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II.

15. September

Da fällt mir ein, daß ich noch gar nicht den Namen meiner Herrschaft erwähnt habe. In meinen Ohren klingt er albern und komisch: sie nennen sich Lanlaire. Monsieur und Madame Kehrreim. Dieser Name fordert zu Scherzen heraus. Und ihre Vornamen sind noch komischer: Monsieur heißt Isidore, Madame Euphrasie ... Euphrasie! Klingt das nicht lächerlich?

Die Krämerin, bei der ich meinen Vorrat an Nähseide ergänzen wollte, hat mir Auskünfte über die Familie gegeben. Das war nicht gerade ermunternd. Allerdings mußte ich zugeben, daß ich noch niemals einem so gemeinen, klatschsüchtigen Frauenzimmer begegnet bin. Wenn die Kaufleute, die meine Herrschaft zu ihren Kunden zählen, so über sie reden, was sagen erst die anderen, die nicht ihre Lieferanten sind? Ah, die haben aber Klatschmäuler in der Provinz! Donnerwetter!

Der Vater von Monsieur war Tuchfabrikant und Bankier in Louviers. Er machte auf betrügerische Weise Bankrott und ruinierte alle kleinen Kaufleute in der Provinz, aber er bekam nur zehn Jahre Gefängnis, und das scheint mir ein mildes Urteil in Anbetracht aller Betrügereien und Fälschungen, die er begangen hat. Er starb während der Haft, die er in Gaillon absitzen sollte. Immerhin hatte dieser Verbrecher noch vierhundertfünfzigtausend Franc rechtzeitig beiseite geräumt, die den ruinierten Gläubigern unterschlagen wurden und jetzt das ganze Vermögen von Monsieur darstellen. Auf diese Weise kommt der Schlaue zu Geld.

Weitaus schlimmer klingt die Sache mit dem Vater von Madame, der zwar nicht im Gefängnis saß, sondern als ehrenhafter und von allen anständigen Leuten geachteter Mann gestorben war. Er war Menschenhändler. Die Krämerin erklärte mir, daß unter Napoleon III. nicht alle jungen Männer Soldaten zu werden brauchten, wie es heute Gesetz ist. Die Söhne reicher Eltern, die das Los getroffen hatte, konnten sich an eine Agentur oder an einen Mann wenden, der für ein Entgelt, das je nach Konjunktur zwischen 1000 und 2000 Franc schwankte, einen armen Teufel beschaffte, der an ihrer Statt die siebenjährige Militärdienstzeit abdiente und im Kriegsfall für sie starb. In Frankreich wurde also seinerzeit mit weißem Fleisch gehandelt wie in Afrika mit schwarzem. So wie es Viehmärkte gab, gab es auch Menschenmärkte, nur waren die Menschen für ein viel grausameres Schlachten bestimmt. Eigentlich wundert mich das gar nicht, gibt es heute nicht Ähnliches? Sind die Stellenvermittlungsbüros oder die Bordelle vielleicht etwas anderes als Sklavenmärkte – ein Anbieten von Menschenfleisch?

Wie die Krämerin weiter berichtete, war dieses schändliche Gewerbe ein sehr einträgliches Geschäft, und der Vater von Madame, der den Menschenhandel des ganzen Departements an sich gebracht hatte, entwickelte eine enorme Tüchtigkeit. Das heißt, er ließ den Hauptanteil der Summe, die für einen Rekruten bezahlt wurde, in die eigene Tasche fließen. Vor zehn Jahren starb er als Bürgermeister von Mesnil-Roy, Fabrikdirektor, stellvertretender Friedensrichter, Schatzmeister des Wohlfahrtsamtes und mit Auszeichnungen dekoriert, kurz als Ehrenmann. Mit Ausnahme von Prieuré, das er für ein Butterbrot gekauft hatte, hinterließ er zwölfhunderttausend Franc, wovon sage und schreibe sechshunderttausend an Madame gingen und die andere Hälfte an seinen mißratenen Sohn, einen Tunichtgut, über dessen Verbleib nichts bekannt ist. Nun gut, da kann man sagen was man will, ich kann es nicht sauberes Geld nennen, wenn es überhaupt in diesem Leben so etwas wie Sauberkeit gibt. Ich jedenfalls kenne nur schmutziges Geld und schmutzigen Reichtum.

Diese Lanlaires – ist es nicht zum Kotzen? – besitzen also über eine Million. Sie tun nichts als sparen. Das gemeinste ist, daß sie kaum ein Drittel ihrer Einkünfte ausgeben. Auf solche Knauserer kann man doch eine Stinkwut kriegen. Sie gönnen sich nichts und den anderen erst recht nichts. Wo sie können, handeln sie etwas ab, bei jeder Rechnung erheben sie ein Geschrei, sie sind wortbrüchig und halten sich notfalls höchstens an das, wofür eine schriftliche Abmachung vorliegt. Vor diesen Leuten muß man sich in acht nehmen. Man darf ihnen nie die kleinste Gelegenheit bieten, Streit anzufangen. Den kleinen Kaufleuten zahlen sie überhaupt nichts, denn die können sich keinen Anwalt leisten. So machen sie es mit allen, die sich nicht wehren können, natürlich geben sie auch keine Spenden, höchstens von Zeit zu Zeit der Kirche, denn sie sind wie alle derartigen Schurken sehr bigott. Die Armen aber lassen sie vor ihrer Tür stehen, mögen sie auch noch so jammern und schließlich vor Hunger krepieren. Die Tür von Prieuré bleibt ihnen verschlossen ...

»Ich glaube, wenn sie die Bettler bestehlen könnten«, sagte die Händlerin, »dann würden sie ihnen den Beutel umstülpen. Ja, ich bin sicher, sie hätten eine diebische Freude daran.«

Und um mir den letzten Zweifel an der Monstrosität meiner Herrschaft zu nehmen, fügte sie hinzu:

»Wenn wir kleinen Leute, die sich mühsam durchs Leben bringen, Gebackenes für die Hostien geben, dann nur mürbes Gebäck. Das gehört sich so, das ist für uns Ehrensache. Und was, glauben Sie, geben Ihre geizigen Herrschaften? Brot, Mademoiselle, und nicht einmal Weißbrot, auch kein erstklassiges Graubrot, sondern dunkles Brot, wie es die Arbeiter essen. Ist das nicht schändlich, so reiche Leute und so schäbig? Madame Paumier, die Frau des Faßbinders, hat sogar eines Tages mit angehört, wie Madame Lanlaire zum Pfarrer sagte, als er ihr schüchtern ihre Sparsamkeit vorwarf: ›Herr Pfarrer, für diese Landleute hier ist das noch immer gut genug.‹«

Aber ich will trachten, den Menschen gerecht zu werden, selbst wenn es um meine eigene Herrschaft geht. Findet sich auch keiner, der Madame etwas Gutes nachsagt, so kommt Monsieur entschieden besser weg, denn ihn haßt man nicht, und jeder gibt gerne zu, daß er nicht hochmütig ist. Ja, man hört sagen, daß er freigebig wäre und Gutes täte, wenn Madame es ihm erlaubte. Leider hat der arme Mensch in seinem eigenen Haus nichts zu sagen. Weniger als die Dienstboten, die bei Gott nichts zu lachen haben, weniger als die Katze, der alles erlaubt ist. Um seiner Ruhe willen hat er mit der Zeit auf seine Hausherrenautorität verzichtet, sogar auf seine Würde als Mann. Madame dirigiert, organisiert und regelt alles. Sie herrscht über Stall und Geflügelhof, überall findet sie etwas auszusetzen. Sie befiehlt, was im Garten gepflanzt wird und was nicht gepflanzt werden darf. Dauernd glaubt sie bestohlen zu werden. Die hat vielleicht scharfe Augen! Nichts entgeht ihr. Unvorstellbar! Ihr kann man nichts vormachen, die kennt alle Tricks, und sie ist es, der man hier im Haus alle Rechnungen präsentieren muß, die Pacht und Zinsen einstreicht und alle Abmachungen mit den Geschäftsleuten trifft. Sie ist routiniert wie ein erfahrener Buchhalter und schlau wie ein Gerichtsvollzieher, und ihre Methoden sind so gerissen wie die eines genialen Wucherers. Unbeschreiblich. Natürlich hat sie die Hand auf der Börse und tut sie überhaupt nur auf, um noch mehr Geld hineinzuzwängen. Monsieur erhält keinen Sou von ihr, oft hat der arme Kerl nicht einmal Geld genug für Tabak. Inmitten seines Reichtums ist er noch ärmer als alle hier. Aber er läßt sich's gefallen, er lehnt sich nicht dagegen auf. Er zieht den Kopf ein wie die Dienstboten. Oft schleicht er wie ein geprügelter Hund herum und macht eine recht komische Figur. Wenn Madame einmal nicht zu Hause ist, und es kommt ein Lieferant mit einer Rechnung, der auf ein Trinkgeld wartet, das mit anzusehen macht sich bezahlt. Dann wühlt Monsieur in seiner Hilflosigkeit in seinen Taschen herum, sucht, findet nichts und murmelt endlich mit einem traurigen Hundeblick:

»Also so etwas! Ich habe kein Kleingeld bei mir ... nur Tausendfrancscheine. Können Sie auf tausend Franc herausgeben, guter Mann? Nein? Schade. Dann müssen Sie leider noch einmal bei uns vorbeikommen …«

Ausgerechnet tausend Franc! Das sagt er, der nie einen Sou bei sich hat! Diese Armseligkeit von ihm geht bis zu seinem Briefpapier, das Madame hier im Schreibtisch verschließt und nur sehr widerwillig Bogen für Bogen herausrückt. Dazu zetert sie:

»Schon wieder Briefpapier! Wem schreibst du denn, daß du laufend solche Unmengen davon verbrauchst!«

Unverständlich bleibt jedem, das kann man ihm vorwerfen, seine erbärmliche Schwäche, mit der er sich dieser Megäre ausgeliefert hat. Überall weiß man, wer hier im Haus das Regiment führt, weil Madame selbst nicht davor zurückschrickt, die Zustände in dieser Wirtschaft publik zu machen. Überdies: Monsieur und Madame leben nicht wie richtige Eheleute miteinander, sie ist angeblich krank und soll keine Kinder haben, und eheliche Pflichten verursachen ihr unerträgliche Schmerzen … Zu diesem Thema gibt es eine hübsche Geschichte, die hier im Land kursiert ...

Eines Tages vor der Beichte setzte Madame dem Pfarrer diesen Fall auseinander und fragte, ob es ihr erlaubt sei, ihren Mann ein bißchen zu beschummeln.

»Was verstehen Sie unter beschummeln, mein Kind?« fragte der Pfarrer.

»Wie soll ich das erklären, mein Vater?« antwortete Madame verlegen, »eben bei gewissen Liebkosungen ...«

»Gewissen Liebkosungen ... Aber mein Kind ... Sie sind sich anscheinend nicht darüber im klaren ... Gewisse Liebkosungen bedeuten soviel wie Todsünden!«

»Deswegen bin ich ja hier, mein Vater, und bitte um Genehmigung der Kirche ...«

»Ja! ... Ja! ... Aber schließlich – wie oft finden diese Liebkosungen statt?«

»Mein Gatte ist ein robuster Mann – sehr gesund – zweimal die Woche vielleicht ...«

»Zweimal die Woche? Das ist oft – zu oft ... Das grenzt an Ausschweifung – selbst wenn ein Mann sehr robust ist, wie Sie sagen, benötigt er nicht zweimal die Woche gewisse – gewisse Liebkosungen …«

Er verstummte und dachte eine Weile angestrengt nach, dann sagte er gefaßt:

»Nun gut, es sei. Ich gestatte Ihnen gewisse Liebkosungen zweimal die Woche – jedoch unter der strikten Bedingung, erstens: daß Sie dabei absolut kein sündiges Vergnügen verspüren ...«

»Oh, das schwöre ich Ihnen, mein Vater!«

»Zweitens: daß Sie jährlich zweihundert Franc für den Altar unserer Allerheiligsten Jungfrau spenden ...«

Madame erschrak.

»Zweihundert Franc«, wiederholte sie konsterniert. »Geld für so was? O nein!«

Sie erhob sich brüsk und verließ den Pfarrer ohne zu grüßen.

»Und nun frage ich Sie«, schloß die Händlerin den Bericht, »warum ist Monsieur so ein gutmütiger Pantoffelheld, warum läßt er sich von seiner Frau derart tyrannisieren, die ihm weder Geld noch ein wenig Vergnügen gönnt? Ich an seiner Stelle würde sie Mores lehren und sie bald zur Vernunft bringen. Das wäre doch gelacht ...«

Soweit schön, soweit gut, aber in Wirklichkeit ist alles anders. Monsieur, ein kräftiger, bescheidener Mann, durchaus den Freuden des Lebens nicht abgekehrt, kann sich nur auf Umwegen ein bißchen Liebe gönnen oder auch nur einem Armen etwas Gutes tun. Er muß die schäbigsten Schwindeleien erfinden, denn wenn Madame ihm hinter seine Schliche kommt, gibt es schauderhaften Krach, und dieser Zustand zieht sich oft durch Monate hin. Dann sieht man Monsieur ins Freie fliehen, um wie ein Verrückter durch die Landschaft zu toben, um sich Luft zu machen. Mit wütenden Sprüngen jagt er über die Felder, zerstampft unter drohenden Gesten Erdklumpen, spricht mit sich selbst, schreit den Wind an, brüllt in den Regen und fuchtelt mit den Armen im Schneegestöber. Schließlich schleicht er nach Hause, noch reuiger, noch vernichteter, noch besiegter als je zuvor.

Das Merkwürdige, das Niederdrückende an dieser ganzen Geschichte scheint mir folgendes zu sein: trotz aller bösen Nachreden, trotz aller abscheulichen Enthüllungen, die von Mund zu Mund, von Haus zu Haus, von Geschäft zu Geschäft getragen werden, hört man heraus, daß man die Lanlaires hierzulande nicht verachtet, sondern vielmehr beneidet. Das Volk umgibt dieses Paar trotz unsozialen Betragens, trotz verbrecherischer Nichtswürdigkeit und der Last ihrer scheußlich erworbenen Millionen, mit einem Glorienschein von Respektabilität, der beinahe an Ruhm grenzt. Man grüßt sie ehrfurchtsvoller als andere, man hofiert ihnen mehr als anderen. Kriecherisch und scheinheilig wird die verrottete Bude dieser Krämerseelen Schloß Prieuré genannt! Verliert sich einmal ein Fremder hierher, will er nach den Sehenswürdigkeiten der Umgebung fragen, dann bin ich sicher, daß selbst die Auskunft der eben noch so gehässigen Krämerin lauten würde: »Wir haben eine schöne Kirche, einen hübschen Brunnen, aber vor allem haben wir hier etwas, was die Wespen besonders anzieht – die Lanlaires. Die Lanlaires besitzen mehr als eine Million und wohnen in einem Schloß ... Es sind zwar ekelhafte Leute, aber wir sind sehr stolz auf sie.«

Anbeter des Goldenen Kalbes! Alle! Durch die Bank! Nicht nur ein niedriger, ausschließlich der Bourgeoisie eigener Instinkt, sondern ebenso vertreten bei den Habenichtsen, den kleinen Leuten. Zum Beispiel ich mit meinen anspruchsvollen Allüren und mit meinen nicht versiegenden Drohungen, es ihnen einmal heimzuzahlen, kann mich von der Faszination des Geldes nicht befreien. Reichtum imponiert mir, dem verdanke ich meinen Haß, meine Schmerzen, meine Laster, meine beschämendsten Demütigungen, unerfüllbare Träume, nie endende Quälereien. Und dennoch sehe ich zu einem Reichen auf wie zu einem höheren Wesen, wie zu einer strahlenden Gottheit. Und gegen meinen Verstand und meinen Willen erhebt sich in mir eine maßlose Bewunderung für diese vom Glück bevorzugten Geschöpfe, die oft nur Trottel und manchmal sogar Verbrecher sind. Ist das nicht blöd? Warum? Warum ist das so?

Nachdem ich den seltsamen Laden der schmutzigen Krämerin verlassen hatte, wo ich übrigens nicht einmal die fehlende Nähseide gefunden hatte, beschäftigte mich alles, was dieses Weib mir über die Lanlaires erzählt hatte. Draußen nieselte es, der Himmel war so schmierig wie die schmutzige Seele einer Klatschbase. Einmal glitt ich auf dem schlüpfrigen Dorfpflaster aus. Und wütend über mich selbst, über diesen schmutzigen Provinzhimmel und über den Dreck dieser Kleinstadt, in dem meine Füße strauchelten und mein Herz erzitterte, stapfte ich unentwegt dahin und schimpfte in mich hinein:

»Na schön, da haben wir die Bescherung! Das hat mir gerade noch gefehlt ... Da bin ich fein hereingeschlittert!«

 

Oje, da bin ich fein hereingeschlittert! Hier das Neueste:

Meine neue Herrin kleidet sich allein an und frisiert sich sogar selbst. Sie verriegelt die Tür zu ihrem Badezimmer, ich darf nie hinein. Gott weiß, was sie da drinnen stundenlang treibt! Heute abend konnte ich mich nicht länger zurückhalten und klopfte einfach an ihre Tür. Und nun folgte eine kleine Konversation, zwischen mir und Madame.

»Tok, tok!«

»Wer ist da?«

Oh, wenn ich diese säuerliche, scharfe Stimme höre, die man am liebsten mit einem Klaps auf den Mund zum Verstummen bringen möchte!

»Ich bin es, Madame.«

»Was wollen Sie?«

»Ich komme, um das Bad zu richten ...«

»Es ist bereits gerichtet. Verschwinden Sie ... Und kommen Sie nur, wenn ich läute!«

Na schön, in diesem Haus bin ich also nicht einmal Kammerzofe. Wozu bin ich überhaupt hier? Und was sind meine Aufgaben? Denn gerade das, was mir an diesem Beruf Spaß macht, das erlaubt man mir hier nicht: anziehen, ausziehen, frisieren ...

Es macht mir Spaß, meine Herrinnen nach dem Bad zu frottieren, sie zu pudern, ihre Füße zu pflegen, ihren Busen zu parfümieren, ihr Haar zu bleichen, kurz gesagt, sie von den Haarspitzen bis zum Absatz ihrer Pantöffelchen kennenzulernen, sie nackt zu sehen, ganz nackt, denn auf diese Weise werden sie für mich etwas ganz anderes, sie sind keine Vorgesetzten mehr, sie entwickeln sich zu Freundinnen oder Komplicen, mitunter sogar zu Sklavinnen. Zwangsläufig wird man zur Vertrauten in vielen Dingen, man lernt ihren Kummer, ihre Laster, ihre Enttäuschungen, ihre intimsten Geheimnisse und ihre Krankheiten kennen, ganz abgesehen davon, daß man sie mit ein wenig Geschick bald in der Hand haben kann, ohne daß sie es merken, da kann man dann allerhand profitieren. Das ist gleichzeitig amüsant und einträglich. So verstehe ich jedenfalls den Beruf einer Kammerzofe.

Man macht sich ja gar keine Vorstellung davon, wieviel Indezentes, wieviel Narrheit in solcher Intimität zutage tritt, sogar bei Damen, die in der Gesellschaft für äußerst zurückhaltend und prüde gelten und als unbesiegbare Tugendgöttinnen verschrien sind. Ja, ja. in den Badezimmern fallen die Masken! Da stürzen die stolzesten Fassaden ein, die abweisenden Mauern werden rissig und bröckeln ab!

Ich war einmal bei einer, die hatte einen komischen Tick. Eine Art Zwangsvorstellung. Jeden Morgen, bevor sie ins Hemd schlüpfte, und jeden Abend, wenn sie es ausgezogen hatte, blieb sie nackt vor ihrem Ankleidespiegel stehen und prüfte stundenlang minutiös ihren Körper. Einmal streckte sie den Oberkörper vor und bog den Kopf in den Nacken, oder sie hob plötzlich mit einer Bewegung die Arme hoch, so daß ihre Hängebrüste, die wirklich nur noch schlaffe Lappen waren, sich ein wenig emporreckten. Und dann sagte sie zu mir:

»Célestine, schauen Sie mich an. Sie sind doch eigentlich noch ganz fest, nicht wahr?«

Da konnte man vor Lachen zerplatzen. Denn der Körper der Madame – oh, welch beklagenswerte Ruine! Wenn nämlich das Hemd gefallen und Madame ihrer Stützen und Bandagen ledig war, da bekam man geradezu Angst, ihr Leib würde sich wie eine zähe Masse auf das Parkett ergießen. Der Bauch, der Podex, die Brüste, nur noch leere Schläuche, fette lose Falten, wie ausgeplünderte Taschen. Und erst ihre Schenkel! Die waren weich und porig wie uralte Schwämme. Aber merkwürdig, selbst in dieser Auflösung der Formen war noch eine gewisse schmerzliche Grazie zu erkennen oder, besser gesagt, Erinnerung an die Anmut einer einstmals schönen Frau, die allzusehr für die Liebe gelebt hatte. Dank der von Gott gewollten Blindheit, mit der die meisten alternden Kreaturen behaftet sind, bemerken sie das unaufhaltsame Dahinwelken gar nicht. Sie verdoppeln ihre Anstrengungen und wenden alle Raffinessen an, um sich die Liebe der Männer zu erhalten, sie anzulocken. Und die Liebe gehorcht diesem letzten Ruf ... Aber wie! Und woher? Ach, das ergab eine wehmütige Geschichte.

Manchmal kam Madame in allerletzter Minute zum Abendessen nach Hause, atemlos, verwirrt, verlegen.

»Schnell, schnell – ich habe mich verspätet ... Helfen Sie mir beim Umkleiden ...«

Woher kam sie in diesem unbeschreiblichen Zustand? Sie schien mir um Jahre gealtert, ihre Augen waren eingefallen, und sie ließ sich wie am Ende ihrer Kräfte auf den Diwan ihres Ankleidezimmers fallen.

Welch ein Zustand! Das Hemd war zerrissen und befleckt! Die Unterröcke schlampig zugeknöpft, das Korsett saß verkehrt und war nicht zugehaftelt, die Strumpfbänder hingen lose, die Strümpfe waren zusammengeringelt. Und dazu dieses zerwühlte Haar! Hie und da hingen ein paar Fädchen von einem Bettuch oder Federn wie aus einem Kopfkissen daran. Der Lack der Schminke war anscheinend von Küssen auf Mund und Wangen abgeblättert, so daß die Falten in dem zerstörten Gesicht sich in grausamer Weise abzeichneten.

Um meinen Argwohn zu zerstreuen, seufzte sie:

»Ich weiß nicht, was heute mit mir los ist, plötzlich erlitt ich bei der Schneiderin einen Schwächeanfall. Sie mußten mich ausziehen ... Ich bin noch immer ganz elend ...«

Und oft tat ich aus Mitleid so, als glaubte ich ihren stupiden Erklärungen.

Als ich eines Morgens gerade im Zimmer von Madame beschäftigt war, läutete es. Ich ging öffnen, weil der Kammerdiener ausgegangen war. Ein junger Mann trat ein, ein ziemlich zweideutiger Typ, finster und lasterhaft, halb Arbeiter, halb Herumtreiber, jedenfalls hatte er eine verdammte Ähnlichkeit mit jenen unangenehmen Erscheinungen, die man auf dem Bal Dourlans sehen kann, Burschen, die von Mord oder von der Liebe leben. Er hatte ein sehr blasses Gesicht, einen kleinen schwarzen Schnurrbart, und er trug eine rote Krawatte. Seine Schultern verschwanden fast in einer viel zu weiten Jacke, und er bewegte sich schlenkernd und schlaksig wie ein Bengel auf dem Strich. Mit verkniffenen Blicken inspizierte er sichtlich überrascht den Luxus des Vorzimmers, die Teppiche, die Spiegel, die Gemälde und die Tapeten. Und dann hielt er mir ein Billett für Madame entgegen und sagte mit lässiger Stimme und in einem versteckten Befehlston:

»Man erwartet eine Antwort.«

Kam er in eigener Sache? Oder war er nur Überbringer einer Nachricht? Ich verwarf diese zweite Hypothese, denn Leute, die von anderen geschickt werden, pflegen nicht so unverschämt aufzutreten.

»Ich will nachsehen, ob Madame zu Hause ist«, sagte ich zurückhaltend und drehte den Brief abwartend in den Händen.

»Sie ist da, ich weiß es – nur keine faulen Ausreden! Die Angelegenheit ist dringend.«

Madame las den Brief. Sie wurde totenblaß, und sichtlich aus der Fassung geraten, stammelte sie:

»Er ist hier? In der Wohnung? Sie haben ihn im Vorzimmer allein gelassen? Wieso weiß er überhaupt meine Adresse?«

Aber sie faßte sich schnell wieder und gewann beinahe ihre Leichtigkeit wieder:

»Nichts von Bedeutung – ich kenne ihn kaum – ein armer Teufel. Ganz interessant zuweilen. Seine Mutter liegt im Sterben ...«

Madame öffnete ziemlich hastig ihren Schreibtisch und holte mit zitternden Händen einen Hundertfrancschein hervor:

»Geben Sie ihm das, rasch, rasch ... Der arme Junge …«

»Potztausend«, murmelte ich und verbarg mit Mühe ein Grinsen, »heute ist Madame aber sehr freigebig. Was für ein Glück für den armen Jungen«, und auf das Wort »arm« legte ich eine ganz niederträchtige Betonung.

»So gehen Sie doch endlich«, sagte sie, und ich bemerkte, daß sie sich nur mit Mühe aufrecht hielt.

Als ich wieder zu Madame zurückkehrte, hatte sie, sonst die personifizierte Unordnung, bereits den Brief in winzige Schnipsel zerrissen und ins Feuer gesteckt, ich sah, wie sie im Kamin verkohlten.

Ich habe niemals in Erfahrung bringen können, was für ein Individuum das war. Der Kerl tauchte auch nie wieder auf. Aber schließlich weiß ich, was ich gesehen habe, und ich weiß auch, daß Madame an diesem Morgen nicht vor dem Ankleidespiegel nackt posierte und daß sie mich nicht herbeirief, um die Festigkeit ihrer armseligen Brüste zu bezeugen. An diesem Morgen wagte sie es nicht. Sie blieb den ganzen Tag zu Hause, wirkte unruhig und etwas fiebrig, so, als litte sie unter großer Angst.

Aber wenn sich Madame in den nächsten Tagen am Abend verspätete, geriet ich ernsthaft in Sorge. Ich befürchtete, man hätte sie vielleicht in der Hofstube irgendeiner Kaluppe umgebracht. Wenn wir an solchen Abenden im Gesindezimmer über meine Sorgen sprachen, knurrte der alte häßliche Hausverwalter mit dem dunklen Fleck auf der Stirn und sagte zynisch:

»Na, und wenn schon? Was geht Sie das an? Warum regen Sie sich auf? Statt den Zuhältern oder einem gewerbsmäßigen Lustbuben nachzulaufen, sollte sich die alte Schlampe besser an einen vertrauenswürdigen Kerl im eigenen Hause wenden. Hab' ich nicht recht?«

»An Sie vielleicht?« sagte ich grinsend.

Der häßliche Zwerg warf sich in die Brust und antwortete, begleitet vom amüsierten Gelächter der anderen:

»Warum nicht? Das kann ich ihr für ein entsprechendes Trinkgeld gerne besorgen.«

Welch eine Perle war dieser Kerl!

 

Meine vorletzte Herrin, die hatte es auch wieder in sich. Wie oft haben wir uns in der Gesindestube, wenn wir alle nach Tisch beisammensaßen, über sie amüsiert! Heute sage ich mir, daß wir ihr unrecht taten, denn Madame war gar keine so schlechte Frau. Sie war sehr sanft, sehr freigebig, sehr unglücklich. Sie überhäufte mich mit Geschenken. Ja, manchmal ist man eben gemein, das gebe ich offen zu, und immer trifft das diejenigen, die uns menschenwürdig behandeln.

Die Ärmste war mit einem Wissenschaftler verheiratet, einem Mitglied von irgendeiner Akademie, ich weiß nicht, welcher, und er vernachlässigte sie schändlich. Er hatte keinen Grund dazu, sie war nicht häßlich, im Gegenteil, sie war hübsch. Er strich auch nicht um andere Frauen herum, sondern er war geradezu vorbildlich solide. Und da er nicht mehr der jüngste war und sich aus ehelichen Intimitäten anscheinend nichts machte, ließ er Madame monatelang Nacht für Nacht allein, und die Ärmste verzweifelte. Abend für Abend schmückte sie sich für eine Liebesnacht mit ihm, mit durchsichtigen Nachthemden, mit verführerischen Düften und was sonst noch dazugehört. Dann fragte sie mich hoffnungsvoll:

»Nicht wahr, Célestine, heute nacht wird er bestimmt kommen. Wissen Sie zufällig, was er jetzt am Abend treibt?«

»Monsieur ist in der Bibliothek, Madame, er arbeitet.«

Sie sagte:

»So, so, er arbeitet. Mein Gott, immer diese Bibliothek.« Und dann seufzte sie: »Aber vielleicht kommt er dennoch heute abend.«

Ich fuhr fort, sie herauszuputzen, und betrachtete zufrieden ihre Schönheit, die ja auch ein wenig mein Werk war. Schließlich rief ich entzückt:

»Monsieur wäre schön dumm, wenn er heute nacht nicht zu Ihnen käme. Madames Anblick würde ihm bestimmt einheizen.«

»Ach, seien Sie still – ganz still ...« sagte sie, vor Zweifel erschauernd.

Natürlich gab es am nächsten Morgen wieder Gejammer und Tränen.

»Er ist nicht gekommen, Célestine, ich habe die ganze Nacht gehofft und gewartet – aber er kam nicht. Ich glaube, er kommt nie mehr.«

Ich tröstete sie nach Kräften.

»Wahrscheinlich fühlt er sich nach der Arbeit stark ermüdet. Die Wissenschaftler haben eben ganz andere Dinge im Kopf. Was wissen wir Frauen darüber ... Nicht das geringste. Vielleicht sollten Sie es mit gewissen Büchern versuchen, Madame, es soll Werke mit sehr pikanten Illustrationen geben. Schöne Gravüren, Madame, die selbst den nüchternsten Mann sexuell aufregen.«

»Nein, nein – wozu?«

»Und wenn Madame jeden Abend raffiniert gewürzte Speisen servieren ließe? Krebse zum Beispiel, oder ...«

»Nein, nein –!«

Sie ließ entmutigt ihr hübsches Köpfchen sinken.

»Er liebt mich nicht mehr, das ist mein Unglück. Er liebt mich nicht mehr.«

Plötzlich fragte sie mich schüchtern, ohne Haß, fast flehend:

»Célestine, seien Sie offen zu mir ... Hat Monsieur Sie noch nie in eine Ecke gedrängt? Hat er Sie noch nie umarmt? Hat er niemals versucht ...?«

Ideen hatte diese arme Frau!

Ich rief entrüstet:

»Mein Gott, wofür hält mich Madame? Ich bin doch nicht … Monsieur hat dafür gar nichts übrig ... Halten Sie mich für fähig, Ihnen etwas anzutun, was Sie kränken müßte?«

Sie beschwor mich:

»Sie müßten es mir sagen, Célestine, Sie sind ein hübsches Mädchen, Sie haben so verführerische Augen! Sicher haben Sie einen sehr schönen Körper!«

Und nun zwang sie mich, ihre Beine, ihren Busen, ihre Hüften und Arme zu betasten, sie verglich meinen Körper mit dem ihren und vergaß dabei so vollkommen jede Scham, daß ich unwillkürlich errötete und mir Skrupel machte, ob das nicht ein Trick von ihr sei und ob sie vielleicht in der Verzweiflung der verschmähten Gattin ein ziemlich eindeutiges Gefühl für mich verstecke. Sie hörte nicht auf zu seufzen und zu stöhnen:

»Mein Gott! Mein Gott! ... Immerhin – ich bin doch noch nicht alt! Ich bin doch keine häßliche Frau! Nicht wahr? Habe ich vielleicht einen Bauch? Ist mein Körper nicht mehr fest und geschmeidig? Und wenn Sie wüßten, Célestine, ich habe soviel Liebe in mir, soviel Liebe, die unerwidert bleibt!«

Manchmal brach sie nach solchen Gesprächen plötzlich in Tränen aus. Sie schluchzte zum Erbarmen, warf sich auf ihren Diwan, wühlte ihr Gesicht in ein Kissen und jammerte halb erstickt:

»Ach, Célestine, lieben Sie niemals ... Liebe macht ja so unglücklich!«

Und als sie einmal noch viel heftiger weinte als sonst, sagte ich plötzlich unverblümt zu ihr:

»Ich, an Madames Stelle, würde mir einen Liebhaber nehmen … Madame ist viel zu schön, um so zu verkümmern.«

Sie aber war durch meine Worte peinlich berührt.

»Célestine – still, um Gottes willen!«

»Wenn Madame so verliebter Natur ist. dann ...«

Da nannte ich ihr ruhig und unverschämt den Namen eines sehr eleganten jungen Mannes, der öfters ins Haus kam, und ich fügte hinzu:

»Ein geborener Liebhaber ... Das wäre der Richtige für Sie, einer, der ein wirklicher Mann ist und aufmerksam und verständnisvoll mit Frauen umzugehen versteht!«

»Nein, nein – hören Sie auf! Sie wissen anscheinend gar nicht, was Sie da reden ...«

»Wie Madame wünschen ... Ich habe es wirklich gut mit Madame gemeint.«

Aber die Ärmste klammerte sich auch weiter an ihren Traum. Während Monsieur im Lampenschein in der Bibliothek Zahlen an Zahlen reihte und mit Zirkel und Kompaß hantierte, wiederholte sie:

»Vielleicht kommt er heute nacht!«

Jeden Morgen gab es beim kleinen Frühstück in der Gesindestube dasselbe Gesprächsthema. Man informierte sich bei mir über die herrschaftlichen Intimitäten.

»Na, wie steht's, Célestine? Hat es zwischen den beiden endlich geklappt?«

»Keine Spur.«

Zum Teufel, das bot eine unerschöpfliche Gelegenheit für derbe Witze, obszöne Bemerkungen und respektloses Gekicher, ja, man schloß sogar Wetten ab, an welchem Monatstag es doch noch klappen könnte.

Nach einem unserer aussichtslosen Dispute, bei dem ich ziemlich im Unrecht war, kündigte ich und verließ meine hilflose Gnädige. Sie, die tief erstaunt über mein unkorrektes Vorgehen war, die mir so lange ihre liebearme, nach Liebe dürstende Seele aufgeschlossen und all ihren Kummer anvertraut hatte, wurde schändlich verlassen. Damit nicht genug, ich warf ihr noch all ihre Kümmernisse wie ein dreckiges Fetzenbündel ins Gesicht. Ja, ich tat noch ärgeres, ich bezichtigte sie heimlicher Perversitäten und wilder Ausschweifungen, kurz, es war wirklich abscheulich von mir ...

Aber es gibt Augenblicke, wo es mich dazu treibt, bis zum äußersten zu gehen, und dann sage ich eben Dinge, die nicht mehr gutzumachen sind. Ich kann in einem solchen Augenblick einfach nicht dagegen an, ich lasse mich gehen, obwohl ich damit gegen meine eigenen Interessen handle und mich in eine peinliche Lage stürze.

Diesmal aber ging ich zu weit. Ich schreckte vor nichts mehr zurück. Einige Tage später, als ich schon aus dem Hause war, schrieb ich eine Postkarte, die natürlich jeder im Hause lesen konnte, und schleuderte ihr die wilden Anschuldigungen mit folgender reizenden Nachricht nochmals ins Gesicht:

»Hiermit, Madame, teile ich Ihnen mit, daß ich Ihnen alle Ihre diversen sogenannten Geschenke zurücksenden will, und zwar postwendend mit bezahlten Gebühren. Ich bin zwar ein primitives, armes Mädchen, aber auch ich habe meinen Stolz und bin mir zu gut dazu, den Firlefanz, den Sie mir nachgeschmissen haben, um ihn loszuwerden, statt das dreckige Zeug in den Mülleimer zu werfen, wo es eigentlich hingehörte, anzuziehen oder aufzubewahren. Bilden Sie sich ja nicht ein, daß ich, meiner Armut wegen, mich glücklich schätzen würde, Ihre unappetitlichen Unterröcke zu tragen, die ja völlig verbraucht und gelb geworden sind, weil Sie gewöhnlich hineingepinkelt haben. Es grüßt Sie hochachtungsvoll ...«

Meiner Seel', das war ein Hauptspaß. Und es war nicht nur unverschämt, sondern es war auch dumm. Dumm und gemein. Denn Madame war, ehrlich gesagt, zu mir immer sehr großmütig, und ihre Sachen, die ich mich hütete, an sie zurückzuschicken, haben mir vierhundert Franc eingebracht, als ich sie ein paar Tage später an eine Kleiderhändlerin verkaufte.

Aber mich reute nachher nicht nur dieser effektvolle Abgang von der Szene, sondern es tat mir aufrichtig leid, eine so gute Stellung aufgegeben zu haben, eine Stellung, wie sie einer Kammerzofe nicht alle Tage geboten wird, in einem Haus, wo alles aus einem Guß und in Fluß war, und wo wir Dienstboten ein fürstliches Leben führten.

Na, Schwamm drüber. Wo soll denn unsereins die Zeit hernehmen, seiner Herrschaft Gerechtigkeit widerfahren zu lassen? Schließlich ist es ja der Lauf der Welt, daß die Guten für die Schlechten leiden müssen.

Ja, und nun? Was suche ich hier in diesem Provinznest? Bei einer so hochnäsigen Kuh wie meiner neuen Herrin? Hier gibt es weder Zerstreuung noch Vorteile zu erwarten. Ich werde die grauslichste, langweiligste Hausarbeit verrichten müssen: fades Reinemachen, Flicken, das mich ankotzt. Herrgott, wenn ich an meine früheren Stellen denke, dann ist meine jetzige Lage einfach zum Verzweifeln, unerträglich, traurig. Am liebsten möchte ich diesem langweiligen Winkel adieu sagen, um schleunigst zu verduften.

Vorhin traf ich Monsieur im Treppenhaus. Er wollte eben auf die Jagd gehen. Er blinzelte mir zu und fragte mich mit listiger Miene:

»Nun, Célestine, wie steht's? Leben Sie sich allmählich ein?«

Diese Art zu fragen scheint eine Manie von ihm zu sein. Ich antwortete:

»Ich weiß nicht recht, Monsieur ...«

Und dann keck heraus:

»Und Monsieur? Hat Monsieur sich denn schon eingelebt?«

Ihn schüttelte ein unterdrücktes Lachen. Der Mann verstand Späße. Er war wirklich ein netter, gutmütiger Kerl.

»Sie müssen sich eingewöhnen, Célestine, Sie müssen ...«

Ich war an diesem Tag bei kühner Laune und sagte schlagfertig:

»Wenn Monsieur mir dabei ein wenig behilflich wäre, dann …«

Gerade wollte er mir eine anscheinend zufriedenstellende Antwort geben, ich erkannte es am Funkeln seiner Augen, da erschien Madame oben am Treppenabsatz. Monsieur machte kehrt, und auch ich huschte fort. Schade.

Am Abend, die Tür zum Salon stand halb offen, hörte ich Madame in ihrem charmanten Tonfall zu Monsieur sagen:

»Ich erlaube Ihnen nicht, familiäre Gespräche mit meinen Dienstboten zu führen.«

Ihre Dienstboten? Sind denn ihre Dienstboten nicht zugleich die seinen? Oh, es ist zum Lachen!


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