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Kapitel VII.

Die Thüren des Speisesaales waren geöffnet, und die Gesellschaft, welche geladen war, erwartete den Ruf zu Tisch, als Frau von Grießfeld mit dem Brautpaare hereintrat. –

Lebhaft sprechende Gruppen von Damen und Herren hatten sich in dem großen Zimmer vertheilt, und nur die Nächststehenden wendeten sich den Eintretenden grüßend entgegen. –

Eine Tante aus der Provinz fiel Stephanie um den Hals und brachte ihre stürmischen Glückwünsche, mit einigen Thränen gesegnet, zu Stande; dann wurde der Bräutigam vorgestellt, betrachtet, mit Lebhaftigkeit befragt, und mit dem Vorschlag unterhalten, nächsten Sommer jedenfalls die Tante zu besuchen, welche eine malerische Schilderung der Reize ihres Wohnsitzes begann.

Es dauerte einige Minuten, ehe Wilberg Zeit fand, die Augen von dieser kleinen knixenden, beweglichen, erschütterten Tante zu wenden; indem er sie aber aufschlug, sah er sich gegenüber ein Gesicht, das einen eben so furchtbaren Eindruck auf ihn machte, als wäre das Medusenhaupt ihm vorgehalten worden. –

Er konnte den Blick nicht abwenden und doch sich nicht überzeugen, daß er sich nicht täusche. Es war der Kapitain Rintel, wie er leibte und lebte, groß, dürr, mit der langen röthlichen Nase, mit den großen, klaren Augen, mit der faltigen und gewaltigen Stirn. – Statt des Wollshawls trug er aber heut eine weiße Binde, statt des langen gelben Ueberziehers einen blauen Frack, auf dem ein paar Orden steckten, und der ungeheure ergraute Haarbusch auf seinem Kopfe war wohl gekämmt und in anständige Form gebracht.

Der Kapitain unterhielt sich mit dem Director, dem Major und einem Kreise von Herrn, die ihm aufmerksam zuhörten. – Es war seine scharfe, harte Stimme, die einen durchdringenden Klang hatte, es war auch seine rasche, oft kurzabbrechende Redeweise, und doch war Wilberg zweifelhaft, denn der Kapitain mit seinem langen Körper sah weit über die Umstehenden fort, und blickte den Bräutigam an ohne das geringste Zeichen ihrer früheren Bekanntschaft, ohne die geringste Störung in seinen Mittheilungen, kurz er war so kalt und theilnahmlos, als habe er alles Gedächtniß verloren.

Wie ist es möglich? Wie kann er in dies Haus gekommen sein? rief der junge Mann sich zu; in demselben Augenblick aber, wo er mit widerstreitenden Eindrücken rang, fand er seitwärts in dem Kreis der Damen am Fenster die Widerlegung jedes Zweifels. Es war Anna, die dort saß, und ihr liebliches frisches Gesicht vorwärts beugte, um, aufmerksam gemacht von ihrer Nachbarin, nach ihm hinzuschauen. Zwischen den braunen Scheiteln blickten ihn die strahlenden übermüthigen Augen herausfordernd an, das kecke Lächeln auf ihren Lippen schien fragen zu wollen: Kennst Du mich noch? Die kleine, gelenkige Gestalt, von schwarzer Seide umflossen, war ganz, wie er sie gesehen hatte, und rief mit Ungestüm alle Erinnerungen jener unvergeßlichen Nacht herauf.

Im nächsten Augenblick aber wandte sich Anna ihrer Unterhaltung zu und schien sich nicht mehr um den Bräutigam zu kümmern.

Sie wollen mich nicht kennen, sagte dieser sich selbst. Ich verstehe, sie haben Recht, jetzt gilt es, unser Geheimniß zu bewahren. – Diese Ueberzeugung überwältigte seine Unruhe; glücklicher Weise war die gesprächige Tante unermüdlich in Fragen, und als sie endlich losgelassen wurden, war Wilberg völlig gefaßt auf die Rolle, welche er zu übernehmen hatte.

Der Director ergriff ihn bei der Hand und stellte ihn dem Kapitain vor. Hier ist mein Schwiegersohn, sagte er. Wir Juristen sehen einen Prozeß für gewonnen an, wenn wir das erste Urtheil in der Tasche haben. So gebe ich denn auch dem Bräutigam schon den Namen, der eigentlich erst von der Kirche erstritten werden soll.

Bis die Priester mit der Ehe nichts mehr zu thun haben, rief der Kapitain lachend.

Da kommen Sie bei unsern Mädchen übel an, erwiederte Herr von Grießfeld. Mögen Juristen und Philosophen immerhin beweisen, die Ehe sei nichts Kirchliches, sondern ein bloßer Contract zwischen zwei Menschen, die überein gekommen sind, ein gemeinsames Geschäft anzufangen, sie wollen nicht allein die Formel aus dem Kirchenbuch, sondern wollen auch einen Myrthenkranz, ein Hochzeitskleid und das ganze stattliche Gepränge. Die Hälfte würde unvermählt sterben, wenn Brautschau und Brautschmuck fehlen sollten.

Der Widerspruch und das Lachen, welche diesen Sarkasmen folgten, ließen Wilberg Zeit, Gewißheit darüber zu erhalten, daß der Kapitain ihn nicht kennen wollte. Die unbefangene Ruhe, mit welcher Rintel ihn behandelte, einige allgemeine Fragen an ihn richtete und dann es dem Director überließ, ihm mitzutheilen, daß Herr Rintel ein alter Bekannter des Majors sei, dem man das Vergnügen verdanke, ihn und seine Tochter hier zu sehen, machte auf ihn einen belebenden Eindruck. – Er war nicht mehr allein mit der Schuld, die er empfand; er konnte einen Theil davon auf die mächtigen Schultern des Mitschuldigen werfen, und dieser mit seiner stolzen Sicherheit flößte ihm großes Vertrauen ein.

Sie müssen wissen, sagte der Kapitain, daß ich seit einer Reihe von Jahren nicht in der Hauptstadt gewesen bin. Ich lebe auf dem Lande in einem Winkel verborgen mit dem Volk und bei dem Volk. Ein Mann aus der feinen Gesellschaft hätte es vielleicht nicht gerechtfertigt erachtet, bei dem ersten Besuch auch sogleich als Gast zu bleiben, einem Landmann und einem Landmädchen verzeiht man dagegen die Einfachheit der Sitten. Wir machen unsre Bekanntschaften zuweilen auf der Landstraße, werden die besten Freunde in der ersten halben Stunde, und vergessen es so leicht nicht, mit wem wir unser Brod gebrochen haben.

Ist alte Soldatenart! rief der Major dazwischen. – Hoffe nun auch, daß wir uns öfter zusammen finden.

Das wäre möglich, erwiederte Rintel. – Ich wünsche mein Grundstück zu verkaufen und einen andern Aufenthalt zu suchen. –

Lebt sich gut hier! sagte der Major.

Nicht für mich, fiel Rintel ein. Die Steinhaufen machen mir Brustschmerzen, ich muß Luft, grüne Bäume und Arbeit haben, umherlaufen und in Wald und Feld vergessen können, daß es Menschen, Sorgen und Gesetze gibt.

Haben Sie so große Abneigung gegen die Gesetze? fragte der Director.

Die gründlichste, die man haben kann, erwiederte der Kapitain, denn je mehr ich sie betrachte, je mehr widerstehen sie mir. Die Gesetze eben sind es, die mir den Aufenthalt selbst in meinem Rückzugswinkel verleiden. Sie quälen den Menschen von der Wiege bis zum Grabe, schreiben ihm vor, wie er gehen und stehen soll, binden ihn, nicht mit siebenfachen Stricken, sondern schnüren ihn ganz und gar ein und machen Automaten aus uns. Wo aber irgend Einer nicht will, wie die zahllosen Gebote es ihm befehlen, wird er verfolgt, gehetzt, getreten, gestraft, gefangen und gehangen, wenn es sein kann. Dabei aber haben die Menschen solchen Schaden schon an ihren Seelen gelitten, sie sind so verdummt, herabgewürdigt, entmannt und verknechtet von dem, was Gesetzlichkeit heißt, daß sie die Ruthe küssen, die sie straft, und zu jeder Schlechtigkeit und Nichtswürdigkeit die nöthige Erziehung genossen haben.

Sie scheinen üble Erfahrungen gemacht zu haben, sagte der Director lächelnd.

Hab's gemacht! erwiederte der Kapitain, und kenne die Sache aus dem Grunde. – Man kann nicht vorsichtig genug sein; ich bin mit darum hierher gekommen, um einem Freunde beizustehen, der von einem schlimmen Handel bedroht wird.

Wilberg hörte nichts weiter, denn er wurde von Stephanien abgerufen, aber die letzten Worte des Kapitains waren ihm bedeutungsvoll, froh und schwer zugleich. Er konnte nicht zweifeln, daß sie ihn selbst betrafen.

Ich muß Dich dem Fräulein vorstellen, sagte Stephanie, indem sie auf Anna deutete. – Sie glaubt in Deinem Gesicht eine große Aehnlichkeit mit einem Herrn, den sie gekannt, wieder zu finden.

Die Tochter des Kapitains stand lächelnd auf und verneigte sich eben so schelmisch und tief, wie damals, als er zuerst zu ihr ins Zimmer trat. –

Sollten wir uns wirklich noch nie gesehen haben? fragte sie ihn prüfend anblickend.

In der That, erwiederte Wilberg, mühsam seine Fassung erzwingend, ich erinnere mich nicht – aber es ist dennoch möglich.

Nein, wenn Sie zweifeln, so ist es nichts, fiel sie schalkhaft spöttisch ein.

Ich weiß nicht, wo ich die Ehre gehabt haben könnte, sagte er mit wachsender Verlegenheit.

Sehen Sie wohl, darin liegt die Täuschung, fuhr sie fort, und sonderbarer Weise geht es mir ganz eben so. Vielleicht haben wir uns auf einer Reise getroffen, oder in meinen Träumen sind Sie mir erschienen. Es geschieht zuweilen, daß man lebhaft von Dingen und Menschen träumt, die man nie sah; erblickt man sie dann später wirklich, so sucht man vergebens danach, wo und wie man früher schon mit ihnen zusammentraf.

Sie glauben also an Ahnungen? fragte er lächelnd.

Gewiß glaube ich daran, erwiederte Anna lebhaft, und da ich ein Sonntagskind bin, sehe ich sogar zuweilen Gespenster. –

Sie lachte muthwillig, und ihre Lust zum Scherz theilte sich dem ganzen Kreise mit, der mit sichtlichem Wohlgefallen das schöne Mädchen betrachtete, die ein ungewohntes Leben in die gewöhnlichen Gesellschaftsformen brachte

Die Gespensterseherei, sagte Stephanie, streitet nicht gegen die Aufklärung, sie ist sogar die neueste Mode.

Wir haben Teufelsbanner im Staatsrathe, und Geisterbeschwörer am Ministertische, rief einer der Herren.

Das heißt, sie beschwören den Geist, daß er auf immer von uns weiche, schaltete ein Andrer ein.

Wie die gelehrten Herrn doch Alles drehen und deuteln, rief Anna. Ich habe nichts damit zu schaffen, ich spreche von wirklichen Gespenstern, von Kobolden, die nächtlich vor den Betten sitzen, den Schlafenden mit ihren glühenden Augen anstarren, bis er in ängstliche, schreckliche Träume verfällt, auf wilden Rossen durch Nacht und Nebel über öde Haiden jagt, abentheuernde Prinzessinnen verfolgt, mit Räubern und Narren kämpft, und endlich, entsetzt erwacht, den Spuk noch lange für Wahrheit hält. Solche Gespenster mögen hier selten sein, aber ich sage, wie Hamlet, es gibt vieles zwischen Himmel und Erde, wovon unsre jungen Herren, die jetzt sämmtlich Philosophen sind, sich nichts träumen lassen.

Das macht, erwiederte Wilberg, weil uns die Lebendigen genug zu denken geben.

Muß denn ein Bräutigam auch denken? fragte Anna. Mir scheint, er dürfe nur empfinden, seine Gedanken müssen Gefühle werden, seine Sorgen rosenrothe Kleider tragen, und wenn schwarze Gespenster ihn beschleichen, muß er sie zu beschwören verstehen.

Lebhafter Beifall und Gelächter begleiteten ihre Worte, unwillkürlich aber folgte Gustav der Richtung ihrer Blicke, und plötzlich erblickte er dicht in seiner Nähe den Assessor, der in seinem schwarzen Kleide und beweglichem Ernst wirklich wie ein Gespenst aussah. Er sprach mit dem Major und der Tante, und schien von dem geselligen Kreise an der andern Seite keine Notiz zu nehmen.

In diesem Augenblick erfolgte der Ruf zur Tafel, und plötzlich, ohne nach Stephanien umzublicken, bot Wilberg Anna den Arm, obwohl von vielen Seiten derselbe Versuch gemacht wurde, und der Assessor ebenfalls näher trat.

Ich werde die Ehre annehmen, sagte Anna, sich gegen Stephanie wendend, weil es ein altes Gesetz in unsrer Heimath ist, daß ein Brautpaar nicht beisammen sitzen darf, aber unter der einen Bedingung, daß ich meinem Freunde Rudolf Ersatz für seine getäuschten Hoffnungen gebe. – So soll es sein, rief sie in ihrer neckischen Weise. Wir tauschen und lassen Jeden den Schaden tragen.

Stephanie willigte lächelnd ein, und als man die Plätze meist vertheilt sah, trennte man sich und fand an den entgegengesetzten Seiten ein Unterkommen. –

Es war eine zahlreiche Gesellschaft, bald wurden die Gespräche vereinzelt und in kleinen Kreisen geführt. Anna sprach lebhaft mit ihrem Nachbar zur andern Seite, einem alten Herrn, der entzückt von ihrer Naivetät war, und Gustav wartete lange und mit steigender Ungeduld auf den Augenblick, wo er Gelegenheit haben würde, ihr flüsternde Eröffnungen zu machen.

Aber dieser Augenblick wollte nicht kommen. Mit absichtlicher Neckerei wußte das muthwillige Mädchen ihn immer von Neuem in die gemeinsame Unterhaltung der Nachbarn zu ziehen, und wenn er endlich den Zeitpunkt gekommen glaubte, und die ersten Worte zwischen ihnen gewechselt waren, brach sie ab und wendete sich von ihm, um irgend eine Frage an den alten Herrn zu richten, der es an unerträglich langen und langweiligen Antworten nicht fehlen ließ.

Endlich sagte der junge Mann leise: Es scheint, daß Sie absichtlich jede Mittheilung, die wir uns zu machen hätten, vermeiden wollen?

Welche Mittheilung? fragte sie.

Können Sie das fragen? erwiederte er. Mittheilungen über unser früheres Zusammentreffen.

Haben Sie sich darauf besonnen, rief sie lebhaft, und wandte sich wieder zu dem alten Herrn, dem sie rasch erzählte, was wir schon wissen, und schalkhafte Bemerkungen daran knüpfte. Der alte Herr wunderte sich und erzählte seinerseits, daß es ihm oft so mit Menschen gehe, die er kenne und doch nicht wisse, wohin er sie thun solle. Wilberg hörte gepeinigt die lange Geschichte an.

Nun? sagte Anna endlich, ihn mit den glänzenden Augen anblickend. Sie wissen also jetzt, wo es war. Auf einer Reise?

Allerdings auf einer Reise.

Wahrscheinlich bei Nacht?

Bei unheimlicher Nacht.

Das klingt entsetzlich! Aber ich habe geschlafen, der Mond schien und beleuchtete mein blasses Gesicht. Sie konnten es lange nicht vergessen.

Gewiß nicht.

Bis die Erinnerung starb, als Fräulein Stephanie das ganze Gedächtniß des glücklichen, jungen Herrn in Beschlag nahm.

Der alte Herr, dem sie diese Worte zuflüsterte, lachte laut auf und nickte ihr zu, indem er Wilberg mit Triumph betrachtete. – So ist es, sagte er, in solchen Tagen werden alle Erinnerungen über Bord geworfen.

So mögen sie denn im Grunde des Meeres versenkt bleiben, erwiederte Anna, und was nützt es auch, sie zu wecken?

Das Gespräch wurde zum Scherz, bis Gustav endlich von Neuem den Ernst hineinzog.

Was kann Ihre Absicht sein, sagte er, diese Verstellung durchzuführen? Warum wollen Sie nicht den Augenblick benutzen, um mir wenigstens ein freundliches Wort zu sagen; mir sagen, wann und wo ich ohne Scheu mit Ihnen von dem reden kann, was mich in so große Gefahr setzt? – Der Assessor von Baben –

Dort sitzt er, sagte Anna zu dem alten Herrn.

Wer? fragte dieser.

Der Herr von Baben, ein vortrefflicher junger Mann. Er blickt aufmerksam hierher, denn seit mehreren Jahren kenne ich ihn, obwohl unsere Bekanntschaft immer in Bruchstücke zerfiel, weil er nur selten seinen Vater besuchte. – Jetzt ist dieser durch einen Zufall ums Leben gekommen, was den Sohn in düstre Schwermuth versetzt. Er hat sich viele Mühe gegeben, alle Umstände jenes unglücklichen Ereignisses zu erforschen, und scheint von dem Gedanken geplagt, er müsse den Tod seines Vaters an dem Schuldigen rächen.

Das finde ich sehr natürlich, fiel der Tischnachbar ein.

Ich ebenfalls, fuhr die Dame fort; auch ist kein Zweifel, daß er gewisse Spuren entdeckt zu haben meint. Er wartet nur die Gewißheit ab und würde, wenn er diese erhielte, hier vielleicht an der Tafel aufstehen, um den oder die Verbrecher zu verhaften, wenn sie sich etwa unter den Gästen befänden.

Ja, das würde ich auch thun, rief der alte Herr.

Ich auch, sagte Anna lachend. Ich habe ihn aber sehr lieb, meinen armen Freund, und möchte, daß er in anderer Weise verführe. Er hat uns lebhaft zu unserer Reise gedrängt, hat uns mit Hülfe des Majors, seines Freundes, hier eingeführt, umgiebt uns mit seiner Sorgfalt unaufhörlich, und ist zu unserem Dienst stets bereit.

Wie ein Cavalier dies sein muß.

Das ist er, ein Mann von strenger Ehre, doch großmüthigen Herzens. Wir sinnen darüber nach, ihn von seiner Schwermuth zu heilen, und wollen noch heut mit einem Freunde verabreden, wie es am besten geschehen kann. Heut Abend hoffen wir, ihn in seiner Wohnung zu finden.

Der alte Herr fand diesen Eifer der Theilnahme eben so interessant wie aufopfernd, und erzählte aus seiner Jugend ein langes Beispiel von edelmüthiger Freundschaft, während der Nachbar auf der andern Seite in Nachdenken über das versank, was er gehört hatte. Er wußte jetzt, warum er fortgesetzt verleugnet wurde, und erkannte plötzlich einen wohl angelegten Plan seines Verfolgers, dem er allerdings einen Grad von Fanatismus zutraute, der des Aeußersten fähig war. Er malte es sich aus, wie der Bluträcher mit der finstern Entschlossenheit in seinem Gesicht aufstehen könne, um laut zu rufen: Jetzt weiß ich, wer der Mörder meines Vaters war, dort sitzt er! –

Unwillkürlich sah er starr auf Baben, der mit Stephanien fortgesetzt sprach, und indem er die Hand auf die Lehne ihres Stuhles stützte, leise Fragen an sie zu richten schien. Ein hoher Tafelaufsatz, der in einen Blumenkorb endete, diente ihnen zum Versteck gegen Späherblicke; nur von Zeit zu Zeit sah Gustav, wie Stephaniens Augen ihn zu suchen schienen, und wie sie leise herüber lächelte, als sie ihn stumm und nachdenkend den Teller zerkritzeln sah. –

Da Anna gar nicht aufhören konnte, mit dem alten Herrn zu lachen, der ihr betheuerte, daß er in seinem ganzen Leben sich noch nie so gut unterhalten habe, wandte er sich endlich dem Gespräch zu, das der Kapitain ihm gegenüber führte, der auf sein Lieblingsthema, auf die Lage des Volks und dessen Noth gekommen war. – Er machte haarsträubende Schilderungen von dem Elend und der Verwahrlosung der untern Klassen und brachte mit seinem kalten Spott und seiner Rücksichtslosigkeit die feinen Damen und Herrn, welche gegen ihn stritten, in Schrecken und Entsetzen.

Das Schicksal hatte einen eingefleischten Geheimrath und eine Dame von reinem Blut neben ihn gesetzt, die in Vorurtheilen groß und alt geworden waren, und spaßhaft genug war es, wie anfänglich die größte Einigkeit zwischen Allen herrschte, indem sie über die Schlechtigkeit, Verdorbenheit und Sündigkeit der Zeit und der Menschen sich unterhielten. – Der Geheimrath fand dabei die Suppe vortrefflich, die Baronin lobte die Champignons einer Sauce, ihr Nachbar war entzückt über den Schinken in Burgunder, und während sie sämmtlich seufzten über die zunehmende Entsittlichung, über die Menge der Bettler, über die Hungersnoth der Weber im Gebirge, trat der bitterste Hohn immer stärker in die Augen und um die Mundwinkel des Kapitains.

Ich glaube, wir bekommen jetzt eine Trüffelpastete? sagte der Geheimrath, indem er die Nasenflügel weit und lüstern öffnete.

Noch nicht, erwiederte sein Nachbar unruhig, wir können noch nicht so weit sein.

Der Director gibt selten Diners, bemerkte ein Dritter, aber man ist vortrefflich.

Ich bin ein großer Freund von Seltenheiten, lachte der Geheimrath, aber hier wünschte ich sie fort. Was meinen Sie?

Er stieß den Kapitain an, der einen leisen knurrenden Ton von sich gab, wie ein Kampfhahn, der seine Sporen klirren fühlt. –

Gewiß, ich wünschte sie fort! sagte er, den merkwürdig rasch essenden Herrn betrachtend.

Wissen Sie wohl, begann die Baronin das Messer niederlegend, daß vorgestern hier ein alter unglücklicher Mann verhungert ist!

Es ist nicht wahr, rief der Geheimrath; in unserer wohlthätigen Residenz, wo so viel für die Armen gethan wird, verhungert Niemand. – Der Mensch ist freiwillig verhungert.

Wie so, freiwillig? fragte Rintel.

Es war ein alter Schneider, oder so etwas, fuhr der Geheimrath fort. Er bekam eine Armenunterstützung, aber er wohnte in einer Kammer, die ein Fenster ohne Scheiben hatte. Dadurch mag er krank geworden sein, lahm war er auch; er wollte besser unterstützt sein, das ging nicht so leicht, und statt nun ins Arbeitshaus zu gehen und um Aufnahme zu flehen, kroch er in seine Kammer und kam da um, ohne sich weitere Mühe zu geben.

Wir müssen eine neue Sammlung veranstalten, rief die Baronin, oder ein Concert machen, oder einen Ball arrangiren. Es ist entsetzlich, von wie vielen Betteleien man jetzt überlaufen wird.

Das Geben nimmt kein Ende, meine Gnädigste, erwiederte der Geheimrath. Wir haben zahllose Vereine, aber die Menschen sind selbst Schuld an ihrem Elend. – Fleißig arbeiten und beten sollten sie, so würde ihnen Geduld und Ergebung kommen. Aber wir sind bald so weit, daß sie nicht mehr bitten, sondern fordern werden. Die Frechheit wird in ein System gebracht, nichtswürdige Gedanken kommen in die Köpfe, Jeder möchte schwelgen und prassen und sieht mit Neid und Bosheit auf die Besseren.

Was nennen Sie die Besseren? fragte Rintel.

Auf uns, fuhr der Geheimrath ruhig fort, die wir Rock und Wams ausziehen müßten, wenn wir auf den communistischen und sozialistischen Unsinn hören wollten, der jetzt von Fantasten, Narren und Taugenichtsen aller Art gelehrt und gepredigt wird.

Narren und Taugenichtse, erwiederte der Kapitain, haben von je an das Elend der Welt verschuldet.

Sehr gut! rief der Geheimrath – sehr gut! Der Lachs ist wundervoll – er muß ein enormer Fisch gewesen sein. – Ja, das Beste ist, man lacht die Narren aus und sperrt die Taugenichtse ein.

Ich wollte, man hinge sie sämmtlich auf, murmelte Rintel.

Wann wird denn die Hochzeit sein? fragte der Geheimrath die Baronin, indem er nach Stephanien hinüberblickte.

Ich denke in drei Monaten, sagte diese.

Da werden wir also jedenfalls etwas Brillantes sehen. Wilberg hat viel Vermögen.

Halten Sie denn die Parthie für so besonders? sagte die Dame im wegwerfenden Tone.

Besonders? Nun, das eben nicht, aber – sie werden ein angenehmes Haus machen.

Es werden sich doch Manche zurückziehen, fuhr die Baronin fort, oder nur aus Rücksichten sich einführen, sonst – Sie kennen den Bräutigam nicht? fragte sie den Kapitain.

Nein, aber er sieht aus wie ein wackrer junger Mann.

Wacker! rief die Baronin lachend; ja, in Gottes Namen! Aber ich begreife doch die Grießfeld nicht, man wundert sich sehr; selbst nahe Verwandte haben es widerrathen. Ich würde es nie zugeben.

Steht er im üblen Ruf? fragte Rintel.

Die Dame neigte sich zu ihm hin und sagte leise: Die Grießfelds sind eine Familie, gegen die sich nichts einwenden läßt, und statt des Doctor Wilberg würde sich gewiß ein andrer Schwiegersohn gefunden haben. Da sitzt der Assessor von Baben neben der Braut; es sind zwei oder drei Cousins vorhanden, die Offiziere sind; aber die Verirrungen werden Mode.

Der Kapitain verzog das Gesicht zu einem satanischen Lachen. Er hatte jetzt vollkommen genug gehört, um seinem Aerger Luft zu machen.

Ach, ich verstehe, sagte er, Sie meinen, dieser junge Herr da sei der Ehre nicht würdig; aber, wissen Sie, ich habe im Geheimen mich über seinen Leichtsinn gewundert.

Ist er leichtsinnig? rief die Baronin erfreut.

Leichtsinnig bis zur Narrheit. Ich würde ihm meine Tochter nicht geben.

Die arme Stephanie! rief die Baronin mit einem Blick des Mitleids. – Sie kennen also seine Streiche?

Oho! ob ich sie kenne. Ist es nicht der thörichtste Leichtsinn, daß er sich in Kreise drängt, wohin er nicht gehört? Die meisten Menschen werden mit Sattel und Steigbügeln geboren, eine auserwählte Klasse mit Sporen und Reitpeitsche. So ein Mensch aus dem Volk muß beim Volke bleiben; will er darüber hinaus, wird er den Sattel doch nimmermehr los; jeder Narr oder jeder Schuft, der Sporen hat, wird ihn reiten wollen.

Die Baronin betrachtete ihren Nachbar mit Ungewißheit, als wolle sie ermitteln, zu welcher Klasse er denn eigentlich gehöre.

Schlimme Sache das! fuhr der Kapitain mit einem seiner grimmigen höhnischen Blicke fort, und wird nicht eher besser werden, bis alle Sättel und alle Sporen zerbrochen sind; bis die Menschen keine Rang- und Standesunterschiede mehr kennen; bis Jeder gilt, was er ist, Jeder seine Kräfte anstrengt, um zu erreichen, was er vermag, und Niemand mehr Recht hat, als was die Gesetze Allen geben.

Das Lächeln erstarb auf den Lippen der gnädigen Frau.

Keine Standesunterschiede! sagte sie, das verstehe ich nicht. Sie meinen doch nicht – Gleichheit!

Völlige Gleichheit, nirgend ein Vorrecht, rief der Kapitain triumphirend. Keine Barone und keine Geheimräthe; Alles gleiche, freie Bürger.

Der Herr Kapitain ist ein Demokrat! ein schrecklicher Demokrat! schrie der Geheimrath laut lachend. Die ganze Tischgesellschaft richtete die Blicke hinüber.

Ein Demokrat? Ah! gut gesagt, erwiederte er, ja das bin ich. Das heißt ein Mann, der kein Unrecht dulden will, keinen Uebermuth, keine Verachtung des Volks, von dem alle Gewalt kommt. – Sie, Herr Geheimrath, lieben mit Zärtlichkeit die Trüffeln und Schinken, ich liebe die Menschen. Sie empfinden eine Art Krampf beim Anblick einer Pastete, ich beim Anblick einer verstockten Mumie. Sie versetzen sich in Begeisterung bei dem Gedanken an das nächste Diner, wo die Austern am saftigsten sein werden, ich denke mit Begeisterung an die Zeit, wo es einmal keine Diners mehr giebt, aber lauter satte frohe Menschen.

Ein Gelächter, dem eine um so größere verlegene Stille folgte, brach über den Geheimrath los, der in einige Verlegenheit gerieth, aber doch mitlachte. –

Jeder tröstet sich über die Unvollkommenheiten der Welt, wie er kann, rief er lustig, die Achseln zuckend.

Ja wohl, jeder tröstet sich, und die Barmherzigen trinken mit einem Seufzer über das Elend des Volks in Lumpen ihren Champagner und denken an einen Ball zum Besten der Armuth.

Aber Sie können doch nicht wollen, daß wir sämmtlich von Brod und Wasser leben sollen! sagte der Geheimrath mit Anstrengung, ein ungeheures Stück Pastete verschluckend.

Nein, erwiederte der unerschütterliche Kapitain, aber ich kann wollen, daß dem Volk die unnützen Pastetenesser erspart werden; kann wollen, daß man zu Arbeit und Nahrung Jedem hilft, und lieber Gott! wie vielen deiner hartbedrückten Wesen könnte geholfen werden, wenn die Menschen menschlich sein lernten.

Frau von Grießfeld fand es für dringend gerathen, den Stuhl zu rücken und die Tafel aufzuheben, aber der Kapitain hatte mit seinen Grobheiten und Tollheiten einen großen Theil der Gesellschaft in Harnisch gebracht. Man betrachtete ihn wie einen Wilden, der durch seine barbarischen Gebräuche Grausen erregt, und spöttelte heimlich über Vater und Tochter, die, wie man fand, mit ihrem auffallenden Wesen gut zu ihm paßte.

Nach dem Kaffee nahmen die Gäste Abschied. Der Kapitain empfahl sich mit höflich stolzer Würde, aber Niemand ersuchte ihn, wieder zu kommen.

Das ist ein närrischer Kauz, rief der Director lachend, einer von den Weltverbesserern in grauen Haaren.

Ich meine nicht, Onkel Tobias, sagte Frau von Grießfeld, daß wir Ihnen besondern Dank für diese interessante Bekanntschaft schulden.

Begehren auch keinen! erwiederte der Major verdrießlich. – Ist nicht meine Sache – Baben – wo ist er?

Er hat seinen edlen Freund aus der Provinz begleitet, rief der Geheimrath. Ich sah sie zusammen gehen.

Die spöttischen Bemerkungen lenkten sich auf den unglücklichen Assessor, der in die allgemeine Verurtheilung gezogen wurde. –

Das ist auch so Einer, dem nicht zu trauen ist, sagte der Geheimrath.

Ein tüchtiger Arbeiter von großer Gesetzkenntniß und Scharfsinn, sagte der Director. Ich bin Willens, ihn in's Ministerium zu ziehen.

Das möchte ich doch widerrathen. Ich habe Aeußerungen von diesem jungen Herrn gehört, die eine völlige beamtliche Unfähigkeit anzeigen.

Welche Aeußerungen?

Spöttereien über Einrichtungen und Gesetze, moderne Theorien, Reformen des ganzen Justizwesens.

Wenn es weiter nichts ist! sagte der Director gleichgültig.

Aeußerungen über die Unfähigkeit des Staatsraths, über die Unfähigkeit der Gesetzmacher, über das Recht des Volks, sich Gesetze zu geben, über die lächerlichen Ehegesetze, die Unfreiheit der Richter.

Der Director runzelte die Stirn. – Die Weisesten sind immer die Jüngsten, murmelte er achselzuckend.

Der Witz auf den Justizminister über die Betstunden, wo die Gesetze im Wege der Gnade und der Verzückung entstehen, soll von diesem geistreichen Assessor stammen.

So? fragte der Director. Wissen Sie das gewiß?

Der Geheimrath nickte. – Nun, dann ist es allerdings Zeit, ihn zur Erleuchtung statt in's Ministerium nach Insterburg oder Silberberg zu versetzen, sagte der hohe Beamte.

Hier wenigstens wünsche ich ihn nicht mehr zu sehen, fiel Frau von Grießfeld ein, indem sie ihren Gatten bei Seite zog. – Ich habe vorher einen offnen Brief gefunden, der an Stephanie gerichtet war. Er enthielt Abschiedsworte und Glückwünsche, verworrene Klagen und seltsame Drohungen. Es ist mir aber dadurch deutlich geworden, daß es dem Herrn Assessor gefallen hat, eine kleine Intrigue anzuzetteln. Um Stephaniens Ruhe und Zukunft scheint es mir nach dieser Aufklärung nöthig, seine Ungezogenheit zu strafen. – Er muß auf's Land!

Ich werde dafür sorgen, erwiederte der Director. –

Der Geheimrath stand von fern, spitzte die Ohren und rieb die Hände; er hatte die letzten lauter gesprochenen Worte gehört. –

Ich habe es ihm längst zugedacht, murmelte er, und daß er jetzt den Grobian hier in's Haus schleppt, um mich zu blamiren, macht das Maß voll. Er muß auf's Land. – Das ist ein prächtiges Wort: Er muß auf's Land! –

Er lachte und küßte entzückt Frau von Grießfeld die Hände.

Der Fall des eben noch so hoch gepriesenen jungen Mannes war entschieden. Er hatte, wie ein hoher Vorgesetzter behauptete, gespottet und unbeamtliche Gesinnungen geäußert; der andere hohe Beamte glaubte es ohne Beweis, sobald seine Eigenliebe gekränkt wurde, den Gnadenstoß aber erhielt er durch die gnädige Frau, um der Familienruhe willen.

Während dies alles beschlossen wurde, gingen die Verlobten Hand in Hand in dem leeren Saale auf und nieder. Stephanie war angeregt und zum Scherze geneigt; fast schien es, als seien die Rollen zwischen ihnen getauscht, denn nur mit größter Anstrengung erzwang Wilberg ein Lächeln, das in der Unruhe seines Herzens jeden Augenblick Schiffbruch zu leiden drohte. Anna hatte kein Wort mehr mit ihm gewechselt, aber sie hatte neun Mal ihren Zeigefinger langsam aufgehoben und wieder fallen lassen, indem sie ihrem Nachbar weiter mittheilte, wie sie den Freund heute noch aufsuchen wolle.

War dieß nun ein Zeichen für die Stunde? Sollte er sie um neun Uhr erwarten? – Wo? an welcher Stelle? – Er wußte es nicht.

Als der Kapitain so rauh und schonungslos gegen seinen Widersacher stritt, herrschte eine allgemeine Stille; es war unmöglich, eine Frage an Anna zu richten, die mit der lebhaftesten Theilnahme ihre glänzenden Blicke auf den Vater richtete und seine Worte mit einem beifälligen leisen Nicken ihres Kopfes begleitete.

Mein tapferer Vater! sagte sie, als der Geheimrath ausgelacht wurde, er ist immer derselbe unbeugsame Kämpfer für das Recht – Finden Sie das nicht? Sagt er nicht, was wohl nie ein Mensch diesen Larven gesagt hat? Und sieht er nicht aus wie ein Streiter Gottes, so stolz, schön und gewaltig!

Gustav, an den sie diese Worte richtete, fühlte den Verstoß gegen die Formen der Gesellschaft, obwohl auch er sich heimlich ergötzte. Er lächelte ihr zu mit dem Ausdruck der Beistimmung, und doch mit der Zurückhaltung, in der die abweichende Meinung sich erkennen läßt.

Wo die Luft schwül ist, thun Gewitterschläge am besten, rief die junge Dame mit ihrer spöttischen Schalkhaftigkeit, und hier ist es zum Ersticken; aber dem Mohren ist die Tropensonne fühl; man kann in der Hölle lustig sein, wenn man nur an Schwefel gewöhnt ist.

In dem Augenblick erhob sich die Gesellschaft, und unter dem Lärm der Stühle und Menschen flüsterte Wilberg eilig:

Theuerste Anna, haben Sie mir denn gar nichts mehr zu sagen?

Petrus! Petrus! erwiederte sie eben so leise, indem sie sich verbeugte und den Finger ein wenig aufhob, ehe die Uhr schlägt, wirst du mich verrathen!

Und jetzt, wo er mit Stephaniens Händen spielte und ihre Finger an feine Lippen zog, murmelte er leise jene Worte.

Das war eine fatale langweilige Gesellschaft, rief die Braut, und eigentlich sollte ich zürnen. Statt allen Spöttern zum Trotz nicht von meiner Seite zu weichen, erobert der junge Herr eine schöne Tischnachbarin im Sturm; aber Du bist angeführt worden.

Angeführt? wie soll ich das verstehen.

Das Fräulein vom Lande ist so ungezogen wie ihr Vater, fuhr Stephanie fort. Ich habe es wohl gesehen, wie oft Du Dich bemühtest, galant zu sein, und wie sie eben so oft Dich mit ihrem seltsamen einbohrenden Lachen abfertigte.

Sie hat prachtvolle Augen, sagte Wilberg.

Im Ernst, rief Stephanie, findest Du diese Augen schön?

Schön? erwiederte er, nein, aber anziehend.

Also geistreich. – Nennst Du diese lebhafte Geschwätzigkeit wirklich geistreich?

Nein, das will ich nicht sagen, aber sie weiß damit anzuregen.

Hat sie Dich denn so sehr angeregt, mein armer Gustav, lachte Stephanie ihn betrachtend und die Hand an sein Kinn legend. Du kommst nicht los, ich muß wissen, wie es mit Deinem Geschmack steht. Aufrichtig und parole d'honneur, findest Du dies auffällige Wesen liebenswerth?

Liebenswerth? ich kenne sie ja nicht.

Aber wie Du sie kennst, so weit Du sie kennst.

Dann muß ich sagen: nein!

In diesem Augenblick schlug die Gemäldeuhr an der Wand mit sonoren Schlägen die sechste Stunde, und mit einem leichten Zucken zog Gustav den Kopf zurück. Es ist eine wilde Pflanze, sagte er, in voller Freiheit aufgewachsen, ungehegt und von keinem Gärtner gezogen. Sie weiß nichts von den Formen der höheren Gesellschaft und vernachlässigt sie, darum paßt sie nicht in gesellige Kreise, wo Worte und Gedanken abgewogen werden.

Sie muß auf's Land! rief Stephanie, dort mag sie weiter gedeihen. Ich hoffe, sie wird Dich nicht mehr langweilen; also fort mit ihr!

Du bist, wie ich denke, besser gefahren, erwiederte Gustav lächelnd.

Wenigstens ist es bei uns nicht ganz so schweigsam hergegangen, sagte sie erröthend.

Und vertraulich, wie es mir vorkam, fuhr er fort.

Du hast scharf gesehen, lächelte die Braut.

Ich sah, wie der Herr Assessor, mein schwarzer Widersacher, den Arm auf die Lehne Deines Stuhls stützte und, zu Deinem Ohre geneigt, Dir etwas zuflüsterte. Was war es?

Ja wenn Du es wüßtest!

Ein jäher Zorn zuckte durch seine Brust.

Er sprach von mir? Oder vielleicht von sich selbst; von den Wirkungen seines Briefes, zu dessen Träger er mich gemacht.

In Stephaniens Augen schimmerte die Freude über diese Erregtheit und zugleich Besorgniß.

Ich habe gehört, sagte sie, daß Männer, die sich nicht völlig verstehen, am besten thun, sich ganz zu meiden. – Meide ihn, lieber Gustav.

Er haßt mich, ich weiß es, sagte Wilberg, und in seinen Blicken brannte der Haß.

Wer wird so weit gehen, erwiederte sie; aber ich weiß nicht, wie ich es nennen soll: er fragte seltsam hin und her, bis zuletzt, als er die Hand auf meinen Stuhl legte –

Nun, zuletzt?

Er fragte mich etwas, – ich darf es Dir wohl nicht sagen – sie lächelte. Er sprach über die Unbeständigkeit der Neigungen, über den Leichtsinn, mit dem Ehen ohne wahre Liebe geschlossen würden.

Unverschämt! rief Gustav, mit dem Fuße stampfend.

Wie kannst Du so böse sein! sagte sie ängstlich.

Ja, Du hast Recht, erwiederte er erheitert, es ist Thorheit; was geht mich dieser Assessor, was geben mich seine Abhandlungen an! Mag er sie halten, wenn er will, und mag er sich trösten, wie er kann. – Wir wollen ihn Beide meiden! fuhr er dann lachend fort, indem er die Braut zum vertrauten Platz in die Nähe des Fensters führte; ich hätte auch gar nichts dagegen, wenn er mir nie wieder in den Weg träte, wenigstens will ich nicht mehr an ihn denken, sondern nur an Dich.

 

Aber dieser Wunsch, so natürlich er war, konnte doch nicht so leicht erfüllt werden; die Stunden liefen rasch vorüber in Scherz und Geplauder; die Geheimräthin saß am Spieltisch, die Verlobten waren zwanglos sich überlassen, und doch blickte Gustav von Zeit zu Zeit bedenklich nach der Uhr, die sich nicht aufhalten ließ. Seine Gedanken hefteten sich an den Zeiger, und während Stephanie die Kosten der Unterhaltung trug, schwebte eine Andere vor seinen Blicken. Er sann über den Vorwand nach, um zu gehen, und konnte den rechten nicht finden; plötzlich hob die Uhr aus und schlug neun Mal; erschrocken stand er auf.

Du willst fort? fragte Stephanie verwundert.

Ich muß, ich habe es einem Freunde versprochen. Aber, sagte er tröstend, ich lasse meine Mutter zum Pfande und kehre bald zurück.

Ich lasse Dich nicht, rief sie, ihn festhaltend.

Es entstand ein Streit unter Lachen und Betheuerungen, der mit Verstimmung endete.

Wenn meine Wünsche nichts gegen den Freund vermögen, sagte Stephanie, so muß ich mich bescheiden.

Ich komme wieder in einer Viertel-, in einer halben Stunde! mit diesen Worten eilte er fort.

Stephanie konnte nichts thun, als ihn bei der Gesellschaft entschuldigen, die hin und her rieth, wem das späte Stelldichein gelte und die mißmuthige Braut nur noch mehr verstimmte.

 

Während dessen eilte Wilberg rasch davon. Der Mond schien hell und schied die schweren Schatten der Häuser scharf von den glänzenden Lichtseiten auf den Straßen, wo es still und kalt war. Nur dann und wann kamen Menschen, deren Gestalt und Ansehen die Aufmerksamkeit des jungen Herrn erregten, denn immer glaubte er, daß er Anna oder den Kapitän oder Beide auf seinem Wege finden müsse, aber es war nicht so; er sah sich stets von Neuem getäuscht. Langsamer weiter gebend, bog er Ecke um Ecke, und befand sich endlich nahe an seinem Hause, ohne eine Spur entdeckt zu haben.

Es ist doch ärgerlich, murmelte er; es ist dringend nöthig, daß ich sie finde. Diese ängstliche Sorge muß aufhören, ich muß frei athmen können; denn ich komme mir vor wie ein Verbrecher, der des Urtheils harrt, das jeden Tag das Richtbeil auf ihn fallen lassen kann.

Er blieb stehen, sah sich nach allen Seiten um und bemerkte nichts.

Bei Gott! rief er, dies Warten, bis es dem Zufall gefällig ist, die Wahrheit an den Tag zu bringen, ist schlimmer, als ein offenes Hintreten und die Folgen erwarten. Wenn es sich jetzt nicht lösen läßt, wenn meine Freunde von der Grenze mich vergebens warten lassen, habe ich die größte Lust, mich selbst zu melden und diesem unheimlichen Gespenst zu sagen: Da bin ich, ich that es; so war es, nun entscheide.

In dem Augenblick trat aus der dunklen Seite der Straße ein Mann, der quer darüber fortschreitend an dem Wartenden hart hinstreifte, welcher ihn aufmerksam betrachtete. – Der mächtige Körper des Fremden war in einen gelblichen Mantel gehüllt; unter dem breitgekrämpten Hute blickten ein paar feurige Augen; er sah aus wie Einer, der nichts Gutes im Sinne hat und seine Gelegenheit absehen will. Unwillkürlich trat Wilberg einen Schritt zurück, als er den Mann stehen bleiben und sich zu ihm umwenden sah.

Was wollen Sie? fragte er im festen Tone.

Ich sollte denken, erwiederte der Andere, daß wir uns früher schon gesehen hätten.

– Gesehen? Wo?

In einer Nacht, wo es schlimmer herging als heute, rief der Mann roh auflachend. – Meinen Sie nicht, Herr? Da unten im Kreuzbruch war's heiß genug.

Jetzt kenne ich Euch, sagte Wilberg. – Sanders. Heißt Ihr nicht so?

Ja wohl, Herr! Sanders, mit Gottes Hülfe.

Und wo ist der Kapitain, wo seine Tochter? Ihr bringt mir Nachricht; wo sind sie?

Ich weiß es nicht, nicht ein Wort.

Nicht? – Gut, aber weßwegen seit Ihr hier?

Der Schmuggler streckte seine Hand aus und legte sie auf Gustav's Schulter.

Halten Sie still, Herr, ich thue Ihnen nichts, sagte er laut. – Ich habe nur versprochen, zu sehen, ob Sie der Rechte sind, weiter geht mich der Handel nichts an.

Welcher Handel? Was soll das? rief der junge Mann, die Hand ungestüm fortschleudernd.

Hier kommt der, den Sie fragen müssen!

Zwei Herren traten rasch heran. –

Ich glaube, sagte der Vorderste, die Frage ist überflüssig. Sie kennen mich?

Herr von Baben! rief Wilberg bestürzt.

Und dieser Herr wird Ihnen nicht weniger bekannt sein. Es ist der Freund meines unglücklichen Vaters, der Major von Grießfeld: – Sie überzeugen sich?

– Vollkommen.

Ich denke, Herr Wilberg, daß Sie in diesem Augenblicke auch eben so vollkommen unterrichtet sind, um was es sich handelt, und daß Sie uns erlauben, mit Ihnen in Ihre Wohnung zu treten, um uns eine Unterredung zu gewähren.

Mit Vergnügen. Ich bin dazu bereit.

Schlechtes Vergnügen! brummte der Onkel Tobias.

Sanders, sagte Baben, Du bleibst hier im Flur und erwartest uns. – Gib das Kästchen her.

Der Schmuggler reichte ihm ein flaches, polirtes Etui. Wilberg öffnete die Thür. Wenn es Ihnen gefällig ist, sagte er.

Die Herren stiegen die Treppe hinauf. Der Schmuggler schlug die Thür zu, besah das Schloß und versicherte sich, daß er es leicht öffnen konnte. Dann lehnte er seinen riesenhaften Körper an den Eingang, kreuzte die Arme und lachte wild auf, als er oben die letzten Tritte verhallen hörte.



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