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1.

Für die kleine Stadt Königswalde war ein seltener Festtag gekommen. Der Landesherr kehrte von einer weiten Reise in seine Residenz zurück und hatte versprochen einen Umweg zu machen, um dies abgelegene von ihm noch niemals besuchte Waldgebiet und dessen Bewohner kennen zu lernen. Land und Leute waren daher voll freudiger Aufregung, voller Lust sich hervorzuthun, und voller Erfindungstrieb, um dem alten Fürsten allerlei Beweise ihrer Liebe zu geben, wie er sie noch nirgend empfangen. –

Aber ach! was hatten sie damit für große Noth! – Der Bürgermeister, der Amtsrath, der die große Domaine gepachtet hatte, der Oberprediger, der Apotheker, der Rector, ein paar wohlhabende Ackerbürger, die Senatoren waren, der Kämmerer und der Gerichtsdirector, – denn es war ein Landgericht im Orte, – endlich auch ein alter Major, der seine Pension in Königswalde verzehrte: alle diese Häupter und Patrizier der Stadt hielten seit länger als einer Woche tägliche Sitzungen, um die Anordnungen und Einrichtungen zu den Empfangsfeierlichkeiten zu treffen. Die Herren im Rath konnten jedoch nimmer damit fertig werden. Es war gar zu Vielerlei zu bedenken, und was dem Einen gefiel, dagegen hatten die Anderen triftige Ausstellungen zu machen.

Eine Ehrenpforte sollte gebaut werden, das war gewiß, aber wo? das blieb eine kitzliche Frage. Der Bürgermeister wollte sie am Eingange der Stadt haben, der Amtsrath vor dem Amtshause, das von Alters her das Schloß genannt wurde. Der Stadteingang war jedoch wenig einladend; zu beiden Seiten standen Scheunen, welche sich an die zerbröckelte Stadtmauer lehnten, wo sich diese noch erkennen ließ. Der ehemalige Stadtgraben durchschnitt den Weg und die Brücke darüber war bedenklich eng und altersschwach. Bei alledem stritt der Bürgermeister mit größter Hartnäckigkeit für diesen Platz, weil hinter dem Graben einst der Stadtthurm und Thorthurm gestanden haben sollte und weil es von urewigen Zeiten her Sitte gewesen, daß die Landesherren, wenn sie Königswalde besuchten, dort empfangen wurden.

In der letzten Sitzung, wo die brennende Frage nothwendig entschieden werden mußte, brachte er daher auch eine Zeichnung mit, welche sein Sohn, der Baumeister werden sollte, gegenwärtig aber noch in des Rectors Schule saß, unter Beihülfe seines Lehrers nach alten Papieren aus der Rathsstube angefertigt und während zweier Tage und Rächte mühsam ausgetuscht hatte. Diese Zeichnung stellte die Stadt vor, wie sie in Mitte des sechszehnten Jahrhunderts ausgesehen, und der Rector stand auf und hielt einen dreiviertelstündigen Vortrag, um seinen Freund, den Bürgermeister, zu unterstützen.

Es ging daraus hervor, daß Königswalde ein markgräfliches Jagdschloß gewesen, daß das jetzige Amtshaus ganz unfehlbar auf dessen Grundmauer stehe, daß um dasselbe sich später die Stadt bildete, welche von Joachim Hektor Stadtrechte erhielt, daß der damals gebaute Thurm, welcher achtzig Fuß hoch aufgeführt wurde, einen Mauerkranz und darunter eine Thürmerstube besessen, und daß unter der Wölbung, dicht an der Brücke, der jedesmalige Bürgermeister den einreitenden hohen Herren den Ehrentrunk gereicht habe: weshalb denn auch nur hier und an keinem anderen Orte die Ehrenpforte stehen dürfe.

Bei den letzten Worten seines gelehrten Verbündeten zog der Bürgermeister einen beinahe zwei Fuß langen Schlüssel aus seinem Rocke und schrie mit aller Macht, dies sei der wahre Thorschlüssel von Königswalde, den er wunderbarer Weise heut erst in des Archives unterstem Grunde entdeckt habe und den er Sr. Majestät überreichen werde, was wiederum selbstredend doch in keinem Falle anderswo möglich sei, denn da, wo das Thor gestanden.

Ueber die Echtheit dieser Reliquie erhob sich jedoch ein gefährlicher Streit mit dem Amtsrath, der seine skeptischen Spöttereien so weit ausdehnte, daß er durchaus einen alten Kellerschlüssel des Rathhauses darin entdecken wollte. Die Parteien erhitzten sich bis zu Injurien und viel fehlte nicht, so wäre der Rath in Gewaltthat übergegangen. Leider war der Gerichtsdirector nicht zur Stelle, der mit seiner kalten Würde solche Scenen schnell abzuschneiden wußte; als es jedoch allzu bunt wurde, übernahm es der alte Offizier Frieden in seiner Weise zu stiften.

Meine Herren! sagte er mit einem derben Soldatenfluche, wollt ihr Euch denn sämmtlich zum Spott und Gelächter machen? Was zum Henker! soll die Ehrenpforte zwischen den Scheunen und der Sumpfpfütze? Wäre ich Bürgermeister, ich hätte längst für einen besseren Eingang in die Stadt gesorgt. Dankt Gott, wenn unser gnädiger Herr schnell durch diesen Höllenpaß fährt und seine Nase nichts davon merkt, zumal bei jetziger Sommerhitze. Hole der Schwarze! Euren Thurm, von dem man nichts mehr sieht, und Euren Schlüssel, zu dem es kein Schloß mehr giebt. Der Amtsrath aber hat eben so Unrecht wie der Bürgermeister. Was ist daran gelegen, daß das Amtshaus auf den Grundmauern des Jagdschlosses steht? Es liegt am anderen Ende der Stadt und darum ist der einzige passende Platz für die Ehrenpforte der Markt. Da soll sie stehen, da steht sie gut und dabei bleibt es!

Die streitenden Parteien fanden sich um so leichter in diese Entscheidung, weil keine Recht bekam und die Majorität schlug sich so energisch auf Seiten des Majors, dessen Rath einleuchtend vernünftig war, daß nachgegeben werden mußte; allein dies abgethan, gab nun die Bewirthung des Landesherrn Anlaß zu einem anderen noch weit hitzigeren Streit.

Der Bürgermeister vertrat die Ehre der Stadt mit unerschütterlicher Kühnheit und wollte auf keinen Fall dem Amtsrathe weichen, der sein großes Haus anbot und dessen Stattlichkeit von außen und innen geltend machte. Der Bürgermeister hatte die letzte Nacht davon geträumt, daß der allergnädigste Herr ihm mit eigener Hand einen Orden umhing, und die Frau Bürgermeisterin saß seit acht Tagen selig lächelnd in dem grünen Saffianstuhl und schwärmte ihren Gedanken nach, wie der allerdurchlauchtigste Monarch mit ihr reden, was sie antworten und wie er ihr seinen Arm bieten würde. Sie hatte mit ihren drei Töchtern vor dem großen Spiegel die Knixe eingeübt und wie man die Augen ehrfurchtsvoll senken und roth werden, zittern und sich dann bescheiden erholen müsse.

Die Schmach der Amtsräthin zu weichen hätte die Frau Bürgermeisterin zur Hyäne gemacht; der Bürgermeister erhob sich daher, gereizt durch alle diese Bilder der Zukunft, die seiner wartete, wie der verwundete Mars. Seine Augen glühten im ingrimmigsten Haß auf den Amtsrath, und er erklärte mit schrecklicher Stimme, daß er sich lieber von vier Pferden lebendig zerreißen lassen würde, ehe er zugäbe, daß der allergnädigste Landesherr nicht von seiner getreuen Stadt bei deren Vorstande bewirthet werden solle.

In dem Augenblicke, wo der Amtsrath nun ebenfalls aufsprang, ebenfalls blauroth wurde und mit der Hand auf den Tisch schlug, daß die Gläser umstürzten, wo hier wie dort die Freunde und Nachbarn herbeieilten, um Unglück zu verhüten, gefiel es der höheren Vorsicht sich unerwartet nochmals einzumischen und den Ausbruch der Zwietracht in Königswalde gnädig abzuwenden.

Zwei Männer traten in das Berathungszimmer, die unter dem verwirrten Geschrei Anfangs nicht beachtet wurden, sobald man sie aber erkannte und der Eine zu sprechen begonnen, legte sich sofort der Lärm.

Der Forstmeister! Der Gerichtsdirector! riefen mehrere Stimmen. Die kommen zur rechten Zeit!

Hoho! Hoho! begann der erste der beiden Ruhestifter, indem er an den Tisch trat. Giebt es hier eine Treibjagd? Wird zum Sammeln geblasen?

Er lachte dabei vergnügt auf und sah die erhitzten Gesichter rund umher an. Es war ein großer, schöner, alter Herr, breit und kräftig gebaut, mit blauen, hellen Augen, einer mächtigen, reich geaderten Stirn und starkem noch braunen Haar, durch welches sich einzelne Silberfäden zogen.

Herr Forstmeister von Bruchen! schrie der Amtsrath, lassen Sie sich erzählen.

Herr Gerichtsdirector Zeltwach! schrie der Bürgermeister zu gleicher Zeit, ich will Ihnen erklären, was hier vorgeht.

Nichts für ungut! antwortete der Forstmeister, doch hören Sie mich zuerst, ich bitte ums Wort.

Ich bitte Sie Alle, zu schweigen, meine Herren, sagte der Gerichtsdirector; Herr von Bruchen hat das Wort.

Der Gerichtsdirector besaß die Art sich Ansehen zu verschaffen. Seine kleine dürre Gestalt, in den grauen Rock eingeknöpft, war eben so absonderlich unter diesen dicken, behäbigen Leuten, wie sein weißhaariger, langer Kopf eigenthümlich war. Sein Gesicht hatte so ernste, strenge Züge, als läge das ganze Strafgesetzbuch in den tiefen Falten, aber sein Lächeln war mild und gutmüthig und sänftigte den Ausdruck der dunkeln Augen, die unter grauen, buschigen Augenbrauen scharf hervorleuchteten.

Meine Herren, sagte der Forstmeister, als es still geworden war, ich habe soeben ein eigenhändiges Schreiben unseres allergnädigsten Herrn empfangen.

Er kommt nicht! schrie der Bürgermeister, und er richtete seine Blicke voll grimmigen Hohns auf den Amtsrath, der sie ihm zurückgab.

Er kommt! erwiederte der alte Jäger, und obendrein zwei Tage früher, als es bestimmt war. Er kommt übermorgen.

Bürgermeister und Amtsrath lebten wieder auf. –

Was sollen wir anfangen? Wir werden nicht fertig! riefen sie bestürzt.

Gar nichts sollen wir anfangen, sagte Herr von Bruchen. Der gnädigste Herr schreibt mir: daß er sich jede ungewöhnliche und ganz besonders jede kostspielige Empfangsfeierlichkeit ausdrücklich verbitte.

Die Ehrenpforte ist nicht kostspielig! fiel der Bürgermeister hastig ein.

Die Illumination auch nicht! schrie der Apotheker, der an die Lichte dachte, die er nicht verkaufen würde. Illumination gehört zu jeder patriotischen Begeisterung!

Und die Kränze! die Blumen! die Gewinde! der Gesang der Schüler! die weiß gekleideten Jungfrauen, unsere Töchter! Es ist alles eingekauft, blaue Schärpen, Mull, neue Handschuhe! – Gott steh uns bei, wenn nichts daraus wird! stöhnte es von allen Seiten.

Und meine Rede! sagte der Rector würdevoll, sie ist nicht kostspielig, aber eine mühsame, classische Blumenlese.

Es darf nichts verloren gehen, meine Herren! entschied der Bürgermeister energisch. Zum Empfange des theuren Landesvaters ist uns nichts kostbar oder kostspielig. Für die Bereitung des Frühstücks habe ich eine berühmte Köchin aus der Hauptstadt verschrieben, die das Leckerste mitbringen wird, was zu haben ist.

Ich habe einen Koch verschrieben, einen ehemaligen Leibkoch und Küchenmeister vom seligen Prinzen August! schrie der Amtsrath. Morgen früh spätestens wird er hier eintreffen.

Der Bürgermeister erblaßte vor Entsetzen. Seine Köchin, und wenn er sie mit Curierpferden holte, konnte erst am nächsten Abend in Königswalde sein. Er besann sich auf eine zermalmende Lüge für den boshaft grinsenden Widersacher; ehe er jedoch dazu gelangen konnte, sagte der Forstmeister mit größter Ruhe:

Was die Ehrenpforte betrifft, so kann diese auf dem Markt stehen. Die Bürger können sich dort sammeln und Bürgermeister, Rector oder Oberprediger reden; was aber Aufenthalt und Frühstück in Königswalde anbelangt, so ist aller Hader unnütz. Wie in meinem Briefe steht, so will der gnädigste Herr nichts dergleichen annehmen, sondern in meinem einfachen Hause ausruhen. Er erzeigt mir da eine Gnade, die ich weder gesucht noch gehofft habe, befiehlt mir jedoch durchaus keine Umstände zu machen, sondern ihm vorzulegen, was eben vorhanden.

So ist er immer gewesen! fuhr er dann mit einem Anflug von Rührung fort. Weit ab von Prunk und Pracht, schlicht und recht und darum, liebe Nachbarn und Herren, weil es so sein Wille ist, so laßt uns also thun. Kommen Sie sämmtlich hinaus zu mir und seien Sie meine Gäste. Wir wollen ihn so recht von Herzen empfangen, ohne Schnörkelei und Ziererei, ihm aber doch beweisen, wie wir es mit ihm meinen. Blumen kann ich nicht streuen, Ehrenpforten nicht bauen, meine Enkelin ist auch das einzige junge Mädchen, das ich im Hause habe, von gestickten Kissen, Gedichten und Reden kann somit nichts vorkommen; bei alledem aber wird der Herr doch zufrieden sein, denn wir wollen thun und geben, was wir haben, und das Beste bleibt immer ein offenes Auge und eine offene Antwort, die verlangt er beide.

Der Gerichtsdirector sprach nun auch in seiner Weise praktisch und bündig; wie die abgekürzte Zeit alle ferneren unnützen Verhandlungen ausschließe und was geschehen solle rasch und einig ausgeführt werden müsse.

Ich für meinen Theil, sagte er dann, stimme meinem Freunde Bruchen bei. Wie Sr. Majestät es befohlen hat, so muß es geschehen. Aendern läßt sich nichts; aufdringen können wir dem Herrn unsere Bewirthung nicht. Der Forstmeister ist, wie Sie wissen, Jahre lang in dessen Nähe gewesen, als Feldjäger, im Hauptquartier während des Krieges, und ich glaube kaum, daß wir den hohen Besuch erwarten dürften, wenn Herr von Bruchen nicht hier dicht an wohnte.

Damit hatte der Streit sein Ende erreicht. Der Bürgermeister hohnlächelte über den getäuschten Amtsrath, und dieser spottete über den Bürgermeister, zuletzt aber vertrugen sie sich sämmtlich. Die Ehrenpforte wurde in Eile aufgebaut, die Häuser festlich geschmückt, das Straßenpflaster ausgebessert, die Brücke sogar mit einigen neuen Bohlen und Brettern belegt; doch während öffentlich alle diese Zeichen auf ein einiges freudiges Zusammenwirken deuteten, wühlten Aerger und Mißgunst unter der Friedensdecke und in den Familienkreisen wurden heftige Beschuldigungen gegen den Forstmeister, den Gerichtsdirector und den alten Soldaten ausgetauscht, denn diese drei sollten unter einer Decke stecken und die Geschichte so eingefädelt haben, um die Ehre, natürlich auch den Lohn, für sich fortzuschnappen.

Die Damen waren dabei die Aufgeregtesten und im höchsten Grade erfinderisch, um festzustellen, wie der Fürst bearbeitet worden sei, um endlich solchen Brief zu schreiben; darin jedoch waren Alle einstimmig, daß sie keinen Schritt nach dem Forsthause thun wollten, um den Triumph dort zu vermehren und mit ihren Töchtern das Gefolge des hochmüthigen Fräuleins Rosa von Bruchen zu bilden.

Es entstand ganz in der Stille eine organisirte Verschwörung gegen das übermüthige Triumvirat. Der Bürgermeister sollte den Fürsten inständigst anflehen, unter seinen getreuen Königswaldern zu verweilen; Rector und Oberprediger und die gesammten Väter der Stadt sollten Stimmen und Hände zur Unterstützung der innigen, beglückenden Bitte aufheben, nichts sollte gespart werden, um dem stolzen Fräulein da draußen den Spaß zu verderben, und es müßte doch seltsam zugehen, sagte der Oberprediger sanft lächelnd, wenn unser kindlich frommes, reines Streben nicht von Gottes Segen begleitet sein sollte!

Das Fräulein von Bruchen bereitete aber noch am Vorabend des Festes den Damen in Königswalde keinen geringen Aerger. Als die Ehrenpforte fertig stand, die Ketten von Eichenblättern und Blumen über die Straßen gezogen wurden, und die ganze städtische Bevölkerung auf den Beinen war, um ihre Wunder zu beschauen, kam sie auf ihrem schwarzen Pferde hereingeritten. Sie trug ein grünes Reitkleid, einen aufgeschlagenen Hut mit einer weißen Feder, und über ihren Nacken rollte eine Fluth dunkelglänzender Locken auf den Spitzenkragen.

Neben ihr ritt der Forstinspector, Herr Lorenz Lüders, ein stattlicher, hoher Mann, der in der ganzen Umgegend umher in gefürchtetem Ansehen stand. Er war noch jung und hatte ein kühnes, sonnenverbranntes Gesicht, blitzende große Augen, herrliche Zähne und herculische Schultern. Er trug schon heut das Festkleid, das er morgen benutzen wollte; den grünen Jagdrock mit rothem goldgestickten Kragen, einen zweispitzigen Hut mit goldener Eichelschnur, weiße Lederbeinkleider und hohe Reiterstiefeln, an denen mächtige Silbersporen blitzten.

Der junge Forstinspector war ein Bild männlicher Kraft und er wußte es auch recht gut, was die Gesichter der Zuschauer ausdrückten, was namentlich die Mädchen und Frauen von Königswalde ihm sagten. Er bändigte sein unruhiges Thier meisterhaft, grüßte da und grüßte dort, hatte dabei aber auch immer mit der Dame zu sprechen und zu lachen, deren Cavalier er war und deren vornehme Haltung und vornehmes Kopfneigen den Versammelten und neugierig Nachblickenden weit weniger gefiel.

Das Fräulein ritt über den Markt fort bis an die Ehrenpforte, und die Köpfe der Frau Bürgermeisterin und ihrer Töchter verschwanden vom Fenster, bis sie vorüber war. Auch die Frau Apothekerin, welche eben Besuch von der Frau Amtsräthin und anderen Damen hatte, zog sich eiligst mit diesen hinter die Gardinen des Putzzimmers zurück, von wo aus sie genau beobachteten, wie die stolze Enkelin des Forstmeisters vor der Ehrenpforte anhielt, mit ihrer Reitgerte auf verschiedene Punkte wies, als gefiele ihr Manches nicht, und als ob sie Veränderungen angäbe.

Nach einigen Minuten kam der Gerichtsdirector herbei, und der alte Offizier mit dem zerschossenen Fuß humpelte hinter ihm her. Diese beiden Herren erfreuten sich besonderer Gnade, wie es die Lauschenden höhnisch nannten, denn das Fräulein reichte ihnen die Hand vom Pferde herunter und was sie sagte brachte Heiterkeit über den ganzen Kreis, der sich um sie gesammelt hatte. Mehrere Fahnen und Laubgewinde wurden gesteckt, wie sie es anordnete; der Forstinspector kletterte auf eine hohe Leiter, die Arbeiter faßten an wie sie es wollte, der Gerichtsdirector half selbst dabei, und der alte Major riß ein paar Blumen aus einer Kette und überreichte sie mit der stürmischen Galanterie eines alten Soldaten dem schönen Mädchen, das sie annahm, sich dankend und lächelnd neigte, die Blumen dann in der Hand schwenkte und endlich ihr Pferd antrieb, welches sie im Galopp von dannen trug.

Das Alles beobachteten die versteckten Widersacher, und es fehlte ihnen nicht an Lust und gutem Willen zu allerlei Randglossen, die boshaft genug lauteten. Schon daß das Fräulein als Amazone zu Roß erschien, war Grund genug sie scharf zu bekritteln, denn in der Stadt so wenig wie in der Umgegend gab es eine junge Dame, die sich Dergleichen zu Schulden kommen ließ.

Wenn ich wollte, sagte die Amtsräthin, wer könnte mich denn daran hindern? Ich dachte, mein Mann wäre im Stande, eher ein Dutzend Pferde für mich zu halten, wie andere Leute Eines, aber Gott bewahre mich vor solcher unschicklichen Lustbarkeit!

In einem christlichen Staate, erwiederte der gescheitelte Oberprediger, der die Hände auf dem Rücken hielt und sanft lächelte, müßte solch heidnisches Wesen auch niemals vorkommen, und eine christliche Ehefrau oder Jungfrau wird keinen Gefallen daran finden können.

O! rief die Frau Apothekerin, ich glaube auch nicht, daß es besonders christlich in ihrem Herzen aussieht, denn kommt sie etwa in die Kirche?

Selten, sehr selten! murmelte der Oberprediger traurig lächelnd und die Achseln zuckend. Die ganze Familie, der Forstmeister und seine Umgebungen, der Herr Forstinspector dazu – er warf dabei einen Blick auf die Amtsräthin – es steht überhaupt übel da draußen im Forsthause, sagte er wehmüthig seufzend.

Bei dem Namen des Forstinspectors warf die kleine, hübsche Frau Amtsräthin die Lippe auf und ihre Augen erhielten den Ausdruck der Verachtung. Sie sagte nichts, aber ihre Blicke flogen über die Gesichter ihrer Freundinnen, welche ebenfalls nichts sagten und sehr ernsthaft geradeaus sahen.

Der Forstinspector war ein Vetter des Amtsraths und früher ein nie fehlender Gast in dessen Hause gewesen. Die Amtsräthin war bedeutend jünger als ihr schwerfälliger Gemahl, sie war handlich, munter und angenehm, es konnte daher allerlei Gerede nicht ausbleiben, das leicht da entsteht, wo bei einem an Jahren ungleichen Ehepaar sich ein junger Vetter als Hausfreund einfindet. Aber die Frau Amtsräthin hielt auf ihren Ruf. Als sie bemerkte, wie schlecht die Welt sei, wies sie den Cousin in die gehörigen Schranken und entfernte ihn endlich ganz von sich, als er sich unverschämt betrug. So wenigstens hatte sie sich selbst im Vertrauen geäußert; gewiß war, daß ein Bruch der Freundschaft zwischen den Verwandten stattgefunden hatte, doch wie die böse Fama flüsterte, war dies seit der Zeit geschehen, wo das Fräulein von Bruchen aus der Erziehungsanstalt in das Haus ihres Großvaters zurückkehrte, was zur nahen Herbstzeit jährig wurde.

Nach diesem allgemeinen Schweigen faßte die Frau Rectorin den Entschluß, der Gesellschaft über die Klippe zu helfen.

Da Fräulein von Bruchen nicht einmal ihrem Gott die Ehre giebt, sagte sie, darf man sich nicht wundern, daß sie uns so wenig beachtet.

Es ist wirklich wahr, fiel die Frau Apothekerin ein, eine Prinzessin könnte sich nicht anders benehmen. Mit keiner Familie hat sie näheren Umgang angeknüpft.

Aber mein Gott, wer ist sie denn?! rief die Frau Amtsräthin. Ihr Vater, der Sohn des alten Forstmeisters, war Forstrath, als er starb. Ihre Mutter, die kaum ein Jahr hinterher begraben wurde, war blutarm, und der Vater hatte auch nichts hinterlassen. Mein Mann weiß es ganz genau, wie die Frau mit dem sechsjährigen Kinde hier ankam und mit einem zweijährigen, das jetzt bei ihr auf dem Kirchhofe liegt. Der Forstmeister mußte für Alles sorgen. Ich sage nichts gegen ihn und gegen die Familie überhaupt. Der alte Mann wurde schwer heimgesucht: Sohn, Tochter, Enkel starben ihm fort und nichts blieb übrig als diese Waise, die jetzt nicht weiß, wie hoch sie das Näschen tragen soll. Was wird denn aber werden, wenn der Großpapa einmal die Augen zumacht? Wie groß wird denn die Erbschaft sein?

Die werthe Gesellschaft beleuchtete eine Zeit lang mit vielem Eifer diese letzte Frage und blieb endlich dabei stehen, daß das Vermögen des Forstmeisters nicht bedeutend sein könne. Gesammelt möge er wohl etwas haben, allein die Erziehung seiner Enkelin, an der er nichts gespart, kostete sicher nicht wenig, und dann habe er selbst allerlei theure Angewohnheiten. Sein Tisch sei gut, sein Keller wohlversorgt und wer zu ihm komme sei willkommen, nur müsse er mit ihm trinken, Whist spielen und fröhlich sein wollen, denn lustigen Sinnes und guten Herzens sei der alte Herr. Er liebe frohe Gesellschaft und weise so leicht auch keinen Bittenden von seiner Thür.

Auch Dergleichen kann sehr übertrieben werden, sagte dann der Oberprediger, der die Hände noch immer auf dem Rücken hielt und sanft lächelnd zuhörte. Seid froh mit den Frohen, spricht der Apostel, aber hütet euch vor Sünde und entheiligt den Sabbath nicht. Wer da giebt, der sehe zu, daß seine Gabe in die rechte Hand komme, und wer bei Freunden sitzt, der bedenke, ob es Gottes Freunde sind.

Es entstand wiederum ein Schweigen in der Gesellschaft, deren Mitglieder recht gut wußten, daß der gastliche alte Jäger dem geistlichen Hirten nicht besonders Freund war. Als der Oberprediger nach Königswalde kam, wurde er wie Alle, die das Forsthaus besuchten, freundlich geladen, bald wieder einzusprechen, um, wie sein Vorgänger es gethan, einen Rubber zu machen und einen Wildbraten vertilgen zu helfen. Der neue Geistliche gehörte jedoch einer anderen Schule an, wie der alte, rundköpfige Superintendent, dem er nachfolgte. Er erklärte niemals eine Karte anzurühren, weil Kartenspiel sowohl wie Jagd und Tanz, Trunk und lärmender Schmaus, Komödienspiel, Singerei und Musik, letzteres besonders an Sonn- und Festtagen, unpaßlich für jeden Christen, für einen Diener des Herrn aber gänzlich verdammlich sei.

So gerieth er denn bald mit dem Forstmeister in Zwiespalt, der in neuester Zeit noch mehr gewachsen war, denn seit Rosa von Bruchen wieder bei ihrem Großvater hauste, schien das heidnische Leben dort ärger als je geworden. Da wurde Sonntags Gesellschaft geladen, da sah man das Fräulein mitten unter Jägern und Herren zu Walde reiten, über Gräben und Hecken setzen, und Nachmittags oder Abends saß sie am Klavier am offenen Fenster, sang Trinklieder und lustige Opernarien, schämte sich auch endlich nicht der Vierte am Kartentisch zu sein, wenn Einer fehlte, und was des lästerlichen Treibens mehr war.

Wer geht denn auch mit ihr um? fragte die Frau Oberpredigerin endlich, als dies Alles zur Sprache gebracht wurde. Keine achtbare Familie schließt sich ihr an. Ich würde es meinen Töchtern, wenn ich Töchter hätte, gewiß nicht erlauben.

Es ist auch gar kein Gespräch mit ihr zu halten, fiel die Frau Apothekerin ein. Wäsche, Küche, Einmachen, Einschlachten, Reinemachen, Alles besorgt die alte Neumann, die Haushälterin; sie weiß so viel davon, wie ein jährig Kind. Sie weiß nur von Büchern, von Journalen, von Zeitungen, von Noten, oder von Jagdhunden und Pferden. Ich glaube, sie kennt jeden Hirsch im Walde und wie viele Zacken jedes Geweih hat, aber wie ein Braten gespickt oder ein Pudding eingerührt wird, das sind ihr böhmische Dörfer.

Ein allgemeiner Schauder lief über die Rücken der achtbaren Damen.

Mein Gott! seufzte die Frau Rectorin die Hände faltend, ich bedaure den unglücklichen Mann, der die einmal zur Frau bekommt.

Bei diesem Ausrufe nickten sich die Freundinnen beifällig zu und einige wandten ihre Augen mit einem flüchtigen Blicke auf die Frau Amtsräthin, welche sogleich lebhaft sagte:

Sie wird so leicht keinen bekommen! Ein Armer kann sie nicht nehmen und ein Reicher, wie sie ihn braucht, fällt nicht vom Himmel. So hochmüthig wie sie ist, wird es auch Niemand wagen, ihr seine Hand anzubieten, und wenn der Herr Forstinspector zuweilen die Erlaubniß erhält, ihr den Steigbügel zu halten, so hat er auch kaum auf Dank zu rechnen. Wer sind denn ihre Freunde? Niemand als der liebenswürdige Gerichtsdirector Zeltwach und der Adonis auf einem Beine, der galante Major Essenbach. O! zwei ganz charmante, feurige Anbeter, nur ein bischen zu jung, gar zu jung!

Ein allgemeines Hohngelächter folgte dieser Spötterei; auch der gescheitelte Oberprediger stimmte ein, er hob jedoch, um seine Würde zu bewahren, drohend den Finger gegen die satyrische Amtsräthin auf.

Plötzlich aber sprang die ganze frohgestimmte Gesellschaft von den Stühlen und stürzte an die Fenster. Eine Extrapost fuhr auf den Markt, zum allgemeinen Staunen mitten durch die Ehrenpforte, da diese so dicht an der Straßenecke stand, daß kein anderer Weg für den Wagen blieb. Dieser Verstoß wurde jedoch weder beachtet noch strenge gerügt, denn die Neugier war groß, wer da kommen möge?

Im ersten Augenblicke faßte Entsetzen die Damen, weil die Frau Apothekerin sich einbildete, es könne der Fürst selbst sein; aber der Oberprediger beruhigte sie sogleich mit der Versicherung, daß ein gekröntes Haupt niemals einen solchen gelblackirten elenden Halbwagen besteigen würde, der nicht einmal gut genug für einen Hofmarschall oder Kammerherrn sei.

Der Postillon ließ inzwischen sein Horn schmettern, das Bürgermeister und Rath auf den Markt lockte. Die Herren standen in Gruppen beisammen von allerlei Ahnungen und Zweifeln erfüllt, ob die Equipage nicht etwa doch eine Person vom Hofstaat, einen Küchenmeister oder Obervorschneider enthalte. Jetzt bogen jedoch die Pferde ab und der Wagen hielt vor dem Häuschen still, in welchem der invalide Major wohnte, welcher mit dem Gerichtsdirector auf der Steinbank vor der Thür saß. Im nächsten Augenblicke sahen sie alle, wie ein junger, schlanker Mann mit einem Satze aus dem gelben Kasten sprang und dem alten Krieger um den Hals fiel.

Eine Stunde später war das Räthsel erklärt und bekannt, jedes Kind wußte es. Des Majors Neffe war angekommen.

Seiner Schwester Sohn, ein Herr, der mit Steinen handelt, oder Steine sucht und gräbt, von denen er bei uns gewiß nicht viel finden wird, sagte die kluge Magd des alten Offiziers im Gefühle ihrer Landeskenntniß. Denn Steine giebt es auf Meilen um Königswalde nicht, blos Sand und Heide, Torfbrüche und schöne Wiesen voll Störche und Kibitze. Der junge Herr sieht aber auch gar nicht aus, als ob er sich viel mit Steingraben abgäbe, fuhr sie dann geschwätzig fort, er hat feine Glieder und weiße Hände, ein manierliches Gesicht und eine angenehme Stimme. Jetzt sitzen sie beisammen an dem Tisch mit dem Gerichtsdirector und er erzählt, woher er gekommen ist. Fürchterlich weit muß es sein, denn ich habe gehört, wie er sagte, drei Monate sei er unter Weges gewesen.



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