Christian Morgenstern
In Phanta's Schloß
Christian Morgenstern

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Kosmogonie

                      Ewiges Firmament,
mit den feurigen Spielen
deiner Gestirne,
wie bist du entstanden?

Du blauer Sammet!
Welch fleißige Göttin
hat sich auf dir
mit goldnen und silbernen
Kreuzstichmustern verewigt?

Wie! oder wären
die Sterne Perlen,
tagesüber
in Wolkenmuscheln gebettet:
Aber des Nachts
tuen die Schalen sich auf,
und aus den schwarzen,
angelspottenden Tiefen empor
lachen und funkeln
die schimmernden Schätze
des Meers Unendlichkeit?

Oft auch ist mir,
ein mächtig gewölbter
kristallener Spiegel
sei dieser Himmel,
und was wir staunend
Gestirne nennen,
das seien Millionen
andächtiger Augen,
die strahlend
in seinem Dunkel sich spiegeln.

Oder wölbt
eines Kerkers bläuliche Finsternis
feindlich sich über uns?
Von ungezählten Gedankenpfeilen
durchbohrt,
die von empörter Sehne
der suchende Menschengeist
rings um sich gestreut:
Das Licht der Erkenntnis aber,
die Sonne der Freiheit,
quillt leuchtend
durch die zerschossenen Wände.

Nein, nein! . .
Mit spottenden Augen
blinzt die Unendlichkeit
auf den sterblichen Rätselrater . . .
Und dennoch
rat ich das tiefe Geheimnis!
Denn bei Phanta
ist nichts unmöglich.
– – – – – – – – – – – – –

In der leeren, dröhnenden Halle des Alls
rauschte der Gott der Finsternis
mit schwarzen, schleppenden Fittichen
grollend dahin.
So flügelschlug der düstere Dämon
schon seit Aonen:
An seiner Seele fraß das Nichts.
Umsonst griffen die Pranken
seines wühlenden Schaffenswahnsinns
hinaus in die unsägliche Leere.

Vom eigenen Leibe mußte er nehmen,
wollte er schaffen –:
das hatte ihn jüngst quälend durchzuckt.
Und nun rang und rang er
gegen sich selber, der einsame Weltgeist,
daß er sich selbst verstümmle.
Bis sein Wollen, ein Löwe,
in seiner Seele aufstand
und ihm die Hand ans Auge zwang,
daß sie es ausriß mit rasendem Ruck.
Ströme Blutes schossen nach.
Der brüllende Gott aber krampfte
in sinnloser Qual die Faust um das Auge,
daß es zwischen den Fingern
perlend herausquoll.
Den glänzenden Tropfenregen
rissen die fallenden Schleier des Bluts
in wirrem Wirbeltanze
hinab, hinaus in die eisigen Nächte
des unausgründlichen Raums.

Und die perlenbesäten blutigen Schleier
kamen in ewigem Kreislauf wieder,
schlangen erstickend sich
um des flüchtenden Gottes Haupt,
zerrten ihn mit sich,
warfen ihn aus,
ein regelloses, tobendes Chaos.
Tiefer noch zürnte der gramvolle Gott.
Nicht Schöpfer und Herrscher,
Spielball war er geworden,
weil er, vom Schmerz bewältigt,
den heiligen Lebensstoff,
statt ihn zu formen, zerstört.

Äonen hindurch
trug er die Marter der glühenden Schleier,
litt er in seiner eigenen Hölle.
Dann aber stand zum anderen Male
sein Wollen, ein Löwe,
in seiner Seele auf.
Sieben Kreisläufe des Chaos
rang er und rang er noch,
und dann
gab er den Arm dem Wollen frei.
Und er nahm sich auch noch
das andere Auge
aus dem unsterblichen Gotteshaupt
und warf die blutüberströmte,
unversehrte Kugel
mitten hinein ins unendliche All.

Da stand sie, glühend,
in unermeßlicher Purpurründung,
und sammelte um sich
die tanzenden Blutnebel,
daß sie, ein einziger Riesenring
von Flammenschleiern,
um den gemeinsamen Kern
sich wanden und kreisten.
Der blinde Gott aber saß
und lauschte dem Sausen der Glut.

Äonen kreiste der Ring:
Dann zerriß er.
Und um die glasigen Perlen
des zerkrampften Auges
ballten sich Bälle kochenden Bluts,
glühende, leuchtende Blutsonnen,
und andere Bälle,
die unter roten Dampfhüllen
langsam gerannen.
Durch die Unendlichkeit
schwangen sich zahllose Reigen
zahlloser Welten
in tönender Ordnung
um das geopferte, heile Auge.

Der blinde Gott aber
lauschte dem Klang der Sphären,
die seinen Preis jauchzten,
den Preis des Schaffenden,
und flog tastend mit seinen
schwarzen, schleppenden Fittichen
durch seine Schöpfung,
ein Schrecken den Menschlein
auf allen Gestimen,
der große Lucifer.


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