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9. Kapitel

In einer kleinen Oberförsterei in der Nähe von Oettingen am Ries hatte Ida Niedermaier, die Geliebte des Grafen Arnold von Herzfeld, das Licht der Welt erblickt. Leider starb jedoch Idas Mutter, als Ida kaum drei Jahre alt war. Die Kleine blieb als einziges Kind bei dem schmerzgebeugten Vater zurück. Wie aber fast alle Männer, so auch Oberförster Niedermaier, er tröstete sich bald über den Verlust seines guten Weibes und heiratete zum zweiten Male. Idas Stiefmutter war keine böse Frau und behandelte das Kind aus erster Ehe recht gut. Es stellten sich aber nach und nach noch sechs Geschwisterchen ein, so daß Klein-Ida sehr in den Hintergrund gedrängt wurde. Sie spielte Kindermädchen bei der kleinen Schar und später mußte sie sogar recht tüchtig zupacken, um die Mutter bei der Arbeit zu unterstützen. Es schadete ihr aber nichts. Sie entwickelte sich zu einem auffallend schönen Mädchen und alle Forstgehilfen ihres Vaters waren in Ida verschossen. Idas Herz aber blieb ungerührt. Als sie siebzehn Jahre alt war, erhielt sie die väterliche Erlaubnis, nach München zu reisen, um sich im Zuschneiden und Kleidermachen auszubilden. Dafür zeigte Ida großes Geschick, fertigte sie doch bereits den heranwachsenden Schwestern und sich selbst die ganze Garderobe an. Ida besaß einen angeborenen guten Geschmack und viel Chik. Sie war deshalb bald eine der Ersten im Münchener Zuschneidekurs und als sie ausgelernt hatte, trat sie bei Reichmann, dem berühmten Konfektionsgeschäft, als Arbeiterin ein. Herr Reichmann verwendete aber alsbald das schöne, elegante Mädchen als Verkäuferin. Bald wollten alle Kunden von Ida allein bedient sein! Sie hatte eine außerordentlich angenehme Art im Verkehr und wußte so gut zu raten. Herr Reichmann nahm seinen Vorteil wahr und beglückwünschte sich zur Akquisition Idas, welche er allmählich zur Direktrice des Ateliers vorrücken ließ. Ida wohnte bei Verwandten und lebte dort solide und zurückgezogen. Trotzdem war die Herrenwelt auf die »schöne Konfektioneuse« aufmerksam geworden. Sie wurde umworben und man suchte sich ihr zu nähern. Keinem der Kavaliere aber gelang es, bis Graf Arnold unter dem Vorwande, für seine Schwester ein Jackett zu kaufen, Ida im Geschäft besuchte. Er kaufte das Jackett nicht am ersten Tage, sondern er kam zwei, drei Mal, bis endlich der Kauf zustande kam. In dieser Zeit hatte Arnold alle Künste angewendet, aus die als unnahbar bekannte Ida einzuwirken, und siehe da: es war ihm wirklich gelungen, das in Liebessachen noch ganz unerfahrene Mädchen zu umgarnen. Schritt für Schritt eroberte sich der flotte Offizier Idas Vertrauen und bald auch ihre Liebe – wie weit er Ida, welche in Arnold ihren Abgott sah, gebracht, haben wir gesehen. Ida würde sich aber doch nicht so rasch entschlossen haben, sich selbständig zu etablieren, wäre nicht ihre Gönnerin Frau Kommerzienrat Sedlmair gewesen. Diese überredete Ida zu diesem Schritte, da es zur Zeit an tüchtigen Schneiderinnen in München mangelte. Frau Sedlmair mit ihren vier Töchtern waren Idas ständige Kundinnen und nach und nach hatten die Bekannten dieser Dame sich alle Ida zugewendet. Für Ida war dies sehr erfreulich. Sie arbeitete gern und fand in der Arbeit ihre Befriedigung. Sie nahm zum großen Verdrusse Herrn Reichmanns nach und nach sogar drei seiner besten Arbeiterinnen weg.

Einige Tage vor Weihnachten erhielt Ida ein Billett folgenden Inhalts von Arnold: »Ehe ich morgen nach Waldenberg reise, mich mit meiner Kusine Helene zu verloben, möchte ich mich noch einmal mit Dir aussprechen. Sei barmherzig und gewähre mir diese letzte Unterredung! Dein A...« Es war nicht das erste Mal, nachdem damals Arnold im Herbste von ihr gegangen, daß er sich Ida wieder zu nähern versuchte. Allen Begegnungen mit dem treulosen Manne jedoch war Ida ausgewichen. Seine Briefe las sie wohl, aber beantwortete sie nicht. Diesmal nun machte sie eine Ausnahme und schrieb ganz kurz: »Ich wünsche Dir Glück zu Deinem Vorhaben! Vorherige Unterredung aber erscheint überflüssig. Ida.« – – –

Schwere Tage lagen hinter ihr. Sie hatte sich mühsam durchgekämpft. Anfangs glaubte sie, das Leben nicht mehr länger ertragen zu können. Sie wäre gar zu gerne der inneren Stimme gefolgt, welche ihr zuflüsterte: »Mach' ein Ende, wozu lebst du jetzt noch?« Dann aber kam ihr die Vernunft wieder zur Hilfe! Da war doch Bubi! Für den Kleinen mußte, wollte sie leben. Ach, aus Bubis Gesicht schauten sie Arnolds lustige, blaue Augen an – welch' eine Qual für Ida, immer und immer an den Treulosen erinnert zu werden – und doch, wie liebte sie das Kind! Es war auch zu herzig. Es entwickelte sich mit jedem Tag besser und der einzige Lichtblick in Idas verödetem Leben war Bubi. An Stelle der anfänglichen, wilden Verzweiflung trat stille Entsagung. Die Arbeit, angestrengte Beschäftigung vom frühen Morgen bis in die späte Nacht hinein, brachte dem jungen Weibe Ablenkung und half ihm über das Gefühl des Verlassenseins. Ganz vergessen und verlassen war sie nun doch nicht! In den Tagen ihres Kummers kam ihr aus weiter Ferne ein Trost. Idas verstorbener Mutter einzige Schwester war mit dem Geliebten ihres Herzens in jungen Tagen nach Amerika ausgewandert. Sie ließ wieder von sich hören, als sie sich mit ihrem Manne in guten, geordneten Verhältnissen befand. Das junge Paar war in der neuen Welt sehr wohlhabend geworden, besaß aber keine Kinder. Diese Tante in Amerika, gleichzeitig Idas Patin, stand immer noch in Verbindung mit ihren Verwandten in Deutschland. Man berichtete ihr von Idas Schicksal. Ida habe ihm wenig Freude gemacht, meldete der Vater. Sie sei die Geliebte eines Offiziers geworden und er, der Vater, habe die Hand von der ungeratenen Tochter abgezogen. Anstatt nun aber die natürliche Entrüstung über ihr Patenkind zu teilen, tat die mitleidige Amerikanerin das Gegenteil. Sie schrieb ihrem Patchen einen sehr warmherzigen Brief und bat Ida, wenn immer es ihr einmal schlecht ergehen sollte, nach Amerika zu kommen. Sie fände dort Menschen, welche vorurteilsfrei genug seien, einen jugendlichen Fehler zu verstehen und zu verzeihen.

Mit Tränen der Rührung las Ida der Patin liebevolles Schreiben. Sie kam sich plötzlich nicht mehr so verloren, nicht mehr so unglücklich vor. Wußte sie doch jetzt Menschen auf der Welt, welche bereit waren, sich der Verlassenen anzunehmen. Sie antwortete sofort ihrer guten Tante und dankte für alle Güte. Sie teilte ihr aber auch gleichzeitig mit, daß sie nicht augenblicklich ihres Geschäftes wegen abreisen könne. Sie werde aber jedenfalls eines Tages mit Bubi die große Reise antreten und dankbar die Zuflucht aufsuchen, welche man großmütig ihr in Aussicht stellte. – – – –


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