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8. Kapitel

In München war der erste Schnee gefallen. Für die Jugend war es ein Ereignis und auch die Erwachsenen freuten sich am Anblick der winterlichen, schönen Landschaft. Auf den Straßen da bemühte man sich zwar, das schneeige Weiß, das sich gar zu gern in ein graufarbiges »Mischmasch« verwandelt, schleunigst hinwegzuräumen. Im Hofgarten und erst im englischen Garten aber glänzte der frischgefallene Schnee auf den Bäumen und Sträuchern. Alles sah wie überzuckert aus. Der einsame Spaziergänger, der hier in den frühen Nachmittagsstunden sich erging, nahm alle Schönheit mit Wohlgefallen in sich auf. Es war Carlo Cartano, der in Gedanken verloren hier auf und ab wandelte. Seine hohe Gestalt nahm sich ungemein vorteilhaft im kleidsamen Pelzmantel aus. Sein Gesicht aber zeigte nicht die frühere Heiterkeit. Ernst blickten die schönen großen Augen. Carlo sollte heute Abschied nehmen von Helene. Zum letzten Rendezvous hatte sie ihn hierher bestellt. Ach! Es würde kein leichter Abschied werden. Die Geliebte ging schweren Zeiten entgegen.

Die gräfliche Familie siedelte in den nächsten Tagen wieder nach Waldenberg über, da des Grafen Befinden sich sehr verschlimmert hatte. Graf Herzfeld wollte Weihnachten zu Hause feiern und seine Tochter sollte sich am heiligen Abend mit ihrem Vetter Arnold verloben. Helene hatte alles versucht, den Vater von diesem seinem Lieblingsplan abzubringen. Vergebens! Schließlich wagte sie es nicht mehr, sich dem Wunsche des Schwerkranken zu widersetzen. Jede Aufregung konnte gefährlich werden. Im Vertrauen auf Carlos Liebe ging schließlich Helene zum Schein auf die Pläne ihres Vaters ein. Sie wollte sich mit dem Vetter dem Kranken zur Beruhigung verloben. Die Vermählung jedoch würde sie weit, weit hinausschieben. Kommt Zeit, kommt Rat! Der Arzt war zudem so aufrichtig gewesen, der gräflichen Familie mitzuteilen, daß das Leben ihres Oberhauptes sich nur noch wenige Monate hinfristen lassen würde. Helene hatte Carlo versprochen, nach des Vaters Tode sofort das Verlöbnis mit Arnold zu lösen. Daß letzterem damit ein Unrecht geschehe, fürchtete sie nicht. Sie ahnte, daß der lustige Vetter aus materiellen Gründen sich um sie bewarb. Der feine Instinkt des Weibes ließ sie bei der Werbung Arnolds die Herzenswärme vermissen. Aber auch darüber, daß Helene für Arnold kein wärmeres Gefühl hegte, konnte sich der Freier nicht im Unklaren sein. Die Gräfin war viel zu ehrlich, um ihren Vetter zu täuschen. Helene hatte nichts gemein mit jenen Frauen, welche zum Zeitvertreib mit Männerherzen spielen. Ihre angeborene Gutherzigkeit und Liebenswürdigkeit verleugnete sie auch Arnold gegenüber nicht und es war ihr ein entsetzlicher Gedanke, eine solche Komödie aufführen zu müssen, wie es diese Scheinverlobung war. Hin und her hatte sie mit ihrem Bruder Udo überlegt, wie sie es anstellen könnte, den Vater von seinem Plan abzubringen. Wie aber Kranke sind, der Graf bestand auf seinem Wunsche und darin unterstützte ihn der Vater Arnolds. Dieser glaubte für Arnold in dieser Verbindung dessen einzige Rettung zu sehen. Er selbst war nicht in der Lage, die zu ganz bedeutender Höhe angewachsenen Schulden des Sohnes zu bezahlen. Immer wieder ermahnte er in seinen Briefen Arnold, nichts unversucht zu lassen, sich die Gunst seiner Kusine zu erringen. Zuerst war nämlich der verwöhnte Frauengünstling durchaus nicht von der Behandlung erbaut gewesen, welche ihm Helene angedeihen ließ. Er hatte das unumwunden dem Vater mitgeteilt. Von dem Augenblick an, da Arnold als Bewerber sich zeigte, zog sich die meist freundliche und gesprächige Kusine in sich selbst zurück. Kühl und förmlich war sie – und doch trachtete Arnold danach, sich sobald als möglich mit ihr zu verloben. Seine Gläubiger drängten ihn förmlich dazu. Seitdem ihm Ida den Abschied gegeben, fühlte der schwache Mann sich haltlos. Man sah ihn wieder öfters dem Spiele frönen und leider war ihm Fortuna niemals hold. – – –

Carlo, der feinfühlige, gemütvolle Künstler, befand sich in dieser ganzen letzten Zeit in keinem beneidenswerten Zustande. Er war der Geliebten nahe und doch sah er sie nur äußerst selten. Nicht wie sich die beiden jungen Leute gedacht, hatte sich ihr Verhältnis weiter entwickelt. Nicht wie früher konnten sie ungeniert und frei miteinander verkehren, miteinander musizieren wie in Waldenberg. Die Krankheit des Grafen hatte durch alles einen dicken Strich gemacht. Er, der Gönner Carlos, der sich sonst so gerne an dem Spiele des Künstlers entzückte, ihn so oft zum Vortrage aufgefordert hatte, war mit einem Male ganz verändert. Der Graf wollte nichts mehr von Musik wissen und behauptete sogar, Helenes virtuoses Spiel störe ihn. Mit der feinen Beobachtungsgabe der Kranken schien er herausgemerkt zu haben, daß zwischen seiner Tochter und Carlo sich zarte Fäden gesponnen. Seit jener Begrüßung am Bahnhofe in München, wo der Graf sich über des Geigers Anwesenheit so verwunderte, zeigte er fast etwas wie Antipathie gegen den früher so beliebten Carlo. Arnold hingegen war jetzt der Günstling. Er verstand es, seinen Onkel, der oft trüber Stimmung war, stets aufzuheitern. Seine frische, lebhafte Art tat dem Kranken wohl und so wie Arnold in seiner Gunst stieg, gerade so verlor Carlo des einstigen Beschützers Interesse. Er empfand den unverdienten Wechsel mit Bitterkeit. Seine zehrende Sehnsucht nach Helene verschaffte ihm trübe, qualvolle Stunden. Nur in seiner Kunst fand er Trost und Erholung. Die Triumphe, welche er allerorten im Konzertsaal erntete, stärkten sein Selbstgefühl. In den größeren deutschen Städten gab er Konzerte und die Reisen dahin bildeten ihm angenehme Zerstreuung. Sie erfrischten ihn, denn auf kurze Zeit wenigstens entrissen sie Carlo von den grübelnden, selbstquälerischen Gedanken, die sich alle nur um Helene drehten. Der junge Künstler war eine tief angelegte Natur. Die Liebe, welche ihn so machtvoll zu der Gräfin hingezogen, erfüllte sein ganzes Sein. Alles andere daneben erschien ihm unwichtig. Nur nach dem endlichen Besitze der Geliebten war sein Streben gerichtet. Sein wollte er das Weib nennen, welches für ihn »das Einzige« war. Keine andere Frau hatte in des jungen Künstlers Leben eine Rolle gespielt. Achtlos ging er an den schonen Damen vorüber, welche, hingerissen von seiner Kunst, Carlo anschmachteten. Die Briefe und Billet-doux, welche sich auf seinem Schreibtisch häuften und mit welchen Carlo von allzu schwärmerischen Verehrerinnen um eine Zusammenkunft gebeten wurde, ließ er unbeantwortet. Was wollten auch die »Frauenzimmer«? Ein Carlo Cartano verzettelte seine Liebe nicht – die war nur für Eine! Man wird deshalb verstehen, wie schwer es ihm wurde, sich von Helene, wenn auch für kurze Zeit nur, zu trennen und sich an den Gedanken zu gewöhnen, sie als Braut eines anderen zu wissen. Alles in Carlo empörte sich gegen diese Vorstellung. Vergeblich sann er nach einem Ausweg aus diesen Wirrnissen. War es nötig, daß Helene sich opferte, konnte sie nicht die Verlobung hinauszuschieben suchen? Doch Carlo wußte nicht, wie eigensinnig Schwerkranke auf ihrem Willen bestehen! – Wohl hatte seine Geliebte versucht, Aufschub zu erlangen – vergeblich!

»Carlo!« Leise, wie ein Hauch, tönte der Name an des Sinnenden Ohr. Wie elektrisiert fuhr er herum. Auf dem weichen Schnee war Helene lautlos herangekommen. Carlo schloß sie in seine Arme und küßte wie ein Verdurstender ihren Mund. Ein wohliges Feuer rann durch seine Glieder und straffte ihm jede Muskel. Ausgelöscht war alle Qual, glücklich fühlte sich der Liebende im augenblicklichen Besitze des geliebten Wesens und heiße Liebesworte, innige Küsse sagten Helene, wie zärtlich sie geliebt ward. Selbstvergessen ruhte sie an Carlos Brust, das kurze, beseligende Zusammensein Herz an Herz, Mund an Mund zu genießen.

»O du, du!« flüsterte endlich Carlo. »Wann habe ich dich denn das letzte Mal geküßt? Ich weiß es gar nicht mehr, so lange ist's schon her.« – –

»Ach ja, du Armer,« erwiderte Helene und schmiegte sich enger an ihn, »es war nicht meine Schuld! Ach, es ist entsetzlich mit Papa, er will mich nicht mehr von seiner Seite lassen. Auch heute kostete es mich große Mühe, loszukommen. Um vier Uhr muß ich zu Hause sein.«

»Kein Gedanke dran! So bald laß ich dich nicht los, Herz,« widersprach Carlo. »Heute gehörst du noch mir, mir allein! An die Trennung mag ich noch nicht denken. Komm, laß uns hier fortgehen, Spaziergänger könnten uns so sehen. Begleite mich in Dauners Konditorei, dort sitzen wir im Nebenzimmerchen ungestört und können beraten!«

»Ach, Carlo, es geht nicht, ich muß heim!« sagte Helene. »Papa ist zu mißtrauisch! Ahnte er, daß ich bei dir bin – –«

»Laß ihn mißtrauisch sein!« meinte Carlo leichthin und zog Helene mit sich fort. Er hatte ihren Arm durch den seinigen gezogen und deklamierte lachend: »Und bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt.« Arm in Arm schritten dann beide dahin, es wurde kein Wort gesprochen, war ihnen doch im Innern gar zu wehe zu Mute, denn sie wußten ja, daß diese kurzen süßen Stunden die letzten auf lange Zeit hinaus waren. Deshalb gab auch Helene Carlo noch und betrat bald darauf mit ihm die Konditorei Dauner. Der junge Mann verständigte die Bedienung und man ließ die jungen Leute in ein kleines Zimmerchen ein, das behaglich durchwärmt war. Hier blieben sie ganz allein. Nachdem Kaffee und Gebäck serviert worden war und sie daran genippt hatten, zog Carlo die Geliebte auf seinen Schoß. Hingebend erwiderte Helene seine heißen Liebkosungen und vertraute ihm all ihren Kummer an, den sie in der letzten Zeit um ihres Vaters und seines hartnäckigen Bestehens auf ihrer Verlobung willen erduldet hatte. Und mit Carlos Klagen darüber, daß sie jetzt von ihm fortmußte, vereinte sie ihre Tränen. Carlo küßte sie ihr von den Wimpern und sprach leidenschaftlich: »Stünde nicht das Leben deines teuren Vaters auf dem Spiele, nichts sollte mich abhalten, dich jetzt von dieser Stelle mit mir zu nehmen als mein liebes, herziges Weib! Ich möchte dich gegen die ganze Welt beschützen! So aber sind mir die Hände gebunden.«

»Ach, habe nur eine Weile Geduld, Lieber,« tröstete Helene. »Bald bin ich die Deine! Nach Vaters Tode soll mich niemand von dir zurückhalten! Dann fliehe ich auch mit dir, wenn's nicht anders seilt kann! Doch wir wollen hoffen, daß es nicht nötig werde! Meine gute Mutter hatte von dir von jeher eine so gute Meinung, mein Liebster, und in Tante Ada haben wir eine Verbündete!« –

»Daß du dich aber mit dem Vetter verloben sollst, Teure, das will mir gar nicht passen,« sprach finster Carlo. »Wenn ich mir denke, daß er zärtlich gegen dich würde – –«

»Ach, davon ist keine Rede,« unterbrach ihn Helene. »Ich werde mich nie von Arnold küssen lassen! Daß er mich wirklich liebt, das glaube ich gar nicht. Er ist immer sehr gemessen und fast kühl.«

»Ja, aber um Himmelswillen, warum will er dich denn heiraten, wenn er dich nicht einmal liebt?« fragte erregt Carlo.

»Guter Gott, weiß ich's?« seufzte Helene. »Unsere Väter haben es beschlossen, daß aus uns ein Paar werden soll, als wir noch Kinder waren.« –

»Und diesem Beschluß sollte unser ganzes Lebensglück zum Opfer fallen?« stieß Carlo bitter hervor. »Nein, das darf nicht sein, Horst du, Geliebte? Es wird mir schwer genug, darein zu willigen, daß du, wenn auch nur zum Schein, dich verlobst, aber schwören mußt du mir, daß du nie des Grafen Arnolds Gattin wirst!«

»Ich schwöre,« sprach feierlich die junge Dame, aber dann fragte sie wehmütig: »Hättest du mir nicht auch ohne Schwur vertraut, mein Carlo?«

»Gewiß!« versicherte hastig dieser, »aber deinen Schwur nehme ich als Trost mit, wenn ich nun meine große Reise nach Amerika antrete!«

»Du willst schon bald dahin?« Aufgeregt fragte es Helene. Dann aber bat sie stürmisch: »O, Liebster, tue es nicht, bleibe du in den nächsten Monaten in meiner Nähe! Wer weiß, wie nahe das Ende meines guten Vaters ist und dann mußt du mir erreichbar sein, damit ich dich an meiner Seite habe, um einen etwaigen Kampf mit meinen Angehörigen wegen unserer Verbindung auszufechten!«

Carlo dachte einen Augenblick nach, dann versprach er zu bleiben.

»Wenn du es für gut hältst, daß ich hier einstweilen bleibe,« sagte er, »so soll es sein!«

»Und nun, mein Geliebter, laß uns Abschied nehmen,« bat Helene. Still ruhte sie in Carlos sie fest umschlingenden Armen und erwiderte unter Tränen seine innigen Küsse. Sanft machte sie sich dann los und verließ allein die Konditorei. Carlo blieb in trauriger Stimmung zurück, aber trotzdem war sein Mut gehoben, Helenens gegebenem Versprechen vertraute er unbedingt. Diese kurze Prüfungszeit würde vorübergehen und dann würde die Geliebte doch die Seine. – – – – – –


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