Adam Müller-Guttenbrunn
Die schöne Lotti und andere Damen
Adam Müller-Guttenbrunn

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Die historische Tür

Kürzlich starb in Berlin eine Schauspielerin, die einst sehr beliebt und sehr berühmt war. Sie galt viele Jahre hindurch, namentlich in den mittleren Städten, als der beste Gast für die Direktoren. Das Publikum hatte an ihrer rundlichen, gemütlichen Persönlichkeit seine Freude und sie brachte immer die neuesten Stücke von Paris, Berlin oder Wien mit. In den kleinen deutschen Residenzstädten stand sie in hoher Gunst. Aber sie wußte sehr wohl, daß dies nicht lange dauern würde, wenn sie nicht immer in Fühlung bliebe mit den großen Mittelpunkten des künstlerischen Lebens. Darum legte sie Gewicht darauf, jeden Winter eine Zeitlang entweder in Wien oder in Berlin zu wirken. Durch die hauptstädtische Presse ließ sie auf solche Art ihren Ruhm stets wieder auffrischen. Das hat sie mir, wie oft, versichert, daß es ohne diese Mithilfe nicht ginge. Der Resonanzboden der großen Städte und der großen Zeitungen, sagte sie, sei für die Gastspieler und Virtuosen das Sprungbrett für den breiten Froschteich der Provinz. Und jedes Jahr mindestens eine schöne neue Rolle sei auch nötig. Daran aber fehlte es oft. Und wenn keine solche Rolle da war, dann hieß es schwimmen. Und manchmal mußte auch zu dem Auskunftsmittel eines mehrmonatigen Engagements »als Gast« gegriffen werden.

Ich sah meine liebe Freundin Hilda zuletzt im Salzkammergut.

Es war vor fünf Jahren. Lange hatten wir uns nicht gesehen, aber sie war nur wenig verändert. Warum sie denn nicht mehr gastiere? war meine erste Frage. Über ihre heiteren Züge flog ein Schatten. »Weil heutzutage nur lauter Quatsch geschrieben wird«, sagte sie in ihrer kurzangebundenen Weise und fing von anderen Dingen zu reden an. Aber sie kam doch bald von selbst auf das Theaterthema zurück, als wir im Rauchsalon des Hotels beieinander saßen und uns ausplauderten. Sie beklagte sich bitter über die moderne Literatur. Sie war als Darstellerin naiver Frauencharaktere groß geworden und sie wagte sich selbst mit vierzig Jahren manchmal sogar noch an junge Mädchenrollen. Ihr liebes Gesicht blieb immer dasselbe und der Ton heiterer Schalkhaftigkeit versagte ihr nie. Aber was half das Gesicht? Das Gewicht verdarb zu viel. Es kam bei ihrer kleinen Figur immer darauf an, wieviel Kilogramm sie wog. Wenn sie es durch scharfes Training wieder einmal auf siebzig herabgebracht hatte, konnte sie auch junge Mädchen spielen. Sobald sie aber wieder auf ihre fast normalen achtzig kam, war es damit aus. Das Gretchen war längst in ihrem rosigen Speck erstickt, der Nora und der Francillon drohte dasselbe Schicksal. Und neues wurde ja nicht mehr für sie geschrieben von den modernen Milieudichtern. Hilda gestand mir einmal, daß sie den festen Entschluß gefaßt habe, sich an dem Tage, da ihr Körpergewicht neunzig Kilo erreiche, zu erschießen. Und um dieser Lebensgefahr zu entgehen, lief sie auf alle Berge und radelte jeden Sommer ein paarmal von Toblach über die Ampezzostraße nach Venedig.

So erhielt sie sich aufrecht. Aber die Dichter verließen sie immer mehr. Es gab keine neuen naiven Rollen mehr für sie und Bestien konnte sie nicht spielen. Sie mußte lachen können und fröhlich sein auf dem Theater. Und da es das nicht mehr gab, ihr altes Repertoire aber keine Anziehungskraft mehr ausübte, so verbitterte sie langsam und zog sich zurück. Aber alt wollte sie trotzdem nicht werden. Sie hielt sich streng an ihre achtzig Kilo, was für ihre Figur nicht gerade zu viel war und sie glaubte fest an den Wandel der jetzigen Literaturmode. Immer hielt sie Umschau nach einem neuen Stück, in dem sie ihre Auferstehung feiern könne. Nur nicht bei Lebzeiten vergessen werden! Das war zur fixen Idee bei ihr geworden. Und Mütterrollen zu spielen, war ihr ein Greuel. Dafür fand sie den Ton nicht. Sie hatte den Übergang in das ältere Fach nicht finden können und sie wollte ihn auch gar nicht finden. Lieber entsagte sie ganz.

Hilda kam mir recht wunderlich vor mit dieser Schrulle. Und ich sagte mir im stillen, daß das doch eine Art Wahnsinn sein müsse bei Theatermenschen. Selbst die Illusion der Bühne hat ja ihre Grenzen, namentlich für die Frau, und mir waren die bis an das Kinn eingemummelten fünfzigjährigen Naiven, die ihren Hals nicht mehr entblößen können, weil dort die Zahl ihrer Lenze am sichersten eingekerbt ist, immer ein komisches Rätsel. Aber Hilda schien ein Anrecht auf ewige Jugend zu haben. Ihr rundliches glattes Gesicht hatte einen rosigen Schimmer beibehalten und ihre Stimme war hell geblieben wie die eines Mädchens.

Wir hatten gut gegessen und waren allein im Rauchsalon geblieben. Draußen goß es in Strömen und sie beschloß, ihre Dachsteintour, auf der sie drei Kilo lassen wollte, um einen Tag oder zwei zu verschieben. In dieser Stimmung taute sie auf und gab ein paar Geschichten aus ihrem Wanderleben zum besten, die mich höchlich ergötzten. Eine davon will ich hier mitteilen.

Hilda erzählte: »Du weißt, daß ich so dumm war, mit zwanzig Jahren einen Tenoristen zu heiraten. Na, wir haben uns nach drei Kriegsjahren friedlich getrennt und jedes ging seine eigenen Wege. Ich war ganz frei und unabhängig und habe mich nie wieder gebunden. Das taugt für uns Zigeuner nicht. Wenn mir einer gefiel, habe ich ihn nicht verschmachten lassen, so grausam war ich nie. Aber wie einer den leisesten Versuch machte, an meine Freiheit zu rühren, flog er 'raus. Ich war ja gewitzigt. Nur einmal im Leben ist mir das selber passiert. Und zwar mit einem sehr, sehr hohen Herrn.«

»Erzähle, erzähle!«

»Der Theatermarkt hatte mir wieder einmal nichts Brauchbares gebracht, ich hatte gar keine neue Gastierrolle und saß fest. Da gab ich dem Drängen des Hoftheaterintendanten in – in . . . na, sagen wir X. nach und ließ mich für ein paar Monate mit einer mäßigen Gage, aber allen erdenklichen Vorrechten, als Gast vor seinen kleinen Thespiskarren spannen. Ich war dort von meinen Gastspielen her sehr beliebt und man sagte mir, der Landesvater selber wünsche mein Engagement.

Als ich das letztemal dort gastiert hatte, umschmeichelte mich eine alte, pensionierte Sängerin des Hoftheaters, von der die Sage ging, daß sie einmal sehr beliebt und geschätzt war bei Hofe. Sie bot mir in einer ganz auffallenden Art ihre Gastfreundschaft an für die Zeit meiner Anwesenheit in X. Man habe ihr aus Gnade eine große Wohnung gelassen, sie wisse gar nicht, was sie mit derselben beginnen solle und sie beherberge stets mit der größten Freude berühmte Gäste oder auch engagierte Kolleginnen, die ihr gefallen. Und in mich sei sie ganz verliebt, versicherte sie. Wann immer ich komme, zwei oder auch drei Zimmer stünden zu meiner Verfügung.

Dieses Angebotes der alten Frau Galimberti – so hieß die ehemalige Primadonna – erinnerte ich mich jetzt. Denn du weißt, sparsam war ich immer. Und wenn man einen Winter schon weniger verdient, so darf man doch ein so großmütiges Angebot nicht von der Hand weisen. Ich sah mir daher die Wohnung jetzt an und sie gefiel mir ungemein. Das Haus lag im Zentrum der Stadt, dicht neben den weitläufigen Nebengebäuden des Schlosses, es war an diese sogar angebaut, aber durchaus als Miethaus behandelt, obwohl es zum Besitz des Hofes gehörte. Und man sagte mir, dasselbe sei ausschließlich von alten, pensionierten Hofbeamten und Militärs bewohnt, die da gegen billige Miete ein Unterkommen gefunden hätten. Die Galimberti hatte die Wohnung als pensionierte Primadonna frei und sie bot mir dieselbe ebenfalls umsonst an. Ich möchte mich als ihren Gast betrachten für drei Monate. Sie selbst habe noch zwei Hofzimmer für sich und sie werde mich gar nicht genieren. Das nahm ich nicht an und sie willigte schließlich ein, daß ich ihr ein paar Mark monatlich bezahle.

Ich war glücklich über dieses Arrangement und richtete mir es ganz behaglich ein. Allzu viel Arbeit gab es in X. nicht und ich konnte hier gemächlich Umschau nach Novitäten für mich halten und abwarten, bis sich wieder ein Ausflug als Gast verlohnte. Im Theater verwöhnte man mich. Was ich wollte, kam dran, was ich nicht spielen wollte, blieb weg. Dreimal wöchentlich gehörte die Bühne mir; an den anderen Tagen der Woche mochten sie mit der Bude machen, was sie wollten. Der Intendant wagte sogar ein paar pikantere Sachen mit mir, die sonst am Hoftheater verpönt waren. Der Hof selbst aber, der sonst immer anwesend war, wenn ich spielte, erschien an solchen Abenden nicht. Doch bewegte sich manchmal im Hintergrund einer Inkognitologe, die ganz im Proszenium lag, auch an solchen Abenden ein dunkler Schatten.

Der Landesherr, ein robuster Vierziger, hatte eine fromme Gemahlin und auch er galt als ein Mucker. Sein Hofkaplan, so erzählte man sich, dirigierte ihn. Derselbe zensurierte uns manchmal auch die einzelnen Stücke. Francillon zum Beispiel durfte ich nur einmal spielen. Die Szene, weißt du, in der ich mein langes Blondhaar immer aufrollte und wie eine kleine Wilde dastand, die fand der Hofkaplan anstößig. Im Text war sehr viel gestrichen. Selbst Worte, wie die, daß die Frauen, die ihre Kinder selbst stillen, ihre Männer meist entwöhnen, durften nicht gesprochen werden. Ich war sehr rabiat darüber. Die Galimberti hetzte mich noch. Sie sagte mir, man habe an höchster Stelle diese Schikane auch schon übel vermerkt. Und ich faßte den Entschluß, um eine Privataudienz zu ersuchen, da der Intendant machtlos war.

Meine Hausfrau lächelte ganz eigen. Sie werde das arrangieren, sagte sie. Ich möge mich morgen Abend als Francillon ankleiden, aber nicht schminken. Vielleicht wäre es möglich, daß ich die ungestrichene Rolle jemandem vorspreche, der Einfluß habe.

Wem?

Das könne sie noch nicht sagen. Und mehr war aus ihr nicht herauszubringen. Am nächsten Abend saß ich als Francillon wie auf Kohlen in meiner Wohnung. Die Galimberti war aber unsichtbar. Wollte sie mich etwa abholen und in einem Wagen wohin bringen zu der kleinen Komödie? Ich wußte es nicht. Endlich hörte ich, wie ein Schlüssel in einem Schloß knarrte. Was war das? Und jetzt klopfte es. Aber wie? Dieses Klopfen kam aus meinem Schlafzimmer! Ich trat an die Tür desselben und rief hinein: »Ist wer hier?« Da öffnete sich zu meinem sprachlosen Erstaunen die Wand neben meinem Toilettespiegel und es erschien ein Mann in derselben.

Es war Serenissimus!

Rasch kam er auf mich zu, reichte mir lächelnd die Hand und bat um Entschuldigung, wenn er mich erschreckt habe. Es sei ein Scherz. Diese geheime Verbindungstür mit dem Schloß, die niemand als er kenne, mache es ihm endlich möglich, mich zu sehen, mich ungestört zu sprechen, was er schon lange gewünscht. Eine Audienz sei ganz überflüssig, wann immer ich ihn sehen wolle, stünde er zu meiner Verfügung.

Er redete fort, denn ich hatte meine Fassung noch immer nicht gewonnen. Und er reichte mir schließlich den Arm und führte mich in den Salon. So sicher, so selbstverständlich, als ob er hier zu Hause wäre und nicht ich.

Als ich die Sprache endlich gefunden hatte, lachte er mich aus. Er hätte mich für couragierter gehalten. Und er bat mich nun wirklich um die Francillon. Was sein gestrenger Hofkaplan ihm im Theater verbiete, das müsse er ihm hier wohl oder übel gestatten.

Und er lachte.

Ich begann ihm die Rolle vorzusprechen, und denke dir, er verlangte ein Buch und brachte mir die Stichworte. So sicher, so einfach, als ob er das schon hundertmal getan, als ob das bisher zu seinen Regierungsgeschäften gehört hätte. Und während ich redete und redete und in der großen leidenschaftlichen Szene mein Haar schüttelte und es wie eine goldene Flut über meinen Rücken hinabfließen ließ, hingen seine Blicke verlangend an mir. Mich aber überfiel bei seinem lüsternen Anblick die Frage: wieviel Vorgängerinnen in dieser Wohnung ich wohl schon gehabt haben möge? Es wurde mir immer klarer, daß ich da in eine Mausefalle gelockt worden war und es empörte sich etwas in mir dagegen. Er schloß mich am Schluß der großen Rede in die Arme . . . Ich aber wollte nicht. Ich war gewohnt, mich zu verschenken; mich in einem Netz fangen zu lassen, widerstrebte mir. Und ich machte dem Herrn Landesvater eine Szene, wie er wohl noch keine erlebt haben mochte.

Er mußte mich an diesem Abende verlassen, ohne sein Ziel erreicht zu haben. Ich gab ihm das Geleite bis zur Tapetentür. Und als er hinter derselben verschwunden war, rückte ich meine Toilette vor diese Tür, die der Fürst von außen selbst wieder abgeschlossen hatte. Nie wieder sollte er da eindringen!

Aber man ist schwach . . . Als er am nächsten Abend wieder an jener Tür pochte, hatte ich nicht den Mut, Serenissimus den Eintritt zu verweigern. Ich beeilte mich, die Toilette wieder wegzurücken. Die Situation war mächtiger als mein Wille – in drei Tagen war ich doch seine Geliebte.

Meine Phantasie half dabei mit. Schon die Romantik dieser heimlichen Zusammenkünfte bestach mich. Das Geheimnis, das nur wir zwei und die Galimberti kannten, hatte seinen eigenen Reiz. Er kam und ging und niemand in der ganzen Stadt hatte eine Ahnung von unseren Beziehungen. Der Hofkaplan dirigierte die Hausordnung im Schloß und beschnüffelte das Repertoire des Hoftheaters, aber bis hierher reichte seine Macht doch nicht.

Mein »Fritzchen« – so wollte er von mir genannt sein – kam, wann es ihm beliebte. Nie, weder bei Tag, noch bei Nacht, war ich sicher vor seinen Besuchen. Aber es war mir nicht vergönnt, diese Besuche auch einmal zu erwidern. Nur »Er« besaß einen Schlüssel zu jener Türe. Das verdroß mich. Die neugierige Eva in mir lehnte sich auf gegen dieses Verhältnis und ich bat um einen Schlüssel. Er wurde mir verweigert. Als ich dringender wurde, sogar sehr schroff. Ich gehörte ihm, aber er nicht mir. Er blieb der Jupiter, der seine Lüste spazieren führte, wann es ihm beliebte. Ich hatte Liebesdienst, so oft er es wünschte.

Meine ganze bisherige Laufbahn und mein selbständiger Charakter widersprachen einer solchen Lage und es bereitete sich allmählich eine Auflehnung in mir vor gegen diesen seltsamen Bund. Von der Galimberti hatte ich erfahren, daß sie einst dasselbe gewesen, was ich jetzt war. Aber bei seinem Vater . . . Diese Tür sei eine historische und sie hüte sie nun schon fast vierzig Jahre. Hinüber sei auch sie nie gekommen. Und nie habe eine dieses lächerliche Verlangen gestellt.

Ich aber war übermütig, ich machte heimlich einen Wachsabdruck von seinem Schlüssel und ließ mir ebenfalls einen anfertigen. Ihn zu besitzen war mir schon ein befriedigendes Gefühl. Vielleicht benützte ich ihn eines Tages und machte dem Fritzchen einen heimlichen Gegenbesuch. Warum nicht? Was konnte mir geschehen, wenn ich im hellen Nachtgewand . . . Ich konnte schlimmstenfalls die »weiße Frau« dieses Fürstenschlosses werden. Die Mucker da drüben glaubten doch wahrscheinlich alle an Gespenster.

So spielte ich mit dem Gedanken. Aber ihn auszuführen, hatte ich doch eine geheime Scheu. Ich war seit meiner Kindheit nicht frei von Furcht. Und wer weiß, durch welches Winkelwerk der Weg führte. Und so suchte ich denn durch »Fritzchen« etwas zu erfahren über die Situation hinter der Mauer meines Schlafzimmers. Meine Neugier war ihm sehr peinlich. Aber endlich erfuhr ich doch so viel, daß der Weg durch einen Nebenraum der Schloßkapelle führe. Das belustigte mich ungemein und in meinem Übermut ließ ich mich hinreißen, ihm anzukündigen, daß sich nächstens von dieser Kapelle aus ein Wunder begeben würde. Die »weiße Frau« werde aus der Tür der Kapelle treten, die Burgwache werde fliehen oder gelähmt sein vor Schreck; und so würde die Unheimliche ungehindert weiter und weiter vordringen bis an die Gemächer der Landesmutter. Käme ihr vielleicht zufällig dort der Hofkaplan entgegen, dann würde ihn der Geist fragen, wo der Herr Landesvater wäre, denn dessen Ahnfrau sei gekommen, ihm beizustehen gegen die Duckmäuser und Intriganten an seinem Hof.

Nie vergesse ich das entsetzte Gesicht meines Gastes. Er nahm meinen tollen Scherz sehr ernst. Die Beine schlotterten ihm. »Du hast einen Schlüssel?« gluckste er endlich hervor. Ich schwang denselben in der Hand und mußte fürchterlich lachen über seine Todesangst, die ihn aller Würde beraubte. Er fühlte schon die Krone wanken auf seinem Haupte. Der Frömmler sah sich schon entlarvt und bloßgestellt und ich suchte der Sache zuletzt vergeblich eine harmlose Deutung zu geben.

Schlechter Spaß . . . Sehr schlechter Spaß . . . sagte Serenissimus und zog sich zürnend zurück.

Drei Tage kam er nicht. Ich hatte an diesen Tagen stets lange Proben und abends spielte ich zweimal. Meine sonstige häusliche Zerstreuung ging mir nicht sonderlich ab, aber als mein Jupiter auch am vierten Tage nicht kam, sagte ich mir, daß ich da eine Dummheit gemacht hätte. Denn nun tat es mir doch leid, in Ungnade gefallen zu sein. Ich suchte die alte Galimberti auf, die mir auch sehr verändert vorkam. Wortkarg, bissig, unhöflich über alle Maßen empfing sie mich. Als ich anfing, aufzuklären und einzulenken, fuhr sie mich wie eine Rasende an.

»Suchen Sie sich die Tür!« rief sie. »Suchen Sie sich die Tür! . . . Zu! Zu!« schrie sie ununterbrochen.

Was? Die Tür wäre . . .?

»Zu! Zu! Zu!« rief sie unaufhörlich. »Ich selbst in Ungnade! Zu! Zu! Zu!«

Ich lief in mein Schlafzimmer, tappte die Wand ab, fand aber die Tür nicht mehr. Nur wenn man sehr genau hinsah, merkte man, daß da die Tapete erneuert worden war.

Die historische Tür war zugemauert worden, während ich bei einer Probe gewesen.

Die Frau aber, die sie vierzig Jahre lang gehütet hatte, kündigte mir an, daß ich augenblicklich ausziehen könne.

Und ich ließ mir das nicht zweimal sagen. Ich packte meine Koffer und fuhr fort aus X.

Es war das einzige Mal, daß ich aus einem Engagement durchging. Aber es hat mich niemand wegen Vertragsbruch verfolgt, niemand verklagt. Die Tür hinter mir war zu und ich konnte gehen.«

Das erzählte mir Hilda in ihrer flotten, frischen Weise vor einigen Jahren im Salzkammergut. Und jetzt ist sie tot. Sie hat ihre künstlerische Auferstehung, an die sie fest glaubte, nicht mehr erlebt. Ob sie Erinnerungen hinterlassen hat, weiß ich nicht. Die Geschichte von der historischen Tür würde darin sicherlich enthalten sein.


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