Gustav Meyrink
Des Deutschen Spießers Wunderhorn
Gustav Meyrink

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Bologneser Tränen

Sehen Sie den Hausierer dort mit dem wirren Bart? Tonio nennt man ihn. Gleich wird er zu unserem Tische kommen. Kaufen Sie ihm eine kleine Gemme ab oder ein paar Bologneser Tränen; – Sie wissen doch: diese Glastropfen, die in der Hand in winzige Splitter – wie Salz – zerspringen, wenn man das fadenförmige Ende abbricht. – Ein Spielzeug, weiter nichts. Und betrachten Sie dabei sein Gesicht, – den Ausdruck!

Nicht wahr, der Blick des Mannes hat etwas Tiefergreifendes? – Und was in der klanglosen Stimme liegt, wenn er seine Waren nennt: Bologneser Tränen, gesponnenes Frauenhaar. Wenn wir dann nach Hause gehen, will ich Ihnen seine Lebensgeschichte erzählen, nicht in diesem öden Wirtshaus – – – draußen am See – im Park.

Eine Geschichte, die ich niemals vergessen könnte, auch wenn er nicht mein Freund gewesen wäre, denn Sie hier jetzt als Hausierer sehen und der mich nicht mehr erkennt.

Ja, ja – glauben Sie es nur, er war mir ein guter Freund, – früher, als er noch lebte, – seine Seele noch hatte, – noch nicht wahnsinnig war. – – – Warum ich ihm nicht helfe? – Da läßt sich nicht helfen. Fühlen Sie nicht, daß man einer Seele nicht helfen soll, – die blind geworden – sich auf ihre eigene, geheimnisvolle Weise wieder zum Lichte tastet, – vielleicht auch zu einem neuen hellern Licht? –

Und es ist nichts mehr als ein Tasten der Seele nach Erinnerung, wenn Tonio hier Bologneser Tränen feilbietet! – Sie werden dann hören. – Gehen wir jetzt fort von hier. –

– – – Wie zauberhaft der See im Mondlicht schimmert!

– – – Das Schilf, da drüben am Ufer! – So nächtig – dunkel! – Und wie die Schatten der Ulmen auf der Wasserfläche schlummern – – – dort in der Bucht! – –

– – – In mancher Sommernacht saß ich auf dieser Bank, wenn der Wind flüsternd, suchend durch die Binsen strich und die plätschernden Wellen schlaftrunken an die Wurzeln der Uferbäume schlugen, – und dachte mich hinab in die zarten heimlichen Wunder des Sees, sah in der Tiefe leuchtende, glitzernde Fische, wie sie leise im Träume die rötlichen Flossen bewegen, – alte, moosgrüne Steine, ertrunkene Äste und totes Holz und schimmernde Muscheln auf weißem Kies.

Wäre es nicht besser, man läge – ein Toter – da unten auf weichen Matten von schaukelndem Tang – und hätte das Wünschen vergessen und das Träumen?! –

Doch ich wollte Ihnen von Tonio erzählen.

Wir wohnten damals alle drüben in der Stadt; – wir nannten ihn Tonio, obwohl er eigentlich anders heißt.

Von der schönen Mercedes haben Sie wohl auch nie gehört? Eine Kreolin mit rotem Haar und so hellen, seltsamen Augen.

Wie sie in die Stadt kamen, weiß ich nicht mehr, – jetzt ist sie seit langem verschollen. – –

Als Tonio und ich sie kennen lernten – auf einem Feste des Orchideenklubs –, war sie die Geliebte eines jungen Russen.

Wir saßen in einer Veranda, und aus dem Saale wehten die fernen süßen Töne eines spanischen Liedes heraus zu uns. –

– – – Girlanden tropischer Orchideen von unsagbarer Pracht hingen von der Decke herab: – Cattleëya aurea, die Kaiserin dieser Blumen, die niemals sterben, – Odontoglossen und Dendrobien auf morschen Holzstücken, weiße leuchtende Loelien, wie Schmetterlinge des Paradieses. – Kaskaden tiefblauer Lykasten, – und von dem Dickicht dieser wie im Tanze verschlungenen Blüten loderte ein betäubender Duft, der mich immer wieder durchströmt, wenn ich des Bildes jener Nacht gedenke, das scharf und deutlich wie in einem magischen Spiegel vor meiner Seele steht: Mercedes auf einer Bank aus Rindenholz, die Gestalt halb verdeckt hinter einem lebenden Vorhang violetter Vandeen. – Das schmale leidenschaftliche Gesicht ganz im Schatten.

Keiner von uns sprach ein Wort. –

Wie eine Vision aus tausend und einer Nacht; mir fiel das Märchen ein von der Sultanin, die eine Ghule war und bei Vollmond zum Friedhof schlich, um auf den Gräbern vom Fleische der Toten zu essen. Und Mercedes' Augen ruhten – wie forschend auf mir.

Dumpfes Erinnern wachte in mir auf, als ob mich einstmals in weiter Vergangenheit – in einem fernen, fernen Leben kalte, starre Schlangenaugen so angeblickt hätten, daß ich es nie mehr vergessen konnte.

Den Kopf hatte sie vorgebeugt und die phantastischen schwarz und purpur gesprenkelten Blütenzungen eines birmesischen Bulbophyllums waren in ihrem Haar verfangen, wie um neue unerhörte Sünden ihr ins Ohr zu raunen. Damals begriff ich, wie man um solch ein Weib seine Seele geben könne.

– – – Der Russe lag zu ihren Füßen. – Auch er sprach kein Wort. – –

Das Fest war fremdartig – wie die Orchideen selbst – und seltsamer Überraschungen voll. Ein Neger trat durch die Portieren und bot glitzernde Bologneser Tränen in einer Jaspisschale an. – Ich sah, wie Mercedes lächelnd dem Russen etwas sagte, – sah, wie er eine Bologneser Träne zwischen die Lippen nahm, lange so hielt und sie dann seiner Geliebten gab.

In diesem Augenblick schnellte, losgerankt aus dem Dunkel des Blättergewirres, eine riesige Orchidee, – das Gesicht eines Dämons, mit begehrlichen durstigen Lefzen, – ohne Kinn, nur schillernde Augen und ein klaffender, bläulicher Gaumen. Und dieses furchtbare Pflanzengesicht zitterte auf seinem Stengel; wiegte sich wie in bösem Lachen, – auf Mercedes' Hände starrend. Mir stand das Herz still, als hätte meine Seele in einen Abgrund geblickt.

Glauben Sie, daß Orchideen denken können? Ich habe in jenem Augenblick gefühlt, daß sie es können, – gefühlt, wie ein Hellsehender fühlt, daß diese phantastischen Blüten über ihre Herrin frohlockten. – Und sie war eine Orchideenkönigin, diese Kreolin mit ihren sinnlichen, roten Lippen, dem leise grünlichen Hautschimmer und dem Haar von der Farbe toten Kupfers. – – – – Nein, nein – Orchideen sind keine Blumen, – sind satanische Geschöpfe. – Wesen, die nur die Fühlhörner ihrer Gestalt uns zeigen, uns Augen, Lippen, Zungen in sinnbetörenden Farbenwirbeln vortäuschen, daß wir den scheußlichen Vipernleib nicht ahnen sollen, der sich – unsichtbar – todbringend verbirgt im Reiche der Schatten.

Trunken von dem betäubenden Duft traten wir endlich in den Saal zurück.

Der Russe rief uns ein Wort des Abschieds nach. – In Wahrheit ein Abschied, denn der Tod stand hinter ihm. – Eine Kesselexplosion – am nächsten Morgen – zerriß ihn in Atome.

Monate waren um, da war sein Bruder Ivan Mercedes' Geliebter, ein unzugänglicher, hochmütiger Mensch, der jeden Verkehr mied. – Beide bewohnten die Villa beim Stadttor, – abgeschieden von allen Bekannten, und lebten nur einer wilden, wahnsinnigen Liebe.

Wer sie so gesehen, wie ich, abends in der Dämmerung durch den Park gehen, aneinandergeschmiegt, sich fast im Flüstertone unterhaltend, weltverloren – keinen Blick für die Umgebung –, der begriff, daß eine übermächtige, unserem Blute fremde Leidenschaft diese beiden Wesen zusammengeschmiedet hielt.

Da – plötzlich – kam die Nachricht, daß auch Ivan verunglückt –, bei einer Ballonfahrt, die er scheinbar planlos unternommen, auf rätselhafte Weise aus der Gondel gestürzt sei.

Wir alle dachten, Mercedes werde den Schlag nicht verwinden.

– – Wenige Wochen später – im Frühjahr – fuhr sie in ihrem offenen Wagen an mir vorüber. Kein Zug in dem regungslosen Gesicht sprach von ausgestandenem Schmerze. Mir war, als ob eine ägyptische Bronzestatue, die Hände auf den Knien ruhend, den Blick in eine andere Welt gerichtet, und nicht ein lebendes Weib an mir vorbeigefahren sei. – – – Noch im Träume verfolgte mich der Eindruck: Das Steinbild des Memnon mit seiner übermenschlichen Ruhe und den leeren Augen in einer modernen Equipage in das Morgenrot fahrend, – immer weiter und weiter durch purpurleuchtende Nebel und wallenden Dunst der Sonne zu. – Die Schatten der Räder und Pferde unendlich lang – seltsam zerzogen – grauviolett, wie sie im Lichte des Frühmorgens gespenstergleich über die tauig-nassen Wege zucken.

Lange Zeit war ich dann auf Reisen und sah die Welt und manches wunderbare Bild, doch haben wenige so auf mich gewirkt. – Es gibt Farben und Formen, aus denen unsere Seele wache, lebendige Träume spinnt. – Das Tönen eines Straßengitters in der Nachtstunde unter unserm Fuß, ein Ruderschlag, eine Duftwelle, die scharfen Profile eines roten Häuserdaches, Regentropfen, die auf unsere Hände fallen, – sie sind oft die Zauberworte, die solche Bilder in unser Empfinden zurückwinken. Es liegt ein tief melancholisches Klingen wie Harfentöne in solchem Erinnerungsfühlen.

Ich kehrte heim und fand Tonio als des Russen Nachfolger bei Mercedes. – Betäubt von Liebe, gefesselt an Herz – an Sinnen – gefesselt an Händen, gefesselt an Füßen, – wie jener. – Ich sah und sprach Mercedes oft: dieselbe zügellose Liebe auch in ihr. – Zuweilen fühlte ich wieder ihren Blick forschend auf mir ruhn.

Wie damals in der Orchideen- Nacht.

In der Wohnung Manuels – unseres gemeinsamen Freundes – kamen wir manchmal zusammen, – Tonio und ich. Und eines Tages saß er dort am Fenster, – gebrochen. Die Züge verzerrt, wie die eines Gefolterten.

Manuel zog mich schweigend beiseite.

Es war eine merkwürdige Geschichte, die er mir hastig flüsternd erzählte: Mercedes, Satanistin, – eine Hexe –! Tonio hatte es aus Briefen und Schriften, die er bei ihr gefunden, entdeckt. Und die beiden Russen waren von ihr durch die magische Kraft der Imagination, – mit Hilfe von Bologneser Tränen, – ermordet worden. –

Ich habe das Manuskript später gelesen: Das Opfer, heißt es darin, wird zur selben Stunde in Stücke zerschmettert, wenn man die Bologneser Träne, die von ihm im Munde getragen und dann in heißer Liebe verschenkt wurde, in der Kirche beim Hochamt zerbricht.

Und Ivan und sein Bruder hatten ein so plötzliches schauerliches Ende gefunden! –

– – – Wir begriffen Tonios starre Verzweiflung. – Auch wenn am Gelingen des Zaubers nur der Zufall die Schuld getragen hätte, welcher Abgrund dämonischer Liebesempfindung lag in diesem Weibe! – Ein Empfinden, so fremd und unfaßbar, daß wir normalen Menschen mit unserer Erkenntnis wie in Triebsand versinken, wenn wir den Versuch wagen, mit Begriffen in diese schrecklichen Rätsel einer krebsigen Seele hinabzuleuchten. – –

Wir saßen damals die halbe Nacht – wir drei –- und horchten, wie die alte Uhr tickend die Zeit zernagte, und ich suchte und suchte vergeblich nach Worten des Trostes in meinem Hirn – im Herzen – in der Kehle; – und Tonios Augen hingen unverwandt an meinen Lippen: er wartete auf die Lüge, die ihm noch Betäubung bringen konnte. Wie Manuel – hinter mir – den Entschluß faßte, den Mund öffnete, um zu reden, – ich wußte es, ohne mich umzusehen. Jetzt – jetzt würde er es sagen. – – Ein Räuspern, ein Scharren mit dem Stuhl, – – – dann wieder Stille, eine ewig lange Zeit. Wir fühlten, jetzt tastet sich die Lüge durch das Zimmer, unsicher tappend an den Wänden, wie ein seelenloser Schemen ohne Kopf.

Endlich Worte – verlogene Worte – wie verdorrt: »Vielleicht – – – – – – – – vielleicht liebt sie dich anders, als – – – – als die andern.«

Totenstille. Wir saßen und hielten den Atem an: – daß nur die Lüge nicht stirbt, – – sie schwankt hin und her auf gallertenen Füßen und will fallen, – – – nur eine Sekunde noch!

Langsam, langsam begannen sich Tonios Züge zu verändern: Irrlicht Hoffnung!

– – – Da war die Lüge Fleisch geworden! –

– – – Soll ich Ihnen noch das Ende erzählen? Mir graut, es in Worte zu kleiden. – Stehen wir auf, mir läuft ein Schauer über den Rücken, wir haben zu lange hier auf der Bank gesessen. Und die Nacht ist so kalt.

– – – Sehen Sie, das Fatum blickt auf den Menschen wie eine Schlange, – es gibt kein Entrinnen. – Tonio versank aufs neue in einen Wirbel rasender Leidenschaft zu Mercedes, er schritt an ihrer Seite, – ihr Schatten. – Sie hielt ihn umklammert mit ihrer teuflischen Liebe wie ein Polyp der Tiefsee sein Opfer.

– – – An einem Karfreitag packte das Schicksal zu: Tonio stand frühmorgens im Aprilsturm vor der Kirchentür, barhaupt, in zerrissenen Kleidern, die Fäuste geballt, und wollte die Menge am Gottesdienste hindern. – Mercedes hatte ihm geschrieben – und er war darüber wahnsinnig geworden; – in seiner Tasche fand man ihren Brief, in dem sie ihn um eine Bologneser Träne bat.

Und seit jenem Karfreitag steht Tonios Geist in tiefer Nacht.


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