Eduard Mörike
Kleine Schriften
Eduard Mörike

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Gespräch zwischen mir (nämlich dem Kandidaten E. Mörike) und Herrn Professor Schwab

(Die Szene ist auf des Kandidaten Zimmer.)

Herr Professor (nachdem er Mantel und Hut abgelegt) – – Und wie geht es Ihnen?

Kandidat Ich danke sehr. So ziemlich gut – bis auf einen gewissen Punkt. Aber erlauben Sie, daß ich vor allem ein Licht bringe und die Laden schließe.

Prof. Ei, lassen Sie es! Es ist noch viel zu hell.

Kandidat Nun ja! wiewohl es der Feierlichkeit des Gegenstands, den ich Ihnen vorzutragen habe, kuriositätshalber vortrefflich anstehen müßte, wenn wir bei hellem Tag Lichter brennten und alle Türen verriegelten.

Prof. Wieso?!

Kandidat Daß ich es Ihnen auf einen Streich sage: Der ganze Franckhsche Handel reut mich, so viel ich Haar auf dem Kopf habe.

Prof. Ja – was – ist da zu machen? – Wie kommt es denn?

Kandidat Ich muß Ihnen gestehen, daß mich gleich von vornherein bei den Einleitungen und als ich hörte, worin mein Geschäft bestehen würde, ein kleiner Frost anwandelte, den ich aber nicht bemerken wollte, weil sich einmal doch eine Auskunft anbot und mir keine bessere Wahl blieb. Ich dachte mit geheimem Widerwillen an das Zeitungsmanufakturwesen, an Buchhändlerabhängigkeit, an das Notleiden meiner eigenen Poesie: aber die 600 f. schwebten mir wie mit goldenen Ziffern vor und der Kirchenrock immer noch wie ein Gespenst. Ich überredete mich, das Zeitungsgeschäft als Nebensache betreiben und meine anderweitigen Arbeiten im Dramatischen, die Hohenstaufen, immer fortsetzen zu können. Zur Not (bildete ich mir ein) müßte eine Erzählung, wie sie heutzutage nach dem Geschmack des Publikums sein soll, auch noch immer etwas angenehmer für mich zu machen sein, als eine Predigt oder eine Korrektur, also in Gottes Namen die 50 f. monatlich eingesteckt und mich in den Karren gespannt. Der Poet sollte nun zweierlei Röcke haben, nämlich einen mit Flittergoldverbrämung und leichtfertig mit weiten Nadelstichen zusammengenäht, aber desto modischer im Schnitt, und dann ein solideres Gewand, worin ich mich einer ehrwürdigem Dichterzunft zuzugesellen dachte. Auf diese Art glaubte ich meinen Herrn Verleger auch keineswegs zu betrügen, denn jene schnell gefertigte Ware sollte doch immerhin noch zu seiner Zufriedenheit ausfallen und gefiel sie ihm in die Länge nicht, so wollte ich die Verbindlichkeit aufheben. Nun fand sich aber bald, daß ich mich verrechnet hatte. Hören Sie, wie mirs mit dem Erzählungs- und Novellenschreiben erging. In kurzer Zeit waren mehrere Erfindungen im Kopfe skizziert, und zwar fiel die Anlage immer so aus, daß ich mich nicht vor mir selber schämte. Auch war das erste Empfangen des Gegenstands in der Phantasie und die Komposition jedesmal sogar nicht ohne Vergnügen für mich. Allein, so wie es zur Ausführung ging, nahm dasjenige, was ich etwa von Wärme bei mir hatte, bereits ab, und gegen die Mitte erstarrte ich völlig. Ich fühlte, daß ein Gegenstand, der vorweg nur mittelmäßiges Interesse für mich hatte und kein Moment wahrer Begeisterung in sich trug, mich schlechterdings nicht länger beschäftigen könne. War nun einmal die Lust für die Sache weg und der Magen dafür vergällt, so verkleinerte sich alles unter meiner Hand, es ekelte mich an. Aber wie? werden Sie denken, wenn ich mir vorgesetzt hätte, etwas wirklich Gutes in dieser Gattung zu machen, da doch die Gattung an sich das Gute und sogar das Großartige nicht ausschließt? Hierauf antworte ich Ihnen, daß, wenn ich in diesem Sinne mich daran machen wollte, dies erstens sich mit dem erforderlichen Gang und der Ausgiebigkeit meiner Lieferungen nicht vertragen würde, und zweitens würde ich dadurch an Kraft, Stimmung und geistigem Vorrat für denjenigen Teil meiner Produktionen allzuviel verlieren, welcher mir bei weitem mehr am Herzen liegt, als der Ruhm des besten Novellisten, ich meine das Trauerspiel. Das letztere ist es auch allein, wozu mich meine ungeteilte Neigung treibt und worin ich mit unerschütterlichem Glauben etwas nicht Gewöhnliches zu leisten hoffe. Nur diese Form in Verbindung mit einem mächtigen Stoff vermag, außer etwa der lyrischen, mich in die nötige Wärme zu setzen und in ihr zu erhalten. Saß ich so am Pult und spitzte ein ärmliches Geschichtchen zu und es blies mich ein einziger Gedanke an jene Hohenstauffen an, so stand alles Übrige wie abgestandenes Wasser vor mir. Indessen das Gefühl dieses ganzen Übelstands hätte ich vielleicht noch lange bei mir zurückgedrängt, ohne den Gedanken an eine Auflösung zu wagen, da wollte ein Zufall, daß ich durch jene übertriebene Reise nach N. unwohl wurde und drei Wochen dort liegen bleiben mußte. Während dieser Zeit stellte sich mir die mögliche Unzufriedenheit des Fr. und meines Redakteurs wegen meines Geschäftsretardats, woran ich gleichwohl nicht die mindeste Schuld trug, schon verdrießlich dar, und nun knüpfte sich hieran das ganze Gewicht meines übrigen Verdrusses. Ich dachte bereits mit mehr Keckheit, doch noch immer schüchtern genug, an eine Veränderung, und nun seit zwei Tagen ist aber kein Halt mehr bei mir.

Herr Prof. Ich bekenne Ihnen, daß, als ich hörte, Sie hätten vorzüglich Erzählungen zu machen, mich das an Ihnen Wunder nahm. Ich kann mir sehr gut vorstellen, inwiefern Sie sich in diesem Genre nicht wohlbefinden können. Haben Sie dem Fr. einiges mitgeteilt von der Art?

Kandid. Mehreres. Er erteilte mir große Lobsprüche, bat mich aufs äußerste, das Unvollendete doch ja nicht liegen zu lassen. – . . .Hier sind in der Handschrift anderthalb Zeilen unleserlich gemacht. Was fertig war, ließ ich ihm.

Prof. Hören Sie! Daß es mir leicht wird, mich in Ihre Lage zu versetzen, glauben Sie mir. Besonders kenne ich aus meinen geringen Verbindungen mit Buchhändlern die unerträgliche Plackerei mit ihnen und ihren Forderungen – womit sie einem jede Stunde aufm Hals liegen. Es ist in einer solchen Situation, wo einem die Poesie als der tägliche Leisten vorgeschoben wird, in der Tat auch fast nicht möglich, frei aus der Seele zu schöpfen. Schon das Gefühl: du mußt zu der und der Zeit einhalten, hindert und drückt die freie Regung. Man glaubt sich belauscht, man meint, der Buchhändler stehe immer hinterm Stuhl und passe darauf. Ich spüre das ganz wohl. Aber was nun? Nur zweierlei weiß ich. Entweder Sie schieben den Karren noch eine Weile fort oder Sie gehen aufs Vikariat. Das letztere würde ich, so wahr ich lebe, mit Jubel und Entzücken tun. O die Einsamkeit so einer Vikarstube und die stille Wiese und das Feld hinterm Dörflein. Das ist der Ort zu dichten und zu schaffen. Glauben Sie, das waren meine glücklichsten Zeiten. Auf dem Vikariat hab ich Romanzen machen gelernt und sonst in meinem Leben nie wär ich dazu gekommen. Wenn einem der Morast schuhtief vorm Haus liegt und man hinter seine vier Wände gebannt ist, da hat man Zeit, was anzuspinnen. Dann geht das innere Leben an, da kann man die geheimen Schätze, das rechte Gold der Poesie aus der tiefsten Seele mit Muße hervorholen.

Kand. Das ist eine schöne Schilderung, aber –

Prof. Zwingen Sie einmal ernstlich Ihre Skrupel und ergreifen Sie das Pfarrwesen mit bestem Willen. Das wäre doch der Teufel, wenn Sie sich nicht zwingen könnten. Dann sind Sie ein freier Mann für die Poesie und hängen von keinem Buchhändler ab. Schreiben Sie dort Ihren König Enzius aus, dabei werden Sie als Schriftsteller weiter kommen als auf Ihrer gegenwärtigen Bahn. Und wahrhaftig, was den Pfarrer selbst betrifft – er hat ein schönes und begeisterndes Amt.

Kand. Sie reden wie aus meiner Seele und doch sträubt sich etwas in mir.

Prof. Nieder damit! Entschließen Sie sich (hiemit schlug er mich freundlich auf die Schulter). Suchen Sie vom Konsistorium einen Platz zu erhalten, wo man Sie noch in einiger Nähe hat und wo Sie selber noch einige Anregung vom hiesigen Leben haben.

Kand. Ich bitte Sie, sagen Sie nur erst, wie mach ich dem Franckh diese unerwartete Entdeckung?

Prof. Damit sind wir bald fertig. Nur muß es nicht aussehen, als ob Sie ihm abspenstig gemacht worden wären. Sie sagen kurz und gut: Es sei Ihnen unmöglich, nach der Elle Erzählungen zu machen, aber Sie werden ihm immer von Zeit zu Zeit ungebundene Beiträge liefern. Und das tun Sie auch. Was denken Sie?

(Von hier an spricht der Kandidat, was ihm ein unsichtbarer Agathodämon suffliert.)

Kand. Ich denke, Sie haben recht.

Prof. Und wollen Vikar werden?

Kand. Ich will.

Prof. Von Herzen?

Kand. Das wird sich geben.

 


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