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III

Zwei volle Tage sind vergangen, ohne daß Ugolin geruht hat, sich mit meiner bescheidenen Person zu beschäftigen. Einen Augenblick fürchtete ich, daß meine Versuche, eine Diskussion herbeizuführen, ihn gereizt hätten. Das wäre nicht sehr schön. Von diesem närrischen Alten kann man alles befürchten.

In meiner Zelle vergraben, gähne ich, gähne ich bis zur Bewußtlosigkeit ... und ich isoliere mich in der Undurchdringlichkeit berauschender Gedanken (was soll man denn in diesem Loch auch machen?). Zunächst hatte ich einige Schwierigkeiten, meine Gedanken zu ordnen. Auf meinen Schädel ist eine solche Sintflut von Beweisführungen, die durch Paradoxe und augenscheinliche Banalitäten erschwert waren, geprasselt, daß ich wahrhaftig eine unverwüstliche Hirnhaut brauchte. Was für eine gefährliche Psychose leitet diesen sanften Alten auf den Weg des mit Sadismus gewürzten Verbrechens? Und dennoch, es fällt mir schwer, nicht zuzugeben, daß nicht alles im Wortschwall Ugolins Ungereimtheit und Wahnsinn ist. Es scheint mir mehr als sicher, daß das Alter ein heilbares Leiden ist. Die therapeutischen und chirurgischen Verfahren des Arztes sind es, die mich verletzen und erschrecken. Das netteste aber ist, daß dies alles mit menschlichen Ansprüchen und soziologischen Absichten kompliziert wird. Ich habe eine Ahnung, daß dieses Abenteuer über kurz oder lang in irgendeiner Zelle enden wird, weniger komfortabel als meine, wenn nicht gar einer Tobsuchtszelle.

Ich sage mir diese Dinge, und ich wiederhole sie mir, und ich umgebe sie mit einem Gürtel von unwiderleglichen Beweisen und Schlüssen. Es ist aber tatsächlich wahr, daß ich hauptsächlich trachte, mich selbst zu täuschen. Ich weiß, daß es genügt, einen Menschen von gesundem Geist in eine Horde von Geisteskranken zu versetzen, damit dieser Mann schnell angesteckt wird. Sollte ich etwa bereits so weit sein? Und sollten etwa die Zaubereien Ugolins auf meinen Geist wirken?

Gereizt greife ich nach einem Buch. Sieh da! Es handelt sich um eine Studie über die Langlebigkeit des Menschen. Ich notiere, die Seiten wendend, die Namen von Paracelsus, von Ramon Lulli, von Bacon, den Vorläufern der Verjüngungstheorie meines Ugolin. Der Kanzler weist auf den ungewöhnlichen Fall einer Komtesse Desmons, die bis zum Alter von hundertvierzig Jahren lebte, ihre Zähne dreimal wechselte und zweimal ihren Haarwuchs. Diese Seltsamkeit ist häufig im »Opus Majus« und in der »Heilung des Alters« erwähnt. Sehr interessant. Folgt die Geschichte der Äbtissin von Murviedo, wie sie Velasquez von Tarent erzählt hat. Diese Dame bemerkte im Alter von hundert Jahren, daß gewisse typisch weibliche, körperliche Erscheinungen, die seit einem halben Jahrhundert aufgehört hatten, plötzlich wiederkamen. Ihre Falten glätteten sich, ihre weißen Haare wurden wieder tiefschwarz; wundervolle Zähne wuchsen ihr, kurzum, sie wurde in eine Frau von fünfundzwanzig bis dreißig Jahren verwandelt. Diese Geschichte aber scheint mir ein furchtbarer Humbug. Ich ziehe das goldene Elixier vor, das Bacon dem Papst Nikolaus IV. empfahl.

Es kommt aber noch schöner. Der Alchimist Morenius behauptete, den Stein der Weisen zu besitzen, der gleichzeitig das Geheimnis der Verwandlung der Metalle und der ewigen Verjüngung wäre. Die Brüder Rose-Croix kannten ein Elixier, das Wunder wirkte und das dem Philosophen Artephius ermöglichte, drei Jahrhunderte zu überleben ... Hm! ... Das Merkwürdige aber ist, daß man ganz positive Männer wie Descartes oder Newton dabei erwischt, solche Albernheiten aufzunehmen ... Aber all das reicht nicht an die Methoden Ugolins heran.

*

Ja, das wäre interessant, lange zu leben, lange ... Und wär's auch nur aus Neugierde. Ich denke aber, daß mit der Häufung der Jahre die Übersättigung sich schließlich einstellen muß. Alle Freuden müssen schließlich eitel scheinen. Jetzt aber wäre es noch keineswegs notwendig, daß das Dasein sich zwischen den vier kahlen Wänden einer Zelle abspielt, deren ganzer Schmuck in einigen Bänden mit abstoßenden Titeln besteht.

Meine Gedanken werden düster. Ich wehre mich gegen die dunklen Plagegeister, die mich angreifen, und gegen die Last der Einsamkeit. Dennoch ... Ich persönlich habe nichts zu befürchten. Ugolin wird mich schließlich wieder in Freiheit setzen, und wenn die Gesellschaft ihn und seine Helfershelfer kaltgestellt haben wird, welch wundervolles und aufsehenerregendes Buch mit großen Reportagen werde ich dann meinen versteinerten Kollegen an den Kopf werfen können! Ich sehe schon den Ruhm, das Glück. Ein einziger Schatten in diesem köstlichen Bild: Juliette! ... Werde ich sie jemals wiedersehen? Jedes Rätsels entkleidet, als Instrument in den Händen des kleinen Alten erscheint sie mir weniger anziehend ... Ich verzehre mich, um die Sirene in ihrer blendenden Nacktheit heraufzubeschwören; ich vergegenwärtige mir die Wollust ihrer Hingabe, die Perversität ihrer Bewegungen, unsere wissenschaftlichen Duos ... Ich drehe mich um, keuchend unter den Bissen dieses weiblichen Dämons, von der Besessenheit des Fleisches gepackt, in dem Tanz der Paroxysmen hin und her geworfen. Nachtmahre! Nachtmahre! Welch flammender Hölle bist du entsprungen, mit welchem Grauen und welchen Wonnen habe ich, erloschenen Willens, auf deinem Feueraltar geopfert. Und siehe da, jetzt regt sich nichts in mir; mein Blut rinnt ruhig in meinen besänftigten Adern. Jede Hexerei ist zerstoben. Ist es die mir aufgezwungene Diät, die mich der Behexung entreißt? Sind es all diese Geschichten von Drüsen, von Zellen, von Operationen, die mich immunisiert haben?

*

Am zweiten Tage habe ich mir in den Kopf gesetzt, meine Notizen zu ordnen, um die Zeit totzuschlagen. Ich bin nicht ganz sicher, alles gut verdaut und vor allem das, was ich hinuntergeschluckt, richtig zu Papier gebracht zu haben. Das meiste war nicht von Pappe. In welchem Fieber, in welcher Verwirrung aber habe ich meine Eindrücke hingekritzelt. Ich erkenne mich nicht wieder. Für gewöhnlich bin ich vor dem weißen Blatt Papier ganz klar, ich gehe mit sicherem Schritt, methodisch und mit guter Laune zu Werk. Hier habe ich irgendeinem ungestümen und konfusen Genius nachgegeben! Ich habe meine Feder in Lava getaucht. Ich habe den Eindruck eines düsteren Wirbelsturms, vom Zickzack greller Blitze durchschnitten.

Sobald ich hier herauskomme, werde ich diese Manier pflegen. Man kann eine neue literarische Schule damit gründen: die »apokalypto-frenetische«, die für den Leser die Eigenschaft hat, unverstanden zu bleiben. Wer ist aber der Einfaltspinsel, der verkündet hat: der Stil wäre der Mensch! Der Stil, das ist ein anderer Mensch, das ist eine unbekannte Persönlichkeit, die in uns eindringt und unser Doppelgänger wird. In der Stunde der Inspiration, wie die Dichter sie nennen, ist der schreibende Mensch nicht mehr der gleiche; er überläßt seinen Platz einem Neuangekommenen, der die Frucht all seiner dunklen Instinkte, all seiner schreienden Hoffnungen ist. Sehen Sie sich doch diesen Pamphletisten an, dessen Mut erschreckt, dessen Schrift in einem Blendwerk von Schmähungen und von betäubenden Metaphern blitzt: er ist ein braver Kerl mit dem Ausdruck eines musterhaften Angestellten, mit einem kastanienbraunen Anzug, das Kinn von einem kurzen Bärtchen geschmückt, der an nichts anderes denkt, als seine Füße ins Meer zu tauchen. Betrachten Sie diesen Verliebten, Mondsüchtigen, diese geheime Wunschtüte: es ist ein pedantischer Buchhalter in einem soliden Haus. Untersuchen Sie diesen paradoxbereiten Humoristen, diesen romantischen Phantasten. Welche Leichenträgermiene steckt er auf? Und jetzt betrachten Sie diesen großen Psychologen, den Liebhaber weiblicher Regungen, diesen Seelentrinker; köstliche Sensibilität, ach, wie köstlich! Er ist ein dickes Vieh, der seine Frau schlägt und den Liebhaber seiner Mätresse aushält. Gesetz der Gegensätze? Nun denn! Es kommt vor, daß man sich selber auf das Papier bannt und daß man der Lüge, die in einem ist, genaue Umrisse gibt. Der Stil, das ist der Mensch, der man sein möchte.

Was ich sein möchte in diesem feierlichen Augenblick, ahne ich dunkel. Das Alter hat mich noch nicht angegriffen. Aber die Abnutzung wird kommen. In meinem tiefsten Innern entstehen Wünsche für das Gelingen Ugolins, und es würde mir keineswegs mißfallen, Faust zu spielen unter der Bedingung, daß es keinen Mephisto und kein gefährliches und geheimnisvolles »Da unten« gibt.

*

Da bin ich nun endlich wieder Ugolin und seinem Tribunal gegenüber. Der Meister sieht eher verdrießlich aus. Ohne die geringste Vorbereitung, wirft er mir diese Erklärung an den Kopf:

»Wir wollten Sie mit Ihren Gedanken allein lassen. Wir sind am Vorabend entscheidender Ereignisse. Sie werden klipp und klar antworten müssen.«

Er hält einen Augenblick inne, betrachtet mich mit beunruhigender Beharrlichkeit:

»Ich muß Ihnen sagen, daß seit zwei Tagen sich gewisse Vorfälle ereignet haben, die imstande wären, die Dinge zu beschleunigen. Ich hätte noch einige Zeit warten mögen. Aber schließlich ist mir das gleich. Ich bin bereit. Ich nehme den Kampf auf. Ich teile Ihnen mit, daß man in der Umgebung die Anwesenheit von idiotisch vermummten Individuen festgestellt hat, die von Kopf bis Fuß – besonders am Fuß – ihren Beruf verraten. Polizisten. Sie streichen um uns herum. Irgendein Angeber muß sie auf die Spur gebracht haben. Das ist sicher. Juliette ist nicht zurückgekehrt. Sie bleibt unauffindbar. Ich habe diesem Mädchen stets mißtraut, sie ist mir aber dennoch sehr nützlich gewesen. Das ist aber ohne Bedeutung. Ich wiederhole es: Ich bin bereit und nehme die Herausforderung an. Man wird spaßige Dinge erleben.«

Er reibt sich die Handflächen, etwas nervös, eine kindliche Freude in den Augen. Und von neuem starrt er mich an. Und er wirft mir diese unerwartete Frage, die mich ganz und gar erschüttert, mitten ins Gesicht:

»Sind Sie für uns oder wider uns?«

Ich öffne leicht den Mund. Kein Wort kommt über meine Lippen, so ungeheuer ist meine Bestürzung. Das ist's also; jetzt muß ich mich entscheiden! Weiß ich denn, kann ich denn überhaupt wissen, was ich will?

»Ich muß Sie darauf aufmerksam machen,« fährt Ugolin fort, »daß es dabei keine Neutralität gibt. Von dem Tumult, der sich entfesseln wird, hängt das Schicksal der Menschheit ab. Alles, was nicht mit uns ist, ist gegen uns. Antworten Sie!«

Das ist die zweite Aufforderung. Ich muß antworten. Und ich antworte. Ich versichere, daß es keine Feigheit, keine Furcht, keine Hypokrisie von mir war. Wie ist das möglich gewesen? Wie konnte ich mich so plötzlich entschließen? Wer ist diese unwiderstehliche Kraft, dieser ungestüme Schwung, der mich schlagartig zu einer kalten Entscheidung trieb? Welch dunklen Willens Spielball sind wir, und wer entscheidet über uns statt unserer? Mit einer erschreckenden Ruhe, in Ausdrücken, die meine Gedanken genau wiedergaben, klar und genau formuliert, schleuderte ich Ugolin dieses, ja dieses, ins Gesicht:

»Ich sehe nicht deutlich, was Sie wollen und worauf Sie hinzielen; Sie erschrecken mich und ziehen mich gleichzeitig an. Ich denke aber, daß sich das Abenteuer lohnt. Mein Entschluß steht fest. Ich bin für Sie.«

Tiefe Stille. Ugolin hat leicht mit den Wimpern gezuckt. Der haarige Mann kraut sich im Bart. Der Deutsche bleibt unbeweglich, und der lange Ciron schüttelt den Kopf mit einer langsamen Bewegung, aus der ich nicht klug werde; drückt sie Zustimmung oder irgendein Mißtrauen aus.

Ugolin ergreift wieder das Wort:

»Sind Sie ganz entschlossen?«

»Vollkommen.«

»Gut. Ich verlange von Ihnen keinerlei Verpflichtung, keinerlei Schwur. Im übrigen können Sie nichts ausrichten, und jeder Verrat würde sofort und unerbittlich bestraft werden.«

Ich verneige mich, mit einer Grimasse. In einem sanfteren Ton, mit ruhiger Stimme beharrt Ugolin:

»Ich habe Ihnen noch einiges zu erklären. Wir waren stehengeblieben, mein Lieber (er hat richtig gesagt: mein Lieber), bei der Operation der Einpflanzung der Zwischendrüsen, die man nicht mehr den Affen entnimmt, sondern direkt dem Menschen ... Und es schien, daß diese Angelegenheit Sie sehr erregt hat. Nun wohl! Ehemals teilte auch ich Ihre Bedenken. Damals, als ich allein, schrecklich und grausam allein, ausgestoßen von der gesamten Wissenschaft, von der Zwangsjacke bedroht, von den einen verhöhnt, von den anderen beschworen, mit Feuereifer das verfolgte, was Sie mein Hirngespinst nannten, damals hatte ich mir, wie Sie, gesagt, daß unser leiblicher Vetter, der Affe, für die Art von Experimenten, von denen ich träumte, geradezu ausersehen wäre. Leider aber ist der Affe ein etwas entfernter Verwandter. Es ist fast erwiesen, daß jede gemischte Begattung fruchtlos bleibt, ich meine, jede Begattung zwischen Affen und Weib oder umgekehrt – denn es gibt, mein Lieber (er bleibt dabei), Männer und Frauen, die ... verstehen Sie?«

Ich verstehe ... ich verstehe ...

»Doch all diese widernatürlichen Begattungen scheitern an der Unfruchtbarkeit und das ist, vom malerischen Standpunkt aus, schade. Keine wirkliche Verschmelzung ist zwischen diesen beiden Tiergattungen möglich. Das allein würde schon genügen, um mich ratlos zu machen. Trotzdem habe ich darauf beharrt, zu experimentieren. Ich habe mich nach Afrika eingeschifft (ich bin viel gereist), und habe mich der Jagd auf große Affen gewidmet. Auf diese Weise lernte ich sie kennen.«

Er überlegte einige Augenblicke.

»Der Affe«, fährt er fort, »ist wohl das sanfteste Tier der Schöpfung, ich habe fast Lust, zu sagen, das menschlichste. Er verteidigt sich kaum, und es scheint, daß er die finstere Bosheit des Menschen nicht begreift. Man hetzt ihn, man jagt ihn durch die afrikanischen Wälder, in denen seine Rasse nach und nach verschwindet. Dieses arme Wesen bietet so geringe Gefahr, daß Frauen, schwache Frauen, verstehen Sie?, ungestraft, vor jeder Gefahr sicher, sich einer ruhmlosen Jagd auf diese wilden Tiere hingeben können. Eines Tages geschah es, daß ich auf einen großen Gorilla schoß, der, aufrecht stehend, auf einen riesigen Stock gestützt, mit dem Ausdruck eines alten, bärtigen Philosophen, mich mitleidsvoll betrachtete. Ich schoß, und er fiel. Und dann – noch heute könnte ich darüber weinen – sah ich, als ich mich über das blutende Tier beugte, wie es mich mit seinen großen, offenen Augen anblickte, in denen man einen Vorwurf las. Es lag so viel unschuldige Verwunderung und Schmerz in diesen Augen, die der Tod bereits verschleierte, daß ich in die Knie sank, mich über seine Wunde neigte, das Herz suchend ... Plötzlich ließ das arme Tier eine lange Klage ertönen, eine menschliche Klage, ich, der sie gehört hat, schwöre es; sein ganzer Körper wand sich, er verschied, und mich fand man schluchzend neben der Leiche dessen, den ich soeben gemordet hatte.«

Ich betrachte Ugolin, dessen verzerrtes Gesicht durch die Reue gefoltert scheint, mit heftiger Neugier. Es gelingt mir nicht, dieses lebende Rätsel zu entziffern.

»Sehen Sie,« beginnt der Alte wieder, »ich würde lieber tausend Menschen getötet haben als einen einzigen Affen. Meine Entschuldigung ist nur, daß ich nichts wußte. Seither bin ich noch mehr gereist. Ich habe hauptsächlich Indien durchquert, diese Wiege der Zivilisation. In Indien aber, Sie wissen es vielleicht nicht, ist der Affe Gott, ist der Affe König. Jeder, der den Affen berührt, erleidet schimpfliche Strafe. Tausende von Brahmanen verewigen seinen Kult, knien vor ihm. Und dies, seit es Menschen gibt, die durch den Affen erlöst wurden ... Kennen Sie das Râmayana?«

Tja! Ich habe einige dunkle Erinnerungen. Und dann verstehe ich den Zusammenhang nicht recht.

Ugolin lächelt verächtlich.

»Sie ziehen wohl die Bibel vor, dieses Gewebe voller Unsinnigkeiten und Zusammenhanglosigkeiten. Das Râmayana ist das große Poem Indiens, die Quelle aller Schönheit. Der Prinz Râma, Sohn Wischnus, sucht seine Gemahlin, die der grausame Râvana entführt hat und in seiner Festung in Lanka gefangenhält. Die unglückselige Siva ist verzweifelt: sie ruft den jungen Gott an, ihren Gemahl. Da greift Hanuman ein, der König der Affen. Er richtet seine Truppen gegen die Stadt: er zerstückelt die Krieger Râvanas, befreit die Königin und führt sie in Râmas Arme. Und vor dem versammelten Volk umarmen sich die beiden Helden Râma und Hanuman, der Gott und der Affe, und besiegeln so den Bund der Guten gegen die Bösen. Da sehen Sie, mein Herr, was der Affe in Indien ist. Hören Sie nun, was Michelet sagt, dieser große Seher. In welch bewegten Worten er vom Affenheros spricht: »Hanuman ist mit seinen breiten Schultern nur noch bewunderungswürdiger; in seiner Ergebenheit für Râma entführt er Welten auf seinem Rücken. Aus der Luft geboren, vom Wind gezeugt, ein wenig eitel, hat er das Unmögliche versucht, gewollt; sein starker Unterkiefer, der ihn ein wenig mißgestaltet macht, erinnert daran, daß er – ein Kind noch – die unsinnige Anwandlung hatte, in die Sonne steigen zu wollen. Er fiel, und seither waren er selbst und sein Stamm mit diesem Zeichen gezeichnet.« – Hören Sie weiter: »Hanuman ist lustig und rührend. Sein großes Herz, seine sanften Tugenden, mit kleinen Lächerlichkeiten untermischt, machen lachen und weinen zugleich.« Da haben Sie den Affen, mein Herr, so wie er ist, so wie er sich dem zeigt, der sich ihm zu nahen versteht und ihn liebt.«

In diesem Augenblick strafft sich Ciron auf seinen Beinen und streckt seinen riesigen Körper:

»Der Affe ist seit Râma sehr degeneriert. Der Mensch ist es, der ihn verdorben hat. Der Affe war sanft, und eine friedliche Seele wohnte in seinem behaarten Körper. Heute ist er nur noch ein Zerrbild. Im übrigen kann er keinen wirklichen Dienst mehr leisten. Seit er seinen Fuß nach Europa gesetzt hat, stirbt er an Blutarmut und Tuberkulose. Lassen wir die Affen ihren Wäldern und ihrer Sonne.«

»Lassen wir sie der Freiheit«, unterstützt Ugolin. »Es ist ein grausames Verbrechen, einen Affen zu verstümmeln. Während der Mensch, dieses Vieh von Mensch ... Brrr!«

Er erhebt sich plötzlich und pflanzt sich vor mich hin.

»Das ist das Wichtigste«, sagt er. »Ich übergehe die verschiedenen Wechselfälle meines Daseins, meine Aufenthalte in unerforschten Gebieten. Ich habe die Tibetgegend besucht, China durchzogen, auf den ozeanischen Inseln gelebt. Ich habe Meere durchkreuzt, die Sitten der letzten farbigen Männer studiert. Ich habe überall etwas von den wunderbaren Geheimnissen gesammelt. Aber ich habe dabei mein ganzes Vermögen verzehrt. Eines schönen Morgens saß ich da, ohne einen Pfennig. Ich hatte den ›Überstrahl‹ ersonnen. Ach, das ist eine ganz einfache Sache. Das schießt aus einem Körper von ungeheurem Strahlungsvermögen, von dem ein winziges Teilchen, ein Nichts, in einem Instrument von der Größe und dem Aussehen eines Revolvers genügt, um die härtesten und widerstandsfähigsten Stoffe zu zerstören. Mit dem ›Überstrahl‹, dem nichts standhält, gelang es, mir zunächst das für meine Untersuchungen notwendige Geld zu beschaffen. Ich sehe aber, wie Sie innerlich lächeln. Sie denken an Wells und an die Marsbewohner. Beruhigen Sie sich. Mein ›Überstrahl‹ ist kein Witz. Denn dank ihm und dem ›Silentium‹ – so nenne ich den Körper, den ich entdeckt habe – konnte ich einige Banken plündern.«

Mit einem Satz fahre ich hoch. Wahrhaftig, ich vergaß die unerklärlichen Öffnungen in den Türen, in den Decken, in den Geldschränken ... »Schöne Geschichte! Donnerwetter! Schöne Geschichte!« wie dieser Trottel von Kriminalpolizeileiter sagte. Und ich richte einen Blick voller Bewunderung auf den kleinen Alten.

*

»Ich werde es Ihnen nicht antun, einen überflüssigen und langweiligen Vortrag über die Eigenschaften des Uraniums, dem Vater des Joniums, des Poloniums, des Radiums, zu halten, ebensowenig wie über die Angriffe der Teilchen Alpha und Beta, die die fortlaufenden Veränderungen der radioaktiven Körper hervorrufen. Es genügt, wenn ich Ihnen angebe, daß das ›Silentium‹ aus diesen Operationen entsteht. Zum Überfluß haben Sie ja noch die frische Erinnerung an die Bankeinbrüche. Zittern Sie! Ich bin auch das Haupt einer Einbrecherbande. Im übrigen will ich gar nicht wissen, was Diebstahl eigentlich ist. Ich lehne das Eigentum ab. Ich habe das Geld, das ich besaß, mit vollen Händen ausgegeben. Ich brauchte Geld, um mir gewisse sehr seltene Stoffe, die für meine Studien unentbehrlich waren, zu beschaffen. Ich nahm das Geld da, wo es welches gab. Und mit welchem Recht war es da? In welchen Händen? Zu wessen Nutzen?«

Ich beuge das Haupt. Diese Sonderlogik zermalmt mich.

»Man hat versucht, die Banken mit Nachtwächtern und Soldaten zu schützen, die man auf die Dächer bugsiert hat. Diese Trottel. Sie ahnten nicht, daß ich das geräuschlose und unsichtbare Flugzeug besaß. Nun ja, ich verstehe es, die Luft rings um Gegenstände zu zersetzen, die sich auf diese Weise der Sichtbarkeit entziehen. Ich verstehe es, die Wellen auf solche Weise zu mischen, daß alles in der Atmosphäre in Ohnmacht fällt. Und ich verstehe wohl noch ein anderes, von dem Sie nicht wissen, daß ich es verstehe. Wenn ich wollte, könnte ich sogar die Schwerkraft vernichten. Und Sie denken, daß derartige Rezepte, so wunderbare Geheimnisse mit meinem alten Gerippe verschwinden sollen?«

Er lacht, lacht. Sein ganzes Gesicht windet sich in einem diabolischen Grinsen. Er ähnelt Satan im Kampf gegen Gott. Ein richtiger alter, kleiner Prometheus.

»Lassen wir diese Dinge«, beginnt er wieder, »und kehren wir zur Verjüngungsfrage zurück. Sie sehen jetzt, weshalb ich auf den Affen verzichten mußte. Was blieb uns anderes als der Mensch? Schließlich habe ich mich entschlossen. Um den Anfang zu machen, ließ ich junge Priester entführen ...«

Ich konnte nicht umhin, ihn zu unterbrechen.

»Warum Priester?«

»Warum?« (Er neigt sich mir zu mit seinem ewigen Hohnlächeln.) »Weil ich, meiner Treu, dachte, daß die Priester mir ohne jeden Schaden gewisse Organe überlassen würden, deren sie sich – theoretisch – nicht bedienen.«

Acht Das ist ja glänzend! So was ist ja noch nicht dagewesen! Also weil die Priester ... Ich fange zu lachen an, irrsinnig belustigt. Ugolin aber lacht nicht. Er fährt ernst und schulmeisterlich fort:

»Gleichzeitig glaubte ich auch, ihnen einen Dienst zu erweisen. Die Keuschheit ist schwer zu tragen für junge, stämmige, kräftige und gesunde Männer. Indem ich die Möglichkeit der Begierde entfernte, brachte ich in ihnen den Wunsch zum Erlöschen. Keine Ursache mehr, also auch keine Wirkung. Ich habe immer gepredigt, daß man im Interesse der Kirche und um abscheuliche, ungesunde Perversionen zu vermeiden, die Priester entweder verheiraten oder kastrieren müßte. Während ich meine Experimente verfolgte, wollte ich zugleich die Priester vom Dämon mit dem Pferdefuß, der die Unzucht eingibt, erretten.«

Ich fühle mich mehr und mehr betäubt. Ugolin läßt mir keine Zeit, zu mir zu kommen:

»Ich stütze mich da übrigens auf das Beispiel der heiligen Kirche selbst. Nicht ich bin der Erfinder, man behauptet, es wäre Semiramis, die Königin von Babylon. Alle Religionen, mit Ausnahme der mohammedanischen, haben sie angenommen. Trotzdem und obwohl die Ulemas die Kastration verdammen, wimmeln die Eunuchen bei den Muselmännern und im ganzen Orient. Barbarei sagen Sie? Meinetwegen. Denn nichts rechtfertigt diese Praktiken. Was aber soll man dann von den Zivilisierten und den Kirchenleuten denken, die sie jahrhundertelang hinnahmen und lobpriesen? Die Päpste haben sich fast alle kastrierter Tenöre bedient. Und es ist Ihnen wohl nicht unbekannt, daß diese Sänger sich eines Weltruhms erfreuten. Im siebzehnten Jahrhundert – es ist noch nicht so lange her – besaß der Kurfürst von Bayern eine Kapelle, in der eine Anzahl von Kastraten unter der Leitung von Orlan de Lassus vereinigt waren. Der Theatinermönch Zacharia Pascaligus von Verona hat ein Traktat veröffentlicht, in dem er behauptet, daß diese Stimmen denjenigen der Himmelscherubime gleichen. Allegri, der Autor des Miserere, war kastriert. Vittori Balthazar, Ferri, Matteuci waren kastriert. Und Crescentini, gleichfalls kastriert, rührte Napoleon zu Tränen, als er Romeo und Julia vor ihm sang. Ich könnte die Beispiele noch vermehren. Sie werden mir entgegenhalten, daß die Päpste ... Ja, ich weiß ... Papam virum habemus, testiculos habet ... Diese besondere Zeremonie wurde infolge des Abenteuers der Päpstin Johanna eingeführt, die während der Osterprozession niederkam. Für die anderen war sie eine ganz natürliche Operation. Im Anfang des Christentums gab es sogar Übertreibungen. Der heilige Basil, der heilige Johann Chrysostomus, der heilige Augustin waren gezwungen, sie heftig zu bekämpfen. Zu Zeiten des Evangelisten Matthäus begegnete man Asketen, die sich der Operation selbst unterzogen, um den Himmel zu gewinnen. Das setzte sich fort. So sehr, daß, viel später, der Papst Leo I. den Bann über diese unglücklichen Idioten verhängen mußte.«

Dieser kleine Abriß der Geschichte der Kastration macht mich träumen. Schließlich wird Ugolin nicht der erste sein ... Er hat glorreiche Vorgänger.

»Lassen wir die Kirche und ihre sixtinischen Kapellen. Sie liefert mir kein entscheidendes Argument, und ich habe sie nur gestreift, um Tartüff zu entlarven. Ich will die Nützlichkeit dieser Operation beweisen. Es handelt sich hier nicht um Strafe, oder um Abwehr gegen die Versuchung, oder um die Eroberung des Himmels, oder um die Harmonie der menschlichen Stimme. Es handelt sich um Zuchtwahl. Verstehen Sie mich recht. Zahlreiche Tuberkulöse, Epileptiker, Rachitiker, Kretins, Anormale jeder Art füllen die Welt, vergiften sie. Sie pflanzen sich fort und vermehren sich, zum größten Nachteil der Rasse. Ist es nicht gerecht und vernünftig, sie außerstande zu setzen, sich zu wiederholen und zu schaden? Das ist es, was die Moralisten und die Gelehrten verkünden. Denken Sie noch, daß wir zu viele auf diesem Erdball sind – o seien Sie unbesorgt, ich will mich nicht auf Malthus berufen, der trotz allem klar sah. Wir sind zu viele, das ist die Wahrheit. Die Laster, das Elend, die Entartung haben ihren Quell in der Übervölkerung, in einer Gesellschaft, in der Individuum gegen Individuum kämpft. Ein halbes Jahrhundert Vasektomie, und die Menschenrasse ist all ihren Abfall los. Alle Krankheit und Fäulnis ist beseitigt.«

Ich schüttle den Kopf. Das wird allerhand Arbeit machen. Und ich wage einzuwerfen:

»Es handelt sich also um eine richtige Revolution, die Sie erträumen. Sie haben vor, Herr des Lebens zu werden; Sie wollen die Wissenschaft und die Erfahrung in alten menschlichen Körpern, die periodisch Erneuerungsoperationen unterworfen werden, verewigen. Die anderen aber, die Operierten, was wird aus ihnen? Glauben Sie denn, das Recht zu haben, sie, selbst edlen Träumen, zu opfern? Steigt da nicht aus der Tiefe Ihres Gewissens irgendein Bedenken herauf?«

Kaum habe ich diese Gedanken ausgesprochen, weiche ich erschreckt zurück.

Ugolin fährt hoch, als hätten ihn einige Dutzend Klapper- und Brillenschlangen an der Ferse gebissen.

»Mein Gewissen,« schreit er, »mit welchem Recht kümmern Sie sich darum? Glauben Sie, daß ich nicht lange genug mit seinem Widerstand gekämpft habe? Unglückseliger! Blicken Sie doch um sich! Betrachten Sie die Menschen! Studieren Sie ihr Schicksal! Drei Viertel von ihnen sind unter dem mitleidslosen Gesetz der Arbeit gebeugt, in Arbeitshäusern zusammengetrieben, während vieler Stunden der Sonne und des Sauerstoffs beraubt; sie müssen schuften, schwitzen, bersten neben der Maschine. Und das bis zum Ende, bis zu dem Tage, wo sie nicht mehr können. Erschöpft, blutleer, entstellt durch körperliche Leiden, angefault vom Alkohol bleibt ihnen nichts anderes übrig als die Straße, das Spital oder die Zwangsjacke. Betrachten Sie die anderen – die Glücklichen hienieden –, schauen Sie, wie sie sich in Vergnügen stürzen, die töten, wie sie sich in Lastern und an Giften erfreuen, wie sie sich mit Kokain, mit Morphium, mit Haschisch, Opium, Äther oder ganz einfach mit Whisky oder Sekt vollstopfen. Beweinenswerte Verirrte, von Nerven gehetzt, derer sie nicht mehr Herr sind, allen Psychosen ausgeliefert. Ach, schön sieht sie aus, Ihre Menschheit! Lauter Verbrechen, Missetaten, Greuel, Perversionen, Hysterien. Aber noch mehr. Da ist der Krieg, der schöne Krieg, der heilige Krieg. Legionen Vertierter stürzen sich unter Gebrüll aufeinander. Gemetzel auf Gemetzel. Seuchen und Hungersnöte. Leichen auf Leichen gehäuft. Fühlen Sie denn nicht, auf welchem Meer des Schreckens wir treiben? Das soll eine Gesellschaft sein? Gehen Sie! Eine Menagerie, in der eingesperrte wilde Tiere nicht aufhören, sich zu zerfleischen. Egoismus und Stumpfsinn. Und alles zielt auf Vertierung, Entwürdigung, Ruin der Menschen, alles: Religion, Vaterlandsliebe, Moral, Arbeit, Ausbeutung der einen, Knechtschaft der anderen, und vor allem das Geld, das verruchte Geld, das auflösende Geld, das Geld, die Quelle des Hasses und des Schmerzes, das Geld, Schlüssel des Besitzes! ...«

Er fährt fort, keuchend, die Worte ruckweise hervorstoßend, in einem Windstoß ungestümer Beredsamkeit, die alles vor sich wegfegt. Ich weiche geblendet zurück. Ich höre: »Mein Gewissen ... Verworfenheit ... Dreckiges Jahrhundert ... befreiende Wissenschaft! ...« Einen Augenblick schließe ich die Augen. Nach und nach legt sich der Sturm. Leiser Gegenwind. Ugolin schweigt. Totenstille.

Bin ich überzeugt? Ich weiß nicht genau. Trotzdem wage ich es, ein letztes Wort anzubringen:

»Meister ... Wenn ich gut verstanden habe, so wollen Sie wie der Herrgott vorgehen. Es handelt sich darum, die Sintflut zu parodieren. Und Sie wollen mich in Ihrer heiligen Arche einschiffen ...«

Ugolin klopft fröhlich mit seinen hageren Fingern auf den Tisch; ringsum brüllt alles vor Gelächter.

»Die Sintflut! ... Die Arche! ... Das ist's wohl ... Und morgen, eine neue Menschheit ... Und ich nehme alles mit mir, was diese schmutzige Welt an wirklichen Intelligenzen enthält ... an hervorragenden Geistern ... Aber nein, ich irre mich, ich nehme auch ... raten Sie ...«

Er kommt näher:

»Einen Mandarin ... Ja! einen echten Universitätsprofessor. Ich will den Menschengeschlechtern, die sich verewigen werden, das ewige und lebendige Beispiel des offiziellen Kretinismus unserer Epoche bieten.«

Ich flüstere:

»Sie könnten auch andere Muster einschiffen: einen General zum Beispiel, einen Richter, einen Abgeordneten ...«

Ugolin kratzt sich an der Stirn, nachdenklich:

»Einen Krieger ... einen Richter ... einen Politiker ... warum denn nicht? ... Jawohl, ich werde Muster einbehalten. Nur ...«

»Nur?«

»Ich werde sie ausstopfen«, sagt Ugolin.

Er lehnt sich in seinen Sessel zurück und lächelt.


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