Koloman Mikszáth
Melchior Katánghy
Koloman Mikszáth

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Ein bestochener Dynast.

Nach dem Frühstück folgte wiederum das Färbel. Sonst gab es hier keine Abwechslung. Der Zigarrenvorrat war zu Ende gegangen, und man mußte einen Boten in das Nachbardorf schicken, wo angeblich bei dem armenischen Händler kurze Zigarren zu haben waren.

Inzwischen suchte der Hausherr seine alten Pfeifen für die Gäste zusammen, improvisierte Pfeifenrohre und borgte einige auch da und dort im Dorfe. Wer eine bekam, mußte noch froh sein. Selbst die anwesenden Magnaten begnügten sich mit Pfeifenrohren, die nicht immer sonderlich sauber waren.

Beim Mittagsmahl, das in die Zeit der Jause fiel, begannen die Toaste von neuem. Die angesehensten Herren erhoben sich, um ihr Glas auf Melchior v. Katánghys Wohl zu leeren, von Zeit zu Zeit Anspielungen einflechtend, wie: »So Gott will, schließen wir unseren Gast noch mehr in unsere Herzen. Gleichwie der schlängelnde Bach mit seinem rieselnden Wasser aus weiter Ferne kommt, und möge er aus noch so weiter Ferne kommen, so sagt man doch niemals ›Schau, dort kommt ein fremder Bach‹, sondern alle Welt sagt: ›Das ist unser lieber Bach‹; so gebe der allmächtige Gott, daß das in unserem Komitat fließende Bächlein zum mächtigen Strome werde.«

Die Székler verstehen es eben, schön und zu Herzen dringend zureden; es liegt etwas von der biblischen Urkraft in ihrer eigentümlichen Denkungsart, etwas von dem Dufte der Zedern des Libanon und dem Honig von Thibeza.

Während der wiederholten Hochrufe und der allgemeinen Begeisterung bemerkte man, wie König Johann sich in Zorn verzehrte; er rief aber auch häufig während der Reden der anderen dazwischen:

»Wer weiß? Na, wir werden schon sehen!« und dergleichen mehr.

Seine Nachbarn taten so, als ob sie ihn überhaupt nicht hörten; er schien sich nicht um sie zu kümmern und suchte mit scharfem Blicke sofort das homogene Element heraus, den Grafen Tenky, den er herausfordernd ansah, als ob seine Zwischenrufe direkt auf ihn gemünzt wären. Einmal stand er sogar vom unteren Ende des Tisches aus und trippelte hinter den Stuhl des Grafen: »Die Katze mag ja auch die Sahne,« sprach er laut, sich über den Grafen beugend; »wenn der Napf aber tief ist, kann sie doch nicht heran, weil ihr Kopf nicht hineingeht.«

Der Graf runzelte die Stirn; er begann Herrn Johanns zudringliche Liebe überflüssig zu finden; diese Gemeinschaft war ihm lästig.

»Aber geben Sie doch Frieden!« sagte er mürrisch.

Die anderen waren geradezu entrüstet über Johann Királys unschickliches Betragen.

Es fehlte nicht viel, so hätte man ihn an die Luft gesetzt; zum Glück aber stand in dieser erregten Stimmung Katánghy selbst auf und beschwichtigte durch einen sehr geschickten Toast die turmhoch anschwellenden Wogen der Aufregung. Er meinte, in einem freien Lande habe jedermann das Recht, eine freie Meinung zu haben, und jene Meinung sei die beste, die offen, von Angesicht zu Angesicht geäußert wird.

Dieser Toast fand Beifall. Hell klangen die Gläser zusammen. Der Obergespan rückte seinen Stuhl neben jenen Melchiors.

»Du bist ein Glückspilz,« sagte er. »Es ist mir unfaßlich, womit du die Leute erobert hast?«

Katánghy flüsterte achselzuckend, aber mit freudiger Miene: »Weiß Gott!«

»Jetzt wage ich schon zu sagen,« fuhr der Obergespan fort, »daß dein Mandat sicher ist, wenn Tenky nicht auftritt. Der ist aber noch kalt wie ein Gletscher, und auf seinem Antlitz liegt etwas Geheimnisvolles, Beängstigendes, wenn man auf deine Kandidatur hinweist.«

Tenkys Benehmen war dem Pester Gaste gegenüber in der Tat frostig. Bei jeder Anspielung auf seine Kandidatur, senkte Tenky spöttisch die Mundwinkel, und während des Kartenspiels sprach er mit ihm in jenem gewissen hochmütig näselnden Tone, wegen dessen der Mob schon mehr als einmal die Fenster des Magnatenkasinos eingeschlagen hat.

Katanghy sagte mit gelassenem Humor: »Ja, man merkt, daß die französische Revolution schon sehr lange vorbei ist!«

Im übrigen wurde der Graf jetzt von König Johann in Behandlung genommen. Der »Szekler Bismarck« wußte sehr wohl, daß nichts in der Welt den hochmütigen Grundherrn so ärgern würde, wie seine Protektion; er begann also im Zimmer für Tenkys Kandidatur Propaganda zu machen.

Tenky geriet in Zorn; er wollte gerade losbrechen, als der Hausherr wieder einmal auf der Bildfläche erschien: »Die Tische werden nicht mehr gebraucht!«

Wieder fanden sich die Färbelspieler zusammen; Katánghy jedoch, der seine Mattigkeit kaum mehr überwinden konnte, schlich hinaus an die frische Luft.

Der Kopf schwindelte ihm, feine Beine schlotterten, er fühlte, daß er dort drinnen in dem Rauch und Dunst vor Ermüdung zusammenbrechen müßte. Während er sich durch das Pelzzimmer hindurch in die Haustür schlich, entstand urplötzlich in seinem Kopfe der tollkühne Plan, durchzugehen. Er war sich wohl klar darüber, daß er dabei alles aufs Spiel setzte, aber er wollte dennoch flüchten. Er dachte an nichts mehr in der Welt, nur an ein Bett. Nicht nur ein Abgeordnetenmandat, sogar einen Thron hätte er in diesem Augenblick für ein Schläfchen geopfert.

Eben jetzt trug eine schöne, schlanke Magd aus der Küche einen Zuber Spülwasser zum Wegschütten in den Hof.

»Wie heißt du, mein Kätzchen?« fragte er sie freundlich.

Ihr erstes war, den blaugeblümten Rock herunterzuschlagen, der rückwärts aufgeschürzt war, so daß man ein Stück des Hemdes sah. Dann erst antwortete sie:

»Susanna.«

Unser Held blickte sorgfältig herum, ob ihn auch niemand höre.

»Du könntest mir einen Gefallen erweisen, Kleine!«

»Gern. Auch zwei, ich bitt' schön.«

»Ich werde dich beim Wort nehmen, Suschen. Just um zwei Dinge will ich dich bitten.«

Das Mädchen lächelte.

»Jetzt tut es mir schon leid, daß ich nicht drei sagte.«

In ihren Bewegungen lag so viel Liebreiz und Natürlichkeit, daß es für eine Komtesse genügt hätte.

»Zwei sind auch genug. Aber kannst du auch schweigen?«

»Mag schon sein, daß ich's kann,« lachte sie schelmisch, »aber bisher hab ich's halt noch nicht probiert.«

»Ach, mein Herzchen, wenn du nicht schweigen kannst, dann verdirbst du damit alles.«

»Ei,« sprach sie, den Kopf halb zur Seite neigend, »ist's eine gar so heikle Sache?«

»Wahrlich ja. Du müßtest im geheimen einen Wagen mieten, der mich hier irgendwo, sagen wir bei der Kirche, erwartet und nach Brassó führt.«

Suschen schlug erschreckt die Hände zusammen.

»Jesus, Maria und heiliger Josef! Na, das fehlte gerade noch. Unser Herr würde mich sofort aus dem Dienst jagen.«

»Aber, aber!«

»Gewiß. Uns ist streng befohlen worden, es gleich dem Herrn zu melden, wenn wir bemerken, daß ein Gast flüchten will. Was würde es da geben, wenn wir Ihnen noch gar zur Flucht verhelfen würden?«

»Du willst es also nicht tun?« drängte er in flehendem Tone.

»Nein, nein!« rief sie, ihre Hände reumütig faltend. »Bei Gott, ich kann es nicht tun, obwohl ich weiß, daß Sie unser Abgeordneter werden.« Sie kam in furchtbare Verlegenheit, nahm ihren Schürzenzipfel in den Mund und nagte daran herum. »Aber ich habe niemanden und so brauche ich auch niemanden; aber Bärbel wird es wohl tun... ich glaube, sie wird es tun.«

»Wer ist Bärbel?«

»Eine Magd wie ich, aber sie hat einen Geliebten, und deshalb wird sie es tun. Barbara fürchtet selbst den Teufel nicht, denn sie hat einen Geliebten.«

»Und wo kann ich diese Barbara finden?«

»Sie reibt Mohn in der Küche.«

»Schick' sie nur schnell mal her!«

Während Melchior Barbara erwartete, kamen die vom Weine erhitzten Herren in den Hof heraus und rieben sich das Gesicht mit einer Handvoll frischen Schnee. Das ist das Heilmittel der Székler gegen die Mattigkeit.

Das ist ein gutes Mittel, dachte Katánghy, und tat wie jene.

Unterdessen kam Barbara heraus. Sie war ein prächtiges Weibsbild, gewachsen wie eine Tanne, mit Grübchen im Gesicht und sinnlichen roten Lippen; ihre schwarzen Augen glänzten und funkelten wie zwei Johanniskäfer. Sie schwang den schweren großen, keulenförmigen Mörserschlägel so leicht in der Hand wie eine Fliegenklatsche.

»Ei, ei, Blitzmädel, wie ich sehe, hast du dich mit einer Streitkeule bewaffnet?«

»Suschen hat mich hergeschickt, bitte schön, daß der Herr mir etwas zu befehlen belieben?«

Katánghy winkte ihr, näher zur Kammer zu kommen (denn vor der Flur gab es zu viele Leute), dann trug er ihr seinen Wunsch vor, einen Wagen zur Stelle zu schaffen und ihm seinen Pelz herauszusuchen.

»Eine Zigarrentasche ist darin, daran kannst du ihn erkennen; wenn du den Pelz hast, so schmuggle ihn irgendwie in die Küche hinaus und lege ihn dann nachts auf den Wagen.«

Sie schüttelte ihren Kopf und die Streitkeule. Eine Weile zauderte sie.

»Ene schwere Sache das,« sagte sie, »aber auch ich werde mir etwas Schweres von Ihnen erbitten. Huhn für Huhn... Ochsen für Ochsen. Werden Sie es tun?«

Sie warf einen scharf prüfenden Blick auf Katánghy.

»Wovon ist die Rede?« fragte dieser etwas zögernd.

»Ich möchte gern heiraten,« sagte sie mit gedämpfter Summe, »und ich habe auch einen Freier.«

»Alle Wetter! Das will ich glauben!«

»Aber ich kann ihn nicht heiraten; und doch liebe ich ihn, er ist ein wackerer Mensch.«

»Ja, aber warum kannst du ihn denn nicht heiraten?«

»Wegen meines seligen Mannes.«

»Was du nicht sagst!« unterbrach Katánghy sie überrascht. »Du bist schon Witfrau?«

»Ich weiß nicht,« entgegnete sie traurig.

»Davon verstehe ich keine Silbe. Du hast einen toten Mann und weißt nicht, ob du Witfrau bist? Du hast einen Freier, liebst ihn und kannst ihn nicht heiraten?«

Das junge Weibchen seufzte tief auf.

»Das ist ein ganz eigentümlicher Fall. Aber davon ist nicht die Rede, sondern: Ich schrieb zwei Briefe, und der hochgeborene Herr müßte diese mitnehmen, persönlich dem übergeben, für den sie bestimmt sind, und wenn Sie zur Wahl hierher zurückkommen, mir die Antwort bringen.«

»Das ist keine schwere Sache. Was für Briefe sind es?«

»Der eine ist an den König in Budapest gerichtet, ich bitt' schön, der andere an den Erzbischof in Eßtergom.«

»Hm. Und was steht in den Briefen?«

Bärbels schönes Gesicht ward plötzlich dem einer Heldin gleich; es ward förmlich durchgeistigt, der Glanz überirdischer Erkenntnis übergoß ihre Stirne.

»Ich frage den König, ob diejenigen, die gestorben sind, noch seine Untertanen sind?«

Melchior sah sie mißtrauisch an. Armes Geschöpf! Es scheint, sie ist nicht recht bei Verstande.

»Und was steht in dem Brief an den Erzbischof von Eßtergom?«

»Der Erzbischof soll mir sagen: ›Wo beginnt der Tod?‹«

Seit dem Schiedssprüche des großen Königs Matthias in der Szinkotaer Straßenschenke hatte man etwas Ähnliches noch nicht gelesen oder gehört. Melchior war sich vollständig klar darüber, daß er eine verrückte Person vor sich habe.

»Und wozu würde es dir denn nützen, dies zu erfahren?« fragte er Barbara.

»Dann würde ich wissen, ob ich heiraten darf oder nicht.«

»Wie das? Sprich deutlicher. Denn wie soll ich dir Antwort bringen, wenn ich nicht verstehe, wovon die Rede ist.«

Barbara stemmte den Mörserschlägel so vor sich hin, wie der Hirt es mit seinem Stabe zu tun pflegt, sie stützte ihren Ellenbogen darauf und legte ihr schönes Gesicht in ihre Hand.

»Ja, das ist so, bitt' schön, daß mein Mann vor zwölf Jahren in Pest im Sankt Rochusspital gestorben ist; meine Mutter und ich waren die letzten Augenblicke bei ihm. Dann fuhren wir nach Hause; mich brachte meine arme Mutter krank heim, weil der große Kummer mich ganz gebrochen hatte. Wir beweinten ihn eine Reihe von Jahren; plötzlich aber kommt der Andreas Sikor einmal aus Ungarn mit der Nachricht, er habe meinen Mann gesehen und gesprochen, sie hätten sogar drei Viertel Schnaps zusammen getrunken. Wir sagten, dies sei unmöglich, weil er doch gestorben sei. Aber Andreas Sikor schwor hoch und teuer, daß er die Wahrheit spreche. Das ging so, bis sich denn auch ein anderer Zeuge einfand, der edle Herr Alexander Héja, Richter in Laczfalu, der gleichfalls in Ungarn meinen Mann erkannt und ihn sogar gefragt hat: ›Was läßt du deiner Frau sagen?‹, worauf er antwortete: ›Sagen Sie ihr gar nichts, denn ich lebe jetzt nur mehr mein Leben im Jenseits‹, und damit er mir wirklich nichts sage, hat er den Alexander Héja gar nobel traktiert.«

»Der tote Mensch?«

»Ja, der tote Mensch.«

»O, der Esel!« brach Katánghy aus.

Bärbel verstand diesen Ausruf der Höflichkeit, sie lächelte und fuhr fort: »Wir gerieten deshalb in eine qualvolle Unruhe, bitt' schön, und so gingen wir denn zum Notar, dem ehrenwerten Herrn Paul Hám – er ist dort drinnen, der hochgeborene Herr kann ihn fragen – und der Notar schrieb dann ins Sankt Rochusspital, was mit meinem verstorbenen Mann geschehen war, und von dort kam die Antwort, daß er vom Scheintode erwacht sei und dann als vollständig geheilt entlassen wurde.«

»Alle Wetter!« rief jetzt Katanghy. »Heißt dein Mann nicht Michael Varga?«

»Ja gewiß, Michael Varga,« erwiderte Barbara verwundert. »Woher wissen Sie das, gnädiger Herr?«

»Woher? Ist doch dieser Halunke mein eigener Diener. War ich es ja doch, der ihn vom Tode erweckte.«

»Aber, aber...« sagte sie zweifelnd.

»Mir hat der Schelm nie etwas davon gesagt, daß er verheiratet ist! Ja, in Szombathely wollte er sogar mit aller Gewalt heiraten; er wollte eine Frau Sirjai, eine Gastwirtin, heiraten...«

Barbaras Augen blitzten auf, und wieder blickte sie Katánghy vertraulich von der Seite an.

»So ist's, davon habe auch ich gehört... Die böse Absicht hat ebenso schnelle Beine wie die böse Tat. Verstehen Sie jetzt die Briefe?«

»Noch nicht.«

»Und doch ist die Sache ganz klar. Wenn der König antwortet, daß jene, die gestorben sind, nicht mehr seine Untertanen sind, dann kann ich heiraten, denn Michael Varga hat dann nichts mehr von mir zu fordern, da des Königs Gesetze nur für seine Untertanen gelten.«

»Recht schlau ausgedacht,« lächelte Katánghy.

Das ist ja wahrhaftig kein verrücktes Weib; sie hat nicht nur ihren ganzen Verstand, sondern noch dazu einen recht klaren. Jetzt war er schon selbst neugierig auf den Brief an den Erzbischof.

»Nun, und was soll denn der Erzbischof dir sagen, liebes Kind?«

»Antwortet der Erzbischof, daß der Tod, mit dem Entschweben der Seele eintritt, dann habe ich gewonnene Sache, denn Michael Vargas Seele ist entschwebt, und ich hatte ihm nur die Treue bis zum Tode gelobt.«

»Daran ist etwas.«

»Wenn jedoch der Erzbischof antwortet, daß der Tod erst später eintritt, wenn die Sache so steht, wie wir dummen Bauern geloben: ›Nur Schaufel und Spaten trennen uns voneinander‹, wenn Schaufel und Spaten die Grenze zwischen Leben und Tod bilden, dann habe ich eine verlorene Sache; denn bei Varga war es noch nicht bis zu Schaufel und Spaten gekommen.«

Katánghy schüttelte verblüfft den Kopf.

»Bärbelchen, was für ein großer Advokat ist an dir verloren gegangen! Du willst natürlich wissen, ob das Gesetz dich bestrafen würde, wenn du heiratest.«

Sie nickte mit dem Kopfe.

»Und wie wär's, wenn du dich mit deinem Manne aussöhnen würdest? Ich würde ihn dir herbringen.«

Sie schüttelte verneinend den Kopf.

»Na, ich werde schon in deinem Interesse mit irgendeinem großen Rechtsgelehrten in Pest reden, dann werde ich dich verständigen. Wenn es aber nicht anders geht, so werde ich Varga zwingen, den Scheidungsprozeß einzuleiten, gelt?«

»Nehmen Sie die Briefe mit?« fragte sie mit fanatischer Hartnäckigkeit.

Katánghy zauderte.

»Was erreichst du damit? Ist ja doch...«

»Nehmen Sie sie, oder nehmen Sie sie nicht?«

»Nun ja, meinetwegen. Ich nehme sie mit.«

»Und werden Sie mir die Antwort bringen?«

»Ich bringe dir Antwort, wenn man mir antwortet.«

»Dann sind wir in Ordnung. Ich miete den Wagen für Mitternacht und werfe einen Kiesel an das Fenster, wo Sie Karten spielen. Das wird bedeuten, daß der Wagen Sie bei der Kirche erwartet.«

»Bringe mir meine Zigarrentasche herein, sobald du meinen Pelz gefunden hast.«

Seine Partner hatten Melchior mittlerweile schon gesucht. Der eine und der andere der Boten, die sie nach ihm schickten, fand ihn wohl auch, zog sich aber diskret zurück und brachte das vertrauliche Bulletin hinein (eines von denen, die man mit schelmischem Augenzwinkern zu verkünden pflegt), man solle Melchior nur in Frieden lassen, denn er gehe ans irgendein Abenteuer aus.

»Ja, das ist etwas anderes!« sagten die polternden Partner, plötzlich besänftigt.

»Juventus ventus!« riefen lachend einige alte Herren in süßer Erinnerung an vergangene Zeiten.

Als Melchior endlich zurückkam, wurde er von fragenden Blicken fast durchbohrt. »Aha! Wo sind wir gewesen? Ei, ei, Sie Schelm, Sie Schelm! Wir wissen schon alles!«

Er setzte sich auf den freigebliebenen Stuhl, da er bereits eine Vorzug genießende Persönlichkeit geworden war. Die Hoffnung, daß sein Fluchtplan gelingen werde, stählte seine erschlafften Nerven und gab ihm neue Kraft, sich aufrecht zu halten. Er setzte das Spiel mit erneuter Lust fort; es war aber das letzte Tröpfchen Öl auf dem Docht. Den dickschädligen Székler Grafen merkte man es noch nicht an, daß sie schon bei der zweiten durchzechten Nacht hielten, sie waren munter und frisch. Mein Gott, aus welchem Stoff waren diese geknetet!

Nach einer Stunde etwa kam Bärbel auf den Zehenspitzen herein geschlichen und legte die im Pelzrock gelassene Zigarrentasche, auf der Katánghys Wappen in getriebenem Silber funkelte, vor ihn nieder.

»Aha!« murmelte die ganze Gesellschaft, und es regnete boshafte Witze auf Melchior.

»Hm – die ist's?«

»Ei, was für ein fesches Ding!«

»Und wie sie dich angeguckt hat!«

Barbara huschte errötend aus dem Zimmer, Melchior aber nahm mit großer Genugtuung und Freude zur Kenntnis, daß sein Pelz sich gefunden hatte; ein verliebter Jüngling konnte ein Rendezvous nicht sehnlicher erwarten, als er seine Befreiung. Wenn ihm das Bett einfiel, das in Brassó seiner harrte, so fing sein Blut an, schneller zu pulsieren. Sieh da, die Hälfte des Planes war schon gelungen. Nur die andere Hälfte ist noch in der Schwebe.

Er öffnete die Zigarrentasche; sie enthielt zwei Britannika-Zigarren. Die Partner sahen einander verdutzt an. Graf Tenky schoß einen, das Blut erstarren machenden Blick auf den Schatz.

Britannika-Zigarren! Zum Teufel, das ist kein Spaß, wenn man verdammt war, zwei Tage kurze Zigarren zu rauchen! Grabesstille entstand bei diesem Anblick, und eine fürchterliche Spannung herrschte. Der Obergespan, der gerade austeilte, legte die Karten nieder, als ob er fühlte, daß jetzt etwas Besonderes geschehen werde.

Melchior erfaßte die Bedeutung des Augenblicks voll und ganz; denn, wie von einem inneren Instinkt getrieben, nahm er plötzlich die eine Zigarre, die schönere, die noch nicht eingedrückt war, und reichte sie dem Grafen Tenky.

Tenky lächelte, er lächelte herzlich, biß dann das Ende der Zigarre ab und lächelte Katánghy noch einmal zu. Die Zigarre hatte einen sehr guten Zug. Er blies schön langsam große Rauchwolken durch die Nase, und beim dritten Zuge trug sein ganzes Gesicht den Ausdruck seliger Wollust.

»Köstliche Zigarre!« näselte er, »wirklich eine ganz kapitale Zigarre!«

Er betrachtete den Rauch lange, melancholisch; dann stäubte er sehr vorsichtig die Asche ab.

»Ich rauche nur dann eine solche, wenn ich hie und da nach Budapest verschlagen werde.«

»Wahrhaftig, du bist selten oben in Budapest,« bemerkte der Obergespan, nicht ohne einen schlauen Nebengedanken.

»Ich verabscheue diese Stadt und will sie nie mehr sehen!«

»Wie das? Mir hat man ja doch gesagt, daß du... wie soll ich mich ausdrücken... daß du zum künftigen Reichstag Absichten habest...«

»Ach, das ist nur leeres Geschwätz! Ich bin ein alter, gebrechlicher Knochen. Einen Augenblick habe ich vielleicht daran gedacht, aufzutreten, wenn sich kein anderer findet; aber«, fügte er hinzu, »wie ich sehe, hat sich schon einer gefunden.« Er zwinkerte Katánghy liebenswürdig mit den Augen zu. »Und schließlich, wie ich sage, ich bin schon ein alter, fauler Knochen, und schließlich ist auch diese Zigarre so herrlich ... und schließlich, wieviel ist Bisi?«

Ein großer Stein fiel Katánghy und dem Obergespan vom Herzen. Der große Gletscher war aufgetaut. Tenky wird jetzt keine Schwierigkeiten mehr machen. Die Britannika hatte ihn kirregemacht.


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