Eduard Mörike
Kleine Schriften
Eduard Mörike

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Wilhelm Waiblinger

Geboren zu Heilbronn in Württemberg den 21. November 1804
Gestorben zu Rom den 17. Januar 1830

Es liegen die »Gesammelten Werke« Waiblingers samt dessen Leben, von H. v. Canitz beschrieben, neun Bände, Hamburg bei G. Heubel 1842, und, ganz unabhängig von dieser Ausgabe, die »Gedichte«, herausgegeben von Eduard Mörike, aus demselben Verlag, Hamburg 1844, vor uns. Den letzteren gilt gegenwärtige Betrachtung vorzugsweise, indem wir uns zum Schluß ein Wort auch über jene, schon früher anderwärts besprochene Gesamtausgabe vorbehalten, aus deren 5. und 7. Bande hauptsächlich die besondere Sammlung der Gedichte durch Mörikes Redaktion hervorgegangen ist.

Wir unternehmen diese Anzeige dem Wunsche des Herausgebers zufolge, und müssen hier zuvörderst die Bemerkung[Handschrift (H):] das Bekenntnis vorausschicken, daß, nachdem er seine uns brieflich mitgeteilte Ansicht über Waiblinger und die von ihm erreichte Kunsthöhe[Handschrift (H):] Kunststufe, nebst mancherlei Belegen, uns zu beliebigem Gebrauch freigestellt, wir für das beste hielten, diese Äußerungen[Handschrift (H):] Bemerkungen meist wörtlich für unsere Darstellung zu benutzen, und daß somit das Publikum[Handschrift (H):] Leser-Publikum in allem, was in dieser Hinsicht Wesentliches vorgebracht wird, das Urteil[Handschrift (H):] die Äußerungen des Herausgebers erhält, das[Handschrift (H):] die Referent indessen mit vollkommener Überzeugung gern vertritt.

So wie diese Gedichte in der Gesamtausgabe erstmals im Jahre 1839 von ungeschickter Hand mit allem Schutt und Grus zusammengepackt wurden, und selbst wie sie nach mancher lobenswerten Ausscheidung noch jetzt dort stehen, sind sie als bloße Vorratsmasse, der Auswahl und Bearbeitung in hohem Grade bedürftig, zu betrachten; allein nunmehr diese vollzogen ist, sind sie nicht nur für die Kritik unentbehrlich, sondern ihre Vergleichung ist auch für jeden gebildeten Leser von Interesse, vornehmlich aber für angehende Dichter belehrend.

Mörike hat sich, wie man im voraus glauben wird, auch wenn wir es nicht mit Bestimmtheit aus erster Quelle versichern könnten, nicht weniger um dieser Poesien selber willen, die er für würdig hielt der deutschen Literatur erhalten zu bleiben, als aus wahrhafter Pietät zu Ehren eines mitunter ungerecht und lieblos beurteilten Freundes, einem so schwierigen Geschäfte unterzogen.

Man kann von Waiblingers großem Talent, seinen Vorzügen und Fehlern unmöglich reden, ohne dasjenige, was ihm im tieferen Zusammenhange des Menschen mit dem Dichter mangelte, wo nicht ausführlich zu besprechen, doch immer zu berühren. Seit seinen akademischen Jahren, mit deren Ende (1826)[Handschrift (H):] irrtümlich 1827 er das Vaterland verließ, war er und seine fernere geistige Entwicklung, soweit sie nicht aus seinen Schriften hervorgeht, seinem alten Tübinger Freundeskreise, zu welchem im entfernteren Sinne auch Referent gehörte, fast ganz aus den Augen gerückt. Uns allen ohne Ausnahme gab in jener Zeit sein Streben zu großer Sorge und Mißtrauen Anlaß. Sollen wir den Grund so kurz wie möglich mit einem allgemeinen Ausdruck bezeichnen, so war es in Beziehung auf die ganze Art, wie er Gott und die Welt[Handschrift (H):] Gott und Welt, den Menschen, die Geschichte, die allernächsten Verhältnisse zu betrachten pflegte, ein gewisser Mangel an treuem, schlichtem und zugleich selbständigem Wahrheitssinn, womit z. B., im Poetischen, die Neigung zu äußerlicher Auffassung, insonderheit des überall zuerst von ihm gesuchten Grandiosen, und mehreres zusammenhängt. Faßte ja damals Waiblinger sein eigenes Wesen in einem falschen Spiegel auf, unter unklaren Begriffen von Größe, Schicksal, Schuld, die keine Reue bedarf, von Unglück, welchem nur der Trotz gebühre: daher allein auch die beinahe gewaltsame Selbsttäuschung rührt, worin er sich über den eigentlichen Grund der Entfremdung seiner Freunde noch häufig in den Gedichten erhält. Bei seinem Abschiede von Deutschland, beim Antritt einer neuen Epoche kam alles darauf an, daß er die alte rein abschließe, die herben Schmerzmaterien der Vergangenheit entweder ganz ausstoße oder sie aus der Ferne mit mehrerer Freiheit über sich selbst auf künstlerischem Wege überwinde; daß er dasjenige, was an seiner philosophischen Weltanschauung noch Rohes, Loses, Unberechtigtes und vorschnell Angemaßtes war, kultiviere, berichtige, da sie, indem sich alles Selbstgefällige freiwillig niederschlug, sich mit der lebendigsten Wahrheit erfülle, den ungeahnten Keim eines unendlichen Wachstums in sich tragend. Von hier aus aber dann, bei einem so reichen Talent, welch' eine Aussicht auf die poetische Ernte! Allein unter seinen Umständen war Italien und (wie er wollte, später) Griechenland ein gefährlicher Boden. Diese Herrlichkeit kam noch zu früh für ihn. Seine Irrtümer flossen mit diesen Wundern vielfältig zusammen. Er nahm sich einseitigen Trost in Fülle aus ihnen und ward durch sie nicht sowohl über sich selbst hinausgehoben, als daß er sich vielmehr in dem Seinigen bestätigt fand, den Zweifeln seiner vermeintlichen »Feinde« in der bescheidenen Heimat gegenüber nun mächtiger als je. Dies war wenigstens längere Zeit der Fall. So konnte er sich anfänglich nur langsam vorwärts bringen. Wie weit er dessenungeachtet und trotz so mancher anderen Hindernisse innerlich mit Lösung jener Aufgabe gekommen, bevor ein frühzeitiger Tod sie abgeschnitten, getrauen wir uns hier mit Sicherheit nicht zu bestimmen. Auf alle Fälle finden wir in seinen Gedichten überraschende und rührende Spuren einer getreueren, einfacheren Selbstanschauung, wenn sie sich auch meist nur in allgemeineren und darum weniger beweisenden Ausdrücken verrät. In den Liedern aus Capri (1829) liest man das Bekenntnis: – – »Ich muß die Zeit verfluchen, / Da ich gelernt, des Lebens Geist und Würde / In Freiheit ohne Schrank' und Maß zu suchen.« Und »Den Glücklichen ist alle Ruh' beschieden, / Ich aber jage nur nach eitlem Ruhme, / So sah denn auch noch keiner mich zufrieden.« – Und dann liegt es in der Natur der Poesie, daß das Subjekt des Dichters in ihr um vieles mehr gereinigt, rund und ganz erscheint, daß er hierin sogar sich wirklich voraneilt und selber übertrifft. Was aber gleichwohl innerhalb unserer Auswahl sich in Folge gedachter subjektiver Mißverhältnisse und jugendlicher Unreife als ästhetische Störung da und dort bemerklich machte, trat teils nicht grell hervor, teils war es ohne irgendein Unrecht sowie ohne Nachteil zu mildern oder ganz zu entfernen.

Waiblinger bewegt sich in diesen Gedichten, dem Schauplatz gemäß, auf dem ihre Mehrzahl entstand, mit dessen Geiste der Verfasser schon auf den Schulen seiner Heimat leidenschaftlich sympathisierte, zumeist in der klassischen Richtung, und zwar in der Art, wie sich solche unter andern vorzüglich durch Hölderlin mit dem Gemüt der deutschen Dichtung vereinigt. Die tiefe elegische Schönheit des letzteren, seine krankhafte, man darf es wohl sagen, schon sehr frühzeitig beinahe zur fixen Idee gewordene Sehnsucht nach dem Griechentum hatte den mächtigsten Einfluß auf Waiblingers Lyrik; Platen, welchem er in Rom persönlich befreundet war, wirkte mit ein; an Goethe erinnern die elegisch-epigrammatischen Stücke von Neapel (leichte, jedoch lebhafte, mit Zwischenblicken auf sich selbst durchsetzte Schilderungen, die mit dem markigen Gehalt der Goetheschen Früchte aus Venedig und Rom nicht verglichen werden wollen). Es finden sich zwar außer den im antiken Gewand auftretenden Stücken auch viele gereimte; sie sind jedoch mit wenigen Ausnahmen alle durch ihre stofflichen Ingredienzien mehr oder weniger von jenem Element durchdrungen und tingiert, und wenn auch manche andere, uns näher verwandte Töne nicht fehlen, so würden wir einen spezifisch deutschen Charakter doch überall vergeblich suchen. Man hätte aber gröblich Unrecht, wollte man hieraus nur ungünstige Schlüsse ziehen und etwa die Erscheinung gern aus einem vornehmen Kitzel erklären. Etwas hellenistische Hoffahrt ist, ehrlich gestanden, bereits bei unserem erwähnten herrlichen Landsmann Hölderlin sichtbar, noch mehr Derartiges vielleicht bei Waiblinger, dessenungeachtet[H.:] demungeachtet aber liegt bei dem einen wie bei dem andern ein echter Enthusiasmus und die natürliche Verwandtschaft zugrunde. Übrigens gibt, was wir von Waiblinger besitzen, keinen vollkommenen Maßstab für den faktischen Umfang seiner Lyrik. Referent muß hier einer früheren, ziemlich starken Sammlung, die in den letzten Tübinger Jahren entstand und, während Waiblinger schon auf der Reise war, auf die elendeste Weise verschleudert worden ist, erwähnen[H.:] erwähnen fehlt in H.. Sie war nach Stoff und Form sehr verschiedenartig ausgestattet und wir erinnern uns mehrerer Stücke, die unserer Sammlung zu vorzüglichem Schmucke gereicht haben würden. Doch[H.:] Monatsblätter(M.): d. h. auch dort war war auch dort bereits Romantisches, Ballade etc. völlig ausgeschlossen, hingegen das naive Lied weit mehr als gegenwärtig, da es gänzlich[H.:] fast gänzlich fehlt, repräsentiert.

Wenn unser Dichter nun das Altertum und seine großen Denkmäler, mitten im unvergänglichen Reiz jener Gegenden, immer aufs neue staunend und entzückt meistens in schwermütiger Stimmung feiert, sich über seine persönlichen Verluste schmerzhaft, oft bitter, aber nicht ohne männlichen Halt vielfach ergießt; dann wiederum, wenn er von der bunten Gegenwart italienischen Volkslebens angezogen, dies tägliche Treiben, Feste und Spiele, Straßen, Markt und Seeplätze in kleinen Bildern vorführt; wenn seine Betrachtung endlich bei einzelnen Kunstwerken alter und neuer Zeit, zuletzt in Scherz und Spott bei einigen Schwächen der heutigen römischen Kunstwelt und mancherM.: manchem Besucher verweilt – was sind die allgemeinen Merkmale, wodurch sich der Verfasser zu seinem Ruhme charakterisiert? Mit Freuden sprechen wir es aus: Geist, hohe Leidenschaft, Wahrheit bei allem Glanz der Darstellung, ungemeines Talent für malerische Totalität in rasch entworfenen Schilderungen, und alles das den Adel und die Anmut der antiken Form wie jeder andern, leicht und natürlich an sich nehmend; jener Wohllaut, welcher, zunächst als unmittelbare Äußerung der schön bewegten Seele, die einzelnen Verletzungen der strengeren prosodischen Gesetze in alten Versarten freilich noch nicht ausschließt. In den Sinngedichten (der letzten Abteilung unseres Bändchens) offenbart sich zum wenigsten ein allgemeines gesundes Kunsturteil, viele Lebhaftigkeit und eine echte satirische Ader. Was Individualität und Eigentümlichkeit dieser Poesien im Ganzen betrifft, so wird ein kenntliches Gepräge ihnen sehr schwerlich abzusprechen sein, obschon der Einfluß der klassischen Form sie in dieser Beziehung überhaupt nicht begünstigen konnte. Die Phantasie, nach welcher, als einer besonderen Gabe, da wo einmal Schönheit vorhanden ist, eigentlich keine Frage mehr sein sollte, erscheint gemäßigt, angemessen, niemals seltsam noch erzwungen.

Wir teilen hier zuvörderst als Probe in Rücksicht auf Ton, auf Wahrheit und Stärke der Empfindung ein alkäisches Lied, ohne erst lang zu wählen, vollständig mit.

Abschied von Olevano

Leb' wohl, du unvergeßliches Felsendorf,
Leb' wohl! Mit heiter scherzendem Lied nicht mehr
    Will ich dich preisen, wie's den Kindern,
        Göttern und Glücklichen ist gegeben.

Der leichte Scherz, der flüchtig im Sommertag,
Dem Schmetterling vergleichbar, die Blumen neckt,
    Ist nicht mein Erbteil, anders lenk' es
        Jener zerstörende Geist, den schauernd

Im Lebenskampf mein glühendes Herz erprüft.
Gefährlich ists zu spielen; die Nemesis
    Ist eine ernste Macht, die Charis
        Fliehet vor ihr in das Reich der Kindheit.

Was dein Beginnen, armes getäuschtes Herz?
Ziemt es dem Krieger mitten im Graun der Schlacht,
    Dem Schiffer in des Meers Orkanen,
        Bilder der Heimat, der Ruh' zu nähren?

Den aus des Paradieses verlorner Lust
Der unversöhnte zürnende Gott gejagt,
    Ziemts dem, die süße Frucht zu wünschen,
        Deren Genuß ihm den Tod bereitet?

Still, Herz, dein wartet Rom! noch empfängt dich heut'
Sein uralt Tor, und größerer Herrlichkeit
    Schwermüt'ge Reste wirst du schauen,
        Schäm' dich des Wen'gen, das du beweinest!

[Anstelle des vollständigen Zitats folgt im Manuskript eine Verweisung auf S. 70 von Mörikes Ausgabe, wo das Gedicht steht, sowie die Bemerkung: »Mit gehöriger Einrückung der Zeilen«, da diese dort nicht gestaffelt abgesetzt sind, ferner die Rechtfertigung der Änderung in Strophe 8.]

Und dennoch einmal, einmal noch kehrt mein Blick
Sich rückwärts, wo der wallende Nebeldunst
    Und wilde Morgenwolken rötlich
        Mir mein Olevano schon umziehen.

Ists nicht, als wärs der dampfenden Erd' entrückt?
Versteh' ich euch, ihr Himmlischen? wie, hinfort
    Wärs nimmer möglich, wärs vorüber
        Wäre verschwunden für mich auf ewig?Ursprünglich: »Versteh ich dich, o Geist der Natur? Hinfort?« etc. Vom Herausgeber billig geändert, da der Naturgeist als bewußter Schicksalsdämon nicht wohl zu denken, wenigstens hier nicht an der Stelle ist.

Und was auch hofft' ich, glücklich zu sein, und es
Zu bleiben für und für, o verwegner Wahn!
    Mir reifen keine Früchte; Blüten,
        Aber hesperische, sind mein Alles.

Ach freilich süß wars, menschlicher Irrtum nur,
Was ich geträumt. Noch lief in der Schattenwelt
    Hofft ja der Tote, seine Qualen
        Gern mit der Freuden Erinn'rung nährend.

Nach finstern Tagen bricht aus dem Nachtgewölk
Oft noch ein hold wehmütiges Abendlicht,
    Und mancher schon am Rand des Grabes
        Lächelt und spricht noch vom Glück der Jugend.

O wer nur einmal irrte! Zu schön, zu tief,
Zu wahr ist doch die Täuschung, zu herb, zu leer
    Die Wahrheit, und in Wolk' und Nebel
        Bildet den Bogen die sanfte Iris.

Darum ists dir nicht Schande, mein Dichterherz,
Wenn du dem teuren Felsen, dem gastlichen,
    Und dem noch Teurern, was dir droben
        Atmet, noch einmal voll Liebe zuweinst!

Das sei der Opfer letztes und zärtlichstes,
Hinfort laß ab von Hoffnung, du kennst dein Los;
    Dein Glück, dein kurzes Zauberleben
        Flieht mit dem fliehenden Bild der Berge.

Und Wiedersehn? Sie hofft' es, versprach es ja.
Doch ach! sie kennt den glücklichen Träumer nur,
    Kennt den Erwachten nicht; – so lebe
        Wohl, o Geliebte, die Götter gebens!

In Ermanglung des Raumes für mehrere zusammenhängende Mitteilungen fügen wir uns nur ungern dem Gebrauche mit Aushebung weniger abgerissener Beispiele von neuen, treffenden und starken Bildern oder leuchtenden Gedanken.

An die Berge von Latium

»Und du, Ariccia, Tochter Sikelias,
Die du dein wollustschmachtendes Angesicht
    Mit deiner Haine Zaubernacht der
        Glühenden Sonne verschämt bedeckest!«[M.:] bedecktest etc.

Der Tod

»Wenn Freunde sich am Halse liegen,
Voll Jugend, Seele, Kraft und Mut,
Und sich im Lebenskampfe wiegen,
Wie Föhren in der Stürme Wut.« etc.

An die Berge von Latium

                                                        »Rom,
Das, einer Milchstraß' ähnlich, die farbige
Campagna hin sich lagert voll Majestät.« etc.

Oden an seinen Freund Eser

                »Wo einsame Straßen –
                Hier Kuppeln in der Abendröte,
                Dort des zertrümmerten Collosseums
                In Sonnenflammen atmende Riesenwand
                Prachtvoll mir zeigen.«

»Schon in der Blüte ehrt man die Frucht. Am Grab'
Achills einst stand der junge Eroberer
    Und weint'; in einer Träne glänzten
        Alle Triumphe der künftigen Hoheit.« etc.

»Ach sänft'ge nun, o Rom, dein tyrannisch Herz
Und beuge dich der Zeit. Der gefallene
    Herrschgier'ge Engel rang vergebens
        Einst mit dem Himmel um seine Krone.«

»Der Städte Raffael ist Neapel, Freund!«Die angeführten Stellen sind in H. u. M. nicht in Versen abgesetzt.

Lieder aus Capri (wovon Nr. 3 von unserem Louis Hetsch mit jener unbeschreiblich schönen Melodie beschenkt wurde). Der Dichter saß im engen Capriboote, nachts von Neapel nach seiner einsamen Insel zurückfahrend, einer schönen Frau gegenüber, die einer Fischerfamilie angehörte; sie sahen die Lichter des Strandes, das Ende der Fahrt, schon hörte[M.:] hörten sie den Ruf des Vaters, der alte Fischer schließt sie in die Arme:

»Nun gute Nacht! Und meine Felsenstufen
Wandr' ich empor mit ungetrübtem Sinne:
Zwar es verliert, wer Kraft hat zu entsagen,
Doch leicht ist der Verlust vor dem Gewinne.«Die angeführten Stellen sind in H. u. M. nicht in Versen abgesetzt.

Es mögen nun auch einige epigrammatische Proben folgen.

Madonna del Gran DucaGemälde Raffaels, im Palast Pitti zu Florenz am Bette des Großherzogs befindlich.

Wie voll Unschuld du bist, du süß jungfräuliches Antlitz,
    So befangen, so sanft, kaum noch der Kindheit entblüht!
Schüchtern noch tust du, obwohl schon Mutter geworden, so bist du
    Dirs nicht bewußt und weißt selbst noch nicht, wie dir geschah.

Madonna di Foligno

In den Himmel erhoben, zur Königin herrlich verkläret,
    Blieb dir das Herz, wie es war, aber es wuchs dir der Geist.
Denn man betet dich an, du umgibst dich mit strahlender Hoheit,
    Und der Vater hat dir längst dein Geheimnis enthüllt.

Michel Angelo Buonarotti

1

Nicht wie zu Sanzio geheim in der Stunde der Weihe die Gottheit
    Niederstieg, und sein Herz ruhig im Schaun sich gestillt,
Du hast im Rosenduft den schöpf'rischen Gott nicht gefunden,
    Nur in dem Riesengebäu seiner Planeten erkannt!

2

Dein Gott ist der Verstand; ein anatomischer Newton,
    Wolltest du Nahrung für ihn, wo sie in Strömen erquillt.
Wie du dem eigenen Herzen Tyrann warst und dem Gemüte
    Harter Gebieter, so gibst auch dem Gemüte du nichts.

Tizians Venus

Das ist Venus, die Göttin, die hohe olympische Schönheit?
    Nicht die Venus ist das, aber der Venus Geschöpf.

Canovas Hebe

Du bist reizend und üppig, ich leugn' es dir nicht, und die Sinne
    Fühlen es, schwach ist das Fleisch, ist er auch willig der Geist.
Aber ich sorge denn doch, es ist kein uranischer Nektar,
    Ist nichts Göttliches, was du auf der Schale mir beutst.

An die Supranaturalisten in der Kunst, Fiesolaner usw.

(16)

Manieriert und barock ist Angelos Moses? Wohl etwa,
    Weil es euch[euch fehlt im M.] eben nicht scheint, daß er viel Magro[M.:] Magre gespeist?

(17)

Das sind Bäume, so wie sie uns Pinturicchio gemalt hat –
    Ja, getrocknet sind die, wie in der Bibel gepreßt.

An die Mißgünstigen unter den Künstlern

(1)

Er ist ein Künstler? – »Ein Maler.« – In Rom gewesen? – »Versteht sich.«
    Ist es möglich? – »Jawohl, sehen Sie, hier ist mein Paß!«

(2)

Lorbeer wollt' ich von euch? O ihr irrt, denn ihr, meine Freunde,
    Seid ja der Feigenbaum, den der Erlöser verflucht.

(3)

Ihr seid Künstler? Ihr malt und meißelt; doch seid ihr es darum?
    Straßenpflaster ist doch immer Mosaik noch nicht.

Deutscher Historienmaler

Und weil wir unsichtbar Unsichtbares bilden nicht können,
    Seis von der groben Natur wenigstens gänzlich entfern etc. etc.
Drum mit wenigem Fleisch und himmlischer Magerkeit kleide
    Deine Heiligen, daß fast ihre Seelen man sieht etc. etc.

Die oben angeführten und soeben bewiesenen Tugenden nun waren freilich und sind natürlicherweise noch jetzt nicht alle durchaus und gleichmäßig herrschend. Sie waren aber überdies durch Flecken mannigfacher Art von Hause aus dermaßen getrübt und verdeckt, daß schon ein liebevolles Auge dazu gehörte, um sie gerecht zu würdigen. Es fanden sich zähe Partien, wo ein Gedanke, entweder weil er augenblicklich nicht vollkommen reif in sich selber geworden, sich minder kräftig entfaltete oder sonst in der Form verkümmerte; selbst flache, magere und farblose Stellen, welche den edeln Fortgang der vollströmenden Empfindung oft sonderbar und auffallend genug unterbrachen; kleine und große Überladungen, Längen, Abschweifungen, Schwulst. Es begegnet Waiblinger leicht, daß er zu Superlativ wird (wir meinen damit nicht eben[H.:] etwa die schöne Überschwenglichkeit so mancher Ode), daß er, die der Grazie so eng verwandte Modestia der Alten (im ethischen[H.:] ethisch-ästhetischen Sinne) verletzend, den Mund etwas zu weit auftut, und zwar dieses fürs erste vielfach ohne näheren Bezug auf sich selbst[H.:] fehlt: selbst, sodann aber entsteht durch einen ungeschickten vorlauten Ausdruck und dergleichen auch wohl der Anschein des persönlich Prahlerischen. Beispiele von beiderlei Art sind: Röm. Karneval, Gesamtausgabe 7. Band S. 42–43, welche ganze Schilderung so schließt: – »Alles in Mänadenwut, Saturnalische Vergnügen« (diese Phrasen wiederholen[H.:] repetieren sich). »Und des eignen Lebens denk' ich, | Da voll frischer Kraft und Seele | Meiner Jugend Feuerströme | So gewaltig in mir rauschten, | Da sie alle kühn und mutig | In bacchantischer Bewegung | Schäumend sich hinabgestürzt in den Ozean der Liebe.« – St. Onofrio, Gesamtausg. S. 19, bei der Aussicht auf Rom: »Und ich knie' auf die steinerne Bank und hinunter, hinunter | Schau' ich wie Zeus im Olymp über die Herrliche hin.« – Der Abendstern, Gesamtausgabe S. 9: »Als träumend mit großen Menschen, | Großen Freunden das (mein) Auge« etc. und Vier Elegien, Gesamtausg. S. 75: »– Lacht' und nanntenennte mich einen finstern Träumer, | Dem die Stirne zu frühe sich gefaltet.« – Im seltensten Fall entschlüpft ihm sogar ein widerlich koketter Zug: Röm. Karneval, Gesamtausg. S. 35, 40: »Und das Töchterchen der Liebe | Führt den Sänger leicht und tänzelnd«. »Gib die Hand mir, Kind der Liebe«. Man wird uns hier nicht mißverstehen; wir lassen poetisch jede Art von Übermutvon Selbstgefühl, Übermut und Sinnlichkeit gelten, vorausgesetzt sie sei der schönen Darstellung fähig und stelle sich wirklich schön und ohne falschen individuellen Beigeschmack dar. Wir fanden ferner Einförmigkeit gewisser Klagen und in Bezug auf historische, mythische, landschaftliche Gegenstände seiner Bewunderung die öftere Wiederkehr vonmancher Lieblingsanschauungen und BildernBilder manchmal in stehenden Worten. Die schönen klassischen und italienischen Namen sind wahrlich ein substantieller Teil der Schönheit dieser ganzen Region, sehr wirksam für die Phantasie und echte Zierden eines Gedichts, nur müssen sie weit sparsamer verwendet werden, als von Waiblinger geschieht, wenn nicht der Schein kindischen Wohlgefallens oder, mit Unrecht, noch ein schlimmerer, erweckt werden soll.

Soweit diese Gebrechen nicht als einfache Geschmacksverstöße sich aus der Jugend[M.:] Tugend des Verfassers, dem Überflusse[M.:] Überflusse der noch um das rechte Maß verlegenen Empfindung, oder[H.:] oder aber aus Waiblingers Wesen, wie wir es oben angedeutet haben, hinlänglich[H.:] nicht hinlänglich von selbst erklären, ist eine weitere Bemerkung hier am Platze. Gleichwie die Ungeduld eines frühzeitig alles bei ihm verschlingenden Ehrgeizes seiner Gesamtentwicklung schadete, seine schriftstellerische Bildung im Ganzen übereilte, so war eben diese Ungeduld und dann eine ihm eigene RaschheitRapidität bei der Arbeit ein sehr wichtiges Hindernis für ihn, seiner Poesie überall diejenige Intension, Tiefe und Mannigfaltigkeit, deren sie fähig war, samt jeder Art von Ausbildung zu gewähren. Er pflegte Prosa und Verse in einemEinem raschen Gusse mit bewundernswürdiger Leichtigkeit niederzuschreiben, daß man sie in der Tat wie Impromptus ansehen darf. (Seine Freunde erinnern sich noch der runden, welligen Züge seiner Konzepthandschrift, die sich, in gleichen Linien fortlaufend, nur für ihn leserlich, wie eine angenehme Chiffernschrift[M.:] Ziffernschrift ausnahm und selten eine Korrektur zeigte.)

Nach allem diesem[H.:] diesen mußte nun eine zweckmäßige Revision dieser Gedichte eine ganz andere Aufgabe werden, als der Herausgeber eines Verstorbenen gewöhnlich vor sich hat. Derselbe hat im gegenwärtigen Fall sich verstattet, bei manchem Stücke tiefer in seinen innern Organismus einzugreifen, ganze Stellen und Strophenreihen wegzuschneiden, hie und da Verse und Versglieder völlig aufzulösen und, während der Gedanke in einer abweichenden Form derselbe blieb, oder sich auch wohl wirklich als ein anderer, zwar immer aus der lebendigen Mitte des Ganzen heraus, doch mit Freiheit entwickelte, die Lücke auszufüllen usw.

Die Frage, ob ein solches Verfahren irgend jemandJemanden außer dem ersten Autor erlaubt sein konnte, läßt sich allerdings nicht ohne weiteres abweisen. Referent war anfangs selbst, als er von dieser Absicht hörte, zweifelhaft und nicht dafür, wurde jedoch bald anderer Meinung, und der Erfolg rechtfertigte, wie es manchmal geschieht, auch hier das Wagnis, wenn es eines war. Der Ausspruch: »Sint ut sunt aut non sint« auf diese Poesien angewendet, wäre grausam. Und eigentlich dürfte man sagen: eben in ihrer ursprünglichen Gestalt, wenn auch etwa mit Ausscheidung des Schwächsten, gesammelt, waren sie nahezu so gut als gar nicht. Denn wer mag wohl Gedichte lesen, wenn gerade das, was den meisten Anspruch auf Bedeutung hätte, mit einzelnen unerträglichen Makeln behaftet, einen reinen Genuß selten zuläßt. Der Dichter hätte diese Fehler, so viel ist entschieden, bei längerem Leben selbst verbessert, und sehr leicht; allein da dies einmal nicht hat sein sollen, wollte man deshalb das Gute und Vorzügliche lieber gar preisgeben? Eine Auswahl lediglich auf solche Stücke beschränkt, welche durchaus unangetastet bleiben konnten, wer würde sie ohne Verdruß ansehen, wenn er wüßte, das Wichtigste sei zum großen Teil durch diesen Grundsatz ausgeschlossen worden? Hat nun ein Dichter, hat ein Freund, von dem der Abgeschiedene bei seinen früheren Arbeiten gerne Rat annahm, in treuem Sinne seine Kunst für ihn hergeliehen, verdiente er sich nicht unsern und des Verfassers Dank? Es ist zwar eine andere Hand, doch keine unberufene, keine fremde, und wenn man zugeben muß, Mörikes Änderungen halten sich überall vollkommen natürlich, im Geiste des Originals, verwischen nie die ethische Persönlichkeit, sondern nur die mißratene Äußerungsweise derselben und fallen weder unter noch über das poetische Vermögen des Verfassers, wenn es sich vielleicht zeigen sollte, es seien ihrer nicht einmal so viele, als man sich nach dem bisher Gesagten etwa vorstellen möchte – wir unsererseits hätten zum Vorteil der Sache gewünscht, Mörike wäre noch weiter gegangen – so dächten wir, man dürfe[H.:] dürfte sich von dieser Seite nicht beklagen. Kein bängliches Gefühl, als hätte man ein zweifarbiges Doppelwerk vor sich, wird den Leser beschleichen. Statt alles allgemeinen Lobes, das leicht parteilich scheinen könnte, sollen einige Proben der Verbesserungen folgen, damit ein jeder selbst den Grad beurteile, in welchem der Redakteur die für ein solches Geschäft erforderlichen Eigenschaften, eine gewisse freie Selbsttätigkeit mit Schonung und Accomodation, Takt, Feinheit und Gewandtheit in leisen formellen Kunstgriffen, wobei es oft auf HaarbreitenHaaresbreiten ankam, um das Rechte zu treffen, gezeigt hat.

Lied der Weihe, Gesamtausg. 7. Bd. S. 3. Mörikes neue Ausgabe S. 3. Original:

Drum hofft der Sänger auch willkommen
Mit seinem Herzensgruß zu sein:
Denn ob ihm schon das Glück genommen,
Was wild und zart, was groß und klein
Das heiße Herz ihm einst erfreute,
Der Heimat wie der Liebe Lust,
Ach Wonnen, die er nie bereute,
Die Sehnsucht jeder Menschenbrust;

Verbesserung:

Drum hofft willkommen euch[M.:] auch der Sänger
Mit seinem Herzensgruß zu sein,
Es mische nun sich auch nicht länger
Verlorner Tage Gram darein.
Schüchtern verhüllt er selbst der Freude
Erinn'rung sich und Lieb' und Lust –
Ach, Wonnen etc. etc.

Der »Gram verlorner Tage«, sowie die Idee des Vergessens ist aus der nächstfolgenden Strophe heraufgeholt, die einer Matthissonschen Reminiszenz wegen (»das trübe Nachtstück überschwillt die reine Flut des neuen Lebens, wo die Vergangenheit versank«) wegfallen mußte!

Der Kirchhof. Gesamtausg. S. 185. Neue Ausg. S. 35. Ein auf dem[H.:] den Begräbnisplatz der Protestanten in Rom gedichtetes Lied, dessen schlichter, sanft resignierter Ton, zum wenigsten für uns, einen besondern Reiz hat, so daß wir die etwa noch übrigen kleinen Anstände (z. B. das nicht so ganz natürliche Bild von der Lethne) gern übersahen, nachdem Auffallenderes beseitigt ist.

Original: (Anfang)

Die Ruh ist wohl das beste
Von allem Glück der Welt;
Mit jedem Wiegenfeste
Wird jede neue Lust vergällt.

Verbesserung:

Was bleibt vom Lebensfeste,
Was bleibt Dir unvergällt?

Original:

– – – – Nun weiß ich auf der Erde
Ein einzig Plätzchen nur,
Wo jegliche Beschwerde
Im Schoße der Natur,
Wo jeder eitle Kummer,
Der mir den Busen schwellt,
In langen tiefen Schlummer
Wie's Laub vom Baume fällt.

Verbesserung:

Wo jeder eitle Kummer
Dir wie ein Traum zerfließt,
Und dich der letzte Schlummer
Im Bienenton begrüßt.

Original: (Schluß)

Die Brüder selbst, sie stören
Hier meine Ruhe nicht,
Nur selten, daß sie hören,
Wie mir ein Ach entbricht.
Sie schlafen hier geschieden
Von aller Welt, allein;
O welch ein Glück hienieden
Kein Gläubiger[M.:] Glücklicher zu sein!

Verbesserung:

Ich wär' es wohl zufrieden,
Der ihrige zu sein.

Der Tod (1825). Gesamtausg. S. 252. Neue A. S. 163.

Original: (Schluß)

O wenn das grenzenlose Leben
Sich siegend aus dem Kampfe stritt,
So wie ein heller Stern, der eben
Hervor im Jugendstrahle tritt:
Wer sollte da zum Gott nicht flehen;
Was gäbe noch die Erde mir?
O laß mich, laß mich nur vergehen!
Hinüber noch zu dir, zu dir!

Verbesserung:

– – – – – – – – flehen:
Ende[M.:] Erde, vollende diese Lust!
Laß unter Jauchzen mich vergehen,
Unsterblicher, an deiner Brust!

Abschied auf dem Genfersee, Gesamtausg. S. 255[M.:] 235. Neue Ausg. S. 170, erfuhr unter anderem folgende Änderungen:

Original:

Hier – – –
Wo die Natur des Lebens schönste Quelle
So schreckhaft an des Todes Grausen rückt,
Da, wo des Lemans rein kristallne Welle
Zwei Welten an die Ätherlippen drückt,
Hier Kind und Jungfrau sich mit Rosen kränzen,
Und dort des Montblancs weiße Häupter glänzen.

Da scheidet sich, ich fühls in tiefstem Beben
Wie einer Ahnung ernsten Geistergruß,
Auf ewig auch für meine Welt das Leben;
Und mit dem letzten stummen Abschiedskuß,
Den ich vom Berg und Vaterland gegeben,
Und mit dem letzten schweren Vollgenuß
Der Leiden all' und ach der wenig Lieben,
Was ist mir mehr als dieses Herz geblieben.

So glaubt' ich nicht die Heimat zu verlassen,
Ein Totenacker dünkte sie mir einst,
Worin die Freuden alle dir erblassen,
Und nur die Tränen rinnen, die du weinst.
Du Armer, den selbst die Geliebten hassen,
Die du für ew'ge Zeit zu fesseln meinst,
Dem keine Ruh im schweigenden Gemüte,
Die Totenrose nur auf Gräbern blühteDie Aufopferung dieser Stelle ist keine historische Veruntreuung gegen den Dichter, da sie, wenn sie irgend eine Geltung haben sollte, nur eine sehr figürliche hätte, indem Waiblinger keinen besondern hieher gehörigen Verlust durch den Tod erlitt..

Verbesserung und Zusammenziehung:

– – – –
Zwei Welten an die Ätherlippen drückt,
Hier teilt sich auch mit bangem Widerstreite
Mein Leben, das der Dämon längst entzweite.

So glaubt' ich nicht die Heimat zu verlassen,
Unwert der Liebe dünkte sie mir einst,
Wo einsam bleibt, was froh sich sollte fassen,
Und nur die Tränen rinnen, die du weinst.
Du Armer, den selbst die Geliebten hassen,
Die du für ew'ge Zeit zu fesseln meinst;
Ja rechne nur, von allem Glück dort drüben,
Was ist dir mehr als dieses Herz geblieben?

Original:

Und wohl, ich ward, kann ich mirs doch bekennen,
Aus blutend voller Seele schon geliebt,
Nur daß dies ungestillte heiße Brennen
Der Teuren[M.:] Tränen, ach, zu viele schon betrübt! etc.

Verbesserung:

Verbirg dir nicht, was alles du besessen,
Du warst einmal, und ach wie heiß, geliebt;
Nur daß du, Liebe gebend ungemessen,
Die Treusten auch am bittersten betrübt, etc.

Lebewohl. Gesamtausg. S. 190. Neue Ausg. S. 177

Original: (Schluß)

O so helft, von Romas Hügeln
Dieses letzte Wort zu ihr
In die Heimat zu beflügeln,
Stürme meines Herzens mir!
Dieses letzte Wort – mein Leben,
O vergib mir meine Schuld! –
Kann sie nicht mehr dir vergeben,
Suche drüben ihre Huld.

Verbesserung:

O so helft, von Romas Hügeln
Dieses letzte Wort zu ihr
In die Heimat zu beflügeln,
Rächerische Götter, mir!
Ihres himmlischen Vergebens
Bringet mir ein Unterpfand,
Ach und alle Lust des Lebens
Schwör' ich ab in eure Hand!

Viel Sorgfalt und Nachdenken verbirgt sich besonders auch in den Abkürzungen und Zusammenziehungen[H.:] Kontraktionen, hinsichtlich deren wir statt aller anderen nur noch auf die in phaläkischen Versen geschriebenen vier Elegien »Olevano« aufmerksam machen (wo unter anderem eine Reihe jener mehr belobten Örtlichkeiten mit ihren wohlklingenden NamenNamen fehlt in H. – Genzano, Nemi, Dianenwald, Monte Cavo, Cirves Vorgebirg, wiederholt auftrat und das zweitemal glücklich getilgt ist).

In Beziehung auf Metrik und Wohlklang ist manches getan, und zwar in folgender Art: »Keiner Blume schüchtern Gewächs entkrospet der Straße, | Wo das rasselnde Rad und wo der Hufschlag ertönt«: – »die sich des Hufschlags nur freut und des rasselnden Rads.« – »Wie's das Bedürfnis verlangt« – »wie der Bedarf es verlangt« usw.

In Absicht auf Reinheit oder Unreinheit der Reime bei Waiblinger und seinem Bearbeiter hat einer vor dem andern nichts voraus, und wenn der letztere aus Anlaß einer anderweitigen Verbesserung zufällig einen echten Reim durch einen sogenannten unechten verdrängt, so trifft es sich nicht minder zufällig auch umgekehrt. Die liberaleren Grundsätze desfalls[H.:] deshalb finden in dem von unsern größten Dichtern in praxi wenigstens gegebenen Beispiel eine beträchtliche Stütze. Wie aber, wenn der hergebrachte Tadel sich zum Teil gar in Lob verwandeln sollte? Wir können nicht umhin, hier bei Gelegenheit etwas davon zu sagen. Mörike will – allerdings für den ersten Anschein paradox – in einem freieren Gebrauche dieser Form, wenn nämlich Reime wie Stille und Fülle, Breite und heute sparsam eingemischt werden, vorzüglich beim Sonett und der achtzeiligen Stanze, alles Ernstes eine Schönheit finden, indem dergleichen Lautmodifikationen, weit entfernt: ein gebildetes, aber unbefangenes Ohr zu verletzen, vielmehr einigen Reiz auf dasselbe ausüben, der auf vermehrter Mannigfaltigkeit beruhe. Die gelinde Abbeugung von dem, was regelmäßig zu erwarten war, sei dem Gehör als graziös willkommen. Hierin aber liege bereits die Forderung einer sehr mäßigen Anwendung oder vielmehr Zulassung dieser Würze, die freilich ungesucht sich nur zu oft aufdringen will. – Mit der ganzen Bemerkung wird keineswegs bloß aus der Not eine Tugend gemacht; sie fließt aus einer musikalischen Erfahrung und verdient alle Aufmerksamkeit. Wer fühlt nicht ihre Wahrheit z. B. in folgender Strophe aus Goethes Epilog zu Schillers Glocke:

Nun glühte seine Wange rot und röter
Von jener Jugend, die uns nie entfliegt,
Von jenem Mut, der, früher oder später,
Den Widerstand der stumpfen Welt besiegt,
Von jenem Glauben, der sich stets erhöhter etc.

Ein möglicher Mißbrauch durch Konsequenzen, deren Unstatthaftigkeit freilich nicht immer demonstrierbar wäre, kommt hier nicht in Betracht; ein feiner Sinn wird das rechte Maß treffen.

Reale und sprachliche Unrichtigkeiten, die sich hin und wieder in Waiblingers Gedichten finden, entgingen[H.:] Einige reale und sprachliche Unrichtigkeiten entgingen dem Herausgeber nicht. In den »Felsen der Zyklopen« war Polyphem irrigerweise zu den Söhnen Gäas gezählt. Ein andermal steht für Sikelia »Sikulia« (fälschlich nach Siculus gebildet). »Purpurn bietet dir noch Indiens Feige die Frucht« ging schwerlich an. Auszustellen bliebe desfalls[H.:] diesfalls noch: »Hat die Natur mich ersättigt«. »Denk' ich das Völkchen, wie's lebt und wie's treibt«. Ebenso eine korrupte Stelle S. 205 unten, wo zu lesen wäre: »Nicht Schlachten will ich preisen, nicht Könige; / Noch forschen – – ob Brutus; – –/ Ich singe meinen Freund« usw.

In den Anmerkungen vermißt man nur ein paar zufällig zurückgebliebene Noten zu den Tempeln von Agrigent, namentlich die Stelle aus Valer. Max. über Gillias.

Von Herzen wünschen und versichern wir dem Büchlein die Gunst des deutschen Publikums, es werde nun für sich allein oder als Zugabe zu den »gesammeltenfehlt in H. Werken« betrachtet.

Eine Auswahl und Sammlung der im Verhältnis zu den Jahren Waiblingers so zahlreichen Schriften kann man nicht anders als gerecht und wünschenswert finden. Die poetischen »Erzählungen aus der Geschichte des jetzigen Griechenlands« (1826) behaupten ihre frühere von der Kritik allgemein anerkannte Bedeutung. »Drei Tage in der Unterwelt« (literarische Satire), »Die Briten in Rom« (Novelle) u. a. werden immer gern gelesen werden.[H.:] sein Ihren besondern Wert haben die Mitteilungen über »Friedr. Hölderlins Leben, Dichtung und Wahnsinn«, sowie die in einer höchst anziehenden Prose, meist Briefen, geschriebenen Schilderungen von den Umgebungen Roms, von Neapel, Pompeji etc., welche die beiden letzten Bände der Heubelschen Ausgabe bilden. Der Roman »Phaëton«, ein Erstlingswerk, so wie die sogenannten »Lieder der Griechen« sind füglich verbannt. Wäre doch gleiche Gnade dem Verfasser mit den Auszügen aus seinem »Tagebuch« widerfahren! Es sind Reflexionen, die er noch als Schüler des Stuttgarter Gymnasiums niedergeschrieben, und die hier ohne solche Andeutung zu sonderbarem Mißverständnis führen müssen. – Die neun Bände sind mit Waiblingers Porträt, Handschriftfaksimile und mehreren recht hübschen Kupfern geziert.

 


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