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13. Kapitel.

Auftakelungspläne. – Das Abenteuer mit der vulkanischen Insel.

 

Nach einer langen Beratung mit Towe Tjarks und Heik Weers, hatte der Schiffer beschlossen, der ehemaligen Bark die Takelung eines Dreimastschoners zu geben, da die Reservespieren zur Anfertigung der für eine Bark nötigen Raaen und Stengen nicht ausreichten. Dies erforderte auch eine Veränderung des gesamten Segelwerks, was jedoch die geringste Sorge unserer Seefahrer war.

Towe und Paul hatten bald einen einwandsfreien Untermast zurechtgezimmert, nun aber entstand die große Frage, wie die vier Mann diesen gewaltigen Baum aufrichten und an seinen Ort pflanzen sollten.

»Wat makt warn kann, ward makt, un dütt kann makt warn,« sagte Towe zuversichtlich; und es wurde gemacht.

Gleich zu Anfang, als man die erste Bootsfahrt im Hafen machte, war dem Schiffer die eigentümliche Gestalt der kirchturmähnlich aufragenden Felsklippen inmitten des Beckens ausgefallen, und er hatte sich gesagt, daß einer dieser Obelisken vielleicht bei der Aufrichtung neuer Masten nutzbar gemacht werden könnte. Das Wasser war unmittelbar neben den Klippen so tief, daß das Schiff ganz dicht herangeholt werden konnte. Wenn man einen Stropp Ring oder Schlinge aus Tau oder Kette, der zu den verschiedensten Zwecken gebraucht wird. »Stroppen« heißt, einen Block mit einem Stropp versehen. »Bestroppen«, Scherzwort für besorgen. um den oberen Teil eines der Obelisken legte, eine Gien, das heißt eine schwere Talje, daranhakte und den Gienläufer um die Winsch (Schiffswinde) nahm, dann mußte es eine Kleinigkeit sein, den Mast aufzulüften und an seinen Platz zu bringen. Der Obelisk vertrat dann die Stelle des sonst bei solchen Gelegenheiten verwendeten, aus zwei Spieren hergestellten, Bockes.

Vom Fockmast ragte noch ein etwa zehn Fuß hohes Stück über dem Deck empor, der Besanmast war in beinahe gleicher Höhe abgebrochen, vom Großmast aber war nur noch ein ganz kleiner Stumpf vorhanden.

»Junge, Junge,« sagte Towe, als man eines Abends die neue Takelung und die Arbeit, die sie der schwachen Mannschaft verursachen mußte, lang und breit besprochen hatte, »Junge, Junge, wo warn de Lüd in Hamburg de Oogen uprieten, wenn wi mit uns' Undiert von Dreemastschoner de Elbe ruptoseiln kamt! Se warn us für Yankees holln un glöwen, de Presendent von de Vereinigte Staaten wer an Bord.«

»Nee, ohl Towe, dor het'n Uhl feien,« entgegnete der Schiffer lächelnd. »Wi gaht toerst in Kapstadt binnen, un dor kriegt de Hallig wedder ehr Barktakelung; de Hamburger Buttjes warn ehr also woll swerlich för'n Ijankee holln, wenn Gott uns gnädig is un wi de Elbe glücklich erreichen doon.« – »Gott wird uns beistehen,« sagte Dora leise. »Ich bete jeden Abend inbrünstig zu ihm für uns alle.«

»Dat is recht, Fräulein,« nickte Towe beifällig. »Wenn so en liebes, frommes Kind für us beten doon deit, dennso kann dat jo gor nich fehlgahn. Un wenn de een ohl Basilisk ok tom Düwel gähn un afbreken deit, wi hewwt jo noch den tweeten, un de ward woll holln.«

»Obelisk wolltest du sagen,« verbesserte Paul den ehrlichen Janmaat lachend.

»So, du Kiekindewelt,« knurrte dieser gutmütig. »Du büst en Deutschverderber, dat weet wi all lang, aber ick dank' di ok för gütige Belehrung. Aber wo wer dat nu, Keppen Jaspersen, wenn Sie uns hüt abend de Geschicht' von de Rupptatschon verzählen täten; wir sitzen so fröhlich beisammen und haben uns alle so lieb, un dunn hört so 'ne grugliche Geschicht' sick ümmer fein an.«

»Von was für einer Geschichte redet er, Paul?« fragte der Schiffer verwundert. – Der Jüngling zuckte die Achseln und sah Towe fragend an.

»De Geschicht' von de Meeresströmungen und de vulkanischen Rupptatschonen,« sagte der Matrose. »Se hadden jo woll ok so wat mitmakt, Kaptein.«

Der Schiffer lachte. »Aha, jetzt verstehe ich. Gut, ich will mein Erlebnis erzählen. Aber einen Augenblick Geduld; ich will etwas in meiner Kiste suchen, was dazu gehört. Hole ein Licht aus der Pantry, Paul; du mußt mir dabei leuchten.«

Nach einer kleinen Weile nahmen beide wieder am Tische Platz. Jaspersen entfaltete ein Zeitungsblatt, glättete es, reichte es Dora und bat sie, eine Stelle, die er mit dem Finger bezeichnete, vorzulesen.

Das Mädchen legte Towes wollenes Hemd, das sie an verschiedenen Stellen ausgebessert hatte, zur Seite und las:

»Vulkanische Insel. Die Bark ›Fürst Bismarck‹, in Danzig zu Hause und kürzlich daselbst nach einer längeren Reise wieder eingetroffen, beobachtete am 23. März dieses Jahres in der Sundasee, nicht weit von der durch den Ausbruch von 1883 bekannten Vulkaninsel Krakatau, ein unterseeisches Erdbeben, bei welchem plötzlich ein Eiland, etwa zwei Seemeilen von dem Fahrzeug entfernt, über der Oberfläche des Meeres erschien. Um dieselbe Zeit stürzte der Obersteuermann Jasper Jaspersen durch einen Zufall über Bord. Man warf ihm einen Rettungsring nach, das Schiff wurde beigedreht, und zehn Minuten nach dem Unglücksfall war ein Boot zu Wasser gebracht. Die Leute suchten eine lange Zeit nach dem Verunglückten, fanden ihn aber nicht, und so muß angenommen werden, daß er unmittelbar nach seinem Sturz ins Wasser weggesunken ist. Die Schiffer werden gut tun, an der oben bezeichnten Stelle einen scharfen Ausguck nach der neuen Insel halten zu lassen, die zweifellos auch bald von andern Fahrzeugen gemeldet werden wird.«

Der Bericht war zu Ende. Dora reichte das Blatt zurück und sah den Schiffer lächelnd an. Der nickte ihr freundlich zu.

»Ich lebe noch,« sagte er, »obgleich mein Tod hier gedruckt steht. So etwas ist bei uns Seeleuten nichts Seltenes. Und nun will ich erzählen.

»Wir schrieben also den 23. März 1884. Den ganzen Tag war es windstill gewesen, zur Nacht aber kam eine leichte Brise durch und ich rief die Leute meiner Wache an die Brassen. Als alle Enden wieder belegt waren, spazierte ich auf dem Kampanjedeck auf und ab und dachte an nichts Böses. Auf einmal fühlte ich die Planken unter meinen Füßen erbeben. Es war wie das Zittern eines Zimmerfußbodens, wenn draußen auf der Straße ein schwerer Lastwagen vorbeirollt. Es ging vorüber, ehe ich es noch recht wahrgenommen hatte, ich wußte aber, daß die Empfindung nicht nur Einbildung bei mir gewesen war. Ich trat an den Rudersmann heran und fragte ihn, ob er nicht auch etwas gespürt hätte.

»›Jowoll, Stüermann,‹ sagte der Mann. ›Dat Schipp het bewert.‹

»Kaum hatte er dies gesagt, da erbebte die Bark von neuem und stärker. Diesmal schien es, als striche sie mit dem Boden über eine Bank von Steingeröll dahin. Aus der Kajüte kam das Geklirr herabfallenden und zerbrechenden Glases. Die Leute der Wache, die halbschlafend an Deck herumgesessen hatten, ließen Rufe des Erstaunens und Schreckens hören. Der Schiffer kam in Unterkleidern die Kampanjetreppe herauf.

»›Was ist Stüermann?‹ fragte er in Hast. – ›Wahrscheinlich ein unterseeisches Erdbeben,‹ antwortete ich, ›oder der Kiel ist auf einer Korallenklippe entlang gescheuert.‹ – ›Wollen loten, Stüermann,‹ rief er.

»Da die Bark nur ganz geringe Fahrt lief, warf ich das Handlot gleich achtern über Bord und ließ die ganze Leine auslaufen, ohne jedoch Grund zu finden. Inzwischen war auch die Backbordwache an Deck gekommen. Alles starrte nach oben oder über die Seite; man schnüffelte und spuckte und fragte, was denn eigentlich los wäre.

»Ein ungeheurer, rollender Donnerschlag gab die Antwort, und zugleich stieg auf der Steuerbordseite, vielleicht kaum eine Seemeile entfernt, eine rote blendende Feuersäule aus der See empor; sie erhellte alles auf einen weiten Umkreis, die Sterne erbleichten vor ihrem Schein und das Firmament nahm eine gelbe Farbe an. Wir erkannten unsere Gesichter so deutlich wie am Tage, ebenso das ganze Takel- und Segelwerk. Nach etwa zwanzig Sekunden sank die Feuersäule in sich zusammen, und schwärzer als zuvor lag die Nacht wieder auf unsern geblendeten Augen. Das Erlöschen der Flamme war von keinerlei Geräusch begleitet.

»Ich sprang auf die Reling, weil ich glaubte, draußen auf der See eine schwarze Masse zu sehen. Ich hatte eine Pardune erfaßt und lehnte mich weit nach außen, um deutlicher zu sehen. Meine Aufregung war groß, das Grausen, von dem die ganze Mannschaft befallen war, hatte sich auch meiner bemächtigt.

»Während ich so auf der Reling stand, rollte eine schwere, durch den vulkanischen Ausbruch veranlaßte Dünung heran; das Fahrzeug legte sich auf die Seite, aber kein Laut ließ sich vernehmen; schweigend wälzte sich der ungeheure Wasserberg durch die Finsternis, und da er auch fast unsichtbar war, so machte das unerwartete Überholen des Schiffes einen um so beängstigenderen Eindruck.

»Das war der Moment, wo ich über Bord fiel. Ob ich in meinem Schreck die Pardune losgelassen hatte, weiß ich nicht – genug, meine nächste Empfindung war, daß ich mich tief unter Wasser befand.

»Ich glaube nicht, daß man noch schneller denken kann, als ich dies tat, bis ich wieder an die Oberfläche kam. Ich bin oft genug über Bord gewesen, zum letztenmal bei Westerstrand – weetst noch, ohl Towe? – aber an keinen Fall erinnere ich mich so deutlich, wie an diesen. Während der wenigen Sekunden, bis ich wieder an die Oberfläche kam, gewann ich eine ganz klare Vorstellung von meiner Lage. Ich fragte mich, ob man an Bord meinen Sturz bemerkt habe, und ob ich wohl gerettet werden würde; ich sagte mir auch, daß ich sicher verloren sei, wenn man mich nicht sogleich vermißte. – Als ich wieder oben war, sah ich mich nach der Bark um. Sie hatte nur eine Fahrt von drei Knoten gehabt, und doch schien sie mir jetzt schon meilenfern zu sein. Ich versuchte zu schreien, aber ich fand, daß mir die Stimme versagte. Da sah ich dicht bei mir einen Rettungsring treiben. Freudig schwamm ich daraufzu, war er mir doch ein Beweis dafür, daß mein Sturz nicht unbemerkt geblieben war. Ich zog den Ring über den Kopf, brachte ihn unter meine Arme und fühlte mich nun vorläufig gesichert.

»Aus der Ferne vernahm ich die Stimmen der Leute an Bord, auch hörte ich deutlich, wie man Tauwerk an Deck niederwarf. Wieder versuchte ich zu schreien, konnte aber nur gebrochene Töne hervorbringen. Der Schreck mußte meine Stimmwerkzeuge gelähmt haben. Die Bark entfernte sich mehr und mehr. Sie hatte den Wind fast von achtern und mußte daher einen großen Bogen beschreiben, ehe sie herankam. Ich hätte darauf geschworen, daß Stunden vergingen, ehe man das Boot zu Wasser brachte. Endlich hörte ich von weitem das Rucken der Remen in den Dollen; das Boot suchte mich. Noch einmal wollte ich rufen, brachte aber nur ein heiseres Gestöhn heraus, das niemand hörte.

»Ich lauschte und lauschte, das Boot kam nicht näher. Es entfernte sich vielmehr. Die Leute irrten sich in der Richtung. Ich befand mich, meiner Meinung nach, südwestlich von der Bark; sie suchten mich in südlicher Richtung. Immer schwächer wurde das Geräusch der Remen. Hätte ich ordentlich rufen können, dann wäre ich gerettet gewesen. Ich hörte noch die Stimme des Kapitäns, der das Boot anrief. Dann hörte und sah ich nichts mehr; das Schiff war verschwunden. Wo vorher seine schattenhafte Gestalt noch gewesen, da flimmerten jetzt die Sterne.

»Vom Firmament kam nur ein ganz geringer Lichtschein, auch hatte das Wasser keinen Schaum, der etwa hätte leuchten können. Trotzdem erblickte ich jetzt in einiger Entfernung jene schwarze Masse, nach der ich ausgeschaut hatte, als das Schiff überholte und ich über Bord fiel. Was konnte das sein? Ein Haufen treibenden Seetangs, oder gar eine durch den vulkanischen Ausbruch neu entstandene Insel?

»Sehr groß konnte die Masse nicht sein, das ersah ich aus den in ihrer Nähe funkelnden Sternen. Was es aber auch sein mochte, schlimmer als hier konnte es mir nicht ergehen, wenn ich mich dicht dabei, oder auch mitten darin oder darauf befand. Ich schwamm also daraufzu.

»Bald war ich bei der dunklen Masse angelangt, und nun erkannte ich, daß dieselbe tatsächlich Land oder vielmehr eine Felsklippe, der Gipfel einer unterseeischen Gesteinsformation war, der ungefähr zwölf Fuß über dem Wasserspiegel aufragte. Ein schwacher Dampf schien von ihm emporzusteigen. An seinem Rande zeigte sich eine leichte Brandung. Der Strand, dem ich mich näherte, mochte sich einige hundert Fuß nach rechts und nach links erstrecken, mehr konnte ich von der schwarzgrauen Masse nicht übersehen. – Jetzt spürte ich Grund unter den Füßen; ich erhob mich, watete gegen dreißig Schritt durch immer seichter werdendes Wasser und erreichte endlich den trockenen Strand. Ich war völlig erschöpft, meine Arme und Beine hatten Bleigewicht. Die Luft war schwül, aber nicht wärmer, als sie um die Mittagszeit an Deck der Bark gewesen war. Überall stiegen dünne Dampfsäulen von dem Felsenboden auf, die das Atmen jedoch nicht erschwerten. Ähnliche Dämpfe hatte ich bisweilen daheim von feuchten Strohhaufen aufsteigen sehen. Ich schleppte mich noch eine Strecke landeinwärts und sank dann nieder, ob in Ohnmacht oder nicht, das weiß ich nicht mehr. Als ich wieder erwachte, stand die Sonne schon hoch, etwa fünfzehn Grad über dem Horizont.

»Ich blickte erstaunt um mich, und es dauerte eine Weile, ehe ich meine Gedanken gesammelt hatte. Die Erinnerung kehrte zurück wie ein Blitzschlag, und jäh fuhr ich empor.

»Es war kein Zweifel, das Eiland, auf dem ich mich befand, mußte über Nacht durch das unterirdische Erdbeben entstanden sein.

»Ich kann es nicht anders beschreiben, als eine gewaltige Masse von Bimsstein, oben abgeflacht und auf allen Seiten sanft nach dem Wasser zu abfallend. Der Boden hatte durchweg die helle Farbe des genannten vulkanischen Erzeugnisses, er war so sauber und klar wie die Schale eines frischgelegten Hühnereies und zeigte nirgends die geringste Spur einer Verunreinigung. Allenthalben aber waren Löcher und Risse darin, ähnlich den Öffnungen eines Schwammes, und es wird mir immer unbegreiflich bleiben, wie ich in der Nacht die fünfzig Schritt landeinwärts hatte gehen können, ohne mir den Hals, oder doch wenigstens Arme und Beine zu brechen. – Was mein Erstaunen jedoch im höchsten Maße erregte und mich im ersten Moment an den Boden fesselte, war der Anblick eines Schiffes, das, auf der Seite liegend, ungefähr hundert Schritt von mir entfernt auf einer leichten Bodenerhebung sich befand.

»Es währte eine ganze Zeit, ehe ich meinen Augen traute. Zuerst glaubte ich ein launiges Spiel der vulkanischen Gewalten vor mir zu sehen, eine Steinmasse, der sie die Form eines Fahrzeuges verliehen hatten. Allein, als ich näher hinzuging, sah ich, daß ich es wirklich mit einem Schiffe zu tun hatte, allerdings mit einem Schiffe in überaus wunderbarer, märchenhafter Verkleidung, da dasselbe dicht mit unzähligen, hundertfältig verschiedenen Muscheln und Korallengebilden überkleidet war.

»An zahlreichen Stellen sprudelten klare Seewasserquellen aus seinem Rumpfe hervor, die im Sonnenlicht wie Regenbogen funkelten und sich gar prächtig von der mit grünen, moosartigen Algen durchsetzten Muscheldecke abhoben. Das Schiff wies noch die drei Untermasten auf, von denen der Fockmast sehr weit nach vorn, der Besanmast sehr weit nach hinten stand. Auch die Wanten der Masten waren noch vorhanden, als einziger Rest der Takelung, den die See dem Fahrzeuge gelassen hatte. Das ganze Schiff sah aus wie ein aus Muscheln und Moos zusammengesetztes Kunstwerk; auch die Masten und Wanten waren dick damit überzogen. Seine Form war altertümlich; es erschien kaum zweimal so lang wie breit; stumpf und bauchig wölbte sich der Bug, das Heck aber erhob sich zu turmartiger Höhe. Ich bin in der Schiffsbaukunst früherer Zeiten nicht sehr bewandert, so viel aber schien mir ganz gewiß, daß dieses Schiff mindestens dreihundert Jahre auf dem Grunde der See gelegen hatte, und daß seine Erbauung so ziemlich in das Zeitalter des Kolumbus fallen mußte.

»Der vulkanische Ausbruch, der diese Insel vom Meeresboden emporhob, hatte auch das alte Fahrzeug wieder zum Vorschein gebracht, und an das Licht der Sonne befördert.

»Meine Lage gestattete mir jedoch nicht, hier lange zu staunen und zu bewundern. In dem Moment, wo ich meine Augen von dem alten Schiffe ab- und wieder der unermeßlichen Weite der See zuwendete, packten mich Angst und Mutlosigkeit.

»Was sollte hier aus mir werden? Ich hatte kein Boot, nichts, woraus ich ein Floß hätte verfertigen können, denn das Holz des muschelbedeckten Schiffes war längst verkalkt und versteinert. Der Durst begann mich zu peinigen, auf diesem dampfenden Felsen aber war kein Tropfen trinkbaren Wassers vorhanden. Wenn nicht bald Regen fiel, dann mußte ich hier elend verschmachten – ein Gedanke, der mich mit Entsetzen erfüllte.

»Das Schiff lag so ziemlich im Mittelpunkte des Eilandes, das fast kreisrund und leicht gewölbt war, etwa wie der Deckel eines großen Topfes. Beim Umherschauen entdeckte ich in einer der Spalten des Bodens einen toten Fisch von der Größe eines sechzehn- oder achtzehnpfündigen Dorsches. In der Hoffnung, durch Stillung meines Hungers auch den wütenden Durst etwas zu mildern, zog ich den Fisch aus dem Loche, schnitt ihm ein Stück Fleisch aus dem Rücken und aß es. Der Saft des Fleisches erfrischte mich, und um den Fisch möglichst gegen die Einwirkung der Sonnenhitze zu sichern, schleppte ich ihn in den Schatten des Schiffes und legte ihn hier unter einen der kleinen Wasserfälle, damit er möglichst frisch bliebe.

»Jetzt gewahrte ich auch noch eine Menge anderer Fische in den zahlreichen Löchern und Spalten; zwei davon brachte ich noch auf die Seite, zugleich aber sagte ich mir, daß die große Hitze die Fische bald in Fäulnis übergehen lassen würde, und daß dann die Luft über dem Eilande für mich unerträglich und tödlich werden müsse.

»Ich setzte mich unter den Bug des Schiffes und schaute hinaus über die See. Vielleicht hätte ich froh sein sollen über die Fristung meines Lebens. Ohne diese wunderbare vulkanische Insel wäre ich ja sicherlich trotz der Ringboje schon elend zugrunde gegangen und von den Haien gefressen worden, allein die Einsamkeit war so niederdrückend, mein Verhängnis schien so unabwendbar, daß ich in der Verzweiflung meines Herzens diesen Felsen hätte verfluchen mögen, da er mir nichts als die Verlängerung meiner Leiden zu verheißen schien.

»Nur ein winziges Hoffnungsfünkchen lebte noch in mir – das Eiland lag mitten in einer vielbefahrenen Wasserstraße, und es war anzunehmen, daß das Fahrzeug, welchem es in Sicht kam, vom Kurse abweichen und herankommen würde, um die neue, auf keiner Karte verzeichnte Insel näher in Augenschein zu nehmen. Das war ein Hoffnungsfünkchen, aber nur ein schwaches, wenn ich dagegen in Betracht zog, daß ich nichts zu trinken hatte und sehr bald auch ohne Nahrung sein würde; daß ein Schiff sehr nahe vorüberkommen mußte, um ein so flaches und kleines Stückchen Land bemerken zu können, und daß ich es auf dem sonndurchglühten Bimssteinriffe schwerlich länger als vierundzwanzig Stunden aushalten würde.

»Glücklicherweise diente das Wrack dazu, meine Gedanken von dem, was mir bevorstand, abzulenken, denn ich bin fest überzeugt, daß ich den Verstand verloren hätte, wenn mein Auge auf diesem flachen Stück Bimsstein keinen Ruhepunkt gefunden hätte.

»So unterzog ich denn die versteinerte, muschelüberzogene Struktur einer eingehenden Besichtigung. Es überkam mich dabei eine eigentümliche, feierliche Ergriffenheit; war es doch, als habe das Meer seine Toten wiedergegeben.

»Ich überlegte, ob ich nicht an Bord dieses Fahrzeugs Schutz vor der Sonnenhitze finden könnte. Ich ging herum nach der überhängenden Seite, wo ich den Bord mit den Händen erreichen konnte. Die Muscheln waren glatt und scharf, dennoch gelang es mir bald, mich emporzuschwingen.

»Hier oben war der Anblick des Fahrzeugs noch viel überraschender und wunderbarer, als von außen. Das Deck war gleichsam ganz aus großen und kleinen Muscheln von den verschiedensten Farben und Gestalten zusammengesetzt; große, milchweiße Korallenformationen wuchsen allenthalben empor, neben andern unterseeischen, vielästigen Pflanzentieren, für die ich keine Bezeichnung wußte, viele davon auf das lebhafteste gefärbt. Dazwischen wucherten allerlei Gewächse, Algen und Tang, letzterer von merkwürdiger Ähnlichkeit mit den bei uns daheim wachsenden Farnkräutern. Dieser Überzug des Decks war so dicht, daß ich nicht erkennen konnte, ob die Luken offen oder geschlossen waren, und ich gewann die Überzeugung, daß ein Dutzend Männer mit Picken und Brecheisen eine Woche lang zu tun gehabt hätten, um durch diesen dicken und eisenfesten Muschelpanzer in das Innere des Schiffskörpers zu dringen.

»Das Wrack schien mir eine spanische oder portugiesische Karavelle gewesen zu sein, das glaubte ich aus seiner Gestalt zu erkennen. Worin aber mochte seine Ladung bestanden haben, oder noch bestehen? Vielleicht barg es ungezählte Schätze in Gold- oder Silberbarren, oder in gemünzten Edelmetallen, in Dublonen oder Dukaten. Solch alte Schiffe hatten häufig die kostbarsten Ladungen, da sie die Ausbeute der neuentdeckten und in Besitz genommenen Länder nach dem Mutterlande zu schaffen hatten.«

»Junge, Junge,« sagte der in seiner Koje aufmerksam lauschende Heik, »un so 'ne ohle Karamelle, bet ünner Deck vull von Gold un Diamanten, leg' nu dorup de Bimssteinplatte as up'n Präsentierteller – Bitte mein Herr, bedienen Sie sich! Un nu keen Kohfot Plattdeutsch für Kuhfuß. Eiserne Brechstange, oben zugespitzt, unten mit umgebogener platter Klaue, zum Ausbrechen von Ladungsstücken, Ausziehen großer Nägel usw. un keen Pickaxt bi de Hand! Wat Se sick dor woll ärgert hewwen, Kaptein.«

»Nee Heik, an so wat dacht' ich dunn gor nich,« antwortete der Schiffer; dann fuhr er fort: »Gern hätte ich alle Kostbarkeiten der Welt für den Anblick eines herankommenden Seglers oder Dampfers, für einen kleinen Quell frischen Trinkwassers hingegeben.

»Mit fiebernden Augen suchte ich den Horizont ab; es war nichts in Sicht.

»Der Nachmittag kam, die Sonne brannte in unerträglicher Glut vom westlichen Himmel hernieder, der Durst quälte mich entsetzlich.

»Ich kletterte vom Schiffe hinab und schnitt mir wieder ein Stück aus dem Fische. Der Saft war nur für den Augenblick eine Wohltat; das Salzwasser, welches das Fleisch angefeuchtet hatte, brannte mir im Schlunde und vermehrte meine Leiden.

»Eine leichte Brise fuhr über die See, und ein halbes Dutzend schwarzer, nasser Rückenflossen zeigte sich über dem Wasser in der Nähe der Insel; das waren die Haie, die sich von ihrem Schreck erholt hatten und nun sehen wollten, ob durch das Erdbeben vielleicht etwas für sie Genießbares heraufbefördert worden war.

»Die Nacht verbrachte ich an Bord des Schiffes, unter dem balkonartigen Vorbau des Achterdecks. Nie vorher hatte ich ähnliche Leiden durchgemacht. Ich hatte ein Gefühl im Schlunde, als bestände er aus glühendem Eisen, mein Kopf war schwer und schmerzte fürchterlich, meine Glieder waren steif, meine Haut spröde und brennend. Kurz vor Tagesanbruch fiel ich in eine Art von Betäubung; als ich daraus erwachte, sah ich die Sonne aufgehen, und keine halbe Meile von dem Eiland entfernt eine Brigg. Sie hatte alle Leesegel stehen und lag auf nördlichem Kurse. – Ich kletterte mühsam auf das hohe Kampanjedeck und schwenkte meine Arme wie ein Wahnsinniger. Ich wollte auch rufen, aber meine Stimme war noch schwächer, als in der Nacht, wo ich über Bord gefallen war.

»Wenn die Brigg mich im Stiche ließ, dann war es mit mir zu Ende; ich wußte, daß ich weder die körperliche noch die geistige Kraft mehr besaß, nochmals einen Tag ohne einen Trunk Wasser und ohne Hoffnung auf dem Eilande zuzubringen.

»Plötzlich holte die Brigg die Leeschot ihres Großsegels auf. Die Leesegel wurden weggenommen, und dann hielt sie auf das Eiland ab. Nun erkannte ich, daß ich gerettet war.

»Als die Brigg das Boot zu Wasser brachte, kletterte ich die zackige Schiffsseite hinab, fiel dabei vor Schwäche nieder, erhob mich aber wieder und eilte dann schwankenden Schrittes zum Strande.

»Wer seid Ihr, Maat, und was ist dies für ein Land?« rief mir der Mann zu, der den vordersten Remen führte, indem er mir die Hand entgegenstreckte.

»Er hatte Englisch geredet.

»Ich deutete auf meinen Mund, und es gelang mir, das Wort ›Water‹ hervorzustoßen.

»Im Handumdrehen hatten die drei mich ins Boot gezogen, und dann rojten sie aus Leibeskräften zur Brigg zurück.

»›Er ist halbtot vor Durst!‹ riefen sie dem über die Reling schauenden Schiffer zu.

»Man hob mich an Deck, der Schiffer eilte in die Kajüte und erschien sogleich wieder mit einem Glase voll Wasser und Wein.

»›Da,‹ sagte er, ›damit wollen wir anfangen; hernach gibt's einen größeren Schluck.‹

»Der Trunk belebte mich außerordentlich; es dauerte aber noch eine Weile, ehe ich reden konnte.

»›Waren Sie allein dort drüben?› ‹ fragte er.

›Ja,‹ antwortete ich.

›Was ist das aber für ein Land?‹

»›Ein vulkanisches Eiland, gestern nacht durch ein unterseeisches Erdbeben entstanden.‹

»›Alle Donner!‹ rief er. ›Und was ist das da mittendrauf für eine Veranstaltung von Muscheln und Tanggewächsen?‹

»›Das ist ein altes Schiff, das wohl länger als dreihundert Jahre auf dem Grunde gelegen hat.‹

»›Und das nun bei der Gelegenheit wieder hochgekommen ist?‹

»›So ist es,‹ sagte ich.

»›Hab' ich mein Lebtag schon so was gesehen oder gehört!‹ rief der alte Engländer. So was muß man wirklich mit Augen sehen, um es zu glauben! Steuermann, lassen Sie die Leesegel wieder setzen. Wir wollen machen, daß wir hier fortkommen. Es ist hier nicht geheuer. Sie aber kommen mit mir in die Kajüte, da können Sie sich stärken und mir Ihr Abenteuer ausführlich erzählen.‹

»Eine tüchtige Mahlzeit und eine Flasche Wein dazu, machten einen neuen Menschen aus mir. Wir saßen dann eine lange Zeit beieinander; ich erzählte mein Erlebnis und der Schiffer machte seine Notizen und plauderte von dem Aufsehen, das es geben würde, wenn er daheim über seine Entdeckung berichtete.

»›Und Williams-Eiland soll die Insel heißen!‹ rief er. ›So taufe ich sie nach meinem Namen, das ist mein gutes Recht!‹

»Da steckte der Steuermann den Kopf zum Scheinlicht herein.

»›Keppen Williams!‹ rief er.

»›Was soll's?‹

»›Das Eiland ist wieder verschwunden!‹

»Wir eilten an Deck.

»Wo das Eiland gewesen war, breitete sich jetzt ununterbrochen die See aus.

»›Weg ist es!‹ rief der Schiffer erstaunt.

»›Ich sah wie es unterging,‹ sagte der Steuermann. ›Fahrzeuge habe ich schon wegsacken sehen, eine ganze Insel aber erst heute.‹

»›Da sind wir gerade zur rechten Zeit gekommen,‹ wendete der Schiffer sich zu mir.

»›Ja,‹ sagte ich erschüttert. ›Ohne Sie hätten mich jetzt die Haie.‹

»Der Name der Brigg, die mich gerettet hatte, war ›Mary Roß‹. Sie kam von Cardiff mit Kohlen und war nach Hongkong bestimmt. Dort ging ich an Land und fand auch bald eine Heuer. Süso, Towe,« schloß der Schiffer lächelnd seine Erzählung, »dat is min Geschicht' von de vulkanische Eruption, oder Rupptatschon, as dat jowoll von nu an heeten doon deit.«


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