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4.

Der junge Schatzgräber aus Mexico oder der Bergwerksdirector, wie ihn die Mißvergnügten in Königswalde nannten, war wirklich ein täglicher Gast im Forsthause geworden, wo es ihm eben so wohl zu gefallen schien, wie er Gefallen zu erwecken wußte. – Verständig und bescheiden wie er war, trotz seiner Jugend von vorherrschendem Ernste, dabei thätig und schicklich in allen Dingen, hatte er bald die ganze Gewogenheit des Forstmeisters erworben, dem Leute von diesem Schlage besonders zusagten. –

Richard Steinau war der Sohn seiner Thaten und Verdienste. Vor fünf Jahren hatte ihn der Director der Bergakademie einer englischen Gesellschaft empfohlen, die in der mexicanischen Provinz Sonora nach edlen Metallen suchen ließ, und Richard hatte die erhaltenen Aufträge in einer Weise ausgeführt, daß die große Zacatecas-Bergwerkscompagnie ihm bei seiner Rückkehr die glänzendsten Anerbietungen machte, welche er anzunehmen im Begriff war. Ehe er jedoch wahrscheinlich für immer oder doch auf sehr lange Zeit Europa verließ, wollte er seinen Oheim noch einmal sehen, deshalb war er von London herübergekommen. Einen Monat dachte er nun bei dem treuen Freund und Beschützer seiner Jugend zu verweilen und während dessen mit der Zacatecas-Compagnie alle Verhandlungen zu beendigen, so daß er, die Contracte unterzeichnend, dann sogleich noch nach Veta-grande abreisen konnte.

Der alte Soldat lebte im Umgange mit seinem Neffen wieder auf und täglich sahen die Königswalder ihn und den Gerichtsdirector in Begleitung des fremdländischen Schatzgräbers nach dem Forsthause ziehen, das in Folge der Zerwürfnisse und Klatschereien, welche der fürstliche Besuch mit sich brachte, jetzt von keiner anderen Familie des städtischen Patriziats mehr besucht wurde. Der Krieg war somit im vollen Gange und Major Essenbach ein viel zu standhafter Vertheidiger seiner Fahne, um den Gegnern auch nur die geringste Höflichkeit zu erzeigen. Er führte Richard weder zum Bürgermeister, noch zum Rector oder zum Amtsrath, denn er selbst ging grimmig steif bei Allen vorüber, und was der junge Mann von der Königswalder schönen und vornehmen Welt sah und hörte, schien ihm keine sonderliche Lust zur näheren Bekanntschaft zu machen.

Dagegen saß er gern im Forsthause im Kreise der würdigen Männer, erzählte ihnen von den Zuständen in der neuen Welt oder beantwortete ihre Fragen über Natur- und Menschenleben. Richard Steinau war allgemein gebildet genug, um für viele verschiedene Gebiete des Wissens Anschauungen und Urtheile zu haben, dabei besaß er gründliche Kenntnisse in seinem Fache, lebhafte Empfindungen und ein bewundrungswürdiges Gedächtnis. Seine Schilderungen der Wälder, der verschiedenen Bäume und Gewächse und der zahlreichen Thierarten und Jagden waren für den alten Forstmeister eben so interessant, wie für den Gerichtsdirector die Schilderungen der Gesetze, Gebräuche und geselligen Zustände.

Die langen Gespräche über diese verschiedenartigen Verhältnisse und Dinge waren oft so unterhaltend, daß selbst Fräulein Rosa zuhörte, obwohl sie, sobald es langweilig wurde, wie sie sagte, durch allerlei spöttelnde Querfragen und Einfälle den Ernst störte und die Sitzung beendete. Gewöhnlich forderte sie Richard dann auf, sie auf einen Spaziergang zu begleiten, oder sie setzte sich an ihr Instrument und spielte und sang; weil dies ein sicheres Mittel war, ihn bald als Zuhörer in der Nähe zu haben, oder sie kam mit einer englischen Ausgabe der Werke Shakespeare's und ersuchte ihn, mit ihr zu lesen und ihre Aussprache zu verbessern, was er sehr gern that, da er den großen englischen Dichter eifrig verehrte; oder endlich sie brachte ihre Pistolen in den Garten und forderte ihn in muthwilliger Weise zu einem Wettkampfe im Schießen heraus, bei dem er gewöhnlich unterlag und so schnell wie möglich eine andere Unterhaltung vorschlug, zum großen Ergötzen des Fräuleins, die von ihm behauptete, daß er das Knallen nicht vertragen könne.

Die alten Herren saßen inzwischen beisammen und freuten sich über die kleinen Streite und lebhaft vertheidigten Meinungsverschiedenheiten der beiden jungen Leute, welche bei alledem kein geringes gegenseitiges Wohlgefallen zu empfinden schienen und ihre Bekanntschaft befestigten. –

Sie passen gut zusammen, murmelte der alte Soldat dann dem Forstmeister zunickend, der eine dicke Wolke Tabacksdampf in die Luft wirbelte ohne ein Wort zu erwiedern.

Es sind entgegengesetzte Charaktere, antwortete der Gerichtsdirector an seiner Stelle; aber darin liegt vielleicht ein gewisses Gesetz zur Ausgleichung. Richard ist die Ruhe selbst.

Hoho! schrie der Invalide, eben darum muß er die Unruhe an seiner Seite haben. Wär's Röschen ein Mädchen von geduldigem Temperament, die den Mund nicht aufthäte, würde es eine langweilige Compagnie sein.

Nun, lächelte der Gerichtsdirector, indem er seine Dose umherbot, davor ist nichts zu besorgen.

Die sanften Weiber und die sanften Pferde sind mir immer unausstehlich gewesen, fiel der Major ein. Wenn man sie ansieht, müssen die Funken aus den Augen fliegen, wenn man sie anrührt, müssen sie in die Luft fahren, wenn man sie streichelt, müssen sie beißen und den Kopf in die Höhe werfen. Das ist die rechte Art!

Mit der man den Hals brechen kann, sagte der Gerichtsdirector in seiner trocknen Art.

Hoho! den Hals bricht Keiner, der seine Sache versteht, lachte der Major. Das wildeste Pferd und das wildeste Weib werden wie Lämmer so zahm, wenn die rechte Hand nur die Zügel faßt. Und der da, fuhr er fort, indem er auf seinen Neffen zeigte, welcher in der Ferne mit Rosa durch den Garten ging, so ruhig der scheint und so fein manierlich er aussieht, ist doch kein Mann, der sich fürchtet und sich unterducken läßt.

Wann will er denn fort? fragte der Forstmeister noch stärker rauchend.

Der alte Soldat rieb sich die Stirn, als wollte er die dicke Falte fortbringen, die sich dort zusammengezogen hatte. Ich mag gar nicht daran denken, brummte er. Es kommt mir fast vor, als könnte es nicht sein, oder als wär's mir lieber, wenn er mich gar nicht aufgesucht hätte.

Es entstand eine Pause, bis Herr von Bruchen ausrief:

Es ist wahr, Major, es ist ein prächtiger Mensch, Alles klar an ihm, gescheut und bestimmt. Es wird doch noch ein Mittel geben, ihn festzuhalten? In meinen Kopf will's auch nicht hinein, daß er wieder auf und davon gehen will.

Die drei Herren schwiegen, sahen gerade aus, rauchten und nickten vor sich hin.

Himmel Element! schrie endlich der alte Soldat, indem er auf den Tisch schlug, das Wort fällt wie eine Bombe auf mich. Er muß hier bleiben!

Wir müssen's bedenken, sagte der Forstmeister ihm die Hand drückend. Wo sind die beiden?

O, dort, sie gehen durchs Dorf oder nach dem See hinaus. Laßt sie, laßt sie! die Rosa ist voll Neckerei, aber er wird ihr schon die Stacheln beschneiden.

Mögen sie sehen, wie sie fertig werden. – Hierher mit dem Tisch, Christian, und bringe die Karten und Wein, alter Bursche.

Es gab noch manches kleine Stich- und Witzwort, ehe die drei Herren an dem Tische saßen, und während dessen ging Fräulein Rosa mit dem Bergwerksdirector durch das grünende Gehege und im Schatten der hohen Waldbäume, dem See zu, der sich jenseit an den Hügeln ausdehnte. Sie waren während dieses Spazierganges in einem der vielen Streite begriffen, welche sie täglich zu führen hatten und bei denen es nicht an Offenheit der Meinungen und an Anschuldigungen fehlte.

Wenn Sie das Knallen nicht so sehr fürchteten, Herr Richard, sagte das Fräulein, so hätten wir im Garten bleiben und schießen können.

Ich fürchte das Knallen nicht, erwiederte er, aber ich habe überhaupt keine große Freude an dem Durchlöchern eines Stückes Pappe oder eines Brettes.

Was würden Sie denn lieber durchbohren? fragte sie spottend. Etwa einen Hirsch? der hat Geweihe; einen Eber? der hat Hauer; oder gar einen Menschen? der kann wieder schießen.

Mein friedlicher Beruf ist, die Eingeweide der Erde zu durchbohren, antwortete er lächelnd, indeß hat die Nothwendigkeit mehr wie einmal schon mir die scharfgeladene Büchse gegen wilde Thiere und wilde Menschen in die Hand gedrückt.

Wenn Sie so tapfer sind, Herr Richard, sagte sie ihn schelmisch betrachtend, so haben Sie gewiß auch schon der gleichen schreckliche Geschöpfe erlegt.

Mein Geschick hat mich bis jetzt glücklicher Weise davor bewahrt, war seine Antwort, eines meiner Mitgeschöpfe zu tödten; sicher aber würde ich nicht anstehen den wilden Comanchindianer, der auf mich ansprengte, niederzustrecken, wenn ich es könnte, ehe er seine Kugeln mit der schrecklichen Schlinge um meinen Kopf werfen könnte.

Man muß seinen Kopf immer fein aus der Schlinge zu ziehen wissen, erwiederte sie, aber so ruhig und gelassen, wie ich Sie sehe und kenne, kann ich mir kaum einbilden, daß Sie im Stande wären, so unchristlich gegen eines der stolzen wilden Kinder der Wüste zu handeln.

Sie meinen also, daß ich still halten müßte, wenn der Lasso fliegt? fragte Richard.

Sie haben mir neulich auseinandergesetzt, antwortete Rosa, daß wir in dem absterbenden Europa der Barbarei geradeaus in die Hände laufen, während in Amerika sich ein neues Leben, eine höhere Cultur entwickelt.

Und diese höhere Cultur, meinen Sie, sagte er, sei von der Art, daß sie sanftmüthig die Mütze über die Ohren zieht, und dem Himmel alle Rache und alle Hülfe befiehlt? Nein, mein liebes Fräulein, in dieser neuen Cultur der neuen Welt ist das erste Grundgesetz: Hilf dir selbst! das heißt vertraue deiner Kraft und deinem Muthe. – Man hat dort jenseits des Wassers keine hohen romantischen Ideen, fuhr er fort, indem er seine Augen auf Rosa heftete, aber man weiß was man will und muß, und schreckt nicht zurück, wenn es gilt einen Gegner oder Feind unschädlich zu machen.

Mein Herr Richard, erwiederte das Fräulein, ich fange an mich vor Ihnen zu fürchten. Dem Himmel sei Dank! daß ich nicht daran glauben kann, jemals Ihr Gegner oder Feind zu werden, und Ehrenhändel mit Ihnen zu bekommen.

Ehrenhandel? fragte er lachend und den Kopf schüttelnd. Glauben Sie, daß ich so närrisch sein könnte, oder so romantisch sein könnte, mich auf einen sogenannten Zweikampf einzulassen?

Nicht? rief Rosa stolz aufblickend. Und wenn Ihre Ehre beleidigt würde?

Meine Ehre wird nicht dadurch wieder hergestellt, antwortete er, daß ich Blut vergieße, oder mein Blut vergießen lasse.

Sie würden an keinem frechen Beleidiger Rache nehmen?

Ich würde ihn den Gesetzen und der Gerechtigkeit überliefern.

Den Gesetzen! – Sind die Gesetze im Stande immer Gerechtigkeit zu üben? Giebt es nicht viele Fälle, wo sie Spinnengewebe sind? Wo sie nicht helfen, nicht schützen können?

In solchen Fällen würde ein Amerikaner seine Büchse vom Nagel nehmen und den nichtswürdigen Angreifer wie einen Hund todtschießen.

O! das ist Mord! das ist Verbrechen! rief das Fräulein mit Abscheu.

Ueber die zarte, europäische Romantik! erwiederte Richard. Sie morden sich um irgend ein Geschwätz, oder eine Albernheit, und nennen es Ehrensache, preisen es und sind stolz darauf; wenn aber ein Scheusal in mein Haus bricht, wenn es eine Schandthat begehen, mich unermeßlich elend und unglücklich machen will, und ich vernichte solchen Schurken, so bin ich ein Mörder, werde eingesperrt und für immer ehrlos gemacht, wenn es mir wirklich gelingt dem Blutgerüste zu entgehen.

Und was folgt daraus? fragte Rosa.

Es folgt daraus, antwortete Richard, daß jenseits des großen Wassers sehr wenig Romantik, aber sehr viel nüchterner Verstand anzutreffen ist; man dort für einen Mord gelobt und gerechtfertigt werden kann, wie hier für einen Zweikampf, und daß eben dies ein sehr charakteristischer Unterschied zwischen den beiden Welttheilen ist.

Ein Unterschied, bei dem man schaudern muß! rief Rosa von Bruchen.

Schaudern? Weshalb?

Ueber die entsetzliche Roheit und Verwilderung der Gemüther.

Richard lächelte, und ohne den sanften Ausdruck seines Gesichts zu verändern, wurden seine Augen größer und strahlender. –

Sonderbar, sagte er, eben die zunehmende Verwilderung der Gemüther und die damit verbundene Entsittlichung hat mich nach Amerika getrieben, und ich habe gefunden, daß die Menschen dort bei weitem menschlicher und besser sind.

Das sagen Sie im Ernst? fragte Rosa.

Weil sie natürlicher sind, weil sie ihre Laster nicht schminken, und weil ihre Tugenden einfache Empfindungen des Herzens, oder eben so einfache Sitten ausdrücken, fuhr er fort. Gewiß, ich sage es im vollen Ernst, und Sie werden es nicht läugnen können. Hier heuchelt Jeder, und jeder hat auch nöthig sein bestes Kleid anzuziehen. Jeder möchte glänzen, sich irgend einen erborgten Schimmer anheften, damit auf seiner Mitmenschen Nacken steigen, und sie reiten, auspressen, zu Knechten machen und erniedrigen, wie es immer geht.

O! sagte das Fräulein, Sie sind einer von denen, die Alles gleich machen wollen. Ihr armer Onkel hat mir schon sein Leid über die schrecklichen Grundsätze geklagt, welche Sie mitgebracht haben.

Er irrt, erwiederte Richard, ich habe nichts mitgebracht; was ich an Grundsätzen habe, hat mir meine Mutter hinterlassen. Das war eine Frau, Fräulein Rosa, wie es wenige giebt. Weit ab von aller Schwärmerei, klar und fest in Allem, was sie wollte. Auf ihrem Todtenbette sagte sie mir: Mein Kind, sieh dich vor in der Welt; thue deine Augen auf, arbeite, lerne, sei gut und gerecht, so viel du es vermagst, und laß dich nicht vom falschen Schein blenden. Laß dich nicht betrügen, Richard, aber vor allen Dingen betrüge dich selbst nicht. – Diese Ermahnungen habe ich nie vergessen, und mich deswegen immer bemüht mich von aller Phantasterei und Selbsttäuschung fern zu halten.

Und das ist Ihnen vortrefflich gelungen, wie ich denke, sagte sie in ihrer übermüthigen Weise. – Aber ach! mein bester Herr Richard, wie ist es mir dagegen ergangen! Unser Schicksal hat in sofern Aehnlichkeit, daß auch ich meine Eltern früh verlor. Ich kannte sie kaum, und hatte keine Mutter, die mir so weise Lehren vermachte. Ich studirte daher am allerwenigsten mich selbst, bildete mir jeden Tag etwas Anderes ein, und ich glaube sogar, daß ich noch jetzt ohne Mondschein am hellen, lichten Tage häufig schwärme und Träume habe.

Dann hüten Sie sich um so mehr vor dem Erwachen, Fräulein Rosa, erwiederte Richard mit seiner freundlichen Ruhe, die den Spott gar nicht zu bemerken schien.

Gewiß, erwiederte sie belustigt, es muß sehr nüchtern dabei hergehen. Aber im Ernst, Herr Richard, ist die romantische Begeisterung denn nicht das Erbtheil der Jugend, und wollen Sie nicht zugeben, daß das Edle, das Ritterliche und Erhabene, das Poetische und Schöne immer mit einer gewissen Schwärmerei verbunden ist, und eigentlich aus dieser entspringt? Ich kann mir einen edlen stolzen Mann gar nicht anders denken, als angeregt von ritterlichen Empfindungen, und wie will man irgend eine kühne That thun, wenn man nicht begeisterungsfähig ist, wenn man zunächst Alles wohl überlegt, und – das Knallen nicht vertragen kann?!

Sie waren während dieser ganzen Zeit über den grünen, schönen Wiesenplan fortgegangen, dem zur Seite die zerstreuten Häuser der nahen Gemeinde lagen. Ein Weg, der aus dem Walde kam, durchschnitt diese Gelände, und jenseit lag in einiger Entfernung der Hügelkranz, welcher den See einfaßte, der das Ziel ihrer Wanderung war. –

Niemand hatte auch bis jetzt sich auf ihrem Pfade blicken lassen und ihre Neckereien gestört; bei Rosas letzten Worten aber wurde ihr frohes Lachen von dem Schnauben und dem Galopp eines Pferdes unterbrochen, das sie nicht sehen konnten, weil dichtes Ellerngebüsch die Straße einfaßte. Nach einigen Augenblicken jedoch sprengte der Forstinspector auf seinem schaumbedeckten Gaule vorüber. Sein Hut war eingedrückt, sein Rock zerrissen, sein Gesicht blutig und voll roher Leidenschaft. Er stieß seine langen Sporen in die Seiten des keuchenden Thieres und schlug es mit der Peitsche, wohin er traf, während er in der Staubwolke verschwand, die er aufwirbelte.

Die beiden Zuschauer standen einige Minuten lang in ihrem Versteck still, ehe sie heraustraten und dem tollkühnen Reiter nachschauten.

Er wohnt hier in der Nähe? fragte Richard.

In einem der Häuser dort unten, erwiederte sie.

Da haben Sie einen ritterlichen Herrn, der nichts fürchtet und nichts scheut! sagte Richard, und zum ersten Male bemerkte das Fräulein einen Ausdruck von Verachtung in seinem Gesicht.

Sie antwortete nicht darauf, sondern eilte voran, die Höhe aufwärts, zu welcher er ihr folgte. Als er oben stand, saß sie schon auf der Bank unter der großen Buche und blickte auf den See hinunter und in das rothe Sonnenlicht, das westwärts durch die hohen Baumwipfel brach. Die schöne, stille Wasserfläche wand sich mit Buchten und bogenförmigen Armen in dem Schoß dieser Waldhügel. Es war so grün, so heimlich und geheimnißvoll in diesem abendlichen Gemisch von feurigem Licht und aufsteigenden Schatten, kein Ton unterbrach die Ruhe, kein Windzug regte einen der alten Wipfel.

Eine Zeit lang saßen sie schweigend beisammen, die Neckereien waren verstummt, andere, ernstere Gedanken schienen Rosas Kopf zu füllen. Ihre Augen hingen an den schönen, brennenden Wolken, sie sah still und starr hinein, ihr Gesicht erhielt von dem rothen Abglanz etwas Finsteres und Trauriges.

O! sagte Richard endlich, die Welt ist überall schön, und überall kann man glücklich sein. Wenn ich in diese Abendglut blicke, überfällt mich die Sehnsucht nach dem hohen herrlichen Thale von Veta-grande, nach den Schneebergen von Sombrerete, nach den wunderbaren Gebirgswäldern am Andrea und nach den tiefen, seltsamen Seen, welche die versunkenen Krater großer ausgebrannter Vulcane füllen.

Dahin sehnen Sie sich, fort von hier? fragte Rosa ohne ihre Augen vom Himmel zu wenden.

Ich sehne mich zugleich zur Arbeit und zur Thätigkeit, erwiederte er. Ich bin jetzt dreißig Jahre alt geworden, es ist somit Zeit, daß ich an mich und mein Haus denke.

Muß ihr Haus denn in der Wildniß stehen? fragte sie.

Es muß da stehen, wo ich mich wohl und glücklich fühle, theures Fräulein. Wenn Sie es sähen, wie es an einem Bache steht, der aus den Bergen hervorschäumt, wie zierlich und lustig es mit seinen weißen Wänden und seinen Rohrjalousieen durch die breiten Blätter der Feigen, der Tamarinden, der Jasminbüsche und der Granaten leuchtet, und wie die großen, südlichen Sterne darauf niederfunkeln, wie tausend Blumen, wunderbare Blumen, ihre Kelche öffnen, wenn die Sonne über die Erliantekette steigt; es würde Ihnen gefallen, Sie würden nicht glauben, daß dies eine Wildniß ist.

Schade, daß ich diese Wildniß nie sehen werde! sagte sie mit den Lippen zuckend.

Richard antwortete nicht darauf.

Aber, fuhr sie mit wiedererwachendem Uebermuthe fort, ist der Enthusiasmus, mit dem Sie davon sprechen, nicht auch eine Schwärmerei? Stecken Sie nicht mitten in einer romantischen Aufregung, bester Herr Richard, die so weit geht, daß Sie diese armselige, norddeutsche Waldlandschaft mit den erhabenen Gebirgseinsamkeiten Ihres vielgepriesenen Zacatecas vergleichen?

O! antwortete er sanft lächelnd, indem er sie anblickte und seine Hand auf die ihre legte, warum sollte ich nicht auch meine Träume von Glück und Zukunft haben?

Und was sagten Sie, fuhr sie fort, ohne ihm ihre Hand zu entziehen – man kann glücklich sein überall! Gebraucht Menschenglück denn eine erhabene Natur?

Nein, erwiederte er, die Scholle thut es nicht; allein jedes Glück bedarf einer Stätte, auf der es gedeihen kann. Mein Glück kann nur da gedeihen, wo ich mich nicht gedemüthigt fühle, wo Sitten und Menschen zu dem passen, was ich für recht und gut halte.

Und dies Alles finden Sie nicht bei uns? fragte Rosa.

Statt zu antworten sprang er auf, und ohne sich einen Augenblick zu besinnen, lief er in größter Eile den Hügel hinab und dem See zu. Zu gleicher Zeit hörte Rosa das durchbringende Geschrei eines Kindes und auf dem Wasser an dem Rohre erblickte sie einen Gegenstand, der dort auftauchte, heftig um sich schlug und wieder verschwand. Das Kind, welches das Geschrei erhoben hatte, war ein kleines Mädchen, das mit ausgestreckten Armen an dem hohen, steilen Ufer hin und her lief, ohne, wie es schien, den Muth zu haben etwas anderes zu thun. Es wandte sich vielmehr um und lief mit erneutem Jammern in das Gebüsch, eben als Richard den Platz erreichte, seinen Rock abwarf und von oben herunter in den tiefen See sprang, dessen Wellen über ihm zusammenschlugen.

Bei diesem Anblick stieß Rosa selbst einen Angstruf aus, allein sie gehörte nicht zu den Frauen, die von einem unerwarteten Ereigniß besinnungslos gemacht werden. So schnell sie es vermochte, lief sie, um den Schauplatz dieser Vorgänge zu erreichen, und athemlos langte sie dort an, als Richard, den leblosen Körper eines Knaben in seinem Arm, aus dem See auftauchte und ans Ufer schwamm.

Ein warmes, edles Gefühl sowohl für den Retter wie für den kleinen Geretteten erfüllte das junge Mädchen. Es war augenscheinlich ein armes Kind, ohne Schuhe, in zerlumpten Kleidern. In seiner einen zusammengepreßten Hand hielt der Knabe noch die Halme und Blumen, welche er pflücken wollte, als er das Gleichgewicht verlor und ins tiefe Wasser stürzte. Bleich und völlig leblos lag er nun auf dem Grase vor dem hülfreichen Richard, der sich um ihn bemühte, ihm die Handflächen, Brust und Arme rieb, Rosa ermunterte ihm beizustehen und gar nicht zu beachten schien, wie sehr er selbst durchnäßt war und wie der Nachtwind kühl über den See zu wehen begann.

Geschwind! geschwind! rief er dem Fräulein zu, nehmen Sie Ihr Taschentuch, reiben Sie ihm die Füße so stark Sie können. Er ist nur betäubt, ich fühle sein Herz schlagen, in wenigen Minuten wird er sich erholen.

Sie that, was er ihr geheißen, und während sie Beide eifrig arbeiteten, kam das kleine Mädchen zurück, von einer Frau begleitet, die einen Tragkorb auf dem Rücken hatte. Es war dasselbe große, starkknochige Weib, mit welchem der Forstinspector zusammen getroffen war, und das er mit seiner Peitsche schlug. Die blutunterlaufene Geschwulst lag dick auf ihrer Stirn und machte ihren Anblick noch widerwärtiger. Sie führte das Kind, das sie herbeigerufen, an der Hand und trat ohne eine Wort zu sagen dicht heran, während das kleine Mädchen jammernd schrie:

Da liegt er Mutter, da liegt unser Fritz! – Er ist todt! – O weh! o weh! er ist todt!

Er ist nicht todt, sagte Richard. Sieh her, er schlägt die Augen auf.

Wirklich, er lebt! rief Rosa mit holder Freude. Armes Kind! ach! armes Kind! Seid Ihr seine Mutter?

Diese letzten Worte richtete sie an die Frau, die noch immer, wie es schien theilnahmlos, daneben stand und den reglosen Körper starr betrachtete. Plötzlich, ohne Antwort zu geben, faßte sie nach den Beinen des Knaben und suchte ihn aufzuheben. –

Das Wasser muß aus ihm heraus, murmelte sie. Der Junge ist mein. Thut die Hand fort, Ihr versteht das nicht.

Unverständige Frau! sagte Rosa lebhaft. Rührt ihn nicht an! Wer seid ihr?

Das große Weib hob ihr hartes Gesicht auf, über welches das gelbe, zottige Haar gefallen war, und sah das vornehme Fräulein grimmig an. Sie ließ den Weidenkorb von ihrem Rücken fallen, daß die armseligen Besen, die sie gebunden, daraus hervorkollerten.

Was geht es Euch an, wer ich bin? antwortete sie rauh und trotzig. Gebt mir mein Kind, damit ist's genug.

Da habt Ihr es, sagte Richard. Jetzt athmet der kleine Bursche wieder. Und indem er die abschreckende Frau mit Theilnahme betrachtete, fügte er hinzu: Es ist ein hübscher Junge, er hat ein kluges Gesicht und eine kräftige Brust; er wird sich schnell erholen.

Die Bäuerin kniete nieder und indem sie den Kopf des Kindes in ihren Arm legte, deckte ihr wirres Haar sein Gesicht zu. Einige Augenblicke blieb sie in dieser Stellung, den Knaben fest an sich gedrückt, bis dieser seine Hände um ihren Hals schlang und mit halb erstickter Stimme: Mutter! Mutter! sagte.

Jetzt rasch! rief Richard, nehmt ihn auf und tragt ihn nach Haus, er friert vor Nässe; habt Ihr kein warmes, trocknes Stück, um ihn einzuhüllen?

Er ist an Frost und Hunger gewöhnt, antwortete sie, indem sie das Kind aufhob und in den Tragkorb legte.

Nehmt meinen Rock hier, sagte Richard den Knaben bedeckend, er ist trocken, bringt ihn mir morgen in die Stadt, fragt nach dem Major Essenbach. Dann wollen wir weiter reden, ich will hören, wie es meinem kleinen Freund geht. Jetzt macht fort, faßt an! nehmt den Korb auf den Rücken und eilt, was Ihr könnt.

Er begleitete seine Worte mit den entsprechenden Hülfsleistungen und das störrige Weib fügte sich ihm willig. Sie sagte ihm keinen Dank, aber in ihrem Gesicht war etwas, was danach aussah, als empfände sie, was er gethan.

Rosa zog ihr kleines, farbiges Geldnetz aus der Lasche und steckte es in die grobe Faust der Bäuerin, allein mit einer widerwilligen Bewegung ließ diese es fallen und trug ihre Last fort.

Das ist eine Wolfsnatur, sagte Richard Steinau die Börse aufhebend, aber es ist Kraft darin, ich muß mehr von ihr wissen. Was sie undankbar verschmäht, bestes Fräulein, das beanspruche ich für mich. Lassen Sie mir diese Börse als Andenken an diese Stunde.

Wo Sie wie ein tapferer Mann handelten, erwiederte Rosa, wenn Sie auch das Knallen nicht vertragen können.

Sie lachten Beide, dann aber rief Rosa Bruchen besorgt:

Was fangen wir nun an? Romantisch unbesonnen sind Sie doch, Herr Richard! Wahrlich, ich wüßte nicht, wie man es mehr sein könnte, sonst hätten Sie Ihren Rock nicht dem Betteljungen umgehängt auf Nimmerwiedersehen.

Oh! antwortete er, seien Sie überzeugt, mein Rock ist unverloren und schaden wird es mir nicht. Ich bin oft tagelang vom Regen durchgeweicht worden. Lassen Sie uns gehen.

Erst muß ich Sie schützen! rief Rosa und rasch warf sie ihren großen theueren Seidenshawl, das kostbare Geburtstagsgeschenk ihres Großvaters, über seine Schultern und wickelte ihn fest darin ein.

Der Tuch wird vollständig verderben, sagte er, ohne sie zu hindern.

Besser er verdirbt, als Sie verderben, antwortete sie. Jetzt lassen Sie uns laufen.

Richard gab ihr die Hand und drückte diese zunächst an seine Lippen.

Wie mich das freut, sagte er, daß Sie den schönen Tuch um mich opfern. Ich gelobe Ihnen, theuerste Rosa, daß ich das nie vergessen werde. Wir wollen einen Bund machen, uns gegenseitig zu schützen und vor Verderben zu sichern.

Ich nehme den Bund an, antwortete sie, doch in seinem Namen Befehle ich Ihnen zu eilen, mir zu gehorchen. Lachend trieb sie ihn an, und in seiner weißen Decke sprang er mit ihr durch Busch und Feld, bis sie das Forsthaus erreichten.



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