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Kapitel IV.

Der junge Wilberg hatte in seiner aufgeregten Stimmung mehrere Stunden gebraucht, ehe er ruhiger überlegte, was er jetzt thun sollte, nachdem der Zufall ihm über den weiteren Verlauf seines Abentheuers an der Grenze eine unerwünschte Aufklärung verschafft hatte. – Er hatte sich mit Hoffnungen hingehalten, die nach und nach zur Gewißheit wurden, daß Alles längst abgethan und vergessen sei; jetzt aber kam mit neuen Vorwürfen die bange Besorgniß, daß sein Antheil an jenem Verbrechen, wie man es nannte, entdeckt werden könnte, und daß er, in einen Criminalprozeß gezogen, einer entehrenden Strafe anheim fiele. –

Eine entsetzliche Last sank auf sein Herz, wenn er sich vorstellte, welche Folgen das für ihn haben mußte, und lange blieben die Tröstungen, Entschuldigungen und Gegengründe vergebens, mit denen die innere Stimme ihn zu beruhigen strebte. Mit getheilten Empfindungen dachte er an die flüchtige Bekanntschaft mit den beiden Personen, denen er alle diese Fatalitäten zu danken hatte, und bald war er bereit, es für ein Spiel des bösen Feindes zu halten, der ihm den vertrakten Kapitain in den Weg warf, bald dachte er mit bangem Nachsinnen wieder an das fröhliche unerschrockene Mädchen, die lebhaft während seines langen Spazierganges vor ihm stand und muthwillig über seine Besorgnisse lachte. –

Seufzend warf er sich endlich auf eine Bank in dem öden Park, wohin ihn der Weg geführt, und überlegte, wie ein kluger Mann, was zu thun sei. – Daß er nichts ändern und nichts bessern könne, leuchtete ihm ein; eben so gewiß war es, daß, was auch geschehen und welchen Verdacht die Späher verfolgen mochten, dieser auf ihn so leicht nicht fallen konnte. Er war in die einsame Mühle gekommen und verschwunden, ohne daß Jemand anders als die nächsten Hausbewohner darum wußten; diese schwiegen gewiß, und von den beiden Hauptpersonen hatte er noch weniger zu besorgen.

So kehrte denn sein Selbstvertrauen zurück, gemischt mit reuigem Bedauern über den Tod des Grenzinspectors, den er jedoch als ein Ereigniß betrachtete, an welchem er nur eine sehr mittelbare Schuld sich beimessen konnte. Warum ritt der Mann ein Pferd, das sich mit ihm überschlug? Warum stürzte es auf ihn und verletzte ihn lebensgefährlich? Er fühlte sich erleichtert durch diese Abwälzung aller vorsätzlichen Theilnahme an einem Verbrechen, und wandte seine Gedanken einem ganz andern Gegenstande zu, der ihn beschäftigte, denn er dachte an das Gespräch mit seiner Mutter.

Es ging ihm, wie er sich nicht ableugnete, ziemlich nach demselben Ausspruche, den die Geheimräthin über Stephanie gethan hatte. Seit Jahren kannte er die Absichten seiner Mutter, aber sein männlicher Freiheitssinn hatte sich dagegen gesträubt. Er dachte mit einer unangenehmen Empfindung an jenen Plan zweier Frauen, berührte den Gegenstand nie in seinen Briefen, empörte sich vor den Andeutungen, und war keineswegs zurückgekehrt, um sich, wie er sagte, verkuppeln zu lassen.

Als er jedoch in das Haus des Directors von Grießfeld trat, war Manches anders, wie er erwartete. Die feine, vornehme Frau nahm ihn mit Zuvorkommenheit auf, der gesellschaftliche Kreis, in den er trat, war ein höchst gebildeter, aber eben so heitrer und ziemlich zwangloser. Die kalte Steifheit und Förmlichkeit, welche sonst wohl die sogenannte gute Gesellschaft für unerläßlich hält, war hier wenig zu finden; nach wenigen Tagen war daher der junge Wilberg eingebürgert, ein Freund, den man als solchen empfängt, und der es weiß, daß er nie zu oft kömmt.

Die Einzige aber, welche ihm fremd blieb, war die, der er zu allernächst stehen sollte. Als Gustav sie zum ersten Male wieder sah, war er überrascht und erschrocken, er hatte sie ganz anders gedacht. Es war etwas Wahres daran, was der alte Herr Frese boshaft lachend von ihr gesagt hatte. Sie war groß und schlank, das längliche Gesicht blaß, mit jenen scharf geschnittenen aristokratischen Zügen, deren eigenthümlicher Ausdruck die Benennung rechtfertigt. Es war eine Treibhauspflanze, die in eingeschlossener Luft sich entwickelt hat und unter ewiger Pflege nicht kräftig werden konnte; aber in ihrer Zartheit erregte sie Bewunderung und ihr Anblick, ungewöhnlich und imponirend, mußte Theilnahme erwecken, und erweckte sie auch bei dem, der sich ihrer erwehren wollte.

Allein damit war es nicht abgethan, denn ganz sichtlich wurde Stephanie einsilbiger und fremder, jemehr Gustav sich ihr näherte. Es lag eine Kluft zwischen Beiden, die sich tiefer machte statt sich auszufüllen, und nun begannen für Wilberg Tage des Mißmuths und der Aufregung, in denen gekränkter Stolz, verletzte Eitelkeit, mißtrauisches Beobachten und kaltes Zurückweichen mit Stunden der Hingebung und der inneren Aussöhnung wechselten.

Er sagte sich, daß Stephanie wahrscheinlich eben so gut wie er selbst den Zwang empfinde, den die thörichten Verabredungen ausübten, daß ihr Gefühl sich dagegen empörte, und er lobte diese Charakterstärke und schwur, daß er um keinen Preis eine Frau haben möge, die ihn nicht aus voller Seele liebe. –

Jetzt saß er im Nachsinnen über das, was seine Mutter von ihm verlangte, und überlegte mit vielen gefaßten und verworfenen Entschlüssen, wie er Stephanie eine Erklärung geben und diese einleiten solle, als er plötzlich durch ein lautes Lachen aus seinen Gedanken aufgeschreckt wurde. –

Als er empor sah, erblickte er zu seinem Aerger den alten Herrn Frese, der, auf sein spanisches Rohr gestützt, zehn Schritte von ihm stand und ein wahres Satyrgesicht machte.

Das ist ja ein merkwürdiges Zusammentreffen, schrie der alte Herr, ein Zufall, der nicht schöner gedacht werden kann. – Seit einer Stunde denke ich fortgesetzt an den Herrn Doctor mit aller Energie und finde ihn hier plötzlich, wo ich es am wenigsten erwartete, wie einen Poeten, wie einen Verzweifelnden oder wie einen Verliebten unter kahlen Bäumen bei rauschendem braunen Laube sitzen.

Möglich, daß Sie Recht haben, erwiederte Gustav, aber alle diese Kategorien pflegen am liebsten allein zu sein.

Bah! rief Herr Frese, davon lasse ich mich nicht abschrecken. Ich sage Ihnen meine zärtlichsten Glückwünsche zur bevorstehenden Verbindung.

Sie?! versetzte Gustav. Was wissen Sie davon?

Was die ganze Welt weiß, sagte der alte Herr ihn angrinsend. Seit den vierzehn Tagen, wo Sie uns und besonders mich durch Ihre Gegenwart beglücken, sagt sich Jedermann, daß es bald eine Hochzeit geben wird. – Fräulein Stephanie soll seit dieser Zeit wie eine Verklärte umher wandeln und so roth und frisch aussehen, wie eine Müllertochter.

Herr Frese, erwiederte Wilberg aufstehend, treiben Sie mit mir Ihren Scherz, wenn es nicht anders sein kann, aber vermeiden Sie den Namen einer jungen Dame, die Sie nicht verspotten dürfen, wenn ich es höre.

Bravo! Herr Doctor, schrie der alte Herr. Was die Verliebten hitzig sind! Ich könnte ihm sagen, er habe ein Verbrechen begangen, er habe den Grenzinspector todt geschossen, er lacht dazu, aber jedes Wort über die Geliebte wirft Feuer in ein Pulverfaß. – Was habe ich denn aber gethan? fuhr er fort. Ich sage nichts Böses, ich freue mich über die allerliebste, hoffnungsvolle Zukunft, über das enorme Glück von allen Seiten. – Der Herr Director ist ein hochgeachteter Herr von Einfluß, sein Schwiegersohn wird Carriere machen. Die ganze Familie ist respectabel, und was sie nicht hat, haben Sie, Herr Doctor: Geld! und das ist die Hauptsache, das bringt den Liebessegen mit vollen Händen.

Die Liebe hängt nicht immer am Geldsack fest, sagte Wilberg, weiter gehend.

Aber der Geldsack ist die Mutter der Liebe! rief Herr Frese, gleichen Schritt haltend. Liebe mit Geld ist eine bedenkliche Sache, Liebe ohne Geld ist eine vollständige Verrücktheit. Nun, fuhr er fort, seinen jungen Nachbar von der Seite anblickend, glücklicher Weise wird man darin immer aufgeklärter. Was glauben Sie, Herr Doctor, so schmuck Sie aussehen: hübsch gewachsen, hübschen Bart, schwarzes Glas am Bändchen und immer gelbe Handschuh und weiße Wäsche, was glauben Sie? Würde der Herr Director und die Frau Directorin aus dem Hause der Wollzogen Ihnen das gnädige Fräulein Tochter geben, wenn sie nicht wüßten, der alte Geheimrath hat ein hübsches Vermögen hinterlassen, und der junge Herr da ist sein einziger Sohn? – Sehen Sie, das thut das Geld! Für eine Million können Sie eine Gräfin heirathen, für ein paar Millionen thut's eine Prinzessin.

Er lachte mit seiner gewöhnlichen Bosheit, und da er sah, daß Wilberg nicht antworten wollte, fuhr er fort:

Bei einem gnädigen Fräulein kommt man billiger an, aber nehmen Sie sich in Acht vor der vornehmen Familie. Auf mein Wort! wenn ich je mich so weit vergessen könnte zu heirathen, ich würde nie ein Mädchen nehmen, die es halb und halb als eine Gnade betrachtet, wenn sie Einem ihre Hand reicht, der, wie die Andern sagen, nicht ihres Standes ist. – Eine Mißheirath, ein Heruntersehen, ein gnädiges Sich-bücken! Zehn gegen Eins gewettet, es kommt dahin, trotz des Geldes, wenn der Mann nicht ganz nach der Pfeife tanzen will. Das Geld, Freundchen, das Geld! Sie nehmen so einen reichen bürgerlichen Tölpel, weil er schaffen kann, was ihnen gefällt, aber sie sehen es als seine verdammte Schuldigkeit an, und wenn er irgend Miene macht, nicht zu wollen, wie sie, so bricht das Ungewitter los. – Ich hab's gesehen unzählige Male, und wollte mir lieber einen Strick um den Hals machen, als den Hals in solch ein Joch stecken. Wo wollen Sie denn hin? rief er, als er sah, daß sein Begleiter Miene machte, ihn zu verlassen. Wollen Sie nach Haus?

Nein, erwiederte Gustav, ich habe mit Freunden verabredet, heut dort drüben in dem Hotel zu speisen.

Vortrefflich! sagte der alte Herr, das war just mein Gedanke, dahin begleite ich Sie, mein theuerster Freund.

Wie in Tausend und eine Nacht der schreckliche Greis sein Opfer so lange umklammert hält, bis er es todt gequält hat, so hing sich der alte Herr fest an Gustavs Arm, als fürchte er, daß er ihm entwischen könnte. Diese Besorgniß war nicht ungerechtfertigt, denn der innere Ekel Wilbergs vor dem aufgezwungenen Begleiter war so groß, daß er nahe daran war, ihn um jeden Preis abzuschütteln. – Er dachte jedoch daran, was seine Mutter ihm mitgetheilt, daß man diesen Mann nicht erzürnen dürfe, dessen rachsüchtige Gemüthsart gewiß nicht unterlassen würde, sich Genugthuung zu verschaffen. Ohne Widerstand folgte er daher dem alten Herrn in das Haus, der von Zeit zu Zeit ihn mit seinem spöttischen Grinsen und hellfunkelnden Augen anblickte, als sammele er einen neuen Vorrath von Bosheiten, um ihm das Heirathen zu verleiden.

In dem Speisesaal des Hauses war es ziemlich leer, die eigentliche Mittagsstunde war vorüber. – Lassen Sie uns hier ein Tischchen nehmen, da Ihre Freunde vermuthlich schon fort sind? sagte Herr Frese lachend und ihm spöttisch zunickend. So recht vertraulich gegenüber wollen wir uns setzen, wie zwei Brüder, oder noch besser, wie Vater und Sohn.

Er lachte hell auf und fuhr dann mit dem Ton der Ueberlegenheit fort:

Was haben Sie gegen den Vergleich, Herr Doctor? Glauben Sie nicht, daß es möglich wäre? O! Sie wissen nicht, was geschehen kann, was sich begeben kann.

Ich verstehe Sie nicht, erwiederte Gustav lachend und erstaunt.

Wäre es denn ein Wunder, fuhr Herr Frese fort, wenn, ich setze den Fall, eine hübsche Witwe den Gedanken faßte, sich mit mir zu verbinden? Es wäre gescheit, ganz verdammt gescheit! Die Witwe könnte denken: Der alte Mensch ist es schon werth, daß ich mich seiner annehme und ihn ganz langsam zu Tode pflege oder zu Tode ärgere. Geld muß er haben, ein alter Geizhals ist er obenein. Verwandte besitzt er nicht; wenn er also ein Testament macht, aber ein unwiderrufliches muß es sein, so könnte ich mich wohl entschließen, mich seiner anzunehmen.

Ich hoffe, Herr Frese, sagte der junge Mann, daß, was Sie da sagen, nichts ist, als Ausgeburten Ihrer Fantasie.

Versteht sich, meine Fantasie, Herr Doctor, nichts als meine Fantasie, erwiederte der alte Herr mit dem boshaftesten Gesichterschneiden. Aber nehmen Sie Ihre Suppe, sie wird kalt werden über die Vaterfreuden, die Sie empfinden. Ist es nicht so? Auf Ehre! Sie sind ganz in Entzücken gerathen.

In dieser Weise fuhr er fort, die Tischunterhaltung zu führen, in der Absicht, seinen Nachbar so viel zu ärgern, als er vermochte, was ihm unendliches Vergnügen machte. Er hatte noch mehr gegen den jungen Wilberg einzuwenden als gegen andere Menschen, denn dessen Gegenwart im Hause behagte ihm eben so wenig, wie sein nichtsachtendes Benehmen; allein sobald Gustav die Absicht merkte, ihn zum Gegenstand der Verspottung zu machen, gab er ihm mit Zinsen alle seine Spöttereien zurück und sah mit innerer Genugthuung, daß Herr Frese seine Heiterkeit in demselben Grade verlor, wie er sie gewonnen.

Beide beachteten dabei längere Zeit nicht, daß sich nicht weit von ihnen ein fremder Herr niedergelassen hatte, der in aller Stille sein Mittagsmahl hielt und nur dann und wann einen kalten Blick auf die laut sprechenden und lachenden Gäste warf. Endlich aber schien er aufmerksamer zu werden, und indem er sich mit einem Journal beschäftigte, das er in der Hand hielt, setzte er sich so, daß ihm kein Wort der Unterhaltung entgehen konnte.

Sie wollen also wahrscheinlich mich darum nicht nach Haus begleiten, wie ein guter Sohn, sagte der alte Herr, weil Sie eine süße Stunde vor sich haben, eine einsame Promenade mit der Angebeteten oder dergleichen, ist es nicht so?

So ist es, erwiederte Wilberg, ich will ihr heut gestehen, daß ich sie über alle Maßen liebe. – Was sind Sie zu bedauern, Herr Frese, daß Sie solche Stunden auf ewig entbehren müssen.

Glauben Sie, daß ich dergleichen alle Tage haben könnte! rief Herr Frese; für Geld ist Alles zu haben. Liebe, Treue, Glaube, Alles wird gekauft und namentlich Weiberliebe! Ich wette keinen Groschen, daß Ihre angebetete Stephanie Sie nicht sitzen läßt, wenn heut Einer kommt, der ihr mehr verspricht.

Sie verläumden! sagte Wilberg. Sie sind einer jener verknöcherten Menschen, die nichts lieben und nichts achten, weil sie im eigenen Herzen nie den Maßstab für Andere fanden; aber dennoch möchte ich glauben, daß Ihr Leben Sie Lügen straft. Es kann nicht so traurig vergangen sein, daß Sie darin nicht wenigstens einen Menschen fanden, der Ihnen Achtung oder Haß vor seiner Tugend einflößte; der vom Gelde nicht verlockt, um Geld nicht käuflich war; und vielleicht ist es sogar ein Weib gewesen, vielleicht war es ein Mädchen, die Sie mit alle Ihrem Golde nicht mochte und einem armen Geliebten ihre Hand reichte. Gestehen Sie, das ist es. Dieser Schicksalsspaß hat Sie um alle Fassung gebracht, und aus Aerger darüber haben Sie allen Weibern Haß, und allen Männern Rache geschworen.

Der alte Herr schien von diesen Beschuldigungen ärgerlich erregt zu werden. Er schüttelte den Kopf, wollte etwas antworten, schwieg aber still und versuchte sein gewöhnliches grinsendes Lachen, allein es wollte nicht glücken. Heftig nahm er eine Priese und blickte vor sich nieder, als denke er an Etwas, woran er lange nicht gedacht hatte; dann aber kehrte seine alte Unverschämtheit zurück, und Verachtung oder Haß, oder beides zugleich, blickte aus seinen Augen. –

Wenn es wahr ist, daß es solche tugendhafte Narren gibt, sagte er, so habe ich wenigstens nie mit ihnen zu schaffen gehabt. Praktisch sein, ist die Hauptsache in dieser Welt, Fantasten und Schwärmer sind mir immer ein Gräuel gewesen; Romanhelden und dergleichen, oder verliebte Weiber, sind eine Pest für die menschliche Gesellschaft. Aber ein Geck gilt den Mädchen mehr als ein verständiger Mann, und je unsinnigeres Zeug Einer vorbringen kann, um so lieber ist er ihnen. –

Die Heftigkeit mit der er sprach, und sein dunkelgefärbtes Gesicht drückten den Antheil aus, den er daran nahm, bis ihn die spöttischen Mienen seines Nachbars erinnerten, daß er aus der Rolle falle. –

Ja, Sie, rief er im alten Tone, mit Ihnen ist es freilich anders. In Ihrer Welt muß Alles voll Tugend und Begeisterung sein. Die gewöhnliche Ordnung ist nichts, alle Mädchen sind Engel, und Fräulein Stephanie sitzt in einer Wolke von Abendröthe mit Sternen gestickt und lächelt holdseelig herunter. Ich bin aber überzeugt, es ist Ihnen schon oft so gegangen, und keine Woche, wo nicht irgend ein Mensch, der die Menschheit an sein Herz drückt, oder ein Mädchen, das für den Geliebten in's Wasser springt, Ihnen über den Weg läuft.

So häufig kommt es freilich nicht vor, sagte Wilberg lachend, aber vor ein paar Wochen lernte ich wirklich einen Mann und eine junge Dame kennen, die Ihre Zweifel an menschlicher Würde zu Schanden machen könnten.

Also Reisebekanntschaften mit tugendhaften Naturkindern, das ist interessant! rief Herr Frese. Die Idyllen mit Schäferinnen und Hirten sind leider ganz aus der Mode gekommen.

Es war auch keine Idylle, erwiederte Gustav. Es war ein Mann, der Welt und Menschen besser kannte wie Sie, aber Herz und Gemüth besaß für deren Leiden und Zorn gegen die Ungerechten. Um alles Gold der Erde würde dieser Mann kein Unrecht begehen können, und um keine Königskrone würde das Mädchen ihre Hand verhandeln.

Alle Wetter! rief Herr Frese, es ist gut, daß Fräulein Stephanie das nicht hört, und Ihr Gesicht dabei sieht. Wo leben denn die beiden kostbaren Exemplare? Sie sind ja in Rostock gewesen, leben sie etwa in Mecklenburg?

Wenigstens nicht weit davon, erwiederte Wilberg.

Herr Frese schlug ein schallendes Gelächter auf. An der mecklenburgischen Grenze! schrie er; dort also ist das Asyl der Tugend. Wo man die Zollinspectoren todtschlägt, wohnt der weiseste und edelste aller Sterblichen.

Hier hielt er plötzlich inne, denn hinter ihm ließ der fremde Herr das Journal, das an einem langen Holzstabe befestigt war, hart auf den Tisch fallen, indem er aufstand und den Stuhl, auf welchem er gesessen hatte, zurückstieß.

Der alte Herr sah sich um, Wilberg ebenfalls. Der Fremde nahm seinen Hut und zog die Handschuh an, während er seine Blicke fest auf die beiden Beobachter richtete. Es war ein Mann von untersetzter starker Figur, schwarz gekleidet, und auffallend blaß. – Ein brauner dichter Bart umzog sein Gesicht und bedeckte die Oberlippe; ein ungeheurer Wald von Haar legte sich in schönen Ringen und Locken um seine breite Stirn, und zu den großen ernstblickenden Augen paßte der Zug melancholischer Verdüsterung, welcher um seine Lippen schwebte.

Den haben wir auch in seinem Vergnügen gestört, sagte Herr Frese, sehr belustigt von dieser Vorstellung. Er sieht aus, als wollte er uns verschlingen statt der Pastete, die er da stehen läßt. Nun, Sie wollen also wirklich fort? fragte er dann, als er Wilberg aufstehen sah. Es ist merkwürdig, was verliebte Leute ungeduldig sind. Ich hätte Ihnen noch so viel Lehrreiches und Schönes zu erzählen, wir könnten zusammen Kaffee trinken, aber Fräulein Stephaniens schalkhafte Augen sind freilich ganz andre Magnete, als meine Weisheit. Nun warten Sie, ich gehe mit.

Ein ander Mal, rief Wilberg, indem er sich schnell auf den Weg machte. – Denken Sie inzwischen darüber nach, was Sie von meiner Mutter, oder von Menschen, die sonst in Ihre Nähe gerathen, Spaßhaftes erfinden können. –

Der alte Herr lachte so laut er konnte ihm nach, bis sein gekränkter Gast verschwunden war.



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