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3.

Am nächsten Tage wurde ich auch mit der jungen Gräfin Agnes Maria bekannt, welche sich bei ihrer Mutter in dem Saale befand, als ich hereinkam und ihr vorgestellt wurde. Sie war größer und ausgewachsener, als es sonst in ihrem Alter der Fall ist, so daß man sie für sechszehn oder siebenzehn Jahre halten mochte, aber sie schien sehr schüchtern zu sein und ähnelte ihrer Frau Mutter durchaus nicht, so wenig in körperlicher wie geistiger Beschaffenheit. Sie hatte lichtbraunes, beinahe blondes Haar, eine sehr zarte Gesichtsfarbe und sanfte blaue Augen. Sie erröthete, als ich mich ihr näherte und einige Artigkeiten an sie richtete, und gab mir verlegen Antwort; die Gräfin Callenberg aber erhöhte ihre Verwirrung, indem sie darüber lachte und sie tadelte und verspottete.

Sie wird ihr ganzes Leben über keine Tournüre bekommen, sagte sie, und paßt eher für eine Bauernhütte, denn für das Haus eines Grafen. Aber Du sollst lernen, was schicklich ist, mein Püppchen, und mir folgen, oder wir werden immer härter zusammenkommen.

Wenn meine gnädige Mama mir erlauben möchte, daß ich mich entferne, antwortete die arme kleine Gräfin mit niedergeschlagenen Augen und zitternder Stimme.

Nein, antwortete sie, Du sollst bleiben und sollst uns begleiten. Wir wollen einen Spazierritt nach den Rauenthalbergen machen und unseren Gästen die schönsten Umgebungen Steinau's zeigen.

Wenn ich bitten dürfte, zu Haus zu bleiben, flüsterte das junge Mädchen demüthig.

Warum willst Du zu Haus bleiben?

Ich kann das Reiten nicht vertragen, werde krank davon und kann es nicht lernen.

Wie Du nichts lernen willst, was Dir nicht behagt, antwortete die Mutter. Hilft Dir nichts, Schätzchen, ich werde Dich selbst unter meine Aufsicht nehmen, und hier ist ein junger Offizier, der mir beistehen wird.

Ich werde dem gnädigen Fräulein gern beistehen, sagte ich in einem Tone, der das verschüchterte Kind ermuthigen sollte, aber es achtete nicht darauf.

Meine liebste Mama möchte mir erlauben, daß ich an meine gnädigste Großmutter heut schreiben dürfte, sagte sie bittend.

Nichts da! erwiderte die Gräfin heftig, ich verbitte mir diese Correspondence aufs Schärfste. Das ist die Ursache Deines Ungehorsams. Du sollst nicht schreiben und jetzt schnell fort und mach Dich bereit. Laß Georgi sagen, Mordoch, daß er die Pferde fertig hält. Doch da ist er selbst. Kommt her, Herr Stallmeister.

Der junge, hübsche Mann in seinem blauen, betreßten Rock, den ich schon gestern am Wagen der Gräfin gesehen hatte, erschien so eben an der Thür und folgte diesem Befehle mit einigen ehrfurchtsvollen Verbeugungen.

Wie lange habt ihr nun der Gräfin Agnes Maria Reitunterricht gegeben? fragte sie ihn, und was hat sie gelernt?

Der Stallmeister zuckte die Schulter. Wir haben in verschiedenen Zeiten angefangen, doch immer wieder aufhören müssen, sagte er, da die gnädige Comtesse auch das sanfteste Pferd nicht vertragen kann.

Sie fällt herunter wie ein Bauerklotz, höhnte die Gräfin, und weil sie sich den Arm verstauchte und Fieber dazu kam, bin ich gehindert worden, nach Kudowa zu kommen. Bringt aber jetzt Pferde für uns alle, wir wollen nach den Rauenthalbergen.

Der Stallmeister wagte eine Einwendung.

Es giebt dort sehr steile Hügel, sagte er, und sehr glatte Steine. Einige unserer besten und sichersten Pferde sind krank.

So gebt uns, was Ihr habt, fiel sie kurz und bestimmt ein.

Und es hat in dieser Nacht geregnet, fuhr er fort. Der Boden wird im Walde weich und schlüpfrig sein.

Dann möchte ich mir zu bemerken erlauben, fügte ich hinzu, daß es besser sein dürfte, die Partie aufzuschieben. Schlüpfrigen Boden soll man jederzeit vermeiden, wenn es angeht.

Meint der Herr Baron! rief sie spöttisch lachend, ich denke anders darüber. Auf schlüpfrigem Boden muß man sich eben so wenig fürchten, wie auf jedem andern. Bring Er die Pferde, Georgi. Wenn der gnädige Herr jedoch lieber zu Haus bleibt, hab' ich nichts einzuwenden.

So hörte denn aller Widerspruch auf. Graf Dietrich hatte kein Wort dazu gesagt, er schien der Gräfin Meinung zu sein, scherzte und lachte mit ihr und freute sich auf die Promenade und auf den schönen Morgen.

In einer halben Stunde waren die Pferde da. Die Gräfin in ihrem langen Reitkleide und dem Federhut sah wie eine Diana aus. Ihr wildes, schwarzes Pferd, das verschiedentlich sich aufbäumte, bändigte sie mit Leichtigkeit; der Stallmeister sprach dem Fräulein Muth ein und hatte ihr ein äußerst sanftes, ruhiges Thier gegeben. Auch blieb er dicht an ihrer Seite, Graf Dietrich aber an der anderen.

So ritten wir nach Steinau hinab und dann durch das Thal den Waldbergen zu. Die Leute, welche uns begegneten, grüßten demüthig, mit tiefen Knixen und Hutabziehen, wobei sie stillstanden und ihre Knie beugten. Manche fielen sogar ganz nieder und wieder andere nahmen Reißaus, wenn sie uns von ferne kommen sahen.

So lange wir durch die schönen Baumwege und durch die Felder ritten, ging Alles gut. Die Straße war eben, die Gräfin zeigte uns die Stadt und schien in munterer Laune, nach und nach aber wurde unser Reiten schärfer, und als der Wald uns entgegenrauschte und wir in ein üppig grünes Thal gelangten, ließ sie ihrem Renner die Zügel schießen, der bald mit ihr im vollen Lauf davonflog.

Das dauerte wohl eine Viertelstunde, dann öffnete sich das Waldthal wieder und jenseits lag eine Landstraße, die nach der Festung Neiße führte. Um diese Straße zu passiren, mußten wir über einen Graben, der ziemlich breit und tief war. Mit einem Satz hatte das edle Roß der Gräfin ihn übersprungen und da ich ihr immer nahe geblieben, war ich auch sogleich bei ihr; als wir aber zurückschauten, sah ich, daß Graf Dietrich sein Roß nicht mehr zu bändigen wußte. Er hatte den Bügel verloren und hielt sich an den Mähnen fest. Gleich darauf rutschte er seitwärts und ehe er an den Graben gelangte, lag er der Länge lang auf dem Boden und ließ das Pferd allein seinen Sprung machen.

Die Gräfin lachte ausgelassen bei diesem Anblick und lachte noch mehr als fast im selben Augenblicke auch ihre Tochter aus dem Sattel flog. Denn ihr Zelter stutzte vor dem Graben und sie würde vielleicht einen üblen Fall gethan haben, wäre der Stallmeister Georgi nicht dicht bei ihr gewesen, der sie in seinen Armen hielt und die Gefahr abwandte.

Aber sie war tobtenbleich, zitterte am ganzen Leibe und schien fast bewußtlos zu sein. Graf Dietrich raffte sich inzwischen auf, hinkte der kleinen Comtesse zur Hülfe und hielt ihr sein Riechbüchschen vor. Ich sprang nun ebenfalls vom Pferde, um Beistand zu leisten, den die Gräfin nicht für nöthig hielt.

Mit diesem Püppchen hat man nichts als Noth und Mühen, rief sie. Es ist ihr nichts geschehen. Steh auf und heule nicht und Ihr, Georgi, fangt das Pferd ein, das auf der Landstraße fortläuft.

Der Stallmeister machte sich bereit, diesen Befehl zu erfüllen, wir würden jedoch in eine üble Lage gerathen sein, denn die arme kleine Comtesse konnte sich nicht so leicht erholen, wie es von ihr verlangt wurde, und Graf Dietrich wehrte sich gegen die Spöttereien der Gräfin durch Beschuldigungen gegen das scheue Pferd, das er nicht wieder besteigen wollte; mit einem Male aber wurden wir von unseren Sorgen erlöst. Denn wir hörten Menschen sprechen und sahen einen Wagen um die Biegung des Weges kommen. Es war eine große englische Reisekutsche mit vier Pferden bespannt, auf welcher zwei Bedienten saßen, ein dritter ging beiher und hielt unser entlaufenes Roß am Zügel. In dem Wagen aber saß ein junger Herr, welcher nach den ersten Blicken, die er auf uns geworfen, heraussprang und mit vieler Artigkeit seinen Hut ziehend die Gräfin begrüßte.

Er erkundigte sich, was hier geschehen sei, meldete, daß seine Bedienten das flüchtige Pferd aufgefangen, daß er gleich vermuthet, es sei ein Unfall in der Nähe vorgekommen, und bot seine Dienste mit größter Bereitwilligkeit an. Dabei lief er auch schon an seinen Wagen und kam mit einer Flasche Melissengeist zurück, mit welchem er die Kranke besprengte.

Es war ein sehr schöner junger Mann, kostbar angekleidet und von dem feinsten und artigsten Wesen, dabei sehr lebhaft und mit seinen feurigen braunen Augen sehr kühn umherblickend. Es hat glücklicher Weise gewiß nichts zu bedeuten, sagte er, allein das gnädige Fräulein hat Ruhe und Schonung nöthig. Mein Wagen steht ganz zu Ihrem Befehl; es wird mich glücklich machen, wenn Sie die Gnade haben wollen, sich seiner zu bedienen.

Das Anerbieten war nicht auszuschlagen. Die Gräfin neigte sich ihm dankbar.

Wenn der Herr in der That uns einen solchen Dienst erzeigen will, sagte sie, bin ich ihm sehr verpflichtet, obwohl meine Tochter sich schon wieder erholt.

Der Fremde blickte so verwundert zu ihr auf, als sie dies sagte, daß sie lächelnd wiederholte.

Ich bin die Gräfin Callenberg und dies ist meine Tochter, welche mit mir in Steinau wohnt, wohin ich den Herrn zum Ausruhen einlade, wenn seine Zeit es erlaubt.

Ich bin Herr meiner Zeit, erwiderte er, wäre das aber auch nicht der Fall, so würde ich es dennoch sein müssen. Ich komme aus dem Reinerzbade, fuhr er fort, was mir die Aerzte in Dresden verordnet haben.

Ein sächsischer Herr also, sagte die Gräfin.

Ich heiße von Kriegsheim, versetzte er, und bin im Voigtlande angesessen.

Ich erinnere mich des Namens, fuhr sie fort, und nun stellte sie uns den jungen Herrn von Kriegsheim vor und sagte dann lachend, indem sie ihn betrachtete: das ist in der That ein Abentheuer von allerliebster Art, bei dem man an Zaubermärchen oder an den Rübezahl glauben könnte. Ich denke jedoch, der Herr Baron wird keine Erscheinung sein, die uns verschwindet; was fangen wir aber mit dem Grafen Althan an? Er will sich nicht noch einmal muthwillig in Todesgefahr stürzen.

Wenn ich einen unterthänigsten Vorschlag machen dürfte, sagte Herr von Kriegsheim, so würde ich den Herrn Grafen bitten, die gnädige Comtesse in meinem Wagen zu begleiten, mir aber dagegen sein Pferd abzutreten.

Meinem hinkenden Freunde konnte nichts erwünschter kommen.

Mit tausend Freuden, sagte er, gehe ich diesen Tausch ein, höchst artiger, gnädiger Herr. Lassen Sie uns eilen, Comtesse Agnes Maria, damit ich Sie der Pflege Ihrer Dienerinnen übergeben kann. Helft mir, Baron, nehmt des Fräuleins Arm, wir müssen behutsam sein.

Wir führten das Fräulein dem Wagen zu und es ging besser, als ich dachte. Sie war gewiß froh, davonzukommen, Graf Dietrich ebenfalls, der eine so schöne Gelegenheit erhielt, sich durch Theilnahme und Sorgfalt zu empfehlen. Herr von Kriegsheim öffnete den Schlag seines Wagens, drückte ihr sein Bedauern aus und empfahl seinen Bedienten jede mögliche Vorsicht beim Fahren zu beobachten. Gleich darauf aber saß er auf dem Rosse des Grafen Dietrich, das einige wilde Sprünge machte, doch bald merkte, wie ein anderer Reiter auf seinem Rücken saß. Gräfin Helene merkte das ebenfalls, und ihr Gesicht drückte einen hohen Grad von Wohlgefallen aus, als der kühne junge Herr sein bäumendes Roß vor ihr bändigte.

Welch ein unerwartetes Glück ist mir widerfahren! rief dieser, sich sittig verneigend und das Licht seiner wundervollen Augen über die schöne Frau ausgießend. Ich bin so froh und stolz wie noch nie und erwarte Ihre Befehle, gnädigste Gräfin.

So befehle ich dem Herrn, mir gehorsam zu folgen, antwortete sie, wenn er mich nicht verlassen will.

Wohin es auch sein möge, durch Tod und Leben! rief der galante Baron mit der Courtoisie eines Franzosen, und ich muß hinzufügen, daß er es in der Sprache dieser Nation that, welche er mit Leichtigkeit gebrauchte, dabei auch das geschmeidige, heitere Wesen eines Franzmannes hatte.

Für jetzt bitte ich Monsieur nur um seine Begleitung auf unserer Promenade, antwortete die Gräfin. Wir werden sehen, ob er nach der ersten Stunde nicht schon contentirt ist.

Damit setzte sie ihr Pferd in Galopp, und bald ging es wild genug über die Straße fort in ein anderes Seitenthal hinein und zwischen waldigen Hügeln auf und ab, über Rasengründe und durchbrochenes Land, das mit Wurzeln durchzogen oder mit Steinen besäet war. Die Gräfin schien voll gutem Willen unsere Hälse zu brechen, wozu es hier die beste Gelegenheit gab; Gräben, Hecken und Hörden hielten sie nicht auf, weder felsiger noch sumpfiger Boden. Der Regen, welcher in der Nacht gefallen war, vermehrte die Gefahren; es gehörte eben so viele Geschicklichkeit wie gutes Glück dazu, um diesen zu entkommen, und ich verwünschte die tolle Laune dieser Frau, welche uns hier umherhetzte; trieb auch endlich mein erhitztes Pferd nicht mehr an und blieb zurück, während der Baron von Kriegsheim wie rasend an der Seite der Gräfin aushielt und ihr keinen Vorsprung gestattete.

Es gelang ihr auch nicht ihn zu ermüden oder ängstlich zu machen, und ich sowohl wie der Stallmeister Georgi, der in meiner Nähe meine Vorsicht theilte, wir waren beide der Meinung, daß es unglücklich enden müßte. Der Baron von Kriegsheim schien weniger ein vorzüglicher Reiter, wie er zu denen gehörte, die fest sitzen und nichts fürchten; auch war sein Pferd bei Weitem nicht so ausdauernd tüchtig, als das edle Thier seiner grausamen Dame. Er mußte es heftig treiben und einige Male schien es nahe daran unter ihm zusammenzustürzen, was jedoch immer wieder abgewandt wurde.

Der gnädige Herr hat Glück! sagte der Stallmeister, er hält es aus.

Wer weiß, was zuletzt kommt, antwortete ich ihm.

Es wäre Schade darum, hörte ich ihn darauf halblaut sagen. Das ist ein Mann, der ihr zu schaffen macht.

Wenn die Gräfin nur selbst nicht Schaden dabei nimmt, redete ich ihn darauf an.

Damit hat es keine Noth, versetzte er, denn da müßte der Teufel oder unser Herr Gott – keine Einsicht haben. Ich meine, fügte er hinzu, das Schlimmste ist vorbei und dort ist der Punkt, wo man über die Oder und Steinau hinaus weit ins Land schauen kann.

Seine Antwort fiel mir auf. Im Gesichte des jungen Mannes sah es aus, als ob seine innersten Empfindungen die Worte auf seine Lippen gebracht hätten.

Ist Er schon lange im Dienste der Frau Gräfin? fragte ich.

Seit einem Jahre, gnädiger Herr, erwiderte er; aber da halten die Herrschaften oben auf der Spitze und es wird gut sein, wenn Ew. Gnaden sich eilen.

Dies geschah denn auch und, ich wurde mit Spott empfangen, machte mir aber wenig daraus.

Ein tapferer Dragoner, lachte die Gräfin Callenberg, der hinter einer Dame und einem Cavalier vom Dresdner Hofe zurückbleibt.

Ich lasse ihm willig den Vorrang, den er verdient, antwortete ich; bleibe auch dabei, daß Vorsicht die Mutter der Weisheit ist.

O, ihr weisen vorsichtigen Herren! rief sie, nur wer kühn ist, kann gewinnen. Doch jetzt schaut hin, ist es nicht schön hier oben?

Sie deutete auf das weite Panorama von Bergen und Thälern, durch welches der Strom sich silberblitzend rollte; aber der junge Kriegsheim richtete seine Augen mehr auf sie und rief dann in seiner lebhaften Weise:

Wahrlich, hier ist es wie im Himmel! Ich glaube die Engel zu sehen und zu hören.

Sie nahm diese Schmeichelei nicht übel, that aber, als hörte sie nicht darauf, fuhr fort uns auf Allerlei aufmerksam zu machen; und wirklich war es ein prächtiger Anblick nach allen Seiten hin; allein es dauerte nicht lange, so hatte er wieder ein schmeichelndes Wort für sie und wußte es so angenehm in ihr Ohr zu bringen, daß es darin haften blieb. Dabei regte sich heimlicher Verdruß in mir, und doch konnte er nicht aufkommen, denn dieser junge prächtige Herr, welcher so plötzlich, wie vom Himmel gefallen, unter uns erschien, war kein stolzer, übermüthiger Hofjunker, der hochmüthig um sich schaute. Seine Augen blickten auch mich freundlich und zutraulich an, und seine Artigkeit machte, daß ich ein Wohlwollen für ihn empfand, obwohl ich mir sagen mußte, daß dies ein gefährlicher Nebenbuhler sei.

Ich fühlte ein männlich, freimüthig Wesen in mir, dachte heimlich, laß uns sehen, was daraus wird, trug keinen Haß oder Neid und that ebenfalls freundlich und offen zu ihm. Wir ritten zu beiden Seiten unserer Dame und unterhielten sie aufs Beste, lachten und waren fröhlich. Die Gräfin Callenberg wurde dabei so guter Laune und sah so schön aus, daß ich sie immer ansehen mußte. Ihr leidenschaftlich Gebahren war vorbei, wir jagten nicht mehr halsbrechend fort, sondern ritten auf guten Wegen, und ihre Reden sowohl wie selbst ihre Mienen waren von sanfterem Ausdruck, holdseliger und weiblicher, als ich dies bis jetzt bei ihr gefunden.

So kamen wir zuletzt im Schlosse an, und hier war von Kriegsheim sogleich aus dem Sattel, hob die Gräfin vom Pferde und führte sie in das Schloß. Der Hausmeister Mordoch empfing seine Gebieterin an der Schwelle, und ihre erste Frage war nach ihrer Tochter, dann nach dem Grafen Althan.

Ich glaube meiner gnädigsten Gräfin melden zu können, daß beide gnädige Herrschaften keinen Schaden gelitten haben, sagte Mordoch mit ehrfurchtsvoller Verbeugung. Nur das kostbare Riechbüchschen des gnädigen Herrn ist zerbrochen worden.

So wollen wir den Herrn Grafen nicht wieder in die Lage versetzen, Schaden zu nehmen, rief sie lachend. Lieber soll er künftig der Comtesse Gesellschaft leisten und ihr mit seinem Riechbüchschen die Sinne schärfen.

Damit ging sie mit dem Baron Kriegsheim weiter, und der Hausmeister wäre von diesem beinahe umgestoßen worden, da er bei seiner abermaligen tiefen Verbeugung nicht schnell genug aus dem Wege kam.

Als wir nun in den Saal gelangten, fanden wir dort den Justizamtmann der Herrschaft, welcher mit einem starken Packet Papieren die Gräfin erwartete und unterthänigst seine Reverenzen machte. Sie dagegen war in so fröhlicher Stimmung, daß sie sogleich rief:

Komme Er mir nicht mit Processen, Acten und seinem langweiligen Geschmiere, Herr Amtmann Hambacher. Bringe Er die Scharteken bei Seite und setze Er sich mit uns an den Tisch, was uns allen besser gefallen wird.

Der Amtmann war ein kleiner, dickwanstiger Bursche, mit einem rothen Vollmondskopf, einer aufgestülpten dicken Nase darin und einer Allongenperücke. Er trug Schnallenschuhe und perlfarbene Seidenstrümpfe, sammtene Kniehosen und eine Schooßweste von blumigem Atlas, aus der eine ungeheure Hemdkrause über sein Doppelkinn fortragte. Er sah aus wie ein Trunkenbold und wie ein Spitzbube, und ich zweifelte keinen Augenblick daran, daß er beides in reichlichem Maße war.

Die Einladung behagte ihm sichtlich, aber süßlich lächelnd sagte er:

Meine allergnädigste Gräfin weiß, daß gestern Gerichtstag gewesen, und unter diesem schlechten Volke giebt es leider eine solche Menge von Maleficanten, daß des Strafens kein Ende wird. Wenn meine huldvollste Gebieterin mir nur wenige Minütchen wegen derer schenken wollte, die sich an Recht und Eigenthum der gnädigsten Herrschaft versündigt, die Arbeitstage verkümmert, die Dienste verabsäumt, die Abgaben verschuldet oder Wald- und Feldfrevel begangen, so könnten Andere, so beschieden werden sollen, sich gedulden.

Hier unterbrach ihn die Gräfin, welche ungeduldig zugehört, und rief in frohem Tone:

Höre Er auf, Herr Amtmann Hambacher, und werf Er die Wische ins Feuer. Ich will allen diesen Sündern vergeben. Es sind arme Leute, geh er nicht zu streng mit ihnen ins Gericht, denn es steht ja geschrieben: richtet mild, damit ihr mild gerichtet werdet.

Der Amtmann riß vor Verwunderung seine in Fett schwimmenden Augen weit auf, wahrscheinlich war ihm solche Milde noch nicht vorgekommen; aber die Gräfin Helene nahm keine Notiz davon.

Sie wandte sich zu uns, namentlich zu dem Baron Kriegsheim, und sagte mit ihrem bezaubernden Lächeln:

Für das Glück solche edle Gäste bei mir zu sehen muß ich dankbar sein, und meine Unterthanen müssen daran Theil nehmen. Alle sollen einen guten Tag haben und nun, Ihr Herren, laßt uns an uns selbst denken.

Dies geschah denn auch, so viel als möglich. Graf Althan kam und die junge Comtesse Agnes Maria mußte erscheinen, um an der Mittagstafel Theil zu nehmen. Ihre Mutter umarmte sie, scherzte mit ihr und gab ihr zu, daß, da sie niemals eine Reiterin werden würde, sie davon dispensirt bleiben sollte.

Sei nur in allen anderen Dingen folgsam und gehorsam, sagte sie; nicht so blaß und kopfhängerisch, wie der Herr Oheim in Sorau, und denke nicht an die Betstunden der theuren Frau Großmutter, sondern lerne, wie eine junge Dame von Stand Conduite bekommen soll. Der Herr Graf Althan soll Dich informiren helfen, der weiß was am kaiserlichen Hofe bei den Damen ästimirt wird, und nach Wien mußt Du doch, nirgend anders hin in der Welt.

Das Weinen schien dem kleinen Fräulein nahe zu sein, doch sie wagte nicht, weder es merken zu lassen noch ein Wort zu erwidern, sondern folgte geduldig dem Grafen, der sie zur Tafel führte und ihr alle Dienste und Artigkeiten erwies.

Inzwischen hatte sich unsere Gesellschaft durch den Stadtpfarrer aus Steinau vermehrt, einen großen hageren Geistlichen von ernstem Wesen, und durch seinen Kaplan, der ein schlaues, kriechendes Ansehen hatte. Auch der Gehülfe des Amtmanns, der Actuar des Steinauer Gerichts, wurde zum Bleiben eingeladen, ein Kerl, der in seiner Unterthänigkeit stumm blieb, dafür aber an der legten Tischecke ungeheuer aß und trank und pflichtschuldigst lachte, sobald er lachen sah. Und dazu hatte er häufig Gelegenheit, denn es ging sehr munter her.

Der Baron von Kriegsheim erheiterte uns alle durch seine vielen Geschichten, Anekdoten und Einfälle, die so komisch und amüsant waren, daß man ihm gerne zuhören mußte. Er schien auch in den Wissenschaften wohl erfahren, konnte mit dem Geistlichen und dem Amtmann disputiren und berichtete, daß dies daher komme, weil er in Leipzig Studien absolvirt, ehe er an den Hof und dann nach Paris gegangen. In allen Dingen zeigte er sich als ein vornehmer Herr von den angenehmsten Sitten, und so bekannt war er mit den Höfen und deren Actionen und angesehenen Personen, daß er mit dem Grafen Dietrich verschiedentlich zu streiten vermochte und besser in Staatsaffairen, Kriegen und Friedensschlüssen, oder was Recht und Gebrauch sei, Bescheid wußte, als dieser.

Obwohl dies nur mit aller Höflichkeit geschah, kamen die jungen Herren doch mit einigen spitzen Worten an einander, allein auch hierbei wurde der Baron Kriegsheim nicht geschlagen. Seine Spötteleien reizten die Gräfin ihn zu unterstützen und den armen Grafen mit seinem Riechfläschchen und seiner Weichlichkeit unbarmherzig aufzuziehen. Endlich aber erlitt er noch zuletzt eine Niederlage in einem Dinge, auf welches er sich viel einbildete, nämlich auf seine Kenntniß des Französischen. Baron Kriegsheim zeigte ihm, daß er auch darin ihm überlegen sei, denn als Graf Dietrich, um seinen Gegner anzugreifen, sich über einige Ausdrücke, welche dieser gebraucht, luftig machte, wurde er selbst ausgelacht, indem von Kriegsheim ihm bewies, daß er nichts davon verstehe.

Unser Gastmahl endete endlich voller Fröhlichkeit, und wir begaben uns in den Garten, wo in einem schönen Bosket Kaffee getrunken wurde. Park und Gärten des Schlosses waren über alle Maßen herrlich angelegt, nach dem Muster des großen Garten von Versailles, der damals das Vorbild für Alles dieser Art in der ganzen Welt war. Schöne Baumwege durchschnitten ihn, labyrinthische Gehege wurden von geschnittenen hohen Hecken eingefaßt, denen die mannigfachste Form gegeben war. Größere und kleinere klare Wasserbecken und Fischteiche befanden sich zwischen diesen Baum- und Graspartieen; auch fehlte es nicht an mehren Fontainen und Cascaden, zu denen man das Wasser von den Bergen herbei geleitet. Wahrlich es war ein reizvoller, lieblicher Aufenthalt, der seinen Besitzern alles Glück des menschlichen Lebens gewähren konnte.

Das fürstliche, große Schloß, von Terrassen umringt, welche Marmorstatuen zierten, lag sonnenglänzend, stolz und herrlich in dieser kostbaren Einfassung, und noch denke ich mit Entzücken und sehnsüchtiger Trauer an die Schätze, welche es enthielt. Seine Treppen, seine Hallen, die Säle mit dem schönen Stuckwerk der reichverzierten und gemalten Deckengewölbe, die Gemälde, welche die edlen Grafen von Tentschin kunstliebend gesammelt, den großen Saal voller Bücher, Urkunden, Landkarten und Kupferstiche, sorgsam geordnet und gepflegt, Alles sehe ich noch jetzt in meinen Erinnerungen, und so schwebt mir lebendig jener Tag auch noch vor, wo wir in dem großen Bosket saßen und nach mancher Lust endlich mit Pistolen nach einem Ziele schossen.

Ich hatte genugsam von der Kunst gehört, mit welcher die Gräfin Callenberg zu schießen verstand, darunter schreckliche Dinge; hier sah ich nun, daß Graf Dietrich wenigstens darin nichts erfunden hatte, daß sie eine meisterhafte Geschicklichkeit besitze. Sie ließ ihre Pistolen holen und auf zwanzig Schritte wurde ein Siebzehnkreuzerstück auf ein Blättchen Papier geklebt. Diese kleine Silbermünze traf sie sechsmal hintereinander, ohne lange zu zielen, während wir uns meist vergebens bemühten, es ihr gleich zu thun. Am besten gelang es noch dem Herrn von Kriegsheim, der das Geldstück einige Male traf und dafür von der Gräfin mit einem Kranz von Eichenblättern geschmückt wurde. Wir Anderen gingen leer aus, wurden verspottet und mußten uns damit trösten, daß es verschiedene Künste gäbe, in denen wir besser bestehen würden.

Glücklicher Weise, rief Graf Dietrich, ist es eine Dame, vor der wir unser Knie beugen müssen, und wer thäte dies nicht gern und ergäbe sich solcher schönen Siegerin auf Gnade und Ungnade.

Ergebe sich der Herr Graf immerhin in sein Schicksal, lachte sie, doch bei mir wird Er keine Gnade finden, bis ich sehe, daß es Ihm Ernst ist sich zu bessern. Will der Herr Graf morgen mit uns jagen oder zieht Er es vor, lieber zu Haus zu bleiben und bei meiner Agnes Maria im Büchersaal zu sitzen?

In diesem Falle, erwiderte mein Freund, wäre der glückliche Ausweg zu wählen, keines von beiden zu thun, sondern meine theuerste Comtesse bestimmen zu lassen, wohin ich sie begleiten soll.

So scherzend bot er dem Fräulein seinen Arm und führte sie fort. Der Tag verging in dieser Gesellschaft schnell, und wir blieben spät beisammen bei dem feurigen Wein des seligen Grafen Tentschin, der uns reichlich aufgetragen wurde.



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