schlecht gedreht war, nicht sauber poliert, rauh, eckig, keine Kugel?

Ich weiß wohl, unsere Erde läßt auch, was die Genauigkeit der Ausführung betrifft, zu wünschen übrig. Vielleicht ist auch diese Kugel im Schmerz gedreht, und wenn das auf meinem Wege liegt, werde ich es untersuchen. Vorläufig lasse ich es genug sein mit der Erklärung, daß viel Traurigkeit des Werkmanns zu den Ursachen gehörte, die das erste Zero herbeiführen halfen. Die Großeltern haben Fehler begangen. Die Muttersmutter las zu viel Lafontaines Romane und ihr Mann packte seinen Hals in ein zu dickes Tuch. Darum starben die Kinder des Drechslers an der Schwindsucht.

Die Ursache meiner Null begann vor lauter Deutlichkeit zu glänzen. Nur an einigen Punkten stieß mein Geist noch auf etwas Unbekanntes. Ich mußte nämlich im Vorbeigehen noch untersuchen, warum eigentlich der Urgroßvater jenes Russen so nach Katharinas Geschmack war, daß sie ihn in einem Sprunge vom Tambourmajor zum General beförderte? Der Mann war sechs Fuß neun Zoll lang: das hatte sie gern. Gut. Aber warum war er so lang? Als Sohn eines Leibeigenen hatte man ihn in seiner Jugend viel geprügelt. Befördert das das Wachstum? Und noch eins: aus wie viel und welchen Gründen hatte man ihn nicht totgeschlagen? Das wäre auch möglich gewesen, und dann wäre also mein Zero weggeblieben. Durch welches Zusammentreffen von Umständen war sein Vater zur Welt gekommen? Wenn nun der alte Herr zehn Monate vor der Geburt seines Sohnes gestorben wäre? Was wäre dann aus meinem Zero geworden? Oder ... wenn die schöne Quammina einen Pickel auf der Nase gehabt hätte? Oder ... wenn Katharina die militärischen Würden mit Vorliebe an Zwerge verliehen hätte? Oder ... oder ... Diese »Oder« sind zahllos!

Es war also noch viel zu lernen.

Ich zog meine weiße Schürze um mich herum. Je mehr ich einem unmenschlichen Spuk glich, desto größer wurde die Aussicht, etwas zu begreifen. Manche werden behaupten, daß ich mich bei diesem Forschen an den Teufel verkaufte. Und in gewissem Sinn kann ich nicht widersprechen. Ich fühlte, daß ich von Rechts wegen sein Sklave wurde, aber ich tröstete mich mit dem Gedanken, daß ich sehr geduldig bin und daß so ein bißchen Sklaverei mehr oder weniger ...

Überdies, wenn es mir nicht mehr paßte, konnte ich ja auf die Elefantenjagd gehen.

Die erste Null! Da ging mir ein neues Licht auf.

Der wahre Stammvater war Boileau, und die Zeugungsgeschichte ... die einfachste Sache von der Welt. Diese Null wäre nicht gewesen, wenn keine Spielbanken existierten. Die Spielbanken sind aus Frankreich gekommen. Wiesbaden, Ems, Nauheim blühten und Homburg entstand, nachdem das Spiel im Palais Royal abgeschafft war. Diese Abschaffung war eine Folge der Moralisierei Louis Philipps, der seinem Neffen die Krone stahl, aber es unbillig fand, daß arme Schelme ihr Glück am Roulette suchten. Die Prüderie dieses Königleins war ... eine Elefantenjagd auf ein bißchen Philister-Ehre nach all der Liederlichkeit seiner Ahnen. Die Eigenschaften der Ahnen stammten geradeswegs von allerlei Pickeln auf dem Charakter von Louis XIV. Dieser Affe ...

Wer machte ihn zum Affen?

Nun, die Dichter, die Reimlügner, die Verseschmiede. Wer war davon der eifrigste, der albernste, der verderblichste? Das war Boileau Despréaux, der richtige Typus der Sorte. Es lebe Boileau, der Ursachen-Vetter von Quammina, von Lafontaine, von dem Elefanten, dem Russen, von Mahmud, dem ungesäuerten Brot, dem heiligen Geist der Griechen, Konstantinopel und dem betrübten Drechsler.

Der Stammbaum der Dynastie »Ursache« entrollt sich vor meinem Auge.

Das ist ganz etwas anderes als Lola Montez, Melchisedek und Orelius von Araukanien. Adolf würde mit diesem Scharfsinn sehr zufrieden sein. Ich sehe nun deutlich, daß ich alles weiß. Die erste Null liegt mit ihrem ganzen Stammbaum nackt vor mir, beinahe schon unanständig. Diese Quammina ... aber darum handelt es sich nicht.

Eine Null habe ich, besitze ich, verstehe ich, ergründe ich. Noch fünfmal soviel Anstrengung und ich hab's!

Hier machte ich die Wahrnehmung, daß meine Kerze schon in den Halter hineinbrannte.

Ich klingelte, um ein neues Licht zu verlangen, aber erst legte ich mein Bettlaken ab. Ich wollte keinen Anstoß geben. Vielleicht war der Kellner evangelisch-lutherisch oder so etwas, dann hatte es seine Frömmigkeit beleidigt zu sehen, daß ich mit Gnomen und Teufeln zu tun hatte.

Es war wieder wie sonst. Niemand kam. Ich beschloß bei dieser Gelegenheit, wenn ich alle anderen Fragen gelöst hätte, wollte ich eine neue Sorte Kellner fabrizieren, mit der Eigentümlichkeit, stets eine ganze Sekunde früher zu kommen, als man sie rief. Da ich noch nicht ganz soweit war, mich dieser Verbesserung zu widmen, klingelte ich noch einmal. Wieder vergebens.

Warten ist immer ärgerlich, besonders wenn man um Licht verlegen ist. Diesmal aber tröstete ich mich leichter als sonst, weil ich mich mit einem sehr angenehmen Gegenstand beschäftigen konnte. Ich war nämlich mit meiner Intelligenz ausnehmend zufrieden und sprach darüber liebkosend mit mir selber. Ich hätte mich küssen mögen. Viel verlangen ist keine Kunst, aber so schnell den rechten Weg aufzuspüren, auf dem man das Verlangte erreichen kann, ist wirklich keine Kleinigkeit. Zwar mußte ich noch herausfinden, wie die Franzosen – und andere dazu kamen, das dumme Gereimsel von so einem Boileau und Genossen für Poesie anzusehen. Auch war ich noch im Zweifel um den Zusammenhang zwischen dem Wahnsinn der Griechen und anderem Wahnsinn jüngeren Datums ...

Mit meiner eben erworbenen Intelligenz würde ich das aber schon noch finden. Ich kliügelte also zum drittenmal und so kräftig ich nur konnte.

Wer, wie ich, alles versteht, kann alles nach seinem Sinne zwingen. Das war mir ziemlich klar ... wenn ich nur ein Licht gehabt hatte! Ich schellte nochmals.

Daß ich jetzt nicht alles so deutlich sehe wie vorher, dachte ich, liegt an meiner mangelnden Gnomentoilette. Nachher werde ich ...

Und ich schellte noch einmal. Ein Toter hätte kommen müssen bei solchem Geklingel.

Ich hätte jetzt gern von Adolfs Fluch über die Lämmer Gebrauch gemacht, wenn nicht meine Intelligenz eingesehen hätte, daß ich eine solche Herde unmöglich unterbringen konnte. Und auch das Schwert ... lieber Gott, was hat man von einem Schwerte ohne Kriegskunde!

Endlich, endlich kam jemand zum Vorschein.

Es war Herr Prellmayer selbst, der Wirt des Gasthofs. Er entschuldigte sich wegen des Ausbleibens seines Kellners. Ich erfuhr, daß mein Freund und Fragekasten Hans ein ganz gemeiner Kerl war.

»Der Bub' is ä Vieh,« sagte Herr Prellmayer im Tone gemütvoller Überzeugung. »Er ist faul, dumm ...«

»Dumm?«

»Wie ä Vieh! Und ... ein Säufer. In der Wirtschaft kann man keine angebrochene Flasche stehen lassen, und kaum hat er sechs Kreuzer in der Tasche, läuft er in den Krug. Wie er heute zu Gelde gekommen ist, weiß der Teufel. Er ist weggelaufen und kam besoffen zurück. Ich hab' 'n an die Luft gesetzt. Darum haben der Herr so lange warten müssen. Entschuldigen Sie, es soll nicht wieder vorkommen.«

Wie er zu Gelde gekommen war? Nun, das wußte ich.

Mein Taler war Stammvater geworden, oder besser Mitstammvater. Faulheit, Dummheit, Suff ... alles das hatte mit den dreißig Groschen mitgewirkt, um den Burschen auf die Straße zu setzen. Das war die einfachste Sache von der Welt, und beruhte auf der Grundwahrheit ...

Da stürmten auf einmal Mägde, Knechte, Kellner, Kinder, Frau, die ganze Familie des Hauses Prellmayer in das Zimmer.

»Ach herrejees! Was der für 'n Schwein hat, der Hans, der Schlüngelhans! Papa ... lieber Mann ... Herr Prellmeyer ... kolossal ... großartig ... nein, aber so 'n Schwein! Wer hätte das gedacht!«

Der Leser weiß, daß »Schwein« in der Sprache des »Kladderadatsch« soviel wie »Glück« bedeutet. Das Wort steht im Gegensatz zu »Pech« und ist gleichen Ranges.

Was war geschehen?

Der Lümmel war mit dem Gulden, den er nach seinem Besuch im Wirtshaus übrig hatte, ins Kurhaus gegangen und hatte das Geldstück auf Rot gesetzt. Er gewann, gewann, gewann ... war zu benebelt, um seinen Einsatz zurückzunehmen, ließ auch den Gewinn stehen, der immer höher und höher stieg, erreichte nach zwölf Sätzen das Maximum, gewann dann noch so zehnmal, und befand sich, ohne es selbst zu wissen, im Besitz von mehr als vierzigtausend Gulden!

Da saß ich nun mit meinen Kenntnissen!

»Gott soll mir selig ...« u. s. w., rief ich jetzt Adolf nach, ohne mich im geringsten um das eventuelle Unterbringen der Schafe zu kümmern. Ich verfluchte meine Kausal-Dynastien, meine Weisheit, meine Gnomen, Bettlaken und Kerzen eingeschlossen ...

Denn ich gab mich der Leidenschaft hin, einem Trainbuben, hätte Adolf gesagt.

Und ich stürmte nach dem Kursaal.

Unterwegs begegnete ich Hans. Er hatte sich schon drei Damen und eine Kutsche angeschafft, oder war mitsamt der Kutsche von den Damen annektiert. In Badeorten ist man stets auf solche Glücksfälle vorbereitet. Jedenfalls ... die Damen und Hans ... »alles« war diesmal in dem einen, denn sie saßen alle vier im Wagen und kutschierten ...

»Gott soll mir selig ...«

War es nicht, um alle Schafe der Welt zusammenzufluchen?

Ich tat es auch. – –

Ich möchte dies Kapitel nicht so unmoralisch schließen. Nicht als ob ich den Fluch so schlimm fände, aber wegen des Triumphs des Bösen. Es sähe so aus, als ob meine Intelligenz und Arbeit zu machtloser Wut verurteilt wären, während der faule liederliche Hans obenauf ist. So muß man kein Kapitel schließen.

Denn wer das Buch jetzt zuklappt, könnte in Versuchung kommen, sein Glück in der Verkehrtheit zu suchen, und ich beeile mich, davor zu warnen. Die »Damen,« durch die Hans sich hatte anschaffen lassen, erleichterten ihn in wenigen Tagen eines großen Teils seines Reichtums. Er sah das mit an, ohne sich zu ärgern, denn er wußte ...

Ja, ja, wissen, wissen! Auch unser Schlüngelhans machte schon in Intelligenz.

Er wußte ganz genau, was man tun muß, um neue vierzigtausend zu bekommen. Man brauchte ja bloß im betrunkenen Zustande auf Rot – oder Schwarz – zu setzen und dann sein Geld stehen zu lassen, bis die Summe beisammen war. Das war ja die einfachste Sache von der Welt und beruhte auf der Grundwahrheit ...

Die Gegensätze berühren sich. Meine weisen Gnomen hatten etwas Ähnliches gesagt. Aber diese Übereinstimmung darf uns nicht zu falscher Anwendung verführen.

Es wird jetzt Zeit, von Gnomen und Kellnern Abschied zu nehmen und aus eigenen Augen zu sehen. Das will ich denn auch versuchen. Aber erst will ich noch die Moral retten und steile deshalb mit, daß unser Hans wenige Wochen nach seinem »kolossalen, großartigen Schwein« der Polizei in die Hände fiel, als er ein Paar alte Stiefel stehlen wollte. Um nämlich wieder vierzigtausend Gulden zu gewinnen, brauchte er notwendig einen ersten als Einsatz, und den suchte er in diesen Stiefeln. Ein Fehler. Er wurde bestraft, und später wird er wieder gestohlen haben, sodaß wahrscheinlich sein »Schwein« der Stammvater von vielem »Pech« geworden ist. Welches Glück aber aus seinem Aufenthalt im Zuchthaus später entstehen wird, weiß ich heute noch nicht.


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