Koloman Mikszáth
Melchior Katánghy
Koloman Mikszáth

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Der Székler Nabob.

Am folgenden Tage nachmittags ließ der Obergespan den Wagen vorfahren, und sie machten sich auf den Weg nach Borontó durch einen den Pferden bis zum Bauche reichenden Schnee.

Sie mußten durch drei oder vier Dörfer fahren. Die Häuser der Székler sind ärmlich, aber sauber. Das kleine nägelbeschlagene Tor mit den den Gast willkommen heißenden Aufschriften ist an jedem Hause zu sehen; es ist mit Tulpen bemalt. Die Häuser sind mit Stroh gedeckt, ohne Rauchfang; der gastlich einladende Rauch quillt durch das Dach hervor, wo es ihm eben beliebt.

Es herrschte eine harte, schneidende Kälte, auch blies der rauhe Nordwind ganz gehörig; von unseren Reisenden sah man nur die roten Nasenspitzen aus den Pelzen hervorgucken und ein ganz wenig von den bereiften Schnurrbärten. Es war eine langweilige, unangenehme Fahrt; man konnte nicht einmal recht plaudern, sondern mußte sich auf das Allernötigste beschränken.

»Ich fürchte, Graf Tenky wird auch dort sein,« bemerkte der Obergespan unterwegs.

Katánghy hätte sich vor so vielerlei fürchten müssen, daß er sich vor gar nichts mehr fürchtete.

»Ist's noch weit bis Borontó?« fragte er.

»Jenseits des Hügels!«

Wieder versanken sie in Schweigen; nur als sie den Hügel hinter sich hatten, begann der Obergespan wiederum: »Ja richtig, ich bitte schön, was bist du denn eigentlich – damit ich dich vorstellen kann.«

»Ich bin Arzt.«

»Hm, das ist auch sehr schlimm.«

»Warum?«

»Einen Arzt wählt der Székler nicht zum Abgeordneten. Sie achten den Doktor gering.«

»Also stelle mich nicht als Doktor vor.«

»Als was soll ich dich denn dann vorstellen?«

»Ich schrieb einst ein paar Feuilletons für die ›Oberungarische Revue‹. Ich werde mich für einen Schriftsteller ausgeben. Dafür wird mich keiner zur Rechenschaft ziehen. Lieben die Leute die Schriftsteller?«

Der Baron zuckte die Achseln.

»Na, so, so!«

Sie zogen die Pelze wieder über die Ohren und verharrten in tiefstem Schweigen, bis der Wagen stillhielt.

»Hier sind wir beim Nabob!«

Melchior hatte sich ein mit Türmen und Wällen befestigtes Burgkastell gedacht und war sehr erstaunt darüber, daß die vier dampfenden Rosse in einem kleinen Herrenhofe hielten. Im Komitat Sáros wohnen die armen Edelleute von Habenichts in solchen Herrenhöfen. Der Hof war voller Chaisen und Kutschen, Leiterwagen und Möbel. Kasten, Betten, Schränke, Lederdiwans standen draußen im Schnee in kunterbuntem Durcheinander.

»Hier findet irgendein Umzug statt!« bemerkte der Doktor.

»I wo denn! Man hat nur alle Möbel ausgeräumt, damit die Gäste Platz haben.«

»So viele sind hier?«

»Du wirst schon sehen! Der Nabob der Székler ist nicht so wie die übrigen Krösusse der Welt; ihn hat ein jeder lieb. Aber schau, da ist er!«

In der Tat stand draußen barhäuptig ein großer, struppiger Mann, mit einem so sanften Gesicht wie ein unschuldiges Kind; die schlichte Gestalt machte den Eindruck eines guten alten Kerls. Das also ist der Nabob, dieser angegraute Herr?! dachte Katánghy.

Er schüttelte dem Obergespan die Hand und lächelte dabei dem Fremden zu, als ob dieses herzliche Lächeln die Frage ausdrücken solle, wer er sei.

»Mein Freund Melchior von Katánghy aus Budapest,« stellte der Obergespan kurz vor.

»Willkommen,« sagte er einfach, schob vertraulich seinen Arm unter jenen des Gastes und führte Melchior, den Obergespan vorausgehen lassend, selber in das in den Hausflur mündende erste Zimmer, das mit lauter mit Wolfspelz gefütterten grauen Mänteln angefüllt war. Der Pelzhaufen reichte bis an die Sparren der Zimmerdecke. Man mußte die Pelze der beiden Herren auf den Haufen hinaufschleudern, wie man die Weizengarben in die Scheuer zu werfen pflegt.

Aus dem »Pelzzimmer«, in welchem wegen der aufgestapelten Pelze nur ein Durchgang zur nächsten Türe freiblieb, traten sie in ein anderes großes Zimmer, das voller Gäste war; die Leute standen dicht gedrängt, Schulter an Schulter, man hätte keinen Apfel zur Erde fallen lassen können. Es war die denkbar bunteste Gesellschaft. Hier eine elegante Gestalt in Lackschuhen und Smoking, neben ihm ein anderer in altmodischem, schäbigem pelzbesetztem Rock. Da gab's Grafen, Dorflehrer, Gemeindenotare, einen Tischler, Vizegespane, Domherren und jüdische Pächter. Alle diese ehrlichen Székler, Primipilen, Pixidarier waren schön gemütlich beisammen, freuten sich miteinander, debattierten und disputierten und hielten es durchaus nicht für notwendig, einander zu verachten.

Der Nabob selber, obschon von Natur langsam und schwerfällig, zwang sich für diesen einen Tag zu einer gewissen Behendigkeit, er ging im Gedränge hin und her wie ein Gastwirt. Sein Adlerauge bemerkte sofort, wenn jemand eine Zigarre oder Zündhölzer oder sonst irgend etwas benötigte.

»Bitte, nehmt es mir ja nicht übel,« fügte er zu den hier und dort stehenden plaudernden Gruppen, »daß ihr euch nicht setzen könnt. Wenn ich die Stühle hereinholen würde, so hättet ihr keinen Platz. Ich will euch aber lieber hier haben als die Stühle.«

Es war kein anderes Möbelstück im Zimmer zu sehen als der Ofen. (Allerdings ist der Ofen eigentlich schon mehr als ein Möbelstück, er ist schon fast ein Familienglied.) Vom Ofensims verbreitete sich feiner Quittenduft, der sich harmonisch mit dem erstickenden Qualm des Tabakrauches vereinte.

Sich unter die Menge mischend, stellte teils der Hausherr, teils der Obergespan unseren Helden bald da, bald dort vor. Als sie immer tiefer in das Zimmer eindrangen, tauchte plötzlich auch der ehrenwerte Herr Johann Király vor Melchior auf. Er stand mit verschränkten Armen in einem Winkel.

Melchior machte sofort Miene, auf ihn zuzueilen; schon schwebte ihm der verwandtschaftliche Ausruf auf den Lippen: »Holla, guten Tag, Onkel Johann!«, als ein tadelnder düsterer Blick, ein mürrisches Augenzwinkern den selbstvergessenen Mandatjäger wieder zur Vernunft brachte. König Johanns Stirn legte sich plötzlich in Falten, sein stechendes Auge drückte eine unendliche Kälte aus, als ob er ihm zurufen wollte: »Nähere dich mir nicht!«

Zum Glück packte ihn im kritischen Augenblick plötzlich der Obergespan am Arme: »Komm, sehen wir uns auch das dritte Zimmer an!«

Im dritten und zugleich letzten Zimmer wurde an fünf, sechs Tischen Färbel gespielt. In dichten Haufen zusammengepreßt, saßen Spieler und Kiebitze; auch hier konnte man sich kaum rühren. Der Obergespan drängte sich dennoch bis in den inneren Teil des Zimmers durch, sagte den Spielern am letzten Tische etwas und drängte sich dann wieder bis zu Katánghy zurück.

»Hast du Lust, Färbel zu spielen?«

»Nicht sonderlich.«

»Ja, aber was wirst du dann die ganze Nacht hindurch hier anfangen?«

»Nun, wir werden nachtmahlen, und dann lege ich mich schlafen.«

»Du legst dich schlafen? Wo?« Er warf Katánghy verwunderte Blicke zu. »Du hast doch gesehen, daß die Betten draußen im Hofe stehen.«

»Legen sich die anderen auch nicht schlafen?« fragte er, einige Greise mit prüfenden Blicken musternd.

»Während meiner ganzen Obergespanschaft ist es noch nie vorgekommen, daß man sich an einem Namenstage schlafen gelegt hätte.«

»Alle Wetter! Gibt's denn im Haus gar kein Zimmer mehr? Keine Schlafkammer?«

»Im Winter nicht. Wenn jetzt Sommer wäre, könntest du auf dem Heuboden schlafen.«

»Nun, bei eurem Nabob gibt es keinen allzu großen Komfort. Ich verstehe immer weniger, worin sein Nabobtum eigentlich besteht.«

Der Obergespan schnitt ein verdrossenes Gesicht.

»Der Széler Mann verschmäht es, mit seinem Besitztum zu prunken, er wohnt und lebt einfach, auch wenn er sehr reich ist.«

»Also ist er wirklich reich? Und worin besteht sein Reichtum?«

»In seinen Feldern; alles prima Felder.«

»Hat er viel Feld?«

Seine Hochgeboren dachte eine Weile nach, als ob er seinen Geist anstrengen müßte, um die Wiesen, Wälder und Ackerfelder zusammenzuzählen.

»Er hat wohl an die zweihundert Joch.«

»Nicht mehr?«

»Pst! Sprich nicht so laut und merke dir, daß es immer die Verhältnisse sind, die die Größe des Reichtums bestimmen. Wenn auf der ganzen Welt nur ein Lebensmittelvorrat von drei kleinen Weißbroten vorhanden wäre, und du besäßest eines von den dreien, so wärest du reicher als Rothschild.«

»Ja, das mag schon stimmen.«

»Also dann gib dich zufrieden und komm' Färbel spielen. Es ist erst sechs Uhr, und das Nachtmahl wird vielleicht gegen Mitternacht stattfinden. Man muß doch die Zeit irgendwie totschlagen. Ich habe uns auch schon zwei Plätze am allerletzten Tisch erzwungen.«

»Wer sind dort die Spieler?«

Der Obergespan zählte die Spieler der Reihe nach auf, alle trugen althistorische Namen. Es waren drei Grafen darunter. Katánghy fuhr zusammen, als er hörte, daß auch Albert Tenky sich unter ihnen befand. Das also ist sein Nebenbuhler! Ein schlanker Aristokrat von hochmütiger Haltung. Der vierte Partner war nur ein Edelmann, jedoch von fürstlicher Abstammung.

Katánghy wich erschrocken zurück. Wie sollte er es wagen, sich mit diesen Magnaten zum Spiele niederzusetzen! Alles in allem hatte er ein paar Zehnguldennoten in der Tasche.

»Nein, nein,« stotterte er beschämt.

»Es muß sein. Wie willst du denn anders mit den Menschen Bekanntschaft machen? In der Bibel steht geschrieben, man soll: ›Mit den Weinenden weinen, mit den Lachenden lachen, mit den Färbelspielern Färbel spielen.‹ So komm' doch!«

Er packte ihn beim Kragen und schleppte ihn hin. Melchior stand vor Aufregung der Angstschweiß in hellen Perlen auf der Stirn. Er dachte daran, was aus ihm wohl werden würde, wenn er sein ganzes Geld verlöre und nicht mehr imstande wäre, zu zahlen. Er müßte vor Schande versinken! Wenn er nur wenigstens einen Revolver mitgebracht hätte! Er wollte dem alten Bekannten seinen finanziellen Status offen eingestehen, als er jedoch endlich zu Worte kam, nahm er zu seiner Verblüffung wahr, daß er an dem Tische zwischen zwei Magnaten saß, und daß auch die Karten schon ausgeteilt waren.

»Gibst du das ›Bisi‹?«

Er besah seine Karten; es waren zwei rote, ein Unter und ein Ober.

»Ich gebe es,« sagte er in weinerlichem Ton. »Wieviel?«

»Ein Zehnerl, mehr darfs nicht sein.«

Unser Held atmete auf – aber noch immer schaute er ängstlich auf die anderen, was sie wohl in die »Schnur« legen. Denn wer kann wissen, wie viel in Siebenbürgen ein »Zehnerl« ist? Nennt man den Krug doch hier »Humpen«, den Adeligen »Hochgeboren«, den Magnaten »Wohlgeboren«; der Teufel kennt sich hier ans. Und wenn unter dem »Zehnerl« eine Zehngulden-Banknote verstanden wird?

Seine Furcht war jedoch grundlos, denn in der »Schnur« funkelten lauter Lónyai-Sechser in altbekanntem liebgewordenem Glanze. Melchior empfand jetzt eine gewisse Dankbarkeit für jene wackeren siebenbürgischen Fürsten von ehedem, die den Székler »Grundherren« ihre Güter knapp zugemessen hatten, ja sie ihnen sogar mitunter einfach wegnahmen.

Das Färbelspiel gehört zu den reißenden Tieren, denn es frißt Geld und Zeit mit großer Geschwindigkeit. Der Kuckuck in der Wanduhr sprang häufig hervor, um durch seinen Ruf zu verkünden, daß man der Deputiertenwahl wieder um eine Stunde näher gerückt war.

Gegen Mitternacht kam der Hausherr herein, um mit Stentorstimme zu rufen: »Meine Herren, wir brauchen die Tische und Stühle.«

Das Spiel wurde abgebrochen; man strich das Geld in die Taschen (auch Herr v. Katánghy hatte etwas gewonnen ), worauf man dann in wenigen Minuten die Tische zusammenschob, quer durch die beiden Zimmer stellte und sich zum Nachtmahl setzte. Wunderschöne, schlanke, grauäugige Székler Mädchen trugen die Speisen auf.

Vom gefüllten Kraut und dem knusprig gebratenen Ferkel, das auch noch tot recht artig einen gebratenen Apfel im Maule hielt, bis zum Prügelkrapfen und Blätterteigkuchen war dort die ganze Herrlichkeit der Székler Küche in reichstem Maße vorhanden. Nach einigen lecker duftenden Gerichten rief man hie und da die Köchin herein, die wohledle Frau Peter János, die denn auch errötend unter die Gäste trat, so oft man sie rief (wie im Theater die Darsteller großer Rollen es zu tun pflegen) und sich ein Glas Wein, das die dankbaren Székler ihr anboten, gutschmecken ließ, worauf sie sich den Mund wischte und verlegen stotterte: »Könnte alles noch besser sein, bitt' schön!...«

Nun begann der Reigen der Toaste. Der Székler ist beim Schmause wortkarg, gelassen, würdig und ernst. Spricht er jedoch, so geschieht es mit Pathos und in blumenreicher Rede. Ganze Debatten entstanden und wurden bedachtsam, in verschnörkelten Redewendungen zu Ende geführt.

Das Nachtmahl dauerte bis 5 Uhr morgens.

Da sprach der Nabob wiederum: »Wir brauchen die Tische.«

Die Gäste standen auf, und man stellte die Tische und Stühle wieder auf ihre alten Plätze. »Restitutio in integrum

»Was folgt nun?«

Der Obergespan zuckte die Achseln wie ein echter rechter Fatalist.

»Was soll denn folgen? Wir setzen uns wieder zum Färbelspiel.«

»Und dann?«

»Wenn die richtige Zeit da ist, wird das Frühstück kommen. Was willst du noch wissen?«

»Wann du an die Heimkehr denkst?«

»O, die liegt noch in weiter Ferne, mein Freund. So weit pflege ich nicht im voraus zu denken. So viel aber kann ich dir zu deiner Richtschnur sagen, daß die Namensfeste hier gewöhnlich drei Tage dauern.«

»Darüber gehe ich zugrunde!« seufzte der entsetzte Katánghy im Tone vollster Überzeugung.

»Für die Toten ist das nicht bindend. Wer früher stirbt, geht früher, denn hier wäre nicht einmal Platz für einen Katafalk vorhanden; aber die Lebenden sind für drei Tage verpflichtet; am vierten Tage kommt dann das »Pelzausfuchsen

»Ja, was ist denn das?« fuhr der Doktor verblüfft auf.

»Ei, du bildest dir doch nicht ein, daß dir – wenn du am vierten Tage zur Heimkehr rüstest – unter einem solchen Haufen von Pelzen, die in bezug auf Tuch, Fell und Schnitt alle gleich sind, sofort dein Pelz in die Hände fällt! Ein ganzer Tag vergeht mit dem Herumstöbern, dem Hin- und Herwerfen. Glaube mir, es ist sehr belustigend, ein wahrhaftiges Vergnügen, wenn der Mensch schließlich post tot discrimina rerum zu seinem Pelz gelangt, vorausgesetzt, daß man denselben nicht vertauscht, fortgetragen und einen anderen an seiner Stelle zurückgelassen hat.«

»O, o! Das wäre gar schön... Meinen Pelz habe ich mir von meinem Schneider geliehen. Jeder Tag kostet einen Gulden Leihgebühr. Wenn mir den jemand fortträgt, werde ich das Vergnügen haben, bis an mein Lebensende zu zahlen.«

Diese Aussicht war in der Tat beängstigend. Unser Melchior war, wie alle verweichlichten Stadtmenschen, jetzt schon müde zum Umfallen, er glaubte zusammenbrechen zu müssen. Er begann schon zu bedauern, daß er überhaupt hierhergekommen war. Welchen Zweck hatte eigentlich das Ganze? Am besten wäre es, von hier irgendwie durchzugehen; wenn er wenigstens vorher mit Onkel Johann reden könnte.

Aber Onkel Johann ging ihm, wie es schien, geflissentlich aus dem Wege; er saß ganz weit von ihm, unten am Tisch als »Kumanierhauptmann«. Bei einem Szßekler Schmaus ist die »Kumanierhauptmannswürde« ein Amt ad hoc. Zwischen jedem vierten und fünften Gast sitzt je ein Kumanierhauptmann, den der Hausherr für diese Funktion unter den weniger angesehenen Gästen aussucht, damit er die neben ihm sitzenden Gäste zum Essen und Trinken ermuntere, sie bediene, ihnen immer wieder einschenke. Katánghy war verwundert. Was soll denn das zum Teufel nur heißen? Der mächtige König Johann bedient hier die anderen? Das kann man doch unmöglich begreifen! Auch fiel es Katánghy beim Nachtmahl auf, daß keiner ein Hoch auf den Alten ausbrachte, während man doch hier fast auf jedermanns Wohl ein Glas leerte.

Er konnte sich nicht enthalten, seinen Nachbar zur Linken, den jovialen Stefan Gábor, nach dem Grunde dieser Sache zu fragen, und dieser antwortete ihm dann wörtlich: »Er ist hier im Komitat nicht sonderlich beliebt. Zu einem kreischenden Schiebkarren wird doch kein Mensch sagen: ›Komm du Kutsche‹!«

»Aber drinnen in der Stadt«, widersprach ihm Katánghy, »ist er doch ein mächtiger Mann, wie ich höre.«

Stefan Gabor zuckte verächtlich die Achsel.

»Na ja! Auch der Fuchs ist Gebieter in seinem Bau!«

Diese Herabsetzung des Königs Johann verstimmte Melchior gewaltig. Klara hatte ihn also auch mit diesem Menschen zum besten gehalten! Wenn er sie doch nie kennen gelernt hätte!

Als er sich dann nach aufgehobener Tafel durch den drängenden Menschenschwarm hindurch ins dritte Zimmer zu seinen Partnern durchschlängeln wollte, huschte plötzlich König Johann an ihm vorbei und flüsterte ihm ins Ohr: »Alles steht zum besten!«

Katánghy fand nicht einmal die Zeit, ihn anzusehen, so plötzlich und spurlos war er verschwunden, wie der Rauch. »Alles steht zum besten!« Was zum Teufel ist denn dieses Alles? Ach, der Alte schwatzt nur Dummheiten!

Melchior dachte gar nicht mehr an seine Kandidatur, sondern er zerbrach sich nur den Kopf darüber, wie er sich wohl aus dem Staube machen könnte, als ihn ein Mann in grauem Tuchgewande plötzlich am Rockzipfel faßte und ihn um seine gütige Protektion beim Kultusminister bat.

»Aber ich habe doch keinen Einfluß bei dem Minister!«

»Wird schon kommen,« entgegnete der Mann im grauen Gewand mit bedeutungsvollem Zwinkern, als wollte er sagen: »Ich weiß schon alles«.

Das gab Melchior zu denken. Noch mehr stutzig wurde er, als während des Kartenspiels der alte Gaspár Báli, der Präsident der dortigen liberalen Partei, sich hinter seinen Stuhl stellte, ihm auf die Schultern klopfte und augenscheinlich, um ihm etwas Schönes zu sagen, oder ihm Mut einzuflößen, ohne dabei die Grenzen des Taktes zu überschreiten, seine Zigarre mit der Zunge in den anderen Mundwinkel schob und mit unglaublicher Ruhe sagte: »Freundchen, Sie haben denselben breiten Rücken, wie seinerzeit der selige Christoph v. Lábódy.«

(Christoph v. Lábódy war der zu Anfang des Zyklus plötzlich verschiedene Lieblingsabgeordnete des Bezirkes, dem sie den Namen »Der Székler Franz Deák« gegeben hatten.)

Darauf lachte der Kiebitz des Obergespans, ein Komitats-Vizenotar, laut auf: »Onkelchen, Sie werden doch nicht gar den Deputierten nach der Rückenbreite wählen wollen?!«

Der Alte blickte das grüne Bürschchen, dem die Zunge durchgegangen war, streng an: »Doch, Freundchen! Was verstehst du Gelbschnabel davon!«

Melchior sank fast vom Sessel. Er glaubte zu träumen. Und doch waren es just diese Worte, die ihm den Schlaf aus den Augen trieben. Als die Fee Majmwna schon alle Anstalten machte, ihm die Augenlider mit großen Stichen zuzunähen, zog diese Andeutung, daß seine hoffnungslose Sache unerwarteterweise beginne, sich zum Guten zu wenden, sofort alle Heftfäden aus seinen Augen. Das Blut kreiste wieder schneller, frischer in seinen Adern, ihm war plötzlich, als sei er neugeboren.

Und während er mechanisch mischte, teilte und die Karten »gustierte«, saß er wie auf Nadeln; er hätte sich für sein Leben gern umgeschaut, mit jedem gesprochen, kurz sich noch besser von der allgemeinen Stimmung überzeugen wollen.

Unmöglich! Es ist ja doch nicht möglich! dachte er bei sich. König Johann sollte das bewirkt haben? Er hat doch hier gar kein Ansehen! Nein, nein! Ich bin dumm! ich habe Halluzinationen; wie könnte es aber auch wahr sein?

Und dennoch war es wahr! – König Johann hatte den heutigen Abend wohlweislich ausgenützt. Sobald der Obergespan und Melchior erschienen waren, hatte er mit großer Geheimtuerei den ihm befreundeten Herren zugeflüstert: »Wie ich sehe, führt der Obergespan schon wieder was im Schilde. Sein Kopf ist wie die Küche des Hotels ›Zum Greifen‹ in Brasso, es kocht dort immer etwas. Oder glaubt ihr, er habe diesen Budapester nur so zum Vergnügen hierhergebracht?«

»Aber, wozu sollte er ihn denn gebracht haben?«

»Er will ihn euch als Abgeordneten aufhalsen.«

Die Székler Herren sahen einander verdutzt an: »Das mag schon sein.«

»Es mag sein? Ich weiß es bestimmt. Von wem?« (Das sagte er aber nur flüsternd.) »Tißa selber hat davon gesprochen, als ich jüngst in Budapest war.«

Die Székler Herren begannen Katánghy von der Seite zu mustern. »Ein stattlicher, hübscher Mann,« sagten einige. »Wer weiß, was in ihm stecken mag?« Mit einem Worte, die Aufmerksamkeit hatte sich ihm zugewendet, was weder er selber noch der Obergespan bemerkte.

König Johann aber fuhr in seiner Minierarbeit fort.

»Ich erklärte Tißa sofort, daß daraus nichts werden wird. Hat er es sich nicht gesagt sein lassen, so mag er jetzt zusehen. Hier wird sein Katánghy nicht Deputierter. Bei Gott, er paßt ja auch absolut nicht für uns. Er kann doch nicht einmal anständig ungarisch sprechen. So hören Sie doch nur, was für eine Aussprache er hat!«

Anfangs nahm man diese Mitteilungen mit einer gewissen Reserve auf; trotzdem aber verbreiteten sie sich wie ein Lauffeuer, und Herr Johann watschelte von der einen Gruppe zur anderen, um überall in seiner hochfahrenden Art seine Meinung zu äußern: »Er wird nicht gewählt, sag' ich; ich sag' es! Ihr könnt mich auslachen, wenn der Kerl durchkommt.«

Und dabei warf er sich keck in die Brust. Natürlich gab's unter den hochmütigen Komitatsleuten sofort einige, die dieses protzige Getue aufs äußerste erboste.

»Sie dulden es nicht? Sie? Und wenn wir ihn Ihnen zum Trotz wählen?«

»Na, das möchte ich mal sehen!« brauste der Alte auf, wie ein zorniger Puter.

Darauf erhob auch der andere seine Stimme: »Ei! Ei! Was sind Sie für ein großer Mann! Sie haben in diesem Bezirke doch nicht einmal eine Stimme. Mit welchem Recht maßen Sie sich an, hier zu verfügen?«

König Johann ward bis unter die Haarwurzeln rot vor Zorn.

»Mit welchem Rechte? Weil ich besser weiß als die Herren, was für ein Abgeordneter hierher paßt!«

»Oho!«

»Bei sich zu Hause können Sie befehlen, Herr König, hier nicht!«

Nikolaus Olt von Bidrafalu, der allein hundert Stimmen zu vertreten pflegte, begann als Nestor einer weit ausgedehnten Sippe jetzt mit seiner großen, behaarten Hand unter Királys Nase herumzufuchteln.

»Sachte, sachte. Sie mit Ihrer winzigen Gestalt, mein lieber Herr Király! Mein Wort darauf, und das ist keine Seifenblase, jetzt stimme ich just erst recht auf diesen... Dingsda... wie heißt er nur?«

»Katánghy.«

»Jawohl, auf Katánghy.«

Jetzt war die Debatte schon so laut, daß ruhigere Elemente die Kampfhähne beschwichtigen mußten: »Pst! So zankt euch doch nicht. Was sich nicht schickt, schickt sich nicht. Man hört euch ja sogar im Spielzimmer.«

Man begann auch König Johann zu besänftigen, warf ihm vor, daß nicht recht sei, was er tat. Wenn er schon auf den Gast keine Rücksicht nehmen wolle, so müsse er doch wenigstens dem Hausherrn die gebührende Achtung zollen. Es wäre wahrlich eine Schande, wenn es ihm zu Ohren käme, wie unbarmherzig man seinen Gast durchhechelt.

Aber König Johann blieb unverbesserlich. Er schlug sich auf die Brust und rief, daß ihn niemand mundtot machen werde. »Ich bin ein Charakter,« kreischte er, »was ich auf der Lunge habe, habe ich auch auf der Zunge.«

Er arbeitete weiter, agitierte unaufhörlich gegen Katánghy, solange er nur einen Zuhörer fand, und entfachte dadurch eine so erbitterte Wut gegen seine Person, daß beim Morgengrauen alle einer Meinung waren. Jeder einzelne schwor: »Just wählen wir den Pester, und damit Punktum.«

Es fanden sich sogar einige Székler, die trotzig hinzufügten: »Wenn es sein muß, verkaufe ich meine beiden Pferde, um für den Erlös Stimmen zu kaufen, aber wir werden, so wahr uns Gott helfe, König Johann schon zeigen, daß just dieser unser Abgeordneter wird!«

Als gegen neun Uhr der Hausherr mit dem stereotypen Ausruf ins Zimmer trat: »Bitte um die Tische!«, huschte König Johann gleichfalls hinein, ließ eine Münze hinter Katánghys Rücken auf die Erde fallen und flüsterte, während er sich anscheinend bückte, um die Münze aufzuheben, diesem ins Ohr: »Du wirst einstimmig gewählt werden, mein Junge!«


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