Koloman Mikszáth
Melchior Katánghy
Koloman Mikszáth

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Ein rednerischer Erfolg.

Melchior war, wie bereits gesagt wurde, ein hübscher Junge, mit ovalem, brünettem Gesicht und höchst imponierender Körperhaltung, so daß ihm die alte Wucherin in der Ungargasse doppelt so viel auf seine Instrumente lieh als anderen; und auch im »Café Schöja« ward ihm ein größerer Kredit zuteil als seinen Kameraden.

Die Vorlesungen der Universität besuchte er schlecht und recht; seine Kollegen behaupten nämlich, sich darauf zu besinnen, daß er während des ganzen fünfjährigen Studiums sich nur ein einziges Mal hervortat.

Dr. Csepenka, der berühmte Operateur, erklärte der Klasse damals die »Knochenfraßoperation«.

Die Diener brachten den Toten, dessen man zur Demonstration bedurfte, und legten ihn auf den Seziertisch. Csepenka legte seinen Arztkittel an und sprach zu den versammelten Hörern: »Was braucht man zu einer Knochenfraßoperation? Wer weiß es? Niemand. So werde ich's Ihnen sagen. Vor allem braucht man einen an Knochenfraß leidenden Kranken. Ist es so, oder nicht?«

»Jawohl.«

»Ganz recht, meine Herren. Also nehmen wir an,« sagte er, auf den Toten zeigend, »dies sei der betreffende Knochenfraßkranke. Das erste Requisit ist also vorhanden. Was braucht man noch? Nun? Ein Seziermesser braucht man. Richtig, ganz recht, ein Seziermesser, und weiter? (Hier streckte der gelehrte Csepenka den Mittelfinger in die Höhe.) Ei, also ein Knorpelmesser. So ist's. Ein Knorpelmesser. Und weiter? Eine Knochensäge. Und weiter? Einen Schwamm. Und dann? Eine Schüssel Wasser. Und jetzt?«

»Jetzt kann man endlich anfangen, Herr Professor.«

»I wo denn! Papperlapapp, meine Herren. Man braucht noch etwas.«

»Chloroform,« rief ein Student der Medizin dazwischen.

»Chloroform braucht man nur zum Einschläfern, amici. Bei kleinen Operationen aber ist's nicht nötig, den Kranken zu betäuben, sondern Assistenz ist dringend vonnöten. Der eine hält die Hand des Kranken. Kommen Sie her, Herr Demény. Ein anderer hält die Füße, damit er nicht stoßen kann. Vielleicht haben Sie die Güte, Herr Kohn. Damit ist's aber noch nicht erschöpft. Man braucht immer noch etwas. Nun? So werde ich's Ihnen sagen. Es stelle sich jemand neben den Kopf des Kranken und spreche ihm Mut zu. Denn die ärztliche Wissenschaft und die Humanität sind Geschwister. Dem Kranken tut so etwas unendlich wohl, folglich ist dies unter die beruhigenden Mittel zu rechnen. Zu dieser Rolle des Ermutigers fordere ich Sie auf, Herr v. Katánghy.«

Professor Csepenka krempelte seine Ärmel auf, während er das Seziermesser zwischen seine Zähne klemmte; Herr Demény, ein untersetzter junger Mann, faßte die Hand des Toten, der zimperliche, schwächliche Herr Kohn die Füße. Ein wahres Glück, daß der Tote nicht stoßen konnte, sonst hätte er Herrn Kohn wahrhaftig leicht fortgestoßen.

»Also jetzt!« rief Herr Csepenka. »Jedermann tue seine Pflicht!«

Der Professor ergreift den Daumen des Toten, an dem der Knochenfraß sitzen sollte und, um die Operation ganz getreu zu markieren, sagte er auch zu Katánghy: »So fangen Sie doch an!«

Daraufhin sprang unser Held zu dem Kopf des Toten, der starr und fahl auf dein Tische lag, mit erschrecklich geöffneten Augen, welche keine milde Hand auf dem traurigen Spitalslager zugedrückt hatte. Es mochte ein ungefähr dreißig Jahre alter Mann sein, mit dichtem Haar und buschigem Schnurrbart.

»Seien Sie nicht feige, mein Freund! Pressen Sie die Zähne fest aufeinander!« sprach Katánghy.

Die Studenten fingen an über die komische Situation, die aus der Pedanterie des Professors entstand, zu lachen, und kaum einer hörte Csepenka zu, der die Merkmale des Knochenfraßes ausführlich beschrieb, ehe er mit seinem Messer in den Finger der Leiche schnitt. Junker Melchior aber fuhr unbeirrt in seiner Ermutigung fort: »Fürchten Sie nichts, es dauert nicht lange. Operiert doch Herr Professor Csepenka, der große Csepenka. Freuen Sie sich, daß Sie in die Hände des großen Csepenka geraten sind!«

Der Sonnenschein drang durch die Sprossen der grünen Jalousien und huschte mutwillig-neckisch über das Gesicht der Leiche. Es schien wahrhaftig, als lächelte der Tote darüber, daß er an den großen Csepenka geraten war. Die Studenten hielten sich den Bauch vor Lachen. Csepenka selber lächelte auch.

»Ich versichere Ihnen, daß Sie zufrieden sein werden. Ein bißchen Schmerzen hat doch nichts zu bedeuten. Anderen ist schon Schlimmeres passiert. Den armen Georg Dózsa hat man auf einen rotglühenden Thron gesetzt. Was ist Ihr Fall im Vergleich damit? Und gar erst Jókais »Mann in der Büffelhaut«. Haben Sie das Buch gelesen? Das war ein Spaß! Bei lebendigem Leibe ward er geschunden und dann in eine Büffelhaut genäht. Was würden Sie zu einem solchen Vergnügen sagen?«

Hier machte Junker Melchior eine Pause, als ob er die Antwort des Toten erwarte; dieser blieb jedoch stumm.

»Pfui! Wer wird denn jammern! Was brüllen Sie denn?! Glauben Sie etwa, das wird Ihnen nützen? Denken Sie sich, es sei ein Flohbiß. Glauben Sie mir, das Ganze hat ja nichts zu bedeuten, ich sage Ihnen also nur, mein Freund, schließen Sie die Augen ...«

Das Lachen erstarrte auf aller Lippen. Der Tote schloß eines seiner Augen ...

»Er lebt! er lebt!« schrien die Hörer.

Der Tote schloß auch sein anderes Auge, und seine Brust begann sich zu heben.

Der die Schüssel haltende Assistent ließ sie vor Schreck fallen, so daß sie in tausend Scherben ging.

Bei diesem Geräusch öffnete der Tote sein linkes Auge wieder ein wenig.

Alle standen erstaunt und entsetzt, nur Dr. Csepenka nicht. Er bewahrte sein Phlegma und seinen Humor.

»Ich gratuliere Ihnen, Katánghy,« sagte er. »Das ist einer der größten rednerischen Erfolge, die ich in meinem Leben sah.«

Darauf holte er seine Schnupftabakdose hervor und nahm eine Prise. Dann hielt er die spiegelglatt polierte Fläche der Dose vor den Mund des Toten, legte seine Hand auf das Herz desselben, fühlte ein leises Pochen, worauf er ihm mit rhythmischen Bewegungen die Brust zu kneten begann.

»Ein ganz gewöhnlicher Fall von Scheintod, meine Herren. Eine sehr interessante Sache, die jedoch nicht in mein Fach schlägt.«

Er läutete dem Diener.

»Rufen Sie den betreffenden Facharzt herein, damit er diesen Menschen in gebührende Pflege nehme. Was mich anbetrifft, hm ...«

Hier unterbrach er seine Rede, um über den passenden Ausdruck nachzudenken: »Mir bringen Sie einen besser geeigneten Toten.«

Der Fall dieser merkwürdigen Erweckung kam damals in alle Zeitungen, mit den dazu gehörigen Namen. (Der vom Tode erwachte Mensch war ein gewisser Michael Varga, ein Böttchergeselle). Der alte Johann v. Katánghy aber trug seither das betreffende Zeitungsblatt immer in seiner Rocktasche.

»Was für ein närrischer Fall,« wiederholte er seinen Bekannten. »So etwas kann aber auch nur meinem Melcherl passieren. Vertrackter Schlingel! Seit unserem Herrn Jesus Christus gab es kein Beispiel dafür; – selbst Cicero konnte das nicht erreichen; auch Ludwig Kossuth konnte keinen Toten zum Leben erwecken; eher umgekehrt; er machte mit seiner flammenden Redekunst aus den Lebenden Tote! Himmelkreuzelement! Dem Toten zu sagen: ›Schließen Sie die Augen, mein Freund‹, und der Narr gehorcht ihm und schließt sie.«

Dem alten Katánghy gefiel der gehorsame Varga so gut, daß er direkt nach Budapest fuhr, um ihn zu besuchen; und als der Kerl nach einem Monat ganz hergestellt war, nahm er ihn als Hausdiener mit sich nach Katángfalu, um ihn seinen Gästen als ein besonderes Wundertier zu zeigen.

So blieb Michael Varga auf dem Herrenhofe von Katángfalu. Als einige Jahre darauf Junker Melchior, »das große oratorische Talent« (wie ihn die Hörer der Medizin seither im Scherze nannten), sein Doktordiplom erhielt und mit großem Triumph von der benachbarten Eisenbahnstation in der blauen Familienarche (er lenkte selbst die Pferde) heimkehrte, fiel ihm sein Vater gerührt um den Hals und sprach: »Jetzt bist du ein ganzer Mann, Melcherl. Was wir verwirtschaftet haben, ich und deine Brüder, das mußt du wieder erwerben. Ich kann dir zum Anfange nicht Gold und Silber geben, da ich selber keines besitze; aber ich habe dir eine Erziehung gegeben, und jetzt gebe ich dir auch noch Michael Varga als Diener; er wird dir sicherlich Glück bringen.«


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