Adam Müller-Guttenbrunn
Die schöne Lotti und andere Damen
Adam Müller-Guttenbrunn

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Vorspiel im Theater

Personen:

Der Theaterdirektor.
Der Direktionssekretär.
Frieda Lanz.
Ein Herr aus Baden.
Der Theaterdiener.

Schauplatz: Das Direktionsbureau eines neueren Wiener Theaters. Zeit: Von 6 bis 8 Uhr abends.

Erste Szene:

Der Direktor (ein Mann in der Mitte der Vierzigerjahre, welliges, dichtes braunes Haar, hohe Stirn, noch keine Glatze, lebhafte Augen. Er begleitet seine Rede stets mit einem lebendigen Gebärdenspiel. Sitzt bei seinem Schreibtisch, hat ein Manuskript vor sich, versucht zu lesen, ist aber sehr zerstreut und voll innerer Unruhe. Es ist der Abend der ersten Klassikeraufführung an seinem Theater. Liest. Blättert. Klingelt.)

Der Theaterdiener (ein behäbiger, gemütlicher Plauscher, tritt ein): Befehlen, Herr Direktor?

Direktor: Sehen Sie doch einmal nach, ob alles im Hause ist. Und zeigen Sie mir jedes Mitglied schriftlich an, das nicht eine Stunde vor Beginn hier war.

Diener: Ich hab' schon . . .

Direktor: Es darf uns nicht wieder ergehen, wie neulich, wo Sie den Herrn Schildmann erst knapp vor seiner Szene aus dem Kaffeehaus geholt haben.

Diener: Ja, Herr Direktor. Die zehn Kronen Straf' haben ihm aber nicht g'schmeckt. Ich wollt' melden, Herr Direktor, daß ich die Runde bei den Garderoben schon g'macht hab'. Es war alles da, bis auf Fräulein Hiller.

Direktor: Was? Ach so, die Orsina. Na, die hat noch Zeit.

Diener: Ja, Herr Direktor. Vierter Akt, dritte Szene.

Direktor: Sehr richtig. Aber vor Beginn der Vorstellung hat auch sie im Hause zu sein. Der Vorhang geht nicht in die Höhe, ehe nicht alles in seinen Garderoben ist. Melden Sie das dem Inspizienten ein für allemal, wenn er mein Zirkular etwa vergessen hat.

Diener: Sehr wohl, Herr Direktor. Heut' spielen ja aber so wenig Personen.

Direktor: Trotzdem.

Diener: Das neue Kleid von der Orsina ist schon da. Wird sie auch nit weit sein. Das ist eine Pracht, Herr Direktor, das Kleid.

Direktor (wendet sich seinem Manuskript zu): Es ist gut, Hofer. (Der Diener geht ab. Der Direktor zündet sich eine Zigarette an, liest, schüttelt den Kopf, blättert, pfeift, stöhnt.) Solch ein Quark! . . . Wer hat mir denn diesen Blödsinn wieder zugemutet? (Er findet den Begleitbrief im Buch.) Hm! Der Herr Vizepräsident Hokubek. Ach so! Und seine Frau glaubt . . . (Er klingelt zweimal. Der Theatersekretär kommt durch eine Seitentür. Ein hagerer, glatter, pfiffiger Mensch.) Guten Abend, lieber Mayer. Bitte geben Sie dieses Buch doch dem Lektor. Er soll es lesen und mir ein schriftliches Referat darüber machen. Aber so höflich, daß es auch der Verfasser lesen kann.

Der Direktionssekretär (verschmitzt lächelnd): Verstehe, Herr Direktor. Nicht so wie . . .

Direktor: Erinnern Sie mich daran nicht! So etwas! Wer wird einem Dilettanten die Wahrheit sagen über ein Stück? Die vertragen nur große Talente.

Der Sekretär: Ja, Herr Direktor. Sie haben seit dieser Taktlosigkeit des Herrn Lektors einen Todfeind mehr.

Direktor: Todfeind? Sie sind ein angenehmer Mensch. Warum mögen Sie den Dr. Grünberger eigentlich nicht?

Der Sekretär: Ich kann die Idealisten beim Theater nicht leiden. Der sucht immer nach Talenten in unserem Stückeinlaufe. Und die Sendungen der Theateragenten läßt er liegen. Ein Idealist. Und Briefe an Autoren soll er keine schreiben. Er umgeht mich.

Direktor: Ach, diese Eifersüchteleien. (Es klingelt.) Was ist das für ein Zeichen?

Der Sekretär: Der polizeiliche Rundgang ist zu Ende, das Publikum wird eingelassen.

Direktor: Alles in Ordnung gewesen?

Der Sekretär: Der Kommandant der Feuerwehr war sehr zufrieden. Verzeihen, Herr Direktor, ich muß jetzt zur Kasse hinunter.

Direktor: Auch heute? Der Mittagsrapport war doch sehr gut.

Der Sekretär: Ja, aber die Logen! An die Klassiker glaubt nur noch der Mittelstand. Ich hab' mir eigens ein paar feine Familien ins Foyer bestellt.

Direktor: Haha! Ich weiß, wer keinen Smoking hat, dem geben sie keine Loge.

Der Sekretär: Smoking oder Uniform. Damen in Soireetoilette. Das kann man doch verlangen. Und meine Leute sind gar nicht gekränkt, wenn die Abendkasse glänzend geht und sie nichts bekommen. Sie sind nur für alle Fälle bestellt . . . Man kann doch am ersten Klassikerabend die Logen nicht leer lassen.

Direktor: Nein, nein! Aber wie sind die Galerien?

Der Sekretär: Schwach. Das Stück hat zu wenig Personen.

Direktor: Der arme Lessing!

Der Sekretär: Ja, das Volk! Je größer der Theaterzettel, desto mehr gibt es zu sehen, denkt es. Verzeihen Sie, Herr Direktor, der Einlaß . . . Ich bringe den Schlußrapport dann in die Loge. (Er verbeugt sich und geht ab.)

Direktor: Adieu, lieber Mayer! (Er geht auf und nieder. Sieht auf feine Taschenuhr. Bleibt vor dem Zettel von »Emilia Galotti« stehen. Schüttelt den Kopf.) Zu wenig Personen?

Der Theaterdiener (tritt sehr rasch ein, er ist bleich und außer Atem): Herr Direktor, Herr Direktor!

Direktor: Was ist denn los, was haben Sie denn? So reden Sie doch!

Diener: Ich war in ihrer Wohnung –

Direktor: In meiner Wohnung? Brennt es oder ist das Haus eingestürzt? Sind meine Kinder tot?

Diener: Viel – schlimmer, Herr Direktor. Wir haben keine Orsina!

Direktor: Was?

Diener: Sie ist nicht zu Haus. Fräulein Hiller ist nicht zu finden.

Direktor: Sie sind wohl verrückt? Sie war wahrscheinlich schon unterwegs. Sie macht vielleicht noch einen kleinen Spaziergang und überdenkt ihre Rolle. Jetzt ist es ¾7 Uhr. Vor ½9 kommt die Dame nicht dran.

Diener (mit Tränen in der Stimme): Nein, Herr Direktor, wir hab'n heut' keine Vorstellung . . . Sie ist um 5 Uhr mit einem Automobil abg'holt worden. Nach Baden is s' g'fahrn. Herr Direktor, wir hab'n heut' keine Vorstellung.

Direktor (bleich, erschreckt, faßt sich gewaltsam): Nur Ruhe . . . Alarmieren Sie mir nicht das Haus . . . Sie wird gewiß kommen; der Regisseur soll zehn Minuten zugeben und dann anfangen.

Diener: Aber Herr Direktor . . . .

Direktor: Machen Sie mich nicht nervös . . . Geben Sie mir rasch die Mappe dort mit dem Rollenverzeichnis der Mitglieder. Und dann melden Sie dem Regisseur, was ich gesagt habe und kommen sogleich wieder. Der Kapellmeister soll eine längere Musik spielen. Fünfzehn Minuten zugeben. Nicht mehr! Und seinen Frack soll der Regisseur anziehen. Ich komme sogleich hinab. (Er blättert fieberhaft in der Mappe und ruft dem Diener, der gehen will, nach): Halt, Hofer, halt! Hier ist es schon . . . Hm! Orsina . . . Orsina . . . Holen Sie mir sogleich Fräulein Lanz. Mit keinem Wort verraten, um was es sich handelt. Ich muß sie sehr dringend sprechen. Sofort! Ich lasse höflich bitten, sehr höflich, Hofer! Weiter kein Wort!

Diener: Ja, Herr Direktor, ja. Das ist vielleicht gut.

Direktor: Pappeln Sie nicht! Laufen Sie! Nehmen Sie einen Fiaker! (Der Diener geht ab. Der Direktor atmet tief aus. Dann nimmt er seinen Zylinder und geht sinnend ab.)


Zweite Szene:

Spielt zwanzig Minuten später.

Der Direktor (tritt langsam ein): Ich habe anfangen lassen. Fast zweitausend Menschen sitzen im Hause und niemand ahnt . . . Pah, bis zum vierten Akt ist's noch lange . . . Unbegreiflich, unbegreiflich . . . Solch ein bodenloser Leichtsinn . . . (Er geht auf und nieder.) Ich habe mich gescheut, in meine Loge zu treten . . . Wo nur der Hofer bleibt? Wenn die Lanz am Ende auch . . . Es wäre entsetzlich.

Der Theaterdiener (tritt rasch ein): Sie kommt, Herr Direktor, sie kommt! Im Schlafrock, so wie sie war, habe ich sie mitgenommen.

Direktor: Und wo ist sie?

Diener: Sie liest nur einen Brief beim Portier und kommt gleich herauf.

Direktor: Sie weiß von nichts?

Diener: Kein Wort. Möcht' s' da noch einen Brief lesen?

Direktor: Gut, sehr gut. Und jetzt, lieber Hofer, bringen Sie mir rasch aus der Garderobe des Fräulein Hiller alle Rollen, die Sie von ihr vorfinden. Auch die Besetzungsbogen.

Diener: Die Lady Milfort hat sie noch nicht bestätigt.

Direktor: Um so besser. Nur her damit! Eilen Sie!

Diener (geht rasch ab, macht dann die Tür nochmals auf und ruft): Fräulein Lanz ist schon da, Herr Direktor!

Frieda Lanz (eine stattliche, üppige Blondine, erscheint unter der Tür. Sie trägt ein elegantes Negligé, ist etwas burschikos und hat einen bajuvarischen Dialekteinschlag in ihrer Rede): Guten Abend, Herr Direktor! Ja, was ist denn das, einen so Knall und Fall holen zu lassen?

Direktor: Verzeihen Sie vielmals, liebes Fräulein. Das ist reizend, daß Sie so schnell gekommen sind. Nehmen Sie Platz.

Fr. Lanz: Wenn mein Direktor ruft? Wär' nicht schlecht. Ich bin ein Theaterkind. Unsereins hat Disziplin im Leib'.

Direktor: Das höre ich heute gern.

Fr. Lanz: Aber was ist denn los, Direktor? Wollen S' mir die Gage erhöhen oder endlich eine schöne Rolle geben?

Direktor: Erraten, liebe Lanz! Beides will ich. Ja, ich habe eine große, große Bitte an Sie.

Fr. Lanz: Das muß wohl sein, Direktor, denn solche Umstände haben Sie mit mir noch nie gemacht. Ich hab' viel bittere Tränen in diesem Engagement vergossen. Mehr als in meinem ganzen früheren Leben.

Direktor (nervös): Keine alten Geschichten jetzt, liebe Lanz; es kommen auch für Sie bessere Zeiten, Sie sind schon da!

Fr. Lanz: So, so. Na, schießen S' doch endlich los. Sehr schlecht haben Sie mich bisher behandelt, das ist wahr, aber wenn ich Ihnen gefällig sein kann – bitte.

Direktor: Danke sehr. Aber ich bin in einiger Verlegenheit.

Fr. Lanz: Regen Sie mich nicht auf, Direktor. Soll ich morgen irgendeine Urgroßmutter spielen? Nur her mit der Rolle.

Direktor (langsam, zögernd): Nein, liebes Fräulein, Sie sollen noch heute spielen.

Fr. Lanz: Was? Ich? Die Klaudia vielleicht? Ich, neben der Hiller, eine Mutter? Nie, nie, nie! Ich bin um zehn Jahre jünger wie sie.

Direktor: Sie irren. Sie sollen heute noch die Orsina spielen.

Fr. Lanz (fällt in einen Fauteuil): Jesus, Maria und Josef!

Direktor: Erschrecken Sie nicht. Sie sind ja ganz blaß . . . Was ist Ihnen denn? Die Orsina, nicht die Klaudia. Die Orsina!

Fr. Lanz: Mir ist das Herz stehen geblieben, Direktor; es kann nicht Ihr Ernst sein.

Direktor: Mein heiliger Ernst.

Fr. Lanz (in Tränen ausbrechend): Wie habe ich Sie gebeten um die Rolle . . . Und jetzt rufen Sie mich? Jetzt? Das ist ja nicht möglich. Der erste Akt ist gleich aus. Unmöglich! Das wäre Selbstmord. Die Kritik bringt mich um. Ich bin gar nicht studiert. Ich habe ja nichts anzuziehen. Gar nichts. Wenn Sie mich erschlagen, mir fällt kein Wort ein von der Rolle. (Sie weint.)

Der Theaterdiener (kommt diskret herein, legt die Rolle auf den Schreibtisch des Direktors. Dieser gibt ihm leise eine Instruktion. Hofer lächelt pfiffig, deutet auf die Lanz und gibt zu verstehen, daß er bald wiederkommen werde. Geht ab.)

Fr. Lanz (murmelt unterdessen): Ich bin doch zu Dosalo? Zu demselben Dosalo, wo mir sonst ein ganzes Heer geschäftiger Augendiener entgegenstürzte? Wo mich sonst Lieb' und Entzücken erwarteten?

Direktor: Bravo! Bravo! Und Sie sagen, Sie seien nicht studiert? Besser hat das die Wolter auch nicht gesprochen.

Fr. Lanz: Aber weiter? Weiter? Ich weiß kein Wort . . . Nein, nein, das tue ich nicht. Nicht um eine Million! Wo ist denn Ihr Liebling, Ihr neuer Stern? Ist sie durchgegangen mit ihrem Grafen? Hahaha! Ich bin nicht boshaft, Herr Direktor, aber meiner Seel', das gönn' ich Ihnen.

Direktor: Und ich nehme es Ihnen gar nicht übel. Hahaha! Aber Sie irren sich. Fräulein Hiller ist ein leichtsinniges Genie. Sie hat sich auf irgend einer Partie verspätet. Vielleicht ist sie verunglückt. Morgen ist sie wohl wieder da. Vielleicht kommt sie heute noch . . . Doch ich will sie unerhört bestrafen und Sie sollen mir dabei helfen . . . Dort liegen all ihre Rollen. Wählen Sie sich, was Sie wollen. Tun Sie es aber sogleich, denn wer weiß . . .

Fr. Lanz (ist aufgesprungen und zu dem Schreibtisch geeilt): Ah! Maria Stuart gehört mir. Die Magda kann doch nur ich an diesem Theater spielen. Die Lady Milfort – die Elisabeth in »Essex« – das sind doch alle meine Rollen.

Direktor: Nehmen Sie! Nehmen Sie! Wir streichen auf dem Besetzungsbogen sogleich den Namen Hiller durch. Bestätigen Sie den Empfang.

Fr. Lanz: Aber die Bedingung?

Direktor: Selbstverständlich die Orsina. Sie haben noch eine Stunde Zeit. Ich schicke Ihnen die Souffleuse in die Garderobe.

Fr. Lanz: Ich kann nicht! Ich kann nicht! Ich weiß kein Wort von der Rolle.

Direktor: Liebste Lanz, das ist eine Einbildung. Sie haben die Rolle in Ihrem klassischen Repertoire als erste angesetzt.

Fr. Lanz: Das ist Ihnen zu spät eingefallen.

Direktor: Liebste, Beste, ich bitte Sie! Nie werde ich es Ihnen vergessen. Ich selbst werde Sie beim Publikum ankündigen, werde um Nachsicht für Sie ersuchen und den Leuten sagen, daß Sie die Rolle ohne Probe, nur aus Gefälligkeit für die vielleicht verunglückte Kollegin . . .

Fr. Lanz: Für die? Auch noch Reklame? Nein!

Direktor: Die Kritiken werden glänzend sein. Sie werden siegen über die Rivalin.

Fr. Lanz: Versuchen Sie mich nicht. Es geht ja doch nicht. Ich habe nichts anzuziehen.

Direktor: Auch dafür ist gesorgt. Sie werden das pompöse neue Kostüm der Hiller tragen.

Fr. Lanz (wie elektrisiert): Wie? Was?

Direktor: Auf meine Verantwortung. Sie haben die gleiche Figur. Es wird passen.

Fr. Lanz: Ja, es wird mir sehr gut passen. Sie sind ein Göttermensch, Direktor. Aber die Hiller wird Ihnen die Augen auskratzen. Sie zerspringt.

Der Theaterdiener (rasch): Herr Direktor, Herr Direktor!

Direktor (winkt ab): Schon gut. (Leise:) Jetzt nicht mehr nötig.

Diener: Aber, Herr Direktor! Ein Herr aus Baden bittet dringend, vorgelassen zu werden. (Pfiffig:) Er hat eine weinende Dame unten im Automobil, die sich nicht herauftraut.

Fr. Lanz: Himmel, sie? (Sie rafft alle Rollen zusammen.) Direktor, ich spiele, ich, ich!

Direktor (nach einem kurzen, scheinbaren Kampfe): Ja, liebe Lanz, es bleibt dabei. Eilen Sie.

Fr. Lanz (umarmt und küßt den Direktor stürmisch): Das ist tapfer, lieber Direktor. Ich werde Ihnen keine Schande machen. Aber, daß Sie in Ihrer Loge sind, wenn ich auftrete! Adieu! Adieu! (Sie stürzt fort.)

Direktor (trocknet sich den Schweiß von der Stirn): Lieber Hofer, das haben Sie sehr gut gemacht. Sie sind ein famoser Schauspieler. Nur ein klein wenig früher hätten Sie mir helfen müssen.

Diener: Aber, aber, Herr Direktor!

Direktor: Was denn? Hier, diese zehn Kronen vertrinken Sie auf das Wohl der »Emilia Galotti«.

Diener: Dank' schön, Herr Direktor. Aber Sie haben mich vorhin nicht . . . Jessas, Jessas, das Malheur!

Direktor: Welches Malheur?

Diener: Na, draußen wartet doch der Herr aus Baden. Und drunten . . . Jessas! Jessas!

Direktor: Wie? Sind Sie toll? Ihre Meldung geschah nicht auf unsere Verabredung?

Diener: Aber nein, Herr Direktor! Sie hab'n mir leise g'sagt, ich soll in zehn Minuten melden, daß die Hiller telephoniert hätt', sie kommt. Aber unterdessen ist sie wirklich gekommen mit dem Herrn aus Baden.

Direktor: Mensch! Und ich habe . . . Nein, so etwas! So etwas! Lassen Sie doch den Herrn . . . Nein, sagen Sie . . . Warten Sie . . . (Er läutet energisch an seinem Schreibtischtelephon, horcht, spricht:) Sind Sie selbst da, Wagner? Ja? Hören Sie: Wenn das Fräulein Hiller unten ist oder wenn sie kommt, höflich abweisen. Es spielt Fräulein Lanz . . . Heute nicht mehr ins Haus lassen . . . Ja? Sie weiß schon? Gut. Aber sie darf nicht auf die Bühne, verstehen Sie? Nicht in ihre Garderobe. Schluß! So, Hofer, jetzt den Herrn aus Baden.

Diener (leise): Es ist ihr Graf. Der wird schauen. (Ab.)

Der Herr aus Baden (tritt im Automobilkostüm ein. Ein schlanker, hübscher, blonder Dutzendmensch, nichtssagend, beschränkt, willensschwach): Pardon, Herr Direktor, daß ich so eintrete. Komme von Strecke. Kennen mich gewiß aus Loge sechs. Besuche oft Ihr Theater.

Direktor: Ich habe das Vergnügen, Herr Graf. Was verschafft mir heute die Ehre?

Der Herr aus Baden: Dumme Geschichte. Mit Irma Helenental gewesen. Panne gehabt. Pneumatik geplatzt. Stunde verloren. Irma heulte schauderhaft.

Direktor: Warum haben Sie nicht aus Baden telephoniert?

Der Herr aus Baden: Vergessen! Fürchterliche Szene gewesen. Gejammert. Kontraktbruch! Entlassung! Theaterskandal! Karriere vernichtet! Was weiß ich. Einfach schauderhaft gewesen . . . . Möchte alles gutmachen, liebster Direktor. Haben gewiß Schaden heute.

Direktor: Das läßt sich leider nicht mehr gutmachen. Habe alle Rollen des Fräuleins bereits neubesetzt. Sie wird hier nicht mehr spielen.

Der Herr aus Baden: Teufel! Erschrecken mich. Also Bruch? Aus? Aus?

Direktor: Eine Dame, die solche Situationen heraufbeschwört, ist unbrauchbar beim Theater.

Der Herr aus Baden: Hm! Was tun? Irma unterwegs untröstlich gewesen. Habe ihr Ehe versprechen müssen, wenn Entlassung erfolgt.

Direktor: Meine herzlichsten Glückwünsche. Das Pönale bei mir beträgt nur sechzehntausend Kronen.

Der Herr aus Baden: W–a–as?

Direktor: Verzeihen Sie, Herr Graf, ich muß jetzt auf die Bühne, um Fräulein Lanz anzukündigen. Was soll ich dem Publikum von Ihrer Braut sagen?

Der Herr aus Baden: Sagen Sie, wir sind verunglückt. Guten Abend, Herr Direktor.

Direktor: Gute Nacht, Herr Graf. (Er klingelt.) Hofer, Hofer, rasch meinen Frack.


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