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7. Kapitel.

Sturm. – »Loggen!« – Warum dem Schiffer unheimlich zumute wurde. – Eine furchtbare Woge. – Greuel der Verwüstung. – Warum Heik Weers wie ein fauler Landlubber liegen muss. – Was Paul in der Kombüse sah.

 

Wie Keppen Jaspersen und die beiden alten erfahrenen Matrosen Heik und Towe vorausgesehen hatten, war das schöne Wetter nicht von langer Dauer. Am nächsten Morgen, ehe die Sonne aufging, stand der ganze östliche Himmel in blutrotem Feuer, das von der glatten See dunkelglühend widergespiegelt wurde. Als der gewaltige Ball des Tagesgestirns über den Horizont emporstieg, erschien er wie von einem dünnen schwarzen Schleier verhüllt.

»Das sieht windig aus,« sagte der Schiffer. »Ich denke, wir tun gut, Segel zu bergen, solange dies noch bequem geschehen kann. Ist der Wind erst da, dann soll uns das schwer werden.«

Da das Schiff keine Fahrt hatte, brauchte niemand am Ruder zu stehen; die gesamte Backbordwache war daher für das Segelbergen disponibel. Sie bestand, wie wir wissen, aus Towe und Paul. Gegenwärtig wurde sie noch durch den Schiffer verstärkt.

»Also ans Werk, Maaten!« rief dieser. »Gei auf Vor- und Großreuel, Vor- und Großbramsegel und hol' nieder Außenklüver und die Bram- und Stengenstagsegel!«

Alle Mann sprangen an die Geitaue und Niederholer, der Schiffer voran; Towes schallendes »Holioho!« ertönte, und bald waren die Kommandos ausgeführt.

»Jetzt nach oben!« rief der Schiffer wieder. »Towe macht den Vorreuel, das Vorbramsegel und die Stagsegel fest, ich besorge dasselbe im Großtopp, Paul beschlägt den Außenklüver und nimmt dann noch das Gaffeltoppsegel weg und macht es fein säuberlich fest. Wenn die Steuerbordwache an Deck kommt, soll sie ihre Freude an unserer Arbeit haben.«

Bei der Windstille war das Bergen der Segel eine leichte Mühe; bei auch nur mäßiger Brise hätte das Festmachen eines der Bramsegel die ganze Kraft von zwei Mann erfordert.

»Wenn nun der Wind kommt, dann kann er uns vorläufig nicht viel Schaden tun,« sagte der Schiffer, als er mit Paul die Leinen wieder über die Koffeenägel hing. Towe bereitete unterdessen in der Kombüse das Frühstück. – Um sieben Glasen weckte Paul die andere Wache.

»Is dor all Wind?« fragte Heik und richtete sich in seiner Koje auf.

»Jawoll, dat weiht mächtig,« antwortete Paul. »Ümmer von baben dal. Wi hewwt all twee Reewen in den Schorsteen von de Kombüs' steken un den Kock sin Pött fastmakt.«

»Danke för de gütige Auskunft,« sagte Heik mit großem Ernst. »So was Ähnliches hatte ich mich auch gedacht. Nu büst du woll noch so freundlich un bringst mich 'n Pott Kaffee dal.«

Während Paul das Frühstück aus der Kombüse holte, steckte der alte Matrose seinen grauen, zerzausten Kopf aus der Kampanjeluke und schaute sich um.

»Wir werden bald unser Ölzeug nötig haben,« sagte er zu Gazzi, als er wieder unten war. »Die Backbordwach' hat gut gewerkt un Segel geborgen, ohne uns auszupurren. Dat sünd brave Maaten.«

Als um acht Glasen das Barometer noch immer hochstand, wurden die weiteren Segelkürzungen, die der Kapitän geplant hatte, noch aufgeschoben. Paul und Towe gingen zur Koje und schliefen ungestört bis zum Mittag. Um zwölf Uhr maß der Kapitän die Sonnenhöhe, und als er das Besteck ausgerechnet hatte, teilte er seinen Leuten mit, daß das Schiff in den letzten vierundzwanzig Stunden keine fünf Mill gelaufen sei. Towe murmelte etwas von einem Jonas an Bord in den Bart, schwieg aber als der Schiffer ihn scharf und vorwurfsvoll ansah.

Im Laufe des Nachmittags sammelten sich im Nordwesten schwere dunkle Wolkenmassen. Jaspersen sah nach dem Barometer; es fiel schnell. Die Wache wurde ausgepurrt, und die kleine Mannschaft arbeitete mit Aufbietung aller Kraft auf den Raaen, um die Obermarssegel wegzunehmen, die Fock-, das Großsegel und den Besan zu reffen. Nachdem noch der Klüver geborgen war, blieb den Leuten nichts mehr übrig, als zu warten, bis der Sturm losbrechen würde.

Kapitän Jaspersen schritt auf dem Kampanjedeck hin und her. Er war erregt und voll schwerer Besorgnis. Die Hallig war ein Fahrzeug von mehr als tausend Tonnen; ein solches in einem mäßigen Sturme mit einer Besatzung von fünf Mann zu regieren, grenzte bereits an das Unmögliche; was dort aber heraufgezogen kam, war kein gewöhnliches Unwetter. Alle Nerven des in zahllosen Stürmen erprobten Mannes waren qualvoll angespannt. Das Bewußtsein der auf ihm lastenden Verantwortlichkeit drückte ihn fast nieder. Er sehnte sich nach Befreiung aus der schrecklichen Ungewißheit, nach dem endlichen Losbrechen des Orkans.

Die Leute saßen und lagen um die Kombüse her, schauten nach dem schwarzen Nordwesten und warteten.

»Pass' acht!« schrie der Kapitän plötzlich. »Pass' acht, da kommt er!«

Ein furchtbares Brüllen erfüllte auf einmal die ganze Atmosphäre, mit sausendem, heulendem, pfeifendem Toben raste der Orkan daher. Er fuhr mit gewaltigem Stoß in die Segel und trieb das Schiff sogleich mit großer Schnelligkeit durch die sich im Nu hoch emportürmenden Wogen. Wäre die Hallig nicht so trefflich vorbereitet gewesen, und hätten Heik und Towe, die mit Windeseile ans Ruder gesprungen waren, das Fahrzeug nicht so gut als möglich platt vor dem Winde gehalten, dann wären die Masten gleich in der ersten Minute über Bord gegangen.

Die Wogen gingen immer höher und stärker, die Farbe des Wassers war hart und bleigrau geworden. Beim Schlengern legte die Bark sich bis zum Schandeckel auf die Seite, die schäumenden und brausenden Bugwasser erreichten in Lee die Höhe der Reling.

Immer wütender schnob der Sturm. Der Druck der wenigen Leinwand war so mächtig, daß das Fahrzeug die Wogen tief, und fast auf gleicher Linie durchschnitt; es schob wie ein Schneepflug durch den weißen, hoch vor dem Buge sich auftürmenden Schaumberg, der das ganze Vorgeschirr und die Back zeitweise völlig begrub, sich dann an den Seiten mit schwindelnder Schnelligkeit und einem Tosen wie von hundert Mühlrädern nach hinten zog und hier gleich einem blendenden, fast unübersehbaren Schneefelde zurückblieb. Ab und zu erhob sich der schwarze, schlanke Rumpf hoch aus dem schaumigen Bade, und dann glich das schöne Schiff einem Seevogel, der auf dem Gipfel einer Woge die Schwingen ausbreitet und schüttelt, ehe er von neuem in die Tiefe taucht.

Der Orkan wurde stärker. Dem Schiffer stiegen Bedenken auf, ob die Untermarssegel, obgleich aus gutem, neuem Segeltuch, dem ungeheuren Drucke noch viel länger würden Widerstand leisten können. Er hätte gern das Schiff beigedreht; es lag auf südöstlichem Kurse, und wenn der von achtern kommende Sturm noch lange anhielt, dann wurde es in die südlichen kalten Regionen getrieben, und von dort aus wieder nördlich aufzukreuzen war eine Aufgabe, der die kleine Mannschaft der Größe des Schiffes wegen nicht gewachsen war.

Die Hallig gehorchte dem Ruder mit Leichtigkeit auch bei diesem wilden Wetter; Towe hatte das bald erkannt und die Handhabung des Rades Heik Weers allein überlassen.

»Loggen!« brüllte jetzt der Schiffer durch das Getöse des Sturmes vom Kampanjedeck herab, unter dessen überragender Brüstung Paul, Gazzi und zuletzt auch Towe Schutz gegen den peitschenden Regen gesucht hatten. Er wollte die Fahrgeschwindigkeit der Hallig feststellen.

Dies geschieht durch das Log, das aus einer auf eine Haspel (Logrolle) gewickelten Leine besteht, an deren Ende ein dreieckiges Brettchen (Logscheit), an einer Kante mit Blei beschwert, befestigt ist. An der Logleine sind in Abständen von je 7,202 Meter Schnur- oder Lederstückchen (Knoten) eingedreht. Beim Loggen wird das Logscheit über das Hinterteil des Schiffes ins Wasser geworfen, wo es aufrecht stehen bleibt und durch den Wasserdruck auf nahezu derselben Stelle gehalten wird, während das Schiff weitersegelt und die Logleine von der Haspel abrollt. Die Sache dauert genau vierzehn Sekunden, welcher Zeitraum vermittelst einer kleinen Sanduhr gemessen wird. Man holt nunmehr die Leine wieder ein und zählt dabei die abgelaufenen Knoten; die Hallig lief deren zehn. Sie hatte also in 14 Sekunden zehnmal 7,202 = 72,02 Meter zurückgelegt, und mußte daher in der Stunde bei gleichmäßiger Geschwindigkeit 3600:14 = 257 x 72,02 = 18 520 Meter laufen. Da 1852 Meter eine Seemeile sind, so hatte die Hallig also gegenwärtig eine Fahrgeschwindigkeit von zehn Seemeilen (Mill) in der Stunde.

Außer diesem Log verwendet man auch noch ein Patentlog, bei dem eine im Wasser nachgeschleppte kleine Flügelschraube ihre Umdrehungen auf ein Zifferblatt überträgt, aus der Umdrehungszahl ergibt sich die vom Schiffe gelaufene Strecke.

Auf des Schiffers Ruf hatten Heik und Paul Logrolle und Sanduhr achteraus gebracht. Heik hielt die Rolle empor, Paul das Glas. Der Schiffer warf das Logscheit über die Heckreling.

»Törn!« rief er. Paul stürzte das Glas um; der Sand begann zu laufen. Als das letzte Körnchen aus der oberen Halbkugel in die untere gefallen war, rief er: »Stopp!«

Der Schiffer hielt die Leine fest und sah nach dem Knoten.

»Zehn,« sagte er. »Leine einholen!«

Eine Logleine ist nur eine Schnur, trotzdem aber hatten alle Mann, mit Ausnahme von Towe, der am Ruder stand, vollauf zu tun, sie wieder binnenbords zu holen. – Die ganze Nacht wütete der Sturm mit unverminderter Heftigkeit. Gegen sechs Glasen in der Mittelwache wurde im Großtopp ein Knattern wie von Flintenschüssen wahrnehmbar.

»Der Großreuel hat sich losgerissen!« rief der Schiffer. »Hinauf zwei von euch und macht ihn wieder fest. Nehmt ein paar Nockbändsel als Extrazeisinge mit.«

Towe und Paul machten sich unverzüglich auf den Weg zur Großwant. Der Aufstieg ging nur langsam vor sich, da der Wind sie so fest gegen die Want drückte, daß sie sich zeitweise nicht zu rühren vermochten. Sie mußten dann warten, bis das Schiff nach Steuerbord überholte, wodurch sie wieder etwas loskamen. Die Wanten waren abwechselnd bald so straff wie Eisenstangen, bald so schlaff wie ein Netz.

Auf der Reuelraa angelangt, hatten sie einen heftigen Kampf mit dem wild schlagenden Segel zu bestehen, wobei sie sich noch um Leib und Leben an die Raa klammern mußten, um von der ungebärdigen Leinwand nicht hinabgeworfen zu werden.

Endlich war die Arbeit bewältigt, und sie stiegen wieder abwärts. Als Paul von der Reling herunter in das fußhoch das Deck überspülende Wasser sprang, vernahm er einen schrillen, durchdringenden Schrei, der das Tosen des Sturmes und das Brausen der See übertönte. Instinktiv eilte er nach vorn, von wo der Schrei gekommen war. In der Nähe der Logiskappe angelangt, sah er in der Finsternis eine unbestimmte Gestalt, die aber sogleich wieder verschwunden war.

Towe war ihm gefolgt, und nun standen beide vor der Logiskappe und sahen einander an. – »Sollen wir 'runtergehen?« fragte Paul.

»Nee, Paul; woto? Dat is en Geist west, mit den is nix nich antofangen.«

»Hast recht, Towe. Auch dürfen wir uns nicht aufhalten. Es könnte da achtern was zu tun geben.«

Die auf dem Kampanjedeck hatten den Schrei auch, aber weniger deutlich, vernommen. Jaspersen fragte Towe danach.

»Jowoll, Kaptein,« sagte dieser. »Un nich blot hört heww ick em, ick heww den Geist ok sehn. Un Paul ok.«

Dem Schiffer wurde nun doch etwas unheimlich zumute; er war fest davon überzeugt, daß außer ihm und seinen Leuten kein menschliches Wesen an Bord sein konnte; was sollten also Towe und Paul, die beide so ehrlich und zuverlässig, und dabei so verständigen und klaren Sinnes waren, anders gesehen haben, als etwas Übernatürliches? Er war nicht abergläubisch, aber was für eine Annahme blieb ihm hier übrig?

Jetzt hatte er jedoch keine Zeit, sich über Geister den Kopf zu zerbrechen. Er mußte alle Gedanken darauf richten, zu verhüten, daß die Hallig zu weit nach Süden getrieben wurde. Die Nacht verstrich und der Tag brach an. See und Luft sahen so drohend und gefährlich aus, daß auch das Herz eines Schiffers, der über eine vollzählige Besatzung verfügte, dadurch schwer bedrückt werden konnte.

Obgleich die Bark unter die größten Fahrzeuge ihrer Klasse zu zählen war, so war sie doch gegenüber den an Größe und Gewalt immer noch wachsenden Wogen ziemlich wehrlos. Sie rollte und stampfte und arbeitete fürchterlich; bald fuhr sie vorn in die Höhe, bis ein dreißig Fuß langes Stück ihres Kiels frei emporragte, dann wieder fiel sie auf die Seite, bis die Nock der Großraa ins Wasser tauchte und die über die Reling hereinbrausende See die Großluk überflutete.

Ein Blick auf die Wogenberge sagte dem Schiffer, daß er nicht daran denken dürfe, das Schiff beizudrehen; er mußte damit warten, bis der Wind nachließ. Da er Towe Tjarks als einen intelligenten und erfahrenen Seemann kannte, beschloß er, mit ihm die Lage zu beraten und forderte ihn auf, mit ihm in die Kajüte zu kommen.

Hier holte er die Karte hervor und breitete sie auf dem Tisch aus.

»Sehen Sie her, Towe,« sagte er und setzte den Finger darauf. »Wir befinden uns jetzt hier, soweit das unter den obwaltenden Umständen zu bestimmen ist. Hält dieser Wind an, dann werden wir, fürchte ich, bald in kalte Breiten kommen.« – Towe schaute bedächtig auf die Karte.

»Je weiter südlich wir kommen, desto sicherer können wir erwarten, dat düsse Wind bald nach Westen 'rumholen wird. Anluven lassen können wir dat Schipp gegenwärtig nich. Dat könnte uns de Segel kosten. Ick mein', wi laten de Hallig noch 'ne Wil vör de Wind lopen. Dabei können wir wenigstens nich de Masten verlieren. Eenmal möt de Storm jo nahlaten, un dennso kamt wi woll sacht wedder up nördlichen Kurs.«

»Ich glaube nicht, daß der Sturm so bald vorüber sein wird,« entgegnete der Kapitän. »Im Gegenteil, ich fürchte, daß wir seine ganze Stärke noch gar nicht zu kosten bekommen haben. Wer besorgt das Frühstück in der Kombüs'?«

»Gazzi. Heik is an't Roor.«

»Gut. Dann gehen also Sie und Paul nach oben und bringen Preventerbrassen Hilfs- oder Verstärkungsbrassen. an der Großraa auf. Wir müssen die Raaen herumholen, wir dürfen den jetzigen Kurs nicht länger beibehalten. In der Segelkammer liegen Reserveleinen.«

Towe holte die Leinen, rief Paul, und beide machten sich ans Werk. Es war ein gefährliches Stück Arbeit, da die Preventerbrassen neben den Blöcken der eigentlichen Brassen draußen an den Rocken der Raaen befestigt werden mußten und das Schiff gewaltig schlengerte. Tüchtige Seeleute aber bringen so ziemlich alles fertig, und so langten auch unsere beiden Freunde wohlbehalten wieder an Deck an.

Hol' an Steuerbord-Großbraß!« grölte der Schiffer durch den Sturm. »Wenn ich die Hand aufhebe, dann luv', Heik!«

»Jowoll, Kaptein!«

Der Schiffer lief nach Backbord hinüber, um dort die Lee-Großbraß vorsichtig aufzuschricken, das heißt, in kurzen Absätzen etwas lose zu geben.

»Sünd ji klor, Lüd?«

»All klor!«

»Luv en beten!« brüllte er, zu Heik gewendet, und hob die Hand auf. »Hol', Lüd!«

»Holioho!« sang Towe, als er und seine beiden Maaten aus aller Kraft an der Brasse zu holen begannen. Sie taten jedoch nur einen kurzen Pull (Zug), denn ein durchdringender, angstvoller Warnruf des Schiffers unterbrach sie. Blitzschnell nahm Towe mit der Brasse einen Törn um den Koffeenagel, dann schaute er nach achtern, wohin der Schiffer deutete. – Da gewahrte er ein wahres Ungeheuer von einer Woge, die wie ein hüpfender Berg, alle andern weit überragend, herangeeilt kam. Sie schien drei oder vier Mill lang zu sein und schloß mit ihrer vielgipfeligen Höhe den Horizont vollständig ab, als ob sie der Abhang eines um dreißig Fuß erhöhten, im Sturme daherfahrenden Ozeansplateaus sei. Ihr Gebrüll war grauenhaft.

Der Anblick des heranstürzenden Ungetüms war fürchterlich. Kein Fleckchen Schaum zeigte sich auf der harten, glasigen Fläche des Wasserberges. Der Kapitän schrie noch einmal den Leuten zu, sich um Leib und Leben festzuhalten, um sich dann selber, die Bucht eines Tauendes ergreifend, flach an Deck zu werfen – da war die Woge schon über ihnen und begrub das Fahrzeug vom Heck bis beinahe zum Großmast. Es wälzte sich auf die Seite, bis das Deck fast senkrecht stand.

Die Erschütterung und das Donnergetöse dieses Schlages können mit Worten auch nicht annähernd beschrieben werden. Die Bark tauchte aber aus der nach vorn und nach Lee weitereilenden See wieder auf, und der Kapitän und die Leute schauten um sich. Sie sahen den Rest der Flut wie einen schäumenden Wasserfall vom Kampanjedeck herabstürzen, und mit ihm Hühnerhocken, Pützen, Holzgetrümmer und mitten darunter auch den anscheinend leblosen Körper des armen alten Weers.

Der Schiffer sprang achteraus und faßte mit eiserner Hand das wild hin und her wirbelnde Rad des Steuers. Es war ein Glück, daß er es festzuhalten und zu bändigen vermochte, sonst wäre das Schiff quer in den Trog der Seen geraten und verloren gewesen. Schon hatten die Segel mit schmetterndem Geknatter zu schlagen begonnen, da gelang es ihm, das Fahrzeug wieder vor den Wind zu bringen; die Segel füllten sich aufs neue, und weiter jagte die Hallig auf ihrer tollen Fahrt.

Towe und Paul hoben Heik Weers auf, trugen ihn ins Logis und legten ihn hier in eine der Unterkojen. Dann eilten sie achteraus. Die Bark ließ sich wieder so gut wie zuvor steuern, der Wind schien etwas nachgelassen zu haben. Towe löste den Schiffer am Ruder ab.

»Was habt ihr mit Weers gemacht?« fragte der letztere, wobei er des Sturmgetöses wegen noch immer aus aller Kraft schreien mußte.

»Logis!« schrie Towe zurück. »Dod is he nich!«

Das Achterschiff der Hallig gewährte einen wüsten Anblick. Das Kompaßhäuschen war weggeschlagen, das Scheinlicht zerschmettert, die Kappe der Kampanjeluk fortgerissen, ebenso das Steuerbordboot. Die Kajüte war halb voll Wasser; Seekisten, Bettzeug und anderer Kram schwammen darin hin und her und stießen gegen die Kammertüren.

Auch mittschiffs sah es schlimm aus. Der Roof Holzhaus auf dem Deck von Seglern; englisch roof = Dach., der achter der Kombüse gestanden hatte, war bis auf wenige Trümmer fortgerissen worden. Er hatte ehemals dem zweiten Steuermann, dem Zimmermann und dem Koche zur Wohnung gedient. Die Kombüse war ein festes Bauwerk und gut in den Decksplanken verankert; so war sie dem Schicksal des Roofs entgangen. – Um zu verhindern, daß noch mehr Wasser hinunterströmte, wurden Persenningen (geteerte Leinwand) über das Scheinlicht und die Kampanjeluk gedeckt. Gazzi und Paul mußten mit Pützen das Wasser aus der Kajüte schaffen, eine langwierige Arbeit, die jedoch auch ihr Ende erreichte. Inzwischen ging der Schiffer nach vorn, um nach dem verunglückten Schiffsgenossen zu sehen, der regungslos und schwer atmend mit geschlossenen Augen in der Koje lag. – »Er lebt! Gott sei Lob und Dank!« murmelte er leise, während er dem Bewußtlosen vorsichtig das Ölzeug abzog. Darauf untersuchte und befühlte er ihn sorgfältig, wobei sich herausstellte, daß zwei Rippen und der rechte Oberschenkel gebrochen waren.

Nach kurzer Überlegung rief er Paul und Gazzi herbei, und alle drei schafften den Verletzten achteraus und in die Kammer des ehemaligen Kapitäns der »Hallig Hooge«, wo sie ihn in die Koje betteten. In der Medizinkiste fanden sich Schienen und Binden, und bald hatte der Schiffer mit geschickter Hand das gebrochene Bein sachgemäß eingerichtet und verbunden. Jetzt erst kam Heik wieder zum Bewußtsein. Er öffnete die Augen und sah dem noch immer um ihn beschäftigten Schiffer ins Gesicht. Sogleich wußte er, was mit ihm vorgegangen war.

»Se hewwen mi doktert, Kaptein,« sagte er mit schwacher Stimme. »Heww ick veel afkregen?« – »Das rechte Bein ist gebrochen, just über dem Knie. Wenn Sie sich recht still verhalten, wird es bald wieder in Ordnung sein. Zwei Rippen sind auch eingeknickt, das ist aber nicht schlimm.«

»Junge, Junge, dor is soveel Arbeit an Deck und ick möt nu hier liggen as en unnützes Stück Holt! Mein Gott! Man noch veer Mann, un so'n grot Schipp, un so'n slecht Weder!« – »Machen Sie sich keine Sorgen, Heik. Gott wird uns beistehen. Jetzt aber müssen Sie schlafen. Ich habe Sie ganz fest verstaut, damit Sie nicht rutschen und rollen können. Der alte Kasten schmeißt sich noch immer wie unklug umher.«

Im Hinausgehen hörte er den alten Matrosen noch murmeln: »In so'ne Not möt ick hier liggen as 'n fulen Landlubber, un kann mine Maaten nich bistahn! Ick wull, ick wer glicks dodblewen!«

Dem wilden Tage folgte eine wilde Nacht. Der Sturm tobte mit ungeschwächter Kraft. Die Hallig jagte vor ihm her und schien mit jeder Stunde in kälteres Wetter zu geraten. Regen und Schlossen prasselten fast unaufhörlich hernieder und trafen die Gesichter und Hände unserer erschöpften Seefahrer wie Peitschenschläge.

An Stelle Heiks stand jetzt Keppen Jaspersen am Ruder. Eine Wache zur Koje gab es nicht mehr, alle Mann mußten fortwährend an Deck sein. Abwechselnd, wenn die Umstände dies erlaubten, schlüpfte einer von ihnen in die warme Kombüse, um dort auf der Bank ein wenig zu schlafen; der Kapitän aber gestattete sich auch diese kleine Erholung nicht, er verließ das Deck nur, wenn er nach seinem Patienten sehen mußte.

Die Reihe, sich in die Kombüse zurückzuziehen, war an Paul gekommen. Das Feuer in der Maschine glühte hell und füllte den kleinen Raum mit Wärme und rötlichem Licht. Man brauchte die Kohlen nicht zu sparen, da ein großer Vorrat davon an Bord war. Er streckte sich so gut es ging auf der Bank aus, und bald hatte ihn das Brausen des Sturmes in Schlaf gesungen. – Sein Schlaf war jedoch kein fester; das ließen die heftigen Bewegungen des Schiffes nicht zu. Alle Augenblicke mußte er sich auf der Bank wieder zurechtrücken. Als er dabei einmal halbverschlafen um sich blickte, da glaubte er in dem trüben, ungewissen Licht eine Erscheinung vor sich zu sehen – ein junges Mädchen mit bleichem, hagerem, verängstigtem Gesicht und lose flatternden Haaren. Im nächsten Augenblicke war sie verschwunden. Er sprang auf und stürzte zur Türe, die er vorher halb zugeschoben hatte.

Draußen war niemand. Zudem war die Finsternis an Deck so dicht, daß das Auge sie keinen Meter weit zu durchdringen vermochte.

Er sagte sich, daß er geträumt haben müsse, trat in die Kombüse zurück, streckte sich wieder auf die Bank und sank in übergroßer Müdigkeit von neuem in einen unruhigen Schlaf, aus dem er nach zwei Stunden geweckt wurde, um den Mann am Ruder abzulösen.


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