Adam Müller-Guttenbrunn
Die schöne Lotti und andere Damen
Adam Müller-Guttenbrunn

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Die kleine Postmanipulantin

»Das Heiratsfieber ist eine Krankheit, die in einem gewissen Alter jeden überfällt. Aber sie geht vorüber, diese Krankheit, ihr Verlauf ist nicht immer ein tödlicher, es braucht nicht jedesmal die Freiheit auf dem Platze bleiben. Seht mich an, mich hat noch kein solcher Fieberanfall niedergerungen.«

So deklamierte Robert Körner seit Jahren in dem Freundeskreise, der sich allwöchentlich zweimal im Extrazimmer des Hotels »zum grünen Kranz« versammelte. Professoren, Lehrer, höhere Beamte der Stadt, Offiziere. Daß der Kreis immer kleiner wurde, merkten viele mit Verdruß. Einzelne wurden versetzt, kamen nach Wien oder sie avancierten und gerieten in ferne kleine Provinznester, andere heirateten, und an Nachwuchs fehlte es. Da die Führenden des kleinen Kreises allmählich älter wurden, so glaubten sie, nur noch Herren ihres Alters heranziehen zu sollen. Wie hätte man auch über die veränderten Zeiten und die Jugend räsonieren können, wenn diese Jugend anwesend gewesen wäre. Auch ich gehörte dem namenlosen Klub seit Jahren an. Robert Körner war einer der jüngsten, aber er tat sich auf sein Junggesellentum schon damals viel zugute. Er lachte über jeden, der in aller Stille, ohne daß man es merkte, dem Eheteufel verfiel. Wie man heiraten könne, ohne von einer großen Leidenschaft gepackt zu werden, verstand er nicht. Nur die sinnlose Liebe galt bei ihm als Entschuldigungsgrund.

Robert Körner war Beamter bei der Postdirektion der Landeshauptstadt, er rückte allmählich zu einem höheren Wirkungskreis vor, und sein hellblonder Scheitel lichtete sich. Als Privatmann war er ein Schöngeist, trieb Musik, las alles Neue, war bei jedem Konzert, jeder Vorlesung, jeder Neuaufführung im Stadttheater, gehörte dem Ausschuß einiger Vereine an und war über und über beschäftigt. Man traf sich immer nur beim »Grünen Kranz« näher, sonst blieb man einander fern. Erst als ich Abschied nahm, da auch ich endlich nach Wien versetzt worden war, besuchte ich Körner einmal in seiner Privatwohnung. Da saß er voll Behagen bei seiner Zigarre zwischen Büchern, Zeitungen und Musikalien, und eine altjüngferliche Schwester bediente uns geräuschlos und bescheiden bei der Jause, zu der ich mich nötigen ließ. Die Schwester verschwand und an ihrer Stelle erschien die Mutter. Die wurde von Körner selbst bedient. Er schenkte ihr den Tee ein und brummte, daß sie so spät komme. Er werde schon ganz schwarz sein, der Tee. Da meinte sie, das wäre sie schon gewohnt. Sie mache sich ihn mit einer Zitrone wieder hell.

Und man plauderte von dem und jenem. Die nette alte Frau kam mir so bekannt vor. Ich mußte sie schon gesehen und gesprochen haben. Endlich fiel das aufklärende Wort – sie redete von ihrer Trafik. Ach ja, das war die Trafikantin von der Keplergasse. Ich hatte es nicht gewußt . . . Und als sie wieder ging und ihr Sohn ihr die Hand küßte, da hatte ich mehr von seinen Lebensumständen erfahren, als vorher in Jahren. Die Mutter hatte als Hauptmannswitwe eine Trafik erhalten, die Schwester, das Mädchen ohne Mitgift, fand keinen Mann, und so schloß sich der enge Kreis fest zusammen. Der Sohn und Bruder wurde verhätschelt, er war der Mittelpunkt des Hauses, die beiden Frauen teilten sich in die Aufsicht über die kleine Trafik und in die Sorge um sein Wohlbefinden. Er leistete einen kleinen Beitrag zum Haushalt und verfügte im übrigen frei über sich und den größeren Teil seines Einkommens, genoß alles, was die Provinzialhauptstadt bot, machte jeden Sommer seine Reise und lächelte über die Ehekrüppel, die sich das versagen mußten, weil es nirgends langte.

Ich begriff: der brauchte keine Frau. Den befällt das Heiratsfieber nicht in dem öden Einerlei des Wirtshauslebens, das man eines Tages ganz einfach nicht mehr erträgt. In diesem Familienbeet gedeiht der richtige Junggesellenegoismus.

Kein Wort sprachen wir von dem leidigen Heiratsthema; er zeigte mir seine zierlich gebundenen Lieblingsbücher, die er seit seiner Gymnasiastenzeit gesammelt und unter denen nicht eines war, das er nicht so und so oft gelesen hatte. Sie füllten einen ganzen Schrank. Und seine Briefmarkensammlung war eine Sehenswürdigkeit. Sein amtlicher Wirkungskreis erleichterte ihm die Erwerbung von Seltenheiten aus allen Erdteilen. In drei großen Mappen waren diese Schätze geordnet, eine eigene Ecke seines großen Herrenzimmers war ihnen eingeräumt. Ein Klavier und eine Violine waren weitere Beweise für seine wohlausgefüllten Mußestunden. Ja, ich begriff, das teilt der Mann mit keiner Frau. Hier wird niemals Kleinkindergeschrei ertönen.

Ich reiste fort. Drei oder vier Ansichtskarten wurden gewechselt, und wir rückten allmählich ganz ab von einander. Ich hörte seit zehn Jahren nichts mehr von Robert Körner.

Eines Tages verschlug mich der Zufall in eine ferne kleine Provinzstadt mit fast durchwegs slawischer Bevölkerung. Eine Insel deutscher Intelligenz schwamm obenauf und sie trug eine deutsche Mittelschule. An dieser hatte ich ein Geschäft, das nicht an einem Tag zu erledigen war; ich mußte übernachten. Auf dem abendlichen Korso, den man in keiner kleinen Stadt versäumen soll, sah ich die Auslese der Gesellschaft. Unter ihr auch einen behäbigen Herrn mit graumeliertem Bart und munteren Augen, der eine stattliche junge Frau am Arme geleitete. Er wurde viel gegrüßt, sein Hut flog immer mit einem großen Schwung durch die Luft, und seine Glatze leuchtete im rosigen Abendschein. Den Mann sollte ich doch kennen! Und wenn ich mich nicht sehr täuschte . . . . Ich fragte den Nächstbesten, wer der Herr wäre, denn sicher war ich nicht.

»Der neue Postdirektor«, war die Antwort.

Also doch! Ich eilte Körner nach, wollte die alte Bekanntschaft erneuern, aber als ich hinter dem Paar war, hielt ich meine Schritte an. Der Herr Postdirektor schien so vergnügt zu sein, er plauderte so angelegentlich mit seiner hübschen, gerundeten Frau, daß ich es nicht für taktvoll hielt, ihn hier zu überrumpeln. Er wäre sicherlich in Verlegenheit geraten.

Am nächsten Morgen klingelte ich an seiner Wohnungstür. Ich hatte in dem einzigen Fremdenhotel der Stadt elend geschlafen und wartete ziemlich verdrießlich auf meinen Zug, der erst nach Tisch ging: Zeit genug, dem Herrn Direktor aufzuwarten.

Die junge Frau, in einen weiten blauen Schlafrock gehüllt, öffnete mir selbst. Hinter ihr war eine Tür nach dem Innern der Wohnung offen geblieben und aus dieser streckte ein etwa zweijähriger Knirps seinen Blondkopf. Die Dame war sichtlich verlegen, sie hatte ihr Dienstmädchen vom Markt zurückerwartet, und nun stand ein ganz fremder Herr auf der Schwelle. Meine Karte klärte sie auf. Und mit einem sehr liebenswürdigen Lächeln wies sie mich in den Salon. Sie werde ihren Mann sogleich aus der Kanzlei herüberbitten lassen.

Da stand der Bücherschrank mit den zierlichen Einbänden. Dort lagen die drei Mappen auf einem Stuhl im Erker. Alte Bekannte! Aber an die gleichmäßig gebundenen Bände reihten sich andere in allen Farben und Formen, auch broschierte Bücher. Fehlte die Liebe von einst? Die Violine, die über dem Klavier hing, hatte nur zwei Saiten . . . . Nebenan heulte der kleine Bub . . . Hm! Es war eine andere Atmosphäre in diesem Heim Körners als in dem einstigen. Photographische Aufnahmen des Ehepaares standen da und dort, auch hübsche Einzelbildnisse der Gemahlin und des Kindes.

Erstaunt, lachend kam Körner in den Salon gestürzt, beide Hände streckte er mir entgegen. »Servus! Servus! Wie kommst du in dieses gottverlassene Nest?«

Das war bald aufgeklärt, und wir saßen bei einer Zigarre ein Stündchen im Salon und plauderten von alten Zeiten. Aber er merkte, daß mich seine Gegenwart mehr interessierte als die gemeinsame Vergangenheit in L.

»Du wunderst dich, was?«

»Nun ja, ein bißchen wohl. Ich bin ja auch längst verheiratet, habe schon Gymnasiasten. Aber ich hab' es auch nie verschworen, im Gegenteil . . . Doch du? Wie hast du so umsatteln können?«

»Man soll es nicht glauben,« begann er, »wie einfach das war. Mein Avancement hing davon ab, ob ich für einige Jahre in eine kleine Stadt gehen wolle oder nicht. Sollte ich verzichten? Meine Mutter wollte, daß man mich Direktor nenne, und ich tat ihr den Willen. Ich könnte ja kurz oder lang als solcher wieder zurückkommen, meinte sie . . . Ich komme hieher und steige in dem sogenannten Hotel ab, übernehme die Direktion, suche aber vergeblich nach einer passenden Wohnung. So bleibe ich einen Monat, einen zweiten, einen dritten. Und ich gerate langsam in Verzweiflung. Es soll ein neues Postgebäude aufgeführt werden, heißt es, und dort bekäme ich eine Dienstwohnung. Aber das dauert noch ein Jahr oder zwei . . . Als ich im vierten Monat in dem Gulasch- und Zwiebelgeruch dieses Gasthauses lebte, von allen guten Geistern meines früheren Heims verlassen, da ertappte ich mich eines Abends bei der lauten Frage: ›Na, du alter Esel, willst du endlich heiraten oder nicht?‹ Ich war auf und nieder gegangen und vor dem Spiegel stehen geblieben, erwägend, ob es denn noch möglich wäre . . . Ich hielt mir mein Sündenregister laut vor, prüfte meine Glatze mit einem Handspiegel, machte ein paar Kniebeugen – na, es ging wohl noch. Aber wo war die, die ich heiraten sollte? Wie sah sie aus? Ich hatte buchstäblich keine Ahnung. Und ich ließ alle weiblichen Wesen, die ich in den letzten Jahren gesehen oder gesprochen hatte, vor meinem geistigen Auge vorübergleiten. Nichts rührte sich in mir für die eine oder die andere dieser Schönen, sie waren mir alle gleichgültig. Auf einmal gab es mir einen Riß. Ein Bild tauchte auf aus einem kleinen Neste, wo ich einmal als Postkommissär die Kasse revidierte. Die Tochter jenes Postmeisters hatte mir damals ungemein gefallen. Ein liebes, braunes Mädel, kaum sechzehn, saß am Schreibtisch, bediente den Morseapparat flink und munter und war voller Freundlichkeit mit allen Leuten. Wenn die noch zu haben wäre, sagte ich mir – sie konnte jetzt zwei- oder dreiundzwanzig sein – die möchte ich nehmen.

Ich erteilte mir am nächsten Morgen einen Urlaub und reiste ab. Und denke dir, sie saß noch an demselben Schreibtisch und war noch so freundlich und lieb, wie sieben Jahre vorher. Der Vater hatte sich's bequem gemacht, sie führte die Postalien. Als ich so unvermutet eintrat, glaubte sie, ich wäre wieder als Kontrollor gekommen. Sie wies mir all ihre Bücher, öffnete die Kasse. Ich aber fragte sie, ob sie verlobt oder verliebt wäre und ob einer, der sie haben möchte, nicht zu spät käme. Ganz blaß war sie geworden über diesen Einbruch eines Vorgesetzten in ihr Privatleben. Da wurde ich deutlicher. Ohne Umschweife fragte ich sie . . . Meinen Titel aber hab' ich verschwiegen. Sie war ganz verwirrt. Ich möchte in acht Tagen wiederkommen, sagte sie. Und mit dem Verlobungsring in der Westentasche bin ich eine Woche später wieder hingefahren. Daß sie mich genommen hat, siehst du aus allem. Und ich bin sehr glücklich mit ihr.«

»Und das ging so ganz ohne Leidenschaft? Ohne die gewisse Liebe, die du immer fordertest, wenn einer heiraten wollte?« fragte ich ein bißchen ironisch.

»Ja, ich gestehe, das hat vollständig gefehlt«, entgegnete Körner. »Es ging nur eine so angenehme Wärme aus von dem Mädchen, sobald ich an dasselbe dachte. So etwas Sicheres und Festes hatte sie. Was tut man mit der Leidenschaft in der Ehe? Da genügt ein warmer Ofen«, sagte er lachend.

Und er holte seinen Buben und zeigte ihn mir voll Stolz, er rief seine Frau, und ich sah, daß er nicht allein der Glückliche war. Ihr Blick hing voll Zärtlichkeit an ihm. War er doch wie der Prinz im Märchen in ihr Leben getreten und hatte die kleine Postmanipulantin zur Postdirektorin gemacht.


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