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7.

Als die edle Dame endlich mit der Comtesse und einem zahlreichen Gefolge ihres Hofstaates in Breslau anlangte, machte dies nicht geringes Aufsehen. Sie wurde mit allen Auszeichnungen ihres Ranges als Reichsfürstin und Verwandtin verschiedener regierender Häuser empfangen, eine Wache an ihrer Thür aufgestellt und sie mit Ehrenbezeugungen reichlich erfreut; ich hatte jedoch von Anfang an das Gefühl, daß die Schaugepränge eines Tages einen anderen Charakter annehmen würde.

Die Politik der damaligen Zeit machte wenige Umstände selbst mit den Ersten und Höchsten, wenn diese ihre Pläne behinderten. Von Gesetz und Recht war nicht die Rede, wenn es galt, einen höchsten Willen auszuführen, und die fürstliche Allgewalt hatte damals noch keinerlei Erschütterung erlitten. Die Vorbilder, welche Frankreich lieferte, hatten dabei viel gethan, daß die deutschen Souveraine ihnen nachfolgten; denn wie dort häufig Prinzen von Geblüt gefangen gesetzt und die ersten Männer und Frauen des Reichs von willkürlichen Befehlen und Verhaftsbriefen getroffen, ja selbst hingerichtet wurden oder spurlos für immer verschwanden, so kamen auch in Deutschland an den vielen Höfen der reichsfreien Fürsten und Grafen nicht selten höchst seltsame und grauenvolle Geschichten vor. Hatte doch König Friedrich Wilhelm der Erste selbst dem Lügengewebe des berüchtigten Chevalier Clement geglaubt, daß er nach Dresden gelockt, dort plötzlich gefangen genommen und dem Kaiser ausgeliefert werden sollte, der ihn auf immer in eine ungarische Festung einsperren lassen wolle.

Die mächtigsten Fürsten fühlten sich somit nicht sicher vor den Gewaltstreichen anderer mächtiger Herrscher, und um so bedenklicher schien es mir, daß die Herzogin ihren gesicherten Aufenthalt verließ und hierher gekommen war, wo Niemand sie schützen konnte. Graf Schafgotsch beruhigte sie jedoch ebensowohl durch seine Versicherungen, Alles für die Erfüllung ihrer Wünsche zu thun, wie er mit größter Aufmerksamkeit ihr den Aufenthalt in Breslau angenehm zu machen suchte. Die Herzogin bewohnte den besten Theil des Hauses meines Verwandten, des Geheimraths von Wolfersdorff, welches dieser ihr einräumte, und viele Festlichkeiten wurden ihr zu Ehren gehalten.

Sogleich wurde auch nach Wien berichtet; die Herzogin selbst schrieb an den Kaiser und an die Kaiserin, erzählte diesen höchsten Personen die traurige Geschichte der jungen Gräfin, wie das Leid der gesammten Familie mit der Gräfin von Callenberg, und bat in den rührendsten Ausdrücken, ihr diese geliebte Enkelin zur Gesellschaft und Erziehung zu lassen, welche die einzige Freude ihres Alters sei. Sie berief sich auch darauf, daß sie den kaiserlichen Befehlen demüthig nachgekommen und von dem Grafen Schafgotsch die Zusicherung erhalten habe, der Kaiser werde gnädig dafür auch ihre Bitten erfüllen.

Zum Theil konnte sie jenes wohl behaupten. Ich war zugegen, als bei dem Empfange die junge Gräfin vor dem Grafen Schafgotsch niederkniete und um seinen Beistand flehte, worauf er mit Thränen in den Augen sie aufhob und küßte und ihr mit seiner Ehre zuschwor, daß er nichts unversucht lassen würde, um alle ihre Wünsche zu erfüllen. Bei seinem Ansehen am kaiserlichen Hofe ließ sich auch wohl das Beste erwarten, allein mit Gewißheit konnte er nichts versprechen und that dies auch nicht, denn er wußte zu gut, welche Gegner er zu bekämpfen hatte.

Es vergingen mehre Wochen, und während dieser Zeit war ich häufig bei der Herzogin und bei der jungen Gräfin. Die Herzogin war an siebenzig Jahre alt, sehr groß und dabei von gewaltigem Leibesumfang. Sie war fromm und betete viel, wenn auch nicht so viel wie ihr Sohn, der Graf von Promnitz, der bald ebenfalls nach Breslau kam und mit seiner ganzen Familie und seinen Hofcavalieren und Pagen jeden Tag mehre Stunden auf den Knien lag. Die alte Dame war aber sehr gutmüthig, wohlwollend und freigebig, ganz anders wie ihr Herr Sohn, liebte Feste und Frohsinn, und sah es gern, wenn um sie her gescherzt und gelacht wurde.

Zu jener Zeit war der junge Landadel nicht so einzig und allein darauf hingewiesen, in den Militär- oder Staatsdienst der großen Fürsten zu treten, sondern es gab hunderte kleine Höfe der Reichsfürsten und Reichsgrafen, deren jeder wenigstens einige Hofcavaliere und Hofpagen aus adligen Stamm hielt, welche ihren Hofstaat bildeten, das Rechnungswesen führen halfen und anständig dafür besoldet wurden, auch Mariagen mit den Hofdamen oder den Wittwen und Töchtern der Edelleute in der Nachbarschaft schlossen und dann wohl zu einigem Vermögen kamen, Hofmarschälle wurden, oder anderweitige Aemter übernahmen.

Manche dieser Hofcavaliere waren ehrbar steife, alte Herren, ergraut in ihren Diensten und seltsamliche Maschinen der oft höchst lächerlichen Hofetiquette; die Mehrzahl jedoch bestand aus jungen, heitern Herren vom Schlage des Herrn von Fevre, und so auch die jungen Hoffräulein, welche zuweilen sehr lockere und leichtfertige Grundsätze besaßen. Auch die Herzogin hatte einige artige Cavaliere und Damen bei sich, die Dame der jungen Comtesse aber war ein äußerst ehrbares und frommes Fräulein von Hund, welche ihre Erziehung leitete und wie ihr Schatten sie überall begleitete.

Bei alledem gab es unbewachte Viertelstunden und in diesen konnten wir uns vertrauliche Mittheilungen machen. Ich mußte ihr Alles erzählen, was ich von Fevre wußte, seine Flucht und die traurigen Auftritte in Neumarkt; endlich mußte ich ihr das Gefängniß schildern, in welchem er sich jetzt befand, und ich sah ihre Angst und ihre Sorgen, ihre heimlichen Thränen und ihr blasses, betrübtes Gesicht voller Theilnahme.

Wenn ich ihm doch nur schreiben, ihm ein Wort des Trostes schicken könnte, flüsterte sie, ihre Hände faltend, indem sie mich bittend anblickte. O! mein Gott, ich möchte Alles, Alles für ihn thun, denn ich – ich habe ja Schuld daran, daß er gefangen sitzt.

Ich versprach zu thun, was mir möglich sei, und nach einigen Tagen gelang es mir wirklich, durch einen Gefangenwärter mit Fevre in Verbindung zu treten. Der Mann ließ sich durch Geld gewinnen, ihm einen Brief zuzustecken und mir Antwort zu bringen; auf demselben Wege empfing er alsdann eine Einlage der Comtesse Agnes Maria, welche er rasch erwiederte.

Nie werde ich die Glückseligkeit vergessen, welche ihr Gesicht verklärte, als ich ihr das Papier in den Handschuh drückte, nie die strahlenden Augen voll Dankbarkeit, mit denen sie mich dann anblickte, als sie es gelesen hatte.

Er ist gesund, flüsterte sie, er hofft bald frei zu sein, aber er hat Furcht um mich, daß ich hierher gekommen bin mit meiner gnädigsten Großmama. Wie gut ist mein lieber Herr von Fevre, wie so sehr gut! O, wir nehmen ihn gewiß mit nach Drehna, und dann kommt Ihr auch zu uns, Herr Baron. Wir wollen wieder zusammen spazieren gehen, und wenn der Frühling wiederkehrt, Sträußchen winden, ob auch in Drehna nicht so schöne Gärten sind und schöne Blumen wachsen, wie in Steinau. Nie, niemals wollen wir wieder dorthin! fügte sie ernster werdend hinzu. Recht bald fort von hier, das ist mein Wunsch; aber Herr von Fevre wird uns doch gewiß begleiten. Nicht wahr, das ist auch Ihre Meinung?

Ich bestätigte es, dennoch glaubte ich es nicht. Wie ich in dies feine, schmale Gesicht blickte, das jetzt, wo es sich im Glück röthete, wie eine liebliche Blumenknospe aussah, überkam mich ein banger Gedanke, daß es nie eine Blume werden, nie ein schöner Lebensfrühling für dies arme verfolgte Kind kommen werde. Ein Zug der Schwermuth lagerte um ihren Mund, und in der Tiefe ihrer dunkelblauen Augen lag etwas Geheimnißvolles, Unglückliches. Das Weh ihrer ganzen Kindheit hatte sein Zeichen darauf gedrückt und bewirkte ein rührend schmerzliches Mitgefühl, das ich auch jetzt nicht unterdrücken konnte.

Die ersten zarten Triebe ihres Herzens rankten sich um einen Mann, der eben so glücklich hätte sein müssen, wie er unglücklich war, wenn er sie erwerben wollte, und dessen leichtsinnige Denkweise sich obenein klar genug gezeigt hatte. Allein was konnten alle diese Betrachtungen frommen? Ich rieth ihr, die Herzogin zu bestimmen, eindringlich mit dem Grafen von Schafgotsch über Fevre's Schicksal und zu dessen Gunsten zu sprechen, und dies geschah am darauf folgenden Abend, als bei Sr. Excellenz Tanz und Spiel war, wobei die Herzogin Gelegenheit nahm, wiederholt ihres Cavaliers Freigebung zu verlangen.

Sie hatte diese verschiedentlich schon nachgesucht und immer Vertröstungen empfangen, diesmal jedoch war Graf Schafgotsch bereitwilliger als je mit den schönsten Hoffnungen. Ich denke, meine gnädigste Herzogin, sagte er lächelnd, daß ich Ihnen diesen muthwilligen Herrn von Fevre mitgeben werde; glaube gewiß, er wird in Zukunft besser auf sich regardiren und sein Malheur ihm größere Precaution verschaffen.

Wir wollen Alles gut zu machen suchen, erwiderte die Herzogin, und ihn mit verdoppelter Estimation behandeln. Könnte es denn aber nicht geschehen, daß wir diesen armen Cavalier schon jetzt bei uns sehen könnten, um ihn zu trösten?

Der Graf von Schafgotsch neigte sich lächelnd zu ihr hin und erwiderte:

Es steht Alles gut in Wien. Die Gräfin Callenberg ist übel aufgenommen worden, und man schreibt mir, daß ich in nächster Zeit schon einen kaiserlichen Befehl erhalten würde, welcher diese Sache zur allgemeinen Zufriedenheit erledigt. Sobald ich diesen Befehl habe, will ich es auch auf meine Verantwortung nehmen, den Herrn von Fevre frei zu lassen, denn ich sehe voraus, daß man dann nicht weiter nach ihm fragen wird. Wollen Sie ihm aber selbst Trost zusprechen, gnädigste Herzogin, so will ich Ordre ertheilen, daß er morgen Vormittag zu Ihnen geführt wird, auch den Tag über auf sein Wort dort bleiben kann und erst am Abend in seinen Verwahrsam zurückkehrt.

Ja, ja! rief die gute alte Dame erfreut, und indem sie ihre Enkelin umarmte, welche neben ihr stand, sagte sie zu dieser: Meine liebe, schöne Comtesse ist auch voller Verlangen, dem Herrn von Fevre ihren Dank zu sagen. Er soll zu uns kommen, Excellenz, schicken Sie ihn, wir wollen Alle für ihn haften. Der arme Mensch hat viel gelitten, es ist also auch Recht, daß wir für ihn bitten. Obwohl er allerdings eine größere Precaution hätte anwenden sollen, wodurch er von dem Malheur, das ihn betroffen, befreit geblieben wäre.

Mit dieser Anschuldigung, welche allerdings begründet war, doch eigentlich sie selbst entschuldigen sollte, wiederholte sie nochmals ihre Wünsche, und Graf Schafgotsch winkte einen seiner Geheimschreiber herbei und trug diesem in Gegenwart der Herzogin auf, morgen früh sogleich Veranstaltung zu treffen, daß Herr von Fevre zu der Frau Herzogin geführt werde; dann sprach er mit dieser heimlich weiter von dem, was er aus Wien erfahren, aber die glückliche Comtesse Agnes Maria hielt es dabei nicht lange aus. Ich führte sie in den Tanzsaal, und auf dem Wege dahin flüsterte sie mir zu:

Morgen kommt er, ich werde ihn wiedersehen. O! wie glücklich ich bin! Sehen Sie wohl, daß ich Recht hatte. Wir werden ihn mitnehmen und alles Leid wird ein Ende haben. Ach, wenn es nur erst morgen wäre! Aber wir wollen tanzen und dann will ich beten und Gott im Himmel danken, daß er mich so glücklich macht.

So traten wir in die Reihen, und das schüchterne Kind war in seiner Freude gesprächig und liebenswürdig heiter. Sie tanzte mit dem jungen Grafen Schafgotsch und mit vielen anderen, blieb ihrer Hofmeisterin zum Trotz bis nach Mitternacht auf dem Platze und ging endlich, indem sie mir freundlich zunickte und ein Zeichen des Einverständnisses gab, morgen nicht zu fehlen, wenn Fevre gebracht würde.

Das that ich denn auch nicht. Ich kam um zehn Uhr zu der Herzogin in deren Empfangzimmer, um ihr meine Aufwartung zu machen, wie dies oft geschah, und fand die Damen an ihrem Frühstückstisch voller Erwartungen auf den Besuch, der ihnen verheißen. Kaum hatte ich einige Worte gewechselt und meine Reverenzen gemacht, als Fevre hereintrat.

Das Gefängniß hatte ihn hagerer gemacht, doch in diesem Augenblick war er schöner, wie ich ihn jemals gesehen. Sein edles Gesicht hatte sich geröthet, seine Mienen strahlten von Entzücken, Alles an ihm erschien von Freude belebt und beseelt. Seine dunklen Locken lagen ziemlich gekräuselt auf der hohen, heitern Stirn, und sein Anzug war so glänzend und sauber, daß man eher einen Prinzen, denn einen Gefangenen zu erblicken glaubte. Er heftete seine Augen auf die Herzogin weniger, als auf die Gräfin, welche neben ihr saß und jetzt, überwältigt von ihren Empfindungen, so starr auf ihn schaute, als sei sie gelähmt. Um ihren Mund schwebte das sanfte Lächeln, und als ihre Großmutter sagte: Da ist Er ja, Herr von Fevre, komm Er her, wir erwarten Ihn!, machte sie eine plötzliche Bewegung mit ihren Händen, als wollte sie ihm diese entgegenstrecken.

In diesem Augenblick aber wurde die Flügelthür des großen Einganges geöffnet und der Graf von Schafgotsch trat herein, in seiner Gallauniform mit großen Diamantknöpfen und geschmückt mit dem Orden des goldenen Vließes. Bei seinem Anblicke erhoben sich Alle, doch die Herzogin, von einer Ahnung ergriffen, rief ihm entgegen:

Graf Schafgotsch, mein liebster Graf, was bringen Sie mir?

Der Graf ging schnell bis an den Tisch. Der kleine verwachsene Herr in der blitzenden Tracht und dem langen schmalen Degen hätte zur Fröhlichkeit anreizen können, allein sein Gesicht schien ernst und feierlich und drückte eine so tiefe Betrübniß aus, daß Alle davon ein Bangen fühlten. Jeder von uns wurde gewahr, daß keine freudige Botschaft ihn hierher geführt hatte.

Um Gottes willen, Excellenz! sagte die Herzogin mit schwacher Stimme, was ist geschehen?

Graf Schafgotsch ließ sich auf ein Knie vor ihr nieder und dabei fing er an zu weinen, daß er die Worte kaum aussprechen konnte.

Ach! gnädigste Herzogin, begann er, ich bin ein unglücklicher Mann, daß ich Ihnen den kaiserlichen Befehl anzeigen muß, den ich vor einer Stunde von Wien empfangen habe. Ich muß Ihnen die junge Gräfin von Promnitz abfordern und dieselbige sogleich nach Wien an die Kaiserin schicken.

Die alte Dame taumelte vor Schrecken, und ihr geschminktes Gesicht wurde graubleich. Ihre Damen und Cavaliere sprangen herbei und unterstützten sie, angstvoll rang sie nach Luft.

An die Kaiserin? kreischte sie. Was will die Kaiserin mit meiner Enkelin? Wie ist das möglich?

Die Gräfin von Callenberg, fuhr der Graf, seine Thränen mühsam bewältigend, fort, hat der Kaiserin alle ihre Mutterrechte abgetreten, hat gebeten, daß Majestät die Comtesse als Hofdame zu sich nehme und später nach ihrem Ermessen vermähle.

Gott erbarme sich über uns Alle! schrie die Herzogin entsetzt und sank ohnmächtig zusammen.

Die Damen liefen nach Riechwasser, Alle bemühten sich um die unglückliche Großmutter, Alle weinten und klagten, und Graf Schafgotsch selbst vergoß viele Thränen. Nur die Comtesse saß thränenlos, still vor sich hinstarrend, und an einen der Wandpfeiler gelehnt stand Herr von Fevre, ebenfalls so bewegungslos wie ein Todter.

Es dauerte nicht lange, so kam die Herzogin wieder zum Bewußtsein, stieß einen heftigen Schrei aus, schlang die Arme um ihre Enkelin, küßte sie und schrie kläglich:

O! meine nun ewig unglückliche Comtesse, wie soll ich Dich retten! wie soll ich Dir helfen! Wäre ich doch todt, oder hätte Gott uns Beide zu sich genommen, denn nun ist sie doch an Seele und Leib verloren, nun muß sie doch katholisch werden!

Nein, gnädigste Herzogin, nein! antwortete der Graf Schafgotsch, das haben Sie nicht zu befürchten. Geben Sie der Comtesse das Fräulein von Hund mit, die ja streng, fromm und evangelisch ist. Bei der kann unsere liebe Cousine bleiben, so wird sie weder am Leibe noch an der Seele Schaden nehmen.

Dieser Trost richtete die verzweifelnde alte Dame sichtlich auf.

Ist das wirklich nachgegeben, Herr Graf? fragte sie.

Ja, ja, antwortete er, das können Eure Durchlaucht sicher thun, ich will es verantworten, nur beruhigen Sie sich, gnädigste Herzogin.

Aus seiner Antwort hörte ich wohl, daß er von Wien keinen Auftrag dazu hatte, aber die Herzogin wurde gefaßter und brach in einen Strom heißer Thränen aus, die mit den rührendsten Klagen über das Unglück ihrer alten Tage und mit Liebkosungen ihrer Enkelin abwechselten.

Es war ein qualvoller trauriger Auftritt, den Niemand mit trockenen Augen ansehen konnte.

Und wann, wann – rief die arme Herzogin endlich, soll meine liebe Comtesse von meinem Herzen gerissen werden?

Es sollte eigentlich auf der Stelle geschehen, erwiderte Graf Schafgotsch seufzend, allein ich will es bis morgen früh verschieben.

O! die böse Frau, die dies Alles verschuldet hat! rief die Herzogin. Mögen alle diese Thränen, alle diese Schmerzen über sie kommen!

Diese Worte weckten die Comtesse aus ihrer Erstarrung.

Ich soll meiner Mutter ausgeliefert werden, rief sie, wild umherblickend, aber lieber mag man mich tödten. Mein Gott! warum bin ich so verlassen, warum bin ich nicht ein Bauermädchen, wie sie mich oft gescholten hat?

Ich schwöre Ihnen zu, sagte Graf Schafgotsch, daß Sie niemals wieder zu Ihrer Mutter zurückkehren und daß ich selbst Sie niemals verlassen werde.

Nein, meine liebe Agnes Maria, fügte der fromme Graf Promnitz hinzu, ich als Dein Oheim und Dein Vormund würde dies gewiß nicht dulden und unter Gottes gnädigem Beistand dagegen ankämpfen.

Die arme kleine Gräfin wußte wohl, was sie von dieser Betheuerung zu halten hatte. Wäre sie ein Beutel voll Ducaten gewesen, so hätte ihr Onkel sie gewiß nicht aus Drehna fortgelassen. Sie hielt trostlos ihre Hände gefaltet und hörte und sah auch nicht viel darauf, als das Fräulein von Hund vor ihr niederkniete und ihre langen dürren Arme aufhebend unter zahlreichen Thränen sie bat, sich zu beruhigen.

O, meine liebste, gnädigste Comtesse, tröstete sie, ich werde standhaft bei Ihnen bleiben, Leib und Blut für Sie opfern und der Herr Jesus wird uns Beiden Kraft geben, daß wir an ihm festhalten und nicht verderben.

Nein, nein! flüsterte die kindliche Jungfrau, ich sehe es wohl, ich werde ausgeliefert.

Plötzlich schien ein Gedanke über sie zu kommen, und lebhaft ihren Kopf aufhebend, wandte sie sich an den Grafen Schafgotsch.

Ich bin in Ihrer Macht, sagte sie, und muß mich unterwerfen, allein dort steht der Herr von Fevre, über den ich so viel Unglück gebracht habe, daß ich es niemals wieder gut machen kann. Versprechen Sie mir, daß Sie ihn freigeben, daß er sogleich abreisen kann und nicht wieder ins Gefängniß zurückgebracht wird, so will ich ohne Klagen Alles thun, was Sie verlangen.

Herr von Fevre war über diesen Auftritt vergessen worden und wenn er gewollt hätte, konnte er sich unbemerkt entfernen; jetzt richteten sich die Blicke auf ihn und doch sogleich wieder fort, denn eine Andere war hereingetreten, der sich alle Aufmerksamkeit und alle Bestürzung zuwandte.

In einem dunklen, langen Reisekleide stand die Gräfin Callenberg vor uns. Wie eine Erscheinung war sie gekommen, als sei sie aus dem Boden herauf gestiegen, aber daß sie kein drohender Schatten war, davon überzeugte sie uns sogleich.

Ehe noch der Schrecken, den ihre Anwesenheit verursachte, sich löste, sagte sie stolz und hohnvoll lächelnd:

Habe keine Sorge, mein Püppchen, daß Du wieder in mein Haus, unter meine Zucht kommst, ich will Dich nicht haben. Ich habe alle meine Rechte auf Dich der Kaiserin abgetreten; dahin haben mich die Ränke und Intriguen Deiner Verwandten gebracht. Du kannst nach Wien gehen, dort wird für Dich gesorgt werden, den dort aber lasse ich nicht fort. Er hat mich betrogen und beraubt, in Steinau Verbrechen ausgeübt, wofür er bestraft werden muß. Ich verlange, daß er meinem Gericht übergeben werde, und bin hierher gekommen, dies von Ihnen zu fordern, Graf Schafgotsch.

Auf keinen Fall ist dies der Ort, eine Rechtsfrage zu entscheiden, welche mindestens sehr zweifelhaft ist, sagte Graf Schafgotsch.

Das Erste ist wahr, erwiderte sie, das Letzte nicht. Ich bin hierher gekommen, meine Tochter noch einmal zu sehen, ihr zu sagen, daß ich aufgehört habe, ihre Mutter zu sein, und daß ich dies gethan, weil es das einzige Mittel war, sie den Menschen zu entreißen, welche sie mir stehlen ließen, die mich immer haßten und verfolgten und denen ich ihren Haß vergelte. Gegen die Losgebung des Verbrechers aber protestire ich und verlange mein Recht. Kein Richter im Lande wird läugnen können, daß er vor das Gericht in Steinau gehört, kein Gesetz wird ihn diesem zu entziehen vermögen. Meine Herrschaft besitzt die unbeschränkte Gerichtsbarkeit über alle Verbrechen, welche in ihr begangen werden, braucht für gefällte Halsurtheile nur die kaiserliche Bestätigung. Das sind verbürgte Rechte, welche dem hohen Adel gehören, die vom Kaiser anerkannt und bestätigt sind. Somit fordere ich ihn von dem Oberamt und erwarte von der Gerechtigkeit des höchsten Dieners des Kaisers, daß derselbe mein Recht anerkenne.

Graf Schafgotsch war in Verlegenheit über seine Antwort.

Frau Gräfin, sagte er, was kaiserliche Befehle mir vorgeschrieben, ist geschehen und muß geschehen. Das Oberamt handelt demgemäß und kann den Herrn von Fevre nicht ausliefern.

Nicht! fiel sie heftig ein. So werde ich mich über Rechtsverweigerung in Wien beschweren.

Ich kann es nicht ändern, antwortete Graf Schafgotsch, allein bedenken Sie, gnädige Gräfin, den ganzen Verlauf dieser traurigen Geschichte. Ist es Ihnen nicht genug, die Comtesse wieder hier und auf dem Wege nach Wien zu sehen? Betrachten Sie alle diese traurigen Gesichter. Die Thränen und Klagen der greisen Großmutter, den Schmerz und das tiefe Herzeleid dieser ganzen erlauchten Familie, Ihrer nahen und nächsten Verwandten. Was beabsichtigt wurde, haben Sie vereitelt, selbst die Rache muß mit solcher Vergeltung zufrieden sein; üben Sie also wenigstens Großmuth gegen den Mann, der ein Werkzeug derer war, welche ihn beauftragten. Der Chevalier de Fevre ist der Hofcavalier der Frau Herzogin, nach deren Geboten er handelte. Hart genug hat er dafür gebüßt. Bedenken Sie die Mißhandlungen, welche er von Ihren Dienern erduldet, bedenken Sie sein langes Gefängniß. Haben Sie Mitleid mit seiner Jugend und verzeihen Sie ihm!

Graf Schafgotsch näherte sich dabei dem Herrn von Fevre, dieser aber sank auf sein Knie und indem er sein Gesicht tief niederbeugte, das sich mit dem Purpur der Scham bedeckte, faltete er seine Hände, und sagte mit bittender Stimme:

Gnade, gnädigste Gräfin! Gnade!

Nur eine Minute lang blickte sie auf ihn hin. Ihre Gestalt schien zu wachsen, ihre Augen glühten, ein dämonisches Lachen zuckte um ihren Mund. Sie streckte ihre weiße, schöne Hand aus und deutete mit dem Zeigefinger auf ihn hin.

Nichts da! rief sie. In Steinau ist sein Gericht, dahin muß er. Ich will mein Recht!

Gräfin Callenberg, begann die alte Herzogin tief bewegt, Ihr habt mir im Leben viel Leid gethan. Gott verzeihe mir die Sünde! aber ich habe Euch mit meinem Fluche belegt, und Gottes Rache auf Euch gefordert. Ich will Euch vergeben, wie es schwachen, sündigen Menschen geziemt; in meiner Todesstunde Alles vergeben, was Ihr an mir gethan, fügte sie hinzu, weil sie sich wohl nicht die Stärke zutrauen mochte, ihre Vergebung schon eher eintreten zu lassen, – nur gebt mir jetzt den armen Herrn von Fevre frei, hindert nicht, daß er mich nach Drehna begleitet.

Niemals! antwortete die Callenberg. Nach Steinau soll er. Nirgend wo anders hin, als nach Steinau.

Nun so straf Euch Gott, Ihr gottloses Weib, und laß Euch in Wuth und Verzweiflung enden, schrie die alte Dame außer sich, indem sie Hände und Augen zum Himmel aufhebend in ihren Stuhl zurücksank.

Die Comtesse Agnes Maria jedoch sprang auf, lief auf die Gräfin Callenberg zu und fiel vor ihr auf ihre Knie nieder.

Mutter! sagte sie in größter Angst, thuen Sie Alles an mir, was Sie wollen, nehmen Sie mich mit nach Steinau, martern Sie mich, tödten Sie mich, aber lassen Sie den Herrn von Fevre frei. Er ist unschuldig! Er ist unschuldig!

Die Gräfin blickte ihr starr in's Gesicht und als lese sie etwas darin, was ihre Wuth und Wildheit, ihren Hohn und ihre Rachsucht noch mehr aufstachelte, drückten ihre Mienen ein entsetzliches Gemisch aller ihrer Leidenschaften aus. Mit solcher Gewalt riß sie ihre Hände aus den Händen ihrer Tochter und stieß diese von sich, daß die Comtesse mit dem Kopf seitwärts an einen Stuhl fiel, und liegen blieb. –

Bist Du denn etwa schuldig, Püppchen?! schrie sie, und ihre Faust ballend, mit rollenden Augen und boshaftem Hohn in ihren Mienen, sagte sie zu dem Grafen Schafgotsch: Ich verlange diesen Gefangenen. Gebt Ihr ihn nicht, so soll der Kaiser mir zu meinem Rechte helfen. Wir werden sehen, Excellenz, ob noch Recht in Schlesien zu finden ist.

Damit ging sie fort, und kümmerte sich nicht um das Heulen und Wehklagen der Herzogin und ihrer Damen, welche sich mit der Comtesse beschäftigten, die in Ohnmacht lag und sich den Kopf blutig geschlagen hatte.



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