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9.

Wir waren überfallen, wie sich dies bald genug zeigte, denn es dauerte gar nicht lange, so sahen wir uns von mehren Seiten angegriffen. Eine starke Colonne Oesterreicher, die zur Besatzung von Neiße gehörte, hatte Steinau umzingelt, und alle wären wir gefangen oder niedergehauen und geschossen worden, wenn das Eindringen in die Stadt etwas früher erfolgt wäre, oder doch gleichzeitig mit dem Eindringen in das Schloß. Mordoch und der Pfarrer sammt Leuten ihres Anhanges wußten darum, und die Wegführung der Gräfin war eine von ihnen beschlossene Sache. Sie standen mit dem General Neuperg in Verbindung, und hätte Mordoch noch eine halbe Stunde gewartet oder uns mit seiner Bande festgehalten, bis die Oesterreicher da waren, so konnten wir nicht entkommen.

Allein der Schelm meinte wohl, daß wir auf jeden Fall verloren seien, wollte zunächst seine eigene Rache an der Gräfin nehmen, diese und ihren Geldkasten selbst nach Neiße führen, was ihm auch glücklich gelang. Denn er brachte seine Gefangene in den Park, wo ein Leiterwagen bereit stand, warf sie gebunden darauf und jagte mit ihr davon, während die Oesterreicher in das Schloß drangen. Ihnen überließ er es, mit uns fertig zu werden, denn er war feige genug, trotz seiner Uebermacht, unsere Säbel zu fürchten, wenn er uns zum Aeußersten brachte. Daher redete er gute Worte, hielt sich aber sicher, daß wir nicht entkommen könnten, weil Schloß und Stadt voller Feinde sein würden, ehe wir Widerstand zu leisten vermochten.

Wir entkamen jedoch auf dem Wege, den er uns selbst geöffnet, und in einer Viertelstunde, die wir Zeit behielten, waren meine Husaren von den Trompeten wach gerufen und zum guten Theil auf dem Markt beisammen.

In der Stadt behaupten konnten wir uns freilich nicht, nur so lange als nöthig hielt ich mich auf, um meine Leute zu sammeln, und das geschah schneller, als der Feind es erwartete. Wie er eindrang, wurde er mit einem Carabinerfeuer empfangen, und eben brach der Morgen an, als wir den Ort verließen und uns aus dem Staube machten, so rasch es immer anging.

Die österreichischen Grenadiere hatten uns den Weg versperrt, da gings mitten durch, obwohl mancher Sattel leer wurde; doch hinter uns her kamen ungarische Husaren, mit denen nicht zu spaßen war. Wir blieben jedoch immer geschlossen, hielten Stand, wo es anging, machten uns auch Platz mit dem Säbel, kamen aber doch in immer stärkeres Gedränge, und noch eine Stunde, so würde es mit uns zu Ende gewesen sein; da wendete sich aber die Sache.

Eine Staubwolke kam vor uns über die kahlen Hügel nach Oppeln hin, drinnen blinkte es und blitzte es, und gar nicht lange, so fiel mir die Sorgenlast vom Herzen. Es waren die weißen Husaren, deren Regiment, neu errichtet, der Oberst von Ziethen eben bekommen hatte, der es bald zu dem ersten unter allen Regimentern machte. Die Husaren waren auf dem Marsch und beim ersten Schießen, das der Wind ihm zu hören gab, ging der Oberst in Galopp vorwärts, schickte auch gleich Nachricht ins Hauptquartier, denn die Vorhut des Königs war hinter ihm.

Als ich uns solche Hülfe kommen sah, schwang ich meinen Säbel und schrie meinen Leuten zu:

Vorwärts, meine Kinder, drauf und dran, da kommen die Weißen! Sie sollen sich nicht rühmen, daß sie uns aus diesen Ungarn herausgehauen!

So stürzten wir uns, meine Offiziers und ich voran, in das dichteste Gewühl und trieben die Ungarn vor uns her, bis Ziethen herankam, vor dem sie die Zeche bezahlen mußten.

Nun drängten wir sie auf Steinau zurück, obwohl sie Succurs erhielten, aber auch wir hatten solchen empfangen. Die gelben Dragoner kamen, welche die Wuthenowschen hießen, mit denen einst der alte Derfflinger die Schweden gejagt; in Steinau und im Schloß jedoch hatten sich die österreichischen Grenadiere festgesetzt, mit denen wir vergebens anbanden und froh waren, als wir endlich Trommelschlag hörten.

Da drangen die preußischen Bataillone aus dem Walde heraus und an ihrer Spitze ritt ein junger Held, bei dessen Anblick jedem Soldaten das Herz aufging. Hans Karl von Winterfeldt, der Oberst und Generaladjutant des Königs war es, und er ritt auf uns los, schüttelte mir die Hand und rief lachend:

Ihr Husaren, habt Ihr Euch wieder einmal erwischen lassen und muß die Infanterie kommen, um Euch wieder ins Quartier zu der schönen Gräfin zu bringen?

Er war zwei und dreißig Jahre alt und so schön, ritterlich und voller Geist und Anmuth, daß ihn sein König und Freund oft mit dem Alcibiades verglichen hat. Seine jugendliche Gestalt ragte hoch und schlank auf, schwer konnte ein Weib seinen verlockenden Bitten widerstehen. Als ich ihn so sah mit seinem kühnen, stolzen Gesicht, in seiner männlichen Kraft und Stärke, fiel mir der arme Fevre ein. So wie dieser sah auch er aus, und prangte in jeglicher Schöne.

Ihr wäret ein Mann gewesen, der dies Weib hätte zähmen können! rief ich ihm zu, doch jetzt ist es aus mit ihr, die Oesterreicher haben sie fortgeschleppt.

Wir holen sie uns wieder, lachte er, und wollen sie dann zusammen bekehren, doch jetzt bleibt hier und ruht Euch aus. Sie haben Euch die Jacken und Mützen tüchtig ausgeklopft, flickt sie zusammen und seht zu, wie wir ihnen dafür die Buckel einschmieren.

Damit gab er seinem Rosse die Sporen und befahl den Angriff auf Stadt und Schloß. So frisch und freudig sprengte er drauf los, als ginge es zum Ball, und das ist später sein Unglück gewesen, daß er immer da war, wo die Kugeln am dichtesten fielen, bis endlich eine kam, von welcher der große Friedrich unter Thränen gesagt hat, sie habe ihm und dem Vaterlande den größten Verlust bereitet, den Beide in diesem Kriege erlitten.

Was Oberst Winterfeldt befohlen, thaten wir. Wir ruhten an der Höhe, sahen der Arbeit zu, die vor uns die Grenadiere begannen, und flickten dabei die Kleider und die Leiber zurecht, welche manche blutige Schramme bekommen. Die Feldscherer hatten vollauf zu thun mit dem Bepflastern und kamen auch zu mir. Denn ich hatte über Schulter und Arm einen ungarischen Säbel gefühlt, der durch Dollman und Jacke bis ins Fleisch gekommen; doch Gott segne meinen guten, dicken Zopf, der meinen Hals gerettet und, fast durchgehauen, nur noch an einem Faden vom Zopfbande hing! Nun wurde er weggeschnitten und ich bewahre ihn heut noch zum Angedenken auf.

Schmerzen aber empfand wohl keiner von uns allen, weil unsere Augen und Gedanken bei denen vor der Stadt waren. Es krachte und blitzte da rund umher, denn in den Gärten und hinter den hohen Hecken leisteten die Oesterreicher, Ungarn und Croaten tapferen Widerstand; aber bald sahen wir, wie unsere Blechmützen ihre langen Bajonette auf die Gewehre pflanzten, hörten den Sturmmarsch schlagen und jubelten, wie die Sturmhaufen hineindrangen und die Rothmäntel vor sich her trieben.

Die Stadt war auch bald geräumt, doch wie ich es vorhergesehen, entspann sich ein heftiger Kampf um das Schloß, das seiner Lage nach wohl vertheidigt werden konnte. Bald war der Park in Pulverdampf eingehüllt und aus den Fenstern und von den Terrassen des großen Gebäudes wurde heftig geschossen, vor uns allen ward es helle, und ich sah ein paar Leute kommen, die auf einer Trage etwas daher trugen. Glaubte Anfangs, daß das Flüchtlinge seien, die ihre beste Habe retten wollten, erkannte jedoch bald meinen alten Husaren Konrad, den ich vermißt und gemeint, er sei in dieser Nacht umgekommen. Jetzt kam er mit einem Andern daher, der sich mit ihm in einem Backofen verkrochen, welcher im Garten eines Bürgerhauses stand. Dahin hatte er auch den armen Fevre getragen, doch als die Stadt von unseren Bataillonen genommen wurde, liefen sie aufs Feld hinaus und erblickten uns auf der Höhe. Wollten nun meinen unglücklichen Freund nicht zurücklassen, da mein alter Husar gesehen, wie ich über ihn geklagt und geweint, auch aus Mitleid, da er noch athmete; nahmen also einige dürre Bohnenstangen, wickelten ihn dicht in meinen Mantel, den ich ihm gegeben, und trugen ihn so fort.

Das erkannte ich, als sie näher kamen, und stand kummervoll auf meinen Säbel gestützt, als sie ihn vor mir niederlegten.

O Du mein armer, lieber Freund, rief ich wehmuthsvoll, ist das die Freiheit, die ich Dir verschaffen konnte!

Die Sonne stand hoch am Himmel und der Frühlingswind wehte den Mantel von seinem Gesicht. Er wehte durch den verworrenen Bart und über die gramvollen, blauweißen Leichenzüge, aus denen alles Leben entflohen schien; aber der warme Sonnenschein lief sanft darüber hin und weckte ihn nochmals auf. Denn plötzlich öffneten sich seine Augen. Und er sah den blauen Himmel an und sah den grünen Buchenwald, wie er über ihm rauschte, und an den Abhängen die Blumen, die wilden Rosen und blühenden Gesträuche, dann that er einen langen Athemzug in die frische Luft, heftete seine Blicke auf mich, und ich bin gewiß, er erkannte mich. Seine Augen glänzten auf, wie ich sie einst gesehen, ein wunderbarer Schimmer, wie von Glück und Frieden, verscheuchte das Grauen seines Elends, und wie er lächelte und mich immer noch groß und hell ansah, streckte er sich aus und war todt.

Wir standen um ihn voll Mitleid und voll Liebe, meine Augen waren naß und dunkel. Da hörte ich hinter mir eine scharfe Stimme und meine Offiziers richteten sich, die Husaren sprangen auf, wo sie lagen, und der Kreis, welcher um den Todten sich gesammelt, wich zurück.

Der König stand dicht bei mir. An seiner Seite war der Oberst Winterfeldt und etwas zurück ein paar andere Offiziere. Damals war König Friedrich noch nicht dreißig Jahre alt, schlank von Gestalt, mit frischem, vollem Gesicht, in dem die hellen, blauen Augen wie Sonnen glänzten. So klein sein Körper war, hatte er doch einen kräftigen Bau mit breiter Brust und eine stolze, gerade Haltung; sein ganzes Wesen war dazu gemacht, Respect einzuflößen. – Er blickte ernsthaft den Leichnam an, deutete mit seiner Hand darauf, warf den Kopf auf und fragte mich:

Wen hat Er hier?

Es ist Alles, was übrig geblieben von dem Chevalier de Fevre, antwortete ich.

Wer ist das? fragte er weiter.

Ein Cavalier der Herzogin von Sachsen-Weißenfels, von großen Gaben und großer Schönheit, den die grausame Gräfin von Callenberg in ihrem Schlosse dort fünfzehn Jahre lang eingemauert hielt.

Erzähle Er mir, was er weiß, sagte der König.

Ich that, wie er befahl, und je weiter ich kam, um so mehr verfinsterte sich sein Gesicht. Eine zornige Röthe bedeckte Stirn und Wangen und seine Augen funkelten ingrimmig, indem er sie auf das ferne Schloß richtete, als suche er die Missethäterin, um zu richten und zu rächen.

Aber während ich sprach, hatte der Kampf dort nicht aufgehört, Himmel und Erde lagen in Rauch und Dampf gehüllt, der in dicken, schweren Säulen aufstieg und nichts erkennen ließ. Der König lehnte sich an Winterfeldt und sein Gesicht nahm nach und nach den Ausdruck eines edlen Schmerzes an, der seine Seele durchdrang.

Die Unmenschen! rief er plötzlich aus, sie wollen Gottes Ebenbilder sein, wollen an der Spitze der menschlichen Gesellschaft stehen und würdigen den Menschennamen herab durch Barbarei, gemeine Leidenschaften und den Fluch ihres Hochmuths. Sieh her, Winterfeldt, da liegt ein Opfer ihres Rechts und ihrer Sünden. Aber ich will ihnen zeigen, daß ihr Reich ein Ende nimmt. Hat mein Vater nicht ein hohes Wort gesprochen, als er sagte: Der Staat soll sein ein rocher de bronce? Gleiches Recht will ich für alle meine Unterthanen, mit der Gewalt der kleinen Herren muß es ein Ende nehmen.

Er hob seinen Arm wie zu einem Schwure auf und rief mit dem Zorn, der ihn erfüllte:

Ich will euch lehren, Bauern in den Pflug spannen – will euch zeigen, was Gerechtigkeit heißt. Eure Gefängnisse sollen in Schutt und Trümmer fallen, wie eure Burgen zerfallen sind. Aus dem Mittelalter muß die Menschheit endlich heraus in die neue Zeit, und an deren Thore stehe ich, mein Freund, ich und die mit mir sind. Wir tragen die Fahne der Aufklärung, die Fahne der Zukunft vor uns her, die uns dafür als ihre Helden feiern wird.

Wie er dies sagte, brach durch die Dampfsäulen über dem Schloß ein Flammenwirbel, der weithin durch die Luft flackerte.

Das Schloß brennt! rief ich. Die herrlichen Bilder und Bildsäulen, die schöne Bibliothek, viele Kunst und Pracht, Alles wird verloren gehen.

Größeres und Besseres ist untergegangen, sagte der König, indem er mich groß und streng anschaute, mag es ein Aschenhaufen werden, an dem der Fluch böser Thaten haftet.

Lange sah er darauf hin und dann in das friedliche Gesicht des Tobten zu seinen Füßen.

Dieser hier, sagte er darauf, hat seinen Feinden vergeben, aber ich werde ihm Revanche verschaffen, womit er zufrieden sein soll. Wenn's mit den Oesterreichern ein Ende hat, wollen wir ihn begraben.

Er stieg zu Pferde, und eben kam ein Adjutant, der ihm meldete, daß das Schloß genommen, alle Feinde darin gefangen oder umgekommen seien, der ganze Bau aber in Flammen stehe.

Am Nachmittage senkten wir Richard de Fevre auf dem Kirchhofe ein, der König war mit seiner ganzen Generalität zugegen. Voll Ernst und Hoheit blickte er in die Gruft hinunter, was er aber gedacht und überlegt, kam bald darauf zu Tage in den Edicten nach der Besitznahme Schlesiens, worin bei schärfster Strafe alle Mißhandlungen der Bauern verboten und das Ansehen der Justiz begründet wurde.

 

So endete die Geschichte des unglücklichen de Fevre. Die Gräfin Callenberg starb vor Kummer, Wuth und Elend bald darauf im Gefängniß zu Neiße, wohin sie unter vielen Mißhandlungen gebracht war. Mordoch erhielt vom General Neuperg eine gute Belohnung, mit der er nach Wien ging. Was weiter aus ihm geworden, habe ich nicht erfahren; als ich aber im Jahre 1764 wiederum nach Steinau kam, lag das verbrannte Schloß noch wüst unter Disteln und Nesseln. De Fevre's armer Hügel ließ sich nicht mehr auffinden, und ich konnte meine Thränen nicht hindern, wie ich im Abenddämmerscheine über diese wüsten Stätten ging, die von meinen Erinnerungen wie von bleichen Gespenstern umschwebt wurden.



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