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[Vorworte]

Meine Gegnerinnen sind recht still geworden. Sie müssen wohl eingesehen haben, dass hier Vorsicht der bessere Theil der Tapferkeit ist, und nach üblen Erfahrungen möchten sie mich nachträglich todtschweigen. Es thut mir leid, denn ich hätte so gern mit neuen Kritiken à la Dohm aufgewartet, aber was soll ich machen?

In meinem Aufsatze habe ich gesagt, vernünftigerweise sollte das Gesetz bei der geistigen Verschiedenheit der Geschlechter das Weib anders behandeln als den Mann. Von juristischer Seite habe ich verschiedene Zustimmungen erhalten und ich hoffe, dass in der Zukunft meine Forderung erfüllt werden werde. Gleiches Recht für Alle ist die grösste Ungerechtigkeit. Wird der 17jährige Jüngling milder behandelt als der Mann, so muss auch dem Weibe Schonung gewährt werden. Ich komme deshalb auf diese Gedanken zurück, weil ein französisches Buch mich angeregt hat.

Dr. Paul Dubuisson, Oberarzt in der Pariser Irrenanstalt Sainte-Anne und Gerichtsarzt, hat ein äusserst interessantes Buch über die Waarenhaus-Diebinnen geschrieben »Les Volouses de Grands Magasins.« Paris, A. Storck et Comp., dessen leitender Gedankengang etwa folgender ist.

Es vergeht kein Tag, an dem die Pariser Strafkammern nicht über ein Weib zu urtheilen hätten, das beschuldigt ist, im Bon-Marché, im Louvre oder im Printemps gestohlen zu haben. Bedenkt man, dass nur ein kleiner Theil dieser Diebstähle entdeckt wird, so begreift man, dass hier eine bedeutungsvolle Erscheinung vorliegt. Das Erstaunen wächst noch, wenn man erfährt, dass fast alle Waarenhaus-Diebinnen weder aus Noth stehlen noch zu den Gewohnheitverbrechern gehören, dass sie vielmehr in der Hauptsache den wohlhabenden und ehrenwerthen Bürgerklassen angehören.

Die Waarenhaus-Diebinnen sind in folgender Weise gekennzeichnet: sie stehlen nur in den Waarenhäusern; die meisten von ihnen sind bemittelt, manche sogar reich, sie könnten sich also die Sachen sehr wohl kaufen; die gestohlenen Gegenstände sind ihnen meist gar nicht nöthig, da sie die Dinge oft schon, ja im Ueberflusse, besitzen. Bei der Arretirung gestehen sie den Diebstahl gewöhnlich ohne weiteres ein, nicht selten mit einer Art von Aufathmen, als ob ihnen eine Last abgenommen würde. Viele von ihnen erzählen, ohne danach gefragt zu sein, von frühern ähnlichen Diebstählen und geben an, man werde in ihrer Wohnung die und die gestohlenen Dinge finden. In der That ergiebt die Haussuchung solche Vorräthe, die geschickt versteckt, unbenutzt, oft noch mit der Etikette des Waarenhauses versehen in Schränken, in dunkeln Winkeln, unter dem Ueberzuge von Polstermöbeln aufbewahrt worden sind und erst mit Hilfe der Diebin aufgefunden werden. Alle erklären übereinstimmend: Ich konnte nicht widerstehen – ich habe den Kopf verloren – es schien mir alles zu gehören – ich bekam immer mehr Lust – hätte man mich nicht arretirt, ich hätte immer mehr genommen ... usw.

Wie soll man sich alle diese Wunderlichkeiten erklären? Offenbar muss man zweierlei in Betracht ziehen, einmal die Beschaffenheit des Waarenhauses, zum andern die darin Verführten. Das Warenhaus von heute ist ein Meisterwerk, denn seine Besitzer haben mit wunderbarer Geschicklichkeit alles so eingerichtet, dass die Verführung zum Kaufen gar nicht grösser sein könnte. Sie führen die Besucherinnen mit geradezu genialer Kunst in Versuchung. Kaum je kommt eine Frau, die mit dem festen Entschlüsse, nichts zu kaufen, hineingegangen war, ohne eine Anzahl von Paketchen wieder heraus. Zuerst wird die Lust durch Prospekte und Preisverzeichnisse erweckt, die verschwenderisch in die Häuser geschickt werden, und aus denen die Leserinnen die Ueberzeugung gewinnen, dass der Kauf unter den angegebenen Bedingungen der reine Gewinn sein müsse. Bald kommt ihnen die Idee: einmal hingehen kann ja nichts schaden, man kann es sich doch ansehen, der Eintritt ist frei, man braucht ja nicht gleich zu kaufen. Ist die Unglückliche einmal in der Höhle des Löwen, so wird sie verzaubert. Bei dem Anblicke dieser Ueberfülle von schönen und guten Sachen erwachen alle Wünsche nach Wohlleben, Eleganz, Besitz, und die weibliche Gefallsucht wird aufs tiefste erregt. Die Besucherin darf alle Herrlichkeiten nach Belieben anfassen und hin und her wenden, was an sich schon ein Genuss ist, denn niemand fragt oder scheint sich darum zu kümmern, sie kann sich sogar den Gegenstand ihres Begehrens für ein paar Tage zur Ansicht ins Haus schicken lassen. Der Versucher hat noch mehr gethan, denn den Damen, die doch nicht ermüdet werden sollen, stehen Säle mit Ruhebänken, in denen ihnen Journale, ja Speisen und Getränke unentgeltlich angeboten werden, zur Verfügung. Die Besucherin soll sich im Waarenhause wie in ihrem Heim fühlen, nur dass alles unendlich grösser, schöner, reicher ist, dass keine Mühe ihrer wartet, dass alles Höflichkeit, Liebenswürdigkeit ist. Das Waarenhaus stellt die angenehmsten und liebenswürdigsten jungen Männer an, die es bekommen kann.

All diesen Versuchungen können nur Wenige widerstehen, die Meisten werden zu Einkäufen verführt, denen nicht selten kein Bedürfniss entspricht, und die über die vorhandenen Mittel hinausgehen. Viele Frauen zieht das Waarenhaus an wie andre die Kirche, denn hier wie dort finden sie süsse Erregungen, mag auch die Art verschieden sein. Manche verlieben sich geradezu in irgend eine dieser Karawansereien und können nicht mehr leben, ohne täglich oder wenigstens einmal in der Woche ihren Besuch im Louvre, im Bon-Marché oder im Printemps gemacht zu haben. Eine junge Frau, die eben von einer schweren Krankheit aufgestanden war, verlangte stürmisch nach dem Waarenhause, ging hin und starb nach einigen Tagen. Sie wollte nichts kaufen, aber sie sehnte sich nach der Atmosphäre ihres Tempels und nach dem Anblicke der schönen Sachen. Endlich kommt in Betracht, dass in den der Versuchung ausgesetzten Damen absichtlich die Meinung hervorgerufen wird, sie wären ganz ohne Aufsicht. Wenn die Besucherin ihre Waare gefunden hat, ruft sie einen der Angestellten herbei, der sie zur Kasse zu führen hat, der aber keine Ueberwachung ausübt. Nur verborgenerweise beobachtet eine Anzahl von Angestellten, die kein Zeichen an sich tragen, die Käuferinnen; nichts warnt diese, erst nach dem Diebstahle greift der Aufpasser zu.

Trotz alledem wird keine ehrenhafte Frau stehlen. Aber die Erfahrung zeigt leider, dass eine Menge von Frauen, die für ehrenhaft und unantastbar gegolten haben, zu Falle kommt. Man könnte denken, dass nur nach einem heftigen Kampfe zwischen den guten und den bösen Gedanken dies Unterliegen möglich sei, und gewiss findet manchmal ein solcher Kampf statt, aber recht oft ist nach den Bekenntnissen der Diebinnen die Sache anders zugegangen. Das Begehren tritt mit einem Male so heftig auf, dass die Hand zugreift, ehe der Kopf nachgedacht hat. Hinterher mögen wohl Gewissensbisse kommen, aber auch diese scheinen nicht immer arg zu sein.

Abgesehen von den Diebinnen vom Fach, die gelegentlich im Waarenhause gerade so stehlen, wie sie sonst stehlen, und die nicht eben häufig sind, zerfallen die Waarenhaus-Diebinnen in zwei Gruppen, nämlich in solche, die, obwohl sie für ehrenhaft gelten, doch moralisch schwach sind, ohne im engern Sinne des Wortes krank zu sein, und in solche, bei denen bestimmte krankhafte Zustände nachzuweisen sind.

Obwohl das psychologische Interesse vorwiegend an der ersten Gruppe haftet, kann doch der Arzt nur über Die berichten, die wegen zweifelhaften Geisteszustandes ihm zugewiesen worden sind. Dubuisson berichtet aus persönlicher Erfahrung über 120 Fälle. Darunter waren acht Frauen mit der sogen. Gehirnerweichung (der progressiven Paralyse) und drei mit andern groben Gehirnerkrankungen. Bei neun konnte der Arzt nichts Krankhaftes finden. Von den übrigen hundert Diebinnen waren neun im engern Sinne des Wortes Geisteskranke (krankhaft Schwachsinnige, Verrückte usw.). Alle andern waren das, was man gewöhnlich nervenkrank nennt; sie litten an Nervenschwäche, an Hysterie, und ein Theil dieser Nervösen war zur Zeit der strafbaren Handlung in einer der kritischen Zeiten des weiblichen Lebens (Monatregel, Schwangerschaft). Natürlich treibt die Nervenkrankheit nicht direkt zum Diebstahle, aber sie setzt die Willenskraft herab, sie macht geneigt zu rauschartigen Zuständen, und es wird in der Regel bei gleichen moralischen Anlagen die Kranke der Versuchung leichter unterliegen als die Gesunde.

Bei alledem ist nicht zu verkennen, dass zwischen den sogenannten Gesunden und Denen, deren Krankheit ihre Zurechnungsfähigkeit vermindern sollte, keine Kluft aufgethan ist. Unmerkliche Uebergänge führen von der einfachen moralischen Schwäche bis zur krankhaften Widerstandsunfähigkeit. Es giebt wahrscheinlich Grade der Versuchung, denen niemand gewachsen ist, und auf jeden Fall entspricht der Grösse der Versuchung die Zahl der Opfer. Das moderne Waarenhaus ist für einen Theil der weiblichen Bevölkerung einfach eine zu grosse Versuchung, weil seine Einrichtungen zum Diebstahle verlocken. Man soll aber das Böse zu verhüten suchen, und das wäre in unserm Falle nicht einmal schwer. Es brauchte nur durch sichtbare, an bestimmten Zeichen erkennbare Aufseher eine fortwährende Warnung vor dem Stehlen ausgedrückt zu werden. Dann würden viele weibliche Personen, deren Geisteszustand sie im gewöhnlichen Leben vor dem Straucheln schützt, die aber den übermässigen Lockungen des Waarenhauses nicht gewachsen sind, gerettet werden, und mit ihnen würden ihren Familien Kummer und Schande erspart werden.

Denn die Ertappten, bei denen geistige Störungen nicht nachgewiesen werden konnten, sind einfach als Diebinnen eingesperrt worden. Hätten die Behörden Verständniss für die weibliche Geistesbeschaffenheit, so dürften sie entweder die sich als Weiberfallen darstellenden Waarenhäuser nicht dulden, oder sie müssten die Verführten nicht der Strenge des Gesetzes überliefern.

Mir scheint, dass diese Geschichte mit den Waarenhäusern ein ganz gutes Beispiel ist, und dass man dabei sieht, wie der physiologische Schwachsinn ernsthaft zu nehmen ist. Gleichmacherei ist überall vom Uebel, aber die Geschlechtsgleichmacherei ist ein besonders grosses Uebel.

Leipzig, im November 1903.
M.

Vorwort.

Gern lasse ich mich belehren, und ein Buch, aus dem ich etwas lernen könnte, mag ich wohl. Deshalb habe ich in den letzten Jahren viele Feministenbücher gelesen. Freilich habe ich viel Enttäuschungen dabei erlebt und, wenn der Raum es erlaubte, könnte ich viel Schmerzliches erzählen. Nur ein Beispiel will ich geben. Da hat Marie Stritt ein Buch der Frau Charlotte Perkins-Stetson (Women and Economics) übersetzt, das sie ein Standard-work nennt und mit Mill's Buch: »der Bibel der Frauenbewegung«, zusammenstellt. Das Original scheint 1899 erschienen zu sein, die Uebersetzung trägt den Titel »Mann und Frau« (Dresden und Leipzig, H. Minden). Ei, dachte ich, das wird etwas Gutes sein, und fand ein geradezu schauerliches Machwerk. Der kurze Sinn der langen Ausführungen geht dahin, dass, wenn das Weib selbst Geld verdient, die uns drückenden Uebel verschwinden werden. Im Grunde ist das Ziel nicht schwer zu erreichen, denn, wenn man nicht mehr zu Hause kocht und die (man sollte meinen, eigentlich überflüssigen) Kinder in ein Säuglingsheim bringt, kann die Frau ebensogut ins Geschäft gehen wie der Mann. Vor dieser amerikanischen Weisheit steht man bewundernd still. Es möchte noch gehen, wenn die Verfasserin ihren Unsinn mit schlichten Worten vortrüge, aber nein, sie verfährt »wissenschaftlich«, wirthschaftet mit der »Sociologie«, wie ein Wilder seine Keule schwingt, und trägt die tollsten Erfindungen als gesicherte Erkenntniss vor. Sie geht davon aus, dass bei den Thieren jedes Weibchen sein Futter selbst suche, bei den Menschen aber der Mann das Weib ernähre. Der Satz ist gar nicht schlechtweg richtig, denn Bauer und Bäuerin z. B. arbeiten und erwerben beide. Soweit aber wie der Satz richtig ist, erklärt sich die Sache sehr einfach durch die lange Pflegebedürftigkeit der Menschenkinder einerseits, durch die mit den weitaus grösseren Geistesfähigkeiten oder dem weitaus grösseren Gehirn des Menschen gegebene Steigerung der Aufgaben über das Futtersuchen hinaus und die so herbeigeführte Nöthigung zur Theilung der Arbeit andererseits. Das klingt freilich sehr prosaisch gegen die Märchen der Verfasserin, die einem tollgewordenen Darwinismus zu huldigen scheint. Nach ihr war das Weib ursprünglich alles, der Mann nur ein Anhängsel, nur der Fortpflanzung wegen da. Dabei denkt sie an das kleine Männchen bei den Spinnen, das gelegentlich vom Weibchen gefressen wird, und scheint zu vermuthen, dass die Menschen von den Spinnen abstammen. Erst allmählich entwickelte sich der Mann, und, »das letzte Stadium dieses Entwicklungsprozesses war die Erhebung des Mannes des genus homus zu voller Gleichstellung mit dem Weibe, welche dann sogar dessen zeitweilige Unterordnung zur Folge hatte« (S. 115). Auf jeden Fall war das menschliche Weib ursprünglich ebenso geschickt und stark wie der Mann. Einmal aber fiel es dem schlechten Kerl, dem Manne, ein, das Weib zu knechten und auf die geschlechtliche Thätigkeit zu beschränken, und das Unglück wollte, dass ihm die Schandthat gelang. Nun war es gefehlt, das Weib war »ökonomisch abhängig« geworden, und das führte zur Entartung des Menschengeschlechtes, besonders aber des Weibergeschlechtes. Das Weib verlor einen Theil seiner Eigenschaften und wurde »ohne allen Zweifel viel zu sehr und geradezu krankhaft geschlechtlich belastet.« Da das Weib nicht producirt, sondern nur consumirt, so wird sie leichtsinnig, habgierig, verschwenderisch, überschätzt das Aeusserliche und das Körperliche, und verführt auch den Mann dazu. Ueberhaupt kam der Mann auch allmählich herunter, denn er hatte im Weibe ein reines Geschlechtswesen gezüchtet und wurde nun dadurch so erregt, dass er ein Opfer seines übertriebenen Geschlechtstriebes wurde. Im Gegensatz zu den Thieren ist das Uebermaass des sexuellen Triebes ein Eigenthum des Menschen (die Verfasserin hat die sittsamen Affen ganz vergessen). Dann fällt der Verfasserin die Vererbung ein, dass die Mädchen doch auch vom Vater erben, u. s. f.; und nun beginnt eine ganz greuliche Confusion, auf deren Darstellung ich mich nicht einlassen kann. Immer aber kehrt in den schrecklich weitschweifigen Erörterungen das Leitmotiv wieder: alle sozialen Uebel sind Folge der ökonomischen Ehe. »Jede einzelne Frau, als Mensch geboren, mit dem vom Vater ererbten Drang nach Bethätigung ihrer menschlichen Fähigkeiten in den Adern, und zugleich als Weib geboren, unter der drückenden Last ihrer traditionellen Stellung, muss in ihrer eigenen Person den gleichen Process der Unterwerfung, Unterdrückung, des Abschwörens ihrer allgemein menschlichen Natur durchmachen, für jede einzelne erklang das schmerzliche »Nein«, welches alle ihre Triebe, zu lernen, zu schaffen, zu entdecken, sich auszusprechen, vorwärts zu kommen, ersticken sollte« (S. 65). »In den fernen Prärieen oder in unzusammenhängenden Häusern, wo die Frauen heute noch vollständig in den drückenden Fesseln des Geschlechts eingeengt sind, da werden sie zu Dutzenden und Hunderten darüber wahnsinnig« (S. 228). Oh! Die wirthschaftliche Abhängigkeit des Weibes ist die Ursache des Zurückgehens der Geburtenziffer (S. 147). Oh! Oh! Aber all diesen Scheusslichkeiten soll durch die amerikanischen Damen gründlich abgeholfen werden. Die grösste und bedeutsamste Umwandlung, welche die Welt jemals erlebte, das allmähliche Emporsteigen des zu Boden gedrückten Weibes zu voller menschlicher Gleichberechtigung, vollzieht sich eben jetzt (S. 126). Es folgt Lob und Preis der amerikanischen Herrlichkeit; dadurch, dass das Weib in das Erwerbsleben eintritt, wird alles neu, wird alles gut. Die menschliche Seele wird geläutert, und das weibliche Gehirn wird umgestaltet. Sogar die armen kleinen Kinder kommen besser weg, denn das neue Weib hat »in der Hervorbringung (!), Pflege und Erziehung des Nachwuchses viel bessere, feinere und wirksamere Methoden (S. 138)«, als die früheren Weiber, die eigentlich nur »zärtliche Meerschweinchen« waren. – Das Bisherige wird genügend zeigen, wie es um die feministische Wissenschaftlichkeit steht. Wie heisst es im Faust?

Das ist noch lange nicht vorüber,
Ich kenn' es wohl, so klingt das ganze Buch;
Ich habe manche Zeit damit verloren.

Recht viele Kritiken, die ich zu lesen bekomme, sind unter dem Maasse, das man verlangen kann. Da fragen sich die Leute, ob ich unhöflich, ungalant, ein Weiberfeind sei, ob man nicht manches milder ausdrücken könnte, ob nicht einzelne Weiber meiner Schilderung nicht ganz entsprechen, ob ich nicht ungerechtfertigte Teleologie treibe, und was des unnützen Geredes mehr ist. Aber auf meinen Gedankengang gehen sie nicht ein. Das Weib ist kärglicher mit geistigen Fähigkeiten versehen als der Mann und büsst sie eher wieder ein. Dieser Zustand ist von vornherein vorhanden und unabänderlich. Die Gleichmacherei führt zum Schaden der Gesellschaft, denn sie beeinträchtigt nicht nur die Gesundheit des Weibes, sondern auch Beschaffenheit und Zahl der Kinder. Es ist ersichtlich, dass der eigentliche Streit sich um das »von vornherein und unabänderlich« dreht. Denn dass meine Schilderung für den Durchschnitt des jetzt lebenden Geschlechtes zutrifft, das geben die Verständigen ohnehin zu. Nun bestreite auch ich nicht, dass Veränderungen durch Willkür oder im natürlichen Laufe der Dinge möglich sind. Die Frage ist nur, wie gross die Veränderungen sein können, ob die vorhandenen geistigen Geschlechtsunterschiede durch Erziehung oder sonstwie nur in Nebensachen, oder auch wesentlich verändert werden können. Weist man auf die Vergangenheit, d. h. auf die menschliche Geschichte, hin, so heisst es, ja da waren die äusseren Umstände ungünstig. Erst die Zukunft werde zeigen, was das Weib alles leisten könne, aber Geduld müsse man haben. So geht die Verhandlung hin und her. Man sollte, um Leben hineinzubringen, nach neuen Wegen suchen. Einer scheint mir noch wenig begangen zu sein; ich meine die Beobachtung der geistigen Geschlechtsunterschiede bei den höheren Thieren, bei Säugethieren und Vögeln, nicht bei Bienen und Spinnen. Stellt es sich heraus, dass Verschiedenheiten, die wir heute bei den Menschen finden, auch bei den oberen Thieren vorhanden sind, so kann man annehmen, dass es sich um ein kaum zu beseitigendes Uebel handle, denn was sich durch ungezählte Jahrtausende erhalten hat, das wird wohl auch der modernen Erziehung Stand halten. Freilich dürfte es recht schwer sein, genügendes Material zusammenzubringen. Ich habe mich darum bemüht, habe aber bisher noch wenig Brauchbares gefunden, denn es ist erstaunlich, wie wenig sich bisher die Beobachter um die geistigen Geschlechtsunterschiede bei Thieren gekümmert haben (natürlich abgesehen vom Liebesleben). Gute Beobachtungen findet man vereinzelt da und dort, aber ohne grössere Reihen wird es nicht gehen. Vielleicht könnte man auch besondere Versuche machen, wie es neuerdings ein Amerikaner mit einem Pärchen Rhesus-Affen versucht hat. –

Nun noch etwas Heiteres. Ich mache auf die dem Anhange beigefügte französische Kritik und auf die Schwedenbriefe ebenda aufmerksam. Der französische Phrasenheld sieht in mir armem Manne den Typus der neudeutschen Brutalität; das ist ein Beispiel dafür, zu welchen Albernheiten der politische Hass einen führen kann. Noch spasshafter sind die Schwedenbriefe. Seit einem halben Jahre erhalte ich etwa alle 4 Wochen einen Brief von Damenhand aus Schweden; bis jetzt sind es sechs. Bei jedem ist die Handschrift etwas anders, bei jedem sind die Sprachfehler etwas anders, aber immer kehren dieselben Gedanken (mit Respect zu sagen) wieder, und überall herrscht eine urwüchsige Grobheit. Es muss nette Damen in Schweden geben, und ich glaube, diese Mänaden haben ein Kränzchen gegründet, um mich mit Schimpfbriefen zu bombardiren. Sollte die grosse Evolution unsrer Damen zu einer ähnlichen Höhe führen, wie die Schweden sie erreicht haben, so kann ich mich verkriechen. Und doch kann ich mir nichts vorwerfen, als dass ich zu sanft geredet habe!

Leipzig, im Spätherbste 1904.
M.

Vorwort zur achten Auflage.

Was seit der 7. Auflage von der gegnerischen Seite her zu Tage gekommen ist, das ist so albern, daß es reine Zeitverschwendung wäre, darauf einzugehen. Dagegen kann ich auf verschiedene neue Bestätigungen hinweisen. Aus Marchands Institut ist eine neue große Arbeit über Hirnwägungen erschienen Handmann. E., Ueber das Hirngewicht des Menschen. Arch. f. Anat. u. Physiol. (anat. Abt.) 1. pag. 1. 1906.. Sie bekräftigt die früheren Angaben. Es seien einige Sätze angeführt: Das mittlere Hirngewicht des männlichen Neugeborenen beträgt 400 g, das des weiblichen 380 g, das des erwachsenen Mannes 1370 g, das des Weibes 1223 g (es gilt von den unteren Schichten der sächsischen Bevölkerung). Das mittlere Hirngewicht der Weiber ist ohne Ausnahme geringer als das gleichgroßer Männer. Die Behauptung, das Weib habe ein relativ größeres Hirngewicht als der Mann, ist falsch. Dann haben Beyerthal Jahresbericht über die schulärztliche Tätigkeit an den Hilfsklassen der städtischen Volksschule in Worms (Schuljahr 1904/05). und Röse Beiträge zur europäischen Rassenkunde. Arch. für Rassen- und Gesellschafts-Biologie II pag. 689. 1905. III. pag. 42. 1906. durch Untersuchungen in Schulen festgestellt, daß die Köpfe der Knaben durchweg größer sind als die der Mädchen, und zwar in allen Jahren, obwohl die Mädchen vom 11. Jahre an oder noch früher die Knaben an Größe und Gewicht des Körpers übertreffen. Ein französisches Buch, das mir zugeschickt worden ist, mit dem Titel: Le mensonge du Féminisme von Théod. Joran, Paris. H. Jouve., ist zwar zunächst auf französische Verhältnisse gerichtet, enthält aber auch für uns vieles Gute. Die sozialen Erörterungen sind zwar nicht meine Sache, aber ich will wenigstens auf die vortreffliche Untersuchung von Elon Wikmark Die Frauenfrage. C. Marhold, Halle. 1905. über die Verhältnisse in Skandinavien hinweisen. Sogar in Nordamerika scheint man vor der weiblichen Herrlichkeit Angst zu bekommen und einzusehen, daß das moderne Weib die Volksschichten, denen es angehört, zu Grunde richtet. Verschiedene Aufsätze in Zeitschriften und der Mahnruf des Präsidenten zeigen es an.

Manche Damen-Bücher habe ich wieder gelesen, und wenn es der Raum erlaubte, könnte ich manche ähnliche Bemerkungen über sie machen wie das letzte Mal über Frau Perkins-Stetson. Es ist eigentümlich, daß auch ungewöhnlich gut begabte weibliche Schriftsteller, wenn sie sich nicht mit dem Geschichten-Erzählen begnügen, mehr Schaden als Nutzen bringen. Sie wissen nämlich im Grunde nicht, worauf es eigentlich ankommt, und im entscheidenden Moment versagt ihnen die Urteilskraft. Ellen Key ist z. B. ohne Zweifel eine in ihrer Art sehr befähigte Frau, und was für gräßliche Sachen hat sie doch über Liebe und Ehe zusammengeschrieben. Würden ihre Vorschläge verwirklicht, es wäre ein unabsehbares Unglück für das weibliche Geschlecht. Die Verfasserin gerät als Weib bei dem Worte »Liebe« in Ekstase, und sie hat nur Phantasie-Menschen vor sich, kennt die wirklichen Menschen nicht oder will sie nicht kennen. Auch andere Wörter wirken auf die weiblichen Schriftsteller berauschend: »Kultur«, »Entwickelung«, »Reform«, »Persönlichkeit«. Das klingt und rauscht dann, aber dahinter ist nichts. Daß solche »Essays« (oder wie es sonst heißt) aus weiblicher Feder bei dem leichtbetörten Geschlechte Beifall finden, das begreift man ja, daß aber auch nicht wenige Männer ihnen Beifall klatschen, das ist ein schlechtes Zeichen. Es sind das wahrscheinlich dieselben Halbmänner, die gegen mich schreiben. Sie haben sich neuerdings einen Tric ausgedacht, dem ich schon ein paar Mal begegnet bin. Man dürfe, heißt es, über die geistigen Unterschiede der Geschlechter noch gar nicht urteilen. Auf Kant, Schopenhauer, Hartmann, Nietzsche und andere Schafsköpfe dürfe man nicht hören, nur von der »wissenschaftlichen Psychologie« sei Aufklärung zu erwarten, und ehe die Sache im Laboratorium ausreichend bearbeitet sei, dürfe man anständigerweise überhaupt nicht davon reden. Wie immer, dürfte auch hier der Appell an die »Wissenschaftlichkeit« Anklang finden bei erleuchteten Schulmännern, den treuen Stützen der Wissenschaft, und anderen. Bisher ist zwar durch das Experimentieren noch nie etwas Neues gefunden worden, sondern man hat nur das, was man schon wußte, genauer bestimmt, aber an sich wäre natürlich gegen die Bearbeitung unserer Frage im Laboratorium nichts einzuwenden. Wie man es nicht machen soll, hat ja schon Helene Bradford Thompson (vgl. S. 6) gezeigt. Ich selbst habe zwar einen unaussprechlichen Respekt vor der »wissenschaftlichen Psychologie«, lese auch fleißig die in ihrem Sinne geführten Untersuchungen (damit ich nicht im Fegefeuer oder an einem ähnlichen Orte erst recht dazu gezwungen werde), aber ich habe bisher nicht den Beruf in mir gefühlt, selbst experimentelle Arbeiten zu liefern. Man muß zu diesen zweifellos verdienstlichen Untersuchungen eine besondere Anlage haben, und ich glaube nicht, daß ich noch dazu kommen werde, diese in mir zu entwickeln. Jedoch kann man auch ohne die Hilfsmittel und die Methoden des Laboratoriums eine Art von psychologischen Versuchen machen, indem man den zu Prüfenden bestimmte Fragen vorlegt. Eine bescheidene Unternehmung dieser Art will ich hier mitteilen, weil sie mir selbst Spaß gemacht hat. Ich habe 30 weiblichen Personen zwei Fragen vorgelegt, nämlich 1. wie viel Einwohner hat Leipzig? und 2. wie groß ist die Entfernung zwischen Leipzig und Dresden in Kilometern? Die folgende Tabelle enthält die Antworten:

Tabelle1

Controllversuch.

Beide Fragen sind einer Unter-Prima vorgelegt worden.

Tabelle2

Auf die erste Frage haben also (nach der ersten Tabelle) nur fünf (wenn man nachsichtig urteilt, sechs) richtig geantwortet Nicht wenige Antworten waren vollkommen unsinnig und deuteten auf ein bloßes Raten hin. Es ist dabei zu bemerken, daß im vergangenen Winter eine Volkszählung stattgefunden hat, und daß das Ergebnis, soweit wie es unsere Stadt betrifft, sicher in fast allen Familien besprochen worden ist. Die Leute sind ja stolz darauf, wenn ihr Wohnort wächst, als hätten sie ein Verdienst dabei, und die Kunde, daß Leipzig eine halbe Million Einwohner habe, hat allgemein Freude erregt. Um so merkwürdiger ist es, daß die weibliche Bevölkerung zu mindestens vier Fünfteln die richtige Zahl nicht zu kennen scheint.

Bei der zweiten Frage hätte ich die richtige Zahl (114 km) von vornherein auch nicht gewußt. Aber ich hätte mir gesagt, man geht das Kilometer in 10-12 Minuten, der Schnellzug fährt zehnmal rascher, legt also in 1 Stunde 50-60 km zurück, er fährt bis Dresden zwei Stunden, also müssen es gegen 120 km sein. Ich wollte nun wissen, ob meine Damen auf ähnliche Ueberlegung kämen. Nur eine Einzige machte den richtigen Ansatz. Zwei versuchten als Radfahrerinnen wenigstens eine Schätzung. Eine antwortete auf meine Frage: wie könnte man dann dahinter kommen? kaltblütig: »Ei, man schlägt nach«. Weitaus die meisten hatten entweder »keine Ahnung«, oder sie rieten darauf los.

Wenn die große Unwissenheit, die sich in den Antworten kund giebt, auch ein eigentümliches Licht auf unsere vielgerühmten Schulen zu werfen scheint, so ist sie doch sicher kein Zeichen von Dummheit, denn unter den Befragten waren Frauen und Mädchen, von denen ich weiß, daß sie in ihrem Kreise recht gescheit sind. Die Hauptsache ist wohl die, daß der weibliche Geist einen natürlichen Abscheu vor genauen Größenbestimmungen hat, daß die Zahl den Weibern, ebenso wie den Dichtern, die ihnen verwandt sind, verhaßt ist. Die einzigen Zahlen, die sie sich sicher merken, sind die, die sie bei ihrem Anzuge brauchen (Rocklänge, Taillenweite u. s. w.); alle anderen vergessen sie, und die Bemühungen der Schule können daran nichts ändern. Auch die Auffassung räumlicher Beziehungen ist oft mangelhaft, und nicht allzu selten findet man weibliche Personen, die sogar mit Rechts und Links im Streite leben.

Unter den Briefen der achten Auflage sind neu der Brief eines Professors (S. 144), auf den ich als einen sehr wichtigen Beitrag besonders aufmerksam mache, der wertvolle Bericht eines Pfarrers (S. 147) und der einer wohlmeinenden Leserin (S. 149).

Leipzig, im Juni 1906.
M.


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