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7.

Die Buschmühle lag am Rande einer Einsenkung oder eines Thalgrundes, durch welchen ein schwarzes, schilfiges Wasser floß. Sandhügel mit Kiefern bewachsen dehnten sich östlich und nördlich in einem weiten Halbkreise aus, und mitten durch diese Hügel floß in einer Schlucht das Wasser, das von dem Abfluß der Waldseen gespeist wurde. Die Mühle lag an einem Teiche und jenseits desselben begann ein sumpfiges Bruchland, dessen verrätherisches Grün von breiten Lachen unterbrochen wurde, aus deren Rohr- und Schilffeldern der Schrei der Drommeln und der gurgelnde Ton der kleinen Taucher dann und wann sich hören ließ. Es war das einzige Lebenszeichen in diesem öden, ärmlichen Grunde.

Die Mühle war ein verfallenes, hölzernes Bauwerk, das neben dem Bach hinter dem Wehr stand und ein altes hohes Rad unter einem moosigen Schirmdache in das Gerinn tauchte, das zu Zeiten wohl die Stampfen in Bewegung setzen mochte. Der ganze Bau war schwarz und verwittert, das Rad von grünen, schleppenden Pflanzenfäden umsponnen; trockene Halme und braune Flechten klammerten sich mit zähen Fingern in die Spalten und Ritzen der gesprungenen Bretter, und nickten zitternd zu dem umdüsterten Himmel auf, der ihnen einen tüchtigen Regen ankündigte.

Seitwärts neben der Mühle lag ein eben so traurig aussehender alter Schoppen und etwas höher hinauf, wo ein Steg über den Bach führte, ein Wohnhaus, das mit einiger Sorgfalt kürzlich ausgebessert schien. Es hatte einen weißen Anstrich, ein paar kleine, aber leidlich ganze Fenster und ein Rohrdach, das die Herbstregen abhalten konnte. Nirgend aber war rund umher ein Anbau, eine Einfriedigung oder ein Gartenstückchen zu schauen und nirgend war ein menschliches Wesen zu erblicken. Ein rauher Wind trieb die Wolken über die gelben Sandhügel und die dunklen, schwankenden Kiefern hin; regenverkündend jagten sich die Sumpfschwalben stumm und schwarz über den schwarzen Mühlteich.

Das einzige weitere sichtbare Gethier aber war ein Pferd, das an dem Riegel neben der Thür des Hauses hoch angebunden stand, seine Vorderfüße auf deren Schwelle setzte und den Kopf durch die geöffnete obere Thürhälfte in die Flur steckte, als wollte es mit gespitzten Ohren horchen, was drinnen laut scheltend verhandelt wurde. Nach einem Weilchen prallte das kluge Geschöpf zurück, denn sein Herr trat aus der Stube, und dieser war kein Anderer, als der Forstinspector Lorenz Lüders. Der ärgerlich blickende Mann sprach mit dem demüthigen Bauer, der ihn begleitete, in heftiger Weise. –

Amtsrath und Bürgermeister sind also nichts in Eurer Meinung? sagte er. Heut ist es der fünfte Tag, daß Ihr den Befehl habt das Weib mit ihrer Brut fortzuschaffen, Ihr folgt nicht. Es wird Euch schlecht bekommen, Müller, denkt daran. Ihr müßt auf den Finger geklopft werden.

Der kleine, krummbeinige Müller in der blauen geflickten Schoßjacke drehte die Zipfelmütze zwischen seinen Fingern und sein schmutziges, faltiges Gesicht hob sich ängstlich bittend zu dem drohenden Beamten auf.

Lieber Herr Forstinspector, stotterte er, ich möchte es ja gerne thun, und das Weib wird auch gehen; sie will sich umthun nach einem Unterkommen, aber jetzt ist sie krank.

Was kümmert es Euch? Was habt Ihr mit der Diebsbrut für Mitleid? schrie Lorenz ihn rauh an. Ist es etwa alte Freundschaft für den – Schelm, ihren Mann, Euern Vetter, der hier gehaust hat?

Er zog seine Stirn zusammen und stierte den armseligen Müller wild an, der seinen mageren, langen Hals senkte und furchtsam antwortete:

Gott weiß es! ich bin ein ehrlicher Mann – ich bin nicht wie er war.

Nicht wie er! rief Lüders verächtlich lachend. Ich glaube es Euch, Kaspar Stumpf. Er war ein Kerl, dem keine Nacht zu schwarz, kein Graben zu tief war, aber wie ein Hirsch stand er auf seinen Läufen und was er wollte, das that er. Er hätte Euch und Euer Weib zehnmal in einer Stunde zum Hause hinaus gejagt, wenn es ihm so gepaßt hätte.

Ach, bester Herr Forstinspector, sagte der Müller noch ängstlicher, es soll ja Alles geschehen. Aber es nimmt sie doch keiner auf, und aus der Gemeinde will sie nicht, weil sie dazu gehört, wie sie sagt, und weil sie dagegen beim Gericht klagen will.

Ich sage es Euch noch einmal, erwiederte Lüders, schafft sie heut noch fort. Was der Bürgermeister befiehlt, das geschieht, darüber habt Ihr nichts zu raisonniren.

Wenn ich's nur könnte! stöhnte der arme kleine Mann. – Es ist doch ein Mensch und eine Muhme ist's obenein; ich kann's nicht übers Herz bringen. Hier hat sie sonst in ihrem Glücke gewohnt und es ist ihr gut gegangen, bis bis –.

Er warf einen scheuen Blick auf den Forstinspector und schwieg.

Lorenz Lüders machte seine flammenden Augen weit auf; ein grausames Lachen schwebte um seine Lippen, als dächte er an etwas, oder als hörte er etwas, das ihn freute.

Wo ist das Weib? fragte er.

Da drüben im Stalle liegt sie, antwortete der Müller, es geht ihr schlecht, sie klagt. Seien Sie mitleidig, Herr Forstinspector; sie wird gehen, ich weiß es – sie wird gehen.

Lüders gab ihm keine Antwort, er ging auf den Stall zu und faßte an die Thür, welche kein Schloß hatte. Durch ein Loch war ein Band gezogen und an die morschen Bretter innen befestigt, damit Sturm und Regen nicht ihr Spiel treiben möchten. Ohne sich mit einer Frage oder mit Klopfen aufzuhalten, riß der Forstinspector die Thür auf, daß der schwache Faden zersprang, und sah hinein. –

Wüstes Gerümpel und Lohe zum Stampfen füllte die eine Hälfte, die andere war leer, bis auf eine Ecke; dort lagen ein paar alte Kleidungsstücke auf einem Tragkorb, auf einem dreibeinigen Tische stand einiges ärmliche Geräth und auf einem niederen Holzklotz saß die Buschmüllerin, ihren Kopf mit einem Lappen umbunden und in ihre beiden Hände gestützt. Zu ihren Füßen hockten die Kinder; ohne Zweifel hatten sie alle den Forstinspector kommen sehen, aber als er jetzt an der Schwelle stand und umher schaute, rührte sich keine der drei Gestalten, auf welche er finster und verächtlich herunter blickte.

Nun, Ihr da! rief er, als seine Musterung ein Ende nahm, habt Ihr keine Augen und Ohren?

Die Frau hob ihren Kopf langsam auf, es zuckte kein Muskel darin, aber in ihren Blicken glühte ein grenzenloser Haß. –

Augen zum Sehen, sagte sie mit ihrer harten Stimme, was Keiner sieht, und Ohren zum Hören, was Niemand hört. – Was wollt Ihr von mir?

Bist Du solche Hexe, rief der Forstinspector, und liegst hier auf der Bärenhaut? Mach Dich auf, und packe Dich fort, ehe die Rathsdiener kommen und Dich austreiben.

Die Wittwe antwortete ihm nicht. Sie ließ ihren Kopf wieder in ihre Hände fallen, als wollte sie den verhaßten Mann nicht mehr sehen.

Heda! schrie Lüders erbittert, willst Du antworten? Willst Du Dich auf die Beine machen?

Geht! sagte sie, ohne ihr Gesicht aufzuheben, Ihr habt genug Sünde und Schande zu verantworten. – Wenn es Zeit ist, wird geschehen, was da soll.

Es wird geschehen, antwortete er, daß Du wieder ins Loch gesteckt und gepeitscht wirft, wie es sich gehört.

Sie schwieg, aber der Müller, der in seinen Holzschuhen hinter Lüders hergeklappert war und nun auch an der Thürschwelle stand, sagte begütigend:

Seit drei Tagen ist sie nicht herausgekommen. Sie hat das Fieber, es schüttelt sie jeden Abend, und seit der Junge da in den See gefallen ist, wobei sie sich den Kopf zerstoßen hat, sieht es schlecht mit ihr aus.

Lüders betrachtete seine Peitsche und den zottigen Kopf des Weibes mit einem vielsagenden höhnenden Blick.

Solch Volk kommt nicht um! rief er. Narrenspossen! Sie will Mitleid erregen. Warum hat sie den Lappen sich um die Stirn gewickelt?

Darum! sagte die Buschmüllerin, indem sie aufstand, die Binde abnahm und sich dicht vor ihren Feind stellte. Der Peitschenhieb, den er ihr versetzte, hatte eine rothe, zackige Geschwulst gebildet. Die Haut war davon geborsten, die Wunde, seit Wochen von Hitze und Staub entzündet, lief bis an das linke Auge hinab und entstellte das harte, knochige Gesicht in einer Weise, daß Lüders einen Schritt zurücktrat, weil er Furcht davor empfand.

Im nächsten Augenblick aber sagte er mit Genugthuung:

Das ist ein Denkzettel, wie er Dir zukommt und wie Du ihn fürs Erste nicht vergessen wirst. Packe Dich jetzt, und lauf so weit Du kannst, wenn es Dir nächstens nicht noch schlimmer gehen soll.

Ich werde nicht gehen, sagte sie trotzig. Ich werde bleiben.

Diebesbrut! antwortete er, hast Du Dir neue Schliche ausgesonnen?

Ich habe mir etwas ausgesonnen, sagte sie mit einem grimmigen Lachen, ihr entstelltes Gesicht gegen ihn neigend, indem sie den Arm in die Seite stemmte.

Drache! rief er, willst Du stehlen, oder willst Du mich morden?

Wenn ich es könnte, antwortete sie, indem sie ihre nervigen Arme streckte und ihn gierig anblickte, ich wollte es mit Freuden thun.

Du schändliches Weib! sagte er voller Verachtung, wäre es nicht besser, Du verhungertest in einem Graben, so würde ich Dich greifen und strafen lassen für Deine mörderischen Drohungen. Aber da kommen die Stadtdiener gerade zur rechten Zeit. Zum letzten Male sage ich Dir, pack' Deine Lumpen zusammen und schau mich noch einmal an, damit Du mich in gutem Gedächtniß behältst

Zwei Männer in grauen Röcken, Amtsschilde auf der Brust und Stöcke in den Händen, kamen über die Brücke und näherten sich dem Schoppen, wo die Buschmüllerin genau das Gebot des Forstinspectors befolgte. Sie nahm ihre Kinder an ihre beiden Hände und stellte sich mit ihnen vor den großen verächtlich auf sie niederblickenden Mann. –

Seht ihn an, sagte sie die Worte tief aus der Brust holend, und verflucht ihn! Seht den Mörder an, der Eueren Vater gemordet hat, als der sich nicht wehren konnte, denn sonst hätte er es nimmermehr gewagt. Seht ihn an, der Euch das letzte Bett und den letzten Pfennig stahl. Gott, der Alles sieht, sieht ihn und uns; Gott, der Alles hört, wird ihn und uns hören. Verflucht ihn, daß er in Schimpf und Schande umkomme! Verflucht ihn, daß was er angreift zu Schanden werde!

Nun ist's genug! antwortete Lüders gleichgültig. Es schadet mir zwar nichts, und hilft mir eben so wenig, ob Du fluchst oder betest; Jeder weiß hinlänglich, was an solchem Auswurf ist. Mitleid mit Dir wäre jedoch Sünde; es ist Zeit, die Gegend von solchem schamlosen Unflat zu befreien, und dazu sind die beiden Männer hier gekommen, wie ich denke?

Die Stadtdiener standen während dieses sonderbaren Auftritts als Zeugen an der Thür. Das Weib mit ihrem wilden entstellten Gesicht, ihren Verwünschungen und ihrer Berufung auf Gottes Richteramt jagte ihnen Grauen ein. So abgehärtet sie waren, so fühlten sie doch ein Mitleid mit ihr; als der Forstinspector sich jedoch zu ihnen wandte, sagte der Aelteste:

Der Herr Bürgermeister schickt uns allerdings, um zu sehen, ob die Buschmüllerin noch nicht fort ist, und ihr das Geleit zu geben, wenn es so sein muß.

Wenn es so sein muß! sagte die verfolgte Frau ihre Hände zusammenballend, und ihre Augen funkelten, als füllten sie sich mit Feuer. Dann aber fuhr sie ruhig fort: Was wollt Ihr von mir? Wohin soll ich?

Dahin, woher Ihr gekommen seid, antwortete der Amtsbote.

Sie schüttelte den Kopf. Wir gehen alle dahin, woher wir gekommen sind, und es bleibt Keiner übrig! doch Ihr macht es grausam mit mir. Wo ich geboren bin, wollen sie mich nicht aufnehmen, weil ich zu lange außen mit meinem Manne wohnte; hier treibt ihr mich auch fort, da ich nichts mehr habe, was ihr mir nehmen könntet. Wer sich meiner erbarmt, dem drohet ihr mit Strafen; aber sagt mir doch, wohin ich gehen und was ich beginnen soll? Redet doch, da Ihr Menschen seid! Wohin wollt Ihr mich stoßen in Nacht und Regen? Bin ich ein Thier? Sind die armen Kinder da nicht von Fleisch und Gebein? Was haben sie euch gethan, und was soll aus uns werden?

Die tonlose Ruhe in ihren Fragen that auf die Stadtdiener größere Wirkung, als wenn sie sich wild gebehrdet hätte. Die Männer sahen den Forstinspector an, in dessen Gegenwart sie nicht mild zu sein wagten; da aber Herr Lorenz Lüders die Arme kreuzte und zum Himmel hinauf schaute, antwortete der Eine endlich:

Wir haben strenge Ordre, Frau, die muß ausgeführt werden.

Morgen will ich gehen, begann sie darauf noch einmal, ihr könnt es glauben. Ich will morgen einen Gang thun, der mir helfen kann. Mein Vetter Kaspar wird mir wohl noch diese Nacht ein Lager geben.

Die beiden Männer blickten wieder zu dem Forstinspector hin, und der Aelteste zuckte die Achseln und machte ein betrübtes Gesicht.

Wenns wahr wäre, sagte er halblaut, so würde es bis morgen wohl nichts verschlagen.

Es ist aber nicht wahr, ich glaube es nicht! rief Lüders, indem er sich rasch umwandte. Ich glaube es auch nicht, fuhr er fort, daß Kaspar Stumpf diesem Gesindel noch eine Nacht Herberge geben will. He, Kaspar! Müller! hierher! heraus mit der Sprache! Wollt Ihr das Weib da noch eine Nacht in Eurem Hause dulden?

O! – oh! stammelte der kleine, furchtsame Müller, ich möchte wohl, warum denn nicht, der Platz ist da – als aber Lüders seine finsteren Augen auf ihn richtete, setzte er schnell hinzu: Nein, ich will sie nicht länger! Es muß doch geschehen, Muhme; ich sage Euch, es muß geschehen!

Wohl, sagte sie mit ihrer starren Ruhe, es muß geschehen, und Gott vergeb's Euch, was Ihr thut. Es nimmt Alles ein Ende auf Erden, mag's also enden wie es will mit mir.

Bittet doch den Forstinspector, flüsterte ihr der jüngere Stadtdiener zu, während er sich bückte und ihr den Korb hielt, in welchen sie ihre Habe warf.

Den bitten! schrie sie laut auf, und sich in die Höhe richtend, sagte sie mühsam: Lieber im Sumpf sterben, lieber vor dem bösen Feind niederfallen! Könnte ich mit meinen Nägeln ihm seinen Lohn geben, so wäre mir wohl.

Plötzlich hielt sie mit Sprechen ein, und ihre harten Hände zusammenschlagend blieb sie stehen, denn in der Thür hinter dem Forstinspector erschien plötzlich ein unerwarteter Freund und Helfer, Richard Steinau, dessen klare, wohllautende Stimme zu gleicher Zeit seine Anwesenheit bemerklich machte.

Was giebt es denn hier? fragte er die verschiedenen Anwesenden musternd.

O, Herr! rief die Buschmüllerin, und jetzt zuerst zitterte ihr starker Körper und von Seelenangst getrieben eilte sie ihm entgegen. Gottes Wille muß es sein, daß Sie kommen. Was es giebt? Ausgetrieben soll ich werden. Erbarmen Sie sich der armen Kinder wegen, die umkommen müssen, denn Niemand nimmt sie auf.

Wie? fragte der junge Mann, ausgetrieben aus diesem jämmerlichen Obdach, bei solchem Wetter und bei einbrechender Nacht? Das wäre doppelt unmenschlich. Das kann nicht sein.

Der Herr Bürgermeister hat es befohlen, sagte der Stadtdiener. Wir thun was wir müssen.

Dann verlange ich Aufschub, erwiederte Steinau. Ich will Bürgschaft leisten.

Was kann das Alles helfen! rief Lüders, der jetzt das Wort ergriff, weil er sah, daß der Amtsbote zweifelhaft und geneigt schien sich zu fügen. Die Gesetze haben wir nicht gemacht, es ist aber einmal gesetzlich, daß Vagabonden nicht geduldet werden.

Schlimm genug, wenn man Menschen durch die Gesetze zu Vagabonden macht, antwortete Richard, der den Forstinspector scharf ansah. Ich wiederhole, daß ich mich für diese Frau verbürge.

Sie sind selbst hier ein Fremder, versetzte Lüders gereizt. Wer macht Vagabonden? Was meinen Sie damit?

Vermeiden wir allen unnützen Hader, war Richards Antwort. Ich mache mich verbindlich, jede Summe für diese Frau zu zahlen.

Wir sind nicht in Amerika, sagte Lüders, wo man mit Geld Alles abmachen kann. Hier werden die Gebote der Obrigkeit vollstreckt; was diese befiehlt, muß geschehen.

Sie scheinen türkische oder chinesische Ansichten zu vertheidigen, versetzte Steinau, und indem er sich zu den Stadtdienern wandte, fügte er hinzu: Die Frau bleibt hier, ich stehe für sie ein.

Ich hoffe, rief der Forstinspector auffahrend, diese Leute wissen besser was ihre Pflicht ist.

Nein, mein Herr, nein! sagte Richard nachdrücklich, diese Leute werden dem Recht und der Menschlichkeit Gehör geben. Welche Gründe haben Sie denn, um diese unglückliche Frau so grausam zu verfolgen? Hören Sie auf damit, und – er brach ab und schwieg.

Was wollen Sie sagen? heraus damit! schrie Lüders äußerst heftig.

Und schämen Sie sich Ihrer Härte! sagte Steinau.

Die beiden jungen Männer standen sich dicht und feindlich gegenüber. Die kolossale Gestalt des Forstinspectors überragte seinen Gegner um mehr als Kopfeslänge. Sein Gesicht drückte den ganzen Haß aus, den er empfand, und in allen seinen Muskeln schien eine Leidenschaft zu arbeiten, die ganz den Anschein hatte, als würde er eine plötzliche Gewaltthat begehen. Was aber auch seine Absicht sein mochte, er gewann nach einigen Augenblicken seine Selbstbeherrschung wieder. Richard Steinau stand so furchtlos vor ihm, als sähe er keine Gefahr, nur seine Stirn hob sich höher und seine Augen hefteten sich so eigenthümlich fest auf Lorenz, daß dieser in Verwirrung gerieth.

Ich bin nicht hart, antwortete er, ich will nur was Recht ist. Sie sind ein Fremder. Wie können Sie bürgen wollen? Wer bürgt für Sie?

Ich! sagte eine andere Stimme, und hinter der Thür hervor trat Rosa von Bruchen.

In dem langen Reitkleide, dem Hut auf ihren Locken und dem wehenden Schleier sah sie in der Abenddämmerung wie eine schöne, himmlische Erscheinung aus. Niemand hatte ihre Gegenwart bemerkt, das erhöhte den Eindruck ihres plötzlichen Hervortretens. Ich bürge für Herrn Steinau, wenn dies nöthig sein sollte, und bürge für diese arme Frau, der mein Großvater beistehen wird, um sie vor Verfolgung zu schützen.

Wenn das gnädige Fräulein dies sagt, so müssen wir es glauben! rief Lüders, und wenigstens vor der Hand werden die Stadtdiener damit zufrieden sein können, bis der Bürgermeister weiter entschieden hat.

Wenn der Herr Forstinspector es so meint, sagte der Stadtdiener, so könnten wir gehen.

Ich will's nicht hindern, erwiederte Lüders, und habe überhaupt nichts dabei zu sagen.

Die Buschmüllerin lachte auf, aber eben so schnell verstummte sie, und ihre beiden Kinder an der Hand stand sie vor dem Fräulein, faßte deren Gewand und preßte es in ihren Fingern zusammen, indem sie die junge Dame mit dankbaren Blicken betrachtete. Sie suchte nach Worten, die sie nicht finden konnte, und rang zugleich mit der Abneigung, welche sie gegen alle Bewohner des Forsthauses hegte, und mit dem neuen Gefühl, das über sie gekommen war. Nach einigen Augenblicken stieß sie die Worte hervor:

Sie müssen gut sein, schöne Dame! Nein, Sie können keine Gemeinschaft mit dem Bösen haben. Gottes Dank dafür! Gottes Dank für alles Gute!

Es löste sich nun Alles in schicklicher Weise. Der Müller hatte neuen Muth bekommen, er betheuerte herzlich gern die Muhme behalten zu wollen, so lange es anginge, oder bis sich Besseres für sie gefunden, und als er sah, daß der junge Herr aus der Stadt jedem der beiden Kinder einen großen Thaler in die Hand steckte und für Nöthiges zu sorgen befahl, erbot er sich zu allen möglichen Freundschaftsdiensten. Auch die beiden Stadtdiener wurden beschenkt, und Steinau beruhigte sie mit der Versicherung, daß der Gerichtsdirector sich der Sache der Wittwe jedenfalls sogleich annehmen werde. Sie entfernten sich erfreut und dankbar, und während sie an der Thür noch mit dem Müller flüsterten, hatte die Wittwe sich ihrem Beschützer genähert, vor dem sie ihre ganze Natur aufzugeben schien. Denn wie sie seine Hände faßte und zwischen ihren harten Händen hielt, füllten sich ihre Augen mit großen Thränen, und vor krampfhaften Schluchzen, das ihre Brust zusammenzog, vermochte sie nicht zu sprechen. Richard sagte ihr Trostworte und erneute seine Versprechungen, und als übte seine Stimme eine magische Gewalt auf sie, so verklärten sich ihre rohen Gesichtszüge, ein Strom warmer Liebe breitete sich darüber aus.

Mein Herr! mein lieber Herr! sagte sie, o! Sie thun mir wohl. Es ist nicht die Gabe; dem Bettler, dem der Pfennig hingeworfen wird, dem fällt er aufs Herz, wenn er eins hat, und was mir auch geschah, Herr, ich habe noch ein Herz, ja Herr, ich habe eines! – und ich kann nicht vergessen – ich muß immer wieder daran denken – an die Zeit, wo ich und Martin – Oh! oh! rief sie sich unterbrechend und ihre Augen hastig mit der Schürze wischend, hüten Sie sich vor dem da, und – und – ich hätte Ihnen wohl mehr zu sagen, Herr, was hier nicht geschehen kann.

So kommen Sie morgen früh zu mir, erwiederte Richard, wir wollen dann über alle Ihre Angelegenheiten sprechen.

Ich will kommen, antwortete die Buschmüllerin sich dicht an ihn stellend, Sie sollen hören, was ich weiß. Gute Nacht, Herr! Es wird rasch dunkel werden. Der Wind bringt das Wetter herauf. – Solche Nacht war's, ja solche Nacht wie diese, wo mein Martin von dem Schelm da todtgeschossen wurde. Hüten Sie sich, Herr, er hat Böses im Sinn. Geben Sie Acht auf ihn, was er thut. Er weiß nicht, was ich weiß; wüßte er's, er möchte mich erwürgen.

Sie lachte hohnvoll vor sich hin und flüsterte dann nochmals:

Morgen komme ich, Sie sollen es erfahren.

Richard entfernte sich. Der Forstinspector hatte das Fräulein längst hinaus geführt und ging mit ihr den beiden Pferden zu, die des Müllers Bube ein Streckchen davon an den Zügeln hielt und das Gras am Stege fressen ließ. Richard konnte sehen, wie der Mann, von dem er so viel Schlimmes und Verächtliches gehört, neben dem schönen Mädchen mit seiner gewöhnlichen Höflichkeit herging, mit Rosa sprach und ganz vergessen zu haben schien, was hier soeben zu seiner Beschämung vorgefallen war.

Er konnte auch sehen, daß das Fräulein, Stolz und Unwillen im Gesicht, einige Male sich wie im heftigen Zorne zu ihm wandte, und sie ballte dabei ihre kleinen Hände und drehte sich von ihm ab, als wollte sie ihn verlassen. Herr Lüders suchte in seiner unterwürfigen Weise sich zu vertheidigen oder zu entschuldigen, dann sah er sich um, und als er Richard kommen sah, lächelte er demüthig, zuckte die Achseln, zog den Hut und machte vor dem Fräulein eine Verbeugung. Was er dabei sprach, war so leise gesprochen, daß es nicht verstanden werden konnte; nur die letzten Worte hörte Steinau.

Jeder muß wissen was er thut, sagte Lüders. Ich weiß es; ich bin dazu gezwungen. Es läßt sich nichts daran ändern.

Das Fräulein blickte über das Wasser fort in die Weite. Es war, als hörte sie nicht was er sprach; plötzlich wandte sie sich um, sah Richard an und sagte zu diesem:

Wir wollen Beide für diese unglückliche Frau sorgen. Sie hat in ihrer Noth das Herz einer Hyäne bekommen; ich begreife es, wie das geschah.

Der Forstinspector ordnete die Zäume an Rosa's Pferde und hielt den Bügel. –

Vor der Hand, mein gnädiges Fräulein, sagte er, müssen Sie eilen, um nach Haus zu kommen, denn es giebt einen abkühlenden Regen. Alles Uebrige wird sich finden. Verzeihen Sie meine Unbescheidenheit, es ist jedoch ein aufrichtiger Rath.

Rosa stützte sich ohne Erwiederung auf Richard, der sie in den Sattel hob, dann das andere Pferd bestieg, und Beide entfernten sich, indem sie mit einem kalten Gruß die tiefe Verneigung des Forstinspectors erwiederten. Als sie jenseits der Brücke waren, sahen sie ihn mit verschränkten Armen stehen und herüber starren, ein Lachen in seinem Gesicht, das mit einem drohenden Blicke auf die Gruppe der armen Leute vor dem Schoppen endete, die nicht wagten näher zu kommen.

Nach einigen Minuten ging Herr Lüders zu dem Hause, band sein Pferd los und ritt davon, ohne sich weiter um die Nachgaffenden zu kümmern; aber er schlug einen Weg ein, der ihn bald mitten durch die Waldhügel der Stadt näher brachte. Der Regen fing an zu fallen und die Dämmerung dichter zu werden, ohne daß er es beachtete; je länger er ritt, um so mehr heiterte er sich auf, und als er endlich das Amtshaus vor sich sah, war er in seiner übermüthigen Stimmung, mit welcher er in den Hof sprengte und seine Verwandten begrüßte.

Lorenz, im vollen Regen! rief der Amtsrath, der ihm entgegen kam. Du siehst aber aus wie lauter Sonnenschein.

Sonnenschein ist jedenfalls dem Mondschein vorzuziehen, lachte der vergnügte Gast, indem er seine derbe Hand auf seines Vetters dünnes Haar legte.

Nicht immer, sagte dieser. Du wirst heut Abend zufrieden sein, wenn der Mond Dir ein wenig leuchtet.

Hoho! rief der Forstinspector; willst Du mir so scharf zusetzen, daß ich den Mond brauche, um meinen Weg zu finden?

Der Mond kommt erst um Mitternacht, meinte der Amtsrath, Zeit genug haben wir also.

Nichts da, sprach Lüders, ich muß heut noch eine Abrechnung halten. Kassenabschluß! Morgen fangen wir ein neues Leben an.

Und wie beschließen wir das alte? fragte die hübsche Cousine, welche nun auch hereintrat.

Mit Liebe und mit Punsch, lachte Lorenz. Schaffen Sie mir ein volles, heißes Glas, und ich bete Sie dafür an.

Sie sind ja heut besonders freigebig, erwiederte sie; es muß Ihnen etwas sehr Gutes und Liebes begegnet sein.

In Ihrer Nähe, sagte er, kann es nicht anders sein. Aber auf mein Wort! Sie haben es getroffen. Ich bin in der besten Laune von der Welt. Ich möchte die ganze Menschheit umarmen, und wenn Sie mir erlauben, den Anfang bei zu Ihnen machen, thue ich es auf der Stelle.

Die Frau Amtsräthin wehrte ihn ab, der Amtsrath schüttelte sich lachend. So ging es eine Weile fort, bis der Punsch kam, den der wackere Vetter mit besonderer Geschicklichkeit braute, und mit jedem neuen Glase wurde Lorenz übermüthiger und liebenswürdiger, die Unterhaltung angeregter und die Scherze drastischer. Er war in der glücklichen Laune, gar keinen Ernst aufkommen zu lassen, er bespöttelte und bewitzelte Alles und Alle in seiner derben Weise.

Aber was sitzt denn heute in Dir? rief der Amtsrath endlich. Es ist beinahe, als seien die alten Zeiten wiedergekommen, wo Du zu allen tollen Streichen aufgelegt warst, und vor den allertollsten keine Sorgen hattest.

Drauf und dran! schrie Lorenz sein Glas schwingend, und nicht gefragt, was man von uns sagt. Glücklich will ich sein, mag die Welt in Trümmern gehen!

Er sah mit solchen Flammenblicken die hübsche Cousine an, daß diese ihr Herz laut klopfen fühlte.

Ich glaube wirklich, sagte sie –

Was glauben Sie? fiel er ein.

Daß Sie schon glücklich und selig sind, lachte die Frau Amtsräthin.

Verliebt! Verliebt bis über die Ohren! rief der Amtsrath die Gläser füllend.

Oder beseligt von Freundschaft über die nahe Verlobung Fräulein Rosa's, fügte seine Gattin hinzu.

He, Lorenz! schrie der Amtsrath, die Sache ist also völlig richtig.

Richtig ist sie?! fragte der Forstinspector. Das ist ja herrlich!

Wir wissen Alles, was sie ausgeheckt haben. Der Brief an den König ist abgegangen, so wie die Antwort kommt, soll die Verlobung sein.

Prosit! Prosit! rief Lorenz, indem er sich in dem Lehnstuhl ausstreckte.

Glauben Sie noch nicht daran? neckte die Cousine.

Ob ich daran glaube?! Der Forstmeister hat es mir selbst haarklein mitgetheilt. Sie liebt ihn leidenschaftlich, kann nicht ohne ihn leben, und er klebt an ihren Rockfalten fest. Es ist ein Entzücken, ein Seufzen und ein Händedrücken, die Bäume neigen sich davor, die Thiere im Walde stehen still und die Fische im See stecken die Köpfe aus dem Wasser und sehen zu, um zu wissen, was lieben heißt.

Der Amtsrath und die Frau Amtsräthin schlugen ein helles Gelächter auf. –

Element! schrie Lorenz, und was werden für Anstalten getroffen, um eine Hochzeit zu halten, wie sie noch nicht dagewesen ist. Die Hochzeit von Canaan ist eine Lumperei dagegen. Die ganze Stadt will der Alte einladen, will dem Oberprediger seinen Orden umhängen, dem Bürgermeister mit dem Bande den Hals zuschnüren und dem Rector das Diplom zu gelehrten Studien vermachen. Der Gerichtsdirector will alle Herren unter den Tisch trinken, der Major hat geschworen, alle Damen todt zu tanzen und der glückselige Bräutigam bringt sie ins Leben zurück, indem er jeder einen ungeheuren Diamanten schenkt.

Und Sie, Vetter, was thun Sie?

Ich lache sie alle aus! rief Lorenz, indem er ihre Hand küßte, und ich denke, ich lache am besten.

Welch großmüthiger Mensch Sie sind! sagte die Amtsräthin.

Großmüthig über alle Maßen! antwortete er.

Sie müssen den Herrn Bergwerksdirector auf Höchste verehren.

Verehren? o, sicherlich! Es ist ein verdammt gescheidter Bursche. Er hört das Gras wachsen und ist so tugendhaft, daß ich ihm das ewige Leben wünsche.

Was hat er Ihnen gethan? fragte die Amtsräthin, als er höhnisch auflachte.

Gethan nichts, obwohl ich glaube, daß es an ihm nicht liegt, mir das Aergste zu thun, wenn er könnte.

Aber was ist denn geschehen? rief das Ehepaar neugierig.

Das nichtswürdige Weib, die Buschmüllerin, hat Schuld, sagte Lorenz, ohne aus seiner Lustigkeit zu kommen. Ich glaube, er hat sich in sie verliebt und will sie als Gesellschafterin für seine schöne Frau mitnehmen.

Er erzählte, was sich zugetragen, aber er that dies mit solchen Zusätzen und derben Spöttereien, daß die Zuhörer sich sehr daran erfreuten.

Ich gönne sie ihm von ganzem Herzen, schrie er endlich, und vermache sie ihm für alle Zeit. Sie soll sein Trost und seine Freude sein. Hoho! das ist ein prächtiger Einfall. Und jetzt noch ein Glas auf Ihr Wohl, meine liebenswürdige Cousine. Wir wollen anstoßen, daß alle unsere Wünsche in Erfüllung gehen.

Erst muß ich wissen, welches Ihre Wünsche sind, sagte die Dame.

Meine Wünsche? Erstens, daß dieser glückliche Bräutigam ein eben so glücklicher Gatte werde; zweitens, daß die Buschmüllerin ihn an ihr zärtliches Herz drückt, wenn er unglücklich werden will, und drittens, daß Sie mich in gutem Andenken behalten, bis wir uns wiedersehen.

Närrisches Zeug! rief sie lachend, aber das Letzte wenigstens können wir annehmen und darauf anstoßen.

Nun, so stoßen wir an. Beste Cousine, Sie sind ein Engel; ich möchte weinen, daß ich Sie verlassen muß.

Und ich möchte Sie nicht gehen lassen, sagte sie, bis Sie sich abgekühlt haben.

Der stattliche Mann strich sein lockiges Haar von der stolzen Stirn. Er sah so kräftig, so schön und so muthig aus, wie Apollo, als er mit seinen unwiderstehlichen Pfeilen den Drachen Python erlegt hatte.

Abgekühlt! rief er, wie soll das möglich sein, wenn ich hier bleibe? Ich will mich überhaupt nicht abkühlen. Was hätte die Jugend für sich, beste Cousine, wenn sie nicht das heiße Blut hätte?! Ich will mich nicht abkühlen, ein Schauder überläuft mich, wenn ich daran denke, kühl und kalt zu sein. Feuer in den Augen, Blut in den Adern, ein Herz voll Flammen, fester Wille, festes Fleisch und Mark in den Gebeinen, so gehört uns Alles, was wir haben wollen. Gute Nacht! gute Nacht! Habe ich Recht?

Wie er sie mit seinen leuchtenden, heißen Blicken ansah, glühte es auch in den ihren. Der wilde, kühne Jäger hatte sie plötzlich in seinen Armen, und ein Abschiedskuß war auf ihren Lippen, ohne daß sie es hinderte; eben so schnell aber fiel er dem Vetter um den Hals, stieß den dicken Herrn dann zurück und seinen Hut schwenkend sprang er nach der Thür.

Du Satanskind! schrie der Amtsrath. Haha! so habe ich lange nicht gelacht. He, Lorenz, noch ein Glas!

Hebe es auf, ich hole es mir und mehr, wenn ich wiederkomme, rief er zurück.

Gleich darauf sprühten die Funken unter den Hufschlägen seines Pferdes.

Der böse Feind sitzt in ihm und das ganze schwarze Heer! sagte der Amtsrath. Aber der bricht den Hals nicht, der ist von Eisen und Stahl. Man muß ihm gut sein, mag man wollen oder nicht.

Die Frau Amtsräthin antwortete nicht. Sie lehnte lächelnd in der Sophaecke und dachte über etwas nach.



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