Gustav Meyrink
Des Deutschen Spießers Wunderhorn
Gustav Meyrink

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Jörn Uhl

St sprich (s-prich) wie S–t
und mach die Schnauze süß und lieblich.

Jörn Uhl war lang, hatte die Augen enge stehend und strohblondes Haar. – Er war ein Obotrit seiner Abstammung nach. – Möglich auch, dass er ein Kaschube war, – jedenfalls war er ein Norddeutscher.

Er lebte abgeschlossen, stand früh vor Sonnenaufgang mit den Hühnern auf und wusch sich dann immer in einer Ballje, während seine Brüder noch in den Federn lagen. –

Mach dich nützlich, war sein Wahlspruch, und wenn Sonnabendabends die alte Magd Dorchen Mahnke mit Gretchen Klempke am Gesindetisch saß und tühnte, – ach, da schnackte er nu nie mit. –

Er war so abgeschlossen und gänzlich verschieden von seinen Geschwistern, und das kam wohl daher, weil seine Mutter, als sie ihn zeugte, an etwas ganz anderes gedacht hatte. –

»Tühnen – nein«, – sagte er sich, biß die Zähne zusammen und ging hinaus in die Abendluft.

Er war ein Uhl!!

Dahinten – weit am Himmel lag das letzte träumende Gelb, schwere Nachtwolken darüber, daß die Sterne nicht hervorkonnten. Und dichte Nebelschleier zogen langsam über die Heide. – –

Da kam ein dunklen Schatten mit etwas Blitzendem über der Schulter auf das Haus zu. – War Fiete Krey, der so spät noch von Felde kam. – Ein paar Schritte von ihm weg Lisbeth Sootje, das Süßchen, – und sie trippelte auf Jörn zu und bot ihm die kleine Hand.

»'n Tachch, Jörn«, sagte sie so fein zu ihm, als er ihre Hand hielt. – »Ich komme nu man eben ein büschen snacken. Is Dorchen in? – Sieh ma, ich hab mich ein Strickstrumpf mitgebracht, – ach, nu hat sich das Strickzeug verheddert. Laß nachch«, und: »muß mal klar kriegen«, sagte sie dann, um sich von ihm loszumachen. –

Jörn kuckte ihr auf das blonde Köpfchen. –

Heintüüt, wollte er zu ihr sagen, Heintüüt; aber er sagte es nicht, er dachte es bloß, – er war ein Uhl! –

Noch oft später im Leben mußte er daran denken, daß er ihr damals nicht Heintüüt gesagt hatte, und auch sie dachte später oft daran zurück, wie sich ihr Strickzeug vertüdert hatte. –

So läßt es Gott oft anders geschehen, als wir hier auf Erden uns vornehmen. – Nöch?

Jörn strich noch durch die Wiesen, und es lag so kühl in der Luft. – Von weitem drangen über die Felder die Weisen der Spielleute aus der Schenke, bald leise, leise, – bald übermäßig deutlich, – wie es der Abendwind herübertrug. Als es an zu regnen fing, lenkte er seine Schritte dem Hofe zu. –

Es war schon so finster geworden, daß man es kaum über den Weg springen sah, wenn ein Pagütz mang das Gras hüpfte. Jörn legte seine Kappe ab, als er an den Gesindetisch trat.

»Hast dein Strickzeug all klar gekriegt?« sagte er zu Lisbeth.

»Hab' es klar gekriecht«, nickte sie. –

»Hest du all 'n Swohn siehn, dej mit 'n Buuk opn koolen Woter swemm?« fragte da Pieter Uhl, sein Bruder, und tat vertraulich zu Gretchen Klempke. –

»Ich geh' nu man nach oben«, sagte Jörn verdrossen, der solche Redensarten nicht leiden mochte. – »Schlaf süß, Lisbeth!« »Schlaf süss, Jörn!«

»Baller man, jüü«, rief ihm sein Bruder nach.

»Ja-nu-man«»Ja-nu-man« nicht zu verwechseln mit Hanuman – der Affenkönig – brahminische Götterfigur. – – – seufzte Dorchen Mahnke, denn sie war hellsehend.

Jörn Uhl war nach oben gegangen – in sein Zimmer, – reinigte sein Beinkleid, denn er war arg in Mudd gesackt, und aß noch ein bißchen Buchweizengrütze mit Sahne, die er von Mittag her in einen Topf getan und hinter dem Ofen verstochen hatte. –

»Schmeckt schön«, sagte er.

Dann nahm er einen Foil und machte reine. –

Bis alles wieder blitzeblank gescheuert war, nahm er ein Buch vor, das ihm Fiete Krey mal von Hamburg mitgebracht hatte, wo gerade Dom war. –

»Ach, das ist es ja nich«, sagte er. – »Es is wohl Claudius, der Wandsbecker Bote: – – ›lieber Mond, du gehst so stille‹ – der ruht nu man schon lange draußen in Ottensen.« –

Denn nahm er ein ander Buch aus dem Spinde und trat für einen kleinen Augenblick an das Vogelbauer, das vor dem Fenster hing. –

»Bist du ein klein süßer Finke«, sagte er, »tüüt – tüüt.« – – Das Vögelchen hatte sein Köpfchen aus den Flügeln gezogen und sah nu ganz starr und erschrocken ins Lichte. – – Dann klappte er finster die Luke zu, denn von drüben her aus Krögers Destillation tönte das trunkene Gegröhle der wüsten Gesellen beim Bechersturz, – und setzte sich in Urahns geschnitzten Stuhl. – – – – – War auch so'n altes Stück! – Mit steife Lehne, und da, wo die Farbe wechgetan war, kuckte nu das schöne Schnitzwerk durch.

Clawes Uhl anno domini 1675 stand darüber.

Ja, die Uhlen waren ein erbgesessen Geschlecht, knorrig und hahnebüchen! –

Wie Großmutter Jörn zum Manne nahm – Jörns Großvater hiess auch Jörn – da wollte sie lange nicht ja und Amen sagen. –

Sie war eine stolze Deern gewesen, und verschlossen war sie – verschlossen, – hatte Kreyenblut in den Adern; und noch als sie eine Göhre war und zu Schule ging zu Pastor Lorenzen, sprach sie selten ein Wort und spielte nie mit den andern Göhren. –

Hatte klein harte Fäuste und rotes Haar, – die lüttje Deern. –

»Ich tanze nich mit dich«, hatte sie zu ihrem Bräutigam gesagt, »im Tanze liegt etwas Sündhaftes in«, und hatte sich wech von ihm gebogen.

Denn hatte sie noch ein »Rundstück warm« mit Tunke gegessen und war allein hinausgefahren mit ihren Pferden über die dämmerfrische Heide. –

»Weshalb ich ihn nur nicht liebe«, wiederholte sie sich immer wieder beim Fahren.

Denn hielt sie plötzlich an. – Ein Junge badete dort, nackend, ganz nackend. – Sie sah sich ihn lange an, und er bemerkte es nicht. – Da fühlte sie, wie etwas in ihre keusche Seele drang: – – daß alles in der Natur zur Liebe geschaffen war. –

Jetzt wußte sie es, sie hatte es deutlich gesehen. – Jetzt wußte sie auch, daß sie Jörn liebe, aus ganzer Seele liebe.

Keusch natürlich.

Da war Jörn leise an ihren Wagen getreten – er war ihr nachgegangen – und hinten aufgesessen. – »Was kiekst du so?« hatte er gesagt. –

Der Knabe aber verstach sich.

Ihr war ganz fladderig geworden. – »Mien Uhl«, hatte sie gesagt. Dann waren sie zu zweit weiter gefahren. –

So kam es, daß Großvater Uhl eine Krey zum Weibe nahm.

Wir hatten Jörn verlassen, als er Buchweizengrütze mit Schüh aß und ein Buch vorgenommen hatte. –

Es war: »Fietze Faatz, der Mettenkönig« von Pastor Thietgen und hatte eine Auflage, – sooo groß! –

In Hamburch las es jeder, es hieß sogar, daß es demnächst aus dem Frenssenschen ins Deutsche übersetzt werden sollte. Jörn Uhl las und las.

Es handelte davon, wie Fietze Faatz noch drei Jahre alt war, ein kleinen Buttje, – wie er immerzu lernen wollte – immerzu! – –, und mit Nestküken, seinem Schwesterlein, die ein klein niedliches Göhr war, in der Twiete spielte und im Fleet Sticklegrintjes fing. –

Wie er denn nach Schule sollte und nich lateinisch konnte. Wie Senator Stühlkens lütt Jettchen im Grünen Koppeister schloß und sie von einem Quittje und einer lüderlichen Deern das Lied lernten:

»Op de Brüch, do steit
en ohlen Kerl un fleit,
un Mareiken Popp
grölt jem dol
dat Signol:
Du kumm man eben ropp«,

und wie der Vater da so böse über war. –

Jörn Uhl las und las: – daß Fietze Faatz 10 Jahre wurde, und 10 1/2, und 10 3/4, und 11 Jahre und Jettchen Stühlken immer Schritt mit ihm im Alter hielt und keines das andere darin überflügeln konnte, – das Fietze Faatz von Tag zu Tag ernster zusah, wenn Jettchen Koppeister schoß, bis sie endlich längere Kleider erhielt.

Jörn Uhl las die ganze Nacht, – – und Fietze Fatz war erst 11 1/2 Jahre alt, – las den nächsten Tag und die kommende Nacht: – Da war Fietze Fatz allerdings schon 16 Jahre, aber Jörn hatte erst ein Drittel des Buches gelesen und fiel vor Schwäche vom Stuhl. – –

Wegen des Gepolters kam das Gesinde nach oben, – früher hatten sie es nicht gewagt – er war ein Uhl! –

Voran Fiete Krey, der Grossknecht. – Wie der Jörn sah, scheuerte er sich hinter den Ohren und entsetzte sich: hatte der mit eins einen langen grauen Bart bekommen und war selber beim Lesen sechzehn Jahre älter geworden.

»Junge, – Minsch«, – sagte Krey, – »kuck dich nu man eben im Spiegel.«

»Dat kumt von die verdammten Bücher«, setzte er halblaut hinzu

Lisbeth Sootje aber mochte Jörn nu mit eins gar nicht mehr leiden; – – – und so blieb es.

Tja.


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