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II.
Gegnerische Besprechungen

a) Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie, vom Juni 1900.

»Eine zwar mit Geist geschriebene Schrift des bekannten Neurologen, welche aber die Subjektivität des Verfassers mit bedauerlicher Einseitigkeit hervortreten läßt. Schon der Titel fordert den Widerspruch heraus. Schwachsinn ist eine krankhafte Abweichung von der physiologischen Norm, es ist daher eine Kontradiktio in adjekto, einen solchen Zustand als physiologisch zu bezeichnen. Möbius kommt zu dieser widerspruchsvollen Bezeichnung, weil er die geistige Begabung der Frau mit derjenigen des Mannes vergleicht. Die Frau hat nach seiner Ansicht weniger Verstand als der Mann; da die Frauen aber als Gattung nicht unter ihrer eigenen Norm stehen können, so muß er den Ausdruck Schwachsinn durch den Zusatz »physiologisch« korrigieren. M. hätte eben einen Titel ohne Beziehung auf den Mann wählen, oder diese Bezugnahme im Titel wörtlich zum Ausdruck bringen müssen. Die ganze Abhandlung trägt den Charakter einer Streitschrift zur Frauenfrage. Die Wissenschaft hat sehr wenig mit ihr zu tun Ich rechne Herrn Sch. nicht zu den im Vorworte erwähnten Grünschnäbeln.. M. selbst hebt am Schluß hervor, daß uns eine exakte Methode zur Feststellung der geistigen Leistungsfähigkeit des Menschen noch ganz fehlt. Da wäre es schon besser, man verzichtete vorerst darauf, die Frauenfrage mit Hülfe der Gehirnphysiologie lösen zu wollen. Daß die Rüdinger schon vergleichenden Befunde an weiblichen und männlichen Gehirnen schon den Beweis einer geringeren Organisation geistig wichtiger Gehirnteile beim weiblichen Geschlecht liefern, muß entschieden bestritten werden. Dazu wissen wir noch viel zu wenig von den geistigen Leistungen des Gehirns, und die Windungen sind viel zu variabel, als daß eine beschränkte Zahl von Vergleichen ohne Nachprüfung als beweiskräftig angesehen werden könnte. M. gibt in der Hauptsache aber auch nur eine größere Zahl von allgemeinen Eindrücken wieder, welche ein von Schopenhauerscher Misogynie angesteckter Beurteiler vom Wesen der Frauen haben kann. Gewiß ist manches Richtige darunter, aber es fehlt fast ganz die Gegenrechnung der weiblichen Vorzüge und der weiblichen geistigen Leistungen, welche namentlich in den mittleren Bürgerständen oft sehr erheblich sind. Für die Form, in welche M. seine Urteile kleidet, hier zwei Beispiele: (S. 9.) »Der Instinkt nun macht das Weib tierähnlich, unselbständig, sicher und heiter.« (S. 14.) »Zwischen uns sei Wahrheit, heißt es im Schauspiele, zwischen uns sei Unwahrheit, heißt es im Leben. Das muß so sein, und nichts ist törichter, als dem Weibe das «Lügen verbieten zu wollen.« Was soll mit solchen Allgemeinheiten, die nur den Stachel der Rücksichtslosigkeit hinterlassen, erreicht werden? Mitleidig, wie er als Arzt mit seinen Klienten ist, will M. den Frauen, welche mit dem Strafgesetz in Konflikt geraten, generell sogar ihr Geschlecht als mildernden Umstand anrechnen. Im zweiten Abschnitt entwickelt er die Ansicht, daß die Frauen durch Ehestand, Wochenbett und Klimakterium noch in besonderem Maße geistig Einbuße erleiden und frühzeitig verknöchern. Darüber mag denn auch jeder seine eigene Ansicht haben. Ich finde es weder durch die Erfahrung bestätigt, noch innerlich erklärlich. Eine vergleichende Psychophysiologie zwischen Mann und Frau ist eine noch ungelöste Aufgabe ferner Zukunft. Die Abhandlung von Möbius bringt dazu nicht nur nichts Positives bei, sondern wird eher abschreckend als fördernd wirken.«

Schaefer-Lengerich.

b) Psychiatrische Wochenschrift. II. 13. 1900.

»Der Verfasser stellte sich die Frage, ob die Mädchen und Frauen auf bestimmten Gebieten geistiger Tätigkeit mehr, die Jünglinge und Männer wieder auf anderen Gebieten mehr leisten, oder ob die Ersteren auf allen Gebieten schwächer als die Männer, also physiologisch schwachsinnig sind. Er kommt auf dem Wege allgemeiner kritischer Erwägung zu folgendem Resultat: Die Handlungen des Mannes beruhen mehr auf Reflexion; beim weiblichen Geschlecht spielt der Instinkt eine größere Rolle. Das Weib hat weniger eigenes Urteil, ist in höherem Grade suggestibel, seine Moral ist mehr Gefühlsmoral als Begriffsmoral. Sein Gesichtskreis ist enger, seine Affekte sind heftiger, seine Selbstbeherrschung geringer. Was das Aufnehmen und Bewahren der Vorstellungen anbetrifft, so sind Verständnis und Gedächtnis bei vielen weiblichen Wesen nicht schlecht; gar manche sind ausgezeichnete Schülerinnen; nicht am Können sondern am Wollen liegt es, daß die große Masse des weiblichen Geschlechts sehr wenig lernt und das Gelernte rasch wieder vergißt. Das Erfinden, das Schaffen neuer Methoden ist dem Weib versagt; in der Musik selbst gibt es keine bedeutenden Komponistinnen, der Mehrzahl der Malerinnen fehlt die schöpferische Phantasie, das Vermögen, zu kombinieren; die Wissenschaften im engeren Sinne haben keine Bereicherung von ihren Vertreterinnen erfahren. Die Sachlichkeit der Damen ist mangelhaft, ihre Schlauheit ist dagegen oft groß und wird durch Verstellung unterstützt. – Dem Weib als Mutter versagt der Verfasser die gebührende Anerkennung und Ehre nicht.

Die Geistesgaben, mit denen das Weib von Haus aus schon schwach versehen ist, büßt es nach Möbius' Eindrücken rascher ein als der Mann. Manche werden schon nach einigen Ehejahren schwach, andere unterliegen erst später, eine Hauptgefahr bringt das Klimakterium. »Vollständig« sei ein weibliches Wesen durchschnittlich etwa 30 Jahre. Dieser erworbene physiologische Schwachsinn zeige sich durch relativ frühzeitiges Aufhören der Lernfähigkeit, allmähliche Zunahme der geistigen Myopie, Abnahme der Urteilskraft und der Suggestibilität, Zunahme des Eigensinns und der Sucht, inhaltslos und viel zu reden.

Eine Anzahl scharfer Bemerkungen des Verfassers darf nicht unwidersprochen bleiben, weil sie mit den Erwägungen anderer Beobachter durchaus im Widerspruch stehen: Möbius behauptet: Das Weib hemmt den Edeln, denn sie vermag das Gute vom Bösen nicht zu unterscheiden. – Die Weiber lachen innerlich über das Gesetz und verletzen es. sobald die Furcht und die Dressur es zulassen. – Eifersucht und verletzte oder unbefriedigte Eitelkeit erregen beim weiblichen Geschlecht Stürme, denen kein moralisches Bedenken Stand hält. Wäre das Weib nicht körperlich und geistig schwach, so wäre es höchst gefährlich. – Zanksucht und Schwatzhaftigkeit sind jederzeit mit Recht zu den weiblichen Charakterzügen gezählt worden. – Die Kochkunst und die Kleiderkunst sind nur von Männern gefördert worden. – Die Unfähigkeit des weiblichen Geistes zur Kombination, das Fehlen selbständigen Denkens tritt täglich überraschend hervor. – Der dem Weibe eigne Realismus bedenkt nur Vorteil und Nachteil, verfolgt rücksichtslos sein Ziel, wird durch sachliche Erwägungen nicht gehemmt. – Verstellung, d. h. Lügen, ist die natürliche und unentbehrliche Waffe des Weibes, auf die sie gar nicht verzichten kann. – Abgesehen von der Fähigkeit, die Kinder zu verteidigen, fehlt der Frau der Mut. – Das Weib könnte nach der Verheiratung beim besten Willen das nicht mehr leisten, was sie geleistet hat. – Auch bei denen, die sich in den ersten Jahren der Ehe gut gehalten haben, beginnt der Verfall oft nach wenigen Wochenbetten u. s. w.

Daß Mädchen und Frauen auch in geistiger Hinsicht viel anders geartet sind als Jünglinge und Männer, das wird niemand leugnen; ist aber das sogen. schwächere Geschlecht physiologisch schwachsinnig? Das Weib paßt seiner Begabung nach nicht für den Kampf des öffentlichen Lebens, nicht für das Erringen neuen Wissens; aber ihre Fähigkeit zur Kombination, zu selbständigem Denken zeigt die Mehrzahl täglich. Mancher geistvolle Mann vergleicht gerne sein Urteil mit dem klugen Urteil seines Weibes, ehe er handelt, vertraut ihr seine Pläne, legt hohen Wert auf ihren Rat und weiß, daß sie ihn nicht hemmt, sondern ihm hilft und nützt und zwar gerade durch ihr scharfes Gefühl für die Scheidung von Gut und Böse. – Maßvoll und weise waltet die Frau im häuslichen Kreise. Aber nicht nur am eigenen Herd hütet sie Gesetz, Religion und gute Sitte, mitleidvoll pflegt sie wildfremde Kranke mit bewundernswürdiger Selbstlosigkeit und großem Geschick, mit unendlicher Geduld erzieht sie, lehrt sie, wehrt sie und fördert so in eminenter Weise alle Kultur. Sparsam und umsichtig erhält und mehrt sie, was der Mann erworben hat. Zuverlässig und stetig sorgt sie in ihrem Bannkreis nicht nur für leibliches Wohl, auch für die Bildung des Herzens, für die Verfeinerung des Gefühls; sie selbst empfindet schneller, tiefer, feiner, bei Andern regt sie edle und künstlerische Gefühle an und entwickelt sie weiter; himmlische Rosen flicht sie ins irdische Leben. Die Erfahrung lehrt, daß das Weib auch, abgesehen von der Fähigkeit, die Kinder zu verteidigen, Mut hat. Wenn die Frau trotz Not, Schande und Lästerung bei einem Manne verbleibt, der ein Trinker ist, wenn ein armes Mädchen ihre Ehre verteidigt, wenn eine Pflegerin Pestkranke besorgt, wenn Frauen für ihre religiöse Überzeugung mit ihrem Leben eintraten, so ist das doch alles Mut; Geschichte und Tagesblätter bringen Beispiele für den Mut der Frau in hinreichender Zahl. Sie ist die ebenbürtige Gehülfin des Mannes, der deshalb sich zu ihr hingezogen fühlt und sie wahrhaftig doch auch in höherem Sinne begehrenswert findet, weil sie ihn ergänzt, oft genug verbessert und veredelt, das ewig Weibliche zieht uns hinan! Wir können also einesteils viele Bemerkungen des Verfassers nicht bestätigen, und wir müssen andrerseits hervorheben, daß das männliche Geschlecht in einzelnen Gebieten des psychischen Lebens hinter dem weiblichen zurücksteht. Wenn nun die vom Verfasser aufgezählten Defekte zu schwarz gemalt sind und wenn andere geistige Eigenschaften beim weiblichen Geschlecht dafür zu höherer Entwicklung reifen, also andere Hirnprovinzen bei ihm besser funktionieren, so hat man kaum die Berechtigung, von Schwachsinn des Weibes im allgemeinen zu reden, auch nicht, wenn man diesen als physiologisch vom pathologischen abgrenzt. – Was die nach des Verfassers Erfahrung häufigen »Versimpelungen« in der Pubertät, nach Wochenbetten und im Klimakterium anbetrifft, so sind diese wohl recht häufig durch krankhafte Prozesse bedingt. Ein großes psychiatrisches und forensisches Interesse gebührt ihnen gewiß. Aber auch hier handelt es sich nicht um »physiologischen« Schwachsinn.«

G. Ilberg (Sonnenstein)

c) Junge Schweiz. Nr. 3. 1900.

»Möbius ist zum Journalismus zurückgekehrt, zu dem er doch nur im schlimmen Sinne Anlage hat. Wer seine hübschen neurologischen Arbeiten kennt, seine formvollendete Übersetzung des französischen Psychiaters Magnan, die prächtige Einleitung, die er zu diesen Abhandlungen schrieb, der mußte schon das langweilige und überflüssige Buch des Autors über Schopenhauer bedauern, in dem nur die vielen gesammelten Porträts eine gewisse Bedeutung haben – seine im Titel genannte Broschüre, zu deren Herausgabe ein tüchtiger neurologischer Verlag sich hergab, aber kann ihn nur lächerlich machen und würde Hitzig nicht einmal mehr sagen: »Wenn Herr Möbius aufsteht, gibt es immer etwas Interessantes«. Der Satz war nämlich ironisch gemeint und wurde ausgesprochen, als Möbius beweisen wollte, daß die mathematische Fähigkeit durch Hervorragung des Supraorbitalrandes des Mathematikers sich kundtue. Nein, die Broschüre ist nicht einmal interessant. Sie ist ein schlechter Abklatsch der schon ziemlich miserablen Produkte von Fehling, Albert und Runge. Eine Entschuldigung ist für Möbius, daß er früher Theologe gewesen sein soll, ein eifriger Schopenhauerianer ist, von Soziologie in seinem Leben noch niemals etwas gehört und auch niemals Gelegenheit hatte, eine größere Anzahl geistig gebildeter Frauen zu sehen. Er hätte sicherlich sich und andern mehr genützt, wenn er das Buch des Drechslers Bebel gelesen, statt selbst eine Broschüre über unbekannte Dinge zu schreiben.

Zu den anatomischen Wahrheiten Möbius' ist nur zu bemerken, daß sie alle aus einer fast voranatomischen Zeit stammen, fast nicht nachgeprüft sind und auch nicht gleich aufs Psychologische sich übertragen lassen. Wissen wir ja doch, wie die Abschlachtung von Flechsig durch Monakow und Hitzig auf dem Pariser Kongreß zeigte, sehr, sehr wenig darüber, wie es mit der Bedeutung der einzelnen Gehirnteile für die seelischen Qualitäten steht. Jedenfalls hätte der Herr Möbius, der die Vorrede zu Magnan verfaßte, niemals behauptet, daß man aus einer schlechten Entwicklung von Stirn und Schläfenlappen auch sofort auf eine geringere geistige Entwicklungsstufe schließen dürfe. Auch hätte er nie behauptet, daß man wisse, worin männliches und weibliches Gehirn sich unterscheiden, wenn sie unter gleichen physiologischen und sozialen Bedingungen sich entwickeln. Und wenn dann Möbius behauptet, daß das Weib im allgemeinen an Kraft a priori unter dem Manne stehe, so möge er sich einmal mit Londoner Dockarbeiterinnen messen und sich von ihnen überzeugen lassen, wie wenig die von ihm als oberflächlich verachteten Milieutheoretiker Unrecht haben. Der Satz aber, daß der Instinkt beim Weibe eine viel größere Rolle spiele als beim Manne, ist eine Phrase, die Möbius im übrigen nicht einmal zu beweisen versucht, indem er sich darauf verläßt, daß seine männlichen Leser ebenso »streng konservativ seien und das Neue hassen«, wie das nach Möbius die Frauen tun sollen. Überhaupt ist die Möbiussche Broschüre so unoriginell, scheint auf einem so großen »Mangel eigenen Urteils« (Möbius von den Frauen) zu beruhen, daß man glauben möchte, der gesamte Wiesbadener Ärztetag und das »Sagen der Leute« haben ihr zu Gevatter gestanden. Daß die Männer auch konservativ, neomisistisch und allem Neuen gegenüber verständnislos sind, wie es nach dem Autor die Frauen allein sein sollen, dafür ist die Broschüre von Möbius selber der allerbeste Beweis. Die »Unfähigkeit zur Kritik« fällt einem bei einer Waschfrau sicherlich nicht mehr auf als bei diesem hochwissenschaftlichen männlichen Gelehrten. Daß die Frauen nur auswendiglernen, ist ein Witz, den man bei uns in der Schweiz nur im ersten Semester macht, da uns das Zusammenstudieren mit Frauen bald eines besseren belehrt. Überhaupt würde es nichts schaden, wenn Möbius ein bischen weniger mit der reinen Vernunft, die doch nicht viel wert ist, und ein bischen mit der reinen Erfahrung an so sozial wichtige Dinge, wie die Emanzipation der Frau vom »physiologischen (?) Schwachsinn« es ist, vorginge. Er würde dann auch nicht immer seinem lieben alten Schopenhauer alles nachplappern und Tiraden verzapfen wie: »Das Durchschnittsweib bat ausschließlich persönliche Interessen; bietet das Lernen nicht einen persönlichen Vorteil in naher Aussicht, so ist es ihr widerwärtig.« Er möge sich trotz seines bestandenen Alters ein Semester in Zürich immatrikulieren lassen und die osteuropäischen Frauenseelen und Frauenschicksale studieren und ich bin überzeugt, er mit seinem sonst feinen Empfinden und seiner großen Suggestibilität für Ideen wird bälder als irgend jemand eines anderen sich überzeugen und wieder einmal gegen sich selber schreiben. Und wenn die alte Behauptung aufgestellt wird, daß die Wissenschaft von den Frauen keine Bereicherung erfahren wird, so kann ich mich höchstens dabei belustigen, indem mir ein Ärztekongreß aus dem Anfang des Jahrhunderts einfällt, der unisono gegen die Einführung der Eisenbahnen petitionierte, da das Eisenbahnfahren unheilbar geisteskrank mache. Man soll doch vom Prophezeien lassen. Denn wenn auch die Frau noch nicht viel geleistet für die Wissenschaft, so möge man doch bedenken, eine wie kleine Anzahl Frauen überhaupt erst wissenschaftlich sich betätigen durften, wie schwer sie auch dazu gelangten, es zu tun, wie viel Kraft sie überhaupt aufwenden müssen, elterliche, gesellschaftliche, ökonomische Hindernisse zu überwinden, bis sie zum Studium gelangen, von der Schwierigkeit, sich weiterer wissenschaftlicher Ausbildung durch tüchtige Lehrer zu widmen, ganz abzusehen. Stellen Sie einen Mann in ähnliche Verhältnisse hinein und sehen Sie, was er noch entdeckt und schafft, wenn er, wie die meisten Frauen, seine elementaren Studien erst mit dem dreißigsten Jahre absolviert hat. Herr Möbius, ich kann Sie nicht begreifen, so sehr ich Sie als Neurologen verehre. Ihre Auffassung leidet an »Mangel an Sachlichkeit, der Wünsche zu Gründen und Abneigungen zu Beweisen macht« (S. 13 Ihrer Broschüre). Über die Eitelkeit, die Möbius der Frau vorwirft, und ihre männerfangenden Eigenschaften werden Sie in unserer Rezension über Marcel Prevost »Ratschläge für Junggesellen und Verlobte« das Nötige finden.

Und wenn die Frau nur »geschaffen« ist, Mutter und Erzieherin zu sein, so ist der Herrgott, oder wie das Ding von Möbius heißt, ein Scheusal, da er jedenfalls dann die soziale Lage der Arbeiterin ganz verpfuscht eingerichtet hat. Die Zukunft unserer gesellschaftlichen Entwicklung mit dem Zerfall des Familienlebens und dem staatlichen Erziehungsunterricht, wie er in den Kinderhorten im Keim bereits besteht, wird Möbius Lügen strafen. Dann wird auch Möbius nicht mehr Recht haben, zu sagen: »Die ganze Bedeutung des weiblichen Wesens hängt davon ab, daß das Mädchen den rechten Mann erhalte; auf diesen Moment, als den Höhepunkt des Lebens, sind alle Kräfte gerichtet und alle Geistesfähigkeiten werden auf das eine Ziel konzentriert«, oder: »Das weibliche Talent nun schlechtweg ist die Anlage für Liebesangelegenheiten« etc. Die Behauptung Möbius', daß die Frau, wenn sie wirkliche geistige Bedürfnisse hätte, auch alle Beschränkungen zur Befriedigung derselben durchbrechen würde, ist eine Leugnung des physikalischen Gesetzes vom Verlust an Kraft durch Reibung und dürfte nur von Nietzscheanern und Transzendentalisten überhaupt anders wie als Ulk aufgefaßt werden. Eine gewisse Rolle spielt, wenn auch in verminderter Form, bei Möbius der Satz, daß die Ausnahme die Regel bestätige. Daß die Wochenbetten um so schlechter ausfallen, je besser die Schulen werden, verdient im »Simplicissimus« zu stehen als Ausspruch eines Dunkelmannes erster Güte. Was sagen wir aber dazu, wenn uns Möbius Teufel oder Toren schilt, wenn wir an Seelengemeinschaft glauben? – Wenn Herr Möbius schreibt, gibt es nicht immer etwas Interessantes.«

Baccalaureus.

d) Die gesunde Frau. IV. 17. 1900.

»Es gibt so viele ernst und tief denkende Ärzte, welche auf Grund ihrer Beobachtungen das Vorwärtsstreben der Frau billigen und unterstützen, daß wir uns nicht gar zu sehr darüber aufzuregen brauchen, wenn ein um männliche Vorrechte besorgter Doktor noch einmal vergebliche Anstrengungen macht, um den Frauen, oder, wie er sich ausdrückt, den Weibern ihre gänzliche Inferiorität, ihren ererbten und von der Natur gewollten »Schwachsinn« zu Gemüte zu führen. Das geschieht in der kleinen Schrift von P. J. Möbius »Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes.« (Halle a. S. Verlag von Carl Marhold. 1900.)

Dieser »Schwachsinn«, durch welchen das Weib nach Möbius tief unter dem Manne steht und immer bleiben muß, zeigt sich seiner Ansicht nach in doppelter Weise; einmal in dem sehr geringen Maße geistiger Fähigkeiten, das wir mit auf die Welt bringen, dann in dem frühzeitigen Verschwinden auch dieses wenigen. Der weibliche Intellekt – so hat Möbius herausgefunden – betätigt sich fast ausschließlich in »Liebesangelegenheiten« und erreicht seinen Höhepunkt in dem Bestreben, »den rechten Mann zu erhalten«.

Ist das erreicht, hat das Mädchen geheiratet, so »verliert sie Fähigkeiten, die sie vorher besaß und könnte beim besten Willen das nicht mehr leisten, was sie vorher geleistet hat«. Der »Verfall« beginnt spätestens nach einigen Wochenbetten. »Wie die Schönheit und die körperlichen Kräfte schwinden, so gehen auch die Geistesfähigkeiten zurück.« Sollten aber »die Weiber den wiederholten Angriffen des Feindes, d. h. der Zeit« bis zum Klimakterium (den Wechseljahren) wirklich widerstanden haben, so sind sie nun unweigerlich als »häßliche alte Weiber« der Geistesschwäche und damit dem gerechten Spott, der Geringschätzung seitens der von der Natur so sehr bevorzugten Männerwelt preisgegeben. »Aberglauben, Engherzigkeit, Kleinlichkeit überhaupt, Zanksucht, Schwatzhaftigkeit, Klatschsucht« machen den »erworbenen Schwachsinn des Weibes« aus.

Wenn Dr. Möbius dem gegenüber zugibt, daß »der einfache Schwachsinn der Jahre glücklicherweise die wahrhaft guten Eigenschaften des Weibes unverändert« läßt, daß »die mütterliche Gesinnung bleibt und trotz aller Einfältigkeit ein altes Weib einen Schatz von Zärtlichkeit in sich bergen kann«, so müssen diese »wahrhaft guten« Eigenschaften bei derartig stupiden und minderwertigen Geschöpfen ziemlich wertlos erscheinen.

So sehr aber P. J. Möbius auch die »jungen Weiber« den »alten« vorzieht, – sehr viel mehr als den »Instinkt«, unterstützt von Jugend und eventueller Schönheit schätzt er auch bei jenen nicht. Daß der Instinkt seiner Meinung nach »das Weib tierähnlich macht«, (was er sogar gesperrt hat drucken lassen) tut seiner Bewunderung dafür keinen Abbruch. Denn die weiter darausfolgenden Eigenschaften sind »unselbständig, sicher und heiter«. »Wie die Tiere seit undenklichen Zeiten immer dasselbe tun, so würde auch das menschliche Geschlecht, wenn es nur Weiber gäbe, in seinem Urzustande geblieben sein. Aller Fortschritt geht vom Manne aus, deshalb hängt das Weib vielfach wie ein Bleigewicht an ihm ...«

Trotzdem bekennt der Verfasser an anderer Stelle: »Wäre das Weib nicht körperlich und geistig schwach, wäre es nicht in der Regel durch die Umstände unschädlich gemacht, so wäre es höchst gefährlich.«

Und einer solchen »Gefahr« zu begegnen, einen von Frauen dennoch begonnenen »Fortschritt« durch wissenschaftliche Argumente zurückzuhalten, ist der Zweck der ganzen Broschüre. Der Zorn gegen die »Feministen«, gegen die »modernen Frauen, die sich als Individuum ausleben wollen«, hat jede Zeile diktiert. Er prophezeit unsern »widernatürlichen Bestrebungen« ziemlich Böses. Wenn das Weib sich unterfängt, irgend etwas anderes sein zu wollen als Mutter, so wird es »mit Siechtum geschlagen« werden. Da aber hiermit zugleich »der Mann und die Nachkommenschaft gestraft und die Gesundheit des Volkes gefährdet« wird, so ist es »der Ärzte Pflicht, hier zu raten und zu warnen.« Denn die Zukunft wird von ihnen Rechenschaft fordern.

Und emphatisch ruft Dr. Möbius aus: »Sollen wir uns über die Mißhandlung der weiblichen Leber durch übertriebenes Schnüren aufregen, die Mißhandlung des weiblichen Gehirns aber ruhig mit ansehen?«

Damit spricht er auch unsern Bestrebungen das Urteil. Denn alle unsere Bemühungen sind ja daraufgerichtet, durch Befreiung des weiblichen Körpers von der Mißhandlung verkehrter Kleidung auch den Geist zu befreien, das Gehirn zu stärken. Wir trachten darnach, die Frau für ihre großen Aufgaben fähiger zu machen, unser Ziel ist, die gesunde Frau als ebenbürtige Gefährtin des gesunden Mannes zu sehen.

»Dreister, als es die Feministen tun, kann man der Wahrheit gar nicht ins Gesicht schlagen«, sagt Möbius.

Er schlägt mit seiner ganzen Schrift der Wahrheit auf das Allerdreisteste ins Gesicht.

Denn er leugnet Tatsachen, die ihn auf Schritt und Tritt umgeben, die ihm das Frauengeschlecht in einer kräftigen, durchaus in der Natur begründeten Entwicklung zeigen. Mag er auch das alte Lied von dem Unterschied der Gehirne mit einigen Varianten anstimmen und dafür namhafte Gewährsmänner zu Hilfe rufen, was bedeutet das angesichts der stetig wachsenden, zum Teil schon hervorragenden Leistungen jüngerer und älterer Frauen auf Gebieten, die uns früher verschlossen waren! Was bedeutet das gegenüber der immer mehr zunehmenden Denkkraft unseres ganzen Geschlechts! Einen schwächlichen Sophismus – weiter nichts.«

Margarete Pochhammer.

e) Das Magazin für Literatur. Berlin, 5.I.1901.

»Über dieses Thema verbreitet sich in der von Dr. Konrad Alt herausgegebenen Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiet der Nerven- und Geisteskrankheiten im III. Band, Heft 3 ein Dr. P. J. Möbius, wenn ich nicht irre, ein Neurologe aus Leipzig. Die Broschüre, welche bereits in zweiter Auflage vorliegt, ist mit aufrichtiger Genugtuung zu begrüßen. Denn sie predigt offen die Brutalität und reißt denjenigen Gegnern der Frauenbewegung, die sich bisher noch mit allerlei bunten Lappen, wie mit der Phrase von der »idealen Weiblichkeit« zu drapieren beliebten, den Theaterplunder rücksichtslos vom Leibe. Auf diese Schrift hin muß auch der Blinde sehend werden, und die Welt hat also alle Veranlassung, dem Herrn Dr. Möbius für seine heroische Tat dankbar zu sein. Sie hat im übrigen ihre Dankbarkeit auch bereits gezeigt; das beweist das baldige Vergriffensein der ersten Auflage.

Der Verfasser steht auf dem Standpunkte, daß das Weib, im Verhältnis zu der geistigen Begabung des Mannes, nicht nur schwachsinnig sei, sondern daß es auch im Interesse der Arterhaltung und zur Erzielung eines gesunden Geschlechts durchaus geboten sei, das Weib in diesem Schwachsinn zu erhalten. Die Inferiorität des weiblichen Geschlechts sei von der Natur gewollt, sei nützlich und notwendig, da bei gebildeten Frauen (Gehirndamen, wie der Verfasser sich ausdrückt) die Qualität der Kinder zu wünschen übrig lasse und auch nicht genügend Muttermilch vorhanden sei. Man könnte hier leicht in die Versuchung geraten, einen bitterbösen Witz zu machen; ich unterdrücke aber die Lust hierzu, weil ich der Mutter des Leipziger Gelehrten nicht alles Verdienst an der tiefgründigen Weisheit ihres Sohnes zuschreiben möchte. Aber nicht nur an Kraft und Verstand, sondern auch an Geschicklichkeit und Ausdauer steht, nach Herrn Möbius, das Weib tief unter dem Manne; Zanksucht, Schwatzhaftigkeit, Verleumdung, Ungerechtigkeit und Lügenhaftigkeit sind für ihn angeborene weibliche Charaktereigentümlichkeiten. Zur Verstellung werde das Weib schon durch seine geschlechtliche Rolle gezwungen, und ihre Vervollkommnung mache einen wesentlichen Teil der weiblichen »Bildung« aus. Herr Möbius scheint hier die durch verkehrte Moralbegriffe künstlich geschaffene Stellung der Frau, die ihre aufgedrängte Rolle innerhalb einer heuchlerischen Gesellschaft mit ihrer natürlichen Stellung dem Manne gegenüber zu verwechseln. Abgesehen von diesem Irrtum geht der Herr aber logisch vor und beweist überdem das Vorhandensein einer gewissen Gutmütigkeit: er erklärt nicht nur die Klatschsucht und Lügenhaftigkeit des Weibes für etwas ganz Natürliches, er möchte sogar dem Weibe (Herr Möbius akkomodiert sich mit ganz besonderem Nachdruck dem brutalen, spezifisch deutschen Sprachgebrauch, der das Weib einfach als Sache bewertet) die Verantwortlichkeit für seine Taten und Aussagen, namentlich vor Gericht, abgenommen wissen. Ich wiederhole es: die Welt hat alle Veranlassung zur Dankbarkeit gegen den schneidigen Herrn, der sogar Lombroso den Krieg erklärt, weil dieser gesagt hat: »Sicherlich wird eine ausgedehntere Anteilnahme am sozialen Leben die Intelligenz des Weibes allmählich heben, und in der Tat zeigen sich bei manchen höher entwickelten Rassen schon die erfreulichen Folgen hiervon.« Dies »erfreulich« erscheint Herrn Möbius als eine »bittere Ironie« oder als eine »greuliche Inkonsequenz«; ich glaube sogar, er befürchtet stark das letztere. Und wahrlich: dies Wort Lombrosos kann einem Manne, der dem »naturentfremdeten Kulturmenschen« – wohlgemerkt: Mensch bedeutet dem Herrn immer nur: Mann – »das natürliche, also schwachsinnige, schwatzhafte, verlogene Weib als Gegenpart empfiehlt, um das Geschlecht nicht degenerieren und die Familie nicht auf den Aussterbeetat kommen zu lassen«, sehr wenig in den Kram passen. Eines wenigstens gesteht Herr Möbius dem weiblichen »Schwachsinn«, wenn auch anklagend zu: »Die Klügsten (nämlich Weiber) werden ehescheu«. Bei einer derartigen Bewertung seitens der Männer gehört tatsächlich eine noch größere Portion Dummheit, als sie selbst Herr Möbius für nützlich und notwendig hält, dazu, um nicht ehescheu zu werden. – Ich empfehle die kleine Schrift als amüsante Lektüre in Mußestunden und mache gleichzeitig, in konsequenter Verfolgung der darin verfochtenen Theorien, den Vorschlag, zur Auffrischung des Blutes und zur Veredlung der Art einige Tausend Affenweibchen importieren zu lassen. Dann könnten Herr Möbius und seine Gesinnungsgenossen über die Zukunft unseres Vaterlandes vollständig beruhigt sein.«

Klara Müller.

f) Die Frau. (Berlin, Juni 1901.)

»Von Zeit zu Zeit taucht immer einmal wieder ein Mediziner auf, der mit sensationellen Behauptungen über die geistige Beschaffenheit der Frau ein billiges Aufsehen erregt. Die Sache ist jetzt bereits jubiläumsreif, denn bekanntlich begann Professor von Bischoff in den siebziger Jahren den Reigen. Auf Bischoff folgten Runge und Albert, von dessen Broschüre Marie von Ebner-Eschenbach bekanntlich sagte: »Solche Bücher nützen uns mehr als sie schaden.« Jetzt ist wieder ein ganz kleiner Epigone erstanden, der über den physiologischen Schwachsinn des Weibes allerlei Märe zu berichten weiß, gespickt mit Reminiscenzen aus Schopenhauer, Lombroso und den ärztlichen Kollegen. Seine medizinischen Behauptungen haben bereits eine sachverständige Entgegnung gefunden; die übrigen einer Widerlegung zu würdigen, liegt kein Grund vor. Ist doch der Verfasser kindlich genug, um sich beispielsweise an der Anwendung des Namens »Frau« als Kollektivbezeichnung für das ganze Geschlecht zu ärgern, das seiner Ansicht nach nur Anspruch auf den Namen »Weiber« habe. Wir raten ihm, zu einer Beseitigung dieses Ärgernisses sich doch einmal an die Eisenbahnverwaltung zu wenden, mit der Bitte, die Aufschrift »Frauenkoupee« in »Weiberkoupee« zu verwandeln, was nach Ansicht des Herrn Möbius allein dem Sprachgefühl des deutschen Volkes entsprechen würde. Im übrigen ist die Sucht des Verfassers, überall nur Krankheit und Schwachsinn zusehen, wohl genügend durch sein Buch »Über das Pathologische bei Goethe« gekennzeichnet.

Daß übrigens ein Blatt wie der »Zeitgeist« dieses Bischoff-Lombroso- Albert-Runge-Möbiussche Ragout, mit einer höchst faden Hans Schulzeschen Brühe serviert, seinen Lesern vorzusetzen wagt, zeigt, auf was für einen Geschmack man in dem Lande noch rechnen darf, dem die Frauen einst als »etwas Heiliges« galten. Die Frauenbewegung aber wird über alle diese Schulze und Müller, diese Hans und Kunz zur Tagesordnung übergehen.

Es wäre ja freilich ein Leichtes, dem Schriftchen »Vom physiologischen Schwachsinn des Weibes« ein gleiches »Vom physiologischen Starksinn, vulgo Brutalität, des Mannes« entgegenzusetzen. Ich wollte mich gleich anheischig machen, dabei zu ebenso schiefen Resultaten zu kommen. Die geschlechtliche Infizierung der Mehrzahl der Männer, die Tausende von Frauen, die durch sie vernichtet werden, die Milliarden, die sie alljährlich in Alkohol, Tabak und kulinarische Genüsse umsetzen, der brutale Egoismus von Tausenden von Ehemännern und Familienvätern, was für grandiose Themen für ein Kapitel über den physiologischen Starksinn des Mannes! Wahrlich, es wäre leicht, gegen Schopenhauer zu behaupten, daß die Frau der eigentliche Mensch sei, leicht, in der Frau der heutigen Zeit mehr edelmenschliche Züge nachzuweisen, als in dem durch den Dienst der Venus, des Bacchus und Gambrinus entarteten Mann. Den physischen Grund solcher Entartung könnten wir ja dann, die Frau als Normalmensch gesetzt, in dem zu großen Gehirn und der zu massiven Beschaffenheit des Mannes suchen, die ihn höchstens geeignet machen, ihr als Gehirn- und Krafttier Systeme und technische Apparate zur Erleichterung ihrer rein menschlichen Wirksamkeit zu bauen. Aber wir Frauen von heute haben anderes zu tun, als solche Spielereien. Wir wollen zusammen mit den Männern, die mehr können, als sensationelle Broschüren schreiben, eine Zeit heraufführen helfen, in der billige Schmähungen der Frauen die verdiente Nichtbeachtung finden, in der Mann und Frau vereint, wie in der Familie, so auch im öffentlichen Leben, an der Hebung und Veredelung der Menschheit arbeiten.«

g)»Neue Bahnen.« Vom 15. Nov. 1901.

»Diese dritte Auflage würde unglaublich sein, wenn wir es nicht erlebt hätten, daß nach der Besprechung der unmöglichen Dichtungen von Friederike Kempner durch Paul Lindau, die so ergötzliche Probe der Kempnerschen Poesie brachte, in schneller Reihenfolge sieben Auflagen vergriffen worden wären. Das oft so blasierte Lesepublikum greift nach derartigen wunderlichen Geisteserzeugnissen, um sich in bequemer Weise zu ergötzen. Diese Auslassungen sind keineswegs ein Produkt der bitteren Kränkung, welche wir Frauen über diese geringachtende Darstellung des gelehrten Professors empfinden. Die Kritiken der Männer sind nicht minder absprechend. So finden wir im Feuilleton der »Neuen Freien Presse« folgende Darstellung:

»Das Büchlein ist im »Literatur-Blatt« vom 14. Juni d. J. nach Verdienst behandelt worden. Seither ist die dritte Auflage erschienen, welche an dem famosen Texte nichts geändert hat. Abermals spricht Herr Möbius von einem physiologischen Schwachsinn und kümmert sich nicht um den Widerspruch im Titel; ebensowenig wie man von einem physiologischen Rausch, einer physiologischen Verletzung oder Lungenentzündung sprechen kann, ebensowenig darf man einem psychischen Defekte, dem Schwachsinn, das Epitheton »physiologisch« geben. Wie in den früheren Auflagen begeht Herr Möbius den noch bedenklicheren Irrtum, daß er von dem Weibe Leistungen fordert, welche mit jenen des Mannes durchaus kongruent sein sollen. Da das Weib sich nach diesem Maße nicht messen läßt, ist sie – schwachsinnig. Mit demselben Recht oder eigentlich Unrecht könnte ja ein weiblicher Möbius vom »physiologischen Schwachsinn des Mannes« reden! Mit einem Worte, Möbius verlangt vollständige physische und psychische Gleichheit zwischen Mann und Weib, das heißt, er fordert Unmöglichkeit. Er übersieht, oder will übersehen, daß das Weib anders – nicht schwachsinniger! – ist, als der Mann, daß es aber durchschnittlich ebenso viel leisten kann, wie dieser. Es kann Doktor, Professor, Mathematiker, Künstler werden wie der Mann, und für männliche Eigentümlichkeiten, die es nicht besitzen kann, verfügt es über Eigenschaften, welche ein Mann nie besitzen wird. Das Interessanteste an dieser Auflage des Büchleins ist der »Anhang« und das »Vorwort«. Dort werden Kritiken und Zuschriften veröffentlicht; dort geht es dem Verfasser, wie er es verdient, nämlich recht schlecht. Fachmänner lehnen ihn großenteils ab, und Kritikerinnen behandeln ihn nicht eben mit Glacéhandschuhen. Eine wünscht ihm gar sieben mit »Schwachsinn« behaftete Töchter, welche ohne Gatten und ohne Beruf ihm zur Last fallen; ferner eine alte Frau, welche so beschaffen sein sollte, wie er die alten Frauen charakterisiert. Noch interessanter ist das »Vorwort« zu dieser Auflage. Herr Möbius beginnt mit einem schlechten Witze: Mädchen und Frauen, die fühlen, daß er Recht habe, pflegten nicht zu den Gefiederten zu gehören. Ferner behauptet er, es sei eine Schande, wenn man sich jetzt noch auf die Aussagen des Professors Brühl in der Gehirnfrage berufe. Möbius hat über diese schwierige Frage nicht selbständig gearbeitet, er begnügt sich bloß mit Citaten: auf einen ehrlichen Arbeiter wie es Brühl war, so loszuschlagen, ist jedenfalls vom Übel, besonders wenn jener ehrliche Arbeiter tot ist und sich nicht mehr wehren kann.«

Wenn ein gelehrter Kollege Der Verfasser der geistreichen Kritik in der N. Fr. Pr. ist angeblich »Dr. A. K.« Herrn Professor Möbius so wenig ernsthaft behandelt, so wird man es uns nicht verdenken, wenn wir in seinen Ausführungen lediglich die Wirkung einer krankhaften Gereiztheit erblicken.

Auguste Schmidt.

h) Die Zukunft, Berlin, vom 5. Oktober 1901.

Unter dem Titel »Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes« ist eine Abhandlung veröffentlicht worden, die einen Leipziger Arzt, Dr. J. P. Möbius, zum Verfasser hat. Die jetzt dreiundneunzig Druckseiten umfassende Schrift liegt schon in dritter Auflage vor, doch nimmt der ursprüngliche Text nur vierundzwanzig Seiten ein, während Rechtfertigungen, Vorworte und Entgegnungen die anderen zwei Drittel füllen. Wenn weitere Auflagen mit weiteren Vorreden und Anhängen folgen, so kann das Schriftchen zum stattlichen Bande anwachsen. Übrigens scheint das Beifügen der Entgegnungen eine nachahmenswerte Neuerung. Denn:

»Eines Mannes Rede ist keines Mannes Rede,
Man soll sie billig hören Beede.«

Einige Kritiker, sagt Möbius in seiner Vorrede zur dritten Auflage, hätten ihm diesmal offen zugestimmt. Zustimmende Besprechungen habe er in der Petersburger Medizinischen Wochenschrift, im Ärztlichen Vereinsblatt, in der Deutschen Medizinischen Presse, in der Zeitschrift für Behandlung Schwachsinniger und Epileptischer, in »Nord und Süd«, in der »Heilkunde«, im Reichsmedicinalanzeiger gefunden. Zur Ehre der betroffenen ärztlichen Fachschriftsteller nehme ich an, daß ihre »Zustimmung« eine sehr bedingte und partielle ist. Sie beschränkt sich hoffentlich im wesentlichen auf den Satz, daß Gesundheit für das Weib wichtiger ist als Gelehrsamkeit und Bildung, – eine Wahrheit, über die wohl alle Verständigen einig sind. Was die Auffassung betrifft, die Möbius im Allgemeinen vom Weibe hat, so können ihr nur verbohrte Weiberhasser oder Schwachköpfe beitreten. Ich denke viel zu hoch von unserem deutschen Ärztestand, um glauben zu können, daß er sich zum Teil aus Weiberverächtern und Schwachköpfen rekrutiere.

[Kurze Inhaltsangabe]

Leider gibt es genug törichte, unkultivierte Weiber, auf die solche Charakteristik paßt. Wem wären sie noch nicht über den Weg gelaufen? Doch man höre Herrn Möbius nun weiter.

Wie das Weib eben geschildert wurde, so ist es nicht nur, sondern so muß es sein und so soll es bleiben, denn so hat es die Natur gewollt. Es bat nur die einzige Bestimmung, dem Manne Kinder zu gebären, sie zu pflegen und zu warten.

Man kann wohl die Meinung haben: das Weib soll gesund und natürlich sein, ungelehrt, unverbildet und von kräftigen Instinkten, damit es ein Gegengewicht bilde für die Kulturentartung des Mannes, da der zu den höchsten Dingen ausersehene Mann eine intensiv mit der Natur verwachsene, triebhaft sichere Genossin gleichsam als das ihn am Mutterboden festhaltende Schwergewicht nötig habe. Ich verstehe diese Männersehnsucht vollkommen. Doch so, wie Möbius das natürliche Weib darstellt, ist es weder gesund, noch angenehm, noch förderlich und ganz sicherlich nicht seiner der großen, schönen Gedanken der Natur.

Ist das Weib wirklich so, wie Möbius sagt, so ist es ein minderwertiges, gefährdendes, widerwärtiges, entartetes Geschöpf, entartet durch eine einseitige Männerkultur. Dann wäre es das einzig Rechte, eine gründliche Umgestaltung der bisherigen, so unvorteilhaft wirkenden Stellung des Weibes anzustreben, und jeder Versuch und jeder Weg, der dahin führen könnte, wäre berechtigt. Doch hören wir Möbius weiter.

Die Natur verlieh dem Weibe eine ganz kurze körperliche und geistige Blütezeit zum Zweck des Gattenfanges. Ist dieser Zweck erreicht, so verfällt es körperlich und geistig. Es wird häßlich, es wird stumpfsinnig. Alte Weiber sind von je her – und natürlich nicht ohne Ursache – Gegenstand des Spottes, ja des Hasses gewesen. Sie sind nicht etwa schlechter als die jungen; aber da kein Jugendreiz mehr über ihre Bosheit und Dummheit täuscht, zeigt sich diese unverhüllt und nimmt lächerliche Formen an. Die geschlechtliche Differenzierung ist beim Menschen viel größer als beim Tier, weil das Kind länger hilflos bleibt als irgend ein Tierjunges.

Unsere Männerwelt hat sich sehr entrüstet über Helene Bölaus Sie heißt Böhlau. Roman »Halbtier«, in dem die Farben allerdings etwas stark aufgetragen schienen. Wenn man aber einen Möbius hört, muß man bekennen, daß Frau Bölau noch sehr maßvoll gewesen ist in ihrer Charakteristik einer bestimmten Klasse von Männern und deren Auffassung des Weibes.

Das Weib hat also nach Möbius diese Bestimmung: einen Ehemann zu erobern, Kinder zu gebären, sie zu pflegen und dann körperlich und geistig aufzuhören, lange vor dem Tode.

Das Weib wird bekanntlich im Durchschnitt älter als der Mann. Siebenzig bis sechsundsiebenzig Jahre sind kein ungewöhnliches Alter. Nehmen wir als eine Durchschnittszahl fünf bis sechs Kinder an. Nehmen wir an, daß die erste Geburt im neunzehnten, die letzte etwa im siebenundzwanzigsten Lebensjahr erfolgt, daß die Pflege der hilflosen Kleinen noch weitere sechs Jahre ihre Kräfte in Anspruch nimmt – Möbius redet nur vom Pflegen und Warten, nicht etwa vom Erziehen –, so bleiben ihr siebenunddreißig Jahre und mehr frei. Wenn die Natur das Weib mit allen Fähigkeiten ausstattete, die der Mann hat – Möbius betont Das nachdrücklich –, nur in etwas geringerem Maße, um ihr für ein langes, langes Leben ausschließlich die geschlechtliche Aufgabe zu überweisen, so ist sie grausam und sinnlos verfahren.

Grausam erscheint uns die Natur freilich oft. Doch schuf uns Menschen dieselbe Natur so, daß wir Ungerechtigkeit und Grausamkeit aus unserem tiefsten Empfinden heraus verneinen. Obwohl die Natur den Schwächeren durch den Stärkeren gewürgt haben will, wollen wir Das nicht, sondern wir setzen dem Naturrecht des Stärkeren ein anderes, menschliches Recht entgegen, das uns vornehmer erscheint. Hier würde allerdings bereits die Abwendung von der Natur beginnen, die jede Kultur mit sich bringt als den Todeskeim. Wiederum ist aber alle Fortentwicklung Naturgesetz, so daß auch die scheinbare Abkehr von der Natur noch durch die Natur selbst und in ihr sich als Notwendigkeit vollzieht.

Gerechtigkeitliebe ist eine Anlage des Menschen, die zwar leicht verkrüppeln und verkümmern kann, die ihn aber immer nötigen wird, den Brutalitäten der Natur ein eigenes, verfeinertes, veredeltes Wollen entgegenzusetzen. Ja, der Mensch wird selbst dann noch dem eigenen Gerechtigkeitgefühl folgen müssen, wenn er selbst darüber zu Grunde gehen sollte. Wir müßten aus unserem eigenen Gefühl heraus die Natur korrigieren, wenn sie wirklich so grausam ungerecht und roh am Weibe gehandelt hätte, wie Möbius annimmt. Und zwar unter allen Umständen, es möge daraus werden, was wolle. Ebensowenig wie wir uns heute auf Kosten von Sklaven bereichern wollen, können wir den männlichen Teil unserer Rasse dadurch stärken wollen, daß wir die weibliche Hälfte ihrem eigenen Kulturverlangen zum Trotz auf möglichste Tierstufe herabdrücken.

Selbst wenn also das Weib in so hohem Grade von der Natur benachteiligt wäre und selbst wenn durch erzwungenes Verharren des Weibes auf seiner Halbtierstufe eine längere Dauer unserer Rasse zu erzielen wäre, so würde das sittliche Bewußtsein des Edelmenschen entscheiden müssen: »Nein! unter dieser Bedingung nicht.« Leben um jeden Preis will das Tier. Dem Adel des Menschen ziemt es, freiwillig auf das Leben zu verzichten, wenn es nur noch unter schmählichen Bedingungen erhalten werden kann.

Doch ich sehe uns keineswegs vor diese harte Wahl gestellt. Die Angst des Dr. Möbius vor dem Untergang der Rasse durch das massenhafte Überhandnehmen von »Gehirndamen« ist ganz so am Schreibtisch und aus der Theorie geboren, wie die heldenhafte kleine Nora Ibsens, die den eifernden Zorn des Doktors hervorgerufen hat. Wutentbrannt griff Möbius zu den Waffen und zog in den Kampf gegen Windmühlenflügel. Eine tiefere Verbeugung konnte Herr Möbius übrigens der Dichtkunst des alten Norwegers nicht machen. Er sagt zwar, daß nicht sowohl die Nora, die ja nur ein Theatergespenst sei, als der begeisterte Beifall, den ihr Handeln gefunden, ihn so sehr erschreckt habe. Solcher leidenschaftliche andauernde Beifall kann allerdings nachdenklich machen und auch zum Erschrecken Anlaß geben, etwa über die eigene Stumpfheit und Blindheit; denn er pflegt dann aufzutosen, wenn es einem Zeitgenossen gelang, Das klar zu formulieren, was schon auf vielen Gemütern dumpf und bedrückend lastete, ohne seinen Ausdruck finden zu können. Neue Gedanken haben diese Wirkung nie. Sie stoßen zunächst auf Unglauben und Widerwillen. Wo ein Sturmwind an Zustimmung und Anteilnahme aufspringt, da ist etwas ausgesprochen worden, das sich lange im Stillen vorbereitet hatte und für dessen Aufnahme die Gemüter reif waren. Das sollte Möbius wissen. Er selbst hat freilich Nora ganz so aufgefaßt, wie unsere »versimpelten« Bierphilister, eine Spezies, die leider beinahe so zahlreich vertreten ist wie die der »versimpelten« Weiber. Diese sehen in Nora nichts als die pflichtvergessene Frau, die Mann und Kinder verläßt, um der eigenen Bildung willen.

Möbius also ward vom Ekel und Zorn erfaßt. An dem Gelehrtenstuben- Horizont seines Geistes stieg das Gespenst des »neuen« Weibes auf. Er sah die gesund-schwachsinnigen Weiber zu Gehirndamen werden, die keine Kinder gebären wollen oder können und damit den Untergang des Volkes herbeiführen müssen. Und darum rief er, so laut er konnte: Männer Europas, schützt Euch vor dem Intellektualismus der Weiber! Unklugerweise brach er im Übereifer den eigenen Waffen die Spitze ab, da er von dem gesunden, naturgemäßen Weibe und seiner Stellung ein so abstoßendes Bild entwarf, daß jeder einsichtige Mann nur lächelnd den Kopf schütteln konnte.

Und doch ist in der Schrift Mancherlei, das eine ernste Gegenrede wohl verdient, manche richtige Beobachtung, mancher unstreitig wahre Vordersatz.

Ich glaube, zum Beispiel, mit Möbius, daß das kräftigere Instinktleben gesunder Weiber ein kostbares Gut ist, viel kostbarer als irgend welche Gelehrsamkeit. Aber ich glaube, daß der fortschreitenden Abnahme dieser Instinktkraft durch die Einflüsse der Kultur innerhalb eines Kulturvolkes auf keine Weise Einhalt zu gebieten ist, am allerwenigsten durch einen dem erwachten Persönlichkeitbewußtsein des Weibes angetanen Zwang.

Ich glaube auch, daß die geistigen und körperlichen Fähigkeiten des begabten Weibes ein wenig geringer sind als die des entsprechend begabten Mannes; aber sicherlich sind alle Fähigkeiten des Weibes von der Natur zur Entwicklung bestimmt und ihrer wert.

Die Befürchtung, daß durch Kultivierung der weiblichen Kräfte ein reiz- und nutzloser Zwitter herangezüchtet würde, halte ich für durchaus unbegründet. Man verwechselt künstliche Aufpfropfung männlicher Wesenszüge mit organischer Entfaltung des im Keim vorhandenen Menschlichen. Übrigens wäre es eben so aussichtvoll, die Hälfte der Wassermasse eines reißenden Stromes am Weiterfließen hindern zu wollen, wie die eine Hälfte eines Kulturvolkes nötigen zu wollen, auf der Naturstufe zu verharren.

Die Gefährdung der Rasse durch Massenzüchtung von Gehirnweibern ist, wie gesagt, ein Gelehrtenstubengespenst. Möbius insbesondere, der von der Sterilität, Stumpfheit, Unsachlichkeit und Interesselosigkeit des Weibes überzeugt ist, hat doch gar keine Veranlassung, einen Massenzudrang der Weiber zum Gelehrtenberuf zu fürchten. Obendrein versichert er, daß die gelehrten Frauen nicht die guten seien und auch für den Mann nichts Anziehendes hätten. Und das ist auch von anderen so oft gesagt worden, daß ich selbst, wenn ich nicht zufällig das Gegenteil wüßte, glauben könnte, es sei wahr. Bei der beträchtlichen numerischen Überzahl der Frauen aber würde selbst ein größerer weiblicher Gelehrtenstand, als wir ihn zu erwarten haben, noch keinen Schaden anrichten. Daß die im öffentlichen Leben tätige hochgebildete Frau steril ist oder ihre Kinder schlecht versorgt oder daß diese Kinder schwächlich ausfielen, ist bis heute nicht erwiesen worden. Es wäre mir dagegen leicht, ein halbes Dutzend Beweise für das Gegenteil zu erbringen. In Wirklichkeit wird sich immer nur eine kleine Minderheit von Weibern den gelehrten Berufen zuwenden, weil sie ihnen in der Tat nicht liegen. Und Das ist gewiß gut. Aber muß es nicht seltsam berühren, wenn dieselben Männer, die sich über die Heiratlust der Weiber so viel lustig machen, sofort auf den Gedanken kommen, diese Heiratlust könne sich ganz verlieren, sobald das Weib nicht mehr gar so abhängig sei? Dieser Sorge dürfen sie sich getrost entschlagen. Der Trieb nach Mann und Kind, ganz besonders der mütterliche, ist viel zu stark im Weibe, als daß er je durch etwas anderes Ersatz finden könnte. Krankhafte Ausnahmen wird es immer geben, hat es aber auch immer gegeben. Im Ganzen werden die wirtschaftlichen Verhältnisse das Schwanken der Eheschließung am meisten beeinflussen, aber mit oder ohne staatliche Sanktion werden die Menschen fortfahren sich zu paaren und Kinder zu zeugen. Das geistig am Höchsten entwickelte Weib wird am Tiefsten begreifen, daß es für sie über die Mutterschaft auf Erden nichts gibt. Vieles daneben, nichts darüber.

Also: wozu der Lärm?

Wir haben in Deutschland mit Kulturfaktoren zu rechnen, die unsere Rasse in unendlich viel höherem Grade schädigen, als es emanzipierte Frauen je tun werden: viele unserer Industrien, die Arbeit in den Fabriken, der Alkoholismus, die erotischen Ausschweifungen der Großstadtjugend und ähnliche Dinge. Angesichts solcher tausend- und tausendfachen Verkümmerung und Vergiftung des Elternmaterials erscheint es doch beinahe Wahnsinn, sich über ein paar Hundert unabhängiger Frauen aufzuregen. Wer mitten im Leben steht, sehe sich um und sage dann, wo er geistiges und körperliches Siechtum gefunden hat: bei den Fabrikarbeitern, Webern. Hungerdorfbewohnern, Bergleuten und ihren Familien oder bei den »neuen Weibern«. Ein Männergeschlecht, das nicht im stande ist, den größten Teil seiner Weiber vor schwerer Arbeit, Siechtum und Hunger zu schützen, sollte wenigstens schweigen, wenn die Frauen endlich einmal ihr Heil auf eigene Faust versuchen. Die Fabriksäle und Maschinen sind wohl die grimmigsten Feinde unserer Volksgesundheit, auch der geistigen. Und doch können wir auch hier dem nach ewigen Gesetzen vorwärts rollenden Wagen der Zeit nicht in die Räder fallen. Wir können nur trachten, unsere sozialen Einrichtungen den gewaltsam veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen angemessener zu gestalten. Hier aber gerade hat das geschmähte »neue« Weib seine Arbeitkraft eingesetzt. Auch diese Frauen lassen sich die Gesunderhaltung unseres Weibmaterials angelegen sein; nur konstruieren sie sich nicht Zukunfterkrankungen, sondern suchen da zu helfen, wo das Elend mit Augen zu sehen und mit Händen zu greifen ist. Daß die Weiber der besitzenden Klasse der Nervosität nicht entgehen, zumal in den großen Städten, ist sicher; allein dies verbreitete Übel tritt in der schlimmsten Form gerade bei den geistig Unbeschäftigten auf. Das gebildete Mädchen gelangt vielfach, trotz heißestem Begehren danach, nicht zur Ehe. Gibt man ihm keinerlei Ersatz, keinen Modus, seine Anlagen in anderer Form auszuleben, so verfällt es dem allerkümmerlichsten Siechtum. Das Buch der Gabriele Reuter von dem vergebens wartenden und hoffenden Mädchen aus guter Familie hat einen so großen Erfolg gehabt, weil es rücksichtlos ein Übel aufdeckt, an dem ungezählte Frauen elend zu Grunde gehen. Die Mädchengymnasien sind ein Notbehelf, eine Konzession an vorhandene staatliche Einrichtungen. Es wäre gewiß ausgezeichnet, wenn man die Erziehung unserer Mädchen auf einer von der bisherigen und von der männlichen durchaus verschiedenen Grundlage aufbauen konnte. Die Mädel müßten in ländlicher Freiheit aufwachsen, in einfachen Verhältnissen, recht mitten in der Natur. Sie müßten kräftig turnen, schwimmen, wandern, Bewegungsspiele im Freien spielen, sehr gut ernährt werden; und möglichst wenig Gedächtniswissen müßte in ihre jungen, frischen Hirne eingetrichtert werden. Dagegen müßten sie aber von früh auf geübt werden, zu beobachten, zu überlegen, sich klar und bündig auszudrücken und sich zu beherrschen. Sie könnten durch die kleine Welt des Dorfes praktisch am sozialen Leben teilnehmen lernen. Auch müßten sie zeitig erfahren, was Ehe und Mutterschaft nicht allein für sie selbst, sondern auch für das Gemeinwohl bedeuten, aber auch, wie reich sich für den tüchtigen Menschen das Leben noch außerhalb jener Naturberufe gestalten läßt. Doch Das ist eine Utopie. Wir müssen mit dem heute Erreichbaren rechnen, bis uns Besseres zugänglich wird. Jedenfalls ist es sehr ungerecht, die Übertreibungen einiger unklaren Weiberköpfe als das Wesen der heutigen Frauenbewegung hinzustellen. Es wäre eben so richtig, die große Reformationbewegung zu Luthers Zeit nach den Ausschreitungen der Wiedertäufer und Bilderstürmer beurteilen zu wollen. Es gibt keine bahnbrechende Idee, die nicht von Wirrköpfen erfaßt und verzerrt wird. Diese uralte Erfahrungtatsache sollte der gelehrte Herr Doktor besser wissen als ich mit meinen bescheidenen 53 cm Schädelumfang. Herr Möbius schwinge sich also auf seine Rosinante und reite heim. Sein Windmühlenkampf hat uns einen ganz guten Dienst erwiesen. Denn wie sagt doch Goethe? »Alle Gegner einer geistreichen Sache schlagen nur in die Kohlen: diese springen umher und zünden da, wo sie sonst nicht gewirkt hätten.«

Dorf Wiesenthal in der Rhön.
Frieda Freiin von Bülow.

i) The Englishwoman's Review.

To adequately characterise this book requires the use of stronger language than is customary in The Englishwoman's Review. In a long preface to this – the third – edition of his production, Dr. Möbius complains of the animosity of his women critics. »Women writers«, he says, »have nothing but disapproval for me, and this is understandable, for the women who feel I am right are not usually among the writers. I might, indeed, say that the want of comprehension, the many errors, and the hatred (Gehässigkeit) of the women critics do but prove that I have rightly gauged woman's mental capacity.«

If it pleases Dr. Möbius to imagine that only a lofty masculine intelligence can appreciate his arguments – things of the past in England – about the lighter brain weight and the weaker physical structure of women, as compared with men, no particular harm is done. Women will go on using their brains, after they have been told that they have none to use, just as much as they did before. But that Dr. Möbius means much more is evident to the meanest feminine capacity. In answer to the objection that all women cannot be mothers, and that therefore motherhood cannot be a universal career, he frankly advocates illegitimate motherhood. Here are his words in the original: – »Wir mehr Mütter und mehr Menschenglück haben könnten, wenn nicht bloß in der Ehe erzeugte Kinder gelten lassen.«

On the next page he bemoans the decline of the cloister system as one of the greatest pieces of folly of the Reformation and of Liberalism. His ideal for the future is that woman, having renounced the error of Liberty, will devote herself, not to her own well-being, but to that of husband and children, or that man will put his foot down and say he will not hear of freedom for women. »Were men to do that seriously there would be an end of the »Woman Movement.« Would there?

Really, this doctor is a sort of antiquarian curiosity, a kind of reincarnation of that Italian writer of the seventeenth century, who wrote a treatise to prove that women had no souls, and supported his assertions by the text: »Is it meet to take the children's bread and give it to dogs?«

At the request of the publisher, a selection of the adverse criticisms on »Schwachsinn des Weibes« appears as an appendix. They occupy more space than the subject matter itself!

k) Die Frauenbewegung. II. 3. 4. 5. 1901.

»Die Schrift des Herrn P. J. Möbius »Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes« erhielt ich zugeschickt mit dem Ersuchen, sie zu widerlegen. In dem Begleitschreiben stand unter anderm: »Denken Sie, die dritte Auflage!«

Nachdem ich die Schrift gelesen, wunderte ich mich, daß sie nicht schon die zehnte Auflage erlebt hat, amüsant wie sie ist. Die Gesinnungsgenossen des Verfassers mag sie weniger amüsiert haben. Man hat wiederholentlich im Reichstag von dem – die Parlamentarier gebrauchten den Ausdruck – Schweineglück gesprochen, das die Sozialdemokraten den lächerlichen Mißgriffen ihrer Feinde verdanken. Mehr solche Gegner wie Möbius, und mehr solche Pamphlete, und wir können es mit den Sozialdemokraten aufnehmen.

Voll anzuerkennen in der Broschüre ist die Offenheit, die Ganzheit, mit der der Verfasser seine tapfere Lanze für den Schwachsinn des Weibes einlegt, der nötig und nützlich für das Geschöpf sei, das nur zur Gebärerin und Brutpflegerin taugt.

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Der Herr Möbius teilt in der Vorrede mit, daß er auf seine Broschüre hin viele zustimmende Briefe erhalten habe. Eine Veröffentlichung dieser Briefe (Namensnennung unnötig) wäre ungemein interessant. Es läge dabei keine Indiskretion vor, da die Zuschriften sich ja nicht an den Privatmann, sondern an den Verfasser der Schrift richten. Bei einer solchen Veröffentlichung würde sich die Geistesart der Briefsteller herausstellen, und ob gerade diese Leute so sehr berechtigt waren, sich für den Schwachsinn des Weibes zu begeistern.

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Seine Beweise für diesen Schwachsinn. Erstens: Des Weibes geistige und moralische Beschaffenheit. Zweitens: Ihre Leistungen. Drittens: Die Notwendigkeit ihres Schwachsinnes um der Mütterlichkeit willen.

Nur einen einzigen wissenschaftlichen Beweis bringt er bei, und zwar einen anatomisch-wissenschaftlichen. Er verdankt ihn einem Kollegen. Der heißt Rüdiger und ist hinter eine ganz mangelhafte Gehirnrinde des Weibes gekommen. Ob andere mehr oder minder berühmte Physiologen auch dahinter gekommen sind, weiß ich nicht, daß sie dieselben Schlüsse, wie Möbius daraus ziehen, bezweifle ich.

Früher legte man zur Begründung der weiblichen Inferiorität den Nachdruck auf die Kleinheit des Frauengehirns. Seitdem sich aber herausstellte, daß das Gehirngewicht des Hauptvertreters dieser Ansicht (erst nach seinem Tode, bemerke ich, um Mißverständnissen vorzubeugen) hinter dem Durchschnittsgewicht weiblicher Gehirne zurückblieb, hat man diesen Beweis fallen lassen. Gott sei Dank, hat sich ja nun als Ersatz die mangelhafte Konstruktion des weiblichen Denkorganes eingestellt.

Nun, ich denke, wenn die dümmsten, männlichen Europäer über eine schöne Gehirnrinde, und die klügsten Frauen über eine verkümmerte verfügen, so können wir die Rüdiger und die Möbiusse auf den Lorbeeren ihrer fulminanten Entdeckung ohne Aufregung ruhen lassen.

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Die Beschaffenheit des Weibes. S. 4, heißt es in der Schrift: »Es ist geradezu kindisch, die Beschaffenheit des Weibes, wie sie zu allen Zeiten und in allen Völkern vorhanden ist, für ein Ergebnis der Willkür (der Willkür?) zu halten. Die Sitte ist das Sekundäre, nicht sie hat das Weib an seinen Platz gestellt, sondern die Natur hat dieses dem Manne untergeordnet und deshalb wurde die Sitte.«

Zu allen Zeiten? Die unserm Wissen erschlossenen Zeiträume umfassen ein paar Jahrtausende, ein verschwindender Zeitpunkt im Vergleich zu den Milliarden von Jahren, die noch im Schoß der Ewigkeit ruhen. Aber selbst in diesem kurzen Zeitraum war der Frauen Stellung bedeutenden Schwankungen unterworfen, von den mythischen Amazonen bis zu den Frauen barbarischer Stämme, die als unreine Geschöpfe nicht mit dem Manne an einem Tische essen durften.

Der Herr Möbius proklamiert die Stabilität der Sitte. Wie? Die Sitte wäre immer der Ausdruck des von der Natur gewollten gewesen? Sind Sitten nicht ein Spiegel des Kulturzustandes der Zeit? und nicht einmal das, oft sind sie nur ein Spiegel vergangener Kulturzustände.

Weiß denn der Herr nicht, daß die Philosophen den Ursprung der Sitte auf den Nutzen zurückführen, den einmal ein Gemeinwesen, oder eine herrschende Partei von ihrer Einführung sich versprach? Allmählich bürgerte sich die Sitte ein. Man vergißt ihren Ursprung, und im Laufe langer Zeiträume wird sie der Gesinnung einverleibt, und je länger ihr Ursprung in der Vergangenheit zurückliegt, mit um so größerer Autorität tritt sie auf, und schließlich sprechen die Gläubigen der Sitte à la Möbius sie heilig. Weil es bisher immer so gewesen, muß es auch in aller Zukunft so bleiben? Fast scheint das Umgekehrte wahr. Müßte man nicht, sich des Ursprunges der Sitte erinnernd, sie um so gründlicher auf ihre Daseinsberechtigung hin prüfen, je länger sie Bestand hat? Vorstellungen, Denkprozesse durchlaufen am liebsten die gewohnten Nervenbahnen, bis irgend ein großer Gewohnheitsbrecher erscheint, die alten Gesetzestafeln zerschmettert, und neue, oft mit Blut zusammengeschweißte, aufhängt.

Die Stabilität der Sitte erklären heißt: Die indischen Wittwen müssen ewig verbrannt werden, und die Ketzer und die Hexen auch. Aber diese Institutionen haben nur Jahrhunderte angedauert. Vergewaltigungen, die Jahrtausende dauern, tun um so weher. Die Tschandalas, die Parias, wurden durch Jahrtausende als tierische Geschöpfe von jedem Menschenrecht ausgeschlossen. Und die Sklaverei, die selbst dem edelsten Volke des Altertums als eine Naturnotwendigkeit galt, und deren beaux restes sich heute noch in Afrika erhalten haben? Und der Krieg? ewig, weil er an allen Orten und zu allen Zeiten die Menschheit grausam dezimierte.

Ja, seit wie lange gilt denn nach Sitte und Herkommen der Bürgerliche als ein dem Adel gleichberechtigter Staatsangehöriger? Sprach nicht Buch Metternich das freche Wort: »Der Mensch fängt erst mit dem Baron an.« Und neulich hörte ich sogar von einem lieben, ehrwürdigen Professor der Mathematik, daß der zivilisierte Mensch erst mit dem Mathematiker anfinge. Der Herr Möbius – er sitzt, wie es scheint, im Aufsichtsrat der Schöpfung – übertrumpft sie: Der Mensch fängt erst mit dem Manne an, und bei der Frau hört er auf.

In unserm Hause war ein Portier, der ab und zu seine Frau und seine erwachsene Tochter jämmerlich zerbläute. Von einem Hausbewohner energisch zur Rede gestellt, antwortete er: »Sie estimieren mir nich als Mann.«

Nicht ein Symbolikum dieser Portier? Einbläuen – ja – physisch oder seelisch.

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S. 17: »Ihr Instinkt macht das Weib tierähnlich, unselbständig, sicher, heiter. Es macht sie bewundernswert und anziehend.« Ja? Die Tierähnlichkeit macht sie bewundernswert? Wir nehmen Akt von diesem Bekenntnis.

Dafür kann man aber doch das Weib nicht strafen (durch Entziehung der Geistesnahrung), daß der Mann in ihr das Tier so liebt. Wie recht hatte Helene Bühlau, ihren letzten Roman »Halbtier« zu nennen, oder wäre »Ganztier« noch passender gewesen?

»Mit des Weibes Tierähnlichkeit hängen zusammen: Der Mangel eigener Urteilskraft, sie haßt das Neue, (da läßt er sich die schöne Gelegenheit entgehen, sie als Modenärrin zu brandmarken) ausgenommen, wenn es ihr persönlichen Vorteil bringt.« Dieses und die folgenden Zitate sind nicht richtig, denn so wie die Worte hier in »« angeführt werden, stehen sie nicht bei mir. Bei einem Manne würde man das unehrlich nennen. Man denke an die Äußerungen Schopenhauers über gefälschte Zitate. (Pfui, diese ordinären Geschöpfe!) »Das Weib hängt wie ein Bleigewicht an dem Manne ... hemmt den Edlen, denn sie vermag das Gute vom Bösen nicht zu unterscheiden ... was jenseits der Familie ist, interessiert sie nicht« ...

Was? Das steht in ihrem Sündenregister? Komisch. Die Möbiusse setzen Himmel und Hölle in Bewegung, damit sie sich für anderes nicht interessieren soll, und haben sie es erreicht, dann rufen sie: Sehet da, ihre Natur!

Wenn heute noch ein deutscher Wissenschaftler mit aller Energie durch die zivilisierte Welt gellt: »Schützt das Weib vor Intellektualismus!« mit wie unerschöpflicher Großmut wird man ihr in zurückliegenden Zeitaltern diesen Schutz gewährt haben.

Der Herr Möbius fährt fort: »Gerechtigkeit ist ein leerer Begriff für sie, sie ist unfähig, die Heftigkeit ihrer Affekte zu beherrschen ... (Wer kennt mehr jähzornige Männer als jähzornige Frauen? – Ich). »Sie ist moralisch einseitig oder defekt, zanksüchtig, boshaft, schwatzhaft.« (Bedauernswerter Herr Möbius, in welchem Frauen-Milieu hast du dich bewegt!)

Er korrigiert einen Schriftsteller, der sich über die Unwissenheit der eben schulentlassenen Mädchen wundert und die Unwissenheit auf die Mangelhaftigkeit der Schulen zurückführt.

O, nein! Die Schule ist unschuldig. »Das rasche Verlernen ist bei den Mädchen eine Hilfe der Natur gegen die Schultyrannei. Das weibliche Gehirn stößt das aufgezwungene rasch wieder ab.« Eine Meinung, die ihn nicht hindert (S. 19) zuzugeben, daß sie, die Mädchen, das Gelernte ebenso gut wie die Männer merken, – und einige Sätze später seine Ansicht wieder dahin zu modifizieren, daß sie zwar sehr gut lernen, es wäre aber nur ein Auswendiglernen, und sie vergäßen das Gelernte so schnell, nicht weil sie es nicht behalten könnten, sondern weil sie es nicht behalten wollten. – Aber vorher vergaßen sie es doch, weil sie nicht anders konnten?

Die schreienden Widersprüche, die ausnahmlos unseren Gegnern eigen, scheinen nicht nur unvermeidlich, sie sind es. Sie entstehen dadurch, daß die Tatsachen ihren Behauptungen ins Gesicht schlagen, und sie sich nun das Gehirn verrenken, um beide in Einklang zu bringen.

Sie sind ausgezeichnete Schülerinnen, sagte er, aber das »Lernen ist ihnen widerwärtig, wenn es ihnen nicht in der nächsten Nähe einen persönlichen Vorteil bietet.« Ja, um Gotteswillen, warum drängen sie sich denn zum Lernen? der Knabe, der Jüngling wird dazu gezwungen, das Mädchen mit nichten. Und welche Vorteile in nächster Nähe bietet es ihnen denn? wenn wir vom ärztlichen Beruf absehen, nicht einmal Vorteil in der Ferne, da sie das Erlernte – vorläufig – für ihre Existenz nicht verwerten können. Aus Eitelkeit? Aber die studierten Frauenzimmer sollen doch den Männern ein Greuel sein. Übrigens, ich nehme die »Frauenzimmer« zurück, die Möbiusse pflegen neuerdings, wenn sie das Emanzipationsweib abtun wollen, »Damen« zu sagen.

*

Zu den Beweisen des physiologischen Schwachsinns zählt der Herr Möbius auch den frühen Verfall des Weibes.

Als Mädchen zeigt sie oft einen glänzenden, feurigen Geist. Nach der Heirat »verliert sie tatsächlich Fähigkeiten, die sie vorher besaß ... Der Verfall beginnt oft nach einigen Wochenbetten, die Geistesfähigkeiten gehen zurück, die Frauen versimpeln.«

In diesen Sätzen ist ein Kern von Wahrheit. Gewiß, manches muntere, kecke Mädchen verliert in der Ehe nach einigen Wochenbetten (die Wochenbetten haben nichts damit zu tun, insoweit sie nicht Siechtum nach sich ziehen) ihre Frische und Munterkeit. Daß diese jungen Frauen vor der Versimplung besonders glänzenden Geistes gewesen sind, bezweifle ich. Die so schnell des Gehirnschwundes Bezichtigten werden in der Regel die Unbegabteren und Temperamentloseren gewesen sein, solche, die kaum je geistige Bedürfnisse hatten. Und der weltkundige, gelehrte Herr Möbius verwechselt wohl hier Munterkeit und kokette Allüren mit glänzendem Geist; oder hat er von einem glänzenden Geist eine andere Vorstellung als andere Leute?

Zuzugeben ist, daß in dem heißen, drängenden Werben um den Mann sich die Kräfte des Mädchens steigern, weil sie sich auf einen Punkt konzentrieren. Nur teilweise entspringt dieses Werben einem erotischen Naturdrang, häufiger noch ists ein Kampf um die Existenz. Die mittellose, berufslose, unverheiratete Frau ist leiblicher und geistiger Verkümmerung ausgesetzt. Und nichts ist natürlicher und erklärlicher, als daß sie sich aus Leibeskräften gegen das graue Elend zur Wehr setzt. Das Weib von diesem entehrenden Kampfe zu befreien ist eines der Ziele der Emanzipation.

Daß die »Damen« der Emanzipation diese Tatsache (der Versimpelung) auf unwürdige Beschränkung zurückführen, erklärt er für Oberflächlichkeit. Diese Beschränkungen wahrzunehmen bedarf es keiner Tiefe; sie liegen auf der Oberfläche.

Die Belastung, oft Überlastung mit unaufhörlichen, kleinlichen und zersplitternden häuslichen Verrichtungen, Sorgen und Mühen, in der Regel bei kargen Mitteln, oft in einer für Geist und Gemüt unfruchtbaren Ehe, sind wohl angetan, geistig Aufblühendes zu überwuchern oder zu ersticken.

Übrigens mit demselben Recht, wie Möbius von der Versimpelung der Frau nach einigen Wochenbetten spricht, könnte ein Anderer von der geistigen Erweckung der Frau durch die Ehe sprechen. Es steht sehr dahin, ob in der Ehe die Zahl der Versimpelten oder die der Erweckten, Aufwärtskommenden größer ist, wobei ich freilich die Ehe (wenn es nicht eine im Himmel geschlossene ist) nicht für maßgebend halte, sondern einfach den Umstand, daß der normale Mensch – falls ungünstige Verhältnisse ihn nicht hindern, – mit den Jahren im geistigen Wachstum fortschreitet.

Welche Frauen versimpeln nicht? Der gelehrte Herr halte Umschau. Es sind die Frauen der großen Welt, es sind die Künstlerinnen, überhaupt alle diejenigen, die auf irgend einem Gebiet in voller Aktivität bleiben.

Worauf der frühe Verfall der Frauen basiert, müßte er als Physiologe besser wissen als ich. Es gehört doch zum Abc seiner Wissenschaft, daß Organe, Kräfte, die außer Übung gesetzt werden, einrosten. Eine Schauspielerin bleibt oft bis in das 70. Lebensjahr leistungsfähig. Ich erinnere mich, die fünfundsechzigjährige französische Schauspielerin Dejazet in der Hosenrolle des jungen Richelieu gesehen zu haben. Jeder kennt die Tatsache, daß alte Männer häufig zusammenbrechen, wenn man ihnen ihr Amt nimmt. Man gebe einer alten Frau, die anfängt in Marasmus zu versinken, eine Aufgabe, etwa ein verwaistes Enkelchen zu erziehen oder eine erkrankte geliebte Person zu pflegen, und sie wird wieder aufleben. Ich kenne eine mit allen möglichen Gebresten belastete 80 jährige Greisin. Sie hat einen todkranken Sohn zu pflegen, sie pflegt ihn unausgesetzt Tag und Nacht seit länger als einem Jahr. An dem Tage, an dem ihr Sohn stirbt, wird auch sie sterben, nicht eher.

Vom Aufhören der Menstruen (das um das 50. Lebensjahr herum, oft früher eintritt) datiert der Herr Möbius nach altem Brauch » Das alte Weib«, und von diesem Zeitpunkt an geht dieses mißlungene Werk der Schöpfung absoluter Ekelhaftigkeit entgegen. »Man kann sich – sagt er – auf das verlassen, was das Gesicht sagt.« Häßlichkeit ist hassenswert und die alten Weiber sind häßlich. (Aha, ich merke, der Herr Möbius, ist ein schöner alter Herr.) »Der Spott über die alten Weiber kann nicht grundlos sein. Woher sollte dieser Spott kommen, wenn er nicht berechtigt wäre; ihre eignen Eigenschaften müssen schuld daran sein, denn der Mann haßt das Weib nicht, es sei denn, daß er gezwungen ist mit ihm zu kämpfen.« Wir nehmen Akt von diesem offenen Bekenntnis, daß der Mann das Weib als Konkurrentin haßt, obwohl auch das nicht recht verständlich ist, da der Mann mit der prachtvollen Gehirnrinde ja doch immer das triste Geschöpf, dem Gott sein Oberstübchen so armselig möbliert hat, schlagen würde.

»Ihre Boshaftigkeit hat man ihr nicht angekreidet, so lange sie körperliche Reize hatte. Durch den Schwachsinn des alten Weibes tritt diese Bosheit unverhüllt zutage und nimmt lächerliche Formen an« usw.

Als ich diese Stellen las, dachte ich bei mir: Na, wo bleibt dabei die Ehrerbietung vor der alten Mutter? Noch aber hatte ich es nicht zu Ende gedacht, da stand es schon: »Aber ihre mütterliche Gesinnung bleibt mitsamt ihrem Schatz von Zärtlichkeit.«

Ich muß sagen, wenn ich der Sohn einer so gräßlichen alten Hexe wäre, ihre Zärtlichkeit würde mich anwidern.

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Seine Merkmale des weiblichen Alterschwachsinns sind von mitleiderweckender Kleinlichkeit, so führt er z. B. ihre Sparsamkeit am unrechten Ort an. Der sprichwörtliche Geizkragen, der Harpagus, ist ein Mann. Vielleicht spart der aber am rechten Ort?

Nachdem der schöne alte Herr Möbius dem Weibe die lange Liste ihrer tierähnlichen Qualitäten entrollt hat, setzt er mit goldiger Naivität hinzu: »Sehen wir uns auch genötigt, das normale Weib für schwachsinnig zu erklären, so ist damit doch nichts zum Nachteil des Weibes gesagt.« Kleiner Schäker!

Seine Vererbungstheorien sind mir ganz unklar geblieben. Ich habe nur soviel verstanden, daß das Weib von den Talenten des Mannes nichts erbt, er aber von dem künftigen Gehirnweib die Weibischkeit erben wird. – Aber die hat sie doch schon abgelegt.

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Grundbeweis ihrer geistigen Sterilität sind die Leistungen des Weibes auf allen Gebieten, die Möbius für völlig wertlos, gleich Null erachtet. Es sei ein Kniff, daß es ihnen an Übung und Bildungsmöglichkeit gefehlt habe. Zu keiner Zeit z. B. seien sie gehindert worden, sich auf dem Gebiete der Kunst frei zu bewegen.

Nun, wenn der sicher ebenso berühmte wie gelehrte Herr Möbius im Anfang des 20. Jahrhunderts den Ausspruch tut: ein wirkliches weibliches Talent ist ein Hermaphroditismus, so ist anzunehmen, daß in früheren Zeitaltern die Möbiusse, die heut in der Minorität sind, eine kompakte Majorität bildeten. Stärkere Schranken als allgemeingültige Zeitanschauungen – die immer nur einzelne kühne Geister zu durchbrechen wagen – sind kaum denkbar. Sitte und Herkommen haben sich stets mächtiger erwiesen, als Gesetze und Verbote. Ein Beweis ist Italien. Dort stehen seit einer Reihe von Jahren die Universitäten bedingungslos den Frauen offen. Sie gehen an den offenen Türen vorüber, einzutreten ist gegen die Sitte. Dazu kommt freilich, daß die Mangelhaftigkeit der italienischen Mädchenschulen kaum angetan ist, die geistigen Bedürfnisse zu wecken.

Schon die Vorbedingung für künstlerische Betätigung, daß man überhaupt auf weibliche Talente achtete, fehlte. Man nahm an, und die Majorität nimmt es heut noch an, daß die Entwickelung und Ausübung eines Talents den Mutter- und Hausfrauenberuf des Weibes schädigen müsse. Wie ja auch in Königshäusern etwaige künstlerische Talente in den seltensten Fällen zur Ausbildung gelangen, in der Annahme, daß z. B. Malen und Regieren nicht vereinbar sind.

Beschmierte ein Knabe mit ausgesprochenem Talent Wände und Türen, so fand er wohl – und wenn es ein Proletarierkind war – einen Mäcen, der für seine Ausbildung sorgte. Das kleine Mädchen, das dergleichen Klecksereien trieb, klopfte man wahrscheinlich auf die Finger.

Der Herr Möbius lese die Memoiren der in ihrer Zeit (der Goethezeit) berühmten Malerin Luise Seidler, er lese, welche unsagbare Mühe sie hatte, überhaupt nur einen Lehrer zu finden, und als es ihr endlich gelang, hatte sie es nur dem Mitleid zu danken – mit ihrer Taubheit.

Er lese in den Mendelssohn'schen Briefen, wie Abraham Mendelssohn, ein für seine Zeit ungemein intelligenter und vorurteilsloser Mann, sich energisch gegen den Musikberuf seiner Tochter, als durchaus unweiblich, wehrte. Ihre Lieder, von denen Felix Mendelssohn sagte: »daß sie schöner sind, als gesagt werden kann, sie seien, als ob es die Seele von der Musik wäre,« mußte sie unter dem Namen ihres Bruders drucken lassen.

Auf dem Berliner Frauenkongreß vor fünf Jahren berichtete die Bildhauerin Elisabeth Ney von den unendlichen Schwierigkeiten, die ihrer Ausbildung entgegenstanden, was umsomehr ins Gewicht fällt, da sie sehr schön war, und Schönheit – wo es gilt, Männer zu rühren und Sitten zu beugen – der Taubheit die Palme streitig machen dürfte.

In neuster Zeit fallen die Schranken allmählich. Aber immer noch ist der Frau die Akademie verschlossen. Nur in Privat-Ateliers, die für Unbemittelte zu teuer sind, kann sie ihre Ausbildung gewinnen. Trotzdem gibt es heut schon einige Malerinnen, die es zur Meisterschaft gebracht haben.

Seite 15 heißt es: »Ja selbst als Schneider, Köche etc. leisten die Männer mehr als ihre weiblichen Konkurrenten«. Gewiß, in vielen Fällen. Der Herr Möbius weiß, woran es liegt, »an der größeren Intelligenz der Männer, da ja die Geschicklichkeit eine Leistung der Gehirnrinde ist.« Auf ihre defekte Gehirnrinde führt er ihre schwachen Nadel- und Kochleistungen zurück, beileibe nicht auf den Umstand, daß den Söhnen einer Familie eine gründliche und jahrelange Lehrzeit zu teil wird, die den Mädchen in der Regel versagt bleibt. Unter Opfern bringen mehr oder weniger arme Eltern die Kosten für die lange Lehrzeit ihrer Söhne auf. Dasselbe für die Mädchen zu tun, übersteigt meistens ihre Kraft. Und nichts ist selbstverständlicher, als daß sie, wenn sie die Wahl zwischen Sohn und Tochter haben, den Sohn bevorzugen, da sie für die Tochter auf den ehelichen Versorger rechnen.

Außerdem ist nicht einmal wahr, was der Herr Möbius sagt. In Berlin wenigstens bedienen sich die vornehmen und eleganten Damen meist der Schneiderinnen. Wie es in Wien ist, weiß ich nicht.

Eine Frage: Gehört zur Führung eines größeren Haushalts, zur Herrschaft und Disziplinierung der Dienstboten, der Aufziehung der Kinder nicht diejenige Geschicklichkeit, die eine Leistung der Gehirnrinde ist? Der Erfinder des weiblichen Schwachsinns kann kaum mit Nein antworten. Ob er die praktische Folgerung daraus ziehen wird, daß der Mann den Haushalt zu leiten, die Kinder aufzuziehen hat?

Wird die Frau mit der Zeit in Kunst und Wissenschaft die Höhe des Mannes erreichen? Ich weiß es nicht. Niemand weiß es.

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Die Mutterschaft. Bei einigen asiatischen Volksstämmen war es Sitte, bei Kriegszügen die Mütter und Großmütter (wahrscheinlich auch die Väter und Großväter) an die Spitze des Heeres zu stellen, um den Feind zu lähmen. Die Ahnen galten für heilig. Dieselbe Taktik wird von den Gegnern der Frauenbewegung geübt, indem sie einmütig »die Mutter« an die Spitze ihrer Argumente stellen. Um der Mütterlichkeit willen ist die Frauenemanzipation hirnverbrannt. Nur über die Leiche der Mutter sollen ihre Ideen zu traurigen Siegen führen. Dann sagt der Herr Möbius ausdrücklich, daß »der weibliche Schwachsinn nicht nur vorhanden, sondern auch dem Weibe um des Mutterberufes willen notwendig sei«. Wahrscheinlich müßte man ihn ihr anzüchten, wenn der liebe Gott damit hinter dem Berge gehalten hätte.

»Die Natur gab ihr alles zu ihrem edlen Beruf Nötige.«

Es mutet etwas sonderbar an, sogar sehr sonderbar, daß Schwachsinn, Bosheit, Zanksucht, Lügenhaftigkeit, (mit denselben Worten wie Nietzsche sagt er: »Nichts wäre törichter, als den Frauen das Lügen verbieten zu wollen«) das Unvermögen, ihre heftigen Affekte zu beherrschen etc. das Weib zu dem edlen Beruf besonders befähigen sollen. Einen Augenblick scheint er das selbst gefühlt zu haben, denn unverhofft wird sie daneben auch kindähnlich, heiter, geduldig und schlichten Geistes, weil sie nämlich nicht blos da ist, um Kinder zu gebären, sondern auch um sie zu pflegen.

Hier passiert dem Herrn eine Schlauheit (die einzige wohl in der Schrift) er unterschlägt ihre Erziehungstätigkeit, auf die seine Gesinnungsgenossen den größten Wert zu legen pflegen. Das geht denn doch selbst bei dem »schönen alten Herrn« nicht an, das schwachsinnige Geschlecht mit der Erziehung der Kinder zu betrauen.

»Das Weib ist berufen, Mutter zu werden. Alles, was sie daran hindert, ist verkehrt und schlecht.«

Außer der von der Emanzipation heraufbeschworenen Gehirntätigkeit des Weibes macht er kein weiteres Hindernis namhaft, (ein Buch ließe sich über die weiteren Hemmnisse schreiben), nicht einmal die Mitgiftlosigkeit der Jungfrau, die ach so oft den Ehetrieb des Mannes bändigt.

Wie wäre es, wenn die durch ihre Gehirntätigkeit herabgekommenen »Damen«, zum Ausgleich sich Naturburschen, Männer von strotzender Kraftfülle, Nichtgehirnmänner zu Vätern ihrer Kinder wählten, nach dem Muster der berühmten pytagoräischen Philosophin Mysia, die dem stärksten Athleten ihres Landes die Hand zum Ehebunde reichte. Nebenbei bemerke ich, daß es für den Herrn Möbius sehr nützlich wäre, die Geschichte dieser Philosophinnen zu lesen. Er würde zu seinem Erstaunen erfahren, daß diese »Damen«, die oft viele Kinder hatten (Theana hatte deren neun), den Ruf ausgezeichneter Mütter und Gattinnen genossen.

»Die modernen Närrinnen sind schlechte Gebärerinnen und Mütter«. Das denkt er sich aus. Er ist gewiß ein ehrenwerter Mann. Aber hier verleumdet er einfach, der »schöne alte Herr« Möbius.

Die Heiligkeit der Mutterschaft, daß der Wert des Weibes in seiner Mütterlichkeit ruhe, sind Sätze von erprobter ethischer Wirkung, Sätze aber ohne Wahrhaftigkeit, am Ende nichts als ein Kniff, (ein Wort des Herrn Möbius) um »die rasende Horde kreischender Weiber« (Bezeichnung eines anderen Antifeministen) an der Invasion in das gesegnete Land, wo des Mannes Ernte blüht, zu hindern.

Für die Frau, die außerehelich Mutter geworden, ist die Mutterschaft ja eine Schmach.

Und wer hat je bemerkt, daß die verheiratete Frau, die nicht Mutter geworden ist, in der Schätzung der Gesellschaft auch nur um einen Schatten tiefer steht, als die mit Kindern gesegnete? Ob sie Mutter geworden oder kinderlos geblieben ist, darnach kräht kein Hahn. Den Männern ist sogar im allgemeinen die Nichtmutter unter den Verheirateten sympathischer als die Mutter.

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Literarischer Beweis. Als dasjenige Buch, das am besten den Beweis der geistigen Inferiorität des Weibes geliefert hat, bezeichnet Möbius das von Lombroso und Ferrero herausgegebene Werk » Das Weib«.

Nun, dieses Buch hat der damals 19 jährige Ferrero so gut wie allein geschrieben. Lombroso hat seinem jungen Schüler nur die zu benutzenden Schriftquellen erschlossen. Ich weiß es aus dem eigenen Munde Ferreros, in dem ich einen überaus sympathischen, hochbegabten Jüngling kennen lernte. Er versicherte mir, daß er gar kein Interesse an der Frauenfrage nähme, vielmehr nur die ihm von seinem Meister gestellte Aufgabe fleißig und gewissenhaft gelöst habe.

Da Lombroso Jude ist, mag bei seiner Ansicht vom Weibe jüdische Tradition mitgewirkt haben. Im täglichen Gebet des Juden war bekanntlich der Dank gegen Jehova enthalten, daß er als männliches, nicht als weibliches Geschöpf zur Welt gekommen.

Merkwürdig, Lombrosos Tochter ist nicht nur eine der fruchtbarsten italienischen Schriftstellerinnen, sie hat auch in dem letzten sozialistischen Aufstande eine bemerkenswerte politische Rolle gespielt.

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Wie erwerben deutsche gelehrte Herren à la Möbius ihre Kenntnis der Frauennatur? Auf empirischen Wege kaum. So trefflich ethisch beschlagene Wissenschaftler wie er haben sich voraussichtlich als Jünglinge von der Hefe des Frauentums fern gehalten, nicht wie Schopenhauer haben sie sich aus dem Verkehr mit Dirnen ihre Anschauungen über das Weib gebildet. An die Studienzeit schließt sich bei emsigen Medizinern, (ich wende mich hier speziell gegen die Ärzte, weil in ihren Reihen unsere erbittertsten Gegner sitzen) ihr so mühevoller, absorbierender, immer neue Studien erheischender Beruf. Ihre Stunden der Muse reichen wohl gerade hin, um behufs der Verheiratung mit einem jungen Mädchen einen Herzensbund zu schließen. Daß ein Möbius nach der Verheiratung noch Verlangen getragen haben sollte, mit dem schwachsinnigen Geschlecht einen lebhaften geistigen Verkehr zu pflegen, ist mehr als unwahrscheinlich. Und ließen sich Gesellschaften nicht vermeiden, so ersuchte er wohl die Gastgeberin, ihn mit einer intelligenz-verdächtigen weiblichen Person als Nachbarin zu verschonen.

Und die Patientinnen? Nicht ausreichendes Material für die Wahrnehmungen eines Arztes?

Herr Möbius schwöre, daß er bei der Behandlung seiner Patienten den Gegensatz zwischen weiblichem Schwachsinn (z. B. ihrem Unvermögen, heftige Affekte zu beherrschen) und männlicher Geistesstärke vollauf bestätigt gefunden hat, so will ich ihm – glauben? nein. – dann würde ich noch andere Ärzte um ihre Meinung fragen.

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Wären Flüche nicht aus der Mode, und wäre ich Fanatikerin genug, mich ihrer zu bedienen, so wüßte ich einen Fluch, wie gemacht für den Entdecker des weiblichen Schwachsinns. Ich würde ihm anfluchen sieben Töchter, alle in schönster Reinzucht mit seinem weiblichen Schwachsinn behaftet. Und alle Sieben sollen ohne Gatten und ohne Beruf (den er ihnen ja verbietet) vor den Augen ihres Rabenvaters geistig und physisch verkümmern. Und eine ältliche Frau Gemahlin täte ich ihm anfluchen, gespickt mit all den Charakterraritäten des in seinem Geist spukenden alten Weibes. (Wahrscheinlich ist er gar nicht verheiratet, oder er hat eine ungeheuer kluge Frau, was ihn fürchterlich ärgert, und seine Schrift ist nichts als eine Rache, die er an ihr nimmt.) Und schließlich empfehle ich ihn dem wütenden Zorn der thracischen Weiber, denn diese sollen wirklich unfähig gewesen sein, ihre heftigen Affekte zu beherrschen.

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Wie? Die Frauen bemühen sich, ihren niedrigen Charakter zu veredeln, sich ihrer Tierähnlichkeit allmählich zu entäußern, und die Möbiusse, anstatt ihnen die helfende Hand zu reichen, stoßen sie in die Tiefe der Tierheit zurück?

Wer den Menschen hindert, sich aufwärts zu entwickeln, ist kulturfeindlich. Er vertritt das Prinzip des Bösen. Der schöne Herr Möbius ist ein böser Mensch.

Ob seine Schrift in überzeugender Weise den Beweis des weiblichen Schwachsinns im Vergleich zu der eminenten Geisteskraft des Mannes geliefert hat??

Hedwig Dohm.

l) Umschau, 1901 Nr. 190.
Zur Frauenemanzipation. Eine Antwort an Herrn Dr. Möbius.
Von Eugenie Hennig.

In Nr. 33 der »Umschau« vom 10. VIII. 1901 hatte die Redaktion u. a. geschrieben:
Im Jahre 1899 erschien in Nr. 26 und 27 der »Umschau« ein Aufsatz von Herrn Dr. Möbius: » Über einige Unterschiede der Geschlechter«, der grosses Aufsehen machte und naturgemäss bei den Frauen grossen Widerspruch hervorrief; wir erhielten viele Zuschriften, von denen wir der Objektivität wegen, d. h. um der »Gegenpartei« auch das Wort zu gönnen, gern einige veröffentlicht hätten, die aber – es sei offen herausgesagt – alle so schwach waren, dass wir sie unsern Lesern nicht hatten zumuten können. – Späterhin publizierte Herr Dr. Möbius ein selbständiges Buch unter dem Titel: » Der physiologische Schwachsinn des Weibes«, in dem er die Gedanken jenes Aufsatzes noch weiter ausführt. Auch jenes Buch wurde viel gelesen und fand natürlich grossen Widerspruch beim anderen Geschlecht.

Es ist eigenartig, daß jede neue, die Menschheit bewegende Frage sich gewissermaßen in Pendelschwingungen auszutragen scheint: Nach erfolgtem Anstoß schießt anfänglich die in Bewegung gesetzte »Frage« weit übers Ziel hinaus: dann erfolgt der Rückschlag, der ebenfalls weit über den richtigen Punkt hinausgeht, diesmal aber rückwärts, und so gehts, allmählich schwächer werdend, hin und her, bis endlich zuletzt der Stillstand erfolgt; niemals aber, und das ist das Tröstliche bei diesem scheinbar nutzlosen Hin- und Herpendeln, ohne daß der Kulturzeiger in der Geschichte der Menschheit wieder um ein Weniges vorwärts gerückt wäre.

Auch die Frauenfrage bewegt sich in dieser Art, und so gewiß die anfänglichen Emanzipationsgelüste Einzelner weit übers Ziel hinausschossen, so gewiß geht auch der Rückschlag wieder zu weit, wie ihn Herr Dr. Möbius und seine Gesinnungsgenossen vertreten. Moderata Fonte wollte beweisen, daß die Frauen die Männer übertreffen, Herr Dr. Möbius schreibt im Gegensatz dazu ein Buch über »den physiologischen Schwachsinn des Weibes.« Meines Erachtens zeigt es einen großen Mangel an objektivem Betrachten, wenn ein Geschlecht das andere herabzusetzen sucht, um das eigene als das bessere oder höhere hinzustellen, denn bei aller natürlichen Verschiedenheit der Geschlechter ist doch eines genau so viel wert und genau so unentbehrlich für die Gesamtheit wie das andere, und es ist daher geradezu lächerlich, von einem besseren oder einem minderwertigen Geschlecht zu reden, da dies auf ein ähnlich beeinflußtes Urteil schließen läßt, wie es z. B. das Strindbergsche ist, der eines schlechten Weibes wegen das ganze Geschlecht verdammt und am liebsten gänzlich vom Erdboden vertilgen möchte.

Trotz alledem kann ich Herrn Dr. Möbius nur zustimmen, wenn er sagt: »Wenn das Weib irgend etwas hochhalten sollte, so ist es der Muttername.« Ganz gewiß soll es dies, gerade darum aber muß es andere Wege beschreiten, als ihm bisher offen standen, denn gerade, um die ganzen königlichen Pflichten und Rechte dieses Namens zu begreifen und seiner würdig zu werden, genügen in der immer weiterschreitenden Menschheit nicht mehr die bloßen natürlichen Instinkte, die wohl bei Völkern in der ersten Entwicklung und im höheren Tierreich genügen mögen, nimmermehr aber bei dem immer feiner und differenzierter werdenden Seelenleben der heutigen Kulturmenschen. Gerade deswegen, um solche Mütter, wie wir sie heut brauchen, heranzubilden, war und ist eine Frauenbewegung nötig. Schon bei der leiblichen Pflege im ersten Kindesalter richten die bloße Mutterliebe und die bloßen natürlichen Instinkte allein herzlich wenig aus, wenn nicht das Verständnis und eine vernünftige Unterweisung hinzukommen. Da aber wären wir schon bei der Notwendigkeit des Unterrichts der Mädchen in Hygiene und den Grundzügen der Medizin angelangt. Zu der leiblichen aber kommt die geistige Erziehung, die immer höhere Anforderungen an die Mutter stellt, je älter die Kinder werden, wäre es da nicht gut, wenn, statt eines schwachsinnigen Wesens, ein tüchtig in jeder Weise durchbildetes Weib diesem schweren Amte vorstände? Und zur Hochhaltung des Mutternamens gehört doch sowohl die Achtung der Kinder wie die Selbstachtung. Wie aber soll eine solche wohl bei dem »Weibe des Herrn Dr. Möbius« möglich sein? Verlangen Sie also die Hochachtung des Mutternamens, verehrter Herr Doktor, so helfen Sie lieber mit, den weiblichen Geist nach allen Seiten hin höher und reicher auszubilden, als es bisher üblich war; halten Sie aber an Ihrer Überzeugung fest und meinen, das sei ein aussichtsloses Beginnen, für das Weib genügten seine natürlichen, gesunden Instinkte, ja dann kann ich mir nicht helfen, dann wollen Sie für das heranwachsende Geschlecht nicht Mütter, sondern in der Tat nur – Brutpflegerinnen, so widerlich Sie das Wort auch finden – eine andere Möglichkeit gibt es nicht.

Sie werden mir nun freilich erwidern, daß es schon Tausende von herrlichen Müttern gegeben habe, die weder von Hygiene, noch von Pädagogik, noch von sonst irgendwelchem gelehrtem Krimskrams eine Ahnung gehabt hätten und doch ihre Kinder an Leib und Seele zu tüchtigen, ja oft bedeutenden, alle andern überragenden Menschen herangebildet hätten, und dies nur durch die Macht ihrer Persönlichkeit, durch eine tiefe seelische Feinfühligkeit und Anpassungsfähigkeit, die keine gelehrte Bildung zu geben oder zu ersetzen im stande ist.

Darauf möchte ich mir die Frage erlauben, weshalb denn dann überhaupt noch irgend ein Studium – auch bei den Männern nötig sei, da doch schon unzählige Menschen ohne Heilkunde gesund und ohne Philosophie glücklich gewesen sind? Auch sind ja schon äußerst weise Entscheidungen in schwierigen Konflikten getroffen worden von Leuten, die sich nie im Leben mit Juristerei beschäftigt haben. Sind darum wohl die ganzen Fakultäten überflüssig, weil unter Millionen einige Tausend ganz gut ohne die fertig werden? Und so genau verhält es sich bei den Müttern, einige Tausend haben unter glücklichen Umständen bei bildungsfähigen, gesunden Kindern glückliche Resultate erzielt, wie unendlich viele aber, trotz eines reichen Gemüts und aufopfernder Zärtlichkeit, durch Mangel an nötigem Verständnis, die schwersten, fürs ganze Leben verhängnisvollen Fehlern (sic!) an ihren Kindern begangen haben, das entzieht sich unserer Beurteilung, da diese Mütter selbst in den meisten Fällen sich wohl ihres Teils der Schuld an ihrem Unglück kaum bewußt waren und sind.

Selbst aber da, wo alles gut abläuft, kommt eine Zeit, wo die blos seelenvollen Mütter weder der heranwachsenden Generation noch sich selbst mehr recht genügen wollen, und jeder Mensch ist doch länger alt als er jung ist, ist es da ein Wunder, wenn bei solchen Frauen, aus Mangel an jeder anregenden geistigen Beschäftigung, das Gefühl auf Abwege gerät und sie sich an allerlei Intriguen oder ödem Klatsch schadlos zu halten suchen für alle mangelnden Interessen höherer Art? Wenn nicht gar der durch den Zügel der Vernunft ungebändigte Instinkt sie in noch tiefere Abgründe treibt! Nun, ich weiß nicht, ob bei solcher Wahl ein einsichtsvoller Mann nicht doch eine nach Bildung und Wissen trachtende Gefährtin vorziehen würde. Der Nora-Ausweg, diesen plötzlich erwachten Durst über die Mutterpflicht zu stellen und zu seiner Befriedigung alles zu verlassen, gehört nur zu den ersten starken, übers Ziel hinausschießenden Pendelschwingungen, sobald es erst selbstverständlich ist, daß auch den Mädchen und Frauen dieser Durst gestillt wird, werden diese ihre Pflichten bewußter übernehmen und treuer erfüllen als bisher, wo ihnen Launen immer nur als unvermeidliche kleine weibliche Schwächen angerechnet wurden.

Wenn übrigens Herr Dr. Möbius Ibsen als Apotheker-Dichter bezeichnet, so fürchte ich, haben alle unsere großen Dichter einen Anspruch auf diesen Titel, denn gewissermaßen pathologisch sind dann auch Lear, Hamlet, Richard III., Jeanne d'Arc, Tasso etc. Ein Drama wäre überhaupt nicht möglich, wenn nicht irgend ein schwerer Konflikt, meist zwischen Pflicht und Pflicht, die Seele des Helden bewegte. Daß aber jeder Mensch auch Pflichten gegen das eigene Ich hat, gleichviel, ob dieses Ich nun nach Ansicht des Herrn Dr. Möbius erbärmlich ist oder nicht, wird keiner in Abrede stellen können. Da Nora ein unwissendes, unreifes Kind ist, ist sie eben nicht imstande, diese Pflicht mit ihren andern zu vereinen, es packt sie plötzlich das Entsetzen vor ihrer eigenen Unzulänglichkeit gegenüber einer so verantwortungsvollen Aufgabe, der Einblick in ihres Mannes selbstsüchtigen Charakter kommt hinzu, ihre Nervenspannung, die schon tagelang währt, seine harten Worte, ihr Mißtrauen gegen sich selbst, alles dies vereinigt sich, um sie kopflos ihrem ersten Entschluß, ins Wasser zu gehen, wobei sie ja auch alles hätte verlassen müssen, den zweiten, nicht minder verhängnisvollen folgen zu lassen. Die Frage, ob sie sich nicht bei ruhigem Überlegen nach einiger Zeit anders besinnt, läßt der Dichter ja offen, und wenn ichs auch ganz gewiß nicht entschuldigen kann, daß sie ihre Kinder verläßt, ein Scheusal oder eine Geisteskranke ist sie darum noch lange nicht in einer Welt, wo täglich weit schlimmere Pflichtverletzungen vorkommen.

Was nun noch die von Herrn Dr. Möbius nur flüchtig gestreifte wirtschaftliche Seite der Frauenfrage betrifft, so möchte ich nur auf eins aufmerksam machen. Wenn eine Mutter ihre Tochter so erzieht, daß diese eine wahre Perle aller hauswirtschaftlichen Tugenden wird, so hat sie ihr damit noch lange keine Garantie für ein von pekuniären Sorgen freies Leben gegeben, denn wenn die Eltern kein Vermögen besitzen, die Tochter aber nicht zur Ehe gelangt, oder gleichfalls einen vermögenslosen Mann heiratet oder bald als Witwe zurückbleibt, so mag sie von früh bis spät wie eine Magd in ihrer Häuslichkeit arbeiten, ungeachtet des Sprichworts: »jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert«, bleibt ihre Arbeit dennoch ohne Lohn, bei einer Wirtschafterin oder einem Dienstmädchen ist es etwas anderes, nur die Arbeit der Hausfrau und Haustochter bleibt unbesoldet, ja, nicht einmal der moralische Lohn der Anerkennung und Hochachtung wird ihr in den meisten Fällen zu teil. Häusliche Arbeit gilt als untergeordnet und wird nur da bemerkt, wo sie fehlerhaft ausgeführt ist. Als Ernährer der Familie gilt nur der Mann, die Arbeit der Frau zählt nicht, und wenn sie auch das Zehnfache leistete wie er. Würde unter solchen Umständen wohl ein Mann auf die Dauer arbeiten wollen, und wenn er seinen Beruf auch mit glühendster idealster Hingebung liebte? Können daher liebevolle Eltern ein solches Los für ihre Töchter wohl so beneidenswert finden? Tun sie da nicht besser, wenn sie die Tochter für einen Beruf ausbilden lassen, der sie für alle Fälle auf eigene Füße stellt? Herr Dr. Möbius meint zwar, das Glück des Weibes beruhe gerade in der Gebundenheit und Abhängigkeit, da er aber unmöglich aus eigener Erfahrung sprechen kann, so ist sein Urteil hierin wohl nicht kompetent. Sicher ist dagegen, daß es viel, unendlich viel Frauenschicksale gibt, in denen Abhängigkeit von Eltern oder Verwandten oder einem brutalen Gatten wahrlich keine Quelle des Glückes ist, und daß es auch bei echt weiblich empfindenden Frauen ein Ding gibt, was man Selbstachtung und Ehrgefühl nennt, und welches jeden, auch den schwersten Beruf mit Freuden einer so demütigenden Abhängigkeit vorziehen würde.

Solche Fälle, heißt es freilich, sind nur Ausnahmen, und solcher Ausnahmen wegen kann man nicht gleich alle Mädchen einen Beruf ergreifen lassen. Ja, ist es denn nicht auch eine Ausnahme, wenn jemandem das Haus abbrennt? Und doch wird kein vernünftiger Mensch es versäumen, sich für diesen Ausnahmefall zu versichern. Und Eltern sollten sich scheuen, ihre Töchter, die ihnen noch wertvoller sind als ihr Mobiliar, in gleicher Weise für alle Wechselfälle des Schicksals sicher zu stellen?

Nein, der von der Frauenbewegung in Schwingung versetzte Pendel wird diesen Anstoß nicht vergebens empfangen haben, die zukünftigen Geschlechter werden die Segnungen dieser Bewegung empfinden, einer Bewegung, die nicht in der Freiheit vom Mann und der Freiheit vom Kinde gipfelt, sondern die einzig dahin strebt, die unwürdigen Fesseln, die heut der Frau noch aus dem Zustand der Barbarei anhaften, abzustreifen und das Weib aus dem Dunkel des blos instinktiven Trieblebens herauszuführen und zur vollbewußten Frau, zur echten und rechten Mutter heranzubilden.

m) Frankfurter Frauen-Zeitung IX. Nr. 21 vom 26. V. 1901.

Wir haben uns bemüht, aus dem Wust von Schlagwörtern, unerweisbaren Behauptungen und Übertreibungen, die den Inhalt der Möbius'schen Broschüre bilden, einen ernsthaften Kern herauszuschälen, der in der Tat den Gegenstand vorurteilsloser wissenschaftlicher Untersuchung bilden sollte. Es ist die These, daß die Entwicklung des Gehirns und die fortschreitende Zunahme der bewußten Geistestätigkeit der Frau ein Zurückgehen der Fortpflanzungsfähigkeit und der mütterlichen Instinkte bedingt, daß somit von der Erhaltung des Naturhaften, Unbewußten in der weiblichen Psyche die Fortdauer der zivilisierten Rassen abhängt. Der Verfasser hätte der Sache der Wahrheit, der er zu dienen behauptet, mehr genützt, wenn er sich der cynisch-materialistischen Darstellungsweise enthalten hätte, die wir einem Schopenhauer verzeihen, die aber minder großen Geistern, seien sie auch in ihrem Spezialfache anerkanntermaßen tüchtige Arbeiter, sehr schlecht ansteht. Wenn der Verfasser im Anhange eine Reihe temperamentvoller Entgegnungen aus Frauenkreisen abdruckt, deren »Kraft und Schönheit« für seine Sache zeugen sollen, so gilt dafür das alte Wort: »Wie's in den Wald hineinschallt, so schallt's heraus.«

n) »Die gesunde Frau« IV. Nr. 21 vom 1. XII. 1900.

Wir haben in Nr. 17 eine ausführliche Besprechung dieser nach unserer Auffassung nicht mehr zeitgemäßen, weil von männlicher Überhebung strotzenden Abhandlung gebracht, und nun überrascht uns das Erscheinen der zweiten Auflage. Wir sehen aber mit Befriedigung aus der Vorrede zu derselben, daß nicht die Zustimmung, sondern das Mißfallen diesen buchhändlerischen Erfolg zu Stande gebracht. Denn der Verfasser bekennt ehrlich: »Viel häufiger als der Beifall war der Tadel.« Ersterer hat sich überhaupt nur ganz im Stillen geäußert. Das Buch öffentlich zu loben hat »noch niemand den Mut gefunden«. Daß unter den Beifallsspendern auch eine Dame gewesen ist. scheint den Verfasser begreiflicher Weise ganz besonders zu freuen.

Wir können uns aber der Wahrnehmung nicht verschließen, daß P. J. Möbius aus den Meinungsäußerungen seiner Gegner doch mancherlei gelernt hat. Wenn er auch auf die »Feministen, die eigentlichen Weiberfeinde«, seines Zornes Schale noch gehörig ausgießt, so gibt er doch an anderer Stelle zu, daß »die Not des Lebens, die die Eheschließung hinausschiebt oder verhindert, das Weib zwingt, sich selbst die Nahrung zu erwerben«. Er versichert, daß »kein Verständiger eine ›Emanzipation‹ dieser Art bekämpfen« wird. Und er versteigt sich sogar zu dem Bekenntnis: »Ungewöhnlich befähigte Mädchen hat es immer gegeben, aber ihrer sind wenige. Ihnen sollte man nichts in den Weg legen, im Gegenteil, man soll ihnen den Weg möglichst erleichtern und ihnen alle Türen offen lassen. Jedem Talente freie Bahn ...«

Nach diesen Anfängen der Erkenntnis ist berechtigte Hoffnung dafür vorhanden, daß Dr. Möbius im Laufe der Zeit noch vieles einsehen wird, was er in seiner Abhandlung ignorierte. Es ist zu hoffen, daß er vermöge seines bevorzugten männlichen Gehirns zu der Überzeugung kommen wird, die Inferiorität des weiblichen Gehirns sei weder vorhanden, noch »nützlich und nötig«. Es ist zu erwarten, daß er es mit der Zeit sehr viel richtiger und für die Menschheit gedeihlicher finden wird, wenn eine kluge Frau wenigen Kindern das Leben gibt und sie gut erzieht, als wenn eine bornierte im fortgesetzten »Gebären« ihren einzigen Lebenszweck findet.

In der Vorrede zur zwanzigsten Auflage wird sich P. J. Möbius gewiß als eifriger Freund und Förderer alles Frauenfortschritts bekennen, und seine Abhandlung über den physiologischen Schwachsinn des Weibes wird er nur noch des historischen Interesses wegen hinzufügen.

Margarete Pochhammer.

o) Frauenleben XIII. 4. Wien. April 1901.

»Wir möchten alle unsere Leserinnen, die sich ein paar vergnügte Stunden bereiten wollen, auf eine unbewußt komisch wirkende Broschüre aufmerksam machen, die unter obigem Titel erschienen ist. Da das Werkchen schon in den verschiedensten Blättern eine eingehende Besprechung und Wiederlegung (sic!) gefunden hat, begnügen wir uns, nachstehend einige Proben aus dem kleinen Sensationsschriftchen des Herrn Dr. Möbius anzuführen.« [Es folgen 11 aus dem Zusammenhange gerissene Sätze meiner Abhandlung.]

»Sollte das intensive Studium des weiblichen Schwachsinnes nicht ohne Rückwirkung auf den Geist eines gewissen Herrn geblieben sein?«

p) Budapester Tageblatt.

Im Budapester Tageblatte vom 20. 7. 1901 erschien ein Artikel, der den Inhalt meines Aufsatzes wiedergeben wollte und mit folgenden Worten, begann:

In dritter Auflage liegt das Werk des bekannten Leipziger Neurologen Dr. P. J. Möbius: »Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes.« (Verlag von Carl Marhold in Halle) vor. Man darf daher behaupten, daß selten ein ähnliches Buch in Deutschland so großes Aufsehen hervorgerufen hat, wie dieses. Eine Flut von Entgegnungen sauste bereits auf das Haupt des kühnen Verfassers nieder, dessen Paradoxa in der Tat den Widerspruch herausfordern, wenngleich niemand leugnen dürfte, daß das neue Buch eine interessante Lektüre bildet. Auf die Unrichtigkeit der kühnen Behauptungen des Verfassers hinzuweisen, ist vielleicht überflüssig, da sich jeder Leser und ganz besonders jede Leserin den notwendigen Vers dazu selbst machen kann. Doch immerhin wollen wir einige kurze Auszüge aus dem Werke im Folgenden reproduzieren, wobei jedoch zu bemerken wäre, daß wir die mildesten Stellen wählten und auch in diesen manches allzu krasse Wort ausmerzten.

Dann folgte am 21. Juli ein zweiter Artikel:

Ein gelehrter Frauenfeind.

(Noch ein Wort über physiologischen Schwachsinn.)

Ich weiß nicht, was die Leserinnen des Budapester Tagblatt (sic!) zu dem in der jüngsten Nummer veröffentlichten Feuilleton sagen werden, in welchem der Leipziger Neurologe Dr. P. J. Möbius über den »physiologischen Schwachsinn des Weibes« schreibt und über die geistigen Fähigkeiten desselben ein Urteil fällt, das mich, der ich mir bisher einbildete, bis zu einem gewissen Grade auch etwas von der Physiologie und der Psyche der Frau zu verstehen, völlig perplex machte. Die Meinung Einer unserer Leserinnen, einer geistvollen, hochgebildeten Dame, die ich zufälliger Weise heute zu sprechen Gelegenheit hatte, kenne ich bereits. Ich brauche dieselbe nicht weitläufig zu erörtern und es genügt, wenn ich sage, daß ihre Äußerungen mit den beiden Worten begannen: »O, Du ...« und daß darauf ein Wort folgte, welches ich aus Achtung vor einem so großen Gelehrten nicht wiederholen will.

Das Wort war jedenfalls allzu hart, aber vielleicht durch die natürliche Entrüstung einer noch sehr anmutigen, schlanken Blondine von fünfundvierzig Jahren zu erklären, welche, trotzdem sie bereits Mutter zweier verheirateter Töchter ist und an der Spitze eines musterhaften Hauswesens steht, eine begeisterte Adeptin von Literatur und Kunst ist, alle neuen Erscheinungen in denselben mit größter Aufmerksamkeit verfolgt, dichtet und musiziert und auch Erfolge auf diesen Gebieten erzielt hat. Wenn eine solche Dame plötzlich beim Frühstück das Kompliment der Schwachsinnigkeit ins Gesicht geschleudert erhält, so kann man es vielleicht begreifen, daß sie sich in ihrer ersten Aufwallung zu einer Kritik hinreißen läßt, die weniger wissenschaftlich als drastisch in drei Worten zusammengefaßt ist und von welchen die ersten beiden »O, Du« lauten.

Daß Dr. P. J. Möbius auch bei den anderen Leserinnen seines Aufsatzes kaum Gnade finden wird, ist wohl selbstverständlich; ich fürchte aber, er wird auch bei den Männern mit seiner Charakterisierung der geistigen Hinfälligkeit der Frau keine besondere Ehre aufheben, und zwar nicht etwa blos aus dem Grunde, weil dem Manne der ritterliche Zug eigen ist, die angegriffene Frau zu verteidigen, sondern vornehmlich deshalb, weil jeder Mann das Ideal einer Frau im Herzen trägt oder getragen hat, von welcher er ganz gewiß weiß, daß die Theorie des Dr. Möbius auf sie keine Anwendung finden kann, also eine Blasphemie bedeutet. Niemand aber kann gleichgültig dabei bleiben, wenn man seine Götterbilder verlästert.

Sehen wir uns einmal die Theorie dieses misogynen Gelehrten etwas näher an. Dieselbe gipfelt darin, daß die Frau von der Natur nicht nur mit geringeren Geistesgaben ausgestattet wurde, sondern daß dieselben auch viel rascher schwinden als beim Manne. Es kann mir sicherlich nicht einfallen, mein eigenes Geschlecht herabsetzen zu wollen und ich glaube selbst, daß der Geist des Mannes sich nach mancher Richtung hin kräftiger zu äußern veranlagt sei, als derjenige der Frau. Nehmen wir z. B. die Mathematik oder die Forschung in den Naturwissenschaften, sowie ganz besonders die schöpferische Kraft auf dem Gebiete neuer Erfindungen. An diese Differenzierung hat Dr. Möbius nicht gedacht und ich stelle dieselbe hier, nur aus dem Grunde auf, um zu zeigen, daß ich keiner jener blinden Frauenverehrer bin, die in der Sonne der Vorzüge derselben absolut keine Flecken zu sehen vermögen. Solche sind auch tatsächlich vorhanden; einen Unterschied der Geschlechter muß es ja auch in Bezug auf die Eigenschaften des Geistes geben, und es wird niemanden einfallen, es als einen Fehler der Rose zu betrachten, daß sie nicht die Knorrigkeit der Eiche besitzt. Nur so wie sie ist, kann sie die Rose sein, der holde poetische Traum der Natur, der uns wie ein paradiesisches Gebilde anmutet.

Dagegen wird sich wohl niemand auflehnen, daß der Geist der Frau in mancher Beziehung andere Eigenschaften aufweist, als derjenige des Mannes; aber damit, daß er ein anderer ist, kann er sicherlich noch nicht als inferior bezeichnet werden. »Die Häufigkeit und Frühzeitigkeit des geistigen Zurückgehens beim Weibe«, welche Dr. Möbius verficht, ist es, gegen welche sich jeder Kenner der weiblichen Natur besonders auflehnen muß. Es gibt sicherlich so manche Frau, welche in ungünstige Lebensverhältnisse gestellt, in der Sorge um die Erfüllung der heiligen Pflichten als Hausfrau und Mutter aufgeht und deren Geistesblüten vom rauben Winde des Lebens früher abgestreift werden, als das unter glücklicheren Auspizien geschähe; aber ist es nur bei der Frau der Fall? Geht nicht die ungeheure Mehrheit der Männer, die in ihren jüngeren Jahren ein reiches, zu den schönsten Hoffnungen berechtigendes Geistesleben aufwiesen, in ihrem Berufe vollständig unter? Wie viele Männer, die sich höhere Bildung erworben, gibt es nicht, die im Kampf um das Dasein jede Empfänglichkeit für geistigen Genuß verloren haben! Ihre Berufstätigkeit absorbiert sie fast vollständig; was noch bleibt, ist ganz trivialer Natur: die Freuden der Tafel, die Spielpartie im Klub und Ähnliches, was auf demselben Niveau oder noch tiefer steht. Wenn ein solcher Mann etwas über eine neue hervorragende Erscheinung in der Literatur, über ein auf künstlerischer Höhe stehendes Theaterstück erfährt, so geschieht das fast nur durch seine Frau, welche liest, musiziert, Museen und klassische Theatervorstellungen besucht, und jene edlere, geistig höherstehende Geselligkeit pflegt, für welche der größere Teil der Männerwelt den Sinn nahezu vollständig verloren zu haben scheint. Wenn in den Häusern unserer besseren Stände – und von diesen kann ja hier allein die Rede sein – dem Kultus des Schönen überhaupt noch ein Winkelchen erhalten bleibt, so ist das nur der Frau zu verdanken, und doch soll sie, wie Dr. Möbius demonstriert, wenn sie erst einen Mann bekommen hat, nichts Eiligeres zu tun haben, als einfach – zu versimpeln.

Diese Versimpelung, das heißt das Einfältigwerden der Frau, tritt der Ansicht des gelehrten Frauenfeindes nach, deshalb, nachdem sie einen Mann bekommen hat, ein, weil die Natur sie mit allen Gaben nur zu dem Zweck ausgerüstet hat, einen Mann, das heißt Jemanden zu finden, der die Sorge für sie auf sich nimmt. Sowie mit allen körperlichen Reizen, wurde sie für diesen Zweck auch mit geistigen Vorzügen ausgestattet, und um in diesem Kampfe zu siegen, so führt der gelehrte Professor aus, »ist der Geist des Mädchens erregt, feurig und scharf«. Hat sie aber das Ziel erreicht, einen Mann zu erhalten, so gehen ihre Geistesfähigkeiten, die alle auf diesen einen Punkt gerichtet waren, zurück, und haben nichts Eiligeres zu tun, als das, was der gelehrte Verfasser »versimpeln« nennt, so daß, wie er sich nach allem, was er schon gesagt hat, noch ziemlich höflich ausdrückt, aus dem oft glänzenden Mädchen eine »schlichte harmlose Frau« wird. Ich weiß nicht, woher Dr. Möbius seine diesfälligen Erfahrungen genommen hat, ich wenigstens habe das Gegenteil gesehen. Wie oft geschah es bereits jedem von uns, daß er beim Anblicke einer herrlichen, anmutsreichen und geistvollen Frau plötzlich mit Erstaunen erkannte, daß sich der glänzende Schmetterling aus der unscheinbaren Chrysalide eines kaum beachteten Mädchens entwickelt habe. Das »Gänschen von Buchenau« war durch die Metamorphose, welche die Liebe an ihr hervorgerufen hatte, zum Schwan geworden. Nicht »versimpelt«, sondern geistig erhöht wird die Frau durch die Liebe. Ist es doch eine oft genug gemachte Erfahrung, daß eine Schauspielerin, eine Sängerin oder Musikerin erst dann in ihrer Kunst den Zenith ihrer Leistungsfähigkeit erreicht, nachdem der Pfeil des Liebesgottes sie getroffen hat. Das war der Prometheusfunke, der eine Sappho zur Dichterin machte, der einer George Sand die Fähigkeit zu jenen glühenden poetischen Schilderungen gab, welche sie zu einer der bewundertsten Schriftstellerinnen erhob, die jene Fähigkeit tiefer Empfindung in sie legte, wie sie gebildete Frauen stets auszeichnete und sie in ihrem Gefühlsleben weit über das starke Geschlecht mit seiner gröberen Struktur stellt. Niemand wird einer Sarah Bernhardt, einer Duse nachsagen, daß sie noch diesseits des Rubikons der ersten Liebe stehen, aber ebensowenig wird man von ihnen behaupten können, daß sie, nachdem sie von dem Baume der Erkenntnis genossen, einfältig geworden sind, »versimpelt«, wie sich der Verfasser der erwähnten merkwürdigen Studie in wenig poetischer Weise ausdrückt. Man könnte vielleicht sogar sagen, daß auch bei jenen, in geistiger Beziehung hervorragenden Frauen, bei welchen die Liebe keine erkennbare Rolle spielt, die einsam durch das Leben gingen, es doch die Liebe, und zwar die nach einem übersinnlichen Ziele gerichtete, die tiefe Herzenssehnsucht war, welche sie zu Schöpfungen befähigte, die ihnen unvergänglichen Ruhm brachten. Die Nonne Rosvitha im Mittelalter nimmt in der Weltliteratur unstreitig einen weit höheren Rang ein, als Dr. Möbius in jenem Zweige derselben, dem er zur Zierde gereicht, die grandiose deutsche Dichterin des vergangenen Jahrhunderts, Freifrau von Droste-Hülshoff, deren Werke die Unsterblichkeit errungen haben, hätte, wenn sie schwachsinnig gewesen wäre, nicht jenen mächtigen Eindruck auf die lesende Welt machen können und eine Madame de Sévigné und eine Madame de Stael zeigten ebenfalls keine Spuren von der geistigen Inferiorität des Weibes, ja, man wird es mir vielleicht aufs Wort glauben, wenn ich sage, daß ich so manchen braven Mann gekannt habe, den sie mit ihren Fähigkeiten turmhoch überragten.

Von jenen Damen, welche heute unsere höheren Lehranstalten bevölkern und eine erfolgreiche Konkurrenz mit dem Geschlechte aufgenommen haben, welchem die sieben Weisen Griechenlands entstammten, will ich hier gar nicht sprechen; aber legen wir die Hand aufs Herz und gestehen es aufrichtig, wie viele Frauen wir schon gesehen haben, die nicht nur gebildeter, gemütvoller und für den Kultus des Schönen empfänglicher, sondern auch im allgemeinen klüger, berechnender, voraussehender waren, als ihre Männer. Wie manchen Mannes Los hätte eine bessere Wendung genommen, wenn er anstatt den Stimmen seiner Schwächen und Leidenschaften, den Mahnungen und Warnungen seiner Frau gelauscht hätte.

Ich glaube übrigens, daß es Dr. Möbius mit seinem Lehrsatze von der »versimpelten Frau« selbst gar nicht einmal so furchtbar ernst meint, wie er uns das glauben machen möchte, und zwar schließe ich das aus dem Umstande, weil ich all diese Anschuldigungen der Frau schon wiederholt in den Schriften notorischer Weiberfeinde von Pater Abraham à Santa Clara bis zu Schopenhauer gelesen habe, von dem Heere der Nachahmer gar nicht zu reden, die keine andere Absicht hatten, als mit ihren Publikationen einiges Aufsehen zu machen. Freilich gelang es ihnen nicht, ihren Ausfällen ein so wissenschaftliches Mäntelchen umzuhängen, wie dem Dr. Möbius, aber die Welt wird immer schlimmer und Konkurrenz immer größer, und wenn man heute beachtet werden will, muß man entweder etwas sehr Kluges oder etwas sehr Apartes sagen. Hauptsächlich aber ist es Eines, weshalb ich nicht an die Doktrin der Schwachsinnigkeit der Frau glaube. Thackeray macht nämlich an einer Stelle in seinen Werken die wohl etwas frappierende, aber im Grunde doch ganz richtige Bemerkung, daß jede Frau, die nicht gerade einen Buckel hat, die Macht habe, unter geeigneten Umständen jeden ihr beliebigen Mann zu ihren Füßen niederzuzwingen. Wären die Frauen wirklich die schwachsinnigen Geschöpfe, als welche sie Dr. Möbius schildert, wie »versimpelt« wären wir Männer erst, wenn wir solchen Geschöpfen jene Verehrung entgegenbrächten, die vielleicht das Anmutigste und Beglückendste ist, was das gesellschaftliche Leben beiden Geschlechtern bietet. Den Vorwurf einer solchen Dummheit aber möchte ich auf meinem eigenen Geschlechte doch nicht sitzen lassen.

Dr. Moritz Haupt.

Am 29. Juli aber gab es noch ein kleines Satyr-Nachspiel:

Und nochmals der »physiologische Schwachsinn des Weibes«.

Eine Anzahl Briefe und Karten sind uns zugekommen, die durchwegs mit dem Verfasser des Feuilletons »Der physiologische Schwachsinn des Weibes«, Dr. P. J. Möbius, sehr scharf ins Gericht gehen. Da schon Dr. Moritz Haupt in einem geistvollen Feuilleton die Angriffe des Leipziger Neurologen zurückwies, können wir es uns versagen, die Fülle der Grobheiten zu reproduzieren, welche nun auch in Budapest dem deutschen Gelehrten gespendet wird. Doch zur Charakteristik des Echos, welches Dr. Möbius weckte, sei der folgende Brief sozusagen als »Kostprobe« zum Besten gegeben: »Sehr geehrter Herr! Wären meine Mädels heute nicht 13 und 11 Jahre alt, und ich nicht 32 statt 45 – so hätten mich meine Freunde als Diejenige bezeichnet, die Ihnen dieses »O Du ...« über Dr. Möbius gesagt hat. Man tut dem »O Du ...« wirklich zu viel Ehre an, wenn man über seinen Blödsinn Feuilletons schreibt. Dieses Buch hätte totgeschwiegen werden müssen – das wäre das Richtige gewesen. Ich sehe jetzt Dr. Möbius in seinem Arbeitszimmer mit einer Regalitas im Munde – auf und abgehend. Auf seinem Schreibtische liegt ein Stoß Zeitungen, Briefe und Broschüren, alles Kritiken über seinen jüngsten Blödsinn. Er lächelt vergnügt, sieht im Geiste die hundertste Auflage seines Werkes – sieht sich reich an Gold und Ehren – dann aber läßt er traurig die Jahre der Arbeit und des Kämpfens an sich vorüberziehen, Jahre, während er nirgends beachtet worden und denkt bitter an jene Stunden der geistigen Unfähigkeit, in welchen er, verbittert ob seiner Mißerfolge, den »physiologischen Schwachsinn des Weibes« anfing und sagt sich: »So ein Mob mit hundert gescheiten Sachen kann man ihn nicht fesseln, aber ein Blödsinn – und er hängt«. So stelle ich mirs vor. So und nicht anders. Denn ich allein stelle dem Herr Doktor wenigstens hundert Frauen vor, die erst als Frau Menschen geworden sind, und die trotz der Sorgen um Küche, Kind und Haus nicht nur nicht inferior geworden sind, sondern ihren einzigen Trost und Freude in geistiger Gymnastik finden, und die es auch zu etwas darin brachten. Und möchte ihm Männer zeigen, die nichts als gelderwerbende Maschinen sind, denen das Trinken und Kartenspielen die Erholung und die Tagesneuigkeiten der Zeitungen die geistige Nahrung ist. Übrigens haben Sie alles gesagt, doch wäre es mir lieber gewesen, wenn man den Mann totgeschwiegen hätte. Sie haben aber für die Wahrheit gesprochen, drum drücke ich Ihnen warm die Hände. Ihre ergebene Malva Fuchs.«

q) Progrès méd. 11. Juni. 2. Juli. 16. Juli 1904.

[Ich übersetze nur den Schluß der durch drei Nummern gehenden Besprechung.]

»Genau genommen ist der Verfasser der Typus der jetzt lebenden Deutschen. Während er dem Weibe seine Instinkt-Knechtschaft vorwirft, fühlt Möbius sich erhoben durch die Superiorität seines Geschlechtes. Freiheit ist nichts für das Weib, sein Glück ist Abhängigkeit. Gleichheit gibt es nicht, das ganze Leben ist nichts und soll von Hause aus nichts sein, als der andauernde Kampf der Starken gegen die Schwachen. Das ist die rein tierische Auffassung vom Menschen, eine Auffassung, die Möbius reichlich verwendet und sie findet man leicht und überall wieder im individuellen, nationalen und internationalen Leben Deutschlands. Das Recht an sich ist ein unbekannter, unverstandener oder verachteter Begriff. Nur der Starke hat Recht, der Mann gegen das Weib, der Schullehrer gegen das Kind, der Soldat gegen den Bürger, der blaublütige Edelmann gegen den Pöbel, der pommerische Junker gegen seinen Diener oder gegen den wehrlosen Juden, der Staat gegen den Einzelnen, Preußen gegen Deutschland, Deutschland gegen die übrige Welt. Die Herrschaft des Instinktes, die Einbildung einer animalischen Uebermacht kommt zu Tage in einem knabenhaften Chauvinismus, in einer ausschließlich nationalen Erziehung, die mehr und mehr sich von den klassischen Studien und den Idealen abwendet und nach dem Wunsche des Kaisers die rein materiellen Richtungen fördert. Wie weit sind wir von Lessing, Göthe, Schiller, Humboldt, Männern, die Deutschland nicht mehr versteht, und seit deren Zeit kein Hauch edlen Denkens über jene weiten Manöverfelder gezogen ist Die deutsche Politik ist ganz instinktmäßig, ja sie versteht nichts von dem übereinstimmenden Interesse der Völker, von der menschlichen Solidarität. Der Deutsche will keinen Unterschied zwischen dem zivilisierten Menschen und der Bestie; man betrachte sich die mit parallelen oder gekreuzten Schmissen gezierten Gesichter, die von der »Ehre« erzählen, man denke an die Rechtfertigung des »japanischen« Wütens der Deutschen in Frankreich während der Jahre 1870-71 durch offizielle Veröffentlichungen.

Ich fasse meine Ansichten dahin zusammen, daß ich auf Grund der an Möbius und anderweit angestellten Beobachtungen annehme, der gegenwärtige männliche Deutsche leide an einem gewissen physiologischen Schwachsinn.«


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