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10.

Der Gerichtsdirector ging am Abend in seinem Arbeitszimmer auf und ab. Wie er gewöhnlich that, wenn er überlegte, hielt er die Hände auf dem Rücken und senkte den Kopf, indem er mit sich selbst sprach, ohne daß Worte laut wurden. Die dürrknochige Gestalt des alten Mannes beugte sich nach vorn, sein weißes Haar fiel auf das ernste, faltige, strenge Gesicht, aber seine Augen waren mild und kummervoll und seine Unruhe drückte sich zuweilen durch raschere Schritte, durch plötzliches Stillstehen und durch ein heftiges Aufschnellen des ganzen Körpers aus.

Er hatte die genauesten Nachforschungen angestellt und nichts herausgebracht; eben hatte er die verhaftete Buschmüllerin nochmals verhört und nun den Bericht an das Obergericht aufgesetzt, in welchem er alle Gründe angab, nach welchen die Greif die That nicht begangen haben konnte, der Verbrecher somit bis jetzt nicht entdeckt sei. Dagegen hatte er die Mitwissenschaft dieser Frau als höchst wahrscheinlich dargestellt, alle Anzeigen hervorgehoben, welche dies glaublich machten, auch die Resultate der Untersuchung beigefügt, welche Doctor und Apotheker mit dem Rocke der Greif vorgenommen, aus welchen sich mit Gewißheit ergab, daß die Flecke darin frische Blutflecke seien.

Trotz dessen machten sich jedoch auch hierbei viele Zweifel und Bedenken geltend. Der Gerichtsdirector hatte sich weitläuftig über den Ermordeten ausgelassen, über die Kassenberaubung, über seinen leichtsinnigen, gewaltthätigen Charakter und damit verschiedene Hypothesen über einen Mitschuldigen verknüpft, der um das Vorhaben des Forstinspectors gewußt und seine Mitwissenschaft zu dessen Verderben benutzt hatte. Allein auch hierbei gerieth er bald wieder in die schwersten Bedenken, denn ein Mitschuldiger, Mitwissender, würde sich der bedeutenden Geldsummen bemächtigt haben.

Wer konnte Rache an Lüders nehmen wollen, und dabei wissen, daß er um Mitternacht durch den Wald fahre? Wer hatte ihm dort bewaffnet aufgelauert, wer mit ihm in dichter Nähe sich unterredet, wie dies geschehen sein mußte, um ihn mit einem sicher gezielten Schusse zu tödten?! Das Pferd mußte lange Zeit auf dem Platze der That gestanden haben, es war kurz mit den Zügeln an dem Wagen befestigt. Hatte Lorenz dies gethan, hatte er seinen Genossen im Walde erwartet, oder war es der Mörder gewesen, der sich sichern wollte, daß das Thier nicht allzufrüh den Weg nach Haus nähme? –

Warum ließ der Mörder überhaupt den Todten liegen, wo dieser lag? Warum kümmerte er sich nicht weiter um ihn? Der Rock des Forstinspectors war fest zugeknöpft, nichts an seinen Kleidern in Unordnung, dem Anschein nach hatte ihn keine Hand berührt. Sogar seine goldene Uhr wurde unversehrt gefunden und war noch im Gange, als ihr Besitzer kalt und todt aus dem Wagen gehoben ward. Die kurze Goldkette mit dem Schlüssel hing weit aus der Lasche, mit einem Griff hätte der Mörder sie haben können, allein sein Werk war gethan, als er die mörderische Waffe abgedrückt hatte. Er entfloh wahrscheinlich sogleich und das Gefährt stand mit der Leiche, bis das Roß endlich die Zügel zerriß und im Walde umherirrend zuletzt vor dem Forsthause anlangte.

Wohin ich denke, murmelte der Gerichtsdirector, seine Stirn reibend, überall finde ich dieselben Unwahrscheinlichkeiten; was mir einfällt, ist nichts als wüstes, erschreckendes Vermuthen ohne Sinn und ohne Zusammenhang. – Wie traurig ist es doch, ein Richter zu sein, der die Wahrheit erforschen soll und nach allen Seiten hin seine lauernden Ohren richtet. Immer bereit sich diese Wahrheit zusammenzusetzen, immer bereit, Verdacht zu wittern und zu verfolgen, bereit zum Zufassen, bereit, um durch Pein und Noth aller Art ein Geständniß auszupressen – ein Geständniß, vielleicht aus einem Unschuldigen, der die Marter des langen, einsamen Gefängnisses, die Marter der endlosen Verhöre, der verwirrenden Fragen nicht aushalten kann. – Möge Gott mir ein Zeichen senden, damit der Schuldlose nicht leide, denn diese Frau ist unschuldig, und dennoch kann ich sie nicht retten und befreien.

Bei seinen letzten Worten hörte er ein leises Klopfen an der Thür und als er stehen blieb und aufblickte, sah er eine dunkle Gestalt, welche zu ihm eintrat. Es war eine Dame in einen Mantel gehüllt, der Hut mit dem Schleier verbarg ihr Gesicht. Der Gerichtsdirector konnte dies um so weniger erkennen, da der dichte Schirm seiner Lampe, welche auf dem Arbeitstische stand, das ganze Zimmer in Dämmerung hüllte.

Ich muß mit Ihnen sprechen, flüsterte die Dame, als der Richter überrascht vor ihr stand.

Wer sind Sie? fragte er.

Sie schlug den Schleier zurück.

Frau Amtsräthin! sagte er erstaunt.

Ich muß mit Ihnen sprechen, weil mich mein Gewissen dazu drängt, wiederholte sie mit leiser Stimme.

Setzen Sie sich und eröffnen Sie mir, was ich von Ihnen erfahren soll, sagte Zeltwach, und als sie schwieg, fügte er aufmunternd hinzu: Sie kommen, wie ich annehme, in der traurigen Angelegenheit zu mir, die einem Verwandten, dem Sie wohlwollten, das Leben geraubt hat.

Sie haben Recht, murmelte sie hastig, Sie haben Recht! aber wenn ich es thue – werden Sie es verschweigen, mich, meine Ehre, nicht preisgeben?

So weit ich irgend als Richter schweigen darf, soll es gewiß geschehen, antwortete er erwartungsvoll.

Sie besann sich einige Augenblicke, krampfte die Hände zusammen und drückte sie vor ihre Brust. Ich muß, ja ich muß! sagte sie mit fliegendem Athem, ich muß sprechen, geschehe, was da wolle. Sie wissen, daß Lüders früher häufig in unser Haus kam und ich – ich bin jung – ich sah ihn gern – ich habe keine Heirath aus Neigung geschlossen.

Schweigen wir davon, unterbrach sie der Gerichtsdirector, wenn es nicht durchaus nöthig ist, so zarte Familienverhältnisse zu berühren.

Es kam endlich zu einer Trennung zwischen uns, fuhr sie fort, als draußen im Forsthause das Fräulein zurückkehrte. Lorenz kam selten, ich machte ihm Vorwürfe, er erwiederte sie, und längere Zeit mied er uns gänzlich. Ich wußte, daß er sich um die Gunst des Fräuleins bewarb, und wie es schien, erwiederte dies seine Bemühungen.

Daran irren Sie, fiel der Gerichtsdirector ein.

Man sagte es so und ich dachte es, es dachten es auch wohl Andere. So viel ist gewiß, daß Lüders selbst es sich einbildete, bis des Majors Neffe hier ankam, auf den er einen heftigen Haß warf.

Woher wissen Sie das? fragte Zeltwach.

Von ihm selbst, sagte sie, und dieser Haß war ein gegenseitiger. Von dem Tage an, wo dieser Fremde bei dem Forstmeister erschien, kam Lüders wieder zu uns und immer sprach er so von dem Herrn Steinau, daß man es merken konnte, wie ergrimmt er war. – Gestern aber –

Nun gestern?! fragte der Richter erwartungsvoll.

Ich muß Ihnen sagen, erwiederte sie stockend und die Augen niederschlagend, daß Lorenz sich mir wieder näherte, daß er meine Neckereien über das Fräulein und ihren jungen Anbeter mit Spott über Beide vergalt, dagegen durch seine Aeußerungen mir merken ließ – ich sei ihm noch immer lieb und werth. Gestern nun kam er von der Buschmühle in größter Aufregung zu uns. Er hatte dort einen Auftritt mit dem Herrn Steinau gehabt, den er uns erzählte und in die zornigste Erbitterung gerieth. Er redete mit Hohn und Schimpf von dem Narren, der an ihn denken solle; dabei aber flüsterte er mir verwegene Worte zu, küßte meine Hände und zog endlich aus der Tasche seiner Weste ein Briefchen, das er mir zusteckte.

Was stand darin? fragte Zeltwach.

Daß er nicht ohne mich leben könne, daß er mich besitzen müsse, daß ich ihm folgen müsse, Alles sei bereit, und Daß mein Widerstreben mir nichts helfen solle. Verwirrte Ausrufungen über seine Leiden folgten darauf, endlich ein fürchterlicher Schwur, daß er heut noch mich sehen wolle.

Wo haben Sie den Brief? fragte der Richter.

Ich habe ihn zerrissen und verbrannt.

Und was dachten Sie? Was thaten Sie?

Lorenz hatte viel getrunken, er war, ich glaube, seiner Sinne nicht recht mächtig. Ich hielt es Anfangs für eine wahnsinnige Eingebung seiner Leidenschaft, dann aber überlegte ich, daß dieser Brief für eine Andere bestimmt sein könnte, und dieser Gedanke brachte mein Blut in solchen Aufruhr, daß ich –

Daß Sie ihn aufsuchten.

Ich wollte es thun, sagte sie; ich wollte mit ihm sprechen, wollte mich überzeugen. Auch mein Mann hatte viel getrunken, er schlief früh ein, und ich stand auf, nahm meinen Mantel und schlich mich fort. Niemand bemerkte mich. Ich war in einem Zustande der heftigsten Aufregung; ich mußte wissen, was er that, wo er war, was er begann. In Sturm und Wetter ging ich nach dem Forsthause, um mich zu überzeugen, ob er noch dort sei, als nicht weit davon zwei Menschen mir entgegen kamen, die eifrig zusammen sprachen, stillstanden und sich endlich mir näherten. Ich hatte hinter einem der dicken Bäume mich verborgen und kauerte mich dicht am Boden zusammen.

Kannten Sie diese Personen?

Ich kannte sie Beide. Wer sie waren, ging aus ihrem Gespräch hervor.

Wer waren sie?

Die eine war Herr Steinau, die andere die Buschmüllerin.

Fahren Sie fort! murmelte der Gerichtsdirector.

Als sie Beide an dem Baum standen, hinter welchem ich hockte, hörte ich den Herrn Steinau laut sagen:

Der Elende! so ist es wahr. Mit seinem Leben soll er es bezahlen, wenn er es wagt.

Ruhig, Herr, antwortete seine Begleiterin, ich bin ihm auf den Hacken. Ist er noch im Hause dort?

Nein, sagte er, er ist fortgegangen.

So will ich sehen was er treibt, und wenns nichts Gutes ist, sollen Sie Nachricht haben, erwiederte sie.

Thut es, Frau Greif, ich will dankbar sein, hörte ich ihn antworten. Es ist ein Schelm der infamsten Art, dem ich das Aergste zutraue.

Eine kurze Strecke gingen sie beisammen weiter, dann trennten sie sich und das Weib kehrte zurück. Ich hörte sie laut lachen, und der Sturm trieb sie bei mir vorüber. Sie sah wie ein schwarzes Gespenst aus; Entsetzen ergriff mich bei dem Gedanken, mit ihr zusammen zu treffen. Ich mochte daher nicht weiter gehen. Am ganzen Leibe bebend, naß und erkältet, kehrte ich um, erreichte ungesehen das Amtshaus und warf mich in mein Bett, wo ich im Fieber lag, als man mir heut Morgen die schreckliche Nachricht brachte.

Ist das Alles wahr, was Sie erzählten? fragte der Richter, als sie schwieg.

Wahr und gewiß, antwortete sie.

Und was ist Ihre Meinung?

Daß er ihn ermordet hat, mit Hülfe des Weibes ermordet hat, die ihm Nachricht brachte. Er will fort, das hat mich zu Ihnen getrieben. Ich habe gehört, daß er morgen die Stadt verlassen will, die Haushälterin des Majors hat es erzählt. Er hat mit seinem Onkel darüber heftig gestritten. Er soll nicht von bannen, denn er ist der Mörder!

Sie war aufgestanden, Thränen füllten ihre Augen, Ihr Gesicht war roth und verzerrt, ihre Stimme bebte. –

Lorenz ist todt, sagte sie, ich kann ihn nicht wieder aufwecken, aber gerächt soll er werden und sollte ich auf den Markt laufen und es ausschreien, daß man den Mörder aus seinem Wagen reißt.

Warum sollte Richard Steinau eine solche That begangen haben? fragte Zeltwach.

Warum? erwiederte sie. Aus Neid, aus Eifersucht, ja, aus Eifersucht! – Ich weiß es nicht, aber ich glaube es. Lorenz haßte ihn, er war ein Mann, der sich nicht beleidigen ließ. Er verachtete das stolze Fräulein, verspottete es, aber er wollte sich rächen, und er wußte zu schmeicheln, er war schön! Was ist dieser blasse, elende Mensch gegen ihn! – Sie sind sein Freund, Herr Gerichtsdirector, aber Sie sind auch Richter. Sie müssen ihn festhalten, er muß bekennen, Alle müssen bekennen, Alle müssen vor Gericht, auch das Fräulein – die Maske muß ihr abgerissen werden!

Der rachsüchtigste Hohn prägte sich in ihrem Gesicht aus, als sie endigte. Der Gerichtsdirector nahm ihre Hand und sagte mit seinem tiefen Ernste:

Verhalten Sie sich ruhig, ich verspreche Ihnen, daß Richard Steinau die Stadt nicht verlassen soll, daß überhaupt Niemand verschont bleiben soll, der dieser That nahe steht.

Gut, antwortete die erregte Dame, ich will thun was Sie sagen; Alles will ich thun, aber Lüders soll gerächt werden, seine Mörder sollen nicht triumphiren.

Nach einigen weiteren Verabredungen und der wiederholten Ermahnung zu schweigen und seine Aufforderung zu erwarten, begleitete er sie zur Thür; als er zurückkehrte, malte sich in seinen Zügen die unruhigste Bestürzung. Er blieb einige Minuten lang schweigend in der Mitte des Zimmers stehen, dann ergriff er einen Schlüssel und die Lampe, stieg die Treppe hinab und begab sich durch einen langen Gang in die Gerichtszimmer.

Als er eines derselben aufgeschlossen hatte, öffnete er einen Schrank, in welchem Kleider hingen. Er nahm diese Stück für Stück heraus, es waren die Kleider des Ermordeten, welche er zuletzt getragen hatte und die nun hier aufbewahrt wurden. Der alte Richter betrachtete jedes Stück genau, er faßte in jede Tasche, untersuchte jeden Ort, wo eine solche sein konnte, befühlte das Futter und die Näthe des Mantels und des Rockes, ohne daß seine geheimen Gedanken, die ihn hierher getrieben, eine Bestätigung erlangten. Die Untersuchung dieser Kleider war schon heut in seinem Beisein von dem Gerichtsactuar angestellt worden, und was man gefunden, wurde sorgfältig verzeichnet. Jetzt wiederholte Zeltwach diese Nachforschung mit äußerster Sorgfalt, doch seine Züge drückten nach und nach eine vermehrte Beruhigung aus, als sich nicht das Geringste entdecken ließ.

Endlich war auch das letzte Stück durchsucht, er hing die Kleider wieder an den Riegel. Als er die Weste von dem Tische nahm, heftete sich sein Blick auf die furchtbare Stelle an der linken Brustseite. Die mörderische Kugel hatte hier eine kleine Oeffnung gemacht, doch rund um diese war die ganze Seite mit Blut getränkt und durchzogen. Der Lampenschein flackerte darüber hin, die Weste rundete und formte sich, und von innerem Grauen ergriffen meinte der alte Richter beinahe Lorenz Lüders selbst vor sich zu sehen, in diesem ihm wohl bekannten Kleidungsstück, das so oft seine breite Brust bedeckt und seinen kräftigen Formen sich gefällig angeschmiegt hatte. Lange starrte er darauf hin, endlich sank die Weste ihm aus der Hand und betäubt hob er sie mit den Fingerspitzen auf.

Er hatte das untere Ende gerade unter der linken Lasche gefaßt und eben, als er sie an den Riegel hängen wollte, fühlte er, daß seine Finger dort etwas Hartes berührten.

Einem Untersuchungsrichter ist der kleinste Umstand von Wichtigkeit. Zeltwach nahm die Weste nochmals an den Tisch und rückte die Lampe heran. Die Tasche war mit Blut befleckt und leer, aber an der Seite befand sich ein Riß im Futter, durch welchen ein kleiner zusammengerollter Papierstreifen bis auf den Grund gefallen war. Auch dieser Streif war außerhalb blutig und sein Ende dadurch zusammengeklebt.

Vorsichtig und begierig öffnete der Gerichtsdirector den Zettel. Es standen einige mit Bleistift geschriebene Worte darin, die sich vollständig gut erhalten hatten. Er hielt ihn gegen das Licht, sah hinein, und indem er ihn aus seinen Fingern fallen ließ, die sich mechanisch öffneten, schlug er mit der Handfläche gegen seine Stirn. Ein tiefes, stöhnendes Oh! rang sich aus seiner Brust, das dumpf von den öden Wänden widerhallte.

Mein Gott! mein Gott! rief der greise Mann dann verzweiflungsvoll, welche schreckliche Prüfung schickst du mir! und Zettel und Lampe ergreifend schien er einen Augenblick bereit das Papier zu verbrennen. Mitten auf dem Wege zur Flamme aber hielt er ein, und ein entsetzlicher Kampf malte sich in seinem Gesicht, bis er die Hand langsam zurückzog, und mit einer Stimme, die nach und nach an Festigkeit gewann, schmerzvoll ausrief:

Ich darf es nicht, und wäre es mein eigenes einziges Kind! ich darf es nicht!

Seine zitternde Hand schob gleich darauf die Lampe zurück, und den gebeugten Körper aufrichtend, sagte er mit fester Stimme:

Herr, du willst es so, du hast erhört was ich begehrte. Der Thäter ist in meiner Hand!

 

Eine Stunde darauf klopfte der Gerichtsdirector an die Thür des Forsthauses, die der alte Christian, der Jäger, ihm öffnete.

Wo ist der Forstmeister? fragte Zeltwach.

Als ich Sie klopfen hörte, glaubte ich schon, er wäre es, antwortete der Diener. Er ist noch in der Stadt.

Und das Fräulein? fragte Zeltwach. Schläft Fräulein Rosa?

Gewiß nicht, erwiederte Christian; es ist ja kaum zehn Uhr. Gehen Sie nur hinauf, in ihrem Zimmer ist es hell.

Der Gerichtsdirector stieg die Treppe hinauf und näherte sich mit leisen Schritten dem Zimmer. Fast bei jedem Schritte aber stand er still, als schleppe er eine fürchterliche Last mit sich; seine Athemzüge waren so schwer und lang, wie in der Brust eines Sterbenden.

Nachdem er gehorcht hatte und nichts hörte, legte er seine Hand auf den Drücker der Thür und öffnete diese. Rosa saß in der Ecke des Sophas, ihre Locken ringelten über den weißen Hals, sie stützte ihren Kopf mit der Hand und blickte ihn ohne Bestürzung und ohne Freude an; ohne aufzustehen, ohne Gruß, ohne ihre Haltung zu verändern.

Der greise Richter nahm einen Stuhl und setzte sich ihr gegenüber. Seine schwarzen, großen Augen sahen lange in ihr Gesicht und bohrten sich darauf fest. Sie hielt diese Blicke aus und erwiederte sie. Ihre Wimpern zuckten nicht, ihre Stirn war furchtlos und ihre Züge drückten die kälteste Entschlossenheit aus.

Einige Minuten lang saßen sie so, dann sagte der Gerichtsdirector mit tiefer Stimme:

Wissen Sie, weshalb ich hier bin, Rosa?

Ich werde es von Ihnen hören, antwortete sie.

Ich komme aus dem Verhöre der Buschmüllerin. Die Frau ist unschuldig.

Ich weiß es.

Wissen Sie auch, wer die unselige That beging?

Sie richtete sich langsam auf.

Wissen Sie, wer diese Worte schrieb? fragte er und damit zugleich hielt er ihr den blutigen Zettel hin.

Rosa warf einen Blick darauf und sagte mit Festigkeit:

Ich schrieb sie!

An wen, unglückliches Kind? An wen?

An den Elenden, antwortete sie, den ich tödtete, weil er mich ermorden wollte!

Eine Minute lang saß der alte Richter wie betäubt.

Gott erbarme sich über uns alle! sagte er dann tief erschüttert. Meine letzte schwache Hoffnung ist vernichtet, sie bekennt sich selbst schuldig.

Schuldig der That, ein giftiges Gewürm vernichtet zu haben, das mich ins Herz stach, ja, das bekenne ich, antwortete sie mit eisiger Ruhe.

Und nun, Unglückliche – und nun?! rief der Greis. Welche furchtbare Leiden bereiten Sie sich und Allen, die Sie lieben! Welche That des Wahnsinns und der Schande haben Sie verübt!

Um mich vor Schande, um mich vor Wahnsinn zu bewahren, that ich was ich thun mußte, erwiederte sie, denn es ist Alles umsonst gethan! fügte sie mit einem starren Lächeln hinzu.

Wollen Sie mir die volle Wahrheit erzählen? fragte Zeltwach nach einem kummervollen Seufzer.

Ich will, erwiederte sie, denn es giebt nichts mehr, was meinen Mund zum Schweigen nöthigen könnte, der vor wenigen Stunden noch sich auch nicht vor diesem Zettel geöffnet haben würde.

Als ich aus der Pension hierher zurückkehrte, war ich ein übermüthiges Mädchen. Richard hat Recht, ich war mit einer stürmischen Fantasie geboren worden, die das Herkömmliche und Gewöhnliche verachtete, die Formen verlachte und die Menschen, welche daran klebten, verspottete. Mein Großvater – o! er wird mir verzeihen, er wird nicht aufhören mich zu lieben – denn seine Liebe, seine Güte ist ohne Ende – er beschränkte meine Launen und meine fantastischen Einfälle nicht. Alles was ich that war recht, Alles was ich begann gut.

Es entspann sich ein Verhältniß mit dem Forstinspector, sagte Zeltwach vor sich hin.

Es konnte nicht anders sein, fuhr sie fort. Er begleitete mich, er ritt und jagte mit mir, er war an meiner Seite im Walde und im Hause. Wenn ich sang, hörte ich seine Stimme, wenn ich aufblickte, sah ich in seine Augen. Sein froher Ruf weckte mich auf, und wenn ich schlafen wollte, hörte ich die Klagen seiner Lieder unter meinem Fenster. Kein anderer Mann konnte sich mit diesem messen; wie ein Held, wie ein König ragte er über alle auf, die Anderen beugten sich vor ihm, wie vor einem Meister.

Und Sie setzten dieses Verhältniß fort, als Ihr Großvater Lüders aus dem Hause entfernte? fragte der Richter.

Ich setzte es fort, denn es war zu spät. Mein Großvater hatte mir manches Ueble von ihm gesagt, aber ich glaubte es nicht, und er schwor mir Liebe, spottete über seine Feinde und Verläumder. Wir sahen uns spät Abends, oder ich traf ihn im Walde, endlich einmal war er in der Nacht hier in meinem Zimmer. Er hatte mich dazu überredet. Ich weiß jetzt, was seine schamlose Absicht war. Damals wußte ich es nicht. Er wollte mich dahin bringen, daß mein Großvater genöthigt sein sollte, ihn als Sohn anzunehmen; er hat mir selbst gesagt, daß dies das Mittel sei, um ihn dazu zu zwingen. Ich widerstand und meine Heftigkeit machte ihn demüthig; aber von dieser Zeit an glaubte ich ihm nicht mehr und ich begann ihn zu beobachten, meinen Irrthum zu begreifen, und da kam Richard zu uns und eine Umwandlung ging mit mir vor.

Es fielen Schleier von meinen Augen, ich sah plötzlich, was ich nie gesehen hatte. Ich sah einen Mann, der mich kalt betrachtete, der mich offen tadelte; einen Mann, den ich achten mußte, und den ich zu verspotten suchte, weil Lorenz ihn verspottete. Er war klein und schwach gegen Lüders, und doch bemerkte ich bald, daß dieser sich vor ihm beugte. Der Riese erschien mir roh und gemein; ich begriff nicht, wie es möglich war, daß ich ihn geküßt und mit Liebesnamen genannt hatte.

Unglückliches Mädchen! murmelte Zeltwach, das thaten Sie!

Ich war glücklich! sagte Rosa ohne auf diesen Vorwurf zu achten. Richard liebte mich, ich wußte es. Der Major hatte mir seine Aeußerungen anvertraut, mein Großvater eröffnete mir seinen Plan, ich fiel ihm glühend vor Freude um den Hals. Lorenz mochte ich keine weiteren Zusammenkünfte mehr bewilligen, wie oft er mich auch bestürmte; endlich sah ich ihn an jenem Abende, wo Richard spielen mußte, ich mich in den Garten entfernt hatte.

Ich sagte ihm Alles und bat ihn um Verzeihung; bat ihn großmüthig zu sein und mich und meine Verirrungen zu vergessen. Er überhäufte mich mit Drohungen und mit Vorwürfen, mit Bitten und gemeinen, kriechenden Betheuerungen. Endlich gerieth er in Wuth und meine Hand fassend, zog er mich dicht an sein Gesicht und sprach mit furchtbarer Stimme:

Glaube nicht, Du falsches Mädchen, daß ich der Mann bin, um mit mir spielen zu lassen. An Zähnen und Haaren will ich Dich festhalten und mein sollst Du bleiben, oder Schimpf und Schande soll über Dich kommen. Vor Deinen Großvater und vor den verliebten Narren will ich hintreten und will ihnen erzählen, wie viele Nächte Du in meinen Armen gelegen, wie viele Küsse Du mir gegeben, wie viele Liebesnamen Du für mich erfunden hast.

Elender! rief ich, wage es! –

In dem Augenblicke hörte ich Richard, der mich suchte.

Er hielt mich fest und versuchte mich zu umarmen. Ich stieß ihn von mir.

Morgen, flüsterte er mir zu, bist Du hier, zu derselben Stunde, oder Du wirst sehen, was geschieht.

Und ich kam – ich kam, weil ich mußte, ich kam öfter, sah ihn und sprach mit ihm. Ich fiel ihm zu Füßen, ich bat um Mitleid, ich gelobte ihm Gold, ich suchte ihn mit allen Mitteln zu rühren, die meine Angst und mein Elend mir eingaben. Vergebens, vergebens! Er wollte mich liebkosen, er sagte mir, daß er nicht leben könne ohne mich, daß er entschlossen sei, mich und sich selbst zu vernichten, oder daß ich ihm folgen müsse, denn er wolle mit mir entfliehen. Alle Anstalten dazu habe er getroffen, so leicht werde uns Keiner einholen. Wir würden nach Hamburg gelangen, ehe man wüßte, wo man uns suchen solle, und dort sei es leicht, ein Schiff zu bekommen und sich rasch davon zu machen, wenn man Geld aufwenden wolle.

Ich war überzeugt, daß ich nichts zu ändern vermöchte; jeden Versuch dazu wies er zurück und endlich wiederholte er mit fürchterlichen Schwüren, daß er mich brandmarken wolle, wie ich es verdiene, wenn ich mich weigere. Ich war ruhiger geworden, in einem Winkel meines Kopfes loderte ein Licht auf und zeigte mir meinen Weg. Ich haßte, ich verabscheute diesen Elenden, der mich in seiner Hand hielt und meine Qualen verlachte. Ich wußte, daß er thun würde, was die Rache ihm eingab, und daß ich verloren sei. Der Gedanke an meine Schmach, an Richard, an meinen Großvater, machte mich kalt. Wie ein Ungeheuer stand dieser Mensch zwischen mir und meinem Glück; wenn er nicht mehr war, war Niemand, der mich hinderte glücklich zu sein.

Ich fragte ihn so ruhig ich vermochte, wohin er mich führen wolle und woher die Mittel nehmen. Die Mittel? erwiederte er mich betrachtend. Gut, ich will es Dir sagen; wenn Du mich verrathen willst, thue es, Du verräthst Dich selbst. Ich werde das Geld nehmen, das in der Forstkasse liegt. Es wird ungefähr so viel sein, wie Du einmal von dem Alten zu erwarten hättest. Er kann den Schaden damit ersetzen und uns kann er es nicht verdenken, wenn wir die Erbschaft im Voraus mitnehmen. Wir gehen nach Amerika, da läßt es sich lustig in der Freiheit leben.

Das sprach sein Urtheil. Ich machte ihm keine Vorstellungen weiter; ich sagte ihm, daß ich nicht daran dächte, ihn zu verrathen, und daß ich ihn begleiten würde, wenn er es durchaus so wolle; aber ich bäte ihn noch einmal, Alles zu bedenken, wohl zu bedenken, was über ihn und mich kommen könne. Denn er sei mir zum Abscheu und Gräuel geworden.

Du wirst mich schon wieder lieben lernen, mein Vögelchen, rief er roh auflachend, wenn Du meine Zärtlichkeit kennen lernst. Uebrigens thue jetzt was Du willst zum Abschiede mit Deinem süßen Schätzchen, doch halte Dich bereit.

Ich versprach es und schwor, kein Wort solle über meine Lippen kommen. Er hätte es merken müssen, daß ein schrecklicher Entschluß mir diese Gelassenheit gab, aber der Nichtswürdige glaubte mich eingeschüchtert, oder sein böser Geist verblendete ihn, daß er wirklich denken konnte, ich würde dies Alles geschehen lassen und wäre im Stande, diese grauenvolle Schmach zu theilen.

Als wir uns zuletzt trennten, waren wir überein gekommen, daß ich ihm am nächsten Tage den Platz bestimmen möchte, wo er mich in seinem Wagen erwarten würde. Er wollte durch den Wald bis zur Poststation fahren, dort sollten die Pferde bereit stehen. So schlug er das Seeufer vor, an dem der Weg sich hinzieht; ich machte jedoch Einwendungen, daß dieser Platz zu nahe an bewohnten Häusern liege, und daß der Zufall eine Entdeckung herbeiführen könne. Ich hatte meine Gründe, weiter ab mit ihm zusammenzutreffen; mir fiel die Stelle ein, wo der Hügel mit der Eiche steht, und von wo aus die Straße in gerader Richtung weiter läuft. Anfangs wollte er nichts davon hören, doch bald gab er nach.

Meinetwegen, sagte er. Du sollst sehen, daß ich gefällig bin; Du hast zwar eine gute halbe Stunde vom See zu laufen, doch um Mitternacht kommt der Mond herauf. Sage mir morgen, ob es dabei bleibt.

Ich sage nichts, wie ich diese Nacht, wie ich den Tag vollbrachte, aber jede Stunde machte mich fester in dem, was ich thun mußte. Man reißt einen Dorn aus, der uns sticht, man tödtet den wüthenden Hund, der uns anfällt: welches größere Recht hatte ein Wesen, das unermeßliches Elend über mich bringen, mit seiner Bosheit, seiner Schlechtigkeit, seiner unerbittlichen Grausamkeit mich herabwürdigen, zertreten, mein Blut aussaugen, mich in Jammer und Verzweiflung enden lassen wollte?! Und ich konnte ihm nicht entgehen; ich sah nichts, als mein Verderben. Hier mein Glück, meine Liebe, meine reich blühende Zukunft, dort die Natter, die ich würgen mußte, um nicht von ihrem Gifte getödtet zu werden.

Sie holte tief Athem und fuhr dann mit größerer Ruhe fort:

Am anderen Tage traf ich mit ihm in der Buschmühle zusammen, wo er eine andere gemeine, schlechte That beging, die Richard hinderte. Wie groß und edel war Richard, wie nichtswürdig war er! Er führte mich bis an die Brücke und fragte mich, ob ich bereit sei? Ich antwortete nichts, ich sah zu den Wolken auf und auf die schwarze Hand, die über den Tannenwald fuhr. Es war der Racheengel Gottes, der dort die Kronen brach und die Starken in den Staub warf.

Ich komme noch in das Forsthaus, dann entscheide Dich – entweder, oder?! flüsterte er mir zu; da kam Richard und wir trennten uns.

Nach einigen Stunden erschien er, erhitzt, lauernd, mit heimlich unverschämten Blicken, halb trunken und doppelt widerlich durch seine heuchlerische Demuth. Es kam mir vor, als ob Richard mich scharf beobachtete, als ob er dann und wann einen durchbohrenden Blick auf mich würfe, und ich fühlte, wie ich davor die Kraft verlor. Ich hatte einen Zettel geschrieben und zusammengerollt, denselben Zettel, der dort vor Ihnen liegt, mit den Worten, welche noch darauf stehen:

Ich komme, Du willst es so. An der Eiche um Mitternacht.

Und ich kam, sagte sie sich aufrichtend. Ich war aus dem Forsthause gegangen, als es zwölf Uhr schlug. Niemand hörte mich. Unter meinem Mantel trug ich ein Körbchen, darin lagen die beiden Scheibenpistolen, welche ich besaß. Ich kam auf den Platz, ein Pferd schnaubte, ein Wagen hielt unter dem Hügel. Ich hatte zu Gott gebetet, er möge mich bewahren; aus aller Kraft meiner Seele hatte ich gebetet, er möge es nicht geschehen lassen, möge durch seine göttliche Hülfe diesen elenden Mann abhalten, hier zu sein. – Aber es war vergebens. Er war da; es sollte so sein! Entsetzen rieselte durch mich hin, als ich seine Stimme hörte, dann kehrte mein entschlossener Wille zurück. Ich nahm das eine Pistol aus dem Korbe, spannte den Hahn und näherte mich. Er saß im Wagen und rief mich an.

Was zum Teufel! sagte er halb froh, halb ärgerlich, Du hast mich lange warten lassen. Rasch herauf, das ist kein Ort zu langen Complimenten.

Ich bin Dein Dämon, der Dir Unglück bringt, antwortete ich. Laß ab von mir. Rette Dich!

Was, Du Hexe! rief er, Du drohst? Bist Du noch nicht fertig? Herauf, ich will Dich still machen, gieb mir Deine Hand.

Er streckte die Hand nach mir aus – in diesem Augenblick fiel der Schuß. Ich sah den Blitz, ich sah ihn fallen; er fiel vorn über ohne einen Laut zu thun. Der Sturm tobte in der Luft, ein bleigrauer Glanz des verdeckten Mondes lag auf Wald und Lichtung; jetzt aber trat die glänzende Scheibe aus zerrissenen Wolken und beleuchtete den Platz. Die Eiche auf ihrem Hügel stieg wie ein Riese in den Himmel, in ihren knorrigen Aesten wimmerte der Orkan, und plötzlich glaubte ich ein Gelächter zu hören, das aus dem Boden stieg, oder aus dem Schatten des Baumes kam. Vielleicht war es Täuschung, aber ich ergriff die Flucht davor; athemlos, sinnlos lief ich, bis ich das Haus erreicht hatte.

Hier wurde das Bekenntniß abgebrochen, denn auf dem Gange an der Treppe erhob sich ein Lärm von kreischenden Stimmen, und fast zugleich riß der alte Christian die Thür auf, so erschrocken und entsetzt, daß er kaum sprechen konnte.

Oh, das Unglück! schrie er – oh, das Unglück! Mein Herr! mein lieber Herr!

Was ist geschehen? fragte Zeltwach.

Rosa flog der Thür zu. Der Gang war voll Menschen. Die Haushälterin lief heulend mit zwei Lichten voraus, welche sie hoch hielt; vier Männer trugen den Forstmeister, der anscheinend völlig leblos war, in sein Zimmer. Hinterher kam der Bürgermeister, der Arzt und der Amtsrath, die sehr bestürzt aussahen.

Wer ist es? Wer? fragte Rosa, als begriffe Sie nicht, was sie sah.

Halten Sie das Fräulein zurück, flüsterte der Arzt dem Gerichtsdirector zu, ich muß den Aderlaß wiederholen. – Es wird nichts zu sagen haben, fuhr er laut fort, wenigstens hoffe ich es. Der Herr Forstmeister hat sich wahrscheinlich heut ungewöhnlich angestrengt, erhitzt und erkältet – es ist eine starke Ohnmacht. Wir müssen ihn auskleiden und ins Bett bringen.

Ohne eine Wort zu erwiedern, wandte sich Rosa um und ging in ihr Zimmer zurück. Der Arzt eilte dem Kranken nach, der Richter hielt den Bürgermeister fest.

Der Schlag hat ihn gerührt, sagte dieser ängstlich. Ich habe mir keine Schuld beizumessen, und der Amtsrath eben so wenig, auch der Oberprediger nicht. Er erhitzte sich und ärgerte sich, bis er plötzlich umfiel.

Lüders war mein Vetter, fiel der Amtsrath ein. Er mag seine Fehler gehabt haben oder nicht: so viel ist gewiß, es haben Andere wohl noch größere, die Wunder meinen, welche Heilige sie sind. Ich habe Lüders lieb gehabt und wir alle hatten ihn lieb. Von einem Todten soll man nichts Böses sagen, obenein aber, wenn Einer ermordet worden ist, so schrecklich, fürchterlich ermordet wie der, so soll man sich nicht hinstellen und ihn beschimpfen, ihn Schuft und Hallunke heißen. Das hat der Forstmeister aber gethan, und ich habe gesagt, daß das schlecht und gemein und erbärmlich sei, und das sage ich noch und verdammt will ich sein, wenn ich es leide und nicht Rechenschaft darüber fordere, sobald –

Der Bürgermeister murmelte ihm zu, ruhig zu sein und abzuwarten, dann zog er ihn mit sich fort und Zeltwach kehrte zu Rosa zurück.

Als er herein trat, stand sie mitten im Zimmer, das todte, verächtliche Lächeln auf ihren Lippen.

Glauben Sie, daß es einen Gott giebt? fragte sie, ihre großen Augen aufschlagend. Gleichviel! gleichviel! fuhr sie fort, ob Gott, ob Dämon, ich danke ihm, daß mein armer geliebter Großvater friedlich schläft, daß, o! ich ahne es, ihm der grausame Schmerz erspart werden soll, mich eine Mörderin nennen zu hören.

Unglückliches Kind! erwiederte der alte Richter und seine Augen füllten sich mit Thränen, während seine Hände zitterten, die er auf ihre Schultern legte, glaube an Gott, bete zu Gott! Er allein kann Dich aus solcher Noth erretten! – Ich verlasse Sie, Rosa, fuhr er dann fort, um den einzigen Weg einzuschlagen, der übrig bleibt; aber ich fordere von Ihnen das bestimmte Versprechen, daß Sie dies Haus als Ihr Gefängniß betrachten und es nicht verlassen, bis ich zurückkehre.

Und wenn ich Flügel hätte, erwiederte sie, wohin sollte ich fliehen? Ich bin bereit zu Allem; schlagt mich ans Kreuz, aber schnell!

Stil, sagte der Greis, es hofft jeder Mensch, so lange lebt, hoffen auch Sie, wie ich es thue. Am Bette Ihres Großvaters ist jetzt Ihr Platz, dorthin ruft Sie die Pflicht.

Und wenn er erwacht? fragte sie zusammenschaudernd. Erwacht, um zehnfach zu sterben!

Keine Unbesonnenheit! fiel er ein. Bedenken Sie, daß bis zur Stunde Niemand ahnet, was ich allein weiß.

Niemand! wiederholte sie mit dumpfer Stimme, das ist schrecklich! Wohlan denn! ich muß jeden Becher leeren.

Der Gerichtsdirector verließ sie, und nachdem er einige Minuten in dem Krankenzimmer verweilt hatte, kehrte er in die Stadt zurück. Hier verfügte er sich selbst auf die Post, ging dann nach Haus, schrieb ein Billet an den Major, das diesem am Morgen übergeben werden sollte, und nach einer Viertelstunde saß er im Wagen und fuhr, was die Pferde laufen konnten, zum Thore hinaus.



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