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8.

Was nun weiter geschah, kann ich mit kurzen Worten gedenken. Hätte Herr von Fevre die Stunde der Verwirrung benutzt, so hätte er sicherlich entfliehen können, was wahrscheinlich Graf Schafgotsch selbst wünschte, allein er hatte seine Ehre verpfändet, daß er in seinen Kerker zurückkehren würde, und wollte diesen Eid nicht brechen; dabei hatte er auch wohl immer noch viele und begründete Hoffnungen, der Gräfin nicht ausgeliefert zu werden, da der kaiserliche Hof selbst seinen Proceß dem Obergericht anbefohlen; endlich aber war er so voll Schmerz und Niedergeschlagenheit über das Schicksal der Comtesse, daß er erklärte, es sei ihm Alles gleichgültig, was mit ihm geschehen möge.

Er wurde in das Gefängniß zurückgebracht, denn Graf Schafgotsch wagte jetzt nicht mehr, ihn frei zu geben, obwohl er ihn tröstete, daß er bald in Wien seine Begnadigung erwirken wolle. Was die junge Gräfin aber betrifft, so mußte sie am nächsten Tage die Reise antreten. Das Fräulein von Hund und zwei evangelische Bediente der Herzogin begleiteten sie. Beim Abschied von ihrer unglücklichen Großmutter mußten wir Alle mit weinen, und lange hat die alte Dame diese Trennung von ihrer geliebten Enkelin auch nicht überlebt. Sie kehrte bald nach ihrem Wittwensitze Drehna in der Lausitz zurück.

Welche Aufregung jedoch der kaiserliche Befehl in Breslau hervorbrachte, kann man daran sehen, daß am Abend jenes Tages mehre angesehene Protestanten zu mir kamen und sich erboten, die junge Gräfin während der Nacht fort- und sicher nach Dresden zu bringen, wozu alle Anstalten getroffen seien. Man möge ihnen nur einen Brief an einen der Geheimräthe in Dresden geben. Ich ließ mich bei der Herzogin melden und theilte ihr dies Vorhaben mit, allein sie war zu ängstlich, erschöpft und eingeschüchtert, wollte sich auf solchen gefährlichen Plan nicht einlassen, und bat um Gottes willen, nichts zu thun, das den Kaiser noch mehr aufbringen könnte.

So unterblieb es denn, aber in Breslau wurde viel davon gesprochen, und wurde die Ursache, daß ich die Stadt eher verlassen mußte, als es sonst der Fall gewesen wäre.

Die Gräfin von Callenberg setzte ihre Bemühungen fort, den Herrn von Fevre ausgeliefert zu erhalten, wurde vom Oberamte zwar zurückgewiesen, auch von den Einwohnern von Breslau hart mitgenommen, und sogar mehrmals öffentlich beschimpft, fand aber doch auch ihren Anhang und Beistand, namentlich in der Geistlichkeit und bei manchen eifrigen Katholiken, die aus ihrer Sache eine Religionssache machten. Einige protestantische Prediger eiferten dagegen selbst von der Kanzel wider sie, und in schlecht verdeckter Weise auch gegen das, was in Wien geschehen, so daß die Aufregung immer höher stieg, obenein da man wissen wollte, die junge Gräfin würde den Jesuiten übergeben und zur Abschwörung ihrer Religion gezwungen werden.

Graf Schafgotsch befahl der Gräfin Callenberg endlich, Breslau zu verlassen, wozu sie sich unter heftigen Drohungen bequemte; zugleich untersagte er den Predigern, sich weiter in diese Sache zu mischen, und verbot es, an öffentlichen Orten davon ungebührlich zu reden, was aber dennoch oft genug geschah.

Natürlich wurde auch der arme Chevalier von Fevre in seinem Gefängniß nicht vergessen, und da ich als dessen Freund galt, wandten sich mehre Personen mit ihren Absichten, für seine Befreiung zu wirken, an mich. Er wurde in scharfem Gewahrsam gehalten, und sein Proceß betrieben. Meine Bemühungen, ihn zu sehen und zu sprechen, blieben umsonst, und eines Tages kam mein Vetter zu mir und theilte mir mit, daß Graf Schafgotsch mehre Anzeigen und Klagen erhalten hätte, daß ich als ein ausländischer Edelmann und Offizier mich in Landesangelegenheiten mische und heimliche Pläne mache, diesen Gefangenen aus seinem Gefängnisse zu entführen. Ich läugnete dergleichen Pläne zu haben, gab jedoch zu, daß ich es von Herzen gerne sehen würde, wenn Fevre befreit werde, worauf mein Vetter mir antwortete:

Wir wissen das recht gut, allein wenn es geschähe und Ihr befändet Euch hier in Breslau, würde das Geschrei entstehen, daß Ihr dies gethan und kein Anderer. Ihr würdet in die Untersuchung verwickelt werden, und viele Unannehmlichkeiten möchten Euch treffen.

So wollt Ihr, daß ich abreisen soll? fragte ich ihn.

Ja, sagte er. So gern ich Euch länger hier behielte, ist es doch sowohl meine, wie des Grafen Schafgotsch Ueberzeugung, daß es das Beste sei, Ihr kehrt nach Haus zurück. Der Proceß gegen den Herrn von Fevre geht nun seinen Gang, die Gräfin aber ist fort und wird ihn nicht nach Steinau bekommen. Sobald das Urtheil erfolgt ist, wird Se. Excellenz Graf Schafgotsch nach Wien berichten, und die Begnadigung dringend nachsuchen, wie er es der alten Herzogin feierlich zugesichert. Der Kaiser wird dies nicht abschlagen, seid also darüber beruhigt und gebt der Gräfin Callenberg und ihrem Anhange nicht etwa durch unüberlegte Handlungen neue Waffen in die Hände.

Da ich sah, wie man mich los zu sein wünschte, der Aufenthalt in Breslau auch seinen Reiz für mich verloren hatte, dabei aber allerdings die Besorgniß nicht unbegründet schien, Feindschaften ausgesetzt zu werden, welche dahin führen konnten, daß ich in Berlin verklagt wurde, wo so eben der kaiserliche General und Gesandte von Seckendorf den König ganz auf des Kaisers Seite gezogen hatte, so beschloß ich, sogleich meines Vetters oder des Grafen Schafgotsch Wünschen nachzukommen, denn ich zweifelte nicht daran, daß dieser meine Abreise angeordnet. – Als ich mich ihm vorstellte, verhehlte er mir auch nicht, daß ich richtig geschlossen, überhäufte mich aber mit Versicherungen seiner Huld, betheuerte auch mir, daß er den Herrn von Fevre gewiß nicht verlassen und Alles zum Besten wenden werde, und gab mir endlich die Erlaubniß, Abschied von ihm zu nehmen und ihn zu trösten.

Am anderen Tage, kurz vor meiner Abreise, wurde ich zu ihm geführt und hatte eine Unterredung mit ihm, jedoch im Beisein des Aufsehers des Gefängnisses und eines Gerichtsschreibers. Er war gut gehalten und empfing mich mit vieler Herzlichkeit.

O! mein lieber, theurer Freund! rief er aus, indem er mich umarmte, so wollt auch Ihr mich denn verlassen. Für den Gefangenen ist es ein großer Trost zu wissen, daß ein Freund in seiner Nähe ist.

Seid überzeugt, erwiderte ich, daß ihr mächtigere Freunde hier habt, als ich es sein könnte, und hofft darauf, bald in Freiheit gesetzt zu werden.

Habt Ihr von Wien Nachricht erhalten? fiel er ein, indem er mich bedeutungsvoll anblickte.

Nein, versetzte ich, doch habe ich von dem Grafen Schafgotsch gehört, daß die junge Comtesse von der Kaiserin gnädig empfangen wurde und im Hause des Hofmarschalls Wohnung erhalten hat.

Er ließ seinen Kopf sinken, legte die Hand daran und seufzte. Es ist Alles vergebens gewesen, sagte er traurig. Gott hat es so gewollt.

Laßt den Muth nicht sinken, erwiderte ich ihm. Wir werden uns wiedersehen und Ihr werdet dann froher sein.

Wir werden uns wiedersehen! versetzte er sich aufrichtend, ja darauf will ich hoffen und bis dahin von meinen Erinnerungen leben. Dank, tausend Dank, mein lieber Freund! Vergeßt mich nicht. O! ich rechne darauf, Euch wieder zu sehen, wenn nicht – hier schwieg er still, und ein Schauder lief über ihn hin – doch nein, fuhr er dann leichter und lächelnd fort, warum soll ich nicht immer noch glauben und von der Zukunft träumen? Ich bin jung; ein Mensch kann viel ertragen. Die Sonne wird auch mir wieder scheinen; die Sonne der Freiheit, nach der ich schmachte, wird mir neues Glück und neues Hoffen bringen.

Er umarmte mich und wir nahmen Abschied, nachdem ich ihm Alles mitgetheilt, was ich von dem Grafen Schafgotsch erfahren.

Nun, rief er endlich, so geht denn, und wenn ich nicht zu Euch komme, so kommt zu mir. Ich will Euch Nachricht geben, sobald ich frei bin, doch wo es immer sein mag, will ich niemals Eure Freundschaft und Eure Güte vergessen.

 

So trennten wir uns, wenige Stunden darauf reiste ich ab, und kam wohlbehalten in Frankfurt an, gerade zur rechten Zeit, denn eben sollte ein Befehl an mich abgehen, mich sofort beim Regiment zu stellen. Seckendorf hatte den König von seinem hannöverisch-französischen Bündnisse abgebracht, ihm in des Kaisers Namen das Herzogthum Berg und andere schöne Dinge versprochen, dafür rüstete der König, im Fall der Krieg mit den Franzosen und Engländern ausbräche.

Es dauerte auch nicht lange, so erhielt unser Regiment Marschbefehl und ging durch die Marken gegen die hannoverschen Grenzen vor. Es kam nun zwar zu keinem Kriege, doch war lange unruhige Zeit, und als der Schwiegervater unseres Königs, König Georg der Erste von England, plötzlich starb und sein Sohn, Georg der Zweite, ihm in Hannover und auf dem englischen Thron folgte, wurde es noch schlimmer, denn die beiden Könige und Schwäger haßten sich von Jugend auf.

Bei Lenzen an der Elbe wurden 45 000 Preußen zusammengezogen, und Georg der Erste bildete ein Heer aus seinen Hannoveranern, sammt Hessen, Braunschweigern und Gothaern, zu denen Dänen, Franzosen und Holländer stoßen sollten. Das Drohen dauerte mehre Jahre, zuletzt aber legte sich der Zorn und Alle zogen ab.

Nun wurden wir hierher und dorthin geführt, kamen an den Rhein nach Wesel, wo ich den gefangenen achtzehnjährigen Kronprinzen sah, der nach England hatte entfliehen wollen und, blutig geschlagen und gestoßen von dem strengen Vater, durchaus als Deserteur erschossen werden sollte. Darauf kamen die polnischen Verwickelungen und geheimen Verschwörungen. Der König August von Polen wollte ein erbliches sächsisches Königreich für seinen Sohn daraus machen, und bot dem Könige von Preußen dafür das polnische Preußen, Großpolen und Kurland an, Frankreich wollte den Stanislaus Lesczinsky auf den polnischen Thron bringen, Rußland, Oesterreich und Preußen aber den Prinzen Emanuel von Portugal.

Wir marschirten nach Landsberg an der Warthe, in Schlesien sammelte sich ein kaiserlich Heer, ein russisches rückte ebenfalls auf Polen los und schon damals wurde Mancherlei davon gesprochen, das polnische Reich zu theilen, wo die Adelsparteien gegen einander wütheten, daß kein Aufhören war, Reich und Land somit leichte Beute schienen. Der polnische Reichstag wählte aber doch den Stanislaus, der als Kaufmann verkleidet auch richtig aus Frankreich und über Berlin mitten durch unsere Regimenter nach Warschau kam, sich aber daselbst nicht halten konnte, als die Russen vordrangen. So flüchtete er nach Danzig und wurde daselbst belagert. Darauf ging der Reichskrieg gegen die Franzosen los, den ich als Major mitgemacht und Mancherlei dabei erlebt habe.

Da es aber nicht hierher gehört, soll nur gesagt werden, daß ich darauf wieder nach Königsberg in Preußen geschickt wurde auf Grenzwacht gegen die Russen, welche mit einem Einfall in Preußen drohten, weil der König den Stanislaus Lesczinsky in Königsberg beherbergte und beschützte; habe auch mit allem diesem nur zeigen wollen, wie ich viel hin und her geworfen ward und wenig Zeit hatte, mich noch mit den Geschichten abzugeben, so ich in Schlesien erlebt.

Ich hatte diese freilich nicht vergessen und schrieb in der ersten Zeit mehr als ein Mal an meinen Herrn Vetter von Wolfersdorff, erhielt jedoch lange Zeit keine Antwort. Das Postwesen war schlecht, der Briefverkehr ungewiß und mangelhaft, es dauerte Wochen lang, ehe ein Schreiben nach Breslau gelangen konnte, und in mehren Feldlägern an der Elbe und am Rhein ging's vollends übel mit der Briefschreiberei zu. Lange hoffte ich, daß der Chevalier von Fevre mir Nachricht geben, oder wohl gar selbst mich aufsuchen werde, allein auch das geschah nicht, und so vergingen mehr als drei Jahre, ehe ich bei mehr Muße von Wesel am Rhein aus wieder an meinen Vetter schrieb, darnach sechs Monate darauf auch eine Antwort empfing, die mir einen traurigen Tag machte.

Was den Herrn von Fevre anbelangt, schrieb mir der Geheimrath, so hat das Obergericht diesen Aventurier zu drei Jahren Gefängniß verurtheilt, aber obwohl Se. Excellenz von Schafgotsch die kaiserliche Gnade für ihn angerufen, hat Se. Majestät ihn dennoch nicht pardonnirt, vielmehr anbefohlen, ihn auf die Festung Olmütz nach Mähren zu schaffen, woselbst er bald darauf gestorben sein soll. Man hätte wünschen mögen, daß er losgekommen, wenn er auch wie ein leichtsinniger Mensch gehandelt; wir sind aber alle froh, nichts mehr von dieser fatalen Historie zu vernehmen, und hat er uns Noth und Sorgen genug gemacht, um zufrieden zu sein, daß es mit ihm ein Ende genommen.

Damit beruhigte sich mein gutmüthiger Herr Vetter, und was sollte ich weiter thun, als seinem Beispiele folgen? De Fevre war todt, die alte Herzogin ebenfalls, von dem Schicksale der jungen Gräfin schrieb er kein Wort, von ihrer Mutter nur, daß diese herrlich und in Freuden in Steinau lebe, aber solche boshafte und grausame Handlungen begehe, daß Niemand vom Adel mit ihr umgehen möge, viele Klagen laut würden und ihre Unterthanen sie verfluchten.

Damit hatten meine Nachrichten ihr Ende erreicht, denn es dauerte nicht lange, so starb auch mein Vetter, hinterließ einem Sohn sein Erbe, der in kaiserlichen Diensten in Tyrol lebte, und den ich nie gesehen; item war der Faden für immer abgerissen, und es vergingen mehr als zehn Jahre, wo ich nicht wieder vernahm und endlich auch kaum mehr daran dachte.

Am 31. Mai, im Jahre 1740, starb aber König Friedrich Wilhelm der Erste und unser großer König kam auf den Thron, damals ein junger Herr von acht und zwanzig Jahren, voller Feuer und Durst nach Heldenruhm und Kriegsgefahr. So geschah es, daß, als Kaiser Karl der Sechste in eben diesem Jahre, am 20. October, starb, er schon gerüstet war, sich Schlesien zu verschaffen. Sein Vater hatte ihm ein prächtiges Heer von 80 000 Mann und einen Schatz von neun Millionen Thalern hinterlassen, so konnte er den Krieg wohl führen, drang im December noch in Schlesien ein, schlug die Oesterreicher bei Mollwitz und hatte die ganze große Provinz dann in seiner Hand.

Ich war Oberstlieutnant geworden, commandirte drei Schwadronen von Bellings Husaren und jagte mit ihnen den fliehenden Oesterreichern nach. Der König ging auf Oberschlesien los, wir Husaren waren schon drinnen, und so kam ich wieder in diese Gegenden und nach Steinau, wo ich so Mancherlei erlebt, was mir jetzt mit neu aufgefrischten Erinnerungen in Kopf und Herz kam.

Wie ich das Schloß vor mir liegen sah, von seinen hohen Bäumen und prächtigen Gärten umringt, tauchten die alten Zeiten aus den Nebeln der Vergessenheit auf, und obenein war es schönes Sommerwetter, ein so blauer, sonnenvoller Tag, wie damals, wo ich vor fünfzehn Jahren mit dem Grafen Dietrich Althan hierher kam. Ich fühlte ein Verlangen, die Stätten wieder zu betreten, die mir so schön und leidvoll gewesen.

Meine Husaren hatten sich in den Ort gemacht und Kundschaft eingezogen, ob Oesterreicher in der Nähe seien; dies war jedoch nicht der Fall. In der Festung Neiße lag aber der österreichische General Neuperg mit starker Besatzung, die weit umher streifte, und Steinau wie das ganze Land war streng katholisch, also den Preußen feindlich gesinnt. Wir mußten somit auf unserer Hut sein, ritten mit gespannten Pistolen und Carabinern in das Städtchen ein und verlangten, was wir haben wollten, wie es in Feindes Land Gebrauch ist, ohne langes Federlesen vom Bürgermeister und dem Amt. Dabei fragte ich denn sogleich nach der Gräfin, hörte, daß sie auf dem Schloß sei, und ritt mit meinen Offiziers und einem Trupp Husaren hinauf.

Der Amtsvoigt wollte mir den Weg durch den Park zeigen, suchte mich aufzuhalten und mochte den Besuch anmelden wollen, allein ich sagte ihm, daß ich den Weg selbst zu finden wüßte, worüber er nicht wenig erstaunte. Ohne Zögern sprengte ich fort in das Parkthor hinein und kam vor das Schloß, ehe es Jemand ahnte. Beim Schnauben und Trampeln unserer Pferde lief die Dienerschaft herbei und voller Angst wieder davon, als sie die Preußen sah. Wir ließen sie laufen, denn meine Husaren verstanden ihre Sache ohne alle Hülfe, hatten Ställe und Haus in Besitz, ehe Einer seine Hand umdreht; als ich aber die Freitreppe hinaufging, kam ein aufgeputzter stattlicher Herr zur Thür heraus, der kein Anderer war, als mein guter Freund Mordoch. Er hatte sich wenig verändert, nur noch riesiger und breiter war er geworden, noch vierkantig dicker sein Kopf und noch spitzbübischer seine verstellte Demuth, hinter der sich sein brutales Wesen versteckte.

Er schrak zusammen, als er uns vor sich sah, faßte sich aber sogleich, denn fort konnte er nicht, und machte ein so unterthäniges Gesicht, daß ich das Lachen nicht lassen konnte, weil ich den Schelm gerade so oft genug gesehen hatte. Seinen Rücken hielt er wagerecht gebückt und ich gab ihm einen Schlag dahin, und sagte dabei:

Richt' Er sich auf und geb' Er Antwort.

Er befolgte meinen Befehl, und nun betrachteten wir uns Beide. Er war prächtig gekleidet, in seidenen Strümpfen und Schnallenschuhen, trug ein feines blaues Kleid mit großen goldrandigen Perlmutterknöpfen, eine frisirte und gepuderte Perrücke, und schwarzseidene Unterkleider; ich dagegen sah wild genug aus mit meiner roth gebrannten Haut, dem langen Schnurr- und Knebelbart, der nach Husarenmanier über Mund und Kinn fiel, dem dicken Zopf über Genick und Rücken, und in meinem abgeschabten Dollman, der sechs Wochen lang mir nicht vom Leibe gekommen.

Drei und vierzig Jahre war ich nun alt, und im Kriegs- und Feldlagerleben wenig mehr von meiner Jugend mir geblieben. Er stierte mich daher gierig an, ohne den Faden finden zu können. Ich ließ ihm aber auch keine Zeit dazu, denn ich fragte ihn sogleich:

Wo ist Seine Gräfin? Führe Er mich zu ihr.

Meine gnädigste Gräfin, erwiderte der Schelm, hat heut in der Frühe – Steinau verlassen, wollte er sagen, allein die Stimme der Gräfin unterbrach ihn. Der Lärm war zu ihr gedrungen, sie rief von der Treppe herunter, was es gäbe, und ich ließ den Hausmeister mit seinen Lügen stehen und ging hinauf.

Wie? rief sie, als sie mich und meine Begleiter sah, sind das Preußen?

Ja, gnädigste Gräfin, antwortete ich, doch besorgen Sie nichts, Ihr Diener wollte Sie verläugnen, wir werden Sie aber nicht molestiren, so weit dies irgend vermieden werden kann.

Seien Sie mir willkommen, erwiderte sie; was mein Haus besitzt, soll es gerne geben. Ich fürchte mich nicht vor so tapferen Cavalieren, die einer Dame auf ihrem Wittwensitze kein Leid thun werden.

Damit gab sie mir ihre Hand, war sehr freundlich, lachte und nöthigte uns in den Saal, wohin ich sie mit aller Artigkeit, doch mit einiger Beklommenheit führte, die mich bei ihrem Anblicke überfallen hatte. Ihre hohe Gestalt war noch so stolz wie früher, jedoch die Formen hatten sich in die Breite gedehnt, sie war ziemlich corpulent geworden. So zeigte auch ihr Gesicht noch viele Spuren seiner früheren Schönheit, und ihr Mund die weißen prächtigen Zähne, allein Alles war kolossaler ausgeprägt, hart und verzerrt, wie bei Menschen, die in wilden Genüssen leben. Ihre Wangen waren roth von vielen kleinen Adern, ihre hohe, sonst marmorglatte und weiße Stirn hatte sich mit kleinen Falten durchzogen und gelbgrau gefärbt, die Augen aber leuchteten noch größer und noch unruhiger, dabei von einem röthlichen Schimmer umgeben. Für ungestüme Männer hatte diese Frau noch immer nicht ihre Reize verloren, und dazu kam ihre lebhafte Unterhaltung, das Feuer ihrer Leidenschaften, das sich mit ihren Scherzen und der Zwanglosigkeit ihrer Sitten mischte, endlich auch ihre unverstellte gute Laune, mit der sie sich freute, ihr Haus voll stattlicher Gäste zu haben, welche ihr lange gefehlt hätten.

Nach einer halben Stunde wurden wir gut bewirthet, und ich stellte ihr alle meine Offiziers vor, unter denen sich einige stattliche junge Herren befanden, die ihr besonders wohl gefielen. Als ich ihr meinen Namen nannte, sprach ich ihn wie Hartau aus, glaubte aber doch, sie würde mich erkennen; allein sie schien Alles vergessen zu haben, oder war mit anderen Gedanken beschäftigt, schäkerte weiter und lud uns ein, zu zeigen, daß wir so tapfer an ihrer Tafel wären, als auf dem Schlachtfelde gegen die Oesterreicher.

Als sie Wein getrunken, sagte sie bald geradezu, daß sie nach dem Kaiser gar nichts frage. Möge der Teufel die Oesterreicher holen, wenn sie nicht im Stande seien, das Land zu schützen. Der junge König von Preußen, der ein feiner, galanter Herr sei, sich mit lustiger Gesellschaft umgebe und ein lustiges Leben führe, das sei ein Mann nach ihrem Sinne, und nun trank sie auf des Königs Gesundheit und auf unsere Gesundheit, erzählte uns viel und ließ sich erzählen, lachte viel mit uns und hörte manchen wilden Spaß an, so daß es spät in der Nacht war, als wir endlich in unsere Quartiere gelangten.

Mordoch hatte mir ein Zimmer, beinahe so, wie damals, im Corps de Logis des alten Schlosses angewiesen, nur auf dem entgegengesetzten Flügel desselben, der auf die andere Seite der Terrasse stieß. Nicht weit davon waren meine Offiziers untergebracht.

Das große schöne Gemach hatte die Aussicht auf den Park, und wie ich den Mond über diesem stehen und so hell herein scheinen sah, fiel mir die Nacht ein, wo er den armen Herrn von Fevre und diese Frau beleuchtete. Ich konnte lange nicht schlafen, hätte auch am liebsten den Ort gleich verlassen mögen, denn meine Neugier war gestillt, und was ich gesehen, erregte meinen Widerwillen; denn die Gräfin hatte sich sicherlich nicht gebessert, sondern war noch weit wilder und wüster geworden, wie sie je gewesen; dafür hatte ich Zeichen genug bemerkt. Sie hatte am Abend so viel getrunken, daß sie von Mordoch fortgeführt werden mußte, hatte halb berauscht sich danach mit Blicken und Worten benommen und ein übel Bild dargeboten, das mir Abscheu erregte.

Was half ihr das große Schloß, all' ihr Reichthum und ihr prächtiger Haushalt! Sie schimpfte auf alle ihre Nachbarn, verhöhnte alle Weiber und Männer, die nichts von ihr wissen wollten, schimpfte auf die Regierung, welche ihr in letzter Zeit allerlei strengen Befehl zukommen lassen, wegen ihres willkürlichen und harten Regiments, was mir Tags darauf verständlicher wurde. Sie kehrte sich jedoch nicht daran, überließ sich den Einfällen ihrer verwilderten Launen, daß es Tollheit scheinen konnte, was sie that und sagte.

Ich war daher auch gesonnen, mich wo möglich ihr nicht zu erkennen zu geben, und da nach Soldatenbrauch Niemand meinen Namen nannte, sondern jeder Herr Oberstlieutnant sagte, so konnte es schon geben, wenn mein Aufenthalt nicht lange dauerte. Mein Befehl war, in Steinau zu bleiben, nach Neiße hin streifen zu lassen und abzuwarten, bis weitere Ordre komme. Das Heer des Königs näherte sich, die Ordre konnte also jede Stunde da sein, somit war ich ruhig, wollte jedoch verdeckt zu erfahren suchen, was ich gerne noch vielleicht wissen mochte.

Am andern Tage besichtigte ich früh die Umgegend, schickte Streifwachten aus, begab mich auch in die Stadt und ließ Rath und Beamte kommen, die ich ausforschte und ihnen alle Sicherheit gelobte, wenn sie es ehrlich mit uns meinten. Traute den Meisten freilich nicht viel Gutes zu, denn ich sah den spitzbübischen Justizamtmann und den kleinen Schreiber darunter, vertraute jedoch auf die Wachsamkeit meiner Husaren und auf ihre Säbel und Pistolen. Ich sprach auch mit einigen Bürgern aus der Stadt, sagte ihnen gute Worte, fragte, ob sie zufrieden seien, und so auch nach der Gräfin, deren Unterthanen sie waren. Aber sie wollten nicht mit der Sprache heraus, sahen sich an, zuckten die Achseln, meinten, es könnte ihnen wohl besser gehen, und kratzten sich die Köpfe.

Ehe sie die Mäuler weiter öffnen konnten, kam der Pfarrer dazu, derselbe, den ich seiner Zeit als Kaplan am Schlosse gesehen, mit demselben Schleichen und sanfter Gottseligkeit wie damals. Nun war Alles vorbei. Die armen Leute knixten und demüthigten sich vor ihrem Seelenhirten, der ihnen der Heiland selbst schien, und ich sah wohl, wie mißtrauisch er sie anblickte und welche Gewalt er über sie hatte. Darum beschloß ich, nicht weiter zu fragen, erfuhr jedoch bald durch meine Husaren Allerlei, denn gegen diese waren ihre Wirthsleute zum Theil offenherziger. Mein Diener Konrad, ein alter Husar, trug mir die Neuigkeiten zu.

Es lebte wohl Keiner in der ganzen Herrschaft, der die Gräfin nicht innerlich verfluchte und verwünschte, außer ihren Creaturen, aber auch diese waren ihr meist wenig anhänglich, denn sie gab ihnen nicht genug, speicherte lieber ihr Geld auf, kaufte auch prächtige Pferde, Kleider, Weine und Geräthe, und wenn sie in Wuth gerieth, hieb sie mit der Peitsche Jeden zusammen, wer er auch sein mochte. Die Weiber im Schlosse wurden oft von ihr grausam gemißhandelt; einen ihrer Bedienten hatte sie mit einer Pistole lahm geschossen, Keiner aber konnte sich Wohlthaten rühmen. Steuern und Abgaben wurden mit größter Härte eingetrieben, die geringsten Fehler mit Hieben, Geldbußen und mit dem Bock bestraft.

Eine Anzahl Bürger, welche beim Amt in Oppeln sich beschwert, ließ sie vor einiger Zeit auf dem hölzernen Esel reiten, der einen scharfen Rücken hatte, und ihnen schwere Gewichte dabei an die Beine hängen. Bauern, die da meinten, sie würden mit Frohnden überbürdet, und welche sich weigerten, mehr zu thun, wurden zu zwölf an einen Pflug gespannt, den sie ziehen und den Boden aufreißen mußten. Die Gräfin selbst ging nebenher, schlug sie mit einer schweren Peitsche und ließ sie dann krumm geschlossen ins Gefängniß werfen.

Dergleichen Geschichten hörte ich mancherlei und obwohl in damaliger Zeit der niedrige Mann vieler Gewalt ausgesetzt war, auch Peitsche und Stock als die gewöhnlichsten Mittel galten, um Bauern, Bürger und Soldaten Conduite beizubringen, ja selbst die adeligen Junker gefuchtelt wurden, so war doch Vieles, was ich vernahm, so grausam und so boshaft, vermischt mit mancherlei Hohn und schnöder Lust an Schmach und Schande, daß manche ihrer Streiche denen glichen, welche der Fürst Leopold von Dessau öfter ausgeübt Über den »alten Dessauer« kursierte die z.B. folgende Legende:

Eines Abends soll der Fürst die Dessauer Spittelstraße hinaufgeritten sein. Als er dabei an den Topfwarenhändlerinnen vorbeiritt, fragte er, wie denn das Geschäft gewesen sei. Die Frauen klagten und lamentierten. Daraufhin ritt der Fürst mitten in die Topfwaren hinein, so dass bald nur noch Scherben zu sehen waren. Die Marktfrauen schrien und heulten, doch je mehr sie das taten, umso ungestümer verhielt sich ihr Landesherr. Am Ende war kein einziges Stück mehr ganz. Als der Fürst alles zerritten hatte, forderte er die Marktweiber auf, gleich mit aufs Schloss zu kommen und er bezahlte ihnen den angerichteten Schaden nach Heller und Pfennig, so dass die Weiber doch noch einen guten Markt gemacht haben. Diese Anekdote soll in das Märchen vom König Drosselbart eingeflossen sein; jedenfalls ist überliefert, dass die Brüder Grimm von der Wandersage Kenntnis hatten.
; von einer Frau klang solches jedoch noch schlimmer.

Leider fand man grausame Härte des Abels gegen seine leibeignen Unterthanen nicht gar zu selten. In Preußen hatte König Friedrich Wilhelm der Erste den Bauern erst größeren Schutz verschafft, denn seine Gesetze mußten überall gehandhabt werden, in Schlesien aber konnten die großen Grundherren noch schalten und walten, wie es ihnen gefiel, und widerspenstige Bauern in den Pflug zu spannen und dabei wie Pferde zu peitschen, schien eine nicht eben ungebräuchliche Strafe.

Ueberhaupt war die Kluft unermeßlich groß zwischen dem hörigen Bauer und Kleinbürger, der niederen Volksmasse und dem Edelmann und was zu ihm gehörte. Es gab zwei verschiedene Welten, von denen die eine sich als geborene und von Gott auserwählte Herren der anderen betrachtete, oder als die eigentliche Menschheit, während jene weit unter ihnen stehende Geschöpfe von schlechterem Blut und Fleisch, wie von schlechteren Eigenschaften enthielt. Gleiche Rechte und Ansprüche werden die Menschen sich wohl niemals zuerkennen, damals jedoch war es Frevel, dergleichen behaupten zu wollen, und die Trennung nach Geburtsvorzügen so groß, daß der alte freiherrliche, gräfliche und fürstliche Landesadel seine Privilegien mit größter Hartnäckigkeit gegen jeden Eindringling aus dem niederen Adel und den geadelten Beamten der Fürsten vertheidigte.

Bei dieser berechtigten Menschheit wohnte allein die Ehre. Man behandelte sich mit Courtoisie und nach den hergebrachten Formen und Sitten, theilte mit den Fürsten an deren Höfen allen Prunk und oft verschwenderische Ueppigkeit, auf seinen Schlössern aber war der Adel unbeschränkter Herr und Herrscher im Kleinen, der keine Abgaben zahlte, keine Lasten trug, seine Unterthanen jedoch behandelte, wie es ihm gefiel, und auspreßte, so viel es geschehen konnte. Die vornehmen Herren und Damen, welche unter ihres Gleichen voller Zierlichkeit, Anstand und Würde waren, oder doch die strengsten Regeln der Etiquette beobachteten, wurden grausam, streng und hart, sobald sie ihre Leibeigenen vor sich hatten, die sie verachteten und als ihnen gehörige Lastthiere benutzten.

Bedenkt man nun, in welch geringem Ansehen die Wissenschaften und Künste standen, wie die Erziehung vernachlässigt wurde, wie wenig selbst Fürsten und Könige lernten und wie Vorurtheile und Kastenbegriffe sich ihre lange Herrschaft ausgebildet, so kann man sich nicht darüber verwundern, daß Hochmuth und Härte gegen unterthäniges Volk kein Makel in den Augen der allermeisten Leute von Stande war.

Die Gräfin Callenberg, so arg sie es trieb, würde um dessentwegen nicht gemieden worden sein, wenn sie den Adel nicht durch ihr wildes Leben ohne alles Decorum und durch ihren schonungslosen Spott gegen sich aufgebracht hätte. Sie schonte Niemanden, scheute nichts und war denn auch jetzt fast immer in Gesellschaft der Offiziere, ritt und fuhr mit ihnen umher, schoß mit ihren Pistolen Wette, spielte Schach und Tarok um Einsätze, und jeden Abend präsidirte sie an der Tafel, wo viel getrunken und gelacht wurde; denn sie war witziger und geistvoller, aber auch toller, als die ganze übrige Gesellschaft.

So ging es drei Tage lang, während ich mich möglichst zurückhielt und frühzeitig ihre Tafel verließ, um nichts von den Nachspielen zu genießen. Es war mir bis dahin gut geglückt, verborgen zu bleiben, hatte auch nicht angepocht an die Vergangenheit, nur einmal fragte ich sie wie zufällig, ob sie keine Kinder habe? Darauf sah sie mich übermüthig an und erwiderte:

Ich habe es vergessen, laßt uns nicht an Dinge denken, wobei man ernsthaft werden könnte. Es giebt für gescheidte Menschen nichts als die Gegenwart, die man benutzen und genießen muß. Was vergangen ist, laßt vergangen sein, und was werden soll, geht uns nichts an.

Dabei nahm sie ihr Glas auf, stieß an und nickte mir lachend zu.

Auf daß uns nie die Lust ankomme, an gestern zu denken und über das Morgen das Heute zu vergessen! rief sie. Fort also mit Allem, was hinter uns liegt!

Ob sie diesen Worten eine besondere Bedeutung gab, konnte ich nicht herausbringen, aber ich erfuhr bald mehr darüber. Die drei ersten Tage hatte ich viel zu thun, am folgenden jedoch, als die Gräfin einen Spazierritt machte, ging ich in den Gärten und im Schlosse umher und freute mich über das viele Prächtige und Schöne, das ich unverändert fand.

Ich ging auch durch den langen Corridor, wo ich einst gewohnt, allein ich fand, daß man nicht mehr, wie sonst, von dort nach dem östlichen Thurm und die Wendelstiege hinunter in den Park kommen konnte. Eine Mauer schnitt den Corridor ab, darin befand sich zwar eine Thür, doch diese war fest verschlossen. Wie ich sie betrachtete, glaubte ich ein Geräusch zu hören, das wie ein dumpfes Geheul ober Gewinsel klang, aber es mochte wohl von den Hunden aus dem Hofe kommen.

Ich blieb noch einige Augenblicke stehen, vernahm jedoch nichts weiter und ging in die Bibliothek, deren Eingang nicht weit davon war. Die Thür derselben war zwar auch verschlossen, ich wußte jedoch, wie man die Nebenpforte öffnen konnte, that dies und wandelte nun unter den Schätzen umher, welche dickbestaubt bezeugten, daß Jahre vergangen sein mußten, ohne daß Jemand sie berührt hatte.

Dann blieb ich vor dem Schranke stehen, der die italienische Literatur enthielt, und hier hefteten sich meine Blicke auf die Bücherreihen, welche de Fevre damals so viel gerühmt hatte. Ich meinte sie noch verschoben von seiner Hand zu sehen, darum mußte er mir lebhaft einfallen, wie er hier jugendlich schön und voller Geist vor mir gestanden. Mit wehmüthigen Gefühlen rückte ich die Bände zurecht und konnte mich einer lauten Klage nicht enthalten.

Armer Freund! sagte ich, alle deine Hoffnungen sind vergebens gewesen. Wir haben uns nicht wieder gefunden. Du liegst in deinem verlassenen Grabe und doch ist es ein Trost, daß alle Qualen für dich aufgehört haben!

Indem ich dies vor mir hinmurmelte, blickte ich nach der Pforte und sah, wie sich diese leise bewegte. Erschrocken darüber ging ich rasch darauf zu und fand den Hausmeister, der dicht davor stand.

O, sagte er, unterthänig grinsend, es ist der Herr Oberstlieutenant. Ich wußte nicht, was in dem Büchersaale sei, da ich Geräusch darin hörte und die Pforte nicht leicht zu öffnen ist, wer sie nicht kennt.

Ich entschuldigte mich, daß ich zufällig hierher gekommen, die Pforte aber offen gefunden habe und hinein getreten sei. Er that, als glaubte er es, und sprach von den vielen Büchern und Kunstwerken, welche die seligen Grafen Tentschin mit großen Kosten hierher geführt und aufgehäuft hatten.

Aber sag' Er mir doch, unterbrach ich ihn, wohin diese Thür führt, welche hier hineingeht.

Zu einigen wüsten Kammern in dem alten östlichen Schloßthurm, antwortete er.

Es wohnt also Niemand dort?

Niemand, erwiderte er. Allerlei alt' Geräthe wird darin aufbewahrt.

Ich mochte nicht weiter fragen, denn er beobachtete mich, wie ich wohl merkte, verließ ihn daher und ging bald in den Garten hinab, kam auch über die Terrasse und sah nach der, Stelle hin, wo die Wendeltreppe sich öffnete, aber es war kein Eingang mehr da, sondern dieser mit großen Steinen zugemauert.

Warum mochte es geschehen sein, dachte ich, da dieser Ausgang auf die Terrasse doch sehr bequem war, um in den Garten zu gelangen, ohne die große Treppe zu benutzen? Es mußte jedoch schon lange so sein, denn der Epheu hatte sich darüber gelegt und hüllte das Mauerwerk dermaßen ein, daß es so alt aussah, wie alles andere Gemäuer des Thurms.

Meine Gedanken darüber waren schnell vergessen, als ich die Marmorgestalten betrachtete, welche in dem großen Gartensaal standen und mich erinnerten, wie wie viel de Fevre von ihrem Werth und ihrer Schönheit zu sagen wußte.

Indem ich mich noch damit beschäftigte, hörte ich, wie die Gräfin mit ihren Begleitern zurückkehrte. Sie kamen durch den Park, stiegen an der Terrasse ab, wo die Bedienten die Pferde nahmen, und unter Lärm und Gelächter wurde die alternde Schloßfrau hinaufgeführt, an jedem Arm ein junger Cavalier, während andere die Schleppe ihres Reitkleides trugen. Mißmuthig blieb ich am Fenster stehen und rührte mich nicht, als ich nach kurzer Zeit die Gräfin hörte, welche zurückkehrte und von Mordoch begleitet wurde.

Sie traten Beide in den Saal, wo die Gräfin Callenberg sich sogleich und, wie es schien, nicht in bester Laune zu dem Hausmeister wandte.

Was willst Du? fragte sie. Warum verlangst Du mich sogleich zu sprechen?

Ich muß Euch sprechen, antwortete er in wenig ehrerbietigem Tone, weil es später nicht mehr möglich sein würde. Ihr müßt Steinau noch heut verlassen.

Du bist ein Narr, versetzte sie. Ich will hier bleiben.

Nein, sagte er, Ihr müßt nach Olmütz oder nach Neiße. Euer Leben mit diesen preußischen Offizieren dürft Ihr nicht länger so fortsetzen.

Wer will es mir verbieten? fragte sie heftig.

Bedenkt wohl, entgegnete er, daß es Feinde des Kaisers sind und wie man es Euch auslegen wird, daß Ihr mit ihnen so vertraulich umgeht.

Ich frage nichts danach, rief sie. Im Uebrigen werden wir zuletzt alle noch Preußen werden, was mir auch recht ist.

Schämt Euch! antwortete Mordoch. Denkt daran, daß es Ketzer und Feinde unserer heiligen Kirche sind.

Dummkopf! war ihre Antwort, sie werden mich weder bekehren noch ändern und in kurzer Zeit abziehen, um nie wieder zu kommen.

Ihr seid sehr leichtsinnig, antwortete er, und hört nicht auf meinen Rath, diesmal aber müßt Ihr es thun, denn Ihr seid in Gefahr. Wißt Ihr denn, wer der Anführer dieser Preußen ist?

Ich weiß es, Mordoch. Ich habe ihn am ersten Tage schon erkannt. Aber was schadet das? Laß ihn seine Komödie spielen, wenn es ihm so gefällt. Ich mag ihn nicht kennen.

Heut, murmelte der Hausmeister, traf ich ihn in der Bibliothek und er fragte mich, was die Mauer im Corridor und die eisenbeschlagene Thür bedeute.

Danach fragte er? Laß ihn fragen, versetzte sie. Und höre – wie steht es damit?

Er sagte etwas, was ich nicht verstehen konnte, worauf sie antwortete:

Thu', was Du willst, aber misch Dich nicht in meinen Willen, Steinau verlasse ich nicht.

Ihr müßt, sagte er rauh. Ihr wißt nicht, was hier geschehen kann, auch gebt Ihr allen guten Katholischen in Steinau ein Aergerniß. Der Pfarrer selbst sagt es.

Mag er sich um sich kümmern! rief sie heftig, ober ich will ihm zeigen, wer hier Herr ist, und jetzt laß mich in Frieden, oder nimm Dich in Acht.

Wollt Ihr mir drohen? fragte er. Ihr müßt fort! Diese Wirthschaft mit den verfluchten Offizieren wird und muß ein Ende nehmen.

Kaum hatte er dies gesagt, so hörte ich einen Schlag fallen, dem ein halbes Dutzend anderer blitzschnell folgten. Ich sah, wie sie die Reitpeitsche handhabte, wie der Schuft sich den Kopf hielt, während sie ihm zuschrie:

Du Schurke! Du Spitzbube! der Du mich täglich bestiehlst, Du willst mir Vorschriften machen? Ich will Dich zudecken! –

Er antwortete nichts, aber er lief davon und sie folgte ihm einige Schritte nach und rief dann boshaft lachend:

Diese Lection merke Dir und Hüte Dich, noch ein Wort zu sagen. Ich will hier bleiben; kein Teufel soll mich fortbringen!

Das Ende dieser Scene hatte mich sehr belustigt und ich lachte über die Prügel, die der unverschämte Kerl bekommen, der sie so wohl verdiente. Was ich gehört, bewies aber auch, welche Herrschaft er ausübte und was er sich herausnehmen durfte, andererseits auch hatte ich vielen Grund zum Nachdenken erhalten. Die Gräfin sollte fort, ihre Vertraulichkeit mit preußischen Offizieren gereichte zum Aergerniß. Mich kannte sie also, wollte mich jedoch nicht kennen. Dieser Schuft, Mordoch, kannte mich ebenfalls; was fürchtete er von mir? Was sollte seine Bemerkung sagen, daß er mich in der Bibliothek getroffen?

Wie ich ins Schloß kam, fand ich die Tafel schon bereit und ausgelassener ging es noch niemals dabei her. Mordoch ließ sich nicht blicken; er hätte sich zu Bett gelegt, berichteten die Bedienten. Die Gräfin schien vergnügt darüber und sagte laut:

Er wird alt und mürrisch, ich will ihn morgen fortjagen oder auf die Beine bringen und Höflichkeit lehren gegen meine Gäste. Er ist gut kaiserlich gesinnt, doch soll er werden, wie ich bin; soll den König von Preußen leben lassen.

Das soll er gleich auf der Stelle thun! riefen ein paar von den Offizieren, und nun wurde Befehl gegeben, den Hausmeister herzubringen, der bald darauf erschien. Er hatte ein paar dicke, rothe Streifen über sein Gesicht, so daß sein eines Auge stark geschwollen war, verbeugte sich jedoch artig und that durchaus nicht unmanierlich, als der Rittmeister von Knobelsberg ihm sagte:

Er soll hier das Wohlsein Sr. Majestät des Königs von Preußen trinken, dann kann Er wieder abmarschiren.

Während dessen schrieen Andere:

Wie sieht Er denn aus? Was hat Er denn gemacht? Wer hat Ihn so hübsch preußisch blau gezeichnet?

Und Alle lachten ihn aus.

Mordoch sagte kein Wort, bückte sich demüthig und fragte unterthänig:

Ist es der Wille meiner allergnädigsten Frau Gräfin, daß ich dies thun soll?

Ja, das soll Er! erwiderte sie, und soll nicht mucksen gegen meine Befehle.

Möge Se. Königliche Majestät von Preußen so hoch leben und es ihm immer so wohl ergehen, wie meiner allergnädigsten Frau Gräfin! sagte Mordoch, indem er das Glas austrank, das ihm gereicht wurde, und dann mit drei tiefen Verbeugungen sich entfernte.

Ein neues ausgelassenes Gelächter folgte dem verhöhnten Hausmeister nach, und nun ging es an ein lustiges Schmausen und Trinken, worüber er denn bald vergessen wurde. Die Gräfin ließ eine große Bowle bereiten aus schweren Weinen und Arak, die sie besonders liebte, und als der Tisch abgeräumt war, ging es ans Würfelspielen, wobei sie öfter schon einen Haufen Ducaten verloren hatte. Als es so weit gekommen, machte ich mich davon, da es ohnehin beinahe Mitternacht geworden, auch war mein Kopf schwer genug und ich hatte am Spiel niemals Vergnügen gefunden.

Welch ein Weib ist das! sagte ich, als ich draußen stand, und doch war auch ich einst ihr blind zugethan, hätte Leib und Leben hingeworfen für ihre Gunst. Damals wie jetzt aber war sie so, wie Graf Dietrich sagte, der lieber dem Teufel angehören wollte, als diesem Unhold, und nun erst verstehe ich den armen Chevalier, dem vor ihren Küssen schauderte, als kämen sie von einer Klapperschlange.

Mit solchen Betrachtungen erreichte ich mein Zimmer, wo mein Bedienter mich erwartete und mir ein Papier gab, das der Hausmeister ihm gebracht, um es mir einzuhändigen, wenn ich von der Tafel käme.

Ich brach es verwundert auf und fand darin geschrieben:

Wenn Sie wissen wollen, was hinter der Thür an dem Büchersaale verborgen ist, so gehen Sie dahin; doch heute noch, morgen möchte es zu spät sein.

Eine schlimme Ahnung überfiel mich. Wann hat er diesen Zettel abgegeben? fragte ich.

Bald nachher, wie ihn die gnädigen Herren in den Saal holen ließen, brachte er ihn, antwortete mein alter Husar.

Und wie sah er aus?

Fuchswild, Herr Oberstlieutenant, obwohl er ganz sanft that, doch er konnte die Worte kaum finden. Hatte seinen Hut tief ins Gesicht gedrückt, als sollte ich nichts davon sehen und in einen langen Rockelor sich eingehüllt.

Er ist davon gelaufen, sagte ich.

So wird's sein, erwiderte er.

Aber der Thurm! Was ist in dem Thurm? Warum fordert er mich auf, ihn zu durchsuchen?

Ich habe was munkeln hören, meinte der Alte, von Gefangenen, die im Schlosse sitzen.

Herr, mein Gott! schrie ich auf, wenn das möglich wäre. –

Mit einem raschen Besinnen kam ich zur That.

Lauf hinab, befahl ich ihm, die kleine Treppe hinab in den Hof und rufe ein paar Mann von der Wache herauf. Schnell, schnell!

Ich hatte zwei Posten am Schloßthore und im Hofe, auch eine Stallwache war auf den Beinen, in wenigen Minuten kam er daher wieder, brachte drei Mann und eine große Laterne. Ich nahm meinen Säbel, befahl den Leuten zu schweigen, und ging mit ihnen in den andern Flügel hinüber. Niemand begegnete uns. Der Lärm und das Lachen aus dem Speisesaale verhallte hinter uns, und bald gelangten wir in den öden Corridor zu der Bibliothek, schritten rasch und still fort und standen vor der dicken, eisenbeschlagenen Thür, die den Weg sperrte. Da fand es sich, daß der Schlüssel im Loche steckte und die beiden großen Vorhängeschlösser hingen offen in den Krampen.

Mordoch hat uns den Weg gebahnt, sagte ich, schloß auf und trat hinein, die Anderen folgten mir nach. Das düstere Kreuzgewölbe des Thurme senkte sich in den Gang und eine dumpfige kalte Luft strömte uns entgegen. Die Wände waren grau von Schmutz und Staub und verloren sich in der dichten Finsterniß, die von dem schwachen Licht der Laterne nur auf wenige Schritte wich.

Es war schauerlich genug hier, um das Herz klopfen zu fühlen; in dem Augenblick aber, wo wir um die Biegung gingen, die, wie ich wußte, in die Thurmhalle führte, wo der Eingang zu der Wendeltreppe sich befand, drang ein Ton auf uns ein, der das Blut still stehen machte. Es war, als ob ein Sterbender sein Röcheln hören ließ und sich noch einmal zu einem langen wilden Schrei der Verzweiflung aufraffte. Als ob es ihm an Kraft gebräche dies fortzusetzen, endete es in ein Gewimmer und Stöhnen, das nichts Menschliches mehr hatte, und in einzelne stärkere Laute, die fast wie ein dumpfes Gelächter klangen.

Als dies schreckliche Geräusch begann, standen wir voller Entsetzen still, und dann ließ mein alter Husar, der immer ein beherzter Kerl gewesen und manche Schlacht mitgefochten, vor Angst die Laterne fallen, und packte mich mit beiden Händen.

Herr Oberstlieutenant! murmelte er, wobei ihm die Zähne klapperten, hier ist es nicht richtig. Gott steh uns bei! Alle gute Geister! keinen Schritt weiter, nicht einen Schritt weiter, gestrenger Herr!

Ich hob die Laterne auf und leuchtete in die erschrockenen Gesichter der Männer, welche gerne davon gelaufen wären.

Seid keine Memmen, sagte ich, wir müssen wissen, was das ist. Säbel heraus und folgt mir nach.

Damit ging ich vorwärts in die Thurmhalle hinein. Das Laternenlicht lief durch das hohe Gewölbe, es rührte sich nichts darin. Ich wandte mich nach allen Seiten hin, konnte nichts entdecken.

Wer ist hier? fragte ich, und der Schall prallte von den Wänden ab und gab mir Antwort. Ein Zugwind flog mir entgegen, wie ich weiter vorschritt, und als ich um den Pfeiler leuchtete, sah ich die Pforte zur Wendelstiege weit offen stehen, indem ich aber darüber mich verwunderte, hob der Schrei von neuem hinter mir an, als sei er mir dicht im Nacken, und grausiger läßt sich kaum etwas denken, als dies klägliche Geheul aus der Finsterniß, das durch Mark und Bein drang.

Ich konnte mich nicht bewegen, stand mit stieren Blicken, dachte, ein schreckliches Wesen müßte auf uns los springen, und hielt die Laterne in meiner zitternden Hand vor mir ausgestreckt; aber wieder sah ich nichts, als die graue dicke Mauer und nichts als Nacht und Schweigen lagerten sich um uns.

Plötzlich fiel es mir ein, daß dieser Pforte gegenüber in dem anderen Thurmpfeiler ein eben solches Gewölbe und eine Thür gewesen, und ich lief darauf los; allein diese Thür war fort, im Winkel an der Wand jedoch fand ich eine Oeffnung, nicht größer wie ein Fuß breit und hoch, die mit einer dicken Eisenplatte verschlossen und verriegelt war. Die Riegel riß ich fort und nun ließ sich die Platte herunter klappen. Ein schrecklicher Modergeruch kam heraus.

Lebt ein Mensch in diesem Loche! rief ich hinein, und es raschelte drinnen und regte sich. Unverständliche Laute ließen sich hören.

Gott verdamm mich! schrie mein alter Husar, sie haben Einen hier eingemauert.

Wer bist Du? schrie ich voller Entsetzen. Antworte! de Fevre, antworte!

De Fevre! antwortete eine Stimme, die ich zu erkennen glaubte. O! O! und das klägliche Schreien fing wieder an.

Schlagt die Mauer ein! schrie ich aufspringend, aber dies wäre so leicht nicht möglich gewesen, wenn Mordoch nicht dafür gesorgt hätte. In dem Winkel des Pfeilers standen zwei schwere Brecheisen und mit diesen gelang es in kurzer Zeit, die Mauer durchzustoßen. Wie die Steine zusammen fielen, und weggerissen waren, drängte ich mich durch die Oeffnung.

O! welch ein Anblick war das. Ich beleuchtete ein Wesen, das wie todt im Unrath aller Art in dieser grauenvollen Zelle lag, die kaum sechs Fuß lang und halb so breit war. Die Reste von Kleidungsstücken umhingen seinen Leib, ein ergrauter Bart fiel bis auf seine Brust, das lange greise Haupthaar hing über sein entstelltes, mit einer Haut von Pergament bedecktes Gesicht. Hatte er es mit seinen eigenen Händen zerfleischt, oder war es Krankheit, oder Ungeziefer, oder beides, ich sah überall fressende Wunden, und über ihn gebeugt forschte ich vergebens nach einer Aehnlichkeit mit de Fevre.

Dennoch war er es. Es war der schöne, so viel bewunderte Mann, denn plötzlich schlug er seine Augen auf, sah mich groß an, und streckte seine Arme aus, indem er meinen Namen stammelte. Erkannt mochte er mich nicht haben, doch wahrscheinlich fiel ich ihm ein, als er menschliche Wesen bei sich erblickte, und in seiner Seele der Gedanke an Erlösung erwachte. Wie oft wohl hatte er verzweiflungsvoll nach mir gerufen!

Nach wenigen Minuten war er aus dieser Pesthöhle geschafft und in meinen Mantel gewickelt. So trugen ihn die drei Husaren behutsam und ich ging voran auf den Saal los, aus dem uns die Gläser entgegenklangen, sammt Freudengeschrei und wildem Gelächter.

Als ich die Thüre aufstieß, hatte es mit einem Male damit ein Ende. Ich mochte wohl wie ein Geist aussehen, entstellt und voller Grimm. Der Zug hinter mir brachte unheimlich Erschrecken hervor, und ehe einer fragen und sich besinnen konnte, ging ich auf die Gräfin los, die den großen Goldpokal ihres Vaters in ihrer Hand hielt, und dasaß ohne sich zu rühren. Auf meinen Wink wurde der entstellte Körper vor ihr niedergelegt, und wie der Mantel sich aufthat, sagte ich zu ihr:

Kennt die Gräfin Callenberg diesen sterbenden Mann?

Sie blickte auf ihn hin, ohne zu zucken, ja ich glaubte in ihren Augen ingrimmigen Hohn zu erkennen.

Wer hat Euch das Recht gegeben, diesen Verdammten aus seinem Loche herauszuholen? fragte sie.

Schändliches Weib! rief ich empört. Wer hat ihn dort eingemauert?

Mein Gericht hat ihn verurtheilt und ich habe ihm sein Gefängniß bereitet, wie er es verdient, erwiderte sie. Wißt Ihr nicht, fuhr sie fort, indem sie aufstand und mich stolz und gebietend ansah, was dieser Elende an mir verbrochen? Habt Ihr vergessen, wie er mich betrogen hat, habt Ihr nicht meine Schwüre gehört, daß ich nicht ruhen und rasten wollte, bis ich Rache an ihm genommen? Nun seht, meine Schwüre wurden erfüllt. Auf kaiserlichen Befehl wurde der Elende von Breslau nach Olmütz gebracht und von dort im Jahre 1726 meinem Gerichte ausgeliefert, wie es nach Recht und Gesetz geschehen mußte. Nach Recht und Gesetz ist er verurtheilt worden, und dann habe ich ihn einmauern lassen in einem der Kerker meines Schlosses, damit er nicht etwa wieder befreit werden möchte.

Entsetzlich! sagte ich. Wie ist das möglich! Fünfzehn Jahre lang hat er dies Elend ertragen.

Gott hat ihn erhalten, damit er seine Strafe fühle, versetzte sie. Was habt Ihr Euch darum zu kümmern? Mischt Euch nicht in meine Gewalt und in mein Recht, welche in Schlesien auch von Eurem Könige uns verbürgt wurden. Wißt aber, daß man Verbrecher, die auf Zeit ihres Lebens verurtheilt werden und denen man den Tod am Galgen schenkt, gemeinlich einmauern läßt. Ich habe meiner Zeit bei meiner würdigen Schwiegermutter, der Herzogin, gesehen, wie sie einen jungen Edelmann, Eberhard von Schlieben, der einen Herrn von Nostitz ermordet, in ihrer Stadt Vetschau ebenfalls einmauern ließ, und wahrscheinlich sitzt er dort jetzt noch. So hat denn ihr lieber getreuer Cavalier nur dasselbe Schicksal erfahren, doch mit tausendmal größerem Rechte. Wenn er mich gemordet hätte, ich würde ihn gesegnet haben; geschlagen, gemartert, hätte ich seine Hände geküßt. Er hat mich aber zum Teufel in die Hölle gestoßen, mit glühendem Schwefel mein Herz ausgebrannt. Wenn ich alle Qualen der Erde zusammenbinden und ihn damit einwickeln könnte, würde ich ihm doch nicht Alles vergelten, denn er, sagte sie, die Hand auf ihre hohe Stirn legend, langsam und mit dumpfer Stimme, er hat mich dahin gebracht, wo ich bin!

Fort mit ihm, fort! schrie sie darauf in ausbrechender Wuth. Bringt ihn in sein Loch. Aus meinen Augen, fort! Ich will ihn nicht sehen!

Jetzt schlug Fevre die Augen zu ihr auf, ihre Augen funkelten ihm mit wahnsinniger Wildheit entgegen.

Agnes Maria! flüsterte er.

Sie beugte sich zu ihm nieder, hielt ihm den goldenen Pokal an den Mund und er trank den Wein daraus.

Stärke Dich und höre, sagte sie dabei. Agnes Maria, ich will Dir von ihr erzählen. Sie ist in Wien katholisch geworden, hat den Grafen Althan geheirathet und ist darauf gestorben, weil, wie sie sagen, das Herz ihr vor Gram gebrochen.

Todt, todt! murmelte er.

Todt! lachte sie, todtgeweint um ihren schönen lieben Chevalier; denn sie wußte, daß ich ihn für sie bekommen hatte und konnte ihn doch nicht losweinen und losbetteln. Das nimm mit auf Deinen Weg, und nun bringt ihn fort. Ruft Mordoch her. Wo ist der Schurke, der dies verrathen hat?

Hier ist der Schurke! antwortete Mordoch, indem er hereintrat und die Thür weit aufriß, daß diese offen blieb.

Das Grauen dieses Auftrittes erhielt jetzt eine plötzliche Umwandlung in allgemeines Erschrecken, denn Mordoch hielt in jeder Hand eine gespannte Pistole und hinter ihm standen mehr als ein Dutzend Kerle, welche so drohend aussahen, wie er selbst. Es waren Jäger dabei mit Büchsen bewaffnet, andere mit Hirschfängern und großen Pistolen oder Carabinern; eine Anzahl Bürger aus der Stadt fällten Spieße und rostige alte Flinten. Der ganze Haufen umringte uns sofort und Mordoch wandte sich von seiner erstaunten Gebieterin zu mir und sagte:

Wenn die Herren Offiziers sich nicht rühren, so soll ihnen von uns nichts geschehen; so wie sie aber eine Hand aufheben oder ein lautes Wort sprechen, schießt sie alle nieder.

Daß der Schurke seine Drohung wahr machen würde, zweifelte ich nicht, denn ich sah auf der Stelle, daß sein Spiel um Tod und Leben ging; auch hoben die Jäger sogleich ihre Büchsen und Pistolen gegen uns auf, die wir meist ohne alle Waffen waren, denn ich nur trug einen Säbel und die Husaren ebenfalls. Da war somit nichts zu machen, als zu gehorchen, was wir denn auch thaten und und in eine Ecke des Saales zurückzogen.

Ihr habt mich gerufen, sagte der Hausmeister hierauf zu der Gräfin. Da bin ich. Was wollt Ihr von mir?

Sie schwieg stille und er trat ihr näher und neigte ihr sein entstelltes Gesicht zu, indem er auf die blutigen Schwielen deutete.

Ihr habt mich wie einen Hund behandelt, fuhr er fort, denn Ihr schont keines Menschen Kind, doch Alles erreicht sein Ende in dieser Welt. Mir soll's nicht gehen, wie diesem hier, der in seinem Loche verfaulte, auch soll Keiner mehr Eure Peitsche fühlen, denn die Zeit ist da, wo Ihr Euern Lohn bekommen sollt.

Was thust Du, Du Hund?! schrie sie wüthend, denn er hatte sie an beiden Armen ergriffen. Zur Hülfe Ihr Cavaliere!

Rührt Euch nicht, sagte Mordoch nach uns drohend. Für ein so grausam boshaft Weib werden die Herren Offiziers ihr Leben nicht in die Schanze schlagen. Ihr aber müßt uns begleiten. Fort auf der Stelle mit Euch!

Wollt Ihr mich morden, schrie sie, indem sie sich an den Tisch klammerte.

Davor seid sicher, antwortete er. Ich habe Befehl vom General Neuperg, Euch nach Neiße zu bringen, lebendig oder todt, denn Ihr seid eine Landesverrätherin, das können Viele bezeugen.

Als sie das hörte, schrie sie aus Leibeskräften, rang sich los und schlug mit beiden Fäusten um sich, den Hausmeister ins Gesicht. Mordoch aber griff in ihre langen Haare, schleifte sie hinter sich her und riß sie zu Boden.

Der unglückliche de Fevre saß inzwischen in einem der großen Lehnstühle mit weit offenen Augen, und zu seinen Füßen wand sich seine grimmige Feindin unter entsetzlichem Geschrei, wurde getreten und geschlagen, schonungslos mißhandelt von den Männern, die sich über sie geworfen und mit Schimpf- und Schandworten ihr Hände und Füße zusammenbanden.

Mordoch hatte einigen Gehülfen dies Werk überlassen, er selbst lief in das Zimmer der Gräfin und brachte daraus mit zwei Anderen einen schweren eisernen Kasten hervor, in welchem sie ihr Geld, ihre Diamanten und kostbarsten Sachen verwahrte. Dann packten sie die Gräfin, gebunden wie diese war, verstopften ihr den Mund und trugen sie dem Kasten nach.

Das Alles geschah in größter Eile, während die Jäger mit gespannten Büchsen vor uns standen; hierauf rief uns Mordoch zu:

Untersteht Euch nicht, Ihr Herren, uns nachzufolgen. So wie Ihr diesen Saal verlaßt, ist es Euer Tod! Damit gingen sie alle hinaus.

Einige Minuten lang wußten wir nicht, was wir thun sollten. Wir befanden uns in schlimmer Lage, verwirrt von diesem Ueberfall, erschrocken über diese Vorgänge, ohne Kenntniß, ob das Schloß nicht voll von der Bande sei, die Mordoch zusammengebracht, und erstaunt darüber, wie sie hereingekommen, ohne daß unsere Wachen Lärm gemacht.

Da fiel mir ein, daß der verrätherische Hausmeister wohl von der Terrasse her die Wendeltreppe heraufgekommen sein möchte und so auch seinen Rückzug genommen habe. Indem ich dies meinen Kameraden mittheilte, hörten wir einen Schuß fallen und gleich darauf einige andere, worauf verworrenes Geschrei entstand.

Wir liefen jetzt nach der Thür; einer unserer Leute sprang blutend die Treppe herauf und schrie:

Feinde, Feinde! und stürzte nieder. Da war keine Zeit zu verlieren.

Kommt mir nach, meine Herren, sagte ich, wir müssen sehen, ob wir uns retten können, und so liefen wir alle durch den großen Corridor nach dem Thurm. Mein alter Husar aber nahm den bewußtlosen de Fevre, der leicht war wie ein Kind, in seinen Arm und ließ ihn nicht zurück.

Wir stiegen die Wendeltreppe hinab und richtig fanden wir die Mauer durchbrochen und auf der Terrasse Niemand, der uns aufhielt. Schießen und Schreien aber hörten wir hinter uns, eilten durch den dunklen Park so schnell wir konnten und gelangten athemlos in die Stadt.



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