Jean Baptiste Molière
Der Misanthrop
Jean Baptiste Molière

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Fünfter Akt

Erster Auftritt

Alcest. Philint.

Alcest. Noch einmal: die Entscheidung ist gefällt.

Philint. Der Schlag ist hart; was aber soll Sie zwingen . . .

Alcest. Nein, reden Sie, solang ihr Atem hält,
Nichts ist imstand, mich davon abzubringen;
Zu tief ist die Verderbnis unsrer Zeit;
Drum will ich lieber alle Menschen meiden.
Was! Gegen meinen Widerpart entscheiden
Gesetz und Recht und Scham und Ehrbarkeit;
Ich blicke jedermann auf meiner Seite,
Ich harre voll Vertraun, und unterdes
Entgeht mir der Erfolg, um den ich streite:
Recht hab' ich und verliere den Prozeß.
Ein Schuft, den man verachtet allgemein,
Vermag durch Lug und Trug zu siegen!
Dem Meineid muß die Wahrheit unterliegen!
Er würgt mich meuchlings, und das Recht ist sein.
Mit ausgelerntem Lügenmaul besticht
Er die Vernunft und blendet das Gericht,
Bis er zuletzt den Haftbefehl erzwingt!
Doch all dies Unrecht macht ihn noch nicht satt:
Ein Schandbuch wird verbreitet in der Stadt,
Ein Buch, das schon dem Leser Strafe bringt;
Von diesem Buch, das für den Pranger reif,
Macht mich der freche Schurke zum Verfasser,
Und Herr Oront als guter Hasser
Bestärkt geschäftig diesen Unterschleif!
Er, der am Hofe stets als Muster prangte,
Dem ich nichts tat, als daß ich ehrlich war,
Der ungestüm, auf eigenste Gefahr
Mein Urteil über sein Gedicht verlangte
Und dann zum Dank, weil ich es gut gemeint,
Weil ich die Wahrheit und ihn selbst geachtet,
Erlogne Schuld auf mich zu häufen trachtet;
Ja, er ist jetzt mein schlimmster Feind
Und wird's bis an sein Lebensende bleiben,
Nur weil ich dem Sonett kein Lob geweiht.
Das also sind die Menschen! Das ihr Treiben
Und das die Früchte ihrer Eitelkeit;
Das ist es, was in ihren Herzen ruht
Von Ehre, Treue, Recht und Wahrheitsmut!
Mir wird zu viel, was ich durch euch verliere;
Fort aus der Mordgruft, aus dem Dorngesträuch!
Weil ihr verruchter seid als wilde Tiere,
Drum sag' ich mich auf ewig los von euch.

Philint. Ein wenig vorschnell find' ich diesen Plan;
Mir scheint, daß Sie das Unrecht überschätzen.
Was auch Ihr Gegner Ihnen angetan,
Er wußte Ihre Haft nicht durchzusetzen;
Sein Zeugnis ist in sich versunken
Und bringt ihn selber in ein böses Licht.

Alcest. Ihn? – Diese Kleinigkeit beirrt ihn nicht:
Er hat das Vorrecht aller Erzhalunken;
Was heut ihm droht zu rauben Ruf und Glück,
Das stellt ihn morgen fester auf die Beine.

Philint. Soviel ist sicher: von dem üblen Scheine,
In den er Sie gebracht, bleibt nichts zurück.
Was hier zu fürchten war, das ist vorbei,
Und wenn Sie unterlagen vor Gericht,
Steht Ihnen ein Appell noch immer frei,
Der diesen Spruch . . .

Alcest.                               Ich appelliere nicht!
Ich bin empfindlich zwar getroffen;
Doch unverändert lass ich den Beschluß;
Das Unrecht liegt in ihm so prächtig offen,
Daß man der Nachwelt ihn erhalten muß
Als ew'gen Markstein, als Erinnrungssäule
An unseres Jahrhunderts Sittenfäule.
Er kostet mich wohl zwanzigtausend Franken;
Doch für dies Geld erwerb' ich mir das Recht,
Zu fluchen auf das menschliche Geschlecht
Und ihm mit unversöhntem Haß zu danken.

Philint. Wenn aber . . .

Alcest.                         Sparen Sie Ihr Aber und Ihr Wenn!
Bleibt hier noch etwas aufzuklären?
Ist's möglich? Haben Sie die Stirne denn,
All diesen Greueln Nachsicht zu gewähren?

Philint. Nein, ich bekenne gern, daß ich mich beuge:
Selbstsucht und Arglist lenkt den Weltenlauf,
Durchtriebenheit ist obenauf,
Und alle Menschen sind aus schwachem Zeuge.
Doch weil sie schlecht sind, sollen wir sie fliehn
Und einsam uns verkriechen hinterm Ofen?
Die Fehler, die an uns vorüberziehn,
Sie bilden uns heran zu Philosophen:
Das ist das schönste Amt der Wahrheitsglut;
Denn wäre nur noch Redlichkeit zu finden,
Und wäre jeder treu, gerecht und gut,
Dann müßten all die Tugenden verschwinden,
Die uns die Kraft verleihen, ohne Fluch
Das Unrecht im Gefühl des Rechts zu tragen,
Und überall, wo wackre Herzen schlagen . . .

Alcest. Ich weiß, Sie sprechen wie ein Buch;
Ihr Redestrom ergießt sich voll und breit;
Doch hindern Sie mit all dem schönen Schwunge
Nicht meine Sehnsucht nach der Einsamkeit.
Ich habe keine kunstgerechte Zunge;
Mein offnes Wesen würde stets mich narren,
Und böse Händel könnt' ich nicht vermeiden.
Genug! Ich will auf Celimene harren,
Damit sie meinem Plane Beifall gibt;
Dies soll die Probe sein, ob sie mich liebt;
In dieser Stunde wird es sich entscheiden.

Philint. So suchen wir Eliante inzwischen auf!

Alcest. Nein, allzu schwer drückt meiner Sorgen Hauf.
Ich bleib' in diesem Winkel hier allein
Mit all dem tiefen Gram, den ich erlitten.

Philint. In die Gesellschaft pass ich nicht hinein;
Ich gehe, um Eliante hierher zu bitten.

Zweiter Auftritt

Celimene. Oront. Alcest.

Oront. Ja, sprechen Sie, Madame; sind Sie bereit,
Zum Lebensbunde mich zu wählen,
Dann geben Sie mir volle Sicherheit!
Wer liebt, läßt sich nicht gern von Zweifeln quälen.
Will Ihre Gnade meine Sehnsucht lindern,
So bitt' ich Sie, bekennen Sie es frei,
Und Ihrer Neigung erste Probe sei,
Daß Sie Alcest an weitrer Werbung hindern,
Ihn mir zum Opfer bringen und fortan
Ihr Haus und Ihren Umgang ihm verbieten.

Celimene. Was reizt Sie plötzlich gegen einen Mann,
Für den Sie einst Bewunderung verrieten?

Oront. Nicht darum handelt es sich hier.
Sie sollen endlich Ihr Gefühl bekunden
Und sich entscheiden zwischen ihm und mir:
An Ihren Spruch ist mein Entschluß gebunden.

Alcest (tritt aus dem Winkel hervor).
Jawohl, der Herr hat Recht; nun heißt's entscheiden!
Was er verlangt, das ist auch mein Begehr.
Mich quält dieselbe Glut, dasselbe Leiden;
Auch meine Liebe fordert jetzt Gewähr;
Kein Aufschub mehr; ins Rollen kam der Stein;
Jetzt ist es Zeit, ein klares Wort zu sprechen.

Oront. Mein Herr, ich will durchaus nicht lästig sein
Und mag Ihr Liebesglück nicht unterbrechen.

Alcest. Mein Herr, von Eifersucht ganz abgesehn,
Mit Ihnen wünsch' ich nicht ein Herz zu teilen.

Oront. Sollt' Ihre Werbung vor der meinen stehn . . .

Alcest. Sollt' Ihr Bemühn den kleinsten Sieg ereilen . . .

Oront. So schwör' ich, daß ich völlig ihr entsage.

Alcest. So schwör' ich, daß sie mich nicht wiederschaut.

Oront. Madame, erklären Sie sich frei und laut.

Alcest. Antworten Sie, Madame, auf unsre Frage.

Oront. Sie sollen ganz nach Ihrem Wunsch entscheiden.

Alcest. Sie sollen wählen – einen von uns beiden.

Oront. Wie! Diese Wahl erfüllt Sie mit Verdruß?

Alcest. Was? Wär' etwa noch schwankend Ihr Entschluß?

Celimene. Mein Gott! Dies Drängen find' ich wenig schicklich!
Sie alle beide sind nicht recht bei Sinn!
Ich könnte mich entscheiden augenblicklich;
Kein Schwanken meines Herzens hält mich hin,
Kein Zweifel setzt sich meiner Wahl entgegen;
Sie fällt mir leicht; denn sie ist längst getroffen.
Doch peinlich ist mir, ich bekenn' es offen,
Hier solch ein zart Geständnis abzulegen.
Verletzend für den einen wär' mein Spruch;
Drum will ich vor dem andern ihn verschweigen.
Läßt sich denn nicht erraten, wem zu eigen
Ein Herz gehört, auch ohne offnen Bruch?
Genügt es nicht, wenn man geheim und still
Dem andern beichtet, daß man ihn nicht will?

Oront. Ihr Freimut wird mich keinesfalls verdrießen.
Ich scheu' ihn nicht.

Alcest.                           Und ich bestehe drauf.
Jetzt muß Ihr Wille sich erschließen;
Jetzt hab' er seinen freien Lauf.
Liebäugeln möchten Sie mit allen Leuten;
Doch hilft kein Zaudern mehr, kein blauer Dunst;
Wenn Sie nicht endlich reden ohne Kunst,
Dann weiß ich, daß die Weigrung Sie verklagt,
Und dieses Schweigen werd' ich so mir deuten,
Als hätten Sie das Schrecklichste gesagt.

Oront. Mein Herr, Ihr Zorn verpflichtet mich zu Dank;
Buchstäblich muß ich alles unterschreiben.

Celimene. Mit solchen Launen machen Sie mich krank!
Ist's recht, mich so zu drängen und zu treiben?
Hab' ich mein Schweigen nicht begründet?
Hier kommt Eliante; sie sei die Richterin.

Dritter Auftritt

Vorige. Eliante. Philint.

Celimene. Schau her, mein Kind, wie ich belagert bin:
Die zwei sind förmlich gegen mich verbündet.
Einstimmig fordern sie und eifervoll,
Ich müsse wählen zwischen ihnen beiden
Und mich vor ihrem Angesicht entscheiden,
Wer sich für abgewiesen halten soll.
Nun frag' ich dich: Ward so was je vernommen?

Eliante. Nach solchen Dingen frag mich lieber nicht;
Du würdest an die falsche Stelle kommen;
Ich lieb' es, daß man frei von Herzen spricht.

Oront. Sie sehen, daß Ihr Sträuben wenig nützt.

Alcest. Ihr Schachzug wird von niemand unterstützt.

Oront. Heraus mit Ihrem Spruch! Die Maske fort!

Alcest. Nein, bleiben Sie dabei, sich zu vermummen.

Oront. Ein Wort, das Klarheit gibt, ein einzig Wort!

Alcest. Nichts redet deutlicher als Ihr Verstummen.

Vierter Auftritt

Vorige. Arsinoë. Acast. Clitander.

Acast (zu Celimene). 
Madame, wenn Sie gestatten – wir sind da,
Um Ihnen eine Frage vorzulegen.

Clitander. Es freut uns, meine Herrn, daß Sie zugegen;
Der Fall berührt auch Sie nicht minder nah.

Arsinoë. Sie sind wohl sehr erstaunt, mich hier zu schauen,
Madame; doch diese Herrn sind schuld daran.
Sie kamen, um mir klagend zu vertrauen
Ein Vorgehn, das ich noch nicht glauben kann.
Ich las zu oft in Ihres Herzens Falten,
Um solcher Bosheit fähig Sie zu halten;
Weit lieber leugn' ich, was ich selbst gesehn,
Und weil ein Zwist die Freundschaft nicht beirrt,
Drum will ich Zeugin sein, wie leicht es Ihnen wird,
Aus der Verleumdung rein hervorzugehn.

Acast. Ja, setzen wir uns ruhig auseinander;
Diesmal, Madame, liegt Ihnen viel zur Last.
Hier dieses Schreiben sandten Sie Clitander.

Clitander. Und dieses Brieflein schrieben Sie Acast.

Acast (zu Oront und Alcest).
Den Herrn ist diese Schrift nicht unbekannt;
Madame ist wohl so freundlich schon gewesen
Und gab auch Ihnen Kenntnis ihrer Hand.
Doch dieses da verlohnt sich vorzulesen:

»Ich finde es sehr wunderlich von Ihnen, lieber Clitander, daß Sie meine Munterkeit tadeln und mir vorwerfen, ich sei niemals besserer Laune als in Ihrer Abwesenheit. Nichts ist ungerechter, und wenn Sie nicht augenblicklich zu mir kommen und mir diese Beleidigung abbitten, so werde ich sie Ihnen zeitlebens nicht verzeihen. Unsere Hopfenstange, der Vicomte . . .«

Schade nur, daß er nicht hier ist!

»Unsere Hopfenstange, der Vicomte, mit dem Sie Ihr Klagelied beginnen, das ist ein Mensch, den ich nicht ausstehen kann, und seit ich mit angesehen habe, wie er volle drei Viertelstunden lang in einen Brunnen spie, um Kreise im Wasser zu machen, seitdem bin ich ganz und gar mit ihm fertig. Was den Knirps von Marquis betrifft . . .«

Das bin ich, meine Herren, ohne alle Eitelkeit.

»Was den Knirps von Marquis betrifft, der mir gestern einen langen Händedruck verabfolgte, so finde ich, es gibt in der ganzen Welt nichts so Unansehnliches wie seine Person; seine einzigen Verdienste sind sein Mantel und sein Degen. Was den grünbebänderten Herrn angeht . . .«

(Zu Alcest) Jetzt sind Sie daran.

»Was den grünbebänderten Herrn angeht, so erlustigt er mich ab und zu mit seinem Gepolter und seiner ungehobelten Grobheit; aber weit öfter finde ich ihn im höchsten Grade unerträglich. Und was den Versemacher betrifft . . .«

(Zu Oront) Nun bekommen Sie Ihr Teil.

»Und was den Versemacher betrifft, der sich auf die Schöngeisterei verlegt hat und der ganzen Welt zum Trotz ein Dichter sein will, so bin ich überhaupt nicht imstande ihm zuzuhören; denn seine Prosa wirkt auf mich ebenso einschläfernd wie seine Reime. Seien Sie also überzeugt, daß ich mich nicht immer so gut unterhalte, wie Sie glauben, daß ich in all den Gesellschaften, in welche man mich schleppt, mehr Sehnsucht nach Ihnen empfinde, als ich sollte, und daß es die einzig echte Würze aller Vergnügungen ist, mit denjenigen zusammen zu sein, die man liebt.«

Clitander. Nun aber kommt die Reihe an mich:

»Lieber Acast! Ihr Clitander, den Sie jedesmal erwähnen, dieser zuckersüße Herr, ist der allerletzte, für den ich eine Schwäche haben könnte. Er ist sehr töricht, wenn er sich einbildet, daß er geliebt wird, und Sie sind es nicht minder, wenn Sie glauben, daß Sie nicht geliebt werden. Wollen Sie Vernunft annehmen, so vertauschen Sie Ihre Meinung mit der seinigen und besuchen Sie mich, so oft Sie können, um mir den Ärger über seine Zudringlichkeit ertragen zu helfen.«

Das wahre Muster einer schönen Seele!
Sie kennen doch den Namen für dergleichen?
Genug! Wir beide hoffen zu erreichen,
Daß diesem edlen Bild der Ruhm nicht fehle.

Acast. Zwar reizt der schöne Stoff zum Reden mich;
Doch stehen Sie so tief, daß all mein Zorn verschwindet;
Sie sollen sehn, daß selbst ein Knirps wie ich,
Um sich zu trösten, beßre Herzen findet.

Fünfter Auftritt

Vorige ohne Acast und Clitander.

Oront. So! Das ist Ihre Art mich zu behandeln,
Trotz allem, was Sie schriftlich mir gesagt,
Und Ihre gleisnerische Seele wagt
Der Reihe nach mit jedem anzubandeln!
Ich war ein Gimpel; doch nun ward ich klug;
Zu rechter Zeit durchschau' ich den Betrug:
Mein Herz ist wieder frei; ich nehm's zurück
Und werde Sie verlassen und verlachen.
    (Zu Alcest)
Mein Herr, ich wünsche recht viel Liebesglück;
Sie können, wann Sie wollen, Hochzeit machen.

Sechster Auftritt

Vorige ohne Oront.

Arsinoë (zu Celimene). 
Fürwahr, das ist ein unerhörter Streich!
Ich kann nicht schweigen; meine Pulse schlagen;
So hat noch niemals sich ein Weib betragen!
Was Sie den andern taten, gilt mir gleich;
    (Auf Alcest deutend) 
Doch Herr Alcest, der Sie beglücken wollte,
Ein Mann von höchsten Gaben, reinsten Sitten,
Der Ihnen glühende Verehrung zollte,
Hat er verdient . . .

Alcest.                         Madame, ich muß Sie bitten,
Mir selbst zu überlassen meinen Fall;
Ihr zarter Anteil kann hier wenig frommen;
Sie würden doch mit Ihrem Redeschwall
Bei mir nicht auf die Kosten kommen.
Wenn ich durch eine neue Leidenschaft
Mich rächen will, Sie sind gewiß die letzte.

Arsinoë. Ei, glauben Sie, man wäre so vergafft,
Daß man mit Ihrer Hand sich glücklich schätzte?
Sie sind von arger Eitelkeit gebläht,
Wenn Sie sich selber diesen Lohn verheißen.
Um eine Ware, die Madame verschmäht,
Braucht man sich nicht so sehr zu reißen.
Genügsamkeit wär' Ihnen jetzt gesund;
Sie sind kein Mann für Frauen meinesgleichen.
Versuchen Sie's, Ihr Liebchen zu erweichen,
Und meinen Segen zu dem schönen Bund.

Siebenter Auftritt

Celimene. Alcest. Eliante. Philint.

Alcest (zu Celimene).
Sie sehn, ich schwieg zu allem, was ich sah;
Dem Wort der andern ließ ich freien Raum.
Hielt ich mich heute lang genug im Zaum
Und darf ich endlich . . .

Celimene.                           Ja, und wieder ja.
Sie sind im Recht, Sie dürfen sich beschweren;
Ihr größter Vorwurf wäre noch zu klein.
Ich weiß mich schuldig, ich gesteh' es ein
Und will mich nicht verteidigen noch wehren.
Den andern sah ich ruhig ins Gesicht;
Vor Ihnen leugn' ich meinen Frevel nicht.
Ihr Zorn ist tiefbegründet und gerecht;
Sie können meine Schuld mir nie erlassen,
In Ihren Augen bin ich falsch und schlecht,
Und alles, alles zwingt Sie, mich zu hassen.
Ja, tun Sie's nur!

Alcest.                       Kann ich's denn, Gauklerin?
Kann ich so leicht entrinnen meinem Kerker?
Drängt auch zum Haß mein Wille mächtig hin,
Ist nicht der Wille meines Herzens stärker?
    (Zu Eliante und Philint)
Sie sehn, wohin unwürd'ge Liebe treibt;
Nun sehn Sie auch als Zeugen meiner Schwäche,
Daß mir zu tun noch etwas übrig bleibt,
Daß ich die Schranken der Vernunft zerbreche,
Daß alle Weisheit ist wie Spreu im Wind,
Und daß wir samt und sonders Menschen sind.
    (Zu Celimene)
Ja, Falsche, ja, ich will Ihr Tun vergessen,
Auslöschen will ich Ihre Schändlichkeit,
Will suchen, alles der verderbten Zeit
Und Ihrer schwachen Jugend beizumessen;
Nur dies beding' ich, daß Sie sich ergeben
In meinen Plan, der Menschheit zu entfliehn,
Und freudig mit in die Verbannung ziehn,
In der ich willens bin fortan zu leben.
Dies ist das einz'ge Mittel, öffentlich
Zu sühnen, was Sie taten, was Sie schrieben,
Das einz'ge Mittel auch für mich,
Trotz Ihrer Sündenlast Sie noch zu lieben.

Celimene. So jung soll ich der Welt den Rücken drehn
Und mich in einer Wüstenei vergraben?

Alcest. Solang Sie mich und meine Liebe haben,
Was braucht die ganze Welt Sie anzugehn?
Bin ich es nicht, der dann Ihr Glück erschafft?

Celimene. Ich bebe vor der Einsamkeit zurück.
Mein zwanzigjährig Herz hat nicht die Kraft
Und nicht die Größe für ein solches Glück.
Wenn Sie nach meiner Hand im Ernste trachten,
So könnt' ich mich entschließen, Sie zum Gatten
Zu nehmen und . . .

Alcest.                           Jetzt lern' ich Sie verachten!
Dies Nein stellt alles andre in den Schatten.
Wenn Ihnen eines solchen Glückes Schimmer
Nicht alles ist, wie er mir alles war,
So gehn Sie! Meiner Liebe sind Sie bar;
Ich bin von meinem Wahn geheilt für immer.

Achter Auftritt

Alcest. Eliante. Philint.

Alcest. Mein Fräulein, höchsten Preises sind Sie wert;
Von Ihnen hab' ich Falschheit nie erfahren.
Ich habe Sie seit langem warm verehrt;
Doch lassen Sie mich dies Gefühl bewahren,
Und dulden Sie's, wenn mein verstört Gemüt
Das Heil nicht sucht, das Ihrer Gunst entblüht.
Sie stehn zu hoch, und alles muß mir zeigen,
Daß Gott mir solchen Reichtum nicht verhieß;
Sie müßten zu dem Mann heruntersteigen,
Den eine minder Würdige verstieß.
Deshalb . . .

Eliante.             So mag's vielleicht am besten sein.
Ich wüßte jemand, der mich nicht verschmähte,
Und wenn ich ihn ein ganz klein wenig bäte,
Wer weiß, am Ende schlüg' er ein.

Philint. Kein schönres Los ersehn' ich mir hienieden;
Ihm ist mein Leben und mein Blut geweiht.

Alcest. So wünsch' ich euch ein dauernd Glück beschieden,
Und eure Liebe geb' euch Seligkeit.
Ich, von Verrat und Unrecht rings umwunden,
Will mich aus diesem Lasterpfuhl befrein
Und fern von hier ein Plätzchen mir erkunden,
Wo man so frei sein darf, ein Ehrenmann zu sein.
    (Ab)

Philint. Auf, eilen wir ihm nach! Es muß gelingen,
Den Freund von diesem Vorsatz abzubringen.

 


 


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