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IV.

26. September

Seit einer Woche habe ich keine einzige Zeile in mein Tagebuch geschrieben. Wenn der Abend kommt, bin ich abgehetzt, ausgehöhlt, erschöpft. Dann habe ich nur noch einen Gedanken: schnell ins Bett und schlafen. Ach, könnte ich doch dauernd schlafen!

In welch eine schreckliche Bude bin ich da geraten, hier gibt's nämlich Dinge, die es sonstwo gar nicht gibt. Madame läßt mich für nichts und wieder nichts diese verdammten Treppen hinauf und hinab hetzen. Kaum hockt man ein wenig in der Wäschekammer, um ein bißchen zu verschnaufen, schon geht das Geklingel los, man muß aufspringen und wieder hinausstürzen. Wenn einem noch so elend zumute ist. Es klingelt, es klingelt, es klingelt immerzu. Manchmal, vor allem an gewissen Monatstagen, könnte ich vor Leibschmerzen heulen und mich zusammenkrümmen, aber das verdammte Klingeln nimmt darauf keine Rücksicht. Man hat keine Zeit, kein Recht, krank zu sein. Schmerzen sind das Monopol der Herrschaft. Aber wir, wir Dienstboten, wir müssen stets auf Trab sein, und wenn uns noch so elend zumute ist. »Bim, bim, bim«, wenn man darauf nicht wie mit der Pistole geschossen reagiert, dann gibt es Vorwürfe, wütendes Geschimpfe, Szenen ... »Bim, bim, bim!«

»Zum Kuckuck, was fällt Ihnen ein? Sind Sie taub? Hören Sie nicht, wenn ich klingle? Seit drei Stunden läute ich, und Sie schlafen! Das wird mir langsam zu bunt!«

Und häufig spielt sich die Szene folgendermaßen ab:

»Bim, bim, bim!«

Also los! Da kommt man in Schwung wie von einem Katapult abgeschnellt.

»Bringen Sie mir eine Nadel!«

Ich flitze schon, die Nadel zu holen.

»Gut! ... Und jetzt holen Sie mir das Garn.«

Ich flitze hinaus, das Garn zu holen.

»Schön! Beeilen Sie sich, ich brauche einen Knopf!«

Ich gehe und hole den Knopf.

»Was bringen Sie mir denn da für einen Knopf? Diesen Knopf habe ich nicht verlangt! Wozu sind Sie eigentlich da? Ich brauche einen weißen Knopf, Nummer vier, und schleunigst!«

Und ich gehe den weißen Knopf Nummer vier holen ... Man wird verstehen, daß ich innerlich rase, daß ich Madame verwünsche: während ich tagsüber einen Dauerlauf im Treppenhaus ausführe, besinnt sich Madame inzwischen anders, entweder sie will etwas ganz Neues oder sie will überhaupt nichts mehr.

»Nein, tragen Sie Nadel und Knopf wieder zurück – ich habe jetzt keine Zeit zum Nähen.«

Ich aber habe ein lahmes Kreuz, steife Knie. Sie hat mich total erledigt. Sie hat erreicht, was sie wollte, sie ist zufrieden. Und dabei gibt es sogar einen Tierschutzverein ...

Abends macht sie ihren Rundgang, und in der Wäschekammer bricht dann ein Donnerwetter los:

»Was soll das heißen? Sie haben ja überhaupt nichts getan! Was treiben Sie eigentlich den ganzen Tag? Dafür werden Sie nicht bezahlt, daß Sie von morgens bis abends herumlümmeln!«

Da werde ich auch ziemlich kurz angebunden, weil mich solche Ungerechtigkeit empört:

»Aber Madame haben mich die ganze Zeit über gestört.«

»Ich habe Sie gestört? Sie sind wohl nicht bei Trost! Ich verbiete Ihnen derartige Antworten. So eine Frechheit!«

Türenknallen und Sticheleien bis in die Nacht. In den Korridoren, in der Küche, im Garten, stundenlang hört man ihre Stimme keifen. Was muß dieses Weibsbild im Leib haben, um so zu wüten?

Ich weiß wirklich nicht, ob es nicht besser wäre, sie morgen sitzenzulassen? Aber ist es sicher, daß ich eine bessere Stellung finde?

Neulich tobte sie noch ärger als gewöhnlich. Ich hatte an diesem Tag so große Schmerzen, daß ich glaubte, in meinem Leib wüte ein wildes Tier, das mich mit Zähnen und Klauen bearbeitete. Ich wurde schon am Morgen ohnmächtig, als ich aufstand, weil ich in der Nacht soviel Blut verloren hatte. Ich verstehe überhaupt nicht, woher ich die Kraft nahm, mich aufrecht zu halten und meinem Dienst nachzugehen. Mehrmals mußte ich mich am Treppengeländer festhalten, um nicht zu fallen. Im Vorübergehen sah ich in einem Spiegel mein Gesicht: es war grün, und der kalte Schweiß netzte mir die Stirn. Ich hätte heulen können, aber ich bin ein zäher Knochen, und ich bin zu stolz, um mich vor meiner Herrschaft zu blamieren. Zu meinem Pech überraschte mich Madame gerade in dem Augenblick, als ich mich mit allen Kräften gegen eine Ohnmacht wehrte. Alles drehte sich um mich, das Treppengeländer, die Stufen, die Wände, alles bewegte sich im Kreis ...

»Was haben Sie denn?« herrschte sie mich an.

»Es ist nichts, Madame.«

Ich versuchte mich aufzurichten.

»Wenn Ihnen nichts fehlt, warum machen Sie dann solche Geschichten? Ich ertrage solche Leichenbittermienen nicht. Ihre Leistungen lassen sehr zu wünschen übrig!«

Trotz meines Zustandes hätte ich sie am liebsten geohrfeigt.

Inmitten all dieser unausstehlichen Dinge muß ich mich natürlich früherer Stellungen erinnern und trauere jetzt besonders um die Rue Lincoln. Dort war ich zweite Kammerjungfrau und hatte buchstäblich so gut wie nichts zu tun. Tagsüber hielten wir uns in der Lingerie auf, einem prachtvollen Wäschezimmer mit einem schönen roten Spannteppich und bis zur Decke reichenden Mahagonischränken mit goldenen Schlössern. Wir lachten und amüsierten uns den ganzen lieben langen Tag. Wir trugen abwechselnd etwas Lustiges aus Büchern vor, oder wir äfften Madames Empfänge mit verteilten Rollen nach, und all das spielte sich unter den Augen einer englischen Gouvernante ab, die uns herrlichen Tee servierte, echten englischen Tee, den Madame für ihr erstes Frühstück direkt aus England bezog. Manchmal schickte uns der Haushofmeister – auch so eine Type, die ständig auf dem laufenden war – aus der Küche kleine Kuchen, Schinken- und Kaviarbrötchen und sonst noch eine Menge guter Sachen.

Eines Nachmittags erinnere ich mich besonders deutlich: man hatte mich überredet, einen sehr eleganten Anzug von Coco, so nannten wir Monsieur heimlich, anzuziehen. Natürlich dachten wir uns dann eine Menge pikanter Spiele aus, und das ging oft über den Spaß hinaus. Ich gab die Rolle eines komischen Mannes und fand mich selbst dabei so komisch, daß ich fast vor Lachen zerplatzte, als ich mich im Spiegel erblickte, und da passierte mir ein kleines Malheur, ich konnte es nicht mehr halten, und so geschah es, daß ich Cocos Hosen naß machte. Es war zum Brüllen!

 

Jetzt lerne ich den Mann meiner unangenehmen Herrin näher kennen. Man hat gewiß recht, wenn man ihn einen anständigen, großzügigen Menschen nennt, denn wenn er das nicht wäre, dann wäre er ja die abgefeimteste Kanaille der Welt. Aber sein Bedürfnis, zu schenken, mildtätig zu sein, treibt ihn manchmal zu Handlungen, deren Ergebnisse für den Beteiligten verhängnisvoll werden. Beispielsweise gipfelte einmal seine Güte in folgender kleiner Gemeinheit:

Letzten Dienstag kam Père Pantois, ein armer alter Mann, zu Monsieur und brachte ihm hinter Madames Rücken wilde Rosensträucher, die er bestellt hatte. Es war gegen Abend, kurz vor Einbruch der Dunkelheit. Ich war in die Küche hinuntergegangen, um heißes Wasser für Madames Wäsche zu holen. Madame war in die Stadt gefahren und noch nicht zurückgekommen. Ich plauderte gerade ein wenig mit der Köchin Marianne, als Monsieur fröhlich polternd den Vater Pantois in die Küche brachte. Er ließ dem Braven sofort Brot, Käse und Most servieren und setzte sich dann zu ihm an den Tisch, um ein wenig zu schwatzen.

Der Alte war ein auffallend elend aussehender magerer und schlechtgekleideter Mann, der mir wirklich leid tat. Hose und Mütze waren völlig zerfetzt, und sein zerschlissenes Hemd ließ an verschiedenen Stellen den nackten, vernarbten Oberkörper sehen. Er aß hastig, wortlos.

»Nun, Vater Pantois«, rief Monsieur, die Hände reibend, Jetzt geht's schon besser, he?«

Der Greis antwortete mit vollem Mund:

»Sie sind sehr gnädig, Monsieur Lanlaire. Sie wundern sich vielleicht über meinen Appetit, aber ich bin heute morgen um vier Uhr vom Hause weggegangen und habe nichts mehr im Bauch.«

»Na, dann langen Sie tüchtig zu, Pantois. stopfen Sie sich voll, lassen Sie sich's schmecken, zum Teufel!«

»Sie sind wirklich zu gütig, Monsieur Lanlaire. Wenn Sie erlauben ...«

Der Alte schnitt sich ein paar riesige Kanten Brot ab, an denen er lange kaute, denn er hatte fast keine Zähne mehr. Als Vater Pantois halbwegs gesättigt war, fragte Monsieur:

»Und wie steht's mit den Rosensträuchern, Père Pantois? Haben Sie ein paar schöne gefunden?«

»Mein Gott, es gibt schöne und weniger schöne, es gibt verschiedene Arten, Monsieur Lanlaire, man hat nicht immer Zeit, lange zu wählen. Und dann gehen die Biester so schwer aus der Erde, das kostet Kraft, und dann erlaubt Monsieur Porcellet seit kurzem nicht mehr, daß in seinem Wald Rosensträucher ausgegraben werden. Jetzt muß man weit laufen, um welche zu finden – sehr weit. Ob Sie es glauben oder nicht, Monsieur Lanlaire – ich war heute bereits fünf Meilen von hier im Wald. Im Wald von Raillon. Was ich Ihnen da erzähle, ist bestimmt wahr, Monsieur ...«

Während Pantois erzählte, hatte Monsieur dicht neben ihm Platz genommen. Gutgelaunt, beinahe übermütig, klopfte er ihm auf die Schulter und rief:

»Fünf Meilen weit von hier! Sie sind ja ein toller Bursche, mein Lieber! Immer fidel, immer frisch wie ein Junger, was?«

»Ach, woher, Monsieur, halb so schlimm ...«

»Aber klar«, behauptete Monsieur, »stark wie ein alter Türke! Immer vergnügt! Solche wie Sie bringt man heute gar nicht mehr zustande, mein Guter! Sie sind von altem Schrot und Korn!«

Der Alte schüttelte den Kopf, sein mageres Gesicht hatte die Farbe morschen Holzes.

»Weit übertrieben, Monsieur, mit mir ist es nicht mehr weit her. Die Beine wollen nicht mehr recht, Monsieur, auch die Arme nicht. Und erst das Kreuz, das verflixte Kreuz. Und die Frau ist immer krank, kommt nicht mehr hoch. Das kostet Medikamente, Monsieur! Von Glück keine Spur. Wenn man bloß nicht so altern würde! Das ist das schlimmste, Monsieur, das ist das schlimmste von allen Dingen ...«

Monsieur seufzte, bewegte vage seine Hand und packte die Sache philosophisch an:

»Sie haben recht, so ist es. Aber was soll man da machen, Père Pantois? Das ist das Leben, alles zu seiner Zeit, das ist schon so.«

»Sicher, da heißt es eben durchhalten.«

»So ist es.«

»Man muß damit fertig werden. Oder nicht, Monsieur Lanlaire?«

»Ach ja, verflucht!«

Und nach einer Pause fügte er melancholisch hinzu:

»Jeder hat sein Kreuz, jeder hat seine traurigen Stunden, nicht nur Sie, Pantois, nicht wahr?«

»Jawohl, Monsieur, es ist wohl so.«

Dann wurde es still in der Küche. Marianne hackte Kräuter, Nacht senkte sich auf den Garten. Die beiden großen Sonnenblumen, die man durch die offene Küchentür sehen konnte, versanken langsam in der Dunkelheit. Sie entfärbten sich und wurden ebenfalls Nacht. Und Vater Pantois saß, noch immer da. Sein Glas wurde leer. Monsieur füllte es aufs neue und verließ die hochgeschraubten metaphysischen Sprüche, er fragte jetzt:

»Und was kosten die Rosensträucher in diesem Jahr?«

»Die Rosensträucher, Monsieur Lanlaire? Na ja, dieses Jahr kostet das Hundert alles in allem fast zweiundzwanzig Franc. Es ist ein bißchen teuer, das weiß ich recht gut, aber ich kann darunter nicht verkaufen. Bei Gott, billiger kann ich es nicht machen. So wahr Er mir helfe! Hören Sie, Monsieur Lanlaire ...«

Als großzügiger Mann, der das Geld verachtet, schnitt Monsieur dem Alten die Rede ab:

»Schon gut, Père Pantois, ich bin einverstanden. Habe ich jemals mit Ihnen gefeilscht? Mehr als das, ich will Ihnen nicht bloß zweiundzwanzig Franc bezahlen, Ihre wilden Rosen sind mir fünfundzwanzig Franc wert. Na, was sagen Sie jetzt?«

»Oh, Monsieur Lanlaire. Sie sind zu gütig.«

»Nein, nein, ich bin bloß gerecht, ich war immer für das Volk, ich wußte Arbeit stets zu schätzen, zum Teufel!«

Und mit einem Faustschlag auf den Tisch überbot er sich selbst:

»Und es soll nicht bei fünfundzwanzig Franc bleiben, zum Kuckuck, dreißig Franc sollen Sie bekommen. Dreißig, hören Sie? Père Pantois, wie gefällt Ihnen das?«

Der brave Kerl sah mit dankbar erstauntem Blick zu Monsieur auf und stammelte:

»Ich höre es wohl, Monsieur, ich höre es. Für Sie zu arbeiten ist wahrlich eine Freude. Sie wissen, was arbeiten bedeutet, wirklich, Sie schon!«

Monsieur unterbrach diesen Schwall von Dankesworten:

»Und bezahlen werde ich Sie – einen Augenblick, warten Sie, heute haben wir Dienstag – sagen wir am Sonntag. Ja, am Sonntag werde ich Sie bezahlen, und wenn ich mich schon zu Ihnen aufmache, dann könnte ich bei dieser Gelegenheit gleich mein Gewehr mitnehmen, einverstanden?«

Das dankbare Leuchten in den Augen des Alten erlosch. Er wurde unsicher, hörte auf zu essen.

»Das ist nämlich so, Monsieur«, begann er stockend, sichtlich verlegen, »mir wäre lieber, Sie könnten mich schon heute abend bezahlen, dafür wäre ich Ihnen wirklich sehr dankbar, und es brauchten bloß zweiundzwanzig Franc zu sein – bloß zweiundzwanzig Franc, pardon, Monsieur ...«

»Was sind denn das für Scherze, Père Pantois?« fragte Monsieur großspurig. »Natürlich bezahle ich Sie sofort. Selbstverständlich, mein Alter. Ich sagte ja nur Sonntag, weil ich plötzlich Lust bekam, eine kleine Tour zu unternehmen, ein wenig in Ihre Gegend zu spazieren.«

Und er begann sämtliche Taschen in Hose, Jacke und Gilet zu durchwühlen, spielte dabei schließlich den Erstaunten.

»Donnerwetter – da soll doch gleich ... Wieder einmal keinen Knopf Kleingeld in der Tasche. Ich habe nur tausend Franc.«

Mit einem gekünstelten unangenehmen Lachen fragte er Pantois:

»Ich wette, Alter, Sie können auf tausend Franc nicht herausgeben, he?«

Als er Monsieur so heiter sah, glaubte Pantois, er müsse auf dessen Laune eingehen, und begann ebenfalls zu lachen.

»Tausend Franc, einen solchen Schein habe ich noch nie gesehen – hahahaha ...«

»Schön, dann bis Sonntag, Père Pantois«, sagte Monsieur abschließend.

Dann schenkte er sich ein Glas Most ein, und gerade als er mit Pantois anstoßen wollte, flog die Tür wie von einem Windstoß auf, und Madame betrat geräuschvoll die Küche. Niemand hatte sie heimkommen gehört, und als sie Monsieur mit dem Alten sah, machte sie ein Gesicht – einfach, unbezahlbar!

»Was soll das heißen?« fragte sie mit weißgewordenen Lippen.

Monsieur murmelte entschuldigend:

»Ach, es ist – wir sprachen gerade wegen der Rosensträucher … Du weißt ja, Liebling, wilde Rosen, Père Pantois hat uns die Sträucher gebracht, unsere sind fast alle im letzten Winter erfroren.«

»Ich habe keine Rosen bestellt, hier wird nichts Derartiges gebraucht.«

Ihre Stimme klang schneidend, dann drehte sie sich um, warf die Tür knallend zu und entfernte sich unter Verwünschungen. In ihrer Wut hatte sie mich übersehen.

Monsieur und der bedauernswerte Alte hatten sich erhoben. Der Rosenlieferant starrte fassungslos auf die Tür, durch die Madame eben verschwunden war, auch Monsieur war tief betreten. Dann blickten die Männer einander an, wortlos, ratlos, bis Monsieur das peinliche Schweigen beendete und beruhigend sagte:

»Also bis Sonntag, mein Alter ...«

»Bis Sonntag, Monsieur Lanlaire.«

»Machen Sie es gut, Père Pantois.«

»Danke. Ebenfalls, Monsieur Lanlaire.«

»Und es bleibt bei dreißig Franc. Ohne Widerruf.«

»Sie sind sehr gütig.«

Und der Alte ging mit zitternden Beinen hinaus und versank in der Dunkelheit des Gartens.

Armer Monsieur! Der hat eine Lektion bekommen. Und Père Pantois, ob der jemals seine dreißig Franc erhalten wird? Wenn ja, dann hat er Glück gehabt.

Ich möchte Monsieur nicht unrecht tun, aber ich bin der Meinung, er sollte sich mit Leuten, die gesellschaftlich so tief unter ihm stehen, nicht so familiär geben. Das gehört sich nicht.

Gewiß, er hat es nicht leicht mit diesem Weibsstück, und er versucht eben irgendwie aus seiner Lage das Beste herauszuholen. Das geht leider nicht immer so leicht. Anderseits, wenn er von der Jagd verdreckt und pudelnaß heimkommt, laut singend, um sich Courage zu machen, wird er von Madame recht ungnädig empfangen.

»Sehr charmant von dir, mich den ganzen Tag allein zu lassen.«

»Aber du weißt doch, Liebste ...«

»Halte den Mund.«

Sie grollt dann stundenlang, runzelt die Stirn, schweigt mit verkniffenen Lippen. Er streicht wie ein Hund um sie herum, läßt die Ohren hängen und stammelt unsinniges Zeug.

»Liebling ... du weißt doch selbst ...«

»Laß mich in Ruhe, du trampelst auf meinen Nerven …«

Tags darauf wagt er sich nicht aus dem Haus. Was macht Madame? Sie keift:

»Schleich nicht umher wie ein Gespenst, verschwinde.«

»Aber, Liebling ...«

»Geh lieber auf die Jagd oder der Teufel weiß wohin ... geh! Ich werde noch krank oder verrückt durch dein Wesen. Geh schon, verschwinde endlich!«

So kennt sich der Ärmste nie aus, er weiß nie, ob er fortgehen oder bleiben, hier oder anderswo sein soll. Ein schwieriges Problem. Aber da Madame in jedem Fall mit ihm schimpft, sucht Monsieur meistens das Weite, dann hört er wenigstens nicht ihr Gekeife.

Er kann einem wirklich leid tun.

Als ich neulich morgens einige Wäschestücke auf den Sträuchern zum Trocknen ausbreiten wollte, begegnete ich Monsieur im Garten. Er war beim Hochbinden einiger Dahlien, die der Nachtwind geknickt hatte. Monsieur arbeitet gerne im Garten, wenn er erst nachmittags auf die Jagd gehen will. Jedenfalls macht er sich mit Vorliebe an den Blumenbeeten zu schaffen, denn für ihn ist jede Betätigung außerhalb des Hauses eine Erholung, Szenen und Gezeter erreichen ihn dort nicht. Der Mann ist, sobald Madame nicht in der Nähe weilt, wie ausgewechselt. Seine Augen leuchten, sein Gesicht erhellt sich, und sein natürliches, heiteres Temperament kommt wieder zum Durchbruch. Dann ist er ein wirklich netter Kerl.

Im Haus richtet er nie das Wort an mich. Er tut so, als wäre ich überhaupt nicht vorhanden, draußen aber fängt er gern einen kleinen Schwatz mit mir an, selbstverständlich nur, wenn er sicher ist, daß Madame uns nicht belauschen kann. Wagt er es einmal nicht, mich anzusprechen, dann verschlingt er mich mit den Blicken, und diese sind beredter als seine Worte. Es macht mir ungeheuren Spaß, ihn auf jede Weise zu reizen, und obwohl ich bisher ihm gegenüber noch keinen festen Standpunkt eingenommen habe, kann ich es nicht lassen, ihm ordentlich den Kopf zu verdrehen ...

Er hat den Mund voll Bastfäden und beugt sich über seine Dahlien, als ich absichtlich dicht an ihm vorüberstreife.

»Schon so fleißig am frühen Morgen?«

»Ja, ja«, antwortet er, »diese verflixten Dahlien! Sie sehen ja ...«

Und er lädt mich ein, ein wenig stehen zu bleiben.

»Nun, Célestine? Ich hoffe, Sie haben sich schon ein bißchen eingewöhnt?«

Immer wieder diese fixe Idee! Und selbst hier im Garten fällt es ihm schwer, ein Gespräch anzuknüpfen. Ihm zuliebe antworte ich lächelnd:

»Aber ja, Monsieur, natürlich habe ich mich schon eingelebt.«

»Oh, Gott sei Dank ... Das freut mich – darüber bin ich wirklich froh ...«

Jetzt hat er sich hoch aufgerichtet, umhüllt mich ganz mit seinen zärtlichen Blicken und wiederholt:

»Da bin ich wirklich froh«, und um sich für einen Geistesblitz Zeit zu gönnen, zieht er die Bastfäden aus seinem Mund und knotet sie an die Bambusstöcke. Ganz breitbeinig steht er vor mir, die Hände in die Hüften gestützt, und sieht mich aus zusammengekniffenen Augen keck an.

»Ich könnte wetten, Célestine, daß Sie in Paris so manchen kleinen Streich angestellt haben, wie? Habe ich recht? Manches tolle diskrete Abenteuer erlebt ...?«

Also darauf war ich nicht vorbereitet. Ich hätte ihm gern eine Lachsalve hingeschmettert, aber ich senkte lieber züchtig den Blick, stellte mich beleidigt und gab mir große Mühe, rot zu werden, wie es die Situation verlangte.

»Aber Monsieur!« sagte ich ein klein wenig vorwurfsvoll.

»Was ist denn dabei?« beharrte er, »ein schönes Kind wie Sie! Mit solchen Augen! Ich könnte schwören, daß Sie schon eine Menge toller Streiche hinter sich haben, he? Um so besser! Ich bin dafür, daß man sich amüsiert, verflucht nochmal! Verflucht nochmal, Célestine, ich bin für die Liebe, zum Teufel!«

Monsieur wurde von Minute zu Minute aufgekratzter! Seine kraftstrotzende, muskulöse Gestalt verriet mir sichtbare Symptome erotischer Erregung. Sein Gesicht glühte, in seinen Augen flackerte es begierig. Aber jetzt war es an der Zeit, auf die ausbrechende Glut eine eisige Dusche zu gießen. Sehr vornehm, sehr trocken erklärte ich kurz:

»Monsieur irrt sich. Monsieur meint, er hätte irgendeine Kammerzofe vor sich. Monsieur sollte endlich merken, daß ich ein anständiges Mädchen bin.«

Und mit verletzter Würde, um noch deutlicher zu werden, wie sehr mich dieser unverblümte Angriff schockiert habe, fügte ich hinzu:

»Monsieur würde verdienen, daß ich mich seinetwegen bei Madame beschwere ...«

Ich tat so, als wollte ich gehen. Da packte er mich schleunigst am Arm.

Wie konnte ich diese Szene weiterspielen, ohne vor Lachen zu bersten? Nur mit Mühe habe ich es zurückhalten können, es saß mir schon kitzelnd in der Kehle. Wie ich es konnte, weiß ich eigentlich wirklich nicht.

Monsieur wurde leichenblaß, mit aufgerissenem Mund, ängstlich und ratlos starrte er mich an. Eine lächerliche Figur.

Wir standen neben einem alten Birnbaum mit krummen Ästen voll weißer Flechten. Einige herabhängende Birnen hätte man mit der Hand brechen können. In einer nahen Kastanie schrie boshaft eine Elster. Unter der Gartenhecke saß die Katze und ohrfeigte eine Hummel. Das Schweigen zwischen uns wurde für Monsieur immer ungemütlicher. Schließlich, nach mehreren erfolglosen Versuchen und grotesken Grimassen, fragte er mich:

»Mögen Sie Birnen, Célestine?«

»Ja, Monsieur.«

Meine Miene deutete kein Waffenstillstandsangebot an. Im Gegenteil. Hochmütig und gleichgültig hatte ich geantwortet. Voll Angst, von seiner Frau überrascht zu werden, zögerte er einige Sekunden. Dann, ganz schnell, heimlich wie ein Kind, das aus der Zuckerdose nascht, pflückte er eine Birne und legte sie mir in die Hand. Ja, dieser Mann war ein Bild des Jammers, seine Knie wurden weich, seine Hand zitterte.

»Hier, Célestine, verstecken Sie das in Ihrer Schürze. In der Küche gibt man Ihnen so etwas nie, nicht wahr?«

»Nein, Monsieur.«

»Sehen Sie, von mir können Sie öfters welche bekommen … Weil, weil – ich möchte nämlich, daß Sie fröhlich sind ...«

Die unverkennbare Ehrlichkeit seines Verlangens, seine Tolpatschigkeit, seine ungeschickten Gesten, seine überstürzten Worte, all das hatte mich gerührt. Ich milderte meine strenge Miene, deutete ein leises Lächeln an und sagte halb ironisch, halb schelmisch:

»Oh, Monsieur! Wenn Madame Sie so sehen könnte!«

Er wurde noch verwirrter, aber da wir durch das dichte Blattwerk der Kastanienbäume vor Blicken aus dem Haus geschützt waren, fand er wieder rasch zu sich selbst zurück, meine überraschende Sanftheit machte ihn sogar kühn, so kühn, daß er sich zu dem Ausruf hinreißen ließ:

»Und wenn schon! Warum nicht? Angst vor Madame? Von mir aus kann sie kommen. Sie ist mir ganz egal. Jawohl! Von ihr habe ich schon lange genug. Ihr Getue hängt mir zum Hals heraus!«

Da sagte ich streng:

»Monsieur tut Madame unrecht. Monsieur ist nicht gerecht. Madame ist eine sehr liebenswürdige Frau.«

Das traf ihn wie ein Schlag.

»Eine liebenswürdige Frau?« fragte er fassungslos. »Sie? Du lieber Himmel! ... Aber Sie wissen ja nicht, was sie mir angetan hat! Sie hat mein Leben ruiniert ... Ich bin kein Mann mehr – ich bin nichts mehr ... Überall macht man sich über mich lustig, und warum? Die Schuld trifft Madame! Madame! Meine Frau? Sie ist eine – eine Kuh und nichts anderes ... Eine Kuh – eine ganz gewöhnliche Kuh!«

Ich hielt ihm eine Moralpredigt. Mit weicher Stimme hob ich Madames häusliche Tugenden hervor, ihre Sparsamkeit, ihre Energie, aber bei jeder Lobpreisung regte er sich noch mehr auf.

»Nein, nein! Eine Kuh ist sie! Ich sage Ihnen, sie ist eine Kuh!«

Dennoch gelang es mir, ihn ein wenig zu beruhigen. Armer Monsieur! Auf ihm konnte man spielen wie auf einer Klaviatur. Mit einem einzigen Blick gelang es mir, ihn aus äußerster Wut in Rührseligkeit zu dirigieren. Und dann stammelte er:

»Mein Gott, wie sind Sie sanft, wie sind Sie nett und gut! ... Aber diese Kuh ...«

»Aber Monsieur, seien Sie doch gerecht. Seien Sie doch vernünftig!«

»Sie sind gut, ja, gut und lieb. Und Sie sind bloß eine Kammerzofe!«

Für einen Augenblick kam er mir ganz nahe und sagte sehr leise:

»Wenn Sie wollten, Célestine?«

»Wenn ich wollte – was?«

»Wenn Sie wollten – ach, Sie wissen schon ... Nicht wahr, Sie wissen es?«

»Möchte Monsieur vielleicht Madame mit mir betrügen? Soll ich mit ihm Schweinereien machen?«

Mein Gesichtsausdruck täuschte ihn. Die Augen traten ihm hervor, seine Halsadern schwollen gefährlich an, und dann sagte er mit heiserer Stimme und feuchten, bebenden Lippen:

»O ja! Natürlich! Ja, ja, Célestine.«

»Was glaubt Monsieur?«

»Ich glaube und denke nur noch das eine, Célestine …«

Er war furchtbar rot geworden, ich fürchtete schon einen Schlaganfall.

Ich sagte traurig:

»Ach Gott, Monsieur fängt wieder damit an!«

Er ergriff meine Hände, um mich an sich zu ziehen.

»Ja, ja«, stammelte er, »ich will damit anfangen, das will ich, genau das will ich. Weil – weil. Ich bin vernarrt in Sie ... Sie … Sie, Célestine ... Ich denke überhaupt nichts anderes mehr – nur noch an Sie denke ich, ich kann nicht einmal mehr schlafen. Ich bin schon ganz krank vor Liebe – krank. Fürchten Sie sich nicht vor mir, haben Sie keine Angst ... Ich bin kein Tier ... Nein, nein, ich mache Ihnen bestimmt kein Kind. Nein, zum Teufel! Das schwöre ich! Ich ... ich ... wir ... wir ...«

»Kein Wort mehr, Monsieur, sonst sage ich alles Madame. Und wenn Sie, Monsieur, jemand in diesem Zustand im Garten sähe!«

Da kam er zu sich. Verstört, beschämt, wie von Sinnen. Plötzlich wußte er nichts mehr mit seinen Händen anzufangen und bemühte sich, seine lüsternen Blicke zu verbergen. Er wußte überhaupt nicht wohin mit sich. Bald starrte er ins Gras zu seinen Füßen, bald auf den alten Birnbaum oder auf irgendeine Stelle im Garten. Restlos erledigt hob er die Bindfäden wieder auf und band die geknickten Dahlien endlich an der Stange fest. Dann seufzte er tiefbetrübt:

»Célestine, was ich vorhin gesagt habe, das habe ich nur so dahergeredet ... Es war ja gar nicht ernst gemeint – wie man halt oft daherredet. Ich bin eben ein alter Esel ... Sie dürfen mir nichts nachtragen ... Und vor allem: kein Wort davon zu Madame, ja? Glauben Sie, daß uns jemand gesehen hat?«

Mit einem Sprung entfernte ich mich von ihm, um nicht laut zu lachen.

Ja, ich konnte das Lachen nicht länger verbeißen. Aber nicht nur Spott rührte sich in mir – in meinem Herzen rührte sich noch etwas anderes ... Etwas, ich weiß nicht, wie ich es nennen soll. Vielleicht eine Art mütterliches Gefühl. Natürlich ist der gute Kerl nicht der Mann, mit dem ich unbedingt schlafen möchte ... Egal, einer mehr oder weniger, darauf kommt es schon nicht mehr an. Nicht wahr? Ich könnte das arme Väterchen doch ein wenig glücklich machen, denn in dieser Beziehung wurde er nicht verwöhnt, und auf diese Weise empfände auch ich ein wenig Freude. Ach, anderen Freude zu bereiten macht noch glücklicher, als selbst glücklich zu sein. Auch wenn man bei solchen Umarmungen empfindungslos bleibt, ist es doch ein seltsames Vergnügen, so einen armen Kerl in Trance zu versetzen und zu spüren, wie er in unseren Armen vergeht. Und wäre es nicht ein Riesenspaß wegen Madame? ... Man wird ja sehen.

Heute ist Monsieur tagsüber nicht fortgegangen. Nachdem seine Dahlien endlich aufgebunden waren, hielt er sich den ganzen Nachmittag im Schuppen auf, wo er geschlagene vier Stunden lang mit wütender Kraft Kleinholz gemacht hat. Ich konnte sein Tun aus der Wäschekammer verfolgen und hörte mit einer gewissen Genugtuung und Freude die Axthiebe auf den Hackblock niedersausen.

Gestern waren Monsieur und Madame den ganzen Nachmittag in der Stadt. Monsieur suchte seinen Rechtsanwalt auf, Madame ihre Schneiderin! Wer es glaubt, wird selig.

Ich habe diese Atempause benützt, um im Nachbarhaus die Wirtschafterin zu besuchen. Ich habe die gute Rose erst einmal gesehen, aber nicht ihretwegen ging ich gestern hin, sondern ich wollte die Bekanntschaft ihres Herrn, des Hauptmanns Mauger, machen. Er soll ja eine tolle Nummer sein, ein ganz verrückter Kerl. Aussehen tut der! Stellen Sie sich vor: ein Gesicht wie ein Karpfen, dazu ein grauer Schnurrbart und ein ebenfalls grauer Vollbart unter dem Kinn. Er ist ein närrischer Kerl, ungemein lebhaft, sehr nervös, sehr agil, keine fünf Minuten hält er es an einer Stelle aus und arbeitet entweder im Garten oder in einer kleinen Baracke, wo er tischlert. Dazu singt er laut seine Soldatenlieder und ahmt die Töne der Regimentstrompete nach.

Sie haben nebenan einen sehr schönen Garten. Er ist alt und in viele Beete aufgeteilt, auf denen Blumen der Vergangenheit blühen, die man nur noch in ganz abgeschiedenen Landschaften oder in den Gärten sehr alter Pfarrer sehen kann.

Als ich ankam, saß Rose breit und bequem im Schatten einer Akazie. Sie war gerade beim Strümpfestopfen und hatte ihren Arbeitskorb vor sich auf einem Bauerntisch. Der Hauptmann kauerte im Gras, er trug eine ausgediente Polizistenkappe und verstopfte ein zerplatztes Wasserrohr.

Man empfing mich sehr artig. Rose schickte einen kleinen Burschen, der gerade beim Jäten des Margeritenbeetes war, ins Haus, um Mandelschnaps und Gläser zu holen.

Die ersten Höflichkeiten wurden ausgetauscht. Schließlich fragte mich der Hauptmann:

»Nun, wie steht's drüben? Ist Ihr Lanlaire noch immer nicht krepiert? Sie können sich rühmen, bei der ärgsten Kanaille angestellt zu sein! Arme Demoiselle, ich bedauere Sie aufrichtig. Sie tun mir wirklich leid.«

Er erzählte mir, daß er und Monsieur früher einmal dicke Freunde gewesen seien, aber Roses wegen hatten sie sich eines Tages zerstritten. Monsieur warf nämlich dem Hauptmann vor, mit seiner Hausangestellten viel zu familiär umzugehen, man lasse gewöhnlich Dienstboten nicht mit am Tisch essen.

An diesem Punkt unterbrach der Hauptmann die Erzählung und forderte mich sozusagen zu einer Zeugenschaft heraus.

»An meinem Tisch! Und wenn schon! Selbst wenn ich sie mit in mein Bett nähme, ginge ihn das nichts an. Sagen Sie selbst, kann mir das jemand verbieten? Geht ihn das etwas an?«

»Bestimmt nicht, Herr Hauptmann.«

Rose seufzte verschämt:

»Ein alleinstehender Herr, nicht wahr? Das ergibt sich doch von selbst!«

Seit diesem famosen Wortwechsel, der beinahe zu einem Handgemenge geführt hätte, verbrachten die alten Freunde ihre Zeit damit, sich gegenseitig Prozesse an den Hals zu hetzen und nebenbei auch allerhand Bosheiten zuzufügen. Sie haßten einander glühend.

»Ich also«, erklärte der Hauptmann, »ich werfe sämtliche Steine, die ich in meinem Garten finde, über die Hecke in Lanlaires Garten. Was kümmert's mich, wenn sie seine Glasbeete treffen. Um so besser, es freut mich! Oh, dieses Schwein! Passen Sie gut auf, Sie können es gleich erleben.«

Er stürzte sich auf einen Stein in der Nähe, um ihn aufzuheben, dann schlich er wie ein erfahrener Trapper bis zur Hecke und warf den Stein mit Wucht in unseren Garten. Im nächsten Augenblick hörte man das Glas splittern. Wie ein Sieger kroch er zu uns zurück und, geschüttelt von unterdrücktem Lachen, grölte er:

»Noch ein Beet zu Scherben
Glaser möcht was erben ... hihihihi.«

Rose beobachtete ihn mit mütterlicher Nachsicht. Mit heimlicher Bewunderung sagte sie zu mir:

»Ist er nicht spaßig, dieser große Junge? Wie jung er ist für sein Alter!«

Nachdem wir ein Gläschen Mandelschnaps geschlürft hatten, wollte der Hauptmann mich zu seinen Rosenbeeten führen. Rose entschuldigte sich, daß sie uns ihres Asthmas wegen nicht begleiten könne, meinte aber neckend:

»Bleibt nur nicht zu lange aus, ich behalte euch sowieso im Auge …«

Der Hauptmann führte mich durch Alleen zu seinen von Buchsbaum umsäumten Rabatten, die in voller Blüte standen. Er nannte mir den Namen der schönsten Blumen und vergaß nicht, hinzuzufügen, daß es bei dem Schwein Lanlaire keine ähnlichen Exemplare gäbe. Plötzlich pflückte er eine kleine orangenfarbene Blüte, drehte sie vorsichtig zwischen seinen Fingern und fragte dann:

»Haben Sie schon einmal davon gegessen?«

Ich war von dieser unerwarteten Frage so überrascht, daß mir die Rede stockte. Mauger versicherte mir, er habe schon öfter solche Blüten gegessen.

»Sie schmecken sehr pikant. Alle Blumen, die Sie da sehen, habe ich bereits gekostet. Darunter fand ich sehr wohlschmeckende. Andere wieder schmecken weniger gut, und natürlich gibt es welche, die überhaupt keinen Geschmack haben. Ich esse nämlich alles.«

Er kniff ein Auge zu, schnalzte, klopfte sich auf den Bauch und wiederholte mit einem seltsam drohenden, wenngleich verhaltenen Ton:

»Ja, ich esse nämlich alles.«

Die Art, in der er dieses befremdliche Bekenntnis, als handle es sich um eine Ehrensache, vor mir ablegte, reizte mich. Ich war entschlossen, ihn in seiner ausgefallenen Manie aufzustacheln, und beteuerte:

»Da gebe ich Ihnen vollkommen recht.«

»So gehört es sich auch«, sagte er selbstbewußt, »und ich esse nicht nur sämtliche Pflanzen, Demoiselle, sondern auch sämtliche Tiere. Tiere, die noch niemand außer mir aß, Tiere, die man kaum kennt. Ich esse einfach alles.«

Wir setzten unseren Weg fort, er führte über enge Pfade, blumenstrotzende Beete entlang, auf denen sich herrliche Exemplare im sanften Wind wiegten. Und da kam mir unwillkürlich die Idee, der Magen des Hauptmannes müsse beim Anblick solcher Köstlichkeiten vor Freude hüpfen. Und tatsächlich erschien seine Zunge zwischen den rauhen Lippen und leckte schmatzend darüber.

Er fuhr fort:

»Ich muß Ihnen gestehen, es gibt weder einen Vogel noch eine Insekten- oder Wurmart, die ich noch nicht versucht hätte. Ich habe Iltisse und Nattern, Ratten, Grillen und Raupen verspeist. Ich habe einfach alles gekostet. Die Leute hier im Umkreis kennen meinen Geschmack. Findet man irgendwo ein Tier lebend oder tot, dann heißt es gleich, das muß man dem Hauptmann Mauger bringen. Man bringt es mir, und ich esse es auf. Im Winter, wenn es recht kalt wird, findet man oft fremdländische Vögel. Man bringt sie mir, und ich esse sie. Ich glaube, daß es auf der ganzen Welt keinen Mann gibt, der so viel fremdes Zeug gegessen hat wie ich. Ich esse alles.«

Wir kehrten inzwischen zu Rose und den Akazien zurück, ich wollte mich endlich verabschieden, da rief der Hauptmann plötzlich:

»Ach, ich muß Ihnen ja noch etwas Komisches zeigen, etwas, das Sie sicher noch nie gesehen haben.«

Er erhob seine Stimme und rief dröhnend:

»Kléber! Kléber!«

Und dann sagte er zwischendurch, zu mir gewendet:

»Kléber ist mein Frettchen – ein kleines Phänomen …«

Und wieder rief er:

»Kléber! Kléber!«

Da erschien auch schon auf einem Zweig hoch über uns zwischen grüngelbem Laub ein rosiges Schnäuzchen, und zwei kleine schwarze Augen funkelten uns lebhaft an.

»Ah! Ich wußte es, daß er hier in der Nähe sein muß. Komm, komm näher, Kléber – tz! tz! tz!«

Das kleine Geschöpf kroch abwärts, wagte sich vom Zweig vorsichtig auf den Stamm, wobei es sich mit seinen Krallen in der Rinde festhielt. Sein Pelz war weiß mit leicht violetten Tupfen. Kléber bewegte sich geschmeidig und graziös, wie eine zierliche Schlange. Kaum auf dem Boden angelangt, schnellte er mit zwei Sätzen auf die Knie des Hauptmanns, der ihn erfreut und liebevoll zu streicheln begann.

»Ach, mein guter Kléber! Mein lieber, herziger, kleiner Kléber ...«

Und zu mir gewandt, fragte er:

»Haben Sie schon jemals ein so zutrauliches Frettchen gesehen? Es folgt mir überall im Garten, wie ein kleiner Hund. Ich brauche es nur zu rufen, dann ist es da, wackelt mit dem Schwänzchen und schaut mich an. Kléber ißt und schläft mit uns. Ich liebe dieses Tier wie einen Menschen. Stellen Sie sich bloß vor, Mademoiselle Célestine, daß man mir schon dreihundert Franc für Kléber geboten hat, und ich habe es abgelehnt, ihn wegzugeben. Nicht einmal für tausend wäre er mir feil, selbst nicht für zweitausend ... Das weißt du, Kléber, nicht wahr?«

Das Tierchen hob seinen Kopf, kletterte seinem Herrn auf die Schulter und bewies ihm unter tausend kleinen Zärtlichkeiten seine Anhänglichkeit, schließlich legte es sich ihm wie ein Pelzkragen um den Hals. Rose betrachtete wortlos diese Szene. Sie schien verstimmt.

Da durchzuckte mich eine teuflische Idee.

»Ich wette mit Ihnen, Herr Hauptmann, um jeden Preis, daß Sie Ihr Frettchen nicht essen würden.«

Der Hauptmann sah mich starr an. Dann wurde sein Blick dunkel und traurig. Die Augen wurden rund, seine Lippen zuckten.

»Kléber?« stammelte er, »Kléber – essen?«

Anscheinend war ihm so ein Gedanke noch nie gekommen. Ihm, der bisher alles durchprobiert hatte. Erstand ihm aus meiner seltsamen Frage eine neue, fremde Welt, erweckte meine Behauptung seine Neugierde nach einer unbekannten Delikatesse?

Gequält wie von einer unwiderstehlichen Gier erhob sich Mauger von seinem Sitz. Die Erregung des alten Mannes steigerte sich.

»Sagen Sie es noch einmal!« sagte er stotternd.

Ich wiederholte hartnäckig:

»Ich wette, daß Sie Ihr Frettchen nicht essen!«

»Sie behaupten, ich esse mein Frettchen nicht? Sie wagen es, das zu behaupten? Nun gut, das werden wir ja gleich sehen ... Ich esse alles!«

Er umschloß das Frettchen mit seiner Faust. Und er brach ihm das Rückgrat, als bräche er ein Stück Brot. Und warf das Geschöpfchen, das ohne zu zucken starb, auf den Sand der Allee. Dann rief er Rose zu:

»Mach mir aus ihm für heute abend ein Frikassee!«

Dann stürzte er wie ein Irrsinniger ins Haus zurück und verschloß die Tür.

Ich war einen Augenblick lang wie gelähmt vor Entsetzen. Dann stand auch ich auf, um zu gehen, ich war blaß vor Scham über die von mir begangene Gemeinheit. Rose begleitete mich ein paar Schritte. Sie lächelte:

»Ich bin über das Geschehene nicht böse, mir ist es sogar ganz gelegen gekommen«, gestand sie ungerührt. »Er hing schon zu sehr an seinem Frettchen. Ich will nicht, daß er sein Herz an irgendein Ding hängt. Ich finde, er liebt auch seine Blumen viel zu sehr.«

Nach einer kurzen Pause setzte sie hinzu:

»Aber Ihnen wird er das Geschehene nie verzeihen. Man darf solche Männer nicht herausfordern. Er ist doch schließlich ein alter Soldat!«

Und dann nach einigen Schritten:

»Sie sollten sich überhaupt in acht nehmen, Kleine, man beginnt schon über Sie zu klatschen. Unlängst hat man Sie mit Monsieur Lanlaire im Garten beobachtet. Glauben Sie mir, Sie sind zu leichtsinnig. Er wird Sie herumkriegen – wenn es ihm nicht bereits gelungen ist. Also, sehen Sie sich vor. Kaum gehabt, und es gibt ein Kind.«

Als sie hinter mir das Gartengitter geschlossen hatte, rief sie mir zu:

»Also, auf Wiedersehen! Ich gehe jetzt mein Frikassee machen!«

Für den Rest des Tages sah ich immer wieder den armen kleinen Kadaver vor mir im Sand liegen. Dort drüben auf dem Sand der Allee.

 

Als ich heute beim Abendessen das Dessert servierte, sagte Madame in strengem Ton zu mir:

»Wenn Sie Pflaumen so sehr lieben, dann ersuchen Sie mich gefälligst darum. Ich werde Ihnen dann schon sagen, ob Sie welche nehmen dürfen oder nicht. Jedenfalls verbiete ich Ihnen, von unserem Obst zu stehlen!«

Ich antwortete:

»Ich bin keine Diebin, Madame, und Pflaumen mag ich überhaupt nicht.«

Aber dieses Weib bestand darauf:

»Und ich sage Ihnen, daß Sie Pflaumen von diesem Teller genommen haben!«

Ich entgegnete:

»Wenn Madame mich für eine Diebin hält, kann Sie mich ja entlassen.«

Madame riß mir den Teller mit den Pflaumen aus der Hand.

»Monsieur hat heute vormittag fünf gegessen. Es waren insgesamt zweiunddreißig auf diesem Teller. Jetzt sind es nur mehr fünfundzwanzig. Es fehlen also zwei. Daß mir das nicht wieder vorkommt.«

Es stimmte. Ich habe wirklich zwei gegessen. Sie hatte sie also gezählt!

Da hört sich doch alles auf!


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