Gustav Meyrink
Des Deutschen Spießers Wunderhorn
Gustav Meyrink

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Die Erstürmung von Serajewo

(Aus meinen Kriegsjahren)

Nervi, im Juli 1908

Der Herbst zog ins Land, und, wie der Dichter sagt, die schönen Tage von Arranguetz waren schon vorüber. Wir saßen grad im Café Fensterl – ich denk es noch wie heut – ich und mein Freund, der Oberleutnant vom dreiundzwanzigsten, Stankowits, und schauen, ob net ein fesches Weib vorübergeht.

Was machst du heut, Stankowits, frage ich, ich geh »bacc«. – Ich? Ich geh »privat«, sagt der Stankowits, und da geht auch schon die Glastür vom Kaffeehaus und herein stürzt der Hauptmann in Evidenz dreiundsiebzigstes Feldjägerba'on Franz Matschek.

»Wißt' ihr's schon, Krieg is, Krieg is«, ruft er noch ganz atemlos. Was denn, wir beide, ich und der Stankowits springen erregt auf, und der Stankowits ruft in der ersten Verwirrung: »Zahlen.«

»Herr Hauptmann, irrst du dich auch nicht?« sag ich und stell mich in Positur.

Es war aber kein Irrtum.

Keine Feder vermag zu schildern, was damals in der Brust von einem jeden von uns vorging. Krieg, Krieg, es ist halt doch eine greuliche Sach, so wie ich jetzt in reifen Jahren drüber denk!

Ich war noch ein blutjunger Leutnant, und es zog mir doch ein wenig das Herz zsamm, wenn ich an das liebe Elternhaus dachte.

Und es waren so friedliche Zeiten gwesen, und die Nachricht des Krieges kam wie der Blitz.

Wie bekannt, saß damals unser Allerhöchster Kriegsherr Alois der Dritte, der Gütige, auf dem Throne. »Lang, lang ists her, jetzt ruht er in steinernen Särgen!«

Durch intime Beziehungen, die ich damaliger Zeit zu einer hohen Person unterhielt – pardon, die Diskretion verbietet mir, Details anzugeben –; erfuhr ich ganz Genaues über den Ursprung und so weiter und so weiter des Krieges und wurde so einer der wenigen Sterblichen, die tiefer in dies Blatt der Weltgeschichte zu blicken vermochten.

Die Kriegserklärung erfolgte, wie allgemein bekannt, am einunddreißigsten September denkwürdiger Erinnerung.

Es war grad Rindviehausstellung. Um Schlag elf sollte eröffnet werden. Die Prachtochsen aus allen Gauen der Monarchie standen schon bekränzt beisamm und man wartete nur noch auf das Allerhöchste Eintreffen unseres geliebten Kriegsherrn.

Endlich fuhr der Galawagen vor.

Einen Augenblick später stand die hohe Gestalt Alois' III. weithin sichtbar auf der Estrade. Drei Schritte hinter ihm in goldstrotzender Uniform die hohe Person, von der ich schon sprach und später alles genau erfuhr.

Unauffällig zog unser Allerhöchster Kriegsherr aus der rückwärtigen Tasche ein Stück Papier und sah verstohlen auf die Inschrift:

»Diese Brücke ist dem Volke«, hörte man ihn murmeln, »nein, das ist es nicht« – und er holte eine andere Karte hervor: »Hurra« (Nein, die ist es auch nicht.)

Dann kam eine blaue mit dem Satze: »So läute denn, Glocke, fürder.« (Sapperlot, wieder falsch.)Historisch, bitt schön.

Der Monarch wurde bereits nervös und man konnte bereits deutliche Zeichen Allerhöchster Ungeduld wahrnehmen.

Ein neues Billett: »Sehen Sie nur zu, daß die Verhältnisse so rasch wie möglich zu einem gedeihlichen Ende kommen.«

(Der verflixte Franz hat mir schon wieder die Zetteln durchanandbracht.)

Ein letztes Mal tauchte die Allerhöchste Hand in die rückwärtige Tasche. – Ein rotes Billett! Ein Augenblick furchtbarer Spannung, – – und klar und fest hallte die Stimme des Herrschers, den gordischen Alexanderknoten mit einem entschlossenen Ruck zerhauend, über die Köpfe der Menge hin: »Ich – erkläre – den – Krieg!«

Ehe irgend jemand noch so recht zur Besinnung kommen konnte, hatte der Monarch bereits elastischen Schrittes, gefolgt von der »hohen Person«, die Estrade verlassen.

Die Herren vom Generalstab, die vollzähling beisammenstanden, waren eine Weile in tiefster Ratlosigkeit. Erst unser unvergeßlicher Feldzeugmeister Topf Edler von Feldrind, damals der feinste Kopf unserer Armee, rettete, wie schon so oft in ähnlich kritischen Lagen, die Situation mit den entschlossenen Worten:

»Meine Herren, jetzt da muaß wos gschehn.«

Und einen Augenblick später brauste auch schon die Volkshymne durch den Ausstellungsplatz.

Eine Begeisterung, von der man sich nach so viel Jahren kaum mehr eine Vorstellung machen kann, loderte auf. Das Rindvieh riß sich los und raste umher, die Prachtochsen waren kaum mehr zu halten; und stärker, immer stärker aus tausend Kehlen schwoll der Ruf: »Alois, der Dritte, der Gütige, er lebe hoch!« – Dazwischen, wie Raketen aufsteigend, gellten grimmige Verwünschungen auf den Feind.

Wie stets in solchen Fällen, wanns gilt »zu den Waffen«, griff die Begeisterung in wenigen Stunden auf das ganze Land über. – – Keiner wollte da zurückstehen. Selbst der Geringste brachte seinen goldenen Ehering zum Altar des Vaterlandes und tauschte ihn gegen einen eisernen Gardinenring um. – Die Mädchen zupften Tag und Nacht (Scharpyen oder wie man das nennt.) Und was die vornehmen Damen waren, arrangierten einen Basar mit Busseln für das rote Kreuz. Pardohn den Ausdruck, aber es war eigentlich eine Gaudi. Ich denk es noch wie heute! – –

Trotz des Ernstes der Lage mußten wir damals insgeheim oft lächeln. – – –

Es war halt doch eine fesche Zeit!

Also, die ganze Woche denkwürdigen Datums war das Palais des Kriegsministerium taghell erleuchtet gwesen. – Vor den Toren wogte die aufgeregte Volksmenge auf und ab, und die Polizeibeamten hatten die größte Mühe, im Schweiße ihres Angesichts den freien Verkehr zu verhindern.

Wie ich später von der angedeuteten hohen Person unter Diskretion erfuhr, hatten sich die Herren vom Generalstab lang net einigen können, gegen welche Macht eigentlich der Krieg geführt werden sollte.

»Montenegro, Montenegro«, schrien fast alle, als der vorlesende Major Auditor beim Buchstaben M angelangt war, und nur der Hartnäckigkeit der besonneneren Herren ist es zu danken, die immer wieder betonten, daß in der Armee die erforderliche Beweglichkeit des Trains infolge gerade jetzt im Gange befindlicher Reorganisation desselben immerhin zu wünschen übrig ließe, und daß man sich gerade jetzt, wo es gelte, der vaterländischen Ruhmesgeschichte nach so langer Zeit wieder ein neues grünes Reis zuzufügen, vor jedem Wagnis sorgsam zu hüten habe, – – also dieser Hartnäckigkeit der besonneneren Herren ist es zu danken, daß man sich schließlich auf – – Thessalien einigte.

Dort hatte Menelaus Karawankopolous den Thron inne, und daß er – bekanntlicher geringer Herkunft – der einzige Souverän war, der nicht mit die andren Herrscherhäuser verwandt war, gab den Ausschlag.

Erst in früher Morgenstunde des letzten Wochentags aber wurde abgestimmt und der Beschluß gefaßt, »über Auftrag eines hohen Kriegsministeriums wolle eine sub adressa p. t. Staatsdruckerei die Fertigstellung des neuen Generalstabskarten, insbesondere der die im Osten an die benachbarten Länder angrenzenden Militärstreifen betreffenden unverzüglich und nach Tunlichkeit beschleunigen.«

Damit war der Würfel gefallen.

»Alea jacta est«, wie unser verewigter Oberst Chiçier immer zu sagen pflegte.

In unbeschreiblicher Erregung warteten wir alle Herren unterdessen in der Kasern auf den kommenden Befehl von oben.

Wir hatten Bereitschaft und seit neun Uhr abends stand die Mannschaft in voller Marschadjustierung in Reih und Glied im Kasernenhof.

Endlich um sieben Uhr früh, nie im Leben werd ich den Augenblick vergessen, kam der Befehl: »Zum Bahnhof!«

Und unter dem althistorischen »Tataramm, Tataramm Tataram, Tataraa, – – Tataramm, tataramm, tataram« – – ging's durch die Stadt.

Mir schlug das Herz bis zum Halse hinauf. –

– – – »eine Kugel kam geflogen, gilt sie mir oder gilt sie dir« – hab ich sofort summen müssen, wie wir so marschiert sind. – – –

Eine halbe Stunde später waren wir einwaggoniert.

Unser Regiment (Oberst Chiçier) war, wie wir bald wahrnahmen, an den Bodensee kommandiert.

Das hatte nämlich seinen guten Grund.

Kaiser Karawankopolous, dessen früherer Name eigentlich Franz Maier gwesen, hatte vor seiner Thronbesteigung bekanntlich mit seinem Bruder Xaver zusamm eine Brigantenschar befehligt. Xaver war dann in die Schweiz gangen und hatte sich als Hotelier selbständig gemacht. Da durfte naturgemäß der Gedanke, daß zwischen Thessalien und der Schweiz eine feine diplomatische Fäden spönnen, im Auge behalten werden.

Unser Regiment hatte die Aufgab, das hatten wir bald heraußen – koste es auch den letzten Mann – die Landung der beiden schweizerischen Kriegsschiffe »Douceur« und »Wilhelm Hô-Tell« zu verhindern, die sich unter allerhand ränkevollen Manövern und unter dem Vorwand, lediglich dem friedlichen Renken- und Weißfischfang obzuliegen, Tag und Nacht in bedrohlicher Nähe unseres Gestades hielten. Stündlich nahm unser Oberst die Berichte der Spione aus Feindesland entgegen.

Ja, es waren Tage aufreibendster Erregung!

Da verlautete, die Schweizer hätten sofort im ersten Schrecken, als es hieß, die Kaiserlichen kommen, sämtliche Kühe des Landes mit dem »Aßßansöhr« auf die Matten geschafft. – Dann wieder kam die Nachricht, der eidgenössische Automobilfallensteller Guillaume Oechsli sei zum Admiral ernannt worden und das Eintreffen des Feldmarschalls Büebli – zurzeit noch Oberkellner im Grandhotel »Koofmich au lac« – könne, da sich der Fremdenstrom bereits zu verlaufen beginne, stündlich gewärtigt werden.

– Die »furchtbaren Schützen aus dem Waadtland kommen, die in Friedenszeiten die Löcher in den Emmentaler Käs schießen« – lief dann plötzlich das Gerücht um – »die ganz freien Schweizer, die nicht einmal Stiefel an den Füßen dulden und denen sich durch häufiges Waten durch die Straßen Genfs ganz von selbst und sozusagen natürliche Schuhe bilden.«

Nachts jede Minute bereit, in den Heldentod zu gehen, tags ununterbrochen die unverständlichen Commandi im »Schwizzer Dütsch«, das furchteinflößende »chacharachch–hoou–gsi« von den Bergrücken schallen zu hören – – – ach, wie oft kam da der Stankowits zu mir ins Biwak, umarmte mich unter Tränen und sagte: »Freunderl, i halts nimmer aus!«

Eines schönen Morgens, ich hatte mir grad ein frisches Zigarettl angezündet, da tönten Alarmsingale: tatarah, tatarah, durchs ganze Lager. Uiberfall, Uiberfall war unser aller erster Gedanke. Kommandorufe, Hinundherrennen der Chargen, die Signale der Artillerie, die in der Hast mit ihre Gschütz mitten durch unsre Fußtruppen hindurch wollten, und so weiter und so weiter. Keiner von uns allen Herren wußte mehr, wo ihm der Kopf stand. Kurz, es war ein Durcheinand, wie es eben nur – in Kriegszeiten möglich is. Doch bald trat wieder die kaltblütige Ruhe ein; es stellte sich heraus, daß lediglich die Feldtelegraphen unrichtige Zeichen gegeben hatten. Man hatte mit den Triëdern einige Extrazüge Lindau passieren gesehen, die, mit färbig bemalten riesigen Metallplatten beladen, neue, ganz unbekannte Geschützarten zu transportieren schienen. Es war jedoch bloß der zerlegbare künstliche Blechregenbogen vom Rigi gwesen, Nationalgut der Eidgenossenschaft, das die Schweizer wie ihren Augapfel hüteten und jetzt in ihrer Angst in Sicherheit brachten.

Aber genug nun von alledem. Als gewissenhaftem Chroniker liegt es mir ob, auch die östliche Seite des Kriegsschauplatzes zu beleuchten.

In beispiellosen Eilmärschen, wie sie in der Kriegsgschicht wohl einzig dastehen, war unser erstes, zweites und drittes Armeekorps in östlicher Richtung vorgedrungen:

Der so wenig wünschenswerte Verlauf, den leider der Feldzug trotz aller so glorreichen Einzelphasen für uns nahm, ist ja historisch, – bekanntlich aber nur auf Rechnung ganz unvorhergesehener Zufallstücken zu setzen. So glänzend unsere Regimenter am Bodensee den eventuellen Feind in Schach hielten, so sehr hatten wir im Osten mit den unglaublichsten Widrigkeiten aller Art zu kämpfen. – So blieben zum Beispiel die Generalstabskarten von der Staatsdruckerei aus und machten sich durch ihren Mangel äußerst fühlbar und so weiter und so weiter.

Irrige Deutungen des alten Moltkeschen Satzes: »Getrennt marschieren und vereint schlagen«, verhängnisvoll unterstützt von allerhand eingeschlichenen sinnstörenden Schreibfehlern im Feldzugsplan, – hatten im Lauf der langen Friedensjahre Platz gegriffen und dazu geführt, daß man dem ersten Armeekorps die Munition und dem zweiten die Waffen zuteilte und beide dann getrennt marschieren ließ. – Das hätt net viel gmacht, wenns halt nicht grad durch einen unglückseligen Zufall das erste Armeekorps die Wegrichtung verloren und sich in Siebenbürgen verirrt hätt, so daß das zweite Armeekorps ohne eine einzige Patrone in Thessalien anlangte und nach vier Wochen; ohne einen Schuß tun zu können, unverrichteter Sache wieder heimkehren mußte.

Das dritte Armeekorps, nach altem Prinzip mit Waffe und Munition ausgerüstet, war leider ebenfalls abgeirrt und versehentlich viel zu weit nach Süden geraten. So sehr hatte sich das Kriegsglück gegen uns verschworen!!

Was das Verhalten des Feindes anlangt, so war uns dasselbe gleich von Beginn an vollkommen rätselhaft und geheimnisvoll.

Die Erlasse des Menelaus Karawankopolos an seine Truppen, der übrigens mit Unrecht in der Geschichte »der Ränkevolle« genannt wird, erscheinen auf den ersten Blick vollkommen sinnlos und einem zerrütteten Gehirn entsprungen.Noch heute zerbrechen sich unsere staatlich angestellten Historiker die Köpf, um den Schlüssel zu dem Vorgehen des Thessaliers zu finden. Fast könnte man sich versucht fühlen, an eine Frozzelei zu denken, wenn man nicht wüßt, es mit einem Geisteskranken zu tun gehabt zu haben.

So hätte der Thessalier die Todesstrafe verhängt für jeden seiner Leute, der es wagen sollte, auf einen unserer Offiziere zu schießen, und begründete dies seinem Stabe vis-à-vis mit dem wahnsinnigen Satze: »Wehe uns, wenn der Feind je ohne ›Führung‹ wäre und die Mannschaft nur auf sich allein angewiesen.«

Dieser Wahn des Karawankopolous ging so weit, daß er insgeheim Bauern, Hirten, Zigeuner und so weiter angestellt hatte, die sogar die Telegraphendrähte in unsem (!!) Lande in Ordnung halten mußten, zerrissene Drähte nachts heimlich löteten und dergleichen, bloß damit, wie er geäußert haben soll, »die Heeresleitung in Wien ununterbrochen Einfluß auf die Kriegsführung nehmen könne.«

Kann das ein vernünftiger Mensch verstehen?

Nicht genug damit: Auf den Wegen, die unsere Infanterie zu passieren hatte, waren häufig – – Bretter gelegt, wie um uns Herren Offizieren, was die Berittenen waren, das Hinüberkommen über die Gräben zu erleichtern! Und nahm wirklich einmal ein Pferd Schaden, – wie aus dem Boden gewachsen kam immer gerade ein Strolch des Weges und brachte ein neues, lammfromm zugerittenes Tier daher. –

Auf die Mannschaft dagegen hagelte es nur so blaue Bohnen aus dem Hinterhalt; zu Hunderten fielen die Kerle. Bis heut gänzlich unaufgeklärt ist übrigens der Umstand, daß die feindliche Bevölkerung bei dem Eintreffen unseres zweiten Armeekorps in Thessalien auch nicht eine Spur von Bestürzung oder Angst an den Tag legte und alles nur hämisch grinste. Es schien fast, als ob die Schufte Wind bekommen hätten, daß die Unsrigen über keine einzige Patrone verfügten.

Wie bereits erwähnt, war inzwischen unser drittes Armeekorps unter Topf, Edlen von Feldrind, in beispiellosen Eilmärschen irrtümlich zu weit nach Süden geraten, und eines Morgengrauens eröffnete sich den staunenden Blicken des Generalstabes tief unter ihnen ein weites Tal und mitten darin eine schimmernde, trotzig befestigte Stadt.

Keinen Augenblick Zeit verlor der heißblütige heldenhafte Topf.

Alles deutete darauf hin: – die Halbmonde auf den Kuppeln – kurz, der ganze türkisch-griechische Charakter, das drohende schweigsame Fort, das Militär in den Straßen in österreichischer (!!) Verkleidung und scheinbar (!) ganz ahnungslos, alles das mußte doch drauf hindeuten, daß es sich hier um das Herz Thessaliens handle, und daß der ränkesüchtige Grieche offenbar die Kaiserlichen mit allerlei Blendwerk hinters Licht zu führen plane.

Mit katzenhafter Geräuschlosigkeit postierte Topf seine Truppen, eröffnete um sechs Uhr früh das Feuer und ging sofort zum Bajonettangriff über. Es kam zu einer Schlacht von noch net dagwesener Heftigkeit. – Übrigens dem gemeinen Mann alle Ehre: wie die Löwen schlugen sich die Kerle. Die Stadt wehrte sich verzweifelt; seit den Kreuzzügen sah man kein solches Ringen, und erst die sinkende Nacht gebot dem Mann Einhalt.

Mit Feldherrnblick erkannte Topf, Edler von Feldrind, bereits um vier Uhr nachmittags, daß keine Macht der Erde ihm die Siegespalme mehr werde entreißen können, und telegraphierte an unsern Allerhöchsten Kriegsherrn:

Nach furchtbarem Kampfe feindliche Hauptstadt erstürmt, Entrinnen des Gegners unmöglich, lege Euer Majestät entscheidenden Sieg untertänigst zu Füßen.

Um halb fünf Uhr langte die Depesche ein, trug um sechs Uhr das Siegeshalleluja in alle Winde, und bereits um sieben Uhr waren auch unsere Regimenter am Bodensee vom Ende des Krieges in Kenntnis gesetzt und der Rückzug angeordnet.

Wir waren grad nach einem Marsch, ich hatte den Speisesaal in einem noblen Hotel in Beschlag genommen, wie das halt in Kriegszeiten schon so is, und hatte mir zum großen Nasenrümpfen von einigen Gigerln, die mit ihre aufgeputzten Weiber am Nebentisch saßen, die Stiefel ausgezogen, um mir die Fußfetzen ein bissel auszuschlenkern, da stürmt der Stankowits herein und kann vor Tränen gar nöt reden. »Friedensschluß« ist das einzige, was er herausbringt. Na, und »in den Armen liegen wir sich beide und weinen vor Schmerzen und Freude«, wie es im Liede so herrlich heißt.

War das ein Jubel! Die Kameraden umringten mich, und wir gratulierten einander unter Tränen. Die zwei Gigerln entfernten wir mit Brachialgewalt der Hetz wegen aus dem Lokal – wir waren unser sechs Herren und drei Feldwebeln – und machten dann einen Mulatschak bis zum frühen Morgen.

Wohl langte am nächsten Tag noch eine Flut von Depeschen ein, die wieder alles in Frage stellten und die Weiterführung des Krieges in Aussicht rückten, »da die Erstürmung der feindlichen Hauptstadt auf einem Irrtum beruhe«, uns war aber schon alles wurst, und wie die Sachen schon einmal standen, war die Gschicht auch schon zu weit gediehen. – Unsere verheirateten Herren drängten auch schon nach Haus, und so bliebs schließlich beim Friedensschluß.

Die zweiten Depeschen wurden dann natürlich von Hoher Seite als inoffiziell erklärt.

Der Widerspruch in den Telegrammen ergab sich nämlich aus dem Umstand, daß die gewisse erstürmte Hauptstadt im östlichen Kriegsschauplatz noch am Abend nach der Schlacht beim Einzug Topfs Edlen von Feldrind zu spät als Serajewo erkannt und agnostiziert wurde, welches Serajewo schon lange, lange gut österreichisch und schon seit Kaiser Franz Josephs Zeiten der Monarchie angegliedert ist.

So bedauerlich nun auch der, man möchte fast sagen, überflüssige Verlust von Menschenleben bei dieser abermaligen Erstürmung von Serajewo immerhin sein mag, so bietet doch der Verlauf des Feldzuges im allgemeinen und der der Schlacht im besondern eine solch reiche Fülle gewonnener strategischer Erfahrung, daß füglich die Schattenseiten mehr als ausgewetzt gelten können.

Da kann man nur sagen: das bringt das rauhe Kriegshandwerk halt schon so mit sich.

Pardohn, aber wo Licht ist, da ist halt auch Schatten.

Und dann ist der Krieg eben eine notwendige Sach, das haben selbst die scharfsinnigsten Köpfe vom Zivil eingstehen müssen.

Ich für meinen Teil wenigstens möchte die Erinnerung an meine Kriegszeit net um alles in der Welt missen. Wenn ich mir so denk und mir dabei meinen martialischen Schnurrbart streich, wird mir immer so ganz eigen, man kann das gar net so recht mit Worten sagen. – Man ist halt doch wer, und wenn einem ein Feuerwehrhauptman oder so von weitem begegnet und sieht die Allerhöchste Dekoration, schon salutiert er stramm oder macht »Habt Acht«. Und wenn man an einem öffentlichen Ort oder so in den Rasen tritt, traut sich halt doch keiner was sagen. No, und gar erst die Maden!

Ja, wie gsagt, pardohn, aber ich für meinen Teil möcht die Erinnerung an meine Kriegsjahr net missen!!


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