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12.

Es war Abend geworden, als der Gerichtsdirector wieder in Königswalde anlangte. Er ließ den Wagen vor dem Gerichtsgebäude halten, zog einige Erkundigungen über das Befinden des Forstmeisters ein, welche günstig lauteten, unterzeichnete einen Befehl und fuhr dann weiter nach dem Forsthause.

Seine Reise sowohl wie seine Rückkehr machte den Königswaldern Kopfzerbrechen genug. Der Bürgermeister und der Apotheker hatten die Ahnung, daß Zeltwach direct zum Fürsten gefahren sei, oder doch wenigstens zum Minister, der Oberprediger witterte etwas ganz mystisch Geheimnißvolles, der Kämmerer, der Rector und alle anderen Notablen flüsterten von seltsamen, unerhörten Entdeckungen, und der Amtsrath ging umher wie der brüllende Löwe und ballte vom Fenster der Apotheke aus die Faust gegen das Haus, in welchem der alte Soldat wohnte.

Es war bekannt geworden, daß der Gerichtsdirector, ehe er abgefahren, einen Brief an den Major geschrieben hatte, in welchem er diesen ersuchte, nicht zu gestatten, daß sein Neffe sich aus dem Hause entferne, bis er selbst zurückgekehrt sei. Auch begehrte er, daß Essenbach sich diesem Hausarrest anschließe, und forderte ihn dazu aus Gründen auf, die für ihn Ehrensache wären, und über welche er ihm die nöthige Aufklärung geben werde.

Der Major hatte Schuld, daß der Inhalt dieses Briefes bekannt wurde, denn er geberdete sich, als er ihn gelesen, wie ein Rasender. Er vergaß seinen steifen Fuß, lief bis in die Küche, schrie nach seinen Stiefeln und schwor, keine Legion Teufel sollte ihn abhalten zu gehen, wohin er Lust habe, am wenigsten aber solch vertrockneter Rechtsverdreher, wie dieser Gerichtsdirector.

Die alte Anne brachte ihn mit Mühe wieder die Treppe hinauf und sein Geschrei rief Richard herbei, dessen Einspruch die Scene veränderte. Der Bergwerksdirector, erzählte die Haushälterin nach einer Stunde in der Apotheke, las das Schreiben und sagte dann so ruhig, wie er immer spricht:

Das ist ein richterlicher Befehl, in mildester Form zwar, aber dennoch ein Befehl. Ein Richter mag verantworten, was er thut, doch unterwerfen muß sich ihm ein Jeder unbedingt. Sobald er zurückkehrt, wollen wir Rechenschaft fordern, bis dahin jedoch bleibt es bei dem Hausarrest. Ich werde mich nicht von der Stelle rühren, Du, mein guter Onkel, mußt mir Gesellschaft leisten.

Der Major fluchte zwar noch eine ganze Reihe heidnischer Soldatenflüche, aber es ist zum Verwundern, sagte die Haushälterin, was der junge Mensch bei ihm ausrichten kann. Er hat etwas in seinem Wesen, daß man den Mund halten muß, man mag wollen oder nicht. Der Blick, mit dem er mich ansah, war gar nicht böse, ich ging aber doch schneller aus der Stube, als wenn der Major geschrieen hätte: Schere Sie sich hinaus!

Den ganzen Tag über waren daher die Königswalder äußerst begierig auf die Rückkehr des Gerichtsdirectors und als nun am Abend wirklich der Wagen über den Markt rollte und vor dem Landgericht anhielt, sammelten sich Gruppen von Menschen an der Thür und aus allen Fenstern steckten sich neugierige Köpfe.

Nach einer Weile trat der alte Richter wieder aus dem Gebäude und mit ihm kam noch eine andere Person, die er in den Wagen steigen ließ. Obwohl es ziemlich finster war, erkannten doch viele die Buschmüllerin, die Mörderin des Forstinspectors, und wie ein Lauffeuer verbreitete sich diese seltsame Neuigkeit. –

In der Apotheke wurde eine höchst aufgeregte Versammlung gehalten, denn nach eingezogenen Erkundigungen brachte der Bürgermeister die Nachricht, daß der Gerichtsdirector dem Gefängnißaufseher einen schriftlichen Befehl zur sofortigen Entlassung der Gefangenen ertheilt, darauf selbst in das Gefängniß gegangen und die Mörderin mit sich genommen habe. – Wohin? wozu? das wußte Niemand; aber er war nach dem Forsthause gefahren, dort sollte das Weib wohl aufgenommen werden, denn dort, das wußten ja Alle, wurden ihre Kinder verpflegt.

Zugleich erfuhr man auch, daß der Gerichtsdirector den Criminal-Actuarius zu dem Major geschickt habe, um diesem anzuzeigen, daß er zurückgekehrt und der angekündigte Hausarrest aufgehoben sei, er auch selbst kommen und den Herrn noch heut einen Besuch machen würde. Allein der alte Soldat und sein Neffe hatten sich nicht damit begnügt, sie hatten sich auf der Stelle selbst nach dem Forsthause aufgemacht, das sie den ganzen Tag über gezwungen meiden mußten, und Bürgermeister, Oberprediger sammt allen anderen Notablen hätten sie gern dahin begleitet, denn sie brannten vor Neugier, zu wissen, was dort vorgehe.

Nicht einmal bei Tage hatte jedoch jemand einen Blick in jenes verhängnißvolle Haus thun dürfen, Jeder war abgewiesen worden, der Arzt allein konnte zu dem Kranken gelangen, und dieser stupide Doctor pries Fräulein Rosa als einen Engel an Sorgfalt und Liebe für den leidenden Großvater. Die ganze Nacht habe sie an seinem Bette gesessen, und während des Tages sei sie keine Minute von ihm gewichen. Der Forstmeister halte auch immer ihre Hände und sehe sie mit großer Zärtlichkeit an, doch seien ihm Sprache und Gedächtniß nicht recht wiedergekehrt, auch zweifelhaft, ob es geschehen werde.

Ueber alle diese Dinge wurde in der Apotheke viel hin und her gestritten; während dessen erreichte Zeltwach das Forsthaus und ließ dort seine Begleiterin zum Erstaunen und Grauen aller Leute frei gehen und ihre Kinder aufsuchen, indem er selbst sich in das Krankenzimmer begab.

Rosa kam ihm entgegen, als er hereintrat. Sie war außerordentlich bleich, aber sehr gefaßt. Ihr schönes, dunkles Haar rollte auf ihre Schultern und auf ihr weißes Gewand. Prüfend hefteten sich ihre Augen auf den alten Mann, der ihr trostvoll freudig beide Hände entgegenstreckte. –

Da bin ich wieder, sagte er, und ich komme als ein guter Bote, mein liebes Kind. Ich bringe Hülfe, Freiheit, Rettung – wie steht es hier?

Er schläft süß und fest, antwortete sie. Kein Schrei der Verzweiflung wird ihn aufwecken, kein Hohn und keine Schande.

Der Gerichtsdirector nahm das Licht und beleuchtete das Lager. Da lag sein alter Freund auf seinen Kissen, stumm und still, im festen, ewigen Schlaf, die Arme ins Kreuz gelegt, das milde Lächeln noch um seinen Mund.

Der alte Richter ließ seufzend den Kopf sinken.

O! sagte er erschüttert, das stand nicht in meiner Rechnung und doch erhält diese dadurch einen Schluß, den eine Hand gemacht hat, vor der wir uns beugen und ihre Gnade preisen müssen.

Er führte Rosa in das Nebenzimmer, setzte sich zu ihr und erzählte ihr von seiner Reise und deren Erfolg. – Er machte sich stark, seine Stimme zitterte nicht. Er sprach zu ihr wie ein Vater und wie ein Priester, ermahnend und aufrichtend, und sie hörte ihm zu ohne ein Wort zu erwiedern, ohne eine Regung, ohne das Zucken einer Wimper.

Mein theures Kind, sagte er endlich, Sie haben, als ich Abschied von Ihnen nahm, mir zugerufen: Ich glaube an Gott, denn er hat meinen geliebten Großvater davor bewahrt, mein schreckliches Geheimniß zu erfahren, das ich ihm nicht verschweigen könnte. So glauben Sie denn an Gott, Rosa, glauben Sie, daß es der Wille einer höheren Macht ist, die leicht und schmerzlos ihn für immer abgerufen hat, um ihm vielen Kummer und Gram zu sparen. Hochbetagt wie er war, ist sein Leben ein vielbewegtes gewesen. Sie waren das ganze letzte Glück seines Alters, den Bruch und Fall dieses Glücks würde er nicht überwunden haben, und dennoch war es nicht zu ändern. Mit seinem Segen auf den Lippen, mit einem letzten freundlichen Druck ihrer Hand hat er Sie verlassen, Rosa, und nun sind Sie frei, nun können Sie dem geliebten Manne folgen, ja Sie müssen ihm folgen, denn Sie sind eine Verbannte. Richten Sie sich auf, theures Kind. Nach den Schmerzen, die Ihrer noch warten, werden neue Hoffnungen Ihr junges Leben erhellen. – Der höchste Richter Ihres Volkes hat Sie frei gesprochen und ich – Ihr Freund – der Freund des geliebten Todten dort, ich sage Ihnen, daß er segnend und vergebend Sie umschwebt! Hören Sie mich mit Fassung an, Rosa. Wir Beide allein wissen um diese Sache, wir und der Fürst. Er hat mir ewiges Stillschweigen auferlegt, schweigen wir auf ewig. Niemand wird erfahren, wer diese That gethan, in wenigen Jahren wird die Zeit darüber hinwuchern. Keine Spur wird sich auffinden lassen, kein Mensch wird Zeugniß geben, Richard wird niemals die Wahrheit ahnen.

Sein leises Flüstern wurde hier plötzlich durch ihre heftige laute Antwort unterbrochen.

Nein! rief sie und eine feurige Röthe übergoß ihr blasses Gesicht, ich muß entsagen, ich muß verderben! – Nicht um alles Glück, nicht um alle Seligkeit, möchte ich ihm angehören. Niemals!

Und warum niemals, liebe Rosa? fragte eine sanfte Stimme von der Thür. – Richard stand auf der Schwelle.

Fort! sagte sie, die zitternde Hand an ihre Stirn legend, verlaß mich! Weil es unmöglich ist, weil Du mich von Dir stoßen mußt.

Nichts ist unmöglich, antwortete er, und wie könnte ich Dich von mir stoßen, da ich Dich liebe? Ich bin derselbe, der ich gestern war, ich frage Dich, wie ich gestern fragte.

Du liebst mich noch? rief sie mit flammenden Blicken. Sieh mich an, betrachte meine Stirn, suche das Kainszeichen! Du kennst mich nicht, Du weißt nicht, was ich that, wie man mich nennen muß.

Still! sagte er, ich weiß Alles!

Alles! wiederholte er. Weil ich es wußte, darum bestürmte ich Dich, mich zu begleiten; darum zeigte ich Dir den Weg, welchen der geben muß, der mit der Gesellschaft gebrochen hat, die ihm nie vergiebt. – Reiche mir Deine Hand, meine Geliebte, laß uns diesen Weg gehen. Ich will Dein Führer sein, Dein Freund, Dein Gatte, der Dich liebt, Dich ehrt, mit dem Leben Dich versöhnt, und mit Verachtung von sich stößt, was Dich betrüben oder verläumden könnte.

Sie lehnte sich an ihn, ihr Kopf sank an seine Brust, ihre Arme schlangen sich um seinen Hals. Der alte Richter deckte seine Hände auf sie; seine Augen wurden dunkel, als er die zitternd leisen Worte sprach:

Geht hin in Frieden!

Hoho! rief der Major hereinpolternd, Rechtsverdreher, gieb Antwort, warum hast Du uns eingesperrt?!

Zeltwach deutete auf das vereinte Paar, dann hob er das Licht gegen das Bett auf. Der alte Soldat ließ Hut und Stock fallen.


Ein Jahr war vergangen und die Malven blühten wieder rund um das Gartenhäuschen im Garten des Landgerichts. Der Gerichtsdirector ging in den Gängen auf und ab, sah nach den Weinspalieren hinauf und nach den Birnbäumen und Aepfelbäumen, die ganz voll von reifenden Früchten hingen, kletterte da und dort auf eine Leiter, um die Netze über die großen Muskatellertrauben fest zu ziehen, daß räuberische Spatzen ihnen nichts anhaben möchten, und bückte sich dann wieder zu den Beeten hinunter, um die Reseda zu betrachten und seine Georginen in ihrer reichen Farbenpracht zu mustern.

Der alte Richter war noch dünner geworden, noch weißer sein Haar, noch faltiger seine Stirn, aber seine Augen waren so hell und scharf wie früher, und sein Gesicht hatte den weichen, warmen Zug um den Mund nicht verloren.

Als er die Lattenthür am Hofe zuschlagen hörte, sah er sich um. Da kam der alte Major gehumpelt, dem das Gehen sichtlich auch saurer wurde, als im Jahre vorher. Er brauchte zwei Stöcke und sein grauer Schnurrbart hing ihm tief über die Mundwinkel herab und machte sein Gesicht grämlicher.

Mein alter Freund, bist Du da! rief ihm der Gerichtsdirector entgegen. Da steht der Tisch im Gartenhause schon gedeckt, der Gerichtsrath, der uns beim Rubber helfen soll, wird auch bald kommen, und Anna soll den Kaffe bringen. Es ist ein prächtiger Tag. Die Sonne scheint warm, ein prächtiges, fruchtbares Jahr ist es, überall reicher Segen.

Der Invalide hatte sich schweigend auf die Bank am Gartenhäuschen gesetzt, klemmte grimmig die Lippen zusammen und strich den Bart.

Nun? fragte Zeltwach lächelnd, was giebt's denn wieder?

He, wieder! wieder?! – rief der Major, als gäb's nicht immer allerlei, was mich herunterbringt. Ein armselig Leben ist es, ein lumpig Leben!

Wir müssen es nicht übler machen durch üble Launen, erwiederte der Freund.

Launen! brummte der alte Soldat, als ob es Launen wären! und dann schüttelte er den Kopf, und stützte ihn auf den Stock, auf dessen Krücke seine Hand lag. Ich kann's doch nimmer vergessen, sagte er halb vor sich hin, wie es sonst war, wenn wir zu dem Alten hinausgingen ins Forsthaus. Ich mag es gar nicht mehr sehen, laufe lieber auf die staubige Landstraße und dreh' ihm den Rücken zu.

Der neue Forstmeister ist ein ganz wackerer Mann, sagte der Richter.

Aber der alte ist er nicht! schrie der Major, und das ist die Sache.

Freund, sagte der Richter, indem er sich zu ihm setzte, wer wird denn so Ungebührliches von sich und anderen fordern wollen! Denken wir mit Liebe an die, die von uns gegangen sind, und trösten wir uns mit dem menschlichen Geschick.

Ich bin kein Philosoph! rief der Invalide, und denke daher, daß es anders und besser hätte sein und kommen können, wie es gekommen ist.

Aber auch um Vieles schlechter, erwiederte Zeltwach. Wäre unser lieber Freund uns auch nicht entrissen worden, so würde das Forsthaus doch nimmer, wie früher, ein Freudentempel gewesen sein.

Es ist wunderbar! murmelte der Major, daß keine Spur von dem Thäter entdeckt werden konnte.

Die Leute in Königswalde, sagte der Richter, bleiben noch immer dabei, daß die Buschmüllerin den Mord verübte.

Das schlechte Volk! schrie Essenbach, Gott weiß, was es Alles glaubte. Weil Richard das Weib mit sich fortgenommen hat, munkeln sie, er steckte mit ihr unter einer Decke und – Himmel Element! sie haben es laut genug erzählt, daß er die Hexe gedungen hätte, aus Eifersucht und Haß. Die Unholde!

Laß sie klatschen, erwiederte Zeltwach. Richard und Rosa haben nichts davon zu besorgen.

Aber wenn sie bei uns wären, hätten sie auch nichts zu besorgen, fiel der alte Soldat ein. Und wenn sie bei uns wären, ja dann – dann würde es doch ein anderes Leben sein.

Wenn sie bei uns wären, antwortete der Richter, was hättest Du dann von ihnen? Richard säße in seinem Büreau, bei einem fernen Oberbergamte, geplagt mit Arbeiten, gedrückt von Verhältnissen, die ihn unter ihrer Last begrüben. Du hast selbst anerkannt, alter Freund, daß Dein Neffe nicht zu den Anerbietungen paßte, die ihm gemacht wurden, daß er fort mußte, um glücklich zu werden, und daß er Rosa mit sich nehmen mußte, um es ganz zu sein. Nun ist das Alles geschehen, nun wissen wir, daß sie wohlbehalten die Ueberfahrt gemacht haben, und gönnst Du ihnen nicht ihr frohes Beisammensein? Ist es denn nicht für uns ein Trost, der uns Freude und Frieden giebt, wenn wir uns vorstellen, daß Menschen, denen unser ganzes Herz gehört, zufrieden und innig vereint, wenn auch fern von uns, leben? – Für solches Glück unserer Kinder, guter Essenbach, können wir immer ein bißchen Sehnsucht und Neid dulden, im Stillen halten wir doch dabei die Hoffnung fest, sie noch einmal wieder zu sehen und für allen Kummer uns schadlos zu halten.

Wenn er nur geschrieben hätte! rief der Major, wenn man nur wüßte, ob Alles so recht gut und in Ordnung wäre. Ich habe mich von ihnen getrennt, weil es vernünftiger Weise am besten war, sie gingen, und Gott segne sie, die Herzenskinder! aber es ist doch hart, so lange nichts von ihnen zu wissen, und Nachts zu liegen, zu denken und zu sinnen, bis der alte Kopf wie im Fieber brennt. So lange nicht zu schreiben, und die Rosa hat es doch an meinem Hals geschworen, ich sollte Briefe haben, so viel ich wollte.

Es lag etwas Rührendes in der Klage des Greises und der, der so alt und einsam war, wie er selbst, legte den Arm um ihn und drückte ihn an sich, indem er ihm Trost zuflüsterte.

Plötzlich klappte die Lattenthür abermals. Die alte Anne kam und Zeltwach sagte:

Kopf in die Höhe, alter Soldat, die schwarze Stunde schlägt! Da kömmt die Hebe und bringt uns den Trank des Lebens, der alle Wunden heilt.

In dem Augenblick fing die Haushälterin an zu schreien:

Herr Major! Herr Major! sehen Sie doch hier! sehen Sie doch hier! und statt der Kaffeekanne hielt sie ein Blatt in Briefform in die Höhe und lief so schnell sie konnte.

Der Major warf die beiden Stöcke fort; seine Freude that Wunder, er half sich ein Dutzend Schritte weit der Magd entgegen, der er den Brief aus der Hand riß. Seine Augen strahlten, sein ganzes Gesicht glänzte. Es war ein dickes, schweres Schreiben mit allerlei Postzeichen und einem großen Siegel. Als er die Aufschrift besehen hatte, sagte er, mit leise zitternder Stimme:

Es ist wirklich von ihm, von Richard. Er hat die Adresse gemacht; aber das Wort Königswalde da mit den schiefen Buchstaben ist von Rosa geschrieben. Wie gut die Kinder sind, wie herzensgut! Gleich beim ersten Blick sollen wir wissen, daß sie beide leben und an uns denken.

Der alte Richter führte ihn in das Gartenhäuschen und dort saßen sie eine volle Stunde, denn der Brief war lang, er bestand aus mehrern engbeschriebenen Bogen und je weiter sie lasen, je freudiger und seliger wurden sie gestimmt. Es war eine Beschreibung der ganzen Reise und aller kleinen und großen Abenteuer und Erlebnisse, eine Beschreibung von Veta-grande daran gehängt, des Landhauses, nach englischer Art eingerichtet, welches sie mitten in einem großen Garten an einem schönen, krystallhellen Bache bewohnten. Richard und Rosa hatten abwechselnd an diesem Briefe geschrieben; wenn der Eine aufgehört, hatte der Andere angefangen und jeder hatte beurtheilt, was sein Vorgänger berichtet. Ein Strom von Glück und Frieden leuchtete aber daraus hervor, sie bekannten beide in jeder Zeile, daß sie voll Liebe und Vertrauen waren.

Unser Hauswesen, sagte Rosa endlich auch an einer Stelle, wird mit großer Treue verwaltet. Die Schaffnerin für Alles ist Frau Greif, die für uns ein wahrer Schatz ist. Unermüdlich sorgt sie für uns und ihre Tochter unterstützt sie, während der Knabe um Richard ist. Ich unterrichte die beiden Kinder, sie sind lieb und anhänglich, und machen mir Freude. Nimmer werden sie uns verlassen, sie gehören zu uns, wir werden sie erziehen.

Richard hatte dann geschrieben:

Alles geht gut und die Zukunft liegt heiter vor mir. Meine Stellung ist von großem Belang, ich muß alle Thatkraft anstrengen; man erwartet etwas von mir, diese Erwartung werde ich rechtfertigen. Dafür hoffe ich auf reichlichen Gewinn, und sind nur erst ein paar Jahre vorüber gegangen, so hoffe ich nicht ohne Grund, daß mein Antheil ein beträchtlicher sein wird. Nach London muß ich jedenfalls öfter, als ich dachte, und jedesmal komme ich zu Euch, und jedesmal bringe ich meine Rosa in Eure Arme.

Und bis dahin, hatte Rosa darunter gesetzt, bekommen meine beiden lieben Vetter jeden Monat einen Brief.

Die beiden Greise ließen die Papiere sinken und schauten sich an. Es war heller Sonnenschein in ihren Gesichtern.

Unsere Kinder! murmelte der alte Richter.

Wiedersehen! schrie der Major, ihn schüttelnd, Wiedersehen! Element! ja, es giebt doch noch etwas, das das Herz warm macht, um dessentwillen man noch leben möchte!

Sie saßen beide Hand in Hand und Zeltwach neigte sich zu dem Invaliden und sprach wehmüthig lächelnd und erinnerungsvoll:

Was ist das Leben süß, wenn die Liebe ein altes Herz jung macht!



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