Johann Richard zur Megede
Der Ueberkater Band II
Johann Richard zur Megede

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Zweiter Band


Zwölftes Kapitel

Nun, was habe ich gesagt? – Carlo war wieder einmal der Wissende. Wahre Größe ist eben immer bescheiden.

Die Tage verbringe ich ausschließlich im Hotel, und zwar in meinem Schlafzimmer oder in meinem Salon. Diese Nähe muß ein unendlicher Trost für meine liebe Kranke (Josefa) sein! . . . Ich liege mit Vorliebe auf ihrem Betteppich. Er ist weich, kühl, und die deutsche Treue wünscht nun einmal Hunde-Attitüden. Ich nehme meine Milch nur aus Josefas Hand, es ist meistens die gelbe, distinguierte Kaffeesahne, während das Souterrain in einer bläulich verwässerten Flüssigkeit schlemmt . . . Hunde urteilen nach der Quantität, Katzen nach der Qualität. Und da ich die Zofe mit der liebenswürdigsten Nichtachtung behandle, ihrer Herrin aber die unbedingteste Ergebenheit zeige, werde ich von der einen um so leidenschaftlicher geliebt, von der andern um so höher geachtet. Dienstboten fühlen sich nicht wohl ohne unsre hauteur von Zeit zu Zeit. Ich glaube, daß Anna noch nie so eifrig und so schmeichelnd über gewisse Prinzengewohnheiten geschrieben hat, wie jetzt . . . Der Betteppich und das Sahnekännchen gelten als unfehlbare Beweise für Carlos Hundetreue, obgleich sie eigentlich noch viel unfehlbarer für seine Katzenklugheit sprechen. – Seit wenigen Tagen wohnt nämlich die Gräfin (?) Quedenberg in unserm Hotel und im Zimmer neben uns. Diese Frau mischt Gift, und Dienstboten sind bestechlich. Wenn mir zum Beispiel Anna mit der Morgenmilch den Schierlingsbecher kredenzte, oder das Souterrain mir heimtückisch den Hanfstrick drehte? . . . O nein, nein, ich lasse von meiner süßen Josefa nicht, gerade jetzt, wo sie in der Not ist! Medaillen haben eben Revers. Nur der Weise darf sie auf beiden Seiten tragen. Von der meinen leuchtet tags das fleckenlose: Toujours fidèle – nachts und für mich lese ich auf der andern Seite das bescheidene: Sei klug!

Den Tag opfere ich wie gesagt stets Josefa – die Nacht eigentlich noch mehr. – Wir wandeln nämlich schon halb und halb auf dem Pfade der Liebe, aber wir vergessen uns nie! Ich inspizierte darum klug vorher die ganze Oase, und im Hotel ist mir von den gemeinen Wichsgerüchen des Hausknechts bis zu dem heimtückischen Ylang-Ylangrieseln aus dem Quedenbergschen Schlüsselloch, von den Mondscheinpromenaden einer hochbejahrten Messalina bis zu dem Totenschlaf ihres fetten Gatten nichts verborgen. Das Schlachtfeld wäre also bereit. Ich warte nur noch auf den Wink von oben, das glühende Ziehen in den Schnurrhaaren. Ich machte meine Schleichwege vernünftig vorher, und das große Gefühl wird einen wohlgewappneten Kämpen finden, der in seinem Zeichen siegt. Dagegen Menschen wie meine Josefa kommen urplötzlich mit dem großen Gefühl nach Hause, und bei ihnen hat es immer etwas Urkomisches, wie der Stich der Tarantel. Und jetzt, wo sie sich mit ihrem großen Gefühle sofort in das dichteste Gedränge stürzen sollte, ergeht sich ihre Phantasie vorerst in tausend Irrwegen, das Gewissen, die nutzloseste aller menschlichen Nervenschwächen verleitet sie zu dem Wahnsinn, ihre besten Kräfte in dem Kampf eben gegen dieses große Gefühl zu verzehren. Aus Josefas Augen starrt jetzt alle fünf Minuten das tote Wort: Pflicht! – Ich weiß auch, was Pflicht ist – man hat die Pflicht, gut zu essen, gut zu schlafen, zur rechten Zeit für Liebe und Gegenliebe zu sorgen. Und wer sich anstrengt, wo er sich nicht anzustrengen braucht, wer im Schweiße seines Angesichts auf Oasenmäuse pürscht, während er die liebliche Nachtigall bequem greifen kann, wer sich in Liebespromenaden ergeht, während das Zofenfenster doch schon geöffnet ist – der tut ganz gewiß wider seine Pflicht! Denn es gibt nur eine Pflicht: das ist die Pflicht gegen sich selbst. Wir sollen uns überhaupt unser Leben so angenehm wie möglich gestalten – darum gehen wir den Unannehmlichkeiten aus dem Weg; wir sollen einer Seifenblase nicht länger nachschauen als bis sie zerplatzt, – darum meiden wir die Ehe; wir sollen mit dem Teufel nicht spielen, denn er hat längere Krallen als wir. Wir sollen eben immer alles tun, was unsre Persönlichkeit ausbildet, und nichts, was sie unterdrückt. Darum emanzipieren wir Katzen uns von Nerven, verzichten auf das Gewissen und machen von der Reue nur insofern Gebrauch, als wir eine Dummheit nicht zweimal zu machen gedenken. Und was das wichtigste: Unsre Liebe dauert nie länger als der Wahn, der sie schuf . . . Ich gedenkt sehr lange zu leben, obgleich jeder mondsüchtige Ladenjüngling für den frühesten Tod schwärmt; ich gedenke nie an Krankheit oder Unglück zu leiden, obgleich nichts die Menschheit mehr läutern soll als diese beiden; ich gedenke ahnungslos sanft hinüberzuschweben, obgleich Testament und Sterbebettreue selbst hartgesottenen Bösewichtern als eine letzte Gnade erscheinen . . . Ich komme vom Olymp und gehe zum Olymp. Mein Erdenwallen soll keine langweilige Pilgerreise, sondern eine kurzweilige Lustfahrt sein. Jeder Kater sorgt am besten für seine Gattung, wenn er für sich selbst sorgt – und jeder Mensch am besten für die Menschheit, indem er sich selbst nach Möglichkeit amüsiert. Aber statt dessen: Ihre Lebenden mißhandeln sie, ihre Toten beweinen sie – und wenn einen Mann ein Mädchen nicht lieben will, so schießt er nicht sie, sondern sich. Sie entschließen sich zur Ehe, nachdem sie eigentlich schon für die Liebe zu alt; sie bekehren sich zum Himmel, sobald sie der Hölle rettungslos verfallen. Die Medaille der Menschheit hat erst recht zwei Seiten – eine gleißende, die immerfort gezeigt wirb, mit dem Wappenspruch – Allzeit voran! Die andre, die echte, die aber nur ungern gezeigt wird, heißt: Immer zu spät!

Meine Situation hier ist gefährlich, aber interessant. Von Josefen geliebt, von Jeanetten gehaßt: es ist nun einmal das Schicksal aller Großen, daß sie leidenschaftlich erhöht und leidenschaftlich erniedrigt werden zugleich. – Von der Leidenschaft kann ich ein Lied singen! Geherzt, geküßt, mit heißen Kosenamen gerufen: »Nicht wahr, Carlo, er liebt mich? – Ja, er liebt mich . . . Ach, ich bin so glücklich!« Wäre ich nicht der leibhaftige Olympier, hier könnte ich mir einbilden, wenigstens der Götterbote zu sein. – Und fünf Minuten später! Weggestoßen, angestarrt, kalter Egoist gescholten: »Nein, du falsches Tier, er liebt mich nicht . . . Wie könnte er mich auch lieben? – Ach, ich bin so unglücklich!« – Was doch die Menschen für infame Egoisten sind! Ich wünschte in dem Moment gerade Kakes, und sie begießt mich mit Tränen. Ich schnurre, ich blinzle, ich verschwende meine melodischen Miaus. Sie will weinen und ich will Kakes essen, – es ist eine verrückte Welt!

Darauf kehre ich gewöhnlich resigniert in meinen Salon zurück, wo ich Gott sei Dank allein bin, und setze mich auf das Balkongitter, Philosoph, weil ich es sein muß. Aber so geht's im Leben. Diese Moralphantastin brauchte nicht eine einzige Träne weniger zu vergießen und könnte trotzdem einem Weisen ein vorübergehendes Glücksgefühl erzeugen, doch die Hände, die für die Kakesbüchse so wunderbar geeignet sind, scheinen sich endgültig mit einem triefendnassen Taschentuch vermählt zu haben . . . Diesen Balkonplatz liebe ich besonders gegen Abend. Unter mir der lange Araber mit dem Fez, der seinen General und seinen Brief diesmal zur Abwechslung der Quedenberg anpreist; aber das staubige Oasenparfüm mit einem lieblichen Zusatz von Küchenduft steigt herauf. Am Himmel drüben gleiten goldne Wölkchen der türkisblauen Mondsichel zu. Hier schwankt träumerisch ein Palmenblatt, dort zwitschert müde ein Vogel. Vor dem Kasba-Hügel rechts kauert ein schmutziger Burnus an einer Pfütze, betenshalber wie er behaupten wird, waschenshalber wie ich hoffe. Meinem Gefühl nach müssen all diese schwarzgrauen Hände abfärben, ich bin eben fleckenlos weiß . . . Bei solchem Zwielicht kommt man ins Träumen . . . Wo mag doch der müde Vogel sein Nest haben? Die Fürsorge für seine unmündigen Kinder würde ich gern übernehmen. Ich denke weiter an die Wüste, an das weiße Haus, ich spüre ein sanftes Ziehen in meinen Schnurrhaaren. Das Bild der afrikanischen Fürstentochter – ihre kupplerische Mutter, die Falbkatze, pries sie mir neulich wieder an – gaukelt mir vor, schwarz, düster, mit dem herben Schnitt einer alttestamentlichen Schönheit; die jüdischen Augen flammen . . . Die semitische Rasse, die wir in Europa verachten, verachtet uns hier. Ich bekenne mich gern zu den Anschauungen des betreffenden Landes. – Uebrigens sind Prinzessinnen überall international, sie leiden nie an Rassevorurteilen, und bei den Menschen wenigstens wechseln sie ihren Glauben so gleichgültig und so oft, wie die Weltdamen ihre Handschuhe. Jedenfalls muß sie schön sein, märchenhaft schön! . . . Und noch während ich träume, sitze ich unversehens bereits auf dem äußersten Balkonrande.

In demselben Augenblicke öffnet sich die Tür von Josefas Schlafzimmer; sie tritt lächelnd und in eleganter Toilette zu mir: »Carlo, wo willst du hin? Du wirst fallen und brichst dir was, du weißer Phantast!« – Phantastin sind Sie, liebe Baronin, und täten besser, auf die eignen Füße zu sehen! Frauen fallen, nicht Katzen. – Und durch die andre Tür lächelt die Gräfin (?) Quedenberg freundlich ins Zimmer:

»Sind Sie fertig, Josefa? Ich wollte Sie zum Abendessen abholen.« Und dann gehen sie wirklich Arm in Arm. Frauen sind Katzen. Aber ob Katzen solche Heuchler sind wie Frauen? – Ein großes Gefühl bei uns lächelt nicht, sondern es kratzt, beißt, muß unbedingt sein Recht haben . . .

Jetzt, wo ich allein bin und sicher, habe ich natürlich die Verpflichtung, vergleichende Zimmerstudien zu treiben. – Meine Freundin lebt in einer leichten, duftenden Unordnung, aber sie liebt fanatisch warme Bäder und schneeweiße Wäsche. Sie ist immer elegant, ob mit, ob ohne Hülle. Ich liebe das, und Peter Lasowitz liebt's auch . . . Aber in ihrer Nachttischschublade liegt ein grüngelbes, filziges, vertrocknetes Kraut, und das kann sie anstarren stundenlang. Neulich sollte die Jungfer auf der Stelle weggeschickt werden, weil dieses Heu verkramt war. Zum Glück fand sich's wieder. Madame lächelte beglückt und schloß sich sofort damit in ihr Schlafzimmer ein und sagte zärtlich: »Ich will zehntausendmal lieber all meinen Schmuck verlieren als dich!« Solche Kranke mit solchen Monologen gehören eigentlich in eine Nervenheilanstalt. – Durch die stets geöffnete Balkontür der Quedenberg gleite ich ins feindliche Lager. Alles peinlich sauber und ordentlich. Auf dem Nachttisch ein arabischer Sprachführer. Im Bett abends studiert sie wohl immer noch ein Stündchen diese Sprache, die sie zwar dem Herzen ihres Galans nicht näher bringt, wohl aber seinem Kopf. Das heiße ich doch vernünftig sündigen! Wenn das Herz gewisser Menschen nicht mit so viel Annehmlichkeiten verbunden wäre, auch ohne Geist; ich würde den Geist dieser Frau vorziehen, auch ohne Herz. Ich habe eine Schwäche für Geister, die sich nicht vom Herzmuskel dirigieren lassen . . . Liebe Josefa, du hast mich nach dieser Richtung bitter enttäuscht! – Ich liebe die Intrige, wenn sie fein ist; ich liebe die Sünde, wenn sie jung ist; ich liebe den Geist, wenn er Haare spaltet; ich liebe das Herz, wenn es für mich allein schlägt . . . Meine vielseitigen Studien an vielen Orten und auf allen Gebieten haben mich belehrt, daß weit mehr geweihte Hirsche herumlaufen, als irgendein Mensch ahnt. Und nie habe ich reinere Freude gefühlt, als in den Augenblicken, wo es mir vergönnt war, zu beobachten, wie eine reizende Hand mit reizendem Lächeln ein neues Ende dem vertrauensseligen Geweih des Gemahls hinzufügte. Ich liebe nicht den Eklat, ich liebe die sanfte Zähmung. Und wieviel ersprießlicher für beide Teile ist es nicht, wenn er Blindekuh spielen darf, während sie küßt. – »Nimm, o nimm die traurige Klarheit!« Kassandra würde bei längerem Leben das Ilion des Paris wahrscheinlich sehr bald als Hirschpark klassifiziert haben und den alten Priamus als Parkwärter. – Ich habe nun einmal etwas gegen alte Könige und treue Frauen.

Uebrigens sind Menschen untaxierbar. Ich habe eines Tages die beiden Frauen beinah zu gleicher Zeit in ihren Zimmern beobachtet, sofort nachdem sie besonders freundschaftlich geschieden. Josefa stand mitten in ihrem Salon, die geballte Hand um das gewisse Herbariumskraut gekämpft. Und Augen? Diese Augen brannten wie Feuer. Gegen einen leidenschaftlichen Dolchstoß hat sie demnach nichts . . . Jeanette stand vor dem Schreibtisch, die Hand auf das neue Testament gepreßt. Und Augen? – Diese Augen strahlten wie Eis. Sie schwärmt offenbar mehr für Aqua tofana . . . Als persönlicher Vermittler so herzlicher Beziehungen kann man leicht den Dolchstoß und die Giftphiole zugleich abbekommen. Ich begab mich also schleunigst aus dem Hause. Ein lauer Abend. Die Sterne funkelten. Mir war einen Augenblick, als brenne das äußerste rechte Schnurrhaar. Später erwies sich das als Einbildung. Aber ich promenierte tags darauf am Rande der Oase auf und ab, fern von jenem sittenlosen Menschentosen, das ich in tiefster Seele verachte. Ich habe so oft vergebens nach »dem großen Gefühle« gesucht – den Wahn, es gefunden zu haben, mache ich jährlich wenigstens zweimal durch – aber jetzt weiß ich, daß ich dieses große Gefühl nie finden konnte, weil es nur im Orient schlummern kann, jener Wiege des Katzengeschlechts, jener Urheimat der Menschheit, jenem Stammlande des Paradieses. Warum trieb es mich in die Wüste, in den dunkeln Erdteil, der auf Landkarten allerdings merkwürdig weiß aussieht? Ich empfinde den hehren Ernst dieser Länder, die tiefe Glut ihrer Leidenschaft. Ich empfinde wonnig schauernd das Nahen jenes großen Augenblicks, der Orient und Okzident vermählt. – Es war sicher ein Wink des Schicksals, daß ich am Fuße jenes Wüstenhügels gerade stand, der die gemauerte Burg oder Kasba trägt und nur wenige Schritte von unserm Hotel liegt. Ich stieg traumverloren hinauf. Das Firmament strahlte in südlicher Pracht, es trieb mich, in den Sternen zu lesen. Und wie ich durch das leuchtende Labyrinth irre, lächelt mir Frau Venus wie verzaubert. Ich spüre ein heißes Ziehen in den Schnurrhaaren. Und um diesem Liebeslocken selbst der Himmlischen auszuweichen, senke ich erdwärts den Blick, lasse ihn über die starren Felshügel und die toten Dünen gleiten. In der ganzen Natur jenes rätselvolle große Schweigen. Wie von ungefähr gewahre ich das weiße Haus. Ich weiß nicht, was weiße Häuser in der Wüste an sich haben, aber gerade weil sie außen so wunderbar leblos sind, müssen sie inwendig wunderbar lebendig sein . . . In dem Augenblicke fällt ein Meteor, ein violett gleißendes, das majestätisch den ganzen Himmel entlang zieht und endlich langsam in dem Schornstein des weißen Hauses versinkt. In den Schornstein des weißen Hauses, dahin, und nirgend anders! Ich hebe die drei Schwurkrallen meiner rechten Pfote zum heiligsten Eide. Der Olymp gibt ein sichtbares Zeichen seinem erdenwallenden größten Sohne . . . »Omen accipio!« . . . Ich sage es feierlich laut, und die Wüste schweigt mir die Antwort zurück.

Die Falbkatze ist keine Kupplerin, sie ist eine Botin des Himmels.

»Afrikanische Fürstentochter . . .«, mir schwillt das Herz sehnsuchtsvoll, so daß ich nicht weiter zu sprechen vermag. Ich schlich leise den Kasba-Hügel hinab. Entweder warf das neidische Schicksal oder ein böser Bengel Steine nach mir. Ich sah mich nicht um. Wem der Stern der ersten großen Liebe leuchtet, den kümmert der Meuchelmord im Rücken nicht. Ohne Hast und ohne Furcht wandelte ich durch die Wüste. Erst eine kleine Seitenoase, – ich ging beherzt mitten durch, weil die Palmen noch immer am geeignetsten sind, sich einen wutschnaubenden Köter von oben zu beschauen. Ich kam an einem schmutzigen Zeltlager vorüber, aber in einem großen Bogen, – ich liebe diese schwarzgrauen Beduinen nicht, so wenig wie Kesselflicker und Zigeuner. Darauf wurde es hüglig, ich dachte an die jüngst gefangene Hyäne und die wahrscheinlich geringe Kenntnis dieser Bestien von dem Olymp und von den italienischen Bourbons. Für solche Fälle fehlt es in der Wüste entschieden an Bäumen. Ich schlich also sehr vorsichtig um die Abgründe, denn der großen Liebe muß das große Leben kostbar sein. Der sumpfige Boden kam, über den es salzig rieselt, der kleine Teich, der süß aber tief sein soll. Ich sprang, die Augen starr auf der Erde, immer von Grasbüschel zu Grasbüschel. – Wenn die Minutenschlange hier lauerte? Ein Biß des Giftzahns, Carlo der Königssohn tot, in einem eklen Sumpf verendet! Ich denke an den unermeßlichen Schmerz Josefas, an die leidenschaftlichen Wehklagen der afrikanischen Prinzessin, die einen Himmel vor ihren Augen offen sah, und der sich nun die Pforten dieses Himmels für immer schließen. Ich darf nicht sterben, ich muß leben! . . . Und da stand ich vor dem weißen Haus. Alles tot. Nur in der Vorhalle ein lautloses Huschen, ein heimliches Leuchten. Dschins? – Wenn sie es doch gewesen wären! . . . Nein, umringt von den Wüstenkatern aller Schattierungen, die holdseligste Fee aller Zeiten. Fahlleuchtend wie die Wüste, die Augen gelblich flimmernd wie der Abendstern, die üppigsten Glieder, der schmachtendste Mund – o, sie verstehen sich auf Schönheit, diese Orientalen! – Ich stehe stumm in ihrem Anblick, hauche, da ich ein arabisches Liebeswort nicht kenne, das alttestamentliche: »Sulamith!« Es ist wie im hohen Liede selbst . . . Und in dem Augenblicke, wo ich zu ihren Füßen stürzen will . . .

Das nächste Mal mehr! . . . Ich bin heut zu schwach, selbst meine Feder vermag nur zu hauchen . . .


Ich darf ihn nie, nie wiedersehen! Es ist der einzige Weg, und ich werde ihn gehen.


Aber ist es denn auch der rechte Weg? Es ist die heilige Landstraße der Moral, auf der kein Bußfertiger strauchelt. Wenn ich sie aber näher beschaue, diese breite, weiße Straße: sie ist weiß von Altersstaub, den jeder Schritt aufwühlt, sie ist breit von der stumpfen Herde, die ihn tagaus, tagein platt tritt. Und trotzdem ist sie eigentlich viel mehr der feige, schmale Sündenpfad, der Pfad der Lüge, der lieber die Menschheit ewig betrügt, als daß er ihr einmal die Wahrheit gesteht. Und eben darum werde ich ihn gehen. Ich bin ja Herde, bin ja Lüge.

Ich habe den Kampf erfleht, – ob's wohl ein Kampf ist! Ich habe mich nach dem Alleinsein gesehnt, – ob's wohl ein Alleinsein ist! Aber ich habe nicht feige zum Schöpfer alles Lebens gebetet, ich habe auch nicht haltlos an meine Mutter gedacht, ich weiß, daß ich selbst klar werden muß. Wer sich stets mit beiden Händen und geschlossenen Auges an Mauern entlang getastet hat, der wird in der Sonne geblendet, in der Freiheit gebannt stehen. Und doch sind wir alle für die Sonne, für die Freiheit geboren! Ich sage mir, ich frage mich flammenden Auges: »Hat irgendein Mensch das Recht, die einzige Wunderblume seines heißen Herzens plump zu knicken, weil man in dürren Steppen eben keine Wunderblumen zieht? Hat ein Mensch das Recht, auf sich selbst zu verzichten, solange es noch dieses Selbst gibt?« Und ich hebe in kindischer Empörung die Hand gegen jenen Gott, der uns die Persönlichkeit gab und wieder nehmen will zu gleicher Zeit. Und ich beiße die Zähne aufeinander im häßlichen Vorwurf gegen meine angebetete Mutter, die mich sanft in ihren Himmel geleiten wollte und mich jäh in ihre Hölle stürzt. Nein, Gott und Mutter, es kann nicht des Lebens höchstes Gesetz sein: zeitlebens im Schweiße des Angesichts das hoffnungslos dürre Steinfeld zu bebauen, das nur die eigne salzige Träne netzt, während die Aepfel des Paradieses lachend herüberhängen.

Und doch werde ich diesen falschen Bußweg gehen, noch ehe ich ehrlich gesündigt habe.

Was bin ich überhaupt für ein Geschöpf? Nur eitel, genußsüchtig, schwach? Ich bekenne mich zu allen dreien. Fügt auch noch schlecht hinzu, feige! Aber sagt nicht, daß ich treulos war! Nein, sagt das nicht – das dürft ihr nicht! Denn treulos war ich nie. Und wenn ich jetzt die Treue breche, so breche ich sie um die Treue. Ich habe den Mann geliebt, dessen dunkle, unheimliche Macht über mich ich gespürt habe vom ersten Tag. Ich habe diese Macht verlacht – sie blieb; ich habe gegen sie gekämpft – sie wurde nur stärker; ich habe sie bezwungen – und sie war am allerstärksten. Und wenn ein Schatten nicht von meinem Brautbett wich, wer war der Schatten? Und wenn ein Strom mich am Sarge meines Kindes fortriß, woher rauschte dieser Strom? Und wenn ich heute zu sterben wünsche, woher weht der Todeshauch?

Ja, ich möchte sterben! Aber niemand darf's wissen, warum? – Niemand als er. – Ich denke, wenigstens angesichts der Toten müßte ihm die heiße Zärtlichkeit zurückkommen, die er einst für die Lebende gefühlt. »Weißt du noch, mein Schatz, wie du mir von der Wüste erzählt hast und ich dir von meinem Wüstentraum?« Ich erinnere mich noch so genau! Und wie ich angstvoll immer auf dein todmüdes Tier starrte, und wie meines schließlich zusammenbrach? Du rittst flüchtig davon, und die Verschmachtende war dir nicht mal des Zurückschauens wert. Im Leben ist's nicht anders gekommen. Du bist härter, stärker, an die Illusion, die zerflattert, klammerst du dich nicht mehr. Aber sie sagen alle, du habest kein Glück. Wenn ich dir doch wenigstens das Glück geben könnte, mein Geliebter! Ich möchte es auf deine Lippen küssen, ich möchte es in deine Seele träufeln wie köstliches Gift . . .

Nein, ich werde nicht sterben! Und du darfst es, von allen Menschen, niemals wissen, du kühler Geist, der so schnell vergißt! Warum bäumt sich meine Eitelkeit nicht dagegen auf, mein Hochmut? Warum breite ich die Arme selbst nach deinem blassen Schatten aus? Weil du anders bist, als du scheinst, weil du mich noch immer liebst, weil du in andern Armen nicht warm werden kannst. Denn wenn du – wenn du in Jeanette Quedenbergs Armen warm werden könntest – wenn du könntest! Dann bin ich wieder frei, ganz frei.

O, ich bin eine so flache Heuchlerin und verlange tiefe Treue . . . Bin ich eigentlich schon wahnsinnig? Ich habe dem Mann doch gesagt, daß ich ihn nicht liebe; ich habe ihm doch Freundschaft geboten als Ersatz, was kein Herz erträgt, das liebt. Freundschaft für Liebe! Es ist der Schlag mitten ins Gesicht. Die hoffnungslos Armen, die berechnend Geizigen, die Menschen, die nichts geben können oder noch weniger geben wollen, die allein scheuen sich nie, ein andres großes, reiches Herz mit dem Phantom des eignen, kleinen, dürren Herzens zu betrügen. Und wenn er jetzt in dieser Minute vor mir stünde und sagte: »Josefa, dein Freund will ich sein, dein guter Freund – nicht mehr!« Ich, die ich ihm dieselbe Freundschaft angeboten habe, würde empört aufspringen: »Hinaus! Ihr, die Ihr ein Katholik seid, wagt die Hostie zu beschmutzen?« Aber, wie es jetzt ist, er des Glaubens an das eigne Herz bar, erfüllt von jenem Ekel, der mich auch erfüllen würde für die ganze Sippschaft, ist seiner vornehmen Natur nach doch kein Pessimist, sondern nur ein kühler Beobachter geworden.

Vielleicht versteht eine Frau später nie ganz, was die Jungfrau tat. Die Ehe öffnet erst die Augen auch für das eigne Ich. Und die Augen können mir noch nicht offen gewesen sein vorher, dann wäre ich doch meinen eignen Weg gegangen, denn Lüge und Heuchelei um ihrer selbst willen waren mir immer verhaßt. Ich muß also damals so gedacht haben, wie ich sprach! Ich erinnere mich noch so sehr genau, wie verbissen in Salò ich innerlich gekämpft habe, wie schwer ich in Venedig litt, und wie meine Mutter die ganze letzte Nacht vor Sirmione an meinem Bett saß und nicht etwa drohte oder abredete, sondern gütig wie stets nur unter Tränen sagte: »Josefa, du machst einen vornehmen Menschen, der dich herzlich liebt und mit dem du dich aus Liebe verlobt hast, sehr unglücklich und einen andern nach meinem Gefühl nicht glücklich. Denn was euch himmelweit trennt und immer trennen wird, ist die ganz andre Anschauung des Lebens. Seine mag besser sein, aber sie ist bürgerlich; unsre mag schlechter sein, aber sie ist adlig. Ueber den Herrn Rin kann eine Gräfin Angern hinwegkommen, aber niemals über die Ansichten des Herrn Rin. Tue was du kannst, eine Herzenswallung zu besiegen, die deinem Herzen Ehre macht, und die wir vielleicht alle haben durchmachen müssen einmal. Sei froh, daß du als Braut schon hinter dir hast, was du als Frau noch vor dir hättest! Wenn du meine Tochter bist, so wirst du mir das später auf Knien danken. Empfindest du anders, so stehe sofort auf und reise zu ihm zurück und sage: ›Meine Verlobung ist in diesem Moment aufgelöst, hier bin ich!‹ Aber dann hast du's zu verantworten, nicht ich. Für ein ganzes langes Leben hast du's zu verantworten, Josefa!«

Ich bin aufgestanden, ich bin gefahren, aber nur bis Sirmione. Und unterwegs wurde mir völlig klar, daß Mama recht hat, und daß ich das entschiedenste Nein sagen mußte, obwohl er mich noch nicht um das Ja gebeten. Und wenn ich ihm doch die Freundschaft anbot nachher, so geschah's nur aus Feigheit. Es war eben doch ein zwiespältig Empfinden in mir. Ich wollte den Mann fortschicken, aber den Menschen nicht verlieren. Was ich ihm sagte, sagte ich ihm innerlich ruhig. Ja, ich atmete vielleicht auf, wie von einem Alp befreit, als er ohne einen letzten Gruß hinter den Oliven verschwand. Er ging so straff und sicher wie stets, und das straffte auch mein Gefühl. Aber als ich dann wieder auf der Catull-Villa stand – er in dem winzigen Boot und die Ruderer übereilig . . . Ich winkte und winkte und hätte viel gegeben jetzt um einen letzten Abschiedsgruß. Er sah mich wohl und winkte doch nicht zurück. Und da brach das ganze Kartenhaus zusammen. Ich ertrug den kalten Abschied nicht. Wenn ich gekonnt hätte, ich wäre zu ihm geeilt: »Nimm mich, nimm mich!« Aber zwischen uns lag jetzt der See, und der ist tief. Der See liegt auch noch heute zwischen uns, nur daß er ein Meer geworden ist derweil. Wie ist doch alles anders heut! Ein Bittender nahte mir, und er war mir wenigstens des wärmsten Abschiedsgrußes wert. Eine Bittende naht ihm, und sie ist ihm nicht mal ein Wimperzucken wert. Aber ich verdien's! Wie sagte er doch damals: »Leichtes Band jetzt, schwere Fessel später.« Es ist noch derselbe Ring, doch nur noch die Fessel fühle ich.

Mutter, du hast mir schlecht geraten, schlecht! Du wolltest mich vor einer leichten Versuchung bewahren und stürztest mich in die schwerste! – Was ist denn selbst von all den Aeußerlichkeiten geblieben, die Peter und mich in der Brautzeit verbanden: dem Sport, der Jagd, der Eleganz? – Die Passionen vereinen, wo sie nicht trennen . . . Was hat das uns genutzt? – Die kleinen Passionen trennen uns um so tiefer, weil uns die große nicht eint . . . Mit Robert Rhyn eint mich keine einzige kleine Passion – und dennoch liebe ich ihn, weil mich die große nicht trennt.

Tempi passati. – Er hat geliebt, ich habe geliebt – das Märchen ist aus.

Mutter, Mutter, ich sollte zu dir eilen, auf deinem Schoß mich ausweinen wie so oft. Das ist mit heute vorbei. Was du mir sagen könntest, das sage ich mir besser selbst. Unsre Wege trennen sich – ich muß meinen eignen gehen. Es hilft nichts, Mutter. – Die Rechenschaft gehört von jetzt ab nur mir! . . . Ich liebe dich, wie ich dich immer geliebt habe, als die Güte selbst – nur der Glaube an die Macht dieser Güte ist unwiderruflich dahin. Du hast mich in meinem Leben vor allem bewahren können – nicht vor mir selbst.

Ich habe immer in Höhenwünschen geglüht, wie konnte ich mich zu der lauen Tälerentsagung bekehren?


Heute eine Karte »D. G.« von Peter aus Tuggurt. »Noch keine Gazellen zu Gesicht bekommen. Sonst alles wohl.«

Ich mußte bitter lächeln. An Gazellen zu denken, wo Glück und Ehre auf dem Spiele stehen! Er ist völlig ahnungslos natürlich. Wie oft mag das Schicksal auch über uns lächeln, wenn wir mit unserm Schneider über ein Dinerkostüm eifrig debattieren, während gerade auf diesem Diner unsre Seele zu fallen bestimmt ist. Mann, wenn du ahntest, daß uns von jetzt ab nicht einmal die Gewohnheit mehr verbindet!


Seit Jeanette Quedenberg in demselben Hotel wohnt, sind wir Frauen natürlich oft zusammen. Ich kann nicht sagen, daß ich sie liebte; ich kann auch nicht behaupten, daß ich sie haßte. Vielleicht beneide ich sie nur. Sie ist mein überlegener Gegensatz in allem. Ich spreche Englisch und Französisch unbedingt fließend; sie spricht es unbedingt korrekt. Ich liebe lässige Eleganz; sie liebt elegante Ordnung. Sie hat den Trieb zu lernen, zu begreifen, allein mit ihrem Kopf diese neue Welt zu fassen; ich habe wenig gelernt, noch weniger begriffen, mein Gefühl versucht höchstens in die Umgebung hineinzutragen, was es selbst kaum besitzt. Mir sind die Menschen fremd oder vertraut, nicht die Dinge. Mit Jeanettens scharfem Geist kann eine nicht mit, die nur ein schwaches Herz hat.

Wir essen unten im Speisesaal, aber à part. Peter wünschte das aus Anstand, und Quedenberg fand es feiner. Nach Tisch erst sprechen wir mit den bekannten Afrikanern. Ich am liebsten mit der kleinen, bescheidenen Rittmeistersfrau, weil die gutherzig scheint und keine Rätsel aufgibt; Jeanette mit dem berühmtesten Reisenden, der schon alt, aber noch eine wunderbare geistige und körperliche Elastizität besitzt. Er hat seine Schwächen, wie alle großen Leute, und fast jeden Abend doziert er in dem Glasgang vor dem Speisesaal über den Zug alles Lebendigen von Osten nach Westen. Ich hatte früher gemeint, es müsse eigentlich umgekehrt sein, alles Leben müsse der aufgehenden Sonne instinktiv zustreben und nur wir Menschen wendeten uns eigensinnig dem sinkenden Gestirne zu. Der große Mann erzählt lebhaft, bilderreich, wie vom Springbock bis zum Lemming alle Wandertiere dieser Trieb beherrsche und wie selbst der Pflanze dieses unbewußte Sehnen eigen sei. Ich verstehe alles, mir ist's neu und interessant. Aber, wenn ich zuweilen nur halb träumend hinhöre und mir vorstelle, wie das alles so drängt und treibt, dumpf, stumpf, ohne Ziel, wie die Dünen des Meeres und der Wüste, da werde ich kleinmütig, fast weinerlich, angesichts dieses großen, kalten Gesetzes, das niemand dient als sich selbst. Ach, wenn doch ein andrer davon erzählte! Er würde mit der Seele sprechen wie einst, und meine Seele würde warm werden wie einst. Aber er ist ja fort, er kehrt nie wieder zurück.

Und um die grauen Gedanken zu scheuchen, schaue ich mir dann die Leute an, die um die kleinen Tische herumsitzen, Zeitung lesend, Dattelschnaps trinkend. Der Rittmeister Meyer schnarrt, seine junge Frau lächelt stolz. Eigentlich nichts, was anzieht, als eine dänische Familie in der Ecke mit der jungen Mutter und den jungen, hübschen Töchtern. Darauf beginne ich zu promenieren wie gelangweilt, – und der berühmte Mann ist wirklich nie langweilig – es ist vielleicht auch nur der unbewußte Wandertrieb, der unbewußte Wunsch jemand nachzueilen. Dieser Wunsch wäre töricht, und darum dauert auch das Wandern nie lange. Ich bleibe gewöhnlich am Eingange der Galerie stehen, wo an einem Tisch zierliche Dattelkisten aufgebaut sind, die man als Oasengruß aus Biskra nach der Heimat schickt, und die dann teurer sind als die Datteln beim Krämer. Aber der Mensch liebt nun einmal die Illusion, und meiner Mutter werden sie geschmeckt haben, als hätte ich sie selbst gepflückt. Durch diese Galerie ist auch der blinde Löwe gewandelt, den sie so viele Male als Wüstenkönig photographiert haben, während er doch nur ein Almosenempfänger war. Ein blinder Löwe! Warum gab man ihm nicht beizeiten den Fangschuß?

An diesem Datteltisch warte ich gewöhnlich auf die Gräfin Quedenberg, die meist sehr angeregt von solcher wissenschaftlichen Unterhaltung zurückkommt. Sie fragt auch wohl erstaunt: »Interessiert Sie denn so etwas gar nicht, Josefa?« – »Nein, das interessiert mich wirklich gar nicht, liebe Jeanette.« Sie schüttelt darüber nicht den Kopf, sie ist viel zu klug, um nicht zu ahnen, daß ihre Neigung und meine Abneigung demselben innerlichen Gegensatz entströmt. Aber die andern nehmen's für Oberfläche, halten mich für hübsch, dumm, eitel. Ich hörte mit eignen Ohren, wie der schnarrende Rittmeister mitleidig sagte: »Bildhübsch ist sie und dementsprechend schwachsinnig.« Und der berühmte Reisende nickte ihm verständnisinnig zu. Ich konnte darüber nur lächeln. Nach dem Diner machen Jeanette und ich dann noch einen Spaziergang um das Hotelkarree herum. Der Bahnhof und das Elektrizitätswerk, die hier die beiden Wüstenwächter sind, regen nicht sonderlich an. Wir sprechen, was man so spricht. Von der Expedition, von unsern Männern, aber nie fällt der Name Rhyn. Es ist eine trockene, dürre Schilderung. Aber wir sind nun einmal so, wir hüten uns, irgend etwas aus unserm Innern preiszugeben. Dann wandern wir auf unsre Zimmer, die so freundschaftlich nebeneinander liegen, aber Gott sei Dank durch keine Tür verbunden sind. Ich gehe an mein Tagebuch und muß bitter lächeln bei dem Gedanken, daß ich's einst für meine Mutter begann. Meine Mutter liest's nie! Jeanette treibt, wie sie sagt, noch arabische Sprachstudien, und dann liest sie eine halbe Stunde in der Bibel, was sie nicht sagt. In der Bibel! Sie ist strenggläubige Protestantin, versäumt nie Kirche oder Gebet. Und wenn sie vom Glauben spricht, starrt der Puritaner aus den blauen Augen. Um diese Frömmigkeit beneide ich sie nicht. Ich glaube auch, ich bete auch. Aber ist's nun ein andrer Gott, zu dem sie fleht, ist's ein ander Herz, aus dem ich flehe – ich kann nicht mehr inbrünstig beten aus diesem sündigen, grollenden Innern. Fromm sein darf ich nicht mehr! Fromm sind reine Menschen. Wie können Frauen, die sündigen, fromm sein . . . Du hast doch auch gesündigt, Jeanette? Du sündigst vielleicht schlimmer wie ich, denn bei dir sündigt der klare Kopf, bei mir das törichte Herz. Aber hast du noch nie darüber nachgedacht, daß der Gott verhöhnt, der in Sünden zu ihm fleht?

Es wird heiß. Die Frühlingstage scheinen vorbei. Der Saharasommer naht. Er naht mit dürrem, sengendem Hauch. Die Wüste leuchtet grell auf, sie blendet, Mumienluft stäubt in die Oase. Wir beiden Frauen schließen uns enger aneinander an. Nicht innerlich, da sei Gott vor! Aber wir bummeln vormittags, nachmittags. Die sich meiden müßten, suchen sich. Vielleicht Herdentrieb, vielleicht Eifersuchtsinstinkt.

Wir waren zusammen in den Bazaren. Eingelegte Waffen, ausgestopfte Wüsteneidechsen, bunte Satteldecken, der rohe Silberschmuck der Kabylin. Darüber die eigentümlich welke Bazarluft, der dumpfige Kellerhauch. Inmitten der phantastischen Orientwaren, des schweren Orientparfüms ein dicker, schlaffer Maure, dessen Haut ausgefahlt ist, bei dem Hocken, Kaffeetrinken, Schachern – dies Dämmergewölbe ihm Wiege wie Sarg. Es sind die Juden Nordafrikas und den Arabern verhaßt, die hager, habsüchtig, lautlos wie Schatten durch den bunten Tand ihrer arabischen Bazare gleiten, das gleißende Beduinenauge genau so hart wie der kaschierte maurische Blick. Ich kaufe Kleinigkeiten: ein silbergesticktes Kabylenledertäschchen für unsern Groom zu Haus, ein schreiend rotes Nargileh für den Diener. Wie wir wieder hinaustreten in die stechende Oasenhelle: mein Fremdenlegionär, der auf einen silberziselierten Kasten starrt. Er hebt das seltsam blasse Auge. »Der Kerl könnte, glaube ich, morden,« sagte Jeanette! »Vielleicht hat er schon gemordet,« antwortete ich. Und dennoch tut er mir leid.

Wir waren zusammen auf dem arabischen Markt. Eine bröckelnde, verwahrloste Steinhalle mit den Modergerüchen von schlechtem Ziegenfleisch, faulen Gemüsen, dumpfigem Gerstenbrot. Ringsum der Marktplatz, in weitem Viereck von gelbbraunen Laubengängen umzogen. Hier wallt an Markttagen, was die Oase an ausgedörrten Beduinentypen der Sahara, an dumpfen Schädeln aus dem Negerdorf, an weibisch bunten Mauresken, an lichtbraunen Kabylen aus dem Atlas herbeilockte. Zuweilen auch ein tiefverschleierter Tuareg, ein geschmeidiger Tibbu, die beiden großen feindlichen Wüstenstämme, die vom Karawanenraub leben, – in die Felsenlabyrinthe von Tibesti zurückfliehend die schattenhaft flüchtigen Tibbus; in die tiefsten Sahara-Oasen versprengt der stolze, harte Berberstamm der Tuaregs, des Lächelns und des Mitleids so ungewohnt wie die Wüste. Wir bummelten lange umher zwischen dem Kauderwelsch, dem Schmutz des Orients. Ein Neger wollte mir durchaus eine riesige grüne Eidechse verkaufen. Sie sind bissig, und er hatte darum der lebenden die Kiefern zusammengenäht, wie man ein Paket zusammennäht. Scheußlich! Ein Kabyle bot kleine Affen feil, matte, traurige Geschöpfe, die menschlich flehend um sich schauten. Ein Beduine führte uns geheimnisvoll zu einem Korb mit züngelnden Hornvipern. Es ist die eigentliche Wüstenschlange, die zu den Nachtfeuern der Karawanen träge heranschleicht. Mir macht jede Giftschlange nur ungemessenes Grauen. Die Königin, die, Vipern am Herzen, stirbt, konnte doch nur eine afrikanische Königin sein! Und Esel schreien betäubend, lagernde Kamele schauen mit törichten Augen umher. Solch ein liegendes altes mit schrecklichen Schwielen wurde eben beladen. Als der junge Araber es mit wildem Drohen in die Höhe reißen wollte, brüllte es dumpf und gequält auf. Der Araber schlug, das Kamel wälzte sich, die Augen schwarz vor Wut. Da schritt ein hoher, zerlumpter alter Beduine langen, ruhigen Schrittes von der entgegengesetzten Marktecke hinzu, teilte den Kreis der Gaffenden. Ein dumpf gurgelnder Kehllaut, eine gemessene Handbewegung, dann faßte er das Halfter des Tieres, und leicht und willig erhob es sich. Er schritt zurück, wie er gekommen, arm aber vornehm. Wer kennt diese Menschen denn mit ihren Orientsinnen, ihren Orientherzen? Es war eine wunderbare Ruhe und Geduld in der Bewegung, wie der alte Mann das alte Kamel aufrichtete. Vielleicht ist Geduld die höchste Tugend, die die Wüste ihren Söhnen predigt. Wir blieben interessiert, bis sich alles verlaufen hatte, bis auf einen Esel, der mit gesenkten Ohren in einer Ecke stand, und eine vertrocknete Kuchenfrau, die schreckliche Süßigkeiten feilbot. Die afrikanische Sonne brannte grell auf dem leeren, schmutzigen Platze. Wir spürten auch den Gluthauch der Wüste und gingen. Aber der Esel rührte sich nicht in der Hitze, und die Fliegenklumpen rührten sich nicht auf dem braun zerfließenden Zuckerbrot, und der Marktgeruch rührte sich nicht aus seiner trägen Fäulnis. Als wir in die nächste Straße einbogen, wieder mein Fremdenlegionär. Er saß in einer Ladentür auf einem Sack und aß eine Dattel. Er hob das seltsam blasse Auge. »Der Kerl sieht wirklich unheimlich aus,« sagte Jeanette. – »Vielleicht ist er nur unglücklich,« antwortete ich. Was ist es nur, warum er mir so leid tut?

Wir waren bei den Koranvorlesern und in den maurischen Cafés. Ueberall die fremde Art, die fremden Gesichter. – Wie auf einer staubigen Tenne liegen all die schmutzigen Kameltreiber um den Alten mit dem langen Bart und dem geflickten Burnus. Es nimmt sich aus wie ein Zigeunerlager, an dem alles fahl ist bis auf die träumerisch irrenden dunkeln Araberaugen. Jeder Vorübergehende kann hineinsehen in die kahle, niedrige Karawanserei, und jeder sieht hinein. Aber der Alte liest ruhig weiter. – Es gibt merkwürdig viel alte Menschen im Orient! . . . Und wie diese Araber und Berber dann wieder träge an der nächsten Straßenecke bei ihrem türkischen Kaffee hocken, stundenlang, ohne den Gedanken an die rinnende Zeit! Wie automatisch langt zuweilen eine schwärzliche Hand unter dem Burnus nach dem weißen Zigarettenpapier und dem krausen algerischen Tabak, oder der magere Arm greift langsam nach der Wasserflasche hinüber, die etwas Köstliches ist und immer in einem feuchten Tuchüberzug prangt. Und überall haben in der Nähe diese Gesichter das feindlich Starre, das ironisch Verwunderte, und ihre Bewegungen das überlegen Gemessene. In der Wüste kommt man nie zu spät. In dieser Oede, unter dieser Sonne scheint auch die Zeit still zu stehen. Die gleichen Glutwinde, die gleichen Dattelpalmen, die gleichen Koransuren. Die Wüstenkleider, die Wüstengewohnheiten sollen sich im Laufe der Jahrtausende kaum geändert haben. In diesem brütenden Einerlei vermag nur ein Glaubenssturm die Geister aufzupeitschen.

Abends sind wir auch einmal im Kursaal gewesen. Ein kleiner europäischer Konzertsaal, eine kleine europäische Bühne und darauf wieder Ouled-naëls. Hübscher, reicher gekleidet, die herabhängenden Goldschnüre bewegten sich zu diesen perversen arabischen Tänzen. Und wieder erschien der Neger mit seinem Sudantanz, nur daß der offene Mund heute nicht seine Soukasse war. – Jeanette und ich hatten sehr bald übergenug. Es ist eine häßliche Erinnerung, die sich mir auffrischt, aber selbst die häßlichen Erinnerungen wecken mir das Wehgefühl des ewig Verlorenen . . . Wir spielten später noch in den sehr bescheidenen Spielzimmern. Jeanette das harmlose Wettrennenspiel, wobei man wenig verlieren kann; ich das leichtfertige Bakkarat, wobei man viel gewinnen kann. Ich habe übrigens alles verloren bis auf den letzten Sou, während Jeanette noch eine Kleinigkeit gewann. Ich mußte darüber lachen, sie wurde darüber ernst. Aber bis zum späten Abend saßen wir noch auf der Seitenterrasse des Kurhauses, über uns der Himmel, vor uns die Wüste.

Da haben wir auch zum erstenmal von »ihm« gesprochen, das heißt, Jeanette hat gesprochen. War es die lächerliche Spielaufregung, war es die köstlich laue Nacht, ihr schien die Zunge gelöst. Ich höre noch jedes Wort: »Liebe Josefa, in wenigen Tagen sind wir wahrscheinlich nie mehr ungestört allein, und ich möchte Ihnen um meinet- und Ihretwegen eine gewisse Klarheit über gewisse Dinge geben. – Meine Stellung zu dem Grafen Rhyn verwundert Sie vielleicht, ja sicher. Aber was die Menschen denken, ist nicht! – Wir sind geistig verwandt und haben uns geistig gefunden. Es ergibt sich daraus eine gewisse Vertraulichkeit, die keine Frau ganz in ihrem Leben entbehren kann. Sie haben einen Mann, ich habe keinen. Es klingt hart, aber es ist nun einmal so . . . Man muß schon meine Nerven haben, um nicht selbst blöde zu werden. Ich habe natürlich oft an Trennung gedacht, und welche Frau in welcher Ehe hätte dies nicht schon einmal getan! Aber es wäre unnütz, wie ich mich überzeugt habe. Eine andre Neigung habe ich nicht und bin absolut mittellos. Warum sollen also nicht zwei Leute, die sechs Jahre nebeneinander hergegangen sind, auch sechzig Jahre nebeneinander hergehen? – Ich bin bei Gott nicht allein daran schuld! Aber ich hatte als Braut beinah noch weniger Ahnung von der Ehe, als Sie damals am Gardasee . . . Vor den Leuten streiten mein Mann und ich, wie Sie wissen, nie. Aber unter uns habe ich wenigstens niemals die Komödie weitergespielt. Ich behandle ihn schlecht, er nicht mich. Er hätte sich losreißen müssen! Da er es nicht tut, habe ich keine Veranlassung dazu. Sobald sich die Leute über ihre gegenseitige Abneigung verständigt haben, steht einer glücklichen Vernunftehe nichts mehr im Wege . . . Um auf Rhyn zu kommen: Ich kannte ihn par distance schon vor dem Gardasee und ebenso seine Abneigung gegen ererbte Titel und leere Aeußerlichkeiten. Ich habe damals natürlich gemerkt, wie lebhaft er sich für Sie interessiert hat, Josefa, und ich wollte Ihnen beiderseitig keine Illusion zerstören. Ich glaube Ihnen die Versicherung schuldig zu sein, daß Sie und Ihr Name niemals über seine Lippen gekommen sind. Also keine Indiskretion wittern! Dazu ist er überhaupt unfähig. Jedenfalls hätten Sie nie zueinander gepaßt, denn das, was wir Frauen Liebe nennen, empfinden solche Tatmenschen doch nur in tatenlosen Stunden. – Ich kann schweigen, wie Sie mir zugeben müssen, Josefa. Und wenn ich heute rede, so ist das keineswegs Vertrauensseligkeit. Ich will mich reinigen von einem Verdacht, der einem Grafen Bloome, vielleicht auch Ihrem Gatten etwas Selbstverständliches ist, hoffentlich nicht auch Ihnen, Josefa. Graf Rhyn ist mein Freund, nicht mein Geliebter. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß er das letztere nie war, nie sein wird! Aber seine Freundschaft steht mir hoch, sehr hoch, und ich möchte sie nicht missen . . . Ich weiß nicht, Josefa, ob Sie zu den Frauen gehören, denen die Freundschaft je die Liebe ersetzen kann, ja ich weiß nicht, ob Sie das je verstehen können überhaupt. Mir ist es ein ehrgeiziger Genuß, an dem Streben eines Mannes teilzunehmen, dem ich mich verwandt fühlte von dem ersten Augenblick an, wo ich ihn sah . . . Und in diesem Punkte bin ich allerdings egoistisch: soweit ich's hindern kann, soll er sich nicht verheiraten, weil die Ehe nicht für ihn paßt, weil ihn auch die beste Durchschnittsfrau nicht verstehen könnte, und er ebenso nicht die beste Durchschnittsfrau. Er mag Frauen lieben, soviel er will, aber keine Frau. Unter unsrer Freundschaft leidet niemand. Nicht meine Ehe – die kann überhaupt nicht kühler werden; nicht meine Moral, – ich würde nie etwas tun, das gegen mein protestantisches Gewissen verstößt . . . Und nun, liebe Josefa, habe ich Ihnen gesagt, was ich unsrer früheren Bekanntschaft schuldig war. Wir sind sehr kühl gegeneinander gewesen, namentlich im Anfang, und das war wohl die natürliche Gêne zweier Menschen, die sich unter ganz veränderten Verhältnissen wiedersehen . . . Ich verlange darauf etwa keine Vertraulichkeiten, obgleich Ihnen die Ehe wohl auch nicht alles hielt, was sie versprach . . .«

»O doch, liebe Jeanette.«

Wir drücken uns die Hand. Bei Frauen lügt zuzeiten alles, der Mund, das Auge, die Hand. Ich wenigstens log bewußt.

Und während dann die schwere Pause kam, wo die Beichte der Beichte folgen soll, verschloß sich hermetisch mein Herz. Ich mußte sie nur immer wieder ansehen – den kleinen, scharfen, blonden Kopf, in dessen kluge, blaue, kalte Augen sich einst der Backfisch verliebte. Es ist ein Gesicht, dessen Undurchdringlichkeit mich heute nicht mehr täuscht. Nein, Jeanette Quedenberg, was du auch faselst von Freundschaft, ich lasse dir den Geliebten nicht, dir nicht und keiner andern! Und die Beichte sonst? – Wahrheit oder Lüge? – Wenn Frauen beichten, beichten sie immer viel zu wenig oder viel zu viel. Du liebst den Mann, liebst ihn wie ich und willst mich narren mit der Theaterdekoration der Freundschaft . . . Aber liebt er auch dich? – Kann er dich lieben, wie er mich geliebt hat? – Und ich antworte triumphierend: ›Nein, er liebte dich nie, es sind die Schlacken seines Herzens, an denen du dich wärmst!‹ . . . Und ob ich dich auch verlachen müßte in deinem Wahn, so steigt mir doch ein heißes, böses Rieseln den Nacken hoch, aus meinen Augen bricht der Haß. Eine Weltdame gönnt der andern nicht den fadesten Courmacher mehr, und ich sollte dir den geliebtesten Mann gönnen? – Sünde hin, Sünde her, wenn du kein Weib bist, so bin ich's!

Wir gingen ziemlich einsilbig nach Hause. Und während es in mir schwelte, hat's in ihr geflammt. – Vor dem Hotel blieb sie plötzlich stehen und sagte, den Blick auf den Lehmhügel der nahen Kasba, langsam: »Ich habe vorhin noch etwas vergessen: wer mir den Freund nimmt, dem bin ich Feind. Er mag sich hüten!«

»Was wollen Sie damit sagen, Gräfin Quedenberg?«

Da sah sie mir gerade und ruhig ins Gesicht: «Daß ich Sie jetzt erst recht begriffen habe, Josefa.«

Der Abend hatte weit anders geendet, als wir geahnt. Ist das nur meine Empfindung? – Nein. Was sie wahrscheinlich schon lange quälte, ob meine Liebe erwachte, während die seine einschlummerte, sie weiß es jetzt. Mir recht. Wir passen beide besser zu ehrlichen Feinden als zu falschen Freunden.


Am andern Morgen besuchte mich Gräfin Quedenberg, als ich noch im Bett lag. Ob ihr die ganze Beichte nachträglich unangenehm war oder nur der letzte Satz? Jedenfalls war es ihr erstes Wort: »Josefa, wir haben doch gestern nicht Opium geraucht! . . . Wie konnte ich doch so viel Unsinn zusammenreden?! Jedenfalls muß ich Sie bitten, niemand gegenüber irgendwelchen Gebrauch davon machen zu wollen . . . Haben Sie auch so schlecht geschlafen? Dies Hotel saugt die Sonne auf wie ein Schwamm und gibt sie nicht wieder heraus.«

»Ich schlafe in Biskra immer schlecht,« antwortete ich der Wahrheit gemäß.

»Also Sie haben versprochen?«

»Selbstverständlich.«

Trotzdem haben wir uns seit jenem Abend nach Möglichkeit gemieden. Es stimmt etwas nicht zwischen uns. – Wie sollte es auch stimmen?!


Es wird immer heißer. Die Lehmmauern der Oase glühen wie ein Backofen, und durch die Straßen wallt's erstickend wie ein maurisches Bad.

Ich liege tagsüber auf meiner Chaiselongue, gedankenlos, matt, und doch spüre ich, wie unter der stummen Glut des Orients auch mein Sinnen erwacht . . . Das Zimmer ist dämmerig, durch die Balkonläden spielen winzige Lichter. Draußen flammt und leuchtet die Natur. – Der heimtückische Kampf beginnt zwischen dem, was mein Kopf soll, und zwischen dem, was mein Herz möchte. Das kommt von der weißen afrikanischen Sonne, die von der Wüste hereinglüht. Die Sinne dürsten in dem unbeweglichen Brand. Was kann ich dafür? – Soll ich mein Fleisch kreuzigen, mein Herz, und damit zugleich alles Gute, das ich je besaß? – Darf ich's überhaupt? – Denn dann bin ich ja selbst ein welkes Blatt, alt, wertlos! Bei alten Weibern ist die Moral ihrer Jugend nur lächerlich . . . Und ich bin noch jung, so jung! Ich muß das Leben leben. Wozu bekam ich's denn? . . . Und da lange ich den kleinen Handspiegel zu mir auf die Chaiselongue, und erkenne mein Bild in seiner gleißenden Dämmerung doch sehr genau. Ich bin wunderhübsch! Für wen bin ich's?

Und dann lege ich den Handspiegel wieder auf den Tisch, und die Moral sagt: »Es ist eine Versuchung. Du mußt sie überstehen.« – Ich aber antworte feindselig: »Versuchung? Woher weißt du das? Mein Herz erzählt nur von Liebe und Glück . . . Und wenn's eine Versuchung ist, warum hast du mir nicht erst die kleine geschickt, sondern mich gleich vor die riesengroße gestellt, von der du so gut weißt wie ich, daß ich ihr die Arme weit, weit öffnen möchte?« – Und wenn ich's tue, freiwillig sündige, weil ich nicht verdorren mag? . . . So werden Mutter und Gatte mich verlieren, und ich werde mich selbst verlieren, aber ich werde glücklich sein! . . . Und wenn ich diese Stunde des Glücks mit einer Sündenlast für alle Ewigkeit erkaufe, ist's nicht doch ein guter Kauf?! Warum du gerade heute mich versuchst und mir als Versucher das Glück schickst? Sag doch: Warum ist alle Sünde jung und süß, und alle Tugend alt und bitter? Warum freut sich die Jugend ungemessen, wenn sie morgens zum Licht erwacht, und warum schleicht das Alter trübselig zu seiner schlaflosen Nacht? . . . Und wenn ich weiter denke und ihr an eure Brust schlagt: Was ist meine, was ist eure Moral im Grunde, ihr Durchschnittsmenschen? – Ihr fürchtet euch vor der Meinung der Menge, die nur das Kleid sieht, weit mehr als vor dem Gott, der in unsre Herzen sieht. Ihr würdet jeden verbotenen Weg gehen, und nur wegen der Warnungstafel kehrt ihr um . . . Ich bin wie ihr! Ich bin geboren, erzogen zur Lüge, die wie Wahrheit ausschaut. Ich kenne die Wahrheit nicht. Aber ich weiß heute, daß sie sich uns nicht verschleiert, sondern daß wir sie künstlich verschleiern mit unsrer Lüge . . . Wir haben nur gelernt, als Schoßhund an der Leine zu gehen. Die Leine reißt! Das Alter und die Tugend bleiben wie ein blindes Maultier auf der Stelle stehen, das Laster und die Jugend fliehen glückselig in die freien Weiten . . . Wenn ihr auch so springen könntet, ihr Alten, ihr Tugendhaften, – ihr sprängt! Ihr könnt aber nicht, und darum ist der Himmel euer.

Mutter, wenn du jetzt bei mir wärst, du würdest mich vor einer Todsünde bewahren. Aber bleib fern von mir, auch dein Schatten flieh! Ich werde eine Todsünde begehen, ich will sie begehen, ich muß sie begehen!

Dann springe ich auf von der Chaiselongue und öffne die Fensterläden, und das heiße Licht flutet herein. Ach, was der gesunde Tag doch wohltut nach all der ungesunden Dämmerung! Und dieses große Licht gibt mir Mut. Es ist, als wenn eine heiße Erleuchtung über mich käme. Ich möchte auf der Stelle Peter einen Brief schreiben, in dem ich ihm alles sage, was ich sagen darf, und dann abreisen auf Nimmerwiederkehr! . . . Er würde es ertragen! – Und dann würde ich zu meiner Mutter eilen und in ihrem Schoße alles beichten, und kehrte doch reumütig wie immer zurück! . . . Da sinken mir die Hände. Ich kenne mich und mein Metall nur zu gut: Selbst trostlos stumm, aber alle fremden Töne willig forttragend. – Ich müßte es doch wenigstens versuchen, einmal selber zu tönen! . . . Und wenn ich das nicht kann, nur ein Spottvogel bin zeitlebens, der fremden, nicht der eignen Töne mächtig? – Dann hat meine Mutter recht, die mir den Talweg wies und mich warnte vor dem Schwindelsteg des Grats . . . Aber sie soll nicht recht haben, was an mir liegt! – Höhenmenschen, Höhenfreuden, Höhenabsturz: so mag ich's wieder und so hat er's mich einst gelehrt.

Du fieberst, Josefa! . . .

Halt, ich fiebere doch nicht! . . .

Ich muß vor allem wissen, schnell wissen, ob er mich noch liebt . . . Aber wann, wo, wie? – Unsre Wege schieden sich doch bereits . . . Ich kann ihm nicht nachlaufen, wie ein Backfisch einem Leutnant!

Und Jeanette Quedenberg? – Da bleibe ich schwer aufatmend stehen. Die Eifersucht kommt. »Dies Weib darf ihn nicht behalten, auch nicht als Freund . . .« Wo gab's jemals Freundschaft zwischen Mann und Weib, solange das Blut noch nach dem Herzen strömt? – Sie log gestern, sie lügt heut . . . Und von einer kindischen Angst getrieben, klingle ich dann nach meiner Jungfer, um mich zu vergewissern, ob Jeanette überhaupt noch da ist. Ich habe jetzt immer den Gedanken, sie könne eines Tages verschwunden sein und er mit ihr . . . Und dann klopft Jeanette im nächsten Augenblick selbst, will mich zum Diner abholen. Sie wundert sich, daß ich für mich lächle. Phantasten lächeln so oft für sich und über sich.


Die Hitze steigt, meine Unruhe wächst.

Die Sonne gelb verhüllt, stechend, der Himmel wie eine lastende Staubwolke, über die schweigende Wüste kriecht Mumienluft, rötlich schwer. Vielleicht liegt der Samum in der Luft, und sein Ahnen drückt auf Mensch und Tier. Wie gern hätte ich einmal den echten Wüstenwind dahinrasen sehen: Die Luft ein Feuermeer, die Dünen wandern, die Pflanzen verdorren, die ganze Natur erfüllt von einem Sandorkan, der das Leben rieselnd begräbt und die Skelette heulend aus ihrer Gruft wühlt . . .

Wo mag die Karawane jetzt sein? – Hoffentlich in Ouargla, wo sie sicher ist. Sie hat ja auch einen Führer, der die Wüste kennt, wie sich selbst! – Dennoch habe ich Angst.

Jeanette ist heute nicht wohl. Sie spricht von einem Brief und einem Bruder, von dem ich bis jetzt nie gehört, und daß sie vielleicht ganz plötzlich nach Oran werde reisen müssen. – Was sucht sie in Oran? – Die Karawane ohne »ihn« wird spätestens in einer Woche zurück sein . . . Oder »er« geht wo anders hin, schon jetzt, und sie will zu ihm? – Es kann nicht sein, es darf nicht sein! Ich muß »ihn« noch einmal allein sprechen, koste es, was es wolle . . . Ich spüre, wie um mich das Verhängnis schleicht.

Ach, es schleicht ja alles in dieser Glut! Die Leute behaupten, der afrikanische Sommer habe noch niemals so früh eingesetzt. Auch die Nächte sind zum Ersticken. Dennoch treibt's mich hinaus.


Ich bin heute nachmittag zu Fuß auf Col-de-Sfa gewesen. Unterwegs kein Mensch. Um mich nur die harte Lehmwüste, die hier schon zu bersten beginnt, und die grauen Salzkräuter, die gegen den Sonnentod kämpfen. Auch oben auf dem Felsenvorsprung war ich mutterseelenallein. Der kleine neue Wachtturm, der im Kriegsfall wohl Signale vermitteln soll, gelb und verlassen. Unten nur brennende Wüste, oben nur bröckelnder Fels. Die Ketten des Aures-Gebirges, das hier ganz nah heranzieht, braun, tot, wie versteinerte Riesenwellen noch von der Sündflut her. Ganz weit drüben zieht eine winzige Karawane langsam den Bergen zu . . . In der Wüste bei Biskra der El-Kantara-Zug. Aber wie puppenhaft ohnmächtig er durch die Wüste kriecht! In der Ferne schroffe Atlasgipfel, umwallt von schemenhaft weißem Gewölk . . . Und die freie Wüste nach Saada zu: Rotfahl, wie erstickend in Dunst; wo es dunkel schimmert, Oasen. Aber alles leichenhaft, bewegungslos, ein totes Meer mit verwunschenen Inseln . . . Ich strenge mich aufs äußerste an, das Haus von Saada zu erkennen. Unmöglich. Der träge bleierne Dunst deckt alles . . . Und erst da überkam mich ein Gefühl maßloser Einsamkeit. Ich möchte rufen – und weiß doch, daß meine Stimme in dieser gespenstischen Glutatmosphäre verhallen muß, aufgesogen von der Mumienstille. Ich möchte etwas Lebendiges fassen – und weiß doch, daß das warme Leben die heiße Wüste flieht. Nur die Hornvipern und Skorpione von dem verschwimmenden Riesensarg der Dunes de sable lieben solch sommerliche Hölle . . . Heut erst verstehe ich, daß kein Tuareg lächelt. Der Tod und sein Schatten allein vermögen in der Wüste zu lächeln.

Und warum liebt »er« die Wüste, warum?

Und während ich dem Gedanken nachhänge, den Blick wie suchend auf dem braunen Fels, da wiegt sich grüßend eine kleine gelbe Blüte in einem Steinritz. Die Glut hat sie übersehen, der Tod sie verachtet. – Ja, und die Blume habe ich gepflückt und geküßt und mir immer wiederholt, was »er« einmal in der Toscolaner Schlucht auch von einer so armseligen kleinen Felsblume sprach: «Vielleicht schlummert die Urgeschichte der Menschheit in diesem Blütenstaub . . .« Ich hatt's vergessen. Hier kommt mir die Erinnerung ungewollt . . . Mein Guter, mein Einziger, wenn du auch nicht glaubst, wie ich glaube, – an die Blume, die du mir sandtest, an die Blume glaube ich wie an dich! . . . O Liebe, Leben, die ihr im Gluthauch des Samum dauert, verlaßt mich nicht . . . Und wenn ich schwach bin, seid ihr stark für mich!

Und diese Blume an den Lippen, habe ich wieder einmal gebetet, inbrünstig gebetet in all meinen Sünden . . . Und je heißer ich flehte, um so heißer wurde die Sehnsucht. – »Ich komme, ich komme, du Lieber, du Freund . . . Hab mich lieb, hab mich lieb!«

Und die Flammen schlugen über mir zusammen. –

Als ich wieder in Biskra war, sah ich auch wieder den Fremdenlegionär. Was seine blassen Augen bei aller Schuld doch sehnsüchtig suchen: die Heimat, das Glück – die suche ich auch bei aller meiner Schuld. Ich weiß nicht wie, aber ich weiß, daß mich die Sehnsucht fortan nicht läßt, bis ich die Oase geschaut habe bei der Wüste des Lebens . . . Und du kleine Blume an meinem Herzen sollst mir Führer sein.


Morgen reiten wir dem Samum entgegen.


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