Adam Müller-Guttenbrunn
Die schöne Lotti und andere Damen
Adam Müller-Guttenbrunn

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Die Bella

Wieder einmal saß ich fest in einer kleinen Stadt Mährens, und diesmal sollte es drei Tage dauern. Mein Neffe, dessen Vormund ich war, hatte das Gymnasium zum zweitenmal wechseln müssen, und jetzt sollte er die Aufnahmsprüfung in die siebente Klasse bestehen. Wenn ich nicht mitkomme, nicht mit dem Direktor und allen Professoren spreche und in seiner Nähe bleibe, falle er durch, sagte er. Ja, er drohte damit. Was wollte ich tun? Ich steckte die Gespräche Goethes mit Eckermann in meine Reisetasche und fuhr mit ihm. Dieses unerschöpfliche, niemals auszulesende Buch sollte meine Zuflucht bilden in allen Nöten.

Wir trafen den Direktor des Gymnasiums, an den ich gut empfohlen war, nicht sogleich an, er sei auf der Jagd, hieß es, und komme erst am Abend. Da war also der erste Tag schon hin. Wir nahmen Quartier bei der»Blauen Traube« und gingen spazieren, denn in dem Zimmer mit dem großen Konsolspiegel in strotzendem Goldrahmen, den grünen Möbeln und dem schreiend roten Teppich litt es mich nicht. So etwas Unwohnliches hatte ich schon lange nicht gesehen. Nach einer Viertelstunde war die Stadt abgelaufen und wir suchten ein Kaffeehaus aus. Es schlug die sechste Stunde vom Kirchturm, als wir in das leere Café, einen langgestreckten gewölbten Raum, eintraten. Wir setzten uns, griffen nach den exotischen alten Zeitungen, die da herumhingen, und warteten. Im tiefsten Hintergrunde zischelten wohl ein paar weibliche Wesen, aber um uns kümmerte sich keines. Endlich trommelte ich. Eine sehr ungnädig dreinblickende junge Dame erschien.

»Wünschen?« sagte sie, sonst nichts.

»Zwei Kaffee!«

»Bedaure«, erwiderte sie und verzog ihr hübsches Mäulchen mit unsäglicher Arroganz. Ich sah sie mir näher an. Sie war eine fesche Blondine mit dunkel gefärbten Augenbrauen, wahrscheinlich sehr verwöhnt durch die Gäste.

Mit aller Bescheidenheit fragte ich: »Pardon, sind wir hier in einem Kaffeehause?«

»D' Jausen is vorüber,« erwiderte sie, »Gäste kommen zu der Zeit nie, und die Köchin schlaft. Einen Schnaps g'fällig?«

»Oh, bitte. Wenn Sie die Gnade haben wollen.«

Sie funkelte mich zornig an und ging, sich selbstgefällig in den Hüften wiegend. Mein Neffe lachte. Nach langer Zeit brachte sie uns irgendeinen süßen Saft in grünlichen Gläsern, stellte die Tasse hin und sagte: »Eine Krone.«

Ich schaute sie mir noch einmal an und fragte dann, ob ich nicht vielleicht den Herrn dieses Kaffeehauses sprechen könne. Ich sei an höfliche Bedienung gewöhnt.

»Da ist jetzt niemand zu sprechen«, entgegnete sie keck. »Da müssen S' schon um Mitternacht kommen und sich beschweren.« Sie lachte hell auf und verschwand in der dämmernden Tiefe des Lokals. Die Krone, zu der ich nicht einen Heller hinzugefügt hatte, ließ sie spöttisch in ihre Tasche gleiten.

Wir verließen alsbald die gastfreundliche Stätte und gingen abermals spazieren. Auf dem Hauptplatz war Korso und dort verbummelten wir eine Stunde. Endlich konnte man sich ja doch bei der »Blauen Traube« nach einem Abendessen umsehen.

Die Wirtin, eine nette schwarze Person von peinlicher Sauberkeit, erkundigte sich selbst nach unseren Wünschen. Sie erkundigte sich aber auch nach unserem Vorhaben in der Stadt und zeigte uns dann sogleich diesen und jenen Professor des Gymnasiums, denn sie waren alle ihre Gäste. Mein Begleiter studierte ihre Physiognomien nicht ohne Bangen und zog sich dann auf unser Zimmer zurück, er wollte noch lernen. Es war erst acht Uhr, und vor zehn oder elf kann doch ein Großstädter nicht schlafen gehen. Darüber konnten nur die Gespräche Goethes hinweghelfen.

Als ich nach einiger Zeit aus meinem Buche aufblickte und mir noch ein Glas Bier wollte geben lassen, saß ich so ziemlich allein in dem Lokal. Die Wirtin, die gerade vorüberkam, lächelte mich an und winkte die Kellnerin herbei, da sie mein leeres Glas sah. Ich aber fragte sie, ob die Leute hier so solid wären und so früh nach Hause gingen.

»Ach, wo werden sie denn! Die Herren laufen jetzt alle noch zur »Roten Rose«. Sie kommen zuerst her, um zu zeigen, daß sie uns mit der Kundschaft nicht fortgehen; um a neune aber rennen s' alle davon, damit sie nur ja noch a Platzerl kriegen.«

»Sie haben da ein Varieté?«

»Ach, wo werden wir denn! 's Kaffeehaus zur »Roten Rose« hat seit vier Wochen a neue Kellnerin, und in die sein alle Männer verschossen.«

»Was? Die Blonde mit den schwarzen Augenbrauen –?«

»Ja die! Sie kennen s'?« rief die Wirtin und setzte sich rasch zu mir. »Sie sein bekannt mit der Fräul'n Bella?«

»Sehr gut!« lachte ich. »Ich bin heute gegen Abend beinahe intim geworden mit dem arroganten Frauenzimmer . . . . Und das ist der Magnet in dieser Stadt?«

»Ja, gelten S', man begreift's nit. Aber sie dudelt den Männern jeden Abend etwas vor, sauber ist sie auch, und ein Mundwerk hat sie . . . . Der Meine lauft m'r auch noch hin, wenn wir 's G'schäft schließen. Die andern Wirt' haben schon ihre Abschaffung aus der Stadt verlangt. Einer hat ihr aufbracht, sie wär' a verdächtige Person; aber 's is nix nachzuweisen.«

Am nächsten Morgen traf ich den Gymnasialdirektor, einen behäbigen, jovialen Herrn, in seiner Kanzlei. Er zog seine buschigen Augenbrauen ein bißchen zusammen und hielt meinem Schützling sogleich eine Moralpredigt. Er möge ja nicht glauben, daß an seinem Gymnasium die Prüfung leichter wäre als anderswo. Er hätte sich ebensogut bei den »Schotten« in Wien können prüfen lassen. Von Vorteil sei nur, daß an seiner Anstalt bloß zehn oder fünfzehn jährlich zur Matura kämen, man könne sich mehr beschäftigen mit den Schülern als in Wien. Und daß er in Sitten bloß »entsprechend« habe, das sei keine Empfehlung. In der Provinz heißt es doppelt brav sein. . . . Aber nach dieser Verwarnung bat er den Ordinarius der Siebenten zu sich und übergab ihm den Hospitanten. Die Prüfung könne sogleich beginnen, der Stoff sei auf zwei Tage zu verteilen.

Als das Opferlamm abgeführt war, wurde der Direktor erst gemütlich. Er habe gestern meine Karte vorgefunden und gehofft, er würde mich am Abend noch bei der »Roten Rose« kennen lernen. Und er schwärmte von Wien. Er lebe hier ohne Musik, und die wäre seine Leidenschaft. Ob mein Neffe irgendein Instrument spiele? Ob er singe? Das zu erfahren, interessierte ihn fast mehr als dessen Noten in Latein und Griechisch, denn er arrangiere, wie er mir erzählte, jeden Winter eine musikalische Soiree. »Violin spielt er? Das ist ja herrlich!« rief er aus. Und ich möge mich am Nachmittag um vier nach dem Ergebnis des heutigen Prüfungstages erkundigen, es werde hoffentlich gut sein, der Bursche sehe ja intelligent aus. Der Direktor machte mich in der Pause mit allen Professoren bekannt, und jedem sagte er, daß der Neuling der längst ersehnte Violinspieler wäre.

Goethes Gespräche halfen mir über diesen Tag ein wenig hinüber. Das Ergebnis der Prüfung, das ich um vier Uhr erfuhr, war erfreulich. Der joviale Gymnasialdirektor ging dann mit mir auf den Korso, und ehe es dunkelte, kannte ich die ganze Stadt.

Meine saubere Frau Wirtin war nicht wenig erstaunt, daß auch ich an diesem Abend so zeitlich aufbrach. Ich schickte meinen Jungen zu Bett und drückte ihm auch den treuen Eckermann in die Hand, denn die Gespräche Goethes brauchte ich bei der »Roten Rose« wahrscheinlich nicht. Alle hatten mich gefragt, ob ich hinkäme, und so ging ich denn hin.

Das Lokal war strahlend beleuchtet und sah gar nicht übel aus. Die Gäste standen bis zur Tür und es befanden sich auch ein paar Frauen darunter; aber ich drang doch durch. Schon weil ich ein Fremder war, ließ man mich passieren. Die schöne Bella und zwei mindere Sterne bedienten. Bella, in einer grünen Seidenbluse und dunklem Rock, hatte die Tasche der Zahlkellnerin über einer koketten Schürze hängen; sie lächelte süß und versendete gewährende Blicke nach allen Richtungen. Als sie meinen Augen begegnete, fiel sie ein wenig aus der Rolle; sie wurde rot. Und sie schien betroffen, daß die Honoratioren mich an ihre drei zusammengerückten Marmortische, die eine Art Ehrentafel bildeten, nötigten. Als ich zwischen dem Gymnasialdirektor und dem Bezirksrichter saß, ließ sie sich herab, auch mich nach meinen Wünschen zu fragen. Höflicher als gestern, aber sehr selbstbewußt. Ich ließ kein Auge von ihr und beobachtete sie. Fast jeder der Herren schüttelte ihr die Hand. Ihr lauter Gruß war: »Servus, Herr Doktor!« »Servus, Herr Gemeinderat!« Und zu einem wohlbeleibten Herrn, der auch zu uns kam, sagte sie: »Servus, Bürgermeister!« Und sie animierte zu Bestellungen, es gab teure Schnäpse und Schaumweine, die Pfropfen knallten, und sie nippte an jedem Glas, das ihr hingereicht wurde.

Auf einmal saß sie auf einem kleinen Podium und sang zur Laute. Ihre Stimme war nicht übel, aber ungeschult, ihr Vortrag dilettantisch, doch es ging etwas von ihr aus wie der Atem einer starken Sinnlichkeit. Sie wollte diesen Männern gefallen, und sie gefiel ihnen. Drei sittsame Lieder sang sie, dann ging sie wieder animieren; wo sie ein leeres Glas sah, schenkte sie ein, und wenn sie dem Bürgermeister ihre Hand vertraulich auf die Achsel legte, lag ihr Busen auf dem Rücken des Apothekers, der neben ihm saß. Sie hielt stets mehrere Eisen im Feuer, mengte sich in jedes Gespräch, reagierte auf jeden Scherz, kassierte Gelder und Trinkgelder in Hülle und Fülle ein und nahm auch künstlerische Bestellungen entgegen. Manches ihrer Kabarettlieder wurde jeden Abend gewünscht und sie ließ sich erbitten. In der zweiten Serie sang sie wieder drei Lieder, nicht mehr, denn das Geschäft durfte nicht vernachlässigt werden.

Aber diese zweite Reihe unterschied sich schon sehr von der ersten und sie gipfelte in einem Schnalzer über die eheliche Pflicht, den sie mit schauspielerischer Wirkung und unnachahmlicher Lüsternheit vortrug:

»Als einst ein alter Herr ein junges Mädchen freite
Und ihr sein schlapper Leib nichts Gutes prophezeite,
Sprach er zu ihr: »Mein Kind, du mußt dich halt bequemen
Und meine Ehepflicht quartalsweis' von mir nehmen.«
»O süßer Mann,« sprach sie, jungfräulich unbedacht,
»Wie viel Quartale, sag', gibt's denn in einer Nacht?«

Die biederen Ehemänner grinsten. Und sahen sich lachend nach den neugierigen weiblichen Wesen um, die an jeder Türe die Kopfe hereinsteckten.

»Dös Luader!« schrie eine. »So geht's da zua? Pfui der Teufel!«

»Schmeißt sie doch hinaus!« rief die Bella und wiederholte den Schnalzer auf allgemeines Verlangen.

Vor Mitternacht trat ein Gast ein, dem sich einen Moment lang alle Blicke zuwandten. Er salutierte dem Honoratiorentisch und trat dann beiseite. Es war der Gendarmeriepostenführer. Die schöne Bella eilte auf ihn zu. »Oh, der Herr Wachtmeister gibt uns auch die Ehre!« Sie machte ihm einen förmlichen Knicks und rückte ihm einen Stuhl hin, damit er sich setzen könne. Den Helm nahm sie ihm ab und hing ihn an einen Nagel. So höflich war sie den ganzen Abend mit niemand gewesen. Der Mann aber verzog seine dienstliche Miene kaum. Der Bezirksrichter und der Bürgermeister tauschten einen Blick; jeder schien sich etwas zu denken, aber jeder schüttelte es wieder ab, denn sie war schon wieder da. Und sie sang alsbald ihre dritte Serie. Lauter bestellte Sachen. Vorher fragte sie frech: »Ist noch ein Frauenzimmer hier?«

»Nein! Nein!« brüllte es ihr lachend entgegen. Und nun gab sie dem Abend seine Würze. . . . Um dieser dritten Serie willen waren die meisten gekommen. Sie wieherten der liebenswürdigen blonden Dirne zu, und sie berauschte sich an dem Beifall, den sie fand, und gab immer noch ein Zötchen als Draufgabe.

Am nächsten Morgen war ich wie vergiftet von dem elenden Wein, den diese Circe uns eingeschenkt hatte. Der Gymnasialdirektor desgleichen. Er behauptete, diese Bella verdiene mindestens zweihundert Kronen jeden Abend. Und außerdem regiere eigentlich sie die Stadt . . .

Mein Schützling bestand auch den zweiten Prüfungstag, den ich halb verschlief, sehr gut, und ich konnte noch vor Abend mit dem getreuen Eckermann heimfahren.

Nach zwei Wochen schrieb mir mein Neffe, die schöne Bella sei verduftet und habe große Schulden hinterlassen. Die meisten schämten sich, einzugestehen, wie viel sie ihr geborgt hatten.


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