Jean Baptiste Molière
Der Misanthrop
Jean Baptiste Molière

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erster Akt

Erster Auftritt

Philint. Alcest.

Philint. Was ist? Was gibt es?

Alcest.                                     Lassen Sie mir Ruh'!

Philint. Nein wahrlich – welche sonderbare Grille . . .?

Alcest. Sie sollen gehn – sogleich; das ist mein Wille.

Philint. Eh' man sich ärgert, hört man doch erst zu.

Alcest. Ich will mich ärgern, und ich will nichts hören.

Philint. Wo soll nur dieser wilde Zorn hinaus?
Die beste Freundschaft muß es stören,
Wenn . . .

Alcest (steht schnell auf).
                Ich Ihr Freund? Nein, streichen Sie mich aus!
Das Band, das uns gefesselt, ging in Stücke;
Nachdem sich heut verraten hat Ihr Sinn,
Erklär' ich, daß ich nicht Ihr Freund mehr bin
Und nichts gemein will haben mit der Tücke.

Philint. Was ist's denn, was Sie mir so übel nehmen?

Alcest. Fürwahr, zu Tode sollten Sie sich schämen.
Ein solches Tun verdient das schärfste Wort,
Muß jeden Ehrlichen in Harnisch bringen!
Ich sehe, wie Sie jenen Menschen dort
Mit Artigkeit und Süßigkeit umringen;
Sie häufen auf dies feurige Betragen
Beteuerungen, Anerbieten, Schwüre
Und können mir, nachdem er aus der Türe,
Nicht einmal seinen Namen sagen.
Verschwunden ist das herzliche Gefühl;
Sie reden über ihn gleichgültig kühl.
Potz Wetter, das ist elend, feig, gemein,
Die eigne Seele so mit Schmutz zu mengen,
Und sollte mir das widerfahren sein,
Ich eilte, mich vor Ekel aufzuhängen,

Philint. Je nun, mir scheint der Fall nicht hängenswert;
Ich bitte Sie recht freundlich um die Liebe,
Daß mir für diesmal Gnade widerfährt,
Und daß ich's mit dem Hängen noch verschiebe.

Alcest. Wie schlecht doch dies Gewitzel Ihnen steht!

Philint. Im Ernst – ich weiß nicht, was Sie wollen.

Alcest. Die Wahrheit will ich; dem Charaktervollen
Entschlüpft kein Wort, das nicht von Herzen geht.

Philint. Wenn jemand uns mit Freundesgruß begegnet,
Dann mein' ich, daß man sich erkenntlich zeigt,
Zu seiner Liebenswürdigkeit nicht schweigt
Und ihn für seinen Segen wieder segnet.

Alcest. Unleidlich ist mir dieser feige Schacher,
Den ihr zum guten Ton gehören laßt!
Nichts ist mir so im Innersten verhaßt
Wie diese kunstgerechten Phrasenmacher,
Die Schmeichler, stets zum Liebesgruß bereit,
Die uns mit leerem Redeschwall bedecken,
Die mit derselben süßen Höflichkeit
Den ernsten Mann behandeln wie den Gecken.
Was frommt es noch, wenn jemand hoch und hehr
Uns Treue schwört, Hingebung, Freundesglut,
Mit Lob uns überschüttet und nachher
Dem ersten besten Tropf ein Gleiches tut?
Wer noch gesund empfinden kann,
Der dankt für solche feilgebotnen Ehren,
Und wenn sie noch so überschwenglich wären,
Der teilt nicht gern mit jedermann.
Auf ein Verdienst muß sich Verehrung gründen:
Wer jeden achtet, achtet keinen;
Und weil auch Sie der Knecht sind dieser Sünden,
Drum sind wir fertig – ein für allemal.
Mir widerstrebt's, mich Leuten zu vereinen,
Die sich verschenken ohne Wahl.
Ich fordere, daß man mich höher stellt;
Der Allerweltsfreund kann mir nicht genügen.

Philint. Wir leben doch nun einmal in der Welt,
Und ihren Sitten müssen wir uns fügen.

Alcest. Brandmarken, sag' ich, muß man ohn' Erbarmen
Dies falsche Händedrücken und Umarmen.
Ein Mann sei männlich, und in jedem Fall
Soll er in seinem Wort sein Denken spiegeln;
Nie soll des Herzens echter Widerhall
Mit leeren Floskeln sich verriegeln.

Philint. Doch was die Offenheit zum Lohn erhält,
Ist meistenteils Verfolgung und Gelächter,
Und manches Mal, Herr Weltverächter,
Verlangt die Klugheit, daß man sich verstellt.
Ist's schicklich, ist es wohlerzogen,
Wenn man zu jedermann die Wahrheit spricht?
Und wenn ich einem Menschen nicht gewogen,
Soll ich es ihm bekennen ins Gesicht?

Alcest. Ja!

Philint.       Würden Sie der alten Schönheit sagen,
Daß es in ihren Jahren nur empört,
Wenn Frau'n sich schminken und kokett betragen?

Alcest. Gewiß!

Philint.             Dem Dorilas, wie sehr es jeden stört,
Wenn er bei Hof mit prahlender Betonung
Von seinen Taten, seinen Ahnen spricht?

Alcest. Jawohl!

Philint.             Sie scherzen.

Alcest.                                   Nein, ich scherze nicht
Und kenn' in diesem Punkte keine Schonung.
Was Hof und Stadt mir vor die Augen brachte,
Reizt mir die Galle, raubt mir meinen Schlummer,
Und Schwermut überfällt mich, tiefer Kummer,
Wenn ich das Treiben dieser Welt betrachte.
Ich sehe, wie ich meinen Blick auch schärfe,
Nur Unrecht, Selbstsucht, Lüge, falschen Sinn;
Mir wird's zu viel; es macht mich toll; ich werfe
Dem ganzen Menschenvolk den Handschuh hin.

Philint. Das ist ja lächerlich: Sie nehmen's allzu schwer
Mit ihrem philosoph'schen Herzeleide! –
Paßt nicht vortrefflich auf uns beide
Die »Ehemännerschule« von Molière,
Wo auch zwei Brüder . . .

Alcest.                                   Törichter Vergleich!

Philint. Nein, wirklich, sparen Sie die Zorngebärden.
Die Welt wird deshalb doch nicht anders werden,
Und weil der Freimut gar so tugendreich,
Drum sag' ich Ihnen frei heraus:
Dies all ist krankhaft, und man lacht Sie aus.
Ja, solch ein unbarmherz'ger Menschenfresser
Macht sich zum Narren überall.

Alcest. Potz Wetter – um so besser, um so besser!
Das freut mich äußerst, das ist grad mein Fall.
Gält' ich dem Volk für einen weisen Mann,
Das würde mich verzweifeln lassen.

Philint. So bitter klagen Sie die Menschheit an!

Alcest. Ich lernte sie aus tiefster Seele hassen.

Philint. Hat denn Ihr Grimm die armen Erdenseelen
In Bausch und Bogen ausnahmslos verdammt?
Ich denke doch, daß Männer uns nicht fehlen . . .

Alcest. Die Menschen hass ich, alle – insgesamt:
Die einen, weil sie falsch und ränkevoll,
Die andern, weil sie Falschheit höflich dulden,
Statt sie zu geißeln mit dem tapfern Groll,
Den sie der Tugend und sich selber schulden.
Hilft dies Vertuscheln nicht sogar zum Siege
Dem Schuft, mit dem ich im Prozesse liege?
Man kennt die Maske, die er umgehangen,
Man kennt ihn als den schändlichsten Kujon;
Sein Augenspiel, sein zuckersüßer Ton
Vermögen nur noch Bauern einzufangen.
Man weiß, daß nur durch Bubenstücke
Der Leisetreter es so weit gebracht,
Weiß, daß der Glanz von seinem Glücke
Verdienst entrüstet, Tugend schamrot macht.
Trotz allen Titeln, die er sich erworben,
Gibt's niemand, der für seine Ehre ficht;
Nennt man ihn ruchlos, diebisch und verdorben,
Stimmt jeder ein und keiner widerspricht.
Und doch ist seine Fratze stets willkommen,
Ist er in allen Häusern aufgenommen,
Und wo ein Amt zum Wettbewerb gestellt,
Schlägt er die besten aus dem Feld.
Zum Henker auch, ich kann's nicht überstehn,
Wie sie mit Schonung die Verruchtheit züchten,
Und manchmal möcht' ich in die Wüste flüchten,
Um keines Menschen Antlitz mehr zu sehn.

Philint. Ich bitte, zürnen wir etwas geringer
Auf die Gesellschaft unsrer Zeit;
Gehn wir in unsrer Strenge nicht zu weit
Und sehen wir ein wenig durch die Finger.
Die Welt verlangt zwar Tugend, doch mit Maß,
Und auch die Weisheit läßt sich übertreiben;
Vernunft, die ihrer Grenzen nicht vergaß,
Wird hübsch auf festem Boden bleiben.
Die starre Tugend der antiken Sitten
Ist heute nicht mehr wohlgelitten;
Sie fordert von den Menschen allzuviel.
Die eigne Zeit soll man nicht trotzig meistern,
Und Weltverbesserung, das ist ein Ziel,
Für das nur Toren sich begeistern.
So gut wie Sie begegn' ich hundert Dingen
Auf Schritt und Tritt und Tag für Tag,
Die anders sind, als man sie wünschen mag;
Ich aber weiß mich zu bezwingen.
Die Menschen nehm' ich, wie sie einmal sind,
Und was sie tun, ich trag's gelind
Und glaube, daß bei Hof und in der Stadt
Mein Phlegma klüger ist als Ihre Wut.

Alcest. Dies Phlegma, das so gute Gründe hat,
Dies Phlegma, kommt es denn durch nichts in Glut?
Und wenn die Freunde sich als Lügner zeigen,
Wenn man mit seinen Kniffen Sie bestiehlt,
Wenn Lästersucht nach Ihrem Haupte zielt,
Wie – werden Sie auch dann gelassen schweigen?

Philint. Was Ihren Zorn erregt, das sind die Schwächen
Der ganzen menschlichen Natur;
Erblick' ich Unrecht, Niedertracht, Verbrechen,
Ist mein Gefühl dasselbe nur,
Als säh' ich Geier, die den Raub erraffen,
Blutdürst'ge Wölfe, hinterlist'ge Affen.

Alcest. Man darf mich kränken, schinden und berauben,
Und ich soll nicht . . . Potz Wetter, nun genug!
Das sind ja Dinge, die Sie selbst nicht glauben.

Philint. Wahrhaftig, wenn Sie schweigen, ist es klug.
Sie tun den Gegner laut in Acht und Bann,
Statt den Prozeß zu fördern nach Gebühren.

Alcest. Mein Wort, ich denke nicht daran!

Philint. Wer aber soll denn Ihre Sache führen?

Alcest. Wer? Die Vernunft, die Billigkeit, das Recht.

Philint. Den Richtern würd' ich doch Besuche machen.

Alcest. Ist meine Sache unklar oder schlecht?

Philint. Gewiß nicht; aber bei den tausendfachen
Kabalen . . .

Alcest.               Unrecht oder Recht; es gibt
Kein Drittes.

Philint.               Seien Sie nicht allzu kühn!

Alcest. Ich rühr' mich nicht. –

Philint.                                     Ihr Feind wird sich bemühn,
Und er ist mächtig . . .

Alcest.                               Wie es ihm beliebt!

Philint. Wenn Sie sich aber täuschen . . .

Alcest.                                                       Warten wir!

Philint. Doch . . .

Alcest.                 Wenn ich unterliege, soll's mich freuen!

Philint. Indes . . .

Alcest.                 Erfahren will ich grade hier,
Ob in der Tat die Menschen sich nicht scheuen,
Ob sie so boshaft, ruchlos und verschlagen,
Mir Unrecht anzutun vor aller Welt.

Philint. Unglaublich!

Alcest.                       Wird das einmal klargestellt,
So will ich gern die Kosten tragen.

Philint. Nun, das ist schon der Gipfel aller Narrheit;
Wer Sie so reden hört, der lacht Sie aus.

Alcest. Schlimm für ihn selbst!

Philint.                                       Entdecken Sie vielleicht
Dieselbe Peinlichkeit und Sittenstarrheit,
Denselben Rechtssinn, der nicht wankt und weicht,
Bei Ihrer Auserwählten hier im Haus?
Mich wundert nur, da Sie, wie allbekannt,
Sich mit der Menschheit nicht vertragen können
Und keinem Sterblichen was Gutes gönnen,
Daß grade sie vor Ihnen Gnade fand.
Unfaßlich ist mir, ich bekenn' es offen,
Die sonderliche Wahl, die Sie getroffen.
Eliante ist Ihnen hold gesinnt,
Arsinoë wird rot bei Ihren Grüßen;
Doch gegen solche zarte Neigung blind
Ganz nach den Sitten unsrer Tage handelt
Auch sie kokett, spottsüchtig, launenhaft;
Wie aber kommt's, daß Ihres Hasses Kraft
Bei ihr allein in Nachsicht sich verwandelt?
Ist Schönheit wohl ein Freipaß für Gebrechen?
Sie sehn's nicht oder dulden, was sie tut.

Alcest. O nein! – Ich bin der jungen Witwe gut;
Indes, ich sehe deutlich ihre Schwächen.
Ich werd', obgleich mein Herz in ihrem Joch,
Sie streng zu tadeln nie vergessen.
Und ungeachtet alles dessen –
Ja, ich bin schwach, und sie gefällt mir doch.
Ich muß die Augen schließen, muß vergeben;
Denn ihre Anmut bleibt die Siegerin;
Jedoch ich zweifle nicht, daß ich berufen bin,
Sie aus dem Schlamm der Zeit emporzuheben.

Philint. Wenn das gelingt, dann wirklich alle Ehre!
Wird Ihre Lieb' erwidert?

Alcest.                                   Welche Frage!
Würd' ich sie lieben, wenn es anders wäre?

Philint. Liegt also die Erhörung klar zutage,
Warum noch sind Sie bange vor Rivalen?

Alcest. Ich will besitzen – ganz und ungeteilt.
Nur deshalb bin ich zu ihr hergeeilt,
Um ihr zu schildern dieses Zweifels Qualen.

Philint. Was mich betrifft, wär' ich an Ihrer Statt,
Ich weihte meine Seufzer der Cousine,
Die schlichten Sinn und wahre Neigung hat
Und mir viel passender für Sie erschiene.

Alcest. Das sagt mir die Vernunft in jeder Stunde;
Doch nach Vernunftgesetzen liebt man nicht.

Philint. Sei'n Sie auf Ihrer Hut! Die Zuversicht
Kann leicht . . .

Zweiter Auftritt

Oront. Vorige.

Oront (zu Alcest).     Eliante, so wird mir eben Kunde,
Und Celimene sind zur Stadt gefahren;
Doch hör' ich, Sie sind hier, und trete ein,
Weil Ihnen zu gestehn ich längst begehre,
Daß ich von ganzem Herzen Sie verehre
Und deshalb nichts seit langen Jahren
So eifrig wünsche, als Ihr Freund zu sein.
Ich liebe wahren Wert ins Licht zu setzen
Und suche diesen Bund geflissentlich.
Die Freundschaft eines Manns wie ich
Ist, denk' ich, nicht zu unterschätzen.

(Während Oront sprach, war Alcest in Gedanken versunken und schien nicht zu bemerken, daß er der Angeredete sei. Er erwacht erst aus seinem Traum, wie Oront fortfährt:)

Mein Herr, zu Ihnen sprach ich eben.

Alcest. Zu mir?

Oront.               Zu Ihnen. Kränkt Sie, was ich sprach?

Alcest. Nein; ich bin nur erstaunt und sinne nach,
Warum Sie grade mir die Ehre geben.

Oront. Erstaunt die Anerkennung einen Mann,
Der sie verlangen darf in allen Zonen?

Alcest. Mein Herr . . .

Oront.                         Der Staat ist viel zu arm; er kann
Solch ein Verdienst genügend nicht belohnen.

Alcest. Mein Herr . . .

Oront.                         Es reicht daran kein andrer Mann der Zeit,
Und wenn er auch die höchsten Würden trüge.

Alcest. Mein Herr . . .

Oront.                         Straf' mich der Himmel, wenn ich lüge!
Und zur Erhärtung meiner Herzlichkeit
Kann ich den Händedruck mir nicht versagen,
Der Ihren Freunden beigesellt auch mich.
Hier meine Hand, und kräftig einzuschlagen
Ersuch' ich Sie.

Alcest.                     Mein Herr . . .

Oront.                                             Sie weigern sich?

Alcest. Mein Herr, zu viel ist, was Sie mir verleihn;
Die Freundschaft scheint mir ernst und heilig,
Und ihren hehren Namen muß entweihn,
Wer allzuoft ihn ausspricht und zu eilig.
Einsicht und Prüfung ziemt für solche Ketten;
Wir sind dazu noch nicht genug bekannt;
Wir fänden uns vielleicht so wenig wahlverwandt,
Daß wir es beide zu bereuen hätten.

Oront. Mein Seel', so spricht ein weiser Mann;
Ich muß Sie deshalb um so höher halten.
Obgleich nur Zeit den Bund vollenden kann,
Bitt' ich Sie, jetzt schon über mich zu schalten.
Vielleicht kann ich bei Hof gefällig sein;
Man weiß, daß ich beim König etwas gelte,
Daß er mein Urteil schätzt ganz ungemein
Und auf den besten Fuß sich mit mir stellte.
Kurzum, ich werd' in Ihrem Dienst nicht ruhn,
Und da Ihr Geist mit großer Feinheit richtet,
Bitt' ich, mir gleich vertraulich kundzutun,
Ob ein Sonett, das ich heut früh gedichtet,
Veröffentlicht zu werden sich verlohnt.

Alcest. Mein Herr, erlassen Sie mir das. Nur schlecht
Taug' ich dazu.

Oront.                     Weshalb?

Alcest.                                     Ich bin gewohnt,
Aufrichtiger zu sein, als manchem recht.

Oront. Grad das verlang' ich; ja, ich müßt' es rügen,
Nachdem ich Sie ersucht um klaren Wein,
Wenn Sie mir irgend etwas unterschlügen.

Alcest. Da Sie darauf bestehen, mag's denn sein.

Oront. »Sonett« . . . 's ist ein Sonett. – »Hoffnung . . .« Es geht
Auf eine Dame, die mein Hoffen weckte.
»Hoffnung . . .« Die Verse sind nicht langgestreckte,
Nein, kurz und zart und leidenschaftdurchweht.

Alcest. Wird sich ja zeigen.

Oront.                                 »Hoffnung . . .« Auch den Stil
In leichten Fluß zu bringen war mein Ziel;
Und geben Sie auch auf den Ausdruck acht.

Alcest. Wir werden sehn.

Oront.                               Und halten Sie im Sinn:
Ich schrieb's in einer Viertelstunde hin.

Alcest. Nur zu; die Zeit kommt hier nicht in Betracht.

Oront (liest).
        »Hoffnung, auch wenn sie dazu frommt,
        Den Schmerz auf Stunden zu verscheuchen,
        Sag, Phillis, muß sie nicht entfleuchen,
        Wenn niemals die Erfüllung kommt?«

Philint. Ein reizender Beginn, ich muß bekennen.

Alcest (leise zu Philint). Wie? Haben Sie die Stirn, das schön zu nennen?

Oront.    »Du würdest, wenn du wahr mich liebst,
        Weit besser dein Gefühl verstecken;
        Was soll dein loses Spiel bezwecken,
        Wenn du mir nichts als Hoffnung gibst?«

Philint. Geschmack und feine Lebensart im Bund!

Alcest (leise zu Philint).
O Schmeichlerbrut! Sie loben diesen Schund!

Oront.    »Und soll ich harren stets und werben
        Im Banne deines Angesichts,
        So werd' ich in Verzweiflung sterben.
        Was hilft ein bloßer Strahl des Lichts?
        Die Hoffnung, Phillis, geht in Scherben,
        Wenn man nur hofft und weiter nichts.«

Philint. Am Schluß der Tonfall ist ganz unerreicht.

Alcest (leise für sich).
Die Pest in deinen Tonfall, Galgenstrick!
Fielst du doch selbst und brächst dir das Genick!

Philint. Nie hört' ich Verse von so zartem Duft.

Alcest (leise für sich).
Potz Blitz!

Oront (zu Philint).   Sie schmeicheln; glauben Sie vielleicht . . .

Philint. Ich schmeichle nicht.

Alcest (leise für sich).               Was tust du sonst, du Schuft!

Oront (zu Alcest).
Doch Sie, mein Herr, Sie kennen mein Verlangen,
Ich bitte, reden Sie ganz unverblümt.

Alcest. Das ist und bleibt ein mißlich Unterfangen;
Denn seinen Geist hört jeder gern gerühmt.
Doch als ein Herr – den Namen nenn' ich nicht –
Mir neulich Verse gab von eigner Mache,
Da sagt' ich ihm, es sei des Weltmanns Pflicht,
Daß er den Dichterkitzel überwache,
Sagt' ihm, zu zügeln sei der starke Trieb,
Der laut mit solcher Kurzweil prangen wolle,
Und wer geschäftig zeige, was er schrieb,
Der spiele keine neidenswerte Rolle.

Oront. Ist dieser Worte Zweck, mir auszusprechen,
Ich sei zu tadeln, wenn . . .

Alcest.                                       Das sag' ich nicht.
Doch jenem sagt' ich, daß ein frostiges Gedicht
Den guten Ruf verdirbt und lästig fällt,
Und daß man durch zur Schau getragne Schwächen
All seine Tugenden in Schatten stellt.

Oront. Sie finden also mein Sonett nicht gut?

Alcest. Das sag' ich nicht. Doch jenem macht' ich klar,
Daß grad in unsrer Zeit die Schreibewut
Schon vielen wackren Leuten schädlich war.

Oront. Soll das auf mich und meine Schriften passen?

Alcest. Das sag' ich nicht. Doch jenem sagt' ich frei:
Wer zwingt Sie denn zur Reimerei?
Und wer, beim Teufel, gar zum Druckenlassen?
Verzeihlich ist nur dann ein schlechtes Buch,
Wenn der Verfasser nagt am Hungertuch.
Bestehn Sie die Versuchung wie ein Mann,
Auf offnem Markt dergleichen auszukramen,
Und setzen Sie den guten Namen,
Den Sie bei Hofe haben, nicht daran,
Nur um aus gierigen Verlegerhänden
Als trauriger Poet hervorzugehn. –
So ließ ich damals meine Mahnung enden,

Oront. Sehr wohl, sehr wohl; ich glaube zu verstehn;
Indessen das Sonett, das ich gedichtet . . .

Alcest. Nun – bergen Sie's im stillen Winkel nur!
Nach schlechten Mustern hat es sich gerichtet,
Und jedes Wort darin ist Unnatur.
Was für ein Bild: »Auf Stunden zu verscheuchen«,
Und darauf reimt sich: »Muß sie nicht entfleuchen«!
Und dann erst dieses »Dein Gefühl verstecken«
Und ein so plumper Ausdruck wie »bezwecken«,
Und endlich gar: »Die Hoffnung geht in Scherben,
Wenn man nur hofft und weiter nichts.«
All dieser gleißend aufgeputzte Kram
Trägt nicht der Wahrheit redlich offne Züge,
Ist nur Getändel und gespreizte Lüge,
Die nie den Sprachklang der Natur vernahm.
Ich wünsche statt so falscher Poesie
Die Derbheit unsrer Väter mir zurück,
Und höher als ein heutig Meisterstück
Stell' ich ein altes Volkslied; hören Sie!

        »Und gäbe der König Heinrich mir
        Seine große Stadt Paris
        Und wollte haben, daß ich dafür
        Meine Herzallerliebste verließ',
        Ich spräche: König Heinerich,
        Behalte dein Paris für dich,
        Und ich, juche, behalte fein
        Die Herzallerliebste mein.«

Der Reim ist kunstlos und die Sprache schlicht;
Doch fühlen Sie nicht selbst, daß solche Klänge
Mehr wert sind als geschraubtes Wortgepränge,
Weil hier ein ehrliches Empfinden spricht?

        »Und gäbe der König Heinrich mir
        Seine große Stadt Paris
        Und wollte haben, daß ich dafür
        Meine Herzallerliebste verließ',
        Ich spräche: König Heinerich,
        Behalte dein Paris für dich,
        Und ich, juche, behalte fein
        Die Herzallerliebste mein.«

Man fühlt, der war verliebt, der dies erdacht.
    (Zu Philint, welcher lacht)
Ja, sagen Sie's den dichtenden Bekannten,
Daß mir dies mehr gefällt als ihre Pracht
Von lauter falschen Diamanten.

Oront. Doch meine Verse sind deshalb nicht schlecht.

Alcest. Sie haben Gründe, das zu glauben;
Doch meiner Gegengründe gutes Recht
Zu wahren müssen Sie mir schon erlauben.

Oront. Zum Glück werd' ich von andern mehr geachtet.

Alcest. Weil andre heucheln, und das tu' ich nicht.

Oront. So haben Sie vielleicht den Geist gepachtet?

Alcest. Das hätt' ich sicher, lobt' ich Ihr Gedicht.

Oront. Ich kann Ihr Lob getrost entbehren.

Alcest. Wird Ihnen auch nichts andres übrig bleiben.

Oront. Nur wüßt' ich gern, ob Sie imstande wären,
In Ihrer Art was Ähnliches zu schreiben.

Alcest. Wahrscheinlich mach' ich's ebenso verfehlt,
Nur daß ich's dann beileibe niemand zeige.

Oront. Sie sind von einem Selbstgefühl beseelt . . .

Alcest. Dann suchen Sie bei Andern Lorbeerzweige!

Oront. Mein kleiner Herr, Sie sind ein wenig keck.

Alcest. Mein großer Herr, das paßt zu meinem Zweck.

Philint (tritt zwischen beide).
Ich bitte, meine Herrn, das führt zu weit!

Oront. Ich gehe, da ich doch das Spiel verliere.
Mein Herr, ich bin Ihr Diener allezeit.

Alcest. Und ich, mein Herr, bin allezeit der Ihre.

Dritter Auftritt

Philint. Alcest.

Philint. Das kommt davon. Sie sprachen allzu frei
Und haben ihn gekränkt und aufgehetzt!
Ich merkte, daß er nur um Schmeichelei . . .

Alcest. Genug!

Philint.             Indes . . .

Alcest.                             Verlassen Sie mich jetzt.

Philint. Das ist zu viel.

Alcest.                         Ich wünsche . . .

Philint.                                                     Wenn . . .

Alcest.                                                                     Kein Wort!

Philint. Weshalb . . .

Alcest.                     Umsonst!

Philint.                                     Doch . . .

Alcest.                                                   Still!

Philint.                                                           Es ist nicht fein . . .

Alcest. Zum Henker auch, ich wäre gern allein.

Philint. Wo denken Sie nur hin? Ich geh' nicht fort.

 


 << zurück weiter >>