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Kapitel III.

Wir finden den jungen Wilberg nach einigen Wochen in der Hauptstadt wieder, und zwar als einen ganz andern Mann. Der Staubkittel und die Reisetasche sind in irgend eine Kiste der Polterkammer geworfen worden, die Anstrengungen jener abentheuerlichen Nachtfahrt sind vergessen, die Erinnerungen daran wenigstens abgestumpft. Der elegante Gesellschaftsanzug, in welchem wir ihn erblicken, paßt zu der eleganten Wohnung, und durch die geöffneten Flügelthüren erkennt man, daß einige Nebenzimmer nicht weniger stattlich ausgeschmückt sind. –

Gustav wohnte seit seiner Rückkehr im Hause seiner Mutter, das zwar in keiner der Hauptstraßen gelegen, doch eben so bequem wie stattlich war. Sein Vater hatte es bauen und einrichten lassen, ganz für sich. Nachdem er gestorben war, konnte die Geheimräthin Wilberg sich nur schwer entschließen, das obere Stockwerk zu vermiethen, endlich fand sich ein alter Herr, das Musterbild der Pünktlichkeit eines Junggesellen, der funfzehn Jahre lang unhörbar und fast unsichtbar die große Wohnung inne hatte, aber in Wahrheit nur ein ganz kleines Zimmer benutzte.

In dem Augenblick, wo wir den Faden unserer Mittheilungen aufnehmen, ward ein wichtiges Gespräch zwischen Mutter und Sohn geführt. Die Geheimräthin saß auf dem rothdamascirten Sopha, und in der schlanken, noch immer schönen Frau hätte man schwerlich die Mutter eines sechsundzwanzigjährigen Sohnes erkennen sollen. Die feinen Züge ihres Gesichts hatten im Zwange des Gesellschaftslebens einen bestimmten Ausdruck erhalten; sie wußte jeden Augenblick, wie sie aussah, und was sie that. Ein berechnender Verstand lag in ihrer breiten Stirne, und während ihres langen Witwenstandes hatte die Gewohnheit der Selbständigkeit und der damit verbundenen unbehinderten Ausführung ihres Willens ihr jenen Zug von Entschiedenheit aufgeprägt, der leicht als Hochmuth erscheinen kann.

Gustav saß ihr gegenüber auf einem der Polsterstühle, und hörte schweigend ihre Auseinandersetzungen, indem er seine Hände betrachtete und zerstreut sein Haar um die Finger rollte.

Ich hoffe, Du bist mit meinen Einrichtungen zufrieden, sagte die Mutter, und im Reinen mit Dir und dem, was Du willst.

Aber glaubst Du, erwiederte der Sohn aufblickend und stockend, glaubst Du, daß Stephanie –

Sei überzeugt, rief die Geheimräthin, Du wirst keinen Widerstand finden; der Weg ist Dir geebnet durch meine Vorbereitungen

Eine Wolke des Verdrusses flog über die Stirn des jungen Mannes, und eine leichte Röthe färbte sein Gesicht. –

Wir Mütter, fuhr die Dame scherzend fort, haben die Passion, schon für die glückliche Zukunft unsrer Kinder zu sorgen, wenn diese noch in der Wiege liegen; wir verloben und verheirathen die Ungebornen. Doch um auf Dich zurückzukehren, so ist wenigstens so viel wahr, daß vor zehn oder zwölf Jahren zwischen mir und Stephaniens Mutter allerlei Verabredungen getroffen wurden, aus Euch ein Pärchen zu machen. – Deine Courmacherei hat später den Scherz genährt und den Beziehungen ein gewisses Gewicht gegeben.

Aber es gingen Jahre hin, wo ich entfernt war, nichts hörte und nichts sah, und an keine Liebelei dachte, fiel Gustav ein.

Du bliebst bei alledem unvergessen, erwiederte die Dame. Du erhieltest Grüße wenigstens durch mich, und ich bestellte Grüße, wenn Deine Briefe sie auch nicht aussprachen. Glaube mir, ein Mädchen, der man auch nur lachend sagt: Der soll einmal Dein Mann werden! wird das mit von einem magischen Bande umwunden, das sie zwingt, ihren Empfindungen eine gewisse Richtung zu geben. So ist es auch Stephanien gegangen; sie ist daran gewöhnt worden, an Dich mit dem Gefühl zu denken: Der ist es!

Armes Mädchen! murmelte Gustav leise in seine Hand.

Dann die Mutter, fuhr die Geheimräthin fort. Sie ist meine aufrichtige Freundin; aber im Grunde ihres Herzens hochmüthig, wie die ganze Familie. Daß einer ihrer Vorfahren, ich weiß nicht welcher, zur Zeit des alten Fritz, oder noch früher, Minister gewesen ist, liegt ihr wie ein Alp auf dem Verstand. Indeß die Seiten haben sich geändert; die alten Familiennamen thuen es nicht länger. Grießfelds Vermögen ist nicht allzubedeutend, und ihre Verwandten haben meist nicht viel mehr, als ihre Degen; so steht es ja heut überhaupt mit dem Adel. – Der Director ist übrigens ein durchaus ehrenwerther Mann, aber ein eingefleischter Büreaukrat, der zehnmal mehr auf seine Mitgliedschaft im Staatsrath gibt, als auf alle Geburtsaristokratie.

Aber Stephanie, Mamma, sagte Gustav unterbrechend, ist Stephaniens Herz denn mein?

Das ist eine Welt, erwiederte die Geheimräthin, die Du selbst entdecken und erobern mußt, mein Sohn, und ich wundre mich –

Daß ich Dich darüber frage, rief der junge Mann erregt. Ja freilich das ist zu verwundern, aber ich weiß nicht, was ich glauben soll. – Stephanie ist freundlich, aber schüchtern, zurückhaltend, ängstlich. Je mehr ich mich bemühe mich ihr zu nähern, um so stärker sehe ich sie erschrecken. Wie kann ich glauben, Mamma, daß ich geliebt bin!

Du armes Kind! lachte die Geheimräthin, indem sie mit dem überlegenen Gefühl der Lebenserfahrung, und mit der spöttischen Freude einen so unwissenden Schüler in Amors großem Reiche vor sich zu haben, das Haar von der Stirne ihres Sohnes strich, ich sehe in allen diesen Zeichen nur Glück, wo Du Unglück siehst. Glaubst Du denn, ein Mädchen könnte ihren Bestimmten anblicken, ohne eine gewisse Schüchternheit, ein Erröthen, ein Verstummen, ein Zittern zu empfinden? Mein Freund, das sind die Kennzeichen geheimer Herzensregungen, es ist die flüsternde Stimme der Gedankenthätigkeit, welche einen Strom dunkler Ahnungen gegen die Mauer eines unbekannten Jenseit schleudert, das jedes Mädchen sich in tausend Träumen ausmalt. –

O! Mamma, rief der junge Mann, Du magst nur zu Recht haben, daß es so ist, wenn ein Mädchen den Bestimmten erwartet, aber anders ist es, wenn sie den Geliebten empfängt. – Blitzen da nicht seelenvoll ihre Augen, erweitern sich nicht die Himmelssterne in ihrer Brust, ist der Geliebte es nicht, der eine Welt voll Seeligkeit und nie empfundenem Glück ihr öffnet, und bringt dies Glück nicht ein neues Leben über sie, das keine Sprache schildern kann, das aber so verständlich ist, wie keine?!

Sieh da, Du bist plötzlich ein Poet geworden, fiel die Dame belustigt ein, als hättest Du einmal dies seelenvolle Liebesglück gekostet. Eine Studentenliebe hat der junge Herr angefangen, gestehen's ein. Ein hübsches Professortöchterchen oder eine abentheuerliche, verlassene Schöne; wer es war, die Dein armes Herz zuerst in Flammen setzte?

Eine dunkle Röthe überzog Gustavs Gesicht.

Liebe Mutter, sagte er mit gezwungenem Laden, ich würde Dir ein Bekenntniß ablegen, wenn ich eins zu machen hätte, allein was ich aussprach, waren Gefühle, die ich ungern verspotten lasse.

O! ich will Dich nicht verspotten, erwiederte die Geheimräthin, ich will Dich nur vernünftig machen und von Schwärmereien abhalten. Liebe, mein Freund, ist das unendliche Thema des Lebens, das von jedem Menschen componirt wird, je nachdem er es begreift. Für den Einen ist es ein Schwindel des Herzens, für den Andern eine Aufgabe des Verstandes. Du gehörst nicht zu denen, die eine Leidenschaft daraus machen, welche zur Raserei werden kann; Du wirst, wie ich Dich zu kennen glaube, Dein Herz so wenig, wie Deine Hand, das heißt Deine irdische Zukunft, leichtsinnig an das erste beste hübsche Gesicht, oder an ein paar strahlende Augen verschleudern, sondern bedenken, daß es deren viele auf Erden gibt. Die Narrheit der Liebe besteht eben darin, daß der Verliebte glaubt, es gibt nur Eine, die ihn beglücken kann und deren Besitz er erringen muß, möge das Weltall in Trümmer geben. – Nimm aber mein eigenes Beispiel. Ich habe Deinen Vater geheirathet mit achtzehn Jahren, weil meine Mutter sagte, es sei eine gute passende Parthie. Dein Vater war gerade noch einmal so alt, wie ich, schön hat man ihn nie genannt, eben so wenig war er besonders geistreich; allein wir haben eine glückliche Ehe geführt; ich habe ihn schätzen und lieben gelernt, und mich nie wieder verheirathet, wie manche Anträge mir auch gemacht wurden.

Du räthst mir Dein Beispiel an, sagte Gustav, aber der Fall ist nicht gleich. Du sagtest: ja, als mein Vater kam, und ließest Dich nicht zwingen, allein Stephanie –

Sie wird auch ja sagen und nicht dazu gezwungen werden, Du sonderbarer Mensch, rief die Mutter. – Wer flüstert Dir diese Zweifel ins Ohr? Deine Muthlosigkeit. Wage einen herzhaften Angriff, erkläre Dich, stürme die Festung, und sie wird sich Dir auf Gnade und Ungnade ergeben. Du bist wie Romeo: ein Narr des Glücks! aber in ganz anderer Bedeutung. Du willst Gewißheit haben, die Dir fehlt, und hast doch den Muth nicht, sie Dir zu verschaffen. Auf denn! Herr Zweifler. Heut noch findet sich die Gelegenheit, nimm sie wahr, und wir feiern in den nächsten Tagen Deine Verlobung.

Schweigen wir aber jetzt davon, fuhr die Geheimräthin fort, als ihr Sohn mit einem leisen Kopfschütteln antwortete, ich höre unsern ehrenwerthen Freund und Hausgenossen, den würdigen Herrn Frese, über unsern Köpfen umher spazieren, was das sichere Zeichen ist, daß er in einigen Minuten hier erscheinen wird, um mir seine Verehrung zu bezeigen.

Ich begreife nicht, erwiederte Gustav, wie Du mit dem unerträglichen alten Menschen Dich einlassen kannst.

Siehst Du, so verschieden ist der Geschmack, erwiederte die Mutter. Ich plaudere und ergötze mich mit ihm, höre tausend unnütze Klatschgeschichten, aber auch manches Nützliche, denn in seiner Art hat er auch Verstand, und sein ungeschlachtes Wesen ist possirlich. Endlich zahlt er pünktlich seine Miethe, belästigt mich nicht trotz aller seiner Schrullen und zeigt mir höchstens alle Tage durch ein Gepolter an, daß er mir die Ehre seines Besuche verschaffen will. – Es wird mir leid thun, wenn er auszieht, allein Du mußt mit Deiner jungen Frau hier wohnen. Sei freundlich zu ihm, Gustav, um so mehr, da er uns eigentlich einen schlimmen Streich spielen kann, denn wenn er will, hat er nicht nöthig, seine Wohnung zu verlassen. In einem Anfall von Unbesonnenheit habe ich sie ihm contractlich auf Lebenszeit zugesichert.

Im schlimmsten Fall mag er wohnen bleiben, murmelte der junge Mann vor sich hin.

Das soll er gewiß nicht, rief die Geheimräthin. Geizig und immer ärgerlich auf Steuern und Abgaben, wollte er das Stempelpapier nicht bei den Contractserneuerungen bezahlen, und schlug mir darum vor, einen auf Lebenszeit zu machen. Er wird sich jedoch fügen, wenn wir ihn nicht erzürnen, sei darum so höflich wie möglich.

Ich habe gar nichts mit ihm zu thun, sagte Gustav, und verlange einzig nur, daß er mich nicht belästigt.

Bei diesen Worten klopfte es an der Thür, und herein trat der Miether des oberen Stockwerks.

Es war ein alter ziemlich großer Mann, von starkem Körperbau und röthlichem vollen Gesicht, das einen schlauen und gemeinen Ausdruck hatte. Sein dünnes und grauweißes Haar war von der hohen Stirn nach hinten gekämmt, während es an den Ohren fast senkrecht in die Höhe strebte, was einen ganz eigenthümlichen Eindruck machte. Lebhafte, hellblaue und fast runde Augen blitzten unter gerötheten Augenlidern hervor, und die herabhängenden schlaffen Backen paßten vortrefflich zu seinen genußsüchtigen breiten Lippen. Eine weiße Halsbinde und eine gewisse Sauberkeit seines einfachen Anzugs verriethen den alten Hagestolz, der mit kokett erzwungener Jugendlichkeit seinen Körper zu tragen und die Jahre um ihr Recht zu betrügen suchte.

Nach den ersten Begrüßungen, die Herr Frese mit einigen steifgelenkigen Verbeugungen begleitete, indem er zugleich der Dame des Hauses die Hand küßte, zog er ein Pack Zeitungen aus der Tasche und sagte mit einem süßen Grinsen:

Ich bringe Ihnen die Zeitungen, Frau Nachbarin, damit Sie Ihre Morgenandacht halten können.

Pfui, Herr Frese, erwiederte die Geheimräthin schelmisch. Sie sind ein Spötter.

Bitte recht sehr, rief Herr Frese heftig lachend, ich bin so ein ehrlicher Deutscher, der mit der Wahrheit nicht hinterm Berge hält. – Beten Sie etwa des Morgens, wie es in der guten alten Zeit jeder Christenmensch ganz von selbst that, und den ganzen Tag unruhig gewesen wäre, wenn er es einmal vergessen hätte? Nein, Frau Nachbarin, Sie beten nicht, nicht einmal in die Kirche gehen Sie des Sonntags, obwohl Sie dort eigentlich in der größten Gesellschaft wären, und die lieben Sie ja, wie ich weiß, ganz über die Maßen. Und nun gar der junge Herr hier, unser Doctor der Weltweisheit, fuhr er fort. Ja, diese jungen Leute! Sie glauben nur noch an sich selbst, von Beten aber ist so wenig bei ihnen die Rede, wie von Bescheidenheit und Arbeitsluft.

Gustav, warf dem alten Herrn einen Blick der Verachtung zu und legte sich in den Sessel zurück, indem er unmuthig das Gesicht nach dem Fenster kehrte.

Aber, Herr Nachbar, sagte die Geheimräthin, Sie machen uns beiden da hübsche Complimente.

O, wie so? sagte Herr Frese. Ich bin so ein ehrlicher Deutscher, der den Mund nicht halten kann. Bitte tausend Mal um Verzeihung; aber sehen Sie den Lauf der Dinge an, wird es nicht alle Tage ärger?

Das kommt wahrscheinlich daher, weil Sie nicht die Welt regieren, lachte die Dame.

Weil ich nicht die Welt regiere? rief Herr Frese in die Hände klatschend, das ist ein kostbarer Einfall! Aber wenn ich die Ehre hätte, die Welt zu regieren, ich wollte eine andre Ordnung halten. – Die alte Sitte und Zucht brächte ich ihr wieder bei, und die alte Ehrfurcht. Sehen Sie, Frau Nachbarin, das ist die Sache. Sonst war Respect in den Menschen, jetzt haben sie vor nichts Achtung mehr; jeder Hans Narr denkt, er sei so viel als der Andere, und noch ärger: das Bettelgesindel glaubt ein Recht zu haben, mit denen zu theilen, die etwas besitzen. Das nennen sie soziale Frage! schrie er lachend, und zerbrechen sich die Köpfe, wie die Theilung am besten vor sich geben kann.

Darum ist es besser, sagte Gustav sich zu ihm wendend, man gibt freiwillig, was man zu geben vermag.

Geben! erwiederte Herr Frese, wie so geben? – Wir geben ja wahrhaftig so viel, daß es eine wahre Schande ist.

Haben Sie Kinder? fragte der junge Mann.

Kinder? – Ich! – Was wollen Sie damit sagen? fragte der alte Herr gereizt.

Ach, verzeihen Sie, ich hatte vergessen, daß Sie noch niemals vermählt waren, fuhr Gustav mit einem spöttischen Anflug fort; aber haben Sie keine Verwandten?

Verwandte? Was soll ich mit Verwandten thun? rief der alte Herr, verwundert den Kopf schüttelnd.

Es ist wahr, sagte die Geheimräthin, ich habe noch nie von Ihren Verwandten etwas gehört.

Ich habe auch keine, versetzte Herr Frese, und danke dem Himmel dafür; denn Verwandte sind gewöhnlich Ungeziefer, die uns bei lebendigem Leibe verzehren möchten.

Nun sagen Sie mir, fuhr Gustav fort, was wollen Sie mit Ihrem vielen Gelde machen?

Mit meinem vielen Gelde? fragte der alte Herr, die Stirne faltend. Woher wissen Sie denn, daß ich vieles Geld besitze?

Ich weiß es allerdings nicht, aber ein Mann, wie Sie, der dreißig oder vierzig Jahre lang mit Häusern und Gütern speculirt, und sich dann zurückgezogen hat –

Dreißig, vierzig Jahre! schrie Herr Frese mit schallendem Gelächter. Vor vierzig Jahren lag ich fast noch in der Wiege, mein weiser Herr Doctor, und ich sollte denken – er warf einen Seitenblick in den Spiegel daß ein solcher Irrthum nicht gut zu machen wäre.

Ich bitte um Entschuldigung, sagte der junge Mann, dem es Vergnügen machte, den alten Herrn zu peinigen, ich erzähle nur, was ich gehört habe. – Der alte Herr Frese, sagt man, ist reich, sehr reich!

Die Elenden! Der alte Herr Frese! Es ist lächerlich.

Der alte Herr Frese hat Schätze zusammen gescharrt, fuhr Gustav fort, und hat keine Erben. Was wird er mit seinem Gelde machen?

Was ihm beliebt! schrie der alte Herr dazwischen.

Es wird ein herrenloses Gut werden, wenn er es nicht den Armen vermacht, den Darbenden und Leidenden, und darum sollte er schon bei Lebzeiten den Anfang machen, und seine milde Hand aufthun gegen seine einstigen Erben.

Die Bettler, die Vagabonden, die Taugenichtse! rief Herr Frese. Oh! ich kenne das, ich bekomme Bettelbriefe genug, und in früherer Zeit – O, ja wohl, haben andre Leute mir auch dergleichen dummes Zeug gesagt.

Was wollen Sie aber machen, wenn der Tod allen Besitz beendet?

Bleiben Sie mir mit dem Tod vom Halse, sagte der alte Herr, ich habe noch lange Zeit das zu überlegen.

Immerhin, allein darum bleibt es doch wahr, daß, was der Erde angehört, hier zurückbleiben muß und Andern zufällt, und eben deßwegen ist irdisches Gut und Geld ein Besitz, den man mit Weisheit gebrauchen und verwenden soll, um das Unrecht auszugleichen, unter dem die menschliche Gesellschaft leidet.

Schnickschnack! rief Herr Frese. Sie sprechen grade so wie die Weltverbesserer, die mir immer unausstehlich gewesen. Solchem Unsinn verdankt man alle die Unruhen und Empörungen gegen Gesetz und Obrigkeit, die jetzt Mode sind. – Erwirb dir was, so hast du was, und hungere, wenn du nicht fleißig bist! Das ist ein altes gutes Sprichwort. Dabei war Zucht und Ordnung, die Obrigkeit hielt das Volk zum Gehorsam an und war nicht so zärtlich mit Strafen wie heut zu Tage, wo Alles gesetzlich hergehen soll und die Ungesetzlichkeit immer größer wird. – Lesen Sie nur heut die Zeitungen, fuhr er fort, es steht wieder eine gräuliche Geschichte darin, an der man sehen kann, wie weit die Frechheit geht.

Was ist es für eine Geschichte, Herr Frese? fragte die Geheimräthin.

Eine schreckliche Begebenheit von der Grenze, sagte der alte Herr. Die Obrigkeit legt Zölle auf die Waaren, was sehr weise von ihr ist, denn, wenn sie das nicht thäte, müßte das Geld von uns aufgebracht werden.

Und Sie bezahlen nicht gern Steuern und Abgaben, rief die Dame lachend.

Ich sehe nicht ein, warum ich Abgaben bezahlen soll, erwiederte Herr Frese; allein das rohe Volk an der Grenze betrügt die Obrigkeit, läuft des Nachts mit großen Packen ins Land hinein und schlägt die Grenzwächter todt, wenn diese ihnen das Handwerk legen wollen. – So ist es denn neulich erst einem Steuerinspector gegangen, der eine solche Bande anhalten wollte. Hier steht's, sehen Sie da, es ist eine große Untersuchung angestellt, in welche Personen von Ansehen in der Gegend verwickelt sind.

Kennt man denn die Thäter? fragte die Geheimräthin.

Lesen Sie es vor, Herr Doctor, sagte Frese; Sie sehen ja ganz erschüttert aus von dem Unglück. – Sehen Sie, das entspringt aus Ihren Thorheiten.

Wer sagt Ihnen, daß ich, daß meine Thorheiten etwas damit zu schaffen haben? rief der junge Mann, indem er sich aufrichtete und eine dunkle Röthe sein Gesicht überzog.

Herr Frese war bestürzt über diese unerwartete Heftigkeit.

Nun, nun! sagte er, ich bin so ein alter ehrlicher Deutscher, der die Wahrheit nicht verschweigen kann, aber die modernen Grundsätze über das Mein und Dein, über Recht und Macht der Obrigkeit bringen Mord und Todtschlag hervor.

Aber, Gustav! rief die Mutter mißbilligend, Herr Frese hat Dich ja nicht beleidigen wollen.

Nein, gewiß nicht, erwiederte Gustav, ich kenne unsern Nachbar und nehme ihm so leicht nichts übel, aber diese Geschichte – es ist eine gewöhnliche Schmuggelgeschichte, fuhr er fort, wie sie tausendmal vorkommen. Grenzbeamte verfolgen einen Wagen –

Ein Kabriolet, sagte Herr Frese.

Schüsse fallen, das Pferd des Grenzbeamten scheut, bäumt sich, schlägt über und verlegt den Zollinspector so, daß er daran gestorben ist. Er warf das Zeitungsblatt auf den Tisch.

Die Geheimräthin ergriff es und las den Artikel, während Herr Frese nachdenkend den Finger an seine Nase legte und langsam sagte: Es ist schrecklich, daß selbst würdige Männer von Ansehen durch solche Bösewichte umkommen können.

Hoffentlich werden sie dem Richter nicht entgehen, fiel die Geheimräthin ein.

Gustav wendete sich rasch um; es war ihm unmöglich, seine Mutter anzusehen. So blieb er am Fenster stehen, während der alte Herr mit Eifer auseinander setzte, wie dergleichen heillose Buben jetzt gar nicht mehr gerechtermaßen gezüchtigt würden, wie früher, und statt gehörig gepeinigt und dann vom Leben zum Tode gebracht zu werden, gewöhnlich begnadigt würden.

Sonst gab's alle Augenblicke einen armen Sünder oder einen Kerl, der Spießruthen laufen mußte, rief er bedauerlich, und das Volk nahm ein Beispiel daran und prägte sich die gute Lehre ein; jetzt laufen sie in die Komödie, um Einen verurtheilen zu sehen, und wollen die Todesstrafe ganz abschaffen. Es ist unerhört, wie weit es mit uns kommt! Kein Mensch wird seines Lebens mehr sicher sein, und was wird denn dem Mörder im Kabriolet geschehen, wenn sie ihn haben? Ein paar Jahre ins Zuchthaus, das ist die ganze Herrlichkeit, damit kommt er davon, wenn er pfiffig ist.

Du willst uns verlassen? fragte die Geheimräthin, als sie ihren Sohn nach der Thüre gehen sah.

Ich werde wieder kommen, erwiederte dieser spottend, wenn der arme Sünder gefangen und gehangen ist.

Herr Frese legte sich in den Lehnstuhl zurück und schien sich herzlich über den Unmuth des jungen Mannes zu ergötzen. –

Es thut mir sehr leid, sagte er, und man sah es ihm an, daß es gelogen war – daß ich den Herrn Doctor zum Davonlaufen bringe.

Er hält nie lange aus, versetzte die Mutter.

Er ist, wie alle junge Leute jetzt sind: flatterhaftig, unbeständig und eigensinnig, sagte der alte Herr, indem er selbstgefällig nickte.

Meinen Sie? fragte die Dame.

Ganz gewiß. Er poltert bis spät in die Nacht umher, kommt unregelmäßig nach Haus, hat zuweilen Licht im Zimmer bis zum Morgen und schläft dafür bis in den Tag hinein.

Sie beobachten ihn genau.

Ich ärgere mich über die unordentliche Lebensweise, sagte der alte Herr, und habe neulich einen Schreck davon getragen, wie ich mitten in der Nacht ihn laut in seinem Zimmer sprechen hörte. Die Vorhänge waren zugezogen, ich sah ihn aber nachtwandeln und hastig hantiren.

Er studirte vielleicht.

Studirte? Gott bewahre! Wenn man studirt, sitzt man still. Ich konnte am Schatten sehen, wie er umher lief, die Hände rang, die Fäuste ausstreckte, als wollte er unter die Komödianten gehen. Anfangs glaubte ich, – nun, ich will darüber schweigen, ich bin so ein ehrlicher alter Deutscher, der allerlei Gedanken hat.

Reden Sie doch, lieber Nachbar, sagte die Geheimräthin.

Nun, ich dachte erst, es wären ihrer zwei, fuhr Herr Frese mit seinem süßesten Grinsen fort, und sicher bin ich meiner Sache noch nicht – verstehen Sie, Frau Nachbarin, zwei! –

Die Geheimräthin sah ihn erschrocken an.

Herr Frese, sagte sie, Sie werden meinem Sohn nicht zutrauen, daß

er –

Ich sage nichts, fiel der alte Herr ein, aber nicht zutrauen? O, der Tausend! Solche junge Herrn sind nicht mehr aus unsrer guten Zeit. Nicht zutrauen, Frau Nachbarin? Unsrer liebenswürdigen Jugend traut sich noch viel mehr zu.

Nein, das ist nicht wahr! sagte die Dame mit Bestimmtheit.

Ich behaupte es auch nicht, rief Herr Frese, aber ich habe mich nicht überzeugen können. Sie wissen, daß ich durch den Glascorridor auf den andern Seitenflügel und bis zu dem Zimmer des Herrn Doctors kommen kann, und da ich neugierig war; – Sie werden mir verzeihen –

Gewiß, gewiß! sagte die Dame.

So versuchte ich dahin zu kommen, allein der Corridor war von innen verriegelt. So hörte ich denn nur einzelne dumpfe Worte, die ich nicht verstehen konnte.

Die Geheimräthin lachte. Das geschah Ihnen recht für Ihre Neugier, sagte sie. Sie wollen Gustav verläumden, weil er Sie zuweilen ärgert und weil Sie ihn nicht leiden mögen.

Ich schwöre Ihnen, daß ich ihn sehr gut leiden mag, sagte Herr Frese feierlich. – Daß er mich nicht besonders gern hat, habe ich wohl bemerkt, aber daran bin ich gewöhnt. Ich stehe allein in der Welt, Sie sind meine einzige Freundin, Frau Nachbarin. Seit funfzehn Jahren beobachte ich Sie und Sie mich; alle Tage habe ich die Ehre, Sie zu sehen, nun frage ich Sie, habe ich nicht immer Ihre Zufriedenheit erworben?

Gewiß, Herr Nachbar, sagte die Geheimräthin.

Haben Sie je von mir gehört, daß ich ein leichtsinniger, unordentlicher, lasterhafter Mensch sei?

Sie sind ein Muster von Ordnung, Anstand und guter Sitte, erwiederte die Dame.

Sehen Sie wohl, rief Herr Frese, indem er seinen Stuhl näher heran schob und die Hand der hübschen Nachbarin küßte, so denke ich ebenfalls von Ihnen. Unser Freundschaftsbund wird nie enden.

Wer weiß, erwiederte sie in leichtem Tone; es könnten Veränderungen vorgehen.

Mit mir? sagte Herr Frese. Nie!

Nun denn, vielleicht mit mir.

Oh! rief der alte Herr sie anstarrend.

Was meinen Sie dazu? fragte die Geheimräthin.

Bah! sagte er boshaft sein Gesicht verzerrend, ich meine gar nichts, aber wenn Sie es durchaus wissen wollen, ich bin ein ehrlicher Deutscher: Es wäre eine ausgemachte Narrheit.

Wenn sich Gustav verheirathet? – Ich sehe darin nur ein gutes Mittel, ihn ordentlich und ruhig zu machen.

Der Herr Doctor! schrie der alte Herr plötzlich belehrt. Ja so! wahrhaftig, man wird nächstens die Kinder verheirathen.

Wünschen Sie etwa, daß er so lange warten soll, wie Sie? erwiederte die Geheimräthin lebhaft. – Sie haben sehr unrecht gethan, die Zeit verstreichen zu lassen.

Ich denke, sagte Herr Frese die Hände reibend und ernsthaft werdend, daß, wenn ich Verlangen empfände, mich zu verheirathen, es immer noch nicht zu spät sein würde. Oder meinen Sie, Frau Nachbarin, daß es damit für mich rein aus sei?

Was soll ich Ihnen darauf antworten? sagte die Dame, ihn schalkhaft anblickend.

Ueberlegen Sie, erwiederte Frese, ich will Ihnen ein aufrichtiges Bekenntniß ablegen. Ich bin zwar kein Jüngling mehr –

Aber Sie sehen seit funfzehn Jahren unverändert sich gleich, fiel die Nachbarin ein.

Gehorsamer Diener! ich bin von richtigem Schrot und Korn, nicht wie die jungen Herren von heute, deren ganze Kraft in den Kosackenbärten sitzt. – Mein Leben über habe ich haushälterisch verfahren mit Gesundheit und Geld, und darum habe ich beides behalten und gewahrt. Ja, Frau Nachbarin, man nennt mich reich und ich bin es auch, obgleich ich es nicht jedem Laffen, der danach fragt, sage. Dazu besitze ich keine Verwandten, die mich angehen, keine Kinder, keine Seele, die irgend ein Recht an mich hat.

Vortreffliche Eigenschaften! sagte die Geheimräthin.

Sie meinen also, ich könnte es noch wagen? fragte Herr Frese leise, sich zu ihr neigend.

Aber, mein Himmel! rief die Dame lachend, wie kommen wir auf dies Thema? Seit so vielen Jahren wohnen wir hier beisammen, doch nie haben Sie mir so viel Vertrauen gezeigt, nie solche Fragen vorgelegt.

Der alte Herr nahm ihre Hand und sah mit seinen runden, blauen Augen schmachtend zu ihr hin.

Anbetungswürdige Nachbarin, sagte er, der Himmel hat es so gefügt, daß ich mein Bekenntniß nicht eher machen sollte. Ich bin ein Mensch von mancherlei Eigenheiten und Seltsamkeiten. Ich kann keinen Widerspruch leiden, keine Neuerungen, keine Weiberlaunen, keine Beherrschung meines Willens. Dabei bin ich streit- und zanklustig, rechthaberisch und heftig.

Die heftigen Männer sind die besten, rief die Geheimräthin dazwischen.

Sie glauben also, daß ich mit allen meinen Fehlern doch um eine schöne Hand werben und glücklich sein könnte?

Es käme darauf an, erwiederte sie, was Sie davon erwarten. – Das Alter ist einsam und langweilig.

Sehr langweilig, sagte Herr Frese seufzend.

Man sehnt sich nach einem Wesen, das mit uns empfindet und sich mit uns freut, fuhr die Dame fort.

Das eine redselige Zunge besitzt und allerlei hübsche Einfälle hat.

Das uns pflegt, wenn wir leiden, uns tröstet, wenn wir betrübt sind.

Uns auslacht, wenn wir uns unnütz beklagen.

Das liebend für alle die kleinen Bedürfnisse des Lebens sorgt, und sorgfältig allen Verdruß von uns entfernt.

Das Wäsche und Nachtmützen in Ordnung hält und mit liebenden Händen uns gibt, was wir haben sollen, rief Herr Frese mit Pathos.

Dessen zärtliche Sorgfalt unermüdlich ist, uns den Abend des Lebens zu erheitern, sagte die Geheimräthin schmelzend.

Und Sie glauben wirklich, liebste Nachbarin, daß ich im Stande wäre, einen solchen weiblichen Engel zu bewegen?

Ich würde den Versuch machen, erwiederte sie.

Herr Frese hielt ihre Hand fest; seine Augen erweiterten sich, sie blickten sich Beide an und lächelten. – Plötzlich aber sprang der alte Herr auf und fing heftig zu lachen an.

Gott steh' mir bei! sagte er, wohin kann man gerathen! Wissen Sie, Frau Nachbarin, ich habe mein ganzes Leben über nichts mehr gehaßt, als das Heirathen. – Ich bekam Nervenzucken, wenn ich daran dachte; aber ich will's mir überlegen, will darüber nachdenken, ob ich es vertragen kann, ob's zu meiner Constitution paßt, zu Tode gepflegt zu werden.

Er sah boshaft aus wie ein Affe, als er seinen Rückzug antrat, und der Geheimräthin, die dunkelroth vor Ueberraschung und Aerger geworden war, sich empfahl. –

Wen heirathet denn der liebe Herr Doctor? fragte er an der Thür. Fräulein Stephanie, nicht wahr? Es wird eine vortreffliche Schwiegertochter sein, ganz mein Geschmack. So still, so anspruchslos, so mondscheinartig blaß und mager. Meine unterthänigsten Gratulationen!

Tausend Dank! erwiederte die Geheimräthin lachend, ich hoffe, Sie kommen morgen zur Verlobung.

Herr Frese steckte den Kopf nochmals zur Thür herein. Ich werde kommen, theuerste Frau Nachbarin, sagte er, und mich an dem Glück der beiden geliebten Kinder erbauen. Ein Vater kann nicht innigeren Antheil nehmen.

Der abscheuliche alte Narr! sagte die Geheimräthin im Zorn. Aus dem Hause soll er. Wie konnte ich auch denken, daß er im Ernst spräche; aber, fuhr sie langsam fort: Er ist alt, reich und ohne Erben, soll man das Alles aus der Hand geben?



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