Koloman Mikszáth
Melchior Katánghy
Koloman Mikszáth

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Die Flucht.

Es wurde weiter gefärbelt, ununterbrochen wurde das Spiel fortgesetzt, und es gab große Zusammenstöße. Vier Könige gegen vier Unter (eine fürchterliche Schlacht) und die Gemüter erhitzten sich sehr. Der Fürstensprößling rollte eine Guldenbanknote zusammen, knotete eine Masche daraus – das nennen die Székler »ein Füllen«. Das Füllen ist ein unbeständiges Tier, es bleibt bei keinem Herrn, wer es gewinnt, muß es der Regel entsprechend aus der »Schnur« als Bist einsetzen, und so wandert es weiter und weiter, großen Schwung und Umsatz verursachend.

Katánghy spielte zerstreut, das Geld interessierte ihn nicht (er hatte jetzt in größeren Sachen Glück genug); außerdem sauste und brauste ihm der Kopf, flimmerte und flammte es ihm infolge der Schlaflosigkeit vor den Augen. Aber das Glück ist eine launenhafte Gottheit, wir wagen nicht, es Göttin zu nennen (denn wenn es nur etwas »Weibliches« an sich hätte, so würde es sich doch nicht just an den müdesten der Männer halten). Es klammerte sich förmlich an Katánghy, er gewann in einemfort, gewann wie toll. Er bemühte sich mit aller Gewalt zu verlieren, was er gewonnen hatte (denn man sagt, es sei für einen Kandidaten besser, wenn er verliert); umsonst, die so leichtsinnig fortgeworfenen Sechser kamen immer wieder aus der »Schnur« zu ihm zurück, einen ganzen Haufen fremder Sechser vor sich hertreibend.

Gegen 11 Uhr hatte er schon an fünfzig bis sechzig Gulden gewonnen, als plötzlich das Fenster erklirrte.

Wortlos erhob er sich. Hinter seinem Rücken saß ein sommersprossiger Herr als Kiebitz, dem drückte er die Karten in die Hand.

»Ich bitte dich, spiele anstatt meiner, während ich hinausgehe. Das Bisi habe ich schon eingezahlt.«

Dem gesprenkelten Mann sah man den Stolz über die Ehre an, die ihm widerfuhr; er setzte sich, blickte triumphierend umher, ob man auch sehe, an wessen Stelle und mit wem er jetzt spielt – dann rief er dem sich entfernenden Katánghy nach: »Man läßt kosten. Soll ich's geben?«

»Wie du willst.«

Darauf ging Melchior hinaus, ohne auch nur den geringsten Argwohn zu erregen, als ob er sich nur für einen Augenblick entfernen würde. Auf der Schwelle warf er noch einen Blick auf seinen würdigen Stellvertreter, den er nicht kannte, und den er vielleicht auch nie wiedersehen würde.

Im Vorhause saß die kleine Susi auf einer Kiste und schlug Sahne in einer gelben irdenen Schüssel (weil das Nachtmahl natürlich erst später aufgetragen wurde).

»Na, Suschen, Gott mit dir!«

Er versuchte, ihr einen Gulden in die Hand gleiten zu lassen.

Sie stellte die Schüssel auf die Kiste nieder und legte beide Hände auf den Rücken.

»Ich nehme kein Geld an.«

»Also was soll ich dir denn geben?«

Verlegen schlug sie die Augen auf.

»Nichts. O gar nichts! Aber wenn Sie doch daran denken sollten, so schicken Sie mir lieber... lieber...«

»Na also, was soll ich dir schicken? Vielleicht einen Geliebten?«

»Möcht' wissen, wozu?«

Zweimal stockte sie, bis sie es hervorbrachte: »Schicken Sie mir aus Brasso durch den Fuhrmann eine Stange wohlriechende Seife.«

»Hast recht, klein Suschen. Erst die Seife. Das ist die Reihenfolge, nach der wohlriechenden Seife wird sich der Schatz einfinden.«

Sie machte ein schmollendes Gesicht und drohte ihm mit dem Schneeschläger.

»Jetzt gehen Sie aber, sonst spritz' ich Sie gleich an.«

Er ging auch schon, aber wahrlich recht langsam. Draußen war es stockfinster, so daß er sich kaum aus dem Hofe hinausfand. Kein einziger Stern glänzte am Himmel, und auch aus den Fenstern der kleinen Häuschen drang kein Kerzenschimmer mehr. Ganz Borontó schlief, die ganze Erde schien jetzt zu ruhen unter ihrer weißen Decke. Die reifbedeckten Bäume säuselten ihr ein Schlummerlied zu.

In der großen Finsternis sah man nur das Leuchten des Schnees und das Blinken der Kirchenmauer. Melchiors scharfes Auge nahm mit großer Mühe die Bewegungen lebender Wesen wahr. Den Wagen konnte man eher ahnen als sehen.

Als Melchior sich der Kirche näherte, hörte er plötzlich das Rauschen von Weiberröcken. Aha! Das ist sicherlich Barbara mit ihren blendenden roten Lippen und funkelnden Augen. Eine tolle Nacht, daß nicht einmal diese Augen vermögen, die Finsternis zu durchleuchten!

Nur das Kleiderrauschen verriet, daß sie hier neben dem Wagen Melchior erwarte, sicherlich mit den Briefen. Und das Rauschen der Röcke wirkt in der Nacht zauberhaft, aufregend, geradezu unwiderstehlich.

»Wo ist der Fuhrmann?«

»Hier bin ich, bitt' schön,« antwortete eine dumpfe Männerstimme.

»Können wir fahren?«

»Ja.«

»Werden Sie die Straße sehen können?«

»So gut die Straße mich sieht, bitt' schön, so sehe ich auch sie, bitt' schön.«

»Und mein Pelz? Ist er hier?«

»Hier ist er, bitt' schön.«

Unterdessen war die weibliche Gestalt näher gekommen und drückte Melchior die Briefe in die Hand.

Einen Augenblick fühlte er die Berührung ihrer Hand, und sein Blut geriet in Wallung. Seine Phantasie berauschte ihn, sie ergänzte, vollendete Bärbels Schönheit. Die Undurchdringlichkeit der Nacht verlieh ihr so viele zauberhafte Reize, daß es unmöglich war, der Lockung zu widerstehen. Eine dämonische Begierde zwang ihn, plötzlich ihren Leib zu umfassen und seinen Mund auf ihre Lippen zu pressen.

»O weh!« kreischte sie auf. »Machen Sie doch keine Tollheiten, Sie zerbrechen mir ja meine Brille!«

Katánghys Hände fielen bei dieser Stimme und bei diesen Worten erstarrt herab.

»Welche Brille?«

»Die ich auf der Nase habe.«

Es war eine fremd klingende, häßliche, zischende Stimme, die Melchior noch niemals gehört hatte.

»Ja, wer sind Sie denn?« fragte er ärgerlich.

»Ich bin die Mutter der Frau Michael Varga. Bärbel hatte keine Zeit, mit den Briefen herzukommen und schickt sie Ihnen deshalb durch mich. Kann ich gehen, bitt' schön?«

»Meinetwegen geradeaus bis zum Blocksberg!«

Er fluchte, tobte in seinem Zorn, hatte aber doch nicht recht. Das Glück im Kartenspiel mußte unbedingt traurige Folgen in der Liebe haben.


So endete sein Abenteuer in Borontó. Was soll ich sonst noch erzählen?

Drei Stunden später langte unser Held in Brassó an.

Und nach drei Monaten wählte man ihn einstimmig zum Reichstagsabgeordneten von Borontó.

Wie er zu seinem großen Vermögen kam? Man glaube ja nicht, daß der gesprenkelte Kiebitz es gewonnen hat, den er in Borontó an seiner Stelle spielen ließ, und den er sich – wie er im Couloir zu erzählen pflegt – noch heutigentags dort sitzend vorstellt, wie er fortwährend Färbel spielt, bis er eines schönen Tages, vielleicht nach 20 oder 30 Jahren, gealtert, ganz ergraut, bei Katánghy erscheint und ihm sagt: »Es ist mir schon zu langweilig geworden, den Herrn zu erwarten, bitt' schön, nehmen Sie Ihr Geld, da ist es, eine runde Million Gulden...«

Nicht doch! Er ist auf ganz anderem Wege reich geworden, aber jedenfalls – er ist es geworden. Sein Aufstieg zum Großgrundbesitzer und seine Abgeordnetenlaufbahn wären indes ein Roman für sich.

Ende


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